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ZUR ENTWICKLUNG DER MUSIKÄSTHETIK IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 18. JAHRHUNDERTS

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Zur Entwicklung der Musikästhetik in der zweiten Hälfte des <strong>18.</strong> Jahrhunderts<br />

Um diese Zeit war Goethe die epochemachende Figur, eine geistesgeschichtliche<br />

Erscheinung von überragender Größe und Bedeutung wie auf rein<br />

musikalischem Feld drei Generationen vor ihm Johann Sebastian Bach. Er<br />

prägte – wir wissen das nicht erst seit Korffs Geist der Goethezeit 2 – die Epoche<br />

der Deutschen Klassik, die in ihren weitesten Grenzen von etwa 1770-<br />

1830 angesetzt wird. Aber wir wissen auch, wie wenig einheitlich diese Epoche<br />

war und was sich alles sonst noch in diesen 60 Jahren vor und nach 1800<br />

vollzog: Sturm und Drang, Romantik, Revolution, Befreiungskriege und Metternichsche<br />

Restauration. Und wenn wir uns die zeitliche Parallelität – um<br />

wieder auf die Musik zu kommen – des Schaffens von Beethoven, E.T.A.<br />

Hoffmann, Weber und Schubert vergegenwärtigen, ist uns allen klar, daß<br />

Klassifizierungen wie „klassisch“ oder „romantisch“ sehr relativ sind.<br />

Und noch ein Hinweis auf die Parallelität ganz verschiedener historischer<br />

Stränge sei mir gestattet, der uns nun direkt zum Thema der Musiktheorie und<br />

Musikästhetik hinführt. Der berühmte Bach-Schüler Kirnberger publizierte<br />

erst relativ spät im Leben seine Kunst des reinen Satzes, nämlich 1771. Ganze<br />

Generationen von Musikern wurden bis in die Zeit um und nach 1800 nach<br />

diesem und anderen Standard-Lehrbüchern unterrichtet (wie Marpurgs und<br />

Fux’ Kontrapunktlehren), die im wesentlichen den kompositorischen Stand<br />

der Bach-Zeit festschrieben. Derselbe Kirnberger verfaßte aber auch die ersten<br />

112 Musik-Artikel in Sulzers 1771-1774 erschienenem Lexikon Allgemeine<br />

Theorie der schönen Künste. Hier finden sich durchaus schon Formulierungen,<br />

die sich als Vorläufer klassischer ästhetischer Definitionen einstufen<br />

lassen. Auch der erst über 20 Jahre später von Körner – unter dem Einfluß<br />

Herders, Kants, Goethes und Schillers – ausgebaute Charakterbegriff findet<br />

sich bereits 3 . Musikästhetik in der späteren vollen Breite des Begriffs gab es<br />

in der ersten Hälfte des <strong>18.</strong> Jahrhunderts kaum. In den philosophisch-ästhetischen<br />

Erörterungen spielte die Musik neben der Poesie eine eher zweitrangige<br />

Rolle, und auch das komplexe Regelwerk der musikalischen Rhetorik und<br />

„Figuren“-Lehre war eine Ableitung aus dem Reich des Verbalen.<br />

Im ersten Stadium der Entwicklung beherrschte noch die Schule Leibniz-<br />

Wolff-Baumgarten das philosophische Feld, und die Einflüsse des französischen<br />

Rationalismus, von dem die Deutschen den Nachahmungsgedanken<br />

übernahmen, wurden, wie Baumgartens 1750-58 erschienene Aestetica erkennen<br />

läßt, noch der Leibnizschen These von „der besten aller Welten“ subsumiert,<br />

„außerhalb derer der Künstler nur Unvollkommenes dichten kann“.<br />

2 H. A. Korff, Geist der Goethezeit, Versuch einer ideellen Entwicklung der klassischromantischen<br />

Literaturgeschichte, Bd 1-4, Leipzig 1949-55.<br />

3 M. Schmidt, Zur Theorie des musikalischen Charakters, München-Salzburg 1981<br />

(= Beiträge zur Musikforschung Bd 9).<br />

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