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Als ich ein kleiner Junge war - Bertuch Verlag Weimar

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<strong>ich</strong> las und las. … kindheit und jugend in dresden (1899–1919)<br />

Ringen, am Barren, am Reck, am Pferd, am Kasten und schließl<strong>ich</strong> am<br />

Hochreck. Das Hochreck wurde m<strong>ein</strong> Lieblingsgerät. Später, viel später.<br />

Ich genoß die Schwünge, Kippen, Stemmen, Hocken, Grätschen, Kniewellen,<br />

Flanken und, aus dem schwungvollen Kniehang, das Fliegen durch<br />

die Luft mit der in Kniebeuge und Stand abschließenden Landung auf der<br />

Kokosmatte. Es ist herrl<strong>ich</strong>, wenn der Körper, im rhythmischen Schwung,<br />

le<strong>ich</strong>ter und le<strong>ich</strong>ter wird, bis er fast n<strong>ich</strong>ts mehr zu wiegen sch<strong>ein</strong>t und,<br />

nur von den Händen schmiegsam festgehalten, in eleganten und phantasievollen<br />

Kurven <strong>ein</strong>e biegsam feste Eisenstange umtanzt!<br />

Ich wurde <strong>ein</strong> zieml<strong>ich</strong> guter Turner. Ich glänzte beim Schauturnen. Ich<br />

wurde Vorturner. Aber <strong>ein</strong> sehr guter Turner wurde <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Denn <strong>ich</strong><br />

hatte Angst vor der Riesenwelle! Ich wußte auch, <strong>war</strong>um. Ich <strong>war</strong> <strong>ein</strong>mal<br />

dabeigewesen, als <strong>ein</strong> anderer während <strong>ein</strong>er Riesenwelle, in vollem<br />

Schwung, den Halt verlor und kopfüber vom Hochreck stürzte. Die Kameraden,<br />

die zur Hilfestellung bereitstanden, konnten ihn n<strong>ich</strong>t auf -<br />

fangen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht. Und die Riesenwelle und <strong>ich</strong><br />

gingen <strong>ein</strong>ander zeitlebens aus dem Wege. Das <strong>war</strong> eigentl<strong>ich</strong> <strong>ein</strong>e rechte<br />

Blamage, und wer blamiert s<strong>ich</strong> schon gern? Doch es half n<strong>ich</strong>ts. Ich bekam<br />

die Angst vor der Riesenwelle n<strong>ich</strong>t aus den Kleidern. Und so <strong>war</strong> mir<br />

die Blamage immer noch <strong>ein</strong> bißchen lieber als <strong>ein</strong> Schädelbruch. Hatte<br />

<strong>ich</strong> recht? Ich hatte recht.<br />

Ich wollte turnen und turnte, weil es m<strong>ich</strong> freute. Ich wollte k<strong>ein</strong> Held<br />

s<strong>ein</strong> oder werden. Und <strong>ich</strong> bin auch k<strong>ein</strong>er geworden. K<strong>ein</strong> falscher Held<br />

und k<strong>ein</strong> echter Held. Wißt ihr den Unterschied? Falsche Helden haben<br />

k<strong>ein</strong>e Angst, weil sie k<strong>ein</strong>e Phantasie haben. Sie sind dumm und haben<br />

k<strong>ein</strong>e Nerven. Echte Helden haben Angst und überwinden sie. Ich habe<br />

manches liebe Mal im Leben Angst gehabt und sie, weiß Gott, n<strong>ich</strong>t jedesmal<br />

überwunden. Sonst wäre <strong>ich</strong> heute vielle<strong>ich</strong>t <strong>ein</strong> echter und s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong><br />

<strong>ein</strong> toter Held. Nun will <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> allerdings auch n<strong>ich</strong>t schlechter machen,<br />

als <strong>ich</strong> bin. Zuweilen hielt <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> ganz wacker, und das <strong>war</strong> mitunter<br />

gar n<strong>ich</strong>t so <strong>ein</strong>fach. Doch die Heldenlaufbahn als Hauptberuf, das wäre<br />

n<strong>ich</strong>ts für m<strong>ich</strong> gewesen.

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