Der Frieden will gelernt sein
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— Schule —<br />
<strong>Der</strong> Bürgerkrieg dauerte, mit Unterbrüchen, fast<br />
50 Jahre (1955–2005). Auf beiden Seiten wurden<br />
Kindersoldaten eingesetzt – Jungen und<br />
Mädchen, die keine 18 Jahre alt waren. Rund um<br />
die Welt kämpfen noch heute Zehntausende<br />
Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten.<br />
Zentralafrikanische<br />
Republik<br />
0 100<br />
Western Wau<br />
Bahr El Ghazal<br />
km<br />
Northern<br />
Bahr Awel<br />
El Ghazal<br />
200<br />
Sudan<br />
Warrap<br />
Warrap<br />
Rumbek<br />
Lakes<br />
Western Equatoria<br />
Yambio<br />
Demokratische<br />
Republik Kongo<br />
Unity<br />
Bentiu<br />
Juba<br />
Central<br />
Equatoria<br />
SÜDSUDAN IN ZAHLEN<br />
Quellen: CIA, The World Factbook; Weltbank<br />
Malakai<br />
Jonglei<br />
Bor<br />
Upper Nile<br />
Uganda<br />
Äthiopien<br />
Eastern Equatoria<br />
Torit<br />
Kenia<br />
— <strong>Frieden</strong>svertrag: 2005,<br />
Unabhängigkeit vom Sudan: 2011<br />
— Bevölkerung: 11,1 Millionen<br />
— Anteil der Bevölkerung unter 25 Jahren: 66 %<br />
— Fruchtbarkeitsrate: 5,5 Kinder/Frau<br />
— Alphabetisierungsrate: 27 % (Frauen: 16 %)<br />
— BIP (Current USD): 9,337 Milliarden<br />
sen: «Ich glaube an einen gnädigen Gott.»<br />
Manchmal plagen ihn dennoch Albträume.<br />
Michaels Frau hat auf dem Feuer<br />
Fisch aus dem nahen Nil gekocht, dazu<br />
Maniokbrei. Er muss sich beeilen mit dem<br />
Abendessen, damit er rechtzeitig zur libanesischen<br />
Firma kommt, deren Generator<br />
er überwacht, bis drei Uhr nachts. Etwa<br />
120 Franken verdient er umgerechnet im<br />
Monat, die Hälfte davon geht für die Miete<br />
weg. Michael isst nur eine Mahlzeit am<br />
Tag. Das sieht man ihm an. Wenn er aber<br />
im Mai <strong>sein</strong>en Schulabschluss macht, hat<br />
er gute Chancen, dass er sich wenigstens<br />
um <strong>sein</strong> Essen keine Sorgen mehr machen<br />
muss. Die Regierung und die hunderten<br />
von Hilfsorganisationen im Land suchen<br />
dringend technische Fachkräfte.<br />
Weniger als zwei Prozent der Südsudanesen<br />
haben die Primarschule abgeschlossen.<br />
Die Bildungsrate des Landes, in<br />
dem zwei Drittel der Einwohner unter 25<br />
Jahre alt sind, ist die tiefste der Welt. Das<br />
muss sich nun ändern, da sind sich alle<br />
einig, die Regierung, die internationalen<br />
Organisationen, die Kirchen, die Medien.<br />
Bloss, was wird unternommen?<br />
Schulhäuser ohne Lehrer<br />
Melaniaia Itto, Programmleiterin bei Radio<br />
Bakhita, einem von acht Sendern des<br />
Landes, sagt: «Ich vermute, dass während<br />
des Kriegs mehr Kinder zur Schule gingen<br />
als heute.» Südsudanesen seien in den<br />
Flüchtlingscamps unterrichtet worden<br />
oder hätten in Khartoum, Uganda oder<br />
Kenia studiert. Jetzt kämen alle zurück,<br />
die Bevölkerung wachse exponentiell, aber<br />
die Regierung habe keinen Plan. «Politiker<br />
haben in ihren Heimatdörfern Schulhäuser<br />
hingestellt, aber niemand geht hin.<br />
Weshalb? Weil es weder Lehrer noch Unterrichtsmaterial<br />
gibt.»<br />
Die Journalistin kritisiert die Regierung<br />
offen und riskiert damit, dass sie verhaftet<br />
wird. In ihrer Morgensendung war<br />
der ehemalige Bildungsminister zu Gast.<br />
Hörer riefen an und tadelten ihn, das Geld<br />
versickere, er sei korrupt. Seither hat er alle<br />
Einladungen der Radiostation abgelehnt.<br />
Wie sieht die Journalistin die Zukunft des<br />
neuen Staates? «Zu vierzig Prozent positiv.»<br />
Sie hofft auf eine Bildungsstrategie<br />
der neuen Regierung, aber sie glaubt nicht<br />
so richtig daran.<br />
«<strong>Der</strong> Tag wird kommen»<br />
Es ist acht Jahre her, seit der <strong>Frieden</strong>svertrag<br />
unterschrieben wurde, und zwei<br />
Jahre, seit das Volk für die Unabhängigkeit<br />
gestimmt hat. <strong>Der</strong> Südsudan ist ein Baby,<br />
das nun sprechen lernen muss und von dem<br />
man nicht erwarten kann, dass es schon fähig<br />
ist zu lesen. Noch gibt es keinen geregelten<br />
Staatsapparat und keine funktionierende<br />
Justiz. <strong>Der</strong> Prozess der Trennung<br />
vom Norden ist unfertig, die Grenze umstritten.<br />
<strong>Der</strong> Südsudan ist mausarm und<br />
steinreich zugleich, es gibt Grundwasser,<br />
Edelmetalle und enorme Erdölvorkommen.<br />
Alles andere fehlt, zum Beispiel die<br />
Raffinerien, die stehen im Norden, oder<br />
internationale Investoren, denen ist die politische<br />
Lage zu instabil.<br />
Gegen Abend leuchtet der Staub in<br />
Juba golden, dann bricht jäh die Nacht herein.<br />
Nur wenige Häuser haben elektrisches<br />
Licht, die meisten liegen im Dunkeln.<br />
«Möge die Nacht auch lange dauern,<br />
der Tag wird kommen», sagte Präsident<br />
Salva Kiir bei der Unabhängigkeitsfeier.<br />
Josephine Angelo erwacht, wenn es<br />
dämmert. Die Schülerin besucht gemeinsam<br />
mit dem ehemaligen Kindersoldaten<br />
Michael Kom Kom die technische Berufsschule.<br />
Sie zieht einen blauen Overall an,<br />
verlässt ohne Frühstück ihr Wellblechhaus,<br />
fährt mit dem Bus zur Schule und<br />
setzt sich auf eine Treppe neben Winnie<br />
Bojo. Die Mädchen schauen sich an, wie<br />
sich nur beste Freundinnen anschauen.<br />
Dann lachen sie.<br />
Beide lernen Maurer, sind 18 Jahre<br />
alt, möchten später an der Universität Ingenieurwesen<br />
studieren und mögen metallblauen<br />
Nagellack. Heute haben sie<br />
72 — Bulletin N° 4 / 2013<br />
Foto: Martin Adler / Panos; Karte: Crafft