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Als ich ein kleiner Junge war - Bertuch Verlag Weimar

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20<br />

<strong>ich</strong> las und las. … kindheit und jugend in dresden (1899–1919)<br />

<strong>ein</strong>e gescheite Mutter. Sie gab nach.<br />

Und <strong>ich</strong> spazierte, mit Ranzen und<br />

Frühstückstasche bewaffnet, stolz und<br />

all<strong>ein</strong>, jeder Zoll <strong>ein</strong> Mann, morgens in<br />

die Tieckstraße und mittags wieder<br />

nach Hause. Ich hatte gesiegt, hurra!<br />

Viele Jahre später hat mir m<strong>ein</strong>e<br />

Mutter erzählt, was damals in Wirkl<strong>ich</strong>keit<br />

geschah. Sie <strong>war</strong>tete, bis <strong>ich</strong> aus dem Hause <strong>war</strong>. Dann setzte sie<br />

s<strong>ich</strong> rasch den Hut auf und lief heiml<strong>ich</strong> hinter mir her. Sie hatte schreckl<strong>ich</strong>e<br />

Angst, mir könne unterwegs etwas zustoßen, und sie wollte m<strong>ein</strong>en<br />

Drang zur Selbständigkeit n<strong>ich</strong>t behindern. So verfiel sie darauf, m<strong>ich</strong> auf<br />

dem Schulwege zu begleiten, ohne daß <strong>ich</strong> es wußte. Wenn sie befürchtete,<br />

<strong>ich</strong> könne m<strong>ich</strong> umdrehen, sprang sie rasch in <strong>ein</strong>e Haustür oder hinter<br />

<strong>ein</strong>e Plakatsäule. Sie versteckte s<strong>ich</strong> hinter großen, dicken Leuten, die den<br />

gle<strong>ich</strong>en Weg hatten, lugte an ihnen vorbei und ließ m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t aus den<br />

Augen. Der Albertplatz mit s<strong>ein</strong>en Straßenbahnen und Lastfuhrwerken<br />

<strong>war</strong> ihre größte Sorge. Doch völlig beruhigt <strong>war</strong> sie erst, wenn sie, von der<br />

Ecke Kurfürstenstraße aus, m<strong>ich</strong> in der Schule verschwinden sah. Dann<br />

atmete sie auf, schob s<strong>ich</strong> den Hut zurecht und ging, diesmal hübsch gesittet<br />

und ohne Indianermethoden, nach Hause. Nach <strong>ein</strong>igen Tagen gab sie<br />

ihr Morgenmanöver auf. Die Angst, <strong>ich</strong> könne unvors<strong>ich</strong>tig s<strong>ein</strong>, <strong>war</strong> verflogen.<br />

[…]<br />

In der Schule selber gab es k<strong>ein</strong>e Schwierigkeiten. Außer <strong>ein</strong>er <strong>ein</strong>zigen.<br />

Ich <strong>war</strong> sträfl<strong>ich</strong> unaufmerksam. Es ging mir zu langsam voran. Ich langweilte<br />

m<strong>ich</strong>. Deshalb knüpfte <strong>ich</strong> mit den Nachbarn neben, vor und hinter<br />

mir launige Unterhaltungen an. <strong>Junge</strong> Männer im Alter von sieben<br />

Jahren haben <strong>ein</strong>ander begreifl<strong>ich</strong>erweise viel zu erzählen. Herr Bremser,<br />

so gemütl<strong>ich</strong> er im Grunde <strong>war</strong>, empfand m<strong>ein</strong>e Plauderlust als durchaus<br />

störend. S<strong>ein</strong> Versuch, aus etwa dreißig kl<strong>ein</strong>en Dresdnern brauchbare<br />

Alphabeten zu machen, litt empfindl<strong>ich</strong> darunter, daß <strong>ein</strong> Drittel der

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