04.11.2013 Aufrufe

Als ich ein kleiner Junge war - Bertuch Verlag Weimar

Als ich ein kleiner Junge war - Bertuch Verlag Weimar

Als ich ein kleiner Junge war - Bertuch Verlag Weimar

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>ich</strong> las und las. … kindheit und jugend in dresden (1899–1919)<br />

19<br />

Ich turnte, weil m<strong>ein</strong>e Muskeln, m<strong>ein</strong>e Füße und Hände, m<strong>ein</strong>e Arme<br />

und B<strong>ein</strong>e und der Brustkorb spielen und s<strong>ich</strong> bilden wollten. Der Körper<br />

wollte s<strong>ich</strong> bilden wie der Verstand. Beide verlangten, gle<strong>ich</strong>zeitig und gem<strong>ein</strong>sam,<br />

ungeduldig danach, geschmeidig zu wachsen und, wie gesunde<br />

Zwillinge, gle<strong>ich</strong> groß und kräftig zu werden. Mir taten alle Kinder leid,<br />

die gern lernten und ungern turnten. Ich bedauerte alle Kinder, die gern<br />

turnten und n<strong>ich</strong>t gern lernten. Es gab sogar welche, die weder lernen noch<br />

turnen wollten! Sie bedauerte <strong>ich</strong> am meisten. Ich wollte beides brennend<br />

gern. Und <strong>ich</strong> freute m<strong>ich</strong> schon auf den Tag, an dem <strong>ich</strong> zur Schule kommen<br />

sollte. Der Tag kam, und <strong>ich</strong> w<strong>ein</strong>te.<br />

Die 4. Bürgerschule in der Tieckstraße, unweit der Elbe, <strong>war</strong> <strong>ein</strong> vornehm<br />

düsteres Gebäude mit <strong>ein</strong>em Portal für die Mädchen und <strong>ein</strong>em für die<br />

Knaben. In jener Zeit sahen alle Schulen düster aus, dunkelrot oder<br />

schwärzl<strong>ich</strong>-grau, steif und unheiml<strong>ich</strong>. Wahrsch<strong>ein</strong>l<strong>ich</strong> <strong>war</strong>en sie von<br />

denselben Baumeistern gebaut worden, die auch die Kasernen gebaut hatten.<br />

Die Schulen sahen aus wie Kinderkasernen. Warum den Baumeistern<br />

k<strong>ein</strong>e fröhl<strong>ich</strong>eren Schulen <strong>ein</strong>gefallen <strong>war</strong>en, weiß <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Vielle<strong>ich</strong>t<br />

sollten uns die Fassaden, Treppen und Korridore denselben Respekt <strong>ein</strong> -<br />

flößen wie der Rohrstock auf dem Katheder. Man wollte wohl schon die<br />

Kinder durch Furcht zu folgsamen Staatsbürgern erziehen. Durch Furcht<br />

und Angst, und das <strong>war</strong> freil<strong>ich</strong> ganz verkehrt. […]<br />

Der Schulweg <strong>war</strong> <strong>ein</strong>e schwierigere Angelegenheit als die Schule selber.<br />

Denn im Klassenzimmer gab es nur <strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>zigen Erwachsenen, den Lehrer<br />

Bremser. Er durfte dort s<strong>ein</strong>, weil er dort s<strong>ein</strong> mußte. Ohne ihn hätte<br />

man die Buchstaben und die Ziffern, das ABC und das Kl<strong>ein</strong>mal<strong>ein</strong>s ja<br />

gar n<strong>ich</strong>t lernen können. Aber daß <strong>ein</strong>en die Mutter bei der Hand nahm<br />

und bis zum Schulportal transportierte, das <strong>war</strong> ausgesprochen lästig. Man<br />

<strong>war</strong> doch, mit s<strong>ein</strong>en sieben Jahren, k<strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong>es Kind mehr! Oder wagte<br />

dies etwa irgend jemand zu behaupten? Frau Kästner wagte es. Sie <strong>war</strong><br />

<strong>ein</strong>e tapfere Frau. Doch sie wagte es nur acht Tage lang. Denn sie <strong>war</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!