2. Wissenschaftstheorie - Temme
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<strong>Wissenschaftstheorie</strong> - 20 - Kapitel <strong>2.</strong><br />
wurde) und dem methodologischen Falsifikationismus (die Position Poppers und des KR).<br />
Der naive Falsifikationismus geht davon aus, daß durch sorgfältiges methodisches Vorgehen<br />
Beobachtungsfehler vermieden werden können und daher über die Gültigkeit von Basissätzen<br />
wie „Dies ist ein schwarzer Schwan“ oder „Die Bundesrepublik ist eine egalitäre<br />
Gesellschaft“ endgültig entschieden werden kann. Dagegen erkennt der methodologische<br />
Falsifikationismus an, daß in unseren Beobachtungen Fehler nie ganz ausgeschlossen werden<br />
können und darüber hinaus jede Messung eine Theorie voraussetzt, die sog. Meßtheorie, die<br />
selbst fehlerhaft sein kann.<br />
Grundlegend für das folgende Argument ist die Unterscheidung zwischen Begriffen mit direktem<br />
und solchen mit indirektem empirischen Bezug und die damit in Zusammenhang stehende<br />
Zweisprachentheorie. Nach der Zweisprachentheorie wird zwischen der theoretischen<br />
Sprache L T (theoretische Konstrukte, d.h. Begriffe ohne direkten empirischen Bezug, die<br />
durch sog. latente Variabeln ξ und ηdargestellt werden) 1 und der Beobachtungssprache L O<br />
(Indikatoren, d.h. Begriffe mit direktem empirischen Bezug, die durch die zugehörigen manifesten<br />
Variablen x und y erfaßt werden) unterschieden. Die Verbindung zwischen theoretischer<br />
Sprache und Beobachtungssprache wird durch sog. Korrespondenzregeln hergestellt<br />
(Zuordnung von Indikatoren zu theoretischen Konstrukten).<br />
L T : theoretische Sprache (ξ, η, ...)<br />
<br />
(Korrespondenzregeln)<br />
L O : Beobachtungssprache (x, y, ...)<br />
Das Korrespondenzproblem wird im Zusammenhang mit der Frage der Operationalisierung<br />
eines theoretischen Konstrukts in Kapitel 4 wieder aufgegriffen. Hier genügt eine kurze<br />
Skizze der Lösung des Korrespondenzproblems durch den kausalanalytischen Ansatz, welche<br />
die für die wissenschaftstheoretische Diskussion wichtigen Elemente hervorhebt:<br />
L T : ξ ⎯⎯⎯⎯→ η Kerntheorie (K)<br />
⏐ ⏐ Meßtheorie (M)<br />
↓<br />
↓<br />
L O : x y<br />
↑ ↑ Meßfehlertheorie (F)<br />
δ<br />
ε<br />
Auf der theoretischen Ebene wird zunächst ein Kausalgesetz (ξ → η) formuliert, das als<br />
Kerntheorie bezeichnet wird. (Je größer die soziale Distanz (ξ) zu Ausländern, desto größer<br />
die Ausländerfeindlichkeit (η); siehe 4.3.) Ein solches Gesetz kann nicht direkt empirisch<br />
überprüft, also auch nicht direkt falsifiziert werden, da die Begriffe keinen direkten<br />
1<br />
Variablen der theoretischen Sprache (latente Variablen) werden i.d.R. durch griechische Buchstaben<br />
dargestellt (ξ = „ksi“, η = „eta“, ζ = „zeta“, δ = „delta“, ε = „epsilon“), Variablen der Beobachtungssprache<br />
werden dagegen mit lateinischen Buchstaben bezeichnet: x, y.