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Der Frieden will gelernt sein

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— Schule —<br />

Die Berufsschule bildet Mechaniker, Elektriker, Maurer oder Zimmerleute aus.<br />

nem einjährigen Sohn an. Die kleine Familie<br />

hat ein Zimmer in einer Wellblechhütte<br />

gemietet, ohne Wasser, ohne Strom.<br />

In einer Ecke ein hüfthoher Bücherturm:<br />

der Oxford Dictionary, die Bibel, ein esoterischer<br />

Ratgeber und ein dünnes Fotoalbum.<br />

Darin klebt ein Bild von Michaels<br />

Zeit im Krieg. Er sitzt auf einem Feldbett<br />

in einer Grashütte, hinter ihm hängt die<br />

grüne Uniform der Rebellenarmee SPLA,<br />

die ihm <strong>sein</strong>e Kindheit geraubt hat.<br />

Kinder mit Kalaschnikow<br />

Michael Kom Kom wurde vor 23 Jahren<br />

geboren, hundert Kilometer von der Stadt<br />

Warrap entfernt, an einem abgeschiedenen<br />

Ort im Norden des Landes, wo es bis heute<br />

keine Autos, keine Schule und kein Spital<br />

gibt. Er war ein ängstliches Kind, versteckte<br />

sich während der rituellen Kuhschlachtungen<br />

und fürchtete sich nachts vor den<br />

Schreien der Hyänen. Als die Soldaten der<br />

Sudanesischen Volksbefreiungsarmee in<br />

<strong>sein</strong> Dorf kamen, war er zehn oder zwölf<br />

Jahre alt, genau weiss er das nicht. Sie wollten<br />

die Männer mitnehmen, aber weil die<br />

sich versteckten, gab der Häuptling den<br />

Soldaten eine Schar Kinder mit.<br />

Michael kam ins Trainingscamp,<br />

musste immer wieder einen Hügel hochrennen.<br />

Er reibt sich die Oberschenkel:<br />

«Meine Beine schmerzten so sehr, dass ich<br />

weinen musste.» Ein Ausbilder schlug ihn<br />

mit einem Stock in die Kniekehle, ein anderer<br />

kam hinzu und schickte ihn zum<br />

Wäschewaschen. Trotzdem bekam Michael<br />

ein Sturmgewehr, eine Kalaschnikow<br />

AK-47, die so schwer war, dass er sie<br />

kaum halten konnte. Dann musste er gegen<br />

die «Araber» in den Krieg ziehen. So<br />

nennen die Südsudanesen ihre nördlichen,<br />

muslimischen Nachbarn, die damals von<br />

der Stadt Khartoum aus den ganzen Sudan<br />

kontrollierten.<br />

Michael kämpfte in Raga, Warrap,<br />

Rumbek und Equatoria, also in beinahe jeder<br />

Gegend des Südsudans, ein Land, das<br />

so gross ist wie Frankreich und das er jahrelang<br />

zu Fuss durchquerte, tagelang ohne<br />

Essen. «Ich vermisste meine Mutter», sagt<br />

er. Man kann sich Michael als Soldat kaum<br />

vorstellen. Er ist ein stiller Mann mit wenig<br />

Körperspannung. Seine Statur ist hager,<br />

er redet mit hoher Stimme und hat<br />

einen Händedruck wie der Flügelschlag<br />

eines Schmetterlings. In der Armee nannten<br />

ihn manche «Hure». Er hasste diesen<br />

und die anderen vierzig Übernamen, die er<br />

in <strong>sein</strong>em Tagebuch aufgelistet hat.<br />

Er wurde Funker, das war Fluch und<br />

Segen zugleich. Zum einen war er mit <strong>sein</strong>er<br />

hohen Antenne exponiert und ein strategisches<br />

Ziel des Gegners, zum anderen<br />

mussten ihn <strong>sein</strong>e Kollegen verteidigen.<br />

Auch <strong>sein</strong> bester Freund Lual Garang, den<br />

er sterben sah. «Das war … das war so<br />

traurig.» Er stockt, schaut Hilfe suchend<br />

zu <strong>sein</strong>er Frau. «Lual hat immer Essen für<br />

mich aufgehoben. Ich aber hatte nicht einmal<br />

Zeit, ihn zu begraben.» Geier stritten<br />

sich um den kleinen Körper.<br />

Michael nimmt <strong>sein</strong> Söhnchen auf<br />

den Schoss, schmust mit ihm. Er ist heute<br />

ein liebevoller Vater und Ehemann, <strong>sein</strong><br />

Lachen steckt an. Er habe mit sich und <strong>sein</strong>en<br />

einstigen Feinden <strong>Frieden</strong> geschlos-<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 72.<br />

Bulletin N° 4 / 2013 — 67

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