Nur scheinbar sinnlos - Evangelische Kirchengemeinde Eschenau
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„<strong>Nur</strong> <strong>scheinbar</strong> <strong>sinnlos</strong>“<br />
Predigt zu Joh 10,11-15<br />
Silberne Konfirmation, Miserikordias Domini, 26. April 2009<br />
Evang.-Luth. St. Bartholomäuskirche, <strong>Eschenau</strong><br />
Jesus sprach: 11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der<br />
Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und<br />
verlässt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, [13 denn<br />
er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.] 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen,<br />
und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich<br />
lasse mein Leben für die Schafe.<br />
Liebe Silberne Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde!<br />
Sinnlos erscheint, was der gute Hirte hier tut. Sinnlos, denn er stellt sich dem Wolf in den Weg<br />
und verliert dabei sein Leben. Im Gegensatz dazu der Mietling, also der Hirte, dem die Herde<br />
nicht selbst gehört: er stellt sich dem Wolf nicht, sondern ergreift die Flucht und überlebt. Und<br />
dennoch ist das, was der gute Hirte, als den Jesus sich hier bezeichnet, nur <strong>scheinbar</strong> <strong>sinnlos</strong>:<br />
die Schafe werden gerettet, denn um der sinnvollen Sinnlosigkeit des guten Hirten lässt der<br />
Wolf von die Herde ab.<br />
Die nur <strong>scheinbar</strong>e Sinnlosigkeit des in Wirklichkeit Sinnvollen. Eine spannende Sache, uns<br />
aber dargebracht mit einem fremden Bild aus einer fernen Welt. Kaum jemand von uns dürfte<br />
eine Schafherde zu hüten haben. Und die Rückkehr der Wölfe bei uns (wenn ich den Erzählungen<br />
in meiner Familie Glauben schenken darf, hat mein Ururgroßvater den letzten Wolf im<br />
Fichtelgebirge erlegt) ist weniger bedrohliches Zeichen, sondern Anhalt für eine sich wieder<br />
stabilisierende Fauna wie die Rückkehr der freilich weniger gefährlichen Störche.<br />
Für den Hirten in unserem Jesus-Wort ist die Natur in Gestalt des Wolfes bedrohlich. Heute<br />
bedrohen wir Menschen die Natur. Und damit sind wir unversehens in der Zeit angekommen,<br />
in der Sie, liebe Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden ihre Konfirmation feierten. Im Jahre<br />
1984 stellte der Waldschadensbericht nüchtern fest, dass jeder zweite Baum in Deutschland<br />
krank sei. Die alles beherrschende Schlagzeile damals war das sogenannte „Waldsterben”.<br />
Verursacht wurde dieses Waldsterben größtenteils durch den — auch so eine Schlagwort<br />
damals — „saueren Regen”, der durch die bleihaltigen und unbehandelte Abgase von Autos<br />
und Kraftwerken verursacht wurde.<br />
Das Thema des Jahres 1984 war das Thema „Umweltverschmutzung”. Als ich ein Kind war,<br />
verstand man darunter wilde Müllkippen im Wald und dergleichen — also das eindeutige<br />
Fehlverhalten einiger weniger. Doch nun wird Umweltverschmutzung wahrgenommen als<br />
Folge des ganz normalen, üblich gewordenen Lebenswandels aller. Was geschah in dieser<br />
Sache nicht alles 1984! In Ihrem Konfirmationsjahr wurde der Umweltschutz in die Bayerische<br />
Verfassung aufgenommen. Und nach heftigem Gegenkampf der Autoindustrie wurde die<br />
Einführung des Katalysator für Autos mit Benzinmotoren beschlossen.<br />
Damals fragte man sich, ob diese Maßnahmen überhaupt Sinn machten. Waren sie nicht<br />
ebenso <strong>sinnlos</strong> wie das Unterfangen eines guten Hirte, sich einem Wolf entgegenzustellen?<br />
Der Wald schien schon verloren zu sein. Die Zukunft malte man sich sehr düster aus. Ein<br />
© Pfarrer Dr. Matthias Büttner • Evang.-Luth. <strong>Kirchengemeinde</strong> <strong>Eschenau</strong><br />
Marktplatz 1 • 90542 Eckental • matthias.buettner@elkb.de
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Aufkleber, der damals die Runde machte, „Zukunft? Ich bin dafür!” sollte positive Stimmung<br />
verbreiten, offenbarte aber unfreiwillig die Hilflosigkeit der damaligen Zeit. Doch die Maßnahmen<br />
von damals, so viel wissen wir heute, waren nicht <strong>sinnlos</strong>. Niemand hätte vor 25<br />
Jahren vorherzusagen gewagt, dass der „sauere Regen” einmal kein Thema mehr sein könnte;<br />
dass Auto einmal so sauber werden könnten, dass lediglich das CO 2 ein Problem (leider wieder<br />
ein neues und ebenso gewaltiges!) sein könnte; dass es wieder Störche geben würde; dass<br />
Flüsse und Seen Trinkwasserqualität haben könnten.<br />
Im Jahr Ihrer Konfirmation gab es einen Film, der Furore machte: Against All Odds. Zu deutsch:<br />
gegen jede Chance. Darin geht es um den alternden Footballspieler Terry Brogan, der aus<br />
Geldsorgen sich darauf einlässt, die Freundin eines Bekannten zurückzuholen, die mit dessen<br />
Geld durchgebrannt ist. Brogan findet die Lady tatsächlich irgendwo in Mexiko — und er<br />
verliebt sich in sie. Zunächst erwidert sie seine Gefühle, doch dann verschwindet sie und kehrt<br />
zu ihrem vormaligen Freund zurück, ohne Brogan Bescheid zu geben. Against All Odds, gegen<br />
jede Chance versucht Brogan diese Frau zu lieben. Und mehr noch: gegen jede Chance<br />
versucht sich der alternde Footballspieler im Kommerz des Profisports zu behaupten. Um all<br />
das geht es in dem Film: um unglückliche Liebe, unglückliches Leben, sogar das Thema<br />
„Umweltverschmutzung“ kommt darin vor. Die Musik zu dem Film damals stammte von Phil<br />
Collins. Sein Song wurde für den Oscar nominiert und stand im Monat Ihrer Konfirmation auf<br />
Platz 3 der Top Ten. Against All Odds hieß das Stück, mit dem Phil Collins dem nach Sinn<br />
suchenden Terry Brogan eine Stimme verlieh.<br />
[Song]<br />
1984 wurde nicht nur Sinn gesucht, sondern auch Unsinn geredet. Dem damalige US-Präsident<br />
Ronald Reagan fiel bei einer Mikrophonprobe nichts besseres ein als der Spruch: „Die Bombardierung<br />
Russland beginnt in fünf Minuten.” Der Satz hätte damals den 3. Weltkrieg auslösen<br />
können; in der DDR standen mit dem Jahr Ihrer Konfirmation Nuklearraketen. Vielleicht<br />
gehörte das Jahr 1984 zu den Jahren, die vor allem zeigten, was nicht sein soll und was nicht<br />
geht. Zwei, die damals begriffen hatten, wie es nicht mehr gehen kann, waren Bundeskanzler<br />
Helmut Kohl und der französische Präsident Mitterand. In Verdun, dem ehemaligen Schlachtfeld<br />
der letzten beiden Krieg, wo unzählige deutsche und französische Soldaten sich gegenseitig<br />
umbrachten, standen beide minutenlang Hand in Hand. Man hatte dazugelernt. Das Bild<br />
ging um die Welt. Wenn unser Großväter und Urgroßväter das hätten erleben können!<br />
<strong>Nur</strong> <strong>scheinbar</strong> <strong>sinnlos</strong> ist das Verhalten des guten Hirte aus unserem Bibelwort, das heute über<br />
Ihren Jubeltag stehen soll. <strong>Nur</strong> <strong>scheinbar</strong> <strong>sinnlos</strong>. Könnte es sein, dass wir hier etwas ganz<br />
Grundlegendem begegnen? Dass letztlich nichts ohne Sinn ist, weil sogar das verloren gegangene<br />
Leben des guten Hirte einen Sinn macht? Das war die großartige Erfahrung der Jünger<br />
Jesu an Ostern: Sogar Karfreitag war nicht <strong>sinnlos</strong>, wie es nicht <strong>sinnlos</strong> war, dass der gute Hirte<br />
sich dem Wolf in den Weg gestellt hat.<br />
Nun will ich nicht behaupten, dass alles, auch das Schlimmste oder Verrückteste, einen Sinn<br />
hätte. Oder will ich es doch? Vielleicht kann man es tatsächlich behaupten ausgenommen<br />
freilich nur bei Dinge, die einen selbst betreffen. Viktor Frankl war der große österreichische<br />
Psychiater und Therapeut. Und er war Jude, was ihm zur Zeit des Nationalsozialismus großes<br />
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Leid einbrachte: er kam ins Konzentrationslager, seine Frau kam dort ums Leben, sein psychologisches<br />
Hauptwerk schrieb er auf Zigarettenpapierchen, die Wachleute entdeckten sie und<br />
vernichteten alle — und Viktor Frankl schrieb von neuem. Leuten wie diesen nehme ich es zu<br />
hundert Prozent ab, wenn sie sagen, Sinn muss gefunden werden und kann darum gefunden<br />
werden und zwar überall. Und ich glaube auch, dass das viel mit dem guten Hirte zu tun hat,<br />
bei dem nicht einmal das Sterben <strong>sinnlos</strong> war.<br />
Ich glaube, dass in den vergangenen Jahren und Jahrezehnten der gute Hirte auch ihr guter<br />
Hirte war, und ich hoffe, dass Sie ihn auch als den guten Hirten erleben und spüren konnten.<br />
Interessant ist ja, wie sich nach einem längeren Zeitraum Sinn auch dort erschließt, wo man<br />
zunächst nicht viel Sinnvolles erblicken konnte. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit. In<br />
dieser Zeit sind aus Jugendlichen Erwachsene geworden, Schule und Berufsausbildung oder<br />
Studium wurden absolviert, Ehe geschlossen, Familie gegründet. Vielleicht Ehen und Familien<br />
auch wieder zerbrochen. Dass das Leben kein Ponyhofreiten ist, das weiß man 25 Jahre nach<br />
seiner Konfirmation. Man weiß aber bestimmt auch, dass manches sich in seiner Sinnhaftigkeit<br />
erst geraume Zeit später erschließt.<br />
Der gute Hirte hat Sie, liebe Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden, hat uns durch all die<br />
Jahre und Jahrzehnte getragen und begleitet. Der gute Hirte ist der, der sein Leben für die<br />
Seinen gibt. Das bedeutet, dass das Ja manchmal im Nein liegen kann und der Sieg vielleicht<br />
gerade im Unterliegen sich zeigt. Und es bedeutet, dass <strong>scheinbar</strong> Sinnloses nicht ohne Sinn<br />
sein muss. So sollen die Jahre und Jahrzehnte, die nun vor Ihnen liegen, erneut unter Stecken<br />
und Stab des guten Hirten befohlen sein. Und sie werden erleben, wie sich Sinn erschließen<br />
kann, wo Sie es bisher nicht dachten; wo Umwege auf einmal zum Ziel führen; wo sich vieles,<br />
wenn nicht alles als das Werk jenes Gottes, der so ist, wie der gute Hirte, von dem wir heute<br />
gehört habe.<br />
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