Michael Kohlhaas - Wolf E. Rahlfs
Michael Kohlhaas - Wolf E. Rahlfs
Michael Kohlhaas - Wolf E. Rahlfs
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<strong>Michael</strong> <strong>Kohlhaas</strong><br />
Aus einer alten Chronik (1810)<br />
Dramatisierung von Tommi Brem & <strong>Wolf</strong> E. <strong>Rahlfs</strong><br />
(Stand Textfassung: 05.10.2011)<br />
Spielfassung für vier Schauspieler<br />
(Damen und/oder Herren)<br />
IN DIESER TEXTFASSUNG WIR DIE<br />
ROLLENVERTEILUNG<br />
DETAILLIERT<br />
DARGESTELLT.<br />
Uraufführung:<br />
17. September 2011<br />
Badische Landesbühne Bruchsal<br />
Regie: <strong>Wolf</strong> E. <strong>Rahlfs</strong>
Anmerkung des Autoren & Regie-Teams:<br />
Diese Spielfassung von Heinrich von Kleists Novelle „<strong>Michael</strong> <strong>Kohlhaas</strong>“ entstand auf<br />
Basis einiger künstlerischer Überlegungen, die zum besseren (Lese-)Verständnis<br />
dem Text vorangestellt sind.<br />
1.) Warum so drastisch gekürzt? Eine ungekürzte Adaption des Originalstoffes mit<br />
„naturalistischer“ Besetzung heißt: Man braucht für die Inszenierung ein Ensemble<br />
von ca. 30 Schauspielern, um die Geschichte „vollständig“ zu erzählen; Spieldauer<br />
zwischen 6 und 8 Stunden. Es lag nahe, Schwerpunkte zu setzen.<br />
2.) Welches Ziel verfolgt die Kürzung? Die vorliegende Fassung beansprucht<br />
nicht, die „Erzählung“ <strong>Kohlhaas</strong> vollständig zu dramatisieren, sondern den<br />
Wesenskern der „Figur“ <strong>Kohlhaas</strong> zu erspüren. Daher wurden einige<br />
Nebenhandlungsstränge, so z.B. <strong>Kohlhaas</strong>’ Begegnung mit der Zigeunerin und der<br />
daraus resultierende Subplot, bewusst gestrichen.<br />
3.) Warum der „vierfache <strong>Kohlhaas</strong>“? Diese Spielfassung entstand vor dem<br />
Hintergrund, dass ein Ensemble aus vier Schauspielern/innen nicht nur alle Rollen,<br />
sondern auch abwechselnd die Rolle des <strong>Kohlhaas</strong> spielen würde. Wir gehen in<br />
unserer Interpretation des Stückes davon aus, dass <strong>Kohlhaas</strong> in seiner Sache „Recht<br />
hat“, auch wenn wir wissen: Der Fall ist komplizierter als „Recht haben oder nicht<br />
Recht haben“. „Unser <strong>Kohlhaas</strong>“ wird im Staffellauf von vier Schauspielern gespielt.<br />
Es geht nicht ausschließlich um die psychologischen Motivationen des Handelns<br />
<strong>Kohlhaas</strong>’, sondern vor allem darum, das „<strong>Kohlhaas</strong>ische“, und wie es sich<br />
ausdrückt, in jedem Menschen (Schauspieler) zu entdecken.<br />
4.) Was ist mit dem Erzähler? Die Figur des Erzählers wurde nicht „wegdramatisiert“,<br />
da uns der Ursprung des Textes als Novelle wichtig ist. Genauso wie<br />
<strong>Kohlhaas</strong> von allen Schauspielern übernommen wird, sollte auch die Figur des<br />
Erzählers vom ganzen Ensemble gespielt werden – einzeln, abwechselnd, chorisch,<br />
versetzt; je nach Inszenierungskonzept. Dabei hat der Erzähler immer eine Haltung<br />
zum Geschehen; sie muss nicht unbedingt „pro-<strong>Kohlhaas</strong>“, darf aber keinesfalls<br />
neutral sein.<br />
5.) Sprache modernisieren, oder nicht? Der Kleistsche Originalsprachlaut wurde,<br />
zu nahezu 100% beibehalten. Denn: Warum sollte man „Kleist spielen“, wenn man<br />
nicht „Kleist sprechen“ will?
FIGUREN / BESETZUNGSVERTEILUNG<br />
Zur besseren Orientierung für das Prinzip des „vierfachen <strong>Kohlhaas</strong>“ werden die vier<br />
Spieler den Figuren (15 Sprechrollen plus Erzähler) hier konkret zugewiesen, damit<br />
ein klarer Einblick in die Möglichkeiten der Besetzung entsteht. Auch der Erzähler<br />
wurde, wo zum besseren Verständnis notwendig, klar in jeder Szene zugewiesen.<br />
Die vier Spieler sind männlich und/oder weiblich. – Diese Rollenverteilung ist also<br />
unverbindlich, jedoch ein Vorschlag aus dem Geiste der vorliegenden Fassung.<br />
ERZÄHLER SPIELER 1 - 4<br />
(inkl. Ritter, Rechtsgehülfen, Gesinde, Resolutionen, Äbtissin von Tronka, Volk,<br />
Tribunal zu Dresden, Kammergericht zu Berlin)<br />
MICHAEL KOHLHAAS, Rosshändler aus d. Brandenburgischen SPIELER 1 - 4<br />
Die Tronkenburg:<br />
SCHLAGWÄRTER SPIELER 2<br />
BURGVOGT SPIELER 3<br />
JUNKER WENZEL VON TRONKA SPIELER 4<br />
<strong>Kohlhaas</strong>enbrück:<br />
LISBETH, <strong>Kohlhaas</strong>’ Frau SPIELER 2<br />
HERSE, <strong>Kohlhaas</strong>’ Knecht SPIELER 3<br />
Brandenburg:<br />
HEINRICH VON GEUSAU, Stadthauptmann von Brandenburg SPIELER 1<br />
KURFÜRST VON BRANDENBURG SPIELER 2<br />
Wittenberg:<br />
DOKTOR MARTIN LUTHER SPIELER 1<br />
Dresden<br />
REGIERUNGSBEAMTE SPIELER 1 - 4<br />
KÄMMERER KUNZ, ein Verwandter des Junkers SPIELER 2<br />
MUNDSCHENK HINZ, ein Verwandter des Junkers SPIELER 1<br />
PRINZ VON MEIßEN, Regierungschef SPIELER 3<br />
KURFÜRST VON SACHSEN SPIELER 4<br />
ZWEI WACHEN SPIELER 1 + 2
PROLOG<br />
(Eine Industrielandschaft kurz vor der Explosion. Brandenburg urbanisiert –<br />
Bürokratie, Knast, Abenteuerspielplatz, Halfpipe, Konzertbühne. Heißkalt. – Es treten<br />
auf: vier Gestalten, das „Kollektiv <strong>Kohlhaas</strong>“.)<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1 – 4)<br />
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein<br />
Rosshändler, namens <strong>Michael</strong> <strong>Kohlhaas</strong>, einer der rechtschaffensten zugleich und<br />
entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.<br />
Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster<br />
eines guten Staatsbürgers haben gelten können.<br />
Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf<br />
welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib<br />
schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer<br />
war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner<br />
Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen<br />
müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber<br />
machte ihn zum Räuber und Mörder.<br />
(Der Pfeil fliegt.)
TEIL I – DER PASSSCHEIN<br />
#1 – DER SCHLAGBAUM<br />
Tronkenburg: draußen wie drinnen.<br />
<strong>Kohlhaas</strong> (SPIELER 1), Schlagwärter (SPIELER 2), Burgvogt (SPIELER 3), Junker<br />
(SPIELER 4).<br />
ERZÄHLER (SPIELER 4)<br />
Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und glänzend, ins<br />
Ausland, als er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg, auf<br />
sächsischem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nicht<br />
gefunden hatte.<br />
(Regen und Gewitter.)<br />
SCHLAGWÄRTER<br />
Wer seid Ihr?<br />
KOHLHAAS<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Kohlhaas</strong>, der Rosshändler. – Was gibt’s hier Neues?<br />
SCHLAGWÄRTER<br />
Landesherrliches Privilegium; dem Junker Wenzel von Tronka verliehen.<br />
KOLHAAS<br />
So. Wenzel heißt der Junker? – Ist der alte Herr tot?<br />
SCHLAGWÄRTER<br />
Am Schlagfluss gestorben.<br />
KOHLHAAS<br />
Hm! Schade! – Nun! Was bin ich schuldig?<br />
SCHLAGWÄRTER<br />
Drei Groschen.<br />
KOHLHAAS (gibt ihm das Geld)<br />
Tja, Alter, wenn der Baum im Walde stehen geblieben wäre, wär’s besser gewesen,<br />
für mich und euch. (will fort)<br />
BURGVOGT (erscheint)<br />
Halt dort, der Rosskamm!<br />
KOHLHAAS<br />
Was gibt’s Neues?
ERZÄHLER<br />
Der Burgvogt, indem er sich noch eine Weste zuknüpfte, kam, und fragte,<br />
schief gegen die Witterung gestellt:<br />
BURGVOGT<br />
Dein Passschein!<br />
KOHLHAAS<br />
Mein Passschein?<br />
ERZÄHLER<br />
Er sagte ein wenig betreten, dass er, soviel er wisse, keinen habe; dass man<br />
ihm aber nur beschreiben möchte, was dies für ein Ding des Herrn sei.<br />
KOHLHAAS<br />
Vielleicht bin ich ja zufälligerweise damit versehen.<br />
BURGVOGT<br />
Ohne einen landesherrlichen Erlaubnisschein wird kein Rosskamm mit Pferden über<br />
die Grenze gelassen.<br />
KOHLHAAS<br />
Was soll das? Siebzehn Mal bin ich bereits, ohne einen solchen Schein, über die<br />
Grenze gezogen.<br />
BURGVOGT<br />
Und das achtzehnte Mal schlüpfst du eben nicht durch.<br />
ERZÄHLER (Wechsel auf: SPIELER 2)<br />
Der Rosshändler, den diese ungesetzlichen Erpressungen zu erbittern<br />
anfingen, sagte:<br />
KOHLHAAS (leicht erbittert)<br />
Ich will den Junker selbst darüber sprechen.<br />
(Schlagwärter und Burgvogt zucken mit den Schultern.)<br />
ERZÄHLER<br />
Es traf sich, dass der Junker eben, mit einigen muntern Freunden, beim<br />
Becher saß, und, um eines Schwanks willen, ein unendliches Gelächter unter ihnen<br />
erscholl, als <strong>Kohlhaas</strong>, um seine Beschwerde anzubringen, sich ihm näherte.<br />
JUNKER<br />
Wer bist du? Was willst du?<br />
ERZÄHLER<br />
Die Ritter, als sie den fremden Mann erblickten, wurden still; doch kaum hatte<br />
dieser sein Gesuch, die Pferde betreffend, angefangen, als der ganze Tross schon...<br />
RITTER<br />
Pferde?! Pferde! Wo sind sie?
ERZÄHLER<br />
... ausrief, und an die Fenster eilte, um sie zu betrachten.<br />
JUNKER<br />
Hinab in den Hof! (Aufgeregtes Hin- und Hergerenne.)<br />
RITTER/ALLE (durcheinander)<br />
Schaut euch den Schweißfuchs mit der Blesse an!<br />
Seht, der Kastanienbraune!<br />
Und dort: der Schecke mit den schwarzgelben Flecken!<br />
(schließlich gemeinsam:) Im ganzen Lande werden keine besseren Pferde gezogen!<br />
KOHLHAAS<br />
Die Pferde sind nicht besser, als die Ritter, die sie reiten sollen!<br />
JUNKER<br />
Was willst du für den Schweißhengst?<br />
BUGRVOGT (zum Junker)<br />
Herr, kauft ein paar Rappen. Die könnten wir in der Wirtschaft gut gebrauchen.<br />
KOHLHAAS<br />
Die Rappen habe ich vor sechs Monaten für 25 Goldgülden gekauft; gebt mir 30, so<br />
sollt Ihr sie haben.<br />
ERZÄHLER<br />
Der Junker aber meinte, dass er für den Schweißhengst wohl, aber nicht eben<br />
für die Rappen, Geld ausgeben möchte, und machte Anstalten, aufzubrechen.<br />
BURGVOGT (zum Junker)<br />
Herr, der Rosskamm reist ohne Passschein!<br />
KOHLHAAS<br />
Herr, hat es mit diesem Umstand seine Richtigkeit?<br />
JUNKER (verlegen)<br />
Ja, <strong>Kohlhaas</strong>, den Pass musst du lösen.<br />
ERZÄHLER<br />
<strong>Kohlhaas</strong> versicherte ihm, dass es gar nicht seine Absicht sei, die<br />
Verordnungen zu umgehen; versprach, bei seinem Durchzug durch Dresden, den<br />
Pass zu lösen, und bat, ihn nur diesmal, da er von dieser Forderung durchaus nichts<br />
gewusst, ziehen zu lassen.<br />
JUNKER<br />
Lasst den Schlucker laufen. (will gehen)<br />
BURGVOGT<br />
Er soll wenigstens ein Pfand zurücklassen. (Pause.) Zur Sicherheit, dass er den<br />
Schein lösen wird.
KOHLHAAS<br />
Was denn für ein Pfand?<br />
BURGVOGT<br />
Lass doch einfach die Rappen hier. (Pause.) Ist der Pass gelöst, kannst du sie zu<br />
jeder Zeit wieder abholen.<br />
KOHLHAAS<br />
Herr, die Rappen will ich ja verkaufen.<br />
(Pause. Alle schauen sich an.)<br />
ERZÄHLER<br />
Der Junker, da in demselben Augenblick ein Windstoß eine ganze Last von<br />
Regen und Hagel durchs Tor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen:<br />
JUNKER<br />
Wenn er die Pferde nicht loslassen will, so schmeißt ihn wieder über den<br />
Schlagbaum zurück. (Geht ab.)<br />
ERZÄHLER (SPIELER 3 und 1)<br />
Der Rosskamm, der wohl sah, dass er hier der Gewalttätigkeit weichen<br />
musste, entschloss sich, die Forderung, weil doch nichts anders übrig blieb, zu<br />
erfüllen; spannte die Rappen aus, führte sie in einen Stall, und ließ seinen Knecht<br />
Herse zu ihrer Pflege und Fütterung zurück.
#2 – ZWEI GESCHUNDENE RAPPEN<br />
Dresden; später wieder auf der Tronkenburg.<br />
<strong>Kohlhaas</strong> (SPIELER 2), Burgvogt (SPIELER 3), Junker (SPIELER 4).<br />
ERZÄHLER (SPIELER 4)<br />
In Dresden begab er sich, gleich nach seiner Ankunft, auf die<br />
Geheimschreiberei, wo er von den Räten, deren er einige kannte, erfuhr, was ihm<br />
allerdings sein erster Glaube schon gesagt hatte:<br />
RÄTE (SPIELER 1, 3 und 4)<br />
Wer seid Ihr?<br />
KOHLHAAS<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Kohlhaas</strong>, der Rosshändler.<br />
RÄTE<br />
Was wollt Ihr?<br />
KOHLHAAS<br />
Einen Passschein für die Tronkenburg<br />
RÄTE<br />
Passschein? – Ha ha ha! Ein Märchen!<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1, 3 und 4)<br />
<strong>Kohlhaas</strong>, dem die missvergnügten Räte einen schriftlichen Schein über den<br />
Ungrund desselben gaben, lächelte über den Witz des dürren Junkers, obschon er<br />
noch nicht recht einsah, was er damit bezwecken mochte; und kehrte, ohne irgend<br />
weiter ein bitteres Gefühl, als das der allgemeinen Not der Welt, zur Tronkenburg<br />
zurück. Der Burgvogt, dem er den Schein zeigte, ließ sich nicht weiter darüber aus.<br />
(Zurück auf der Tronkenburg.)<br />
BURGVOGT (den Schein kaum beachtend)<br />
Tja.<br />
KOHLHAAS<br />
Kann ich meine Pferde nun wieder mitnehmen?<br />
BURGVOGT (schulterzuckend)<br />
Nur zu.<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1 und 4)<br />
<strong>Kohlhaas</strong> hatte aber schon, da er über den Hof ging, den unangenehmen Auftritt, zu<br />
erfahren, dass sein Knecht, ungebührlichen Betragens halber, wie es hieß, wenige<br />
Tage nach dessen Zurücklassung in der Tronkenburg, zerprügelt und weggejagt<br />
worden sei. – Wie groß war aber sein Erstaunen, als er, statt seiner zwei glatten und<br />
wohlgenährten Rappen, ein Paar dürre, abgehärmte Mähren erblickte; Knochen,
denen man, wie Riegeln, hätte Sachen aufhängen können; Mähnen und Haare, ohne<br />
Wartung und Pflege, zusammengeknetet: das wahre Bild des Elends im Tierreiche!<br />
KOHLHAAS (entsetzt)<br />
Was ist meinen Gäulen widerfahren?<br />
BURGVOGT<br />
Ihnen ist weiter kein Unglück zugestoßen. Sie sind nur, da gerade Ernte ist, wegen<br />
Mangels an Zugvieh, ein wenig auf den Feldern gebraucht worden.<br />
KOHLHAAS<br />
Wer hat dem Junker von Tronka die Erlaubnis gegeben, sich meiner bei ihm<br />
zurückgelassenen Rappen zur Feldarbeit zu bedienen?<br />
BURGVOT<br />
Sei dankbar, dass die Mähren überhaupt noch leben. Wer hätte sie denn, da der<br />
Knecht weggelaufen, pflegen sollen? – Mach hier keine Flausen, Rosskamm, sonst<br />
ruf ich die Hunde.<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1 und 4)<br />
Dem Rosshändler schlug das Herz gegen den Wams. Es drängte ihn, den<br />
nichtswürdigen Dickwanst in den Kot zu werfen, und den Fuß auf sein kupfernes<br />
Antlitz zu setzen. Doch sein Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich, wankte noch...<br />
KOHLHAAS<br />
Um welchen Versehens halber ist der Knecht denn aus der Burg entfernt worden?<br />
BURGVOGT<br />
Ist trotzig gewesen im Hof. Hat sich gegen einen notwendigen Stallwechsel<br />
gesträubt. Hat verlangt, dass die Pferde zweier Jungherren, um seiner Mähren<br />
willen, auf der freien Straße übernachten sollten!<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1)<br />
In diesem Augenblick sprengte der Junker Wenzel von Tronka, mit einem<br />
Schwarm von Rittern, Knechten und Hunden in den Burghof.<br />
JUNKER<br />
Was gibt’s hier Neues?<br />
BURGVOGT<br />
Er weigert sich, die Pferde als die seinigen anzuerkennen.<br />
KOHLHAAS<br />
Das sind nicht meine Rappen, gestrenger Herr! Das sind die Pferde nicht, die dreißig<br />
Goldgülden wert waren! Ich will meine wohlgenährten und gesunden Pferde wieder<br />
haben!<br />
JUNKER<br />
Wenn der H... A... die Pferde nicht wiedernehmen will, so mag er es bleiben lassen.<br />
– Schafft Wein!
KOHLHAAS<br />
Ich werde mir Recht zu verschaffen wissen. (Er reitet davon. Wiehern und<br />
Schnauben.)<br />
Anm. d. Autoren: „H... A...“ ist die Abkürzung für ein gebräuchliches Schimpfwort aus<br />
Kleists Zeit und steht stellvertretend für „Hans Arsch“.
#3 – HERSE<br />
<strong>Kohlhaas</strong>enbrück.<br />
<strong>Kohlhaas</strong> (SPIELER 4), Lisbeth (SPIELER 2), Herse (SPIELER 3).<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1 und 3)<br />
Sobald er, bei seiner Ankunft in <strong>Kohlhaas</strong>enbrück, Lisbeth, sein treues Weib,<br />
umarmt, und seine Kinder, die um seine Knie frohlockten, geküsst hatte, fragte er:<br />
KOHLHAAS<br />
Wo ist Herse?<br />
LISBETH<br />
Ja liebster <strong>Michael</strong>, dieser Herse! Denke dir, dass dieser unselige Mensch, vor etwa<br />
vierzehn Tagen, auf das jämmerlichste zerschlagen, hier eintrifft; nein, so<br />
zerschlagen, dass er auch nicht frei atmen kann. Wir bringen ihn zu Bett, wo er heftig<br />
Blut speit, und vernehmen, auf unsre wiederholten Fragen, eine Geschichte, die<br />
keiner versteht.<br />
KOHLHAAS<br />
So? – Ist er denn schon wieder hergestellt?<br />
LISBETH<br />
Bis auf das Blutspeien.<br />
KOHLHAAS<br />
Liegt er noch im Bette?<br />
LISBETH<br />
Er geht seit einigen Tagen schon wieder im Hofe umher.<br />
KOHLHAAS<br />
Ruf ihn mir, Lisbeth, wenn er auf ist, doch her!<br />
(Auftritt Herse.)<br />
KOHLHAAS<br />
Was hast du in der Tronkenburg gemacht? – Ich bin nicht eben wohl mit dir<br />
zufrieden.<br />
HERSE<br />
Da habt Ihr Recht, Herr! Denn einen Schwefelfaden, den ich durch Gottes Fügung<br />
bei mir trug, um das Raubnest, aus dem ich verjagt worden war, in Brand zu stecken,<br />
warf ich, als ich ein Kind darin jammern hörte, in das Elbwasser, und dachte: mag es<br />
Gottes Blitz einäschern; ich will’s nicht!<br />
KOHLAAS<br />
Wodurch aber hast du dir die Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen?
KOHLHAAS<br />
Am Ende war’s nicht so schlimm im Schweinekoben, als es dir, da du zuerst die<br />
Nase hineinstecktest, vorkam.<br />
HERSE<br />
's ist wahr.<br />
KOHLHAAS<br />
Warum also jagte man dich fort, Herse?<br />
HERSE<br />
Weil man meiner los sein wollte. Weil sie die Pferde, so lange ich dabei war, nicht zu<br />
Grunde richten konnten.<br />
KOHLHAAS<br />
Aber die Veranlassung! Sie werden doch irgend eine Veranlassung gehabt haben!<br />
HERSE<br />
Oh, allerdings. Ich nahm, am Abend des zweiten Tages, den ich im Schweinekoben<br />
zugebracht, die Pferde, die sich darin doch zugesudelt hatten, und wollte sie zur<br />
Schwemme reiten. Und da ich eben unter dem Burgtor bin, hör ich den Vogt, mit<br />
Knechten, Hunden und Prügeln hinter mir herstürzen.<br />
BURGVOGT & GESINDE (wie besessen)<br />
Halt, den Spitzbuben! - Halt, den Galgenstrick! - (sie nehmen Herse bei der Brust)<br />
Wo will Er mit den Pferden hin?<br />
HERSE („steigt“ spielerisch in die Geschichte ein)<br />
Wo ich hin will? Himmeldonner! Zur Schwemme will ich reiten. Denkt Er, dass ich –?<br />
BURGVOGT & GESINDE<br />
Zur Schwemme? Ich will dich, Gauner auf der Heerstraße, nach <strong>Kohlhaas</strong>enbrück<br />
schwimmen lehren! (sie schmeißen Herse auf den Boden)<br />
HERSE<br />
Mord! Hagel! Sielzeug und Decken liegen, und ein Bündel Wäsche von mir, im Stall.<br />
BURGVOGT & GESINDE<br />
Heraus aus dem Burghof! - hetz, Kaiser! hetz, Jäger! hetz, Spitz! (Bellen und<br />
Knurren.)<br />
HERSE (wieder „bei“ <strong>Kohlhaas</strong>)<br />
Und eine Koppel von mehr denn zwölf Hunden fällt über mich her. Drauf brech ich,<br />
war es eine Latte, ich weiß nicht was, vom Zaune, und drei Hunde tot streck ich<br />
neben mir nieder; doch da ich, von jämmerlichen Zerfleischungen gequält, weichen<br />
muss: „Flüt!“ gellt eine Pfeife, die Hunde in den Hof, die Torflügel zusammen, der<br />
Riegel vor; und auf der Straße ohnmächtig sink ich nieder.
KOHLHAAS<br />
Was du gesagt hast, Wort für Wort, ich glaube dir. Es tut mir leid, dass es dir in<br />
meinen Diensten nicht besser ergangen ist; geh zu Bett, und tröste dich: dir soll<br />
Gerechtigkeit widerfahren!<br />
ERZÄHLER (SPIELER 1 und 2)<br />
Und damit stand er auf, fertigte ein Verzeichnis der Sachen an, die der Großknecht<br />
im Schweinekoben zurückgelassen; spezifizierte den Wert derselben, und ließ ihn<br />
abtreten. – Hierauf erzählte er Lisbeth, seiner Frau, den ganzen Verlauf der<br />
Geschichte, erklärte ihr, wie er entschlossen sei, die öffentliche Gerechtigkeit für sich<br />
aufzufordern, und hatte die Freude, zu sehen, dass sie ihn, in diesem Vorsatz, aus<br />
voller Seele bestärkte.<br />
Anm. d. Autoren: In dieser Szene ist es gewollt, dass SPIELER 3 blitzschnell<br />
zwischen der Figur des HERSE und des BURGVOGTS (gemeinsam als Chor mit<br />
dem Gesinde) hin- und herwechselt.