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KZ Barth Nr. 11927 - Förderverein Dokumentations

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<strong>KZ</strong> <strong>Barth</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>11927</strong><br />

(Ignacy Golik, ein polnischer <strong>KZ</strong>-Häftling in <strong>Barth</strong>)<br />

Es war gegen 10 Uhr, im Lager gab es keine Uhren, als wir Häftlinge aus unserem Block 2 oder 3 gerufen<br />

wurden. Soweit ich mich heute noch erinnere, waren wir die letzten ca. 300 Häftlinge, die noch im Lager<br />

verblieben waren. Die Frauen und zwei Kolonnen Männer (ca. je 300) waren schon früher aus dem Lager<br />

ausgerückt. Jeder bekam ein Stück Brot und durfte seine Decke und Schüssel mitnehmen. Zuerst marschierten<br />

wir nach Süden bis zur Straßenkreuzung nach Rostock.<br />

Kurz vor Löbnitz war Wachablösung. Die SS-Posten aus verschiedenen Einheiten, erkennbar durch ihre<br />

Abzeichen, verschwanden und wurden durch junge Soldaten in Luftwaffenuniformen ersetzt. Als wir fast<br />

in Löbnitz angekommen waren, hörten wir plötzlich eine große Explosion aus Richtung <strong>Barth</strong>. Wir dachten,<br />

die Heinkelwerke wären in die Luft gesprengt worden. Erst ein paar Jahre später erfuhr ich, dass damals<br />

die Bombenvorräte, Flugzeuge und Segelflugzeuge gesprengt worden sind.<br />

Die jungen Luftwaffensoldaten, unter ihnen auch ein paar Unteroffiziere, waren zu den Häftlingen viel<br />

freundlicher als die SS-Posten. Die jungen Flieger gestatteten uns von zwei verbrannten Lastwagen, Konservendosen<br />

zu nehmen. Von diesen Dosen hatten wir fast nichts, da sich ich ihnen nur Kürbis und grüne<br />

Bohnen befanden. Wir marschieren noch ein bis zwei Stunden, bis es ganz dunkel war. Unsere Wachposten<br />

suchten eine Scheune, in der wir übernachten sollten. Nur wenige Häftlinge gingen zum Schlafen<br />

in die Scheune. Die meisten hatten Angst, in ihr durch die Wachposten verbrannt zu werden, obwohl uns<br />

die Wachposten versicherten, dass dies nicht geschehen würde. Einige Häftlinge schliefen draußen und<br />

andere im Stehen. Wir 4 Kameraden erhielten durch einen Unteroffizier die Erlaubnis, in einer vor der<br />

Scheune abgestellten Kutsche zu schlafen. Am frühen Morgen marschierten wir als Marschkolonne weiter<br />

in Richtung Rostock. Da die Chaussee mit Zivilisten und Militäreinheiten überfüllt war, mussten wir<br />

die Strasse verlassen und über Gräben und Felder gehen.<br />

Zehn bis fünfzehn Kilometer vor Rostock erschienen am Himmel 2 oder 3 sowjetische Jäger und schossen<br />

mit ihren Maschinengewehren auf die Chaussee. Es brach Panik aus. In diesem Moment kam ein<br />

Wehrmachtsoldat auf einem Motorrad aus Richtung Rostock. Er rief: »Iwan in Rostock! Alles zurück!« Es<br />

war nicht möglich, nach <strong>Barth</strong> zurückzumarschieren, da die Luftwaffensoldaten schon wussten, dass die<br />

Brücke zwischen Ribnitz und Damgarten bereits gesprengt war. Unsere Posten flohen und die Kolonne<br />

löste sich auf. Die Häftlinge blieben sich selbst überlassen. Meine 3 Kameraden und ich liefen in Richtung<br />

eines 2 Kilometer entfernten Waldes und versteckten uns dort in Kies- und Sandgruben. Einige der<br />

Gruben waren bereits mit deutschen Zivilisten belegt. Auch ein Meister aus den Heinkelwerken suchte<br />

hier mit seiner ganzen Familie Schutz. Plötzlich erblickten wir auf dem Turm der Kirche eines in der<br />

Nähe liegenden Dorfes eine weiße Fahne. Wir gingen dort hin, meldeten uns beim Bürgermeister und<br />

baten, in einer Scheune übernachten zu dürfen. Als ich einen Major in Luftwaffenuniform erblickte, ging<br />

ich zu ihm und erklärte ihm unsere Lage. Er begrüßte uns freundlich und gab uns fast neue Militärhalbschuhe,<br />

Tabak und ein paar Brote. Da wir bisher nur in Holzpantinen laufen mussten, freuten wird uns<br />

darüber sehr.<br />

Im Dorf waren 2 Offiziere und ca. 300 Soldaten. Der Major erkannte sofort an meinem roten Winkel mit<br />

dem Buchstaben P auf der Häftlingskleidung, dass ich ein Pole war. Er fragte mich, ob ich Russisch verstehe.<br />

Ich antwortete, dass ich es verstehe, aber nicht gut sprechen kann. Die Soldaten meldeten dem<br />

Major, dass sie einen Aufklärungspanzer gesehen hätten. Ein paar Minuten später erschien dieser dann<br />

auch. Der Major befahl mir, bei ihm zu bleiben. Der Spähwagen fuhr ins Dorf. Ihm entstieg ein junger<br />

sowjetischer Leutnant. Der Major ging mit mir zu ihm, salutierte und meldete die Nummer der Einheit<br />

sowie deren Stärke und begab sich in Gefangenschaft. Ich übersetzte diese Meldung halb in Russisch halb<br />

in Polnisch. Der sowjetische Leutnant verstand, was ich sagte und gab sofort den Befehl in Marschkolonne<br />

mit einer weißen Fahne in Richtung Rostock zu marschieren, was nach einer Viertelstunde auch geschah.<br />

Die Kolonne von ca. 300 Soldaten marschierte in die Gefangenschaft nach Gelbensande ohne Bewachung.<br />

Nach dem Abmarsch der Kolonne informierte uns der sowjetische Leutnant, dass sich im Wald Einheiten<br />

der Waffen-SS aufhalten, die nicht in Gefangenschaft gehen wollten. Er empfahl uns deshalb, das Dorf<br />

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sofort zu verlassen. Bereits eine halbe Stunde später waren wir an der Hauptchaussee, an der viele sowjetische<br />

Artillerie- und Panzereinheiten standen. Neben dem Dorf lagen ein entgleister Panzerzug und ein 6-<br />

motoriges Transportflugzeug. Dort befand sich ein mir ehemaligen <strong>Barth</strong>er <strong>KZ</strong>-Häftlingen überfülltes<br />

Gasthaus. Aus einer sowjetischen Gulaschkanone bekamen wir soviel Graupensuppe, wie wir essen<br />

konnten. Als wir satt waren, mussten wir noch einmal an die Gefangennahme der 300 deutschen Soldaten<br />

mit dem deutschen Major denken. Für uns Polen war es eine große Überraschung, dass sich die 300 deutschen<br />

Soldaten fast freiwillig in die Gefangenschaft begaben.<br />

Im Herbst 1939 während des so genannten Feldzuges in Polen, versuchten unsere Offiziere bei der Kapitulation<br />

der polnischen Truppen soviel wie möglich Soldaten vor der Gefangenschaft zu retten, d. h. sie<br />

erlaubten, die Uniformen zu verstecken und Zivilkleidung zu tragen. Der deutsche Major übergab ganz<br />

junge Burschen den Siegern. Das war für uns unverständlich. Wir waren weit davon entfernt, Mitleid mit<br />

ihnen zu haben, aber es überraschte uns doch. Waren es doch der deutsche Major und seine Soldaten, die<br />

uns als Erste menschlich behandelten und uns Brot, Zigaretten und Schuhe gaben. Seit Jahren hatte uns<br />

kein uniformierter Deutscher so gut behandelt. Die SS-Männer sprachen uns immer nur an mit: »dreckige<br />

Polen, polnische Schweine, Sauhunde, verfluchte polnische Banditen, Mistbiene, Scheißkerl, Arschloch ...«.<br />

Wir erinnerten uns an die Soldaten im Dorf, als wir uns auf den langen Weg nach Polen machten. Da es<br />

in dem Dorf keine Übernachtungsmöglichkeiten gab, machten wir uns auf nach Rostock. Dort angekommen,<br />

bekamen wir leicht eine Unterkunft, da viele Einwohner die Stadt verlassen hatten. Ein paar Tage<br />

später gingen wir mehrere Tage lang über Stralsund, Greifswald, Anklam nach Pasewalk, von wo aus wir<br />

mit Genehmigung einer sowjetischen Frau und der Kommandanten mit einem mit Gleisen beladenen Güterzug<br />

bis nach Bydgoszcz fuhren.<br />

Aufgeschrieben in Warszawa, im November 2004<br />

(Der Bericht stammt aus dem Archiv des <strong>Förderverein</strong>s <strong>Dokumentations</strong>- und Begegnungsstätte <strong>Barth</strong> e. V..)<br />

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