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Haupttext - Autonomie-Training

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Einleitung<br />

„Überlastete Lehrer – Genervte Schüler“ 1 , nach dem Pädagogen Gerd Lohmann<br />

ein nicht seltenes Bild an den Schulen: Respektloses Verhalten, aggressiver Umgangston<br />

und Null-Bock-Mentalität beeinträchtigen den täglichen Unterricht oder<br />

machen diesen gar unmöglich. Auch Ralf Connemann spricht in einem Textbeitrag<br />

für Beratungslehrer, die „Funktionierende Klassengemeinschaft“, von einer<br />

schwierigen realen Ausgangslage innerhalb der Klassen: „Cliquenbildung, Aufkündigung<br />

der Zusammenarbeit […] Dauerkonflikte und kleinliches Gezänke.“ 2<br />

Die Verbesserungsvorschläge und Lösungsversuche für diese Art der Unterrichtsstörungen<br />

sind vielfältig, sie umfassen ein breites Spektrum an Maßnahmen zur<br />

Prävention und/oder Intervention. Beispiele für <strong>Training</strong>sprogramme und Projekte,<br />

die sich auf zentrale Kriterien einzelner oder mehrerer sozialen Kompetenz oder<br />

Persönlichkeitsmerkmale beziehen, finden sich bei Petillon. 3 Weitere Interventionsstudien,<br />

speziell auch zur positiven Beeinflussung von sozialer Emotion, liegen<br />

bei Gläser-Zikuda vor. 4 In der pädagogischen Interventionsforschung richtet sich<br />

dabei das Augenmerk auf die Evaluation von <strong>Training</strong>s, d.h. ob sich die Wirkung<br />

im Sinne der erwünschten Verhaltensänderung kurzfristig oder langfristig nachweisen<br />

lässt. Dies geschieht beispielsweise durch eine Studie, welche diejenigen<br />

Kriteriumsvariablen, deren Veränderung in dem Programm erzielt werden sollen,<br />

in einem Prä-Post-Design, vor und direkt nach dem <strong>Training</strong> misst. Sind langfristige<br />

Veränderungen angestrebt wird das Design um eine spätere, eine Follow-Up<br />

Messung ergänzt. 5 Aufgrund der Tatsache, dass Interventionsmaßnahmen in der<br />

praktischen Umsetzung von vielen Störvariablen abhängig sind, kann man nach<br />

Dane und Schneider 6 fünf Kriterien für die Qualität der <strong>Training</strong>s-Implementierung<br />

bestimmen: Das Ausmaß der tatsächlichen Umsetzung im Vergleich zur Planung,<br />

die Häufigkeit und Dauer der Durchführung, die Qualität des Inhalts, die Akzeptanz<br />

und Reaktion der Teilnehmer sowie die Wirkungsüberprüfung in einer Kontrollgruppe.<br />

Ferner differenziert die Pädagogik zwischen direkte und indirekte Inter-<br />

1 Lohmann, Gert: Mit Schülern klar kommen, S. 11.<br />

2 Connemann, Ralf: Funktionierende Klassengemeinschaft, S. 81.<br />

3 Vgl. Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 174.<br />

4 Vgl. Gläser-Zikuda: Emotionen, S. 121f.<br />

5 Vgl. Hagenauer, Gerda: Kurzzeitintervention versus Langzeitintervention, S. 243ff.<br />

6 Vgl. Gläser-Zikuda: Emotionen, S. 124.<br />

1


vention. Einerseits soll gezielt durch direktes <strong>Training</strong> mit einzelnen Schülern 7 oder<br />

Schülergruppen deren Verhalten verändert, andererseits über das <strong>Training</strong> von<br />

Bezugspersonen, wie Lehrer oder Eltern, indirekt auf die Verhaltensstrategien von<br />

Schülern im Sinne einer Vorbildfunktion eingewirkt werden. Auch die Gestaltung<br />

der Lernumgebung kann indirekten Einfluss auf Schülerverhalten ausüben. 8<br />

Ein neuer und vielversprechender Ansatz zur Thematik Persönlichkeitsentwicklung<br />

und Soziales Lernen ist das <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> (AT) des Psychiaters und Systemischen<br />

Familientherapeuten Dr. med. Ero Langlotz, welches in dieser Arbeit vorgestellt<br />

und diskutiert werden soll. Das <strong>Training</strong> ist insbesondere interessant, da<br />

es sich um eine sehr kurze Intervention, geplant ist ein Projekttag, handelt und<br />

damit einerseits Persönlichkeitsmerkmale – <strong>Autonomie</strong>, Selbstbewusstsein –<br />

gestärkt werden, und andererseits Probleme des Sozialen Lernens in der Schule<br />

– Unterrichtsstörungen, Konflikte mit Mitschülern oder Lehrern – verbessert werden<br />

sollen.<br />

Im ersten Kapitel soll der Bereich des Sozialen Lernens theoretisch grundgelegt<br />

werden. Er ist der schulische Lernbereich, in dem sich Konflikte im Klassensystem<br />

und zwischen Lehrkräften und Klasse hinterfragen und erklären lassen. Eng mit<br />

dem Sozialen Lernen, ist in Theorie und Praxis auch das emotionale Lernen und<br />

damit die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler verbunden. Auch die Theorie der<br />

Persönlichkeitsentwicklung soll in einigen entwicklungspsychologischen Aspekten<br />

dargelegt werden.<br />

Da diese beiden Themenbereiche in pädagogischer und psychologischer Literatur<br />

umfangreich und weitläufig behandelt werden, fokussiere ich mich in meinen Ausführungen<br />

auf einige ausgewählte Aspekte, die mir insbesondere für die Betrachtung<br />

des <strong>Autonomie</strong>trainings als wesentlich erscheinen.<br />

In Kapitel 2 bis 5 stelle ich das zentrale Thema dieser Arbeit vor, das <strong>Autonomie</strong>-<br />

<strong>Training</strong> für die Schule von Dr. Ero Langlotz. Ich gebe kurz einige theoretischen<br />

Hintergrundaspekte des AT wieder, erläutere das theoretische Konzept und beschreibe<br />

die praktische Durchführung des Pilotprojektes in einer 6. Klasse der<br />

Münchner Helen-Keller-Realschule am 26.7.2011 auch anhand von fünf konkreten<br />

Fallbeispielen. Abschließend werde ich im 6. Kapitel die Wirkung des <strong>Autonomie</strong>-<br />

<strong>Training</strong>s anhand meiner Beobachtungen und den Schüler- und Trainer-<br />

7 Zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit verwende ich in der gesamten Arbeit männliche Bezeichnungen<br />

(Schüler, Trainer, Lehrer etc.).<br />

8 Vgl. Schmidt, Michaela u.a.: Direkte und indirekte Intervention, S. 235ff.<br />

2


Feedbacks erörtern und im Hinblick auf die theoretischen Grundlagen des Sozialen<br />

Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung diskutieren. Ich möchte schon an<br />

dieser Stelle darauf hinweisen, dass eine wissenschaftliche Evaluation des <strong>Training</strong>s<br />

nicht möglich ist, da es sich um ein Pilotprojekt ohne Kontrollgruppe handelt,<br />

sich die Prä-Post-Befragung mit Hilfe des Fragebogens als problematisch erweisen<br />

wird und zudem die zeitlichen Rahmenbedingungen am Schuljahresende eher<br />

ungünstig liegen.<br />

1 Soziales Lernen und Persönlichkeitsentwicklung<br />

1.1 Theorie des Sozialen Lernens<br />

Der Begriff des Sozialen Lernens ist ein eher unscharfes Konstrukt, 9 welches in<br />

seiner Bedeutung in den letzten 40 Jahren mehrfach modifiziert wurde. Leitet man<br />

die Bedeutung aus dem lateinischen Begriff „socialis“ = gesellig, gesellschaftlich,<br />

bzw. dem Wortstamm „sozio“ = gemeinsam, ab, so kann man Soziales Lernen als<br />

Lernen in Bezug auf die Gesellschaft, bzw. eine soziale Gruppe, bezeichnen. 10<br />

Petillon geht in seiner Veröffentlichung – Soziales Lernen in der Grundschule<br />

– von der Annahme aus, dass „Soziales Lernen zunächst Prozesse der individuellen<br />

Auseinandersetzung und Bewältigung von sozialen Ereignissen meint“ 11 und<br />

damit die gesamte Komplexität der Beziehung zwischen einem Individuum und<br />

seiner Umwelt anspricht. 12<br />

Wie umfassend und veränderlich sich der Begriff Soziales Lernen im Laufe der<br />

Jahre gestaltete und sich jeweils an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

anpasste, zeigt ein kurzer, sicherlich nicht vollständiger zeitlicher Rückblick: 13<br />

Ein erstes umfassendes Konzept zum Sozialen Lernen stammt von dem Soziologen<br />

Roth aus dem Jahr 1971, der es als notwendig erachtete, Kinder in der Entwicklung<br />

ihrer sozialen Handlungsstrukturen und Kompetenzen durch intentionale<br />

Erziehung in der Schule zu unterstützen. Roth schlug vor, „durch eine bewusste<br />

sozialerzieherische Planung eines Curriculums für Soziales Lernen, basierend auf<br />

9 Vgl. Petillon, Hannes: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 13ff.<br />

10 Das Fremdwörterbuch, S. 974.<br />

11 Petillon, Hannes: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 17.<br />

12 Petillon, Hannes: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 16ff.<br />

13 Vgl. Kiper, Hanna: Selbstreguliertes Lernen-Kooperation-Soziale Kompetenz, S. 146f.<br />

3


sozialwissenschaftlichen Einsichten in die gruppendynamischen Prozesse, Kinder<br />

– durch Rollenspiele – Modelle anzubieten und soziale Erfahrungen zu ermöglichen.“<br />

14 Neben der Erziehung in Familiennormen in der Familie zu Hause, sollte in<br />

der Schule im Sozialunterricht die Erziehung in sozialen Altersgruppennormen<br />

stattfinden.<br />

Mitte der 70-er Jahre spezifizierte Harm Prior den Begriff des Sozialen Lernens in<br />

vier Teilaspekte:<br />

Soziale Elementarerziehung<br />

Gruppendynamisch-interaktive Funktion<br />

Kompensatorische Funktion<br />

Politische Funktion<br />

Wobei in den darauf folgenden Jahren der Schwerpunkt auf die politischemanzipatorische<br />

Perspektive und gruppendynamische Prozesse gelegt wurde.<br />

In den 80-er Jahren nahm das Interesse am Sozialen Lernen wieder etwas ab, kritische<br />

Lebensereignisse und die biographische Blickrichtung wurden unter dem<br />

Begriff subsummiert.<br />

Als in den 90-er Jahren Aggression und Mobbing an den Schulen verstärkt thematisiert<br />

wurde, richtete sich die Aufmerksamkeit auf Kommunikations- und Interaktionsstrategien,<br />

sowie Konfliktlösungsprozesse und Streitschlichterprojekte.<br />

Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat sich der Schwerpunkt von den<br />

interventionalen hin zu präventionalen Strategien verschoben. Durch Erziehung zu<br />

sozialen Kompetenzen und moralischen Werten sollen Probleme und Konflikte<br />

schon im Vorfeld vermieden werden.<br />

Betrachtet man nun die gegenwärtigen sozialen Probleme an einer Vielzahl der<br />

Schulen, auch schulartübergreifend, so erscheint es notwendig die Bemühungen<br />

in der Schule zu intensivieren und dem sozialen Lernen einen festen Platz im Unterricht<br />

einzuräumen. Die Feststellung Petillons, „dass es „nichtsoziales“ Lernen<br />

im eigentlichen Sinne nicht gibt“, 15 was soviel heißt wie, Soziales Lernen findet automatisch<br />

und subtil in jedem Lernprozess statt, ist zwar richtig, die heute oft ge-<br />

14 Kiper, Hanna: Selbstreguliertes Lernen-Kooperation-Soziale Kompetenz, S. 143.<br />

15 Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 15.<br />

4


nannten Unterrichtsprobleme sind damit jedoch sicherlich nicht in den Griff zu bekommen.<br />

16<br />

Wenn Soziales Lernen im Lehrplan der Grundschule,<br />

„Die Grundschule hat den Auftrag, alle Schüler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.<br />

Es geht dabei vor allem darum, Wissenserwerb zu ermöglichen, Verstehen anzubahnen, Interesse<br />

zu entwickeln, soziale Verhaltensweisen sowie musische und praktische Fähigkeiten zu fördern und<br />

Werthaltungen aufzubauen. 17<br />

„Im Sinne einer politischen Grundbildung werden in der Grundschule soziale Lernprozesse initiiert<br />

und unverzichtbare Werte menschlichen Zusammenlebens erfahrbar gemacht. Durch Förderung<br />

sozialer Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Verantwortungsbereitschaft, Solidarität, Toleranz,<br />

Urteilsfähigkeit und die Bereitschaft, Konflikte friedlich zu lösen oder auszuhalten, werden die<br />

Schüler auf ein Leben als Staatsbürger in einer demokratischen Gesellschaft vorbereitet. […] Im<br />

täglichen Miteinander bekommen die Schüler Gelegenheit, sich selbst zu entfalten und neue Möglichkeiten<br />

des Umgangs zu erproben. Sie sollen einsehen, dass die eigene Freiheit und Selbstverwirklichung<br />

dort Grenzen hat, wo Rechte anderer berührt werden, […]. 18<br />

ja sogar in der Verfassung des Freistaates Bayern,<br />

„Oberstes Bildungsziel sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der<br />

Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit,<br />

Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein<br />

für Natur und Umwelt.“ 19<br />

als Bildungsziel ausdrücklich hervor gehoben und erwünscht wird, so darf sich die<br />

Diskussion nicht nur auf implizites Lernen beschränken. Es besteht die Notwendigkeit<br />

soziale Lernprozesse verstärkt zum Gegenstand des Unterrichts und zum<br />

erzieherischen Schwerpunkt zu machen 20 und dies nicht nur in der Grundschule,<br />

sondern auch gerade in der Sekundarstufe.<br />

Eine zentrale Begründung dafür, Sozialem Lernen in der Schule mehr Zeit und<br />

Engagement einzuräumen, findet sich in den veränderten familiären und gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen:<br />

Exkurs: Veränderte Kindheit<br />

Der wichtige Teil der kindlichen Primärsozialisation findet in der Familie durch Eltern<br />

und Geschwister statt. Nach Schuleintritt gewinnt die Institution Schule in der<br />

sogenannten Sekundärsozialisation mit Klasse, Lehrer und Peergroups zunehmend<br />

an Bedeutung. Sozialisation meint dabei nach Gudjons: „[…] einen Prozeß,<br />

16 Vgl. Kiper, Hanna u.a.: Selbstreguliertes Lernen - Kooperation – soziale Kompetenz, S. 146 u. S. 171.<br />

17 Lehrplan GS: Grundlagen und Leitlinien. Bildung und Erziehung als Auftrag der Grundschule, S. 7.<br />

18 Lehrplan GS: Fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgaben. Soziales Lernen und grundlegende<br />

politische Bildung, S. 17.<br />

19 Verfassung des Freistaates Bayern, Artikel 131 (2), zitiert nach Lehrplan der GS, S. 7.<br />

20 Vgl. Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 175.<br />

5


durch den in wechselseitiger Interdependenz zwischen der biopsychischen<br />

Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ<br />

dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen auf<br />

persönlicher ebenso wie auf kollektiver Ebene entstehen.“ 21 Was ist jedoch, wenn<br />

die Familie aufgrund veränderter gesellschaftlicher und privater Bedingungen die<br />

sozialen Erfahrungsräume für die Primärsozialisation der Kinder teilweise nicht<br />

mehr gewährleisten kann?<br />

In der Tat hat sich die Familienstruktur bis zum Jahr 2010 nicht unerheblich verändert:<br />

22 20% der 12-18-jährigen Kinder (1998: 14%) werden von einem Elternteil<br />

alleine erzogen<br />

25% aller 12-18-jährigen Kinder sind Einzelkinder und haben keine<br />

Geschwister<br />

Ca. 2/3 der alleinerziehenden Mütter sind erwerbstätig<br />

2010 wurden ca. 187000 Ehen geschieden, davon waren 91455 minderjährige<br />

Kinder betroffen<br />

Die Ehe als Familienform hat sich auf 72% reduziert (1998: 92%)<br />

Anhand dieser kleinen Auswahl an Zahlen lässt sich nachvollziehen, dass die Familie<br />

in vielen Fällen allein aus Zeitgründen die Rahmenbedingungen für Soziales<br />

Lernen, durch Interaktion und sozialen Ereignissen, oftmals nicht erbringen kann.<br />

Auch das Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen (12-18 Jahre) hat sich<br />

laut JIM-Studie 2011 (Jugend, Information, (Multi-)Media) verändert: Das Rezipieren<br />

und Konsumieren von Medien nimmt zunehmend mehr Freizeit in Anspruch,<br />

verbunden mit einem Verlust an Eigenaktivität. Die Kommunikation findet immer<br />

mehr digital in sozialen Netzwerken statt:<br />

Jugendliche verbringen an Werktagen durchschnittlich 135 Minuten im<br />

Internet und 113 Minuten vor dem Fernseher<br />

44% der Zeit im Internet werden für Kommunikation in Communities,<br />

bzw. Sozialen Netzwerken, z.B. Facebook, verwendet<br />

Hinzu kommen noch, hier nicht näher genannte Effekte, wie die Fernsehkindheit,<br />

die Verinselung oder die Freizeitverplanung durch die Eltern. „Es fehlen offene<br />

Spiel- und Erfahrungsräume außerhalb der häuslichen Umgebung, die kontinuier-<br />

21 Gudjons Herbert: Pädagogisches Grundwissen, S. 150.<br />

22 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familienreport 2011.<br />

6


liche und weitgehend selbstständige soziale Erfahrungen ermöglichen.“ 23 Petillon<br />

verweist in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit „sozialer Beziehungen zwischen<br />

gleichberechtigten Partner“ 24 (Gleichaltrigen), die den Prozess des „kokonstruierens“<br />

25 zulassen, da sie im Vergleich zu Erfahrungen mit Erwachsenen<br />

weniger vorkonstruiert sind.<br />

Die Folge davon ist in vielen Fällen fast zwangsläufig, dass der Schule mit dem<br />

oder den Lehrern als Bezugsperson und der Klassengemeinschaft mit ihrer Gruppendynamik<br />

die Aufgabe des Schaffens sozialer Erfahrungen zufällt. Die Begründung<br />

für das Soziale Lernen ließe sich auch anthropologisch oder entwicklungspsychologisch<br />

darlegen, letzteres soll auch anschließend im Theorieteil Persönlichkeitsentwicklung<br />

erläutert werden. Ich möchte hier nur noch ein Zitat aus dem<br />

Jahr 1994 anführen, welches die Konsequenzen der Veränderten Kindheit in Bezug<br />

auf die Persönlichkeitsentwicklung schon vor 18 Jahren veranschaulichte: „...<br />

damit wird die Ausbildung und Aufrechterhaltung von Identität zu einer lebenslangen<br />

Aufgabe, die nicht nur in der Adoleszenzkrise, sondern in der Midlife- und Verrentungskrise<br />

sowie in vielfältigen Sinn- und Beziehungskrisen ihren Ausdruck findet.“<br />

26<br />

Zielkatalog sozialer Kompetenzen von Petillon<br />

Was aber heißt jetzt in diesem Zusammenhang, in der heutigen Zeit, Soziales<br />

Lernen?<br />

Was verbirgt sich konkret hinter dem Konstrukt Soziales Lernen?<br />

Ich möchte mich dieser Frage anhand des Zielkataloges sozialer Kompetenzen<br />

von Petillon 27 nähern. Ausgangspunkt für die 11 Ziele waren eine umfangreiche<br />

Sammlung von schulischen Sozialereignissen und die damit verbundenen Prozesse<br />

der Bewältigung. Hieraus leitete Petillon Kompetenzen und entsprechende<br />

Handlungsorientierungen ab, die der Bewältigung jener Sozialereignisse dienlich<br />

oder dafür notwendig waren:<br />

23 Clausen u.a. (1989), zitiert nach Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 6.<br />

24 Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 169.<br />

25 Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 169.<br />

26 Nunner-Winkler (1994), zitiert nach Grundmann: Kindheit, Identitätsentwicklung und Generativität, S. 95f.<br />

27 Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 100 ff.<br />

7


Kommunikation:<br />

Fähigkeit und Bereitschaft, sich verständlich zu machen<br />

und andere zu verstehen<br />

Kontakt: Fähigkeit und Bereitschaft, mit anderen Kontakt aufzunehmen<br />

Kooperation: Fähigkeit und Bereitschaft, mit anderen zusammenzuarbeiten<br />

Solidarität: Fähigkeit und Bereitschaft zu gemeinsamen Handlungen<br />

in kleineren und größeren Gruppen; Bewusstsein<br />

der Zusammengehörigkeit und der Erkenntnis der gemeinsamen<br />

Lage<br />

Konflikt: Fähigkeit und Bereitschaft, konstruktives Konfliktverhalten<br />

zu praktizieren<br />

Ich-Identität: Fähigkeit und Bereitschaft, Fremderwartungen und<br />

eigene Bedürfnisse zu verarbeiten, dass ein eigenes<br />

selbstbestimmtes Rollenverhalten entwickelt und praktiziert<br />

werden kann<br />

Soziale Sensibilität: Fähigkeit und Bereitschaft sich in die Rolle eines anderen<br />

zu versetzen, sich in seine Lage einzufühlen und<br />

das Ergebnis dieser Bemühungen in das eigene Verhalten<br />

einzubeziehen<br />

Toleranz: Fähigkeit und Bereitschaft, die Andersartigkeit, Eigentümlichkeit,<br />

Hilfsbereitschaft usw. anderer zu erkennen<br />

und zu respektieren, Vorurteile zu hinterfragen<br />

Kritik: Fähigkeit und Bereitschaft, Informationen, Normen,<br />

Handlungen, feststehende Urteile kritisch zu hinterfragen<br />

und gegebenenfalls Alternativen zu entwickeln<br />

Umgang mit Regeln: Fähigkeit und Bereitschaft, wichtige Regeln des Zusammenlebens<br />

zu erarbeiten, zu beachten und gegebenenfalls<br />

zu revidieren<br />

Gruppenkenntnisse: Fähigkeit und Bereitschaft, Kenntnisse über wesentliche<br />

Aspekte der sozialen Gruppe Schulklasse zu erarbeiten<br />

8


Bei den 11 Zielformaten handelt es sich um soziale Kompetenzen, die jeweils mit<br />

Fähigkeit benannt werden, erweitert um die entsprechende Handlungsorientierung,<br />

der Bereitschaft die soziale Fähigkeit auch aktiv einzusetzen. Soziales Lernen<br />

impliziert damit nicht nur die vorhandene Fähigkeit, sondern auch deren Umsetzung<br />

im Handeln, d.h. in der Praxis. Es nützt nichts, wenn mir zwar bewusst ist,<br />

dass ich in einer Situation meinen Gegenüber wegen seines Verhaltens kritisieren<br />

müsste, mich aber nicht traue, dies tatsächlich zu tun. Petillon meint mit den Begriffen<br />

Fähigkeit und Bereitschaft jedoch noch mehr: die normative Gegenseitigkeit<br />

28 als Grundlage des Sozialen Verhaltens. Nicht nur ich darf Kritik äußern,<br />

sondern ich muss auch Kritik annehmen können. Nicht nur ich darf Regeln einfordern,<br />

ich muss mich auch selber daran halten. Der Aspekt der Gegenseitigkeit ist<br />

für das Lernen in sozialen Gruppen zentral, ohne dessen Berücksichtigung wäre<br />

beispielsweise weder kooperatives Arbeiten noch konstruktive Konfliktlösung, mit<br />

dem Ziel einer beiderseitigen Win-Win-Lösung, schwer denkbar. Auch hier ergibt<br />

sich ein direkter Zusammenhang zum AT von Dr. Langlotz: Die gesunde Distanz<br />

erreicht man nur durch Gegenseitigkeit, ich schütze meine Grenze und respektierte<br />

im Gegenzug jedoch auch die Grenze meines Gegenübers.<br />

Wichtig ist dabei, dass jede Zieldimension für sich genommen kaum Wirkung aufweist,<br />

d.h. die Kompetenzen hängen meist dyadisch voneinander ab und bedingen<br />

sich gegenseitig. Z.B. ist Kooperation ohne Kommunikation als Vor-aussetzung<br />

schwer denkbar.<br />

Auf einige Dimensionen möchte ich im Folgenden noch gezielt und ausführlicher<br />

eingehen, da diese meiner Meinung nach in Bezug auf das <strong>Autonomie</strong>training von<br />

besonderer Bedeutung sind:<br />

Konstruktives Konfliktverhalten<br />

Das konstruktive Konfliktverhalten erscheint mir als eines der wesentlichen Ziele<br />

des Sozialen Lernens. Es beinhaltet, bzw. setzt eine Reihe weiterer sozialer Kompetenzen<br />

voraus: Kommunikation und Kontakt, Kritik, Toleranz aber auch Ich-<br />

Identität. Konflikt lässt sich dabei als eine „Situation, in der miteinander unverein-<br />

28 Vgl. Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 82-97.<br />

9


are Handlungstendenzen vorliegen“, 29 definieren. Eine große Anzahl der schulischen<br />

Unterrichtsstörungen basieren auf Konflikten, sowohl auf der Interaktionsebene<br />

Schüler-Schüler als auch Schüler-Lehrer. Nicht selten wird vom Lehrer erwartet<br />

Konflikte zwischen Schülern beispielsweise auf dem Pausenhof zu schlichten.<br />

Aber Konfliktlösung muss aktiv gelernt, ja ausprobiert werden. Somit sind<br />

schulische Konflikte notwendig und wichtig als Erprobungsfeld für konstruktive Lösungsstrategien.<br />

Es hat sich gezeigt, dass insbesondere in Freundschaftsverhältnissen<br />

die Voraussetzungen günstig sind Konflikte konstruktiv zu lösen. Ermöglicht<br />

wird dies durch eine gemeinsame Basis gegenseitiger Wertschätzung und<br />

wechselseitigen Vertrauens. 30 Das AT bietet den Schülern die Möglichkeit das Lösen<br />

von Konflikten in einem Rollenspiel zu erproben und dabei die positive Wirkung<br />

gegenseitiger Wertschätzung zu erfahren.<br />

Kritikfähigkeit<br />

Ferner ist die Kompetenz und Bereitschaft mit Kritik umgehen zu können von großer<br />

Relevanz. Je besser ein Schüler selbst berechtigte Kritik anderer annehmen<br />

kann, umso besser wird er diese auch für eigene Handlungsalternativen in Betracht<br />

ziehen können. Wer Kritik annimmt und auch bereit ist seine eigene Meinung<br />

oder sein Urteil zu überdenken, dessen Meinung wird im Gegenzug auch<br />

von anderen eher akzeptiert. Eine trotzige oder unsachliche Antwort führt dagegen<br />

eher zum Konflikt und untergräbt jegliche kooperative Arbeitstechniken. Kritikfähigkeit<br />

und Kritikbereitschaft sind Voraussetzungen für gegenseitiges Vertrauen,<br />

Vertrauenswürdigkeit wiederum korreliert wiederum mit dem Status der Beliebtheit<br />

innerhalb einer Gruppe. 31 Für mich besteht dabei auch ein wesentlicher Zusammenhang<br />

mit dem Selbstwertgefühl und der Selbstwirksamkeit, da Kritik mit Argumenten<br />

plausibel belegt und auch in einer Diskussion mit Wirksamkeit und<br />

Standhaftigkeit vertreten werden sollte. Dies wird besser gelingen, wenn ich der<br />

Kritik äußernden Person Wertschätzung und Achtung entgegen bringe.<br />

29 Kiper, Hann u.a.: Selbstreguliertes Lernen – Kooperation – Soziale Kompetenz, S. 179.<br />

30 Vgl. Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 171.<br />

31 Vgl. Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre soziale Beziehungen, S. 171.<br />

10


Gruppenkenntnis<br />

Für das Soziale Lernen kommt der Gruppenkenntnis eine besondere Bedeutung<br />

zu. Dieser Begriff beinhaltet nach Petillon den Erwerb von Kenntnissen über die<br />

unterschiedlichen sozialen Rollen innerhalb der Klassenstruktur und die Interaktionsprozesse,<br />

zwischen verschiedenen Schülern, bzw. Schülergruppierungen innerhalb<br />

der Klasse. 32 Hinzufügen möchte ich noch einige Aspekte der Schüler-<br />

Lehrer-Interaktion nach dem Sozialpsychologen Klaus Ulich, 33 da auch die Lehrer<br />

Einfluss auf die Gruppendynamik innerhalb der Klassengemeinschaft ausüben.<br />

Ferner sind Probleme in der Interaktion zwischen Schülern, aber auch Lehrern<br />

und Schülern zwei von drei zentralen Themenbereichen, die mit dem AT nach<br />

Dr. Langlotz bearbeitet werden können.<br />

Wie wichtig die Betrachtung der sozialen Beziehung innerhalb des Systems Klasse<br />

ist, unterstützt die empirisch belegte Feststellung, dass sich einmal eingenommene<br />

Rollen im Laufe der Schulzeit immer mehr verfestigen und schwer änderbar<br />

sind. 34 Ulich bezeichnet die Klasse als eine Zwangsgruppierung, deren Zusammensetzung<br />

institutionell vorgegeben ist. Sie hat eine Außenwirkung gegenüber<br />

anderen Klassen, Eltern oder der Schulleitung und eine Innenwirkung, d.h. Beziehungsstrukturen<br />

zwischen einzelnen Schülern oder Schülergruppierungen. 35 Die<br />

Stellung des oder der Klassenlehrer würde ich beiden Wirkungskreisen zuordnen;<br />

diese werde ich daher separat betrachten.<br />

Wird eine Klasse am Schuljahresbeginn neu zusammengestellt, so durchläuft diese<br />

nach Stanford 36 verschiedene Phasen der Gruppenentwicklung, die durch unterschiedlich<br />

hohe Effektivität und Produktivität gekennzeichnet sind. Diese Stadien<br />

finden auch bei Gruppenarbeiten statt und geben interessante erste Beziehungsstrukturen<br />

wieder. In der Orientierungsphase lernen sich die Gruppenmitglieder<br />

kennen, um in der anschließenden Phase der Normenbildung die Rahmenbedingungen,<br />

Arbeitsstruktur und Arbeitsverteilung durchzuführen. Diese<br />

Phase ist gekennzeichnet durch das essentielle Bedürfnis nach Sicherheit und<br />

32 Vgl. Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 126.<br />

33 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 76ff.<br />

34 Vgl. Faust, Gabriele: Individualentwicklung und Sozialerziehung, S. 267.<br />

35 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 51ff.<br />

36 Vgl. Stanford (1991): Stadienmodell, in Connemann, Ralf: Funktionierende Klassengemeinschaft, S. 81ff.<br />

11


Zugehörigkeit, die beispielsweise durch ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft<br />

realisiert wird. Mögliche Unzufriedenheit mit der Rollenzuordnung führt zu<br />

Konflikten in der dritten Phase. Prozesse des Aushandelns und der Konfliktlösung<br />

setzen ein, die eine neue Rollenverteilung bewirken. Trotzdem machen Kinder<br />

auch in dieser Phase Erfahrungen mit Ungleichheit: „In weniger als der Hälfte der<br />

Fälle wird in der Grundschule in Konflikten zwischen Kindern eine von allen Beteiligten<br />

akzeptierte Lösung erreicht; Erfahrungen des Sich-durchsetzen-Könnens<br />

oder Unterliegens dominieren“. 37 Je positiver das Ergebnis der Konfliktlösung ausfällt<br />

und die benannten Bedürfnisse befriedigt werden, umso größer werden die<br />

individuelle Selbstverwirklichung, die Kreativität und die Kooperationsbereitschaft<br />

der einzelnen Mitglieder in der Gruppenarbeit, bzw. der Klasse sein. Abschließend<br />

findet bei Projekten oder Gruppenarbeiten die Auflösungsphase statt, die bei Klassen<br />

frühestens am Schuljahresende ansteht. Connemann bemerkt in seinen Ausführungen,<br />

dass es sich in diesem Modell um „idealtypisch unterschiedene Phasen“<br />

handelt, die meist „nicht linear, sondern häufig in Schleifen und Wiederholungen<br />

verlaufen“. 38 Wie beschrieben hängen Interaktionsprozesse entscheidend von<br />

den Bedürfnissen der Schüler ab. Die Bedürfnisse, bzw. der Grad der individuellen<br />

Befriedigung dieser Bedürfnisse in sozialen Lernprozessen haben direkte Konsequenzen<br />

für verschiedene Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung. Dies werde<br />

ich im Kapitel Persönlichkeitsentwicklung erläutern.<br />

Die Klasse als Bezugsgruppe<br />

Ein weiteres Merkmal, welches den Interaktionsprozessen in der Schule zu Grunde<br />

liegt, ist die Funktion der Klasse als Bezugsgruppe: „Jede Klasse wird – wenn<br />

auch in unterschiedlicher Intensität – zur Bezugsgruppe für die Schüler, zu einer<br />

Gruppe also, die das eigene Verhalten mehr oder weniger beeinflusst.“ 39 Wie<br />

schon im Exkurs über die Veränderte Kindheit dargelegt hat die Schule in der Sekundärsozialisation<br />

eine herausragende Rolle, im Besonderen für die Beziehungserfahrungen<br />

mit gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen. Ulich unterscheidet<br />

diesbezüglich zwei Funktionen: 40<br />

37 Krappmann (1999), zitiert nach Petillon: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 171.<br />

38 Connemann, Ralf: Funktionierende Klassengemeinschaft, S. 83.<br />

39 Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 53.<br />

40 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 52ff.<br />

12


Die Vergleichsfunktion: Innerhalb der Klasse werden Leistung,<br />

Beliebtheit, Aussehen, Kleidung, usw. als Maßstab für den Status und<br />

die Rolle des Einzelnen in der Klassengemeinschaft, verglichen und<br />

bewertet.<br />

Die normative Funktion: Innerhalb der Bezugsgruppe werden spezielle<br />

Regeln und Maßstäbe etabliert, die über die Zugehörigkeit oder die<br />

Rolle des Außenseiters entscheiden.<br />

Aus beiden Funktionen lässt sich ein Anpassungsdruck (Konformität bezüglich der<br />

Klassennormen) und ein Konkurrenzdenken des Individuums ableiten. Das Dilemma<br />

dabei ist, dass sich beide, teilweise widersprüchlichen Beziehungsstrukturen<br />

negativ auf Kooperation und Freundschaften, als auch auf das Selbstwertgefühl<br />

auswirken können. Nach einer Studie in der Grundschule aus dem Jahr 1994<br />

fühlen sich ca. 80% der Kinder von ihren Klassenkameraden unterstützt und akzeptiert<br />

und ca. 15% von der Klassengemeinschaft ausgeschlossen. 41 Krappmann<br />

und Oswald haben in Beobachtungsstudien in Grundschulklassen vier Beziehungsmuster<br />

zwischen Schülern ausgemacht, die Soziales Lernen beeinflussen: 42<br />

Helfen oder Hilfsangebote<br />

Zusammenarbeit<br />

Leistungsvergleich und Konkurrenz<br />

Suche nach Anerkennung, Angeberei und Abwertung<br />

Mit zunehmendem Alter erfahren die Beziehungsmuster eine andere Bewertung:<br />

In der Sekundärstufe spielt erfahrungsgemäß das Dilemma zwischen Leistungshierarchie<br />

und Klassennorm eine größere Rolle als in der Grundschule. Nach<br />

einer Studie 43 mit Schülern aus der Sekundarstufe verschiedener Schularten wird<br />

das Helfen bei Hausaufgaben und Prüfungen zunehmend normkonform, wobei<br />

Schüler, die regelmäßig von anderen profitieren wollen oder anderen Hilfe kategorische<br />

verweigern, gefährdet sind, sich in die Außenseiterrolle zu begeben. Ähnlich<br />

bedroht sind die zu guten Schüler, die Streber und die zu schlechten Schüler,<br />

jene also, die sich am Rand der Leistungshierarchie befinden. Aus der Studie<br />

ergibt sich weiter, dass die Klassengemeinschaft für die Schüler von großer Bedeutung<br />

und solidarisches Handeln derselben insbesondere gegenüber Lehrern<br />

41 Vgl. Eder u.a. (1994), in Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 59.<br />

42 Vgl. Krappman, Lothar u.a.: Alltag der Schulkinder, S. 141ff.<br />

43 Vgl. Furtner-Kallmünzer u.a.: Schüler: Leistung, Lehrer, Mitschüler, S. 42ff.<br />

13


oder Außenseitern möglich ist. Weitere Tendenzen altersspezifischer Veränderungen<br />

12-16-jähriger in den Beziehungsmustern beschreibt Fend: „Die Intensität der<br />

Konkurrenz nimmt in der Wahrnehmung der Schüler leicht ab, der Anpassungszwang<br />

steigt hingegen etwas an; der Klassenzusammenhalt, das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

der Schüler verbessert sich ein wenig mit zunehmendem Alter. Die<br />

Schulleistung als Kriterium individueller Anerkennung in der Klasse verliert an Bedeutung,<br />

während das solidarische Verhalten der Schüler wichtiger wird.“ 44<br />

Abschließend lässt sich feststellen, dass es über alle Altersstufen hinweg einen<br />

klaren Zusammenhang zwischen Beziehungsqualität (gemessen an vorhandenen<br />

Freundschaften zwischen Schülern) und der Zufriedenheit mit der Schule im Allgemeinen<br />

gibt. 45<br />

Ferner hat ein gutes Klassenklima (bezogen auf die Dimensionen Leistungsdruck,<br />

Konkurrenzdruck, Anonymität und Regellosigkeit) positiven Einfluss auf das<br />

Selbstkonzept (bezogen auf die Dimensionen Selbstwertgefühl, Erfolgszuversicht,<br />

Leistungsangst und Hilflosigkeit). 46<br />

Es gäbe noch eine Vielzahl von Themengebiete die im Zusammenhang der Gruppendynamik<br />

zu betrachten wären, wie z.B. Aggression und Bullying oder geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede in der Interaktionsstruktur, dies würde jedoch<br />

den Rahmen meiner Arbeit sprengen.<br />

Schüler-Lehrer-Interaktion<br />

Zuletzt möchte ich die Schüler-Lehrer-Interaktion in einigen Aspekten beleuchten.<br />

Interaktion ist „das wechselseitig aufeinander bezogene Verhalten von zwei oder<br />

mehr Personen.“ 47 Differenziert man das wechselseitige Verhalten exakter, so betrachtet<br />

man Verhalten als Einwirkung, als Kontrolle und als Abhängigkeit. 48<br />

Obwohl der Lehrer auch ein prinzipielles Interesse an einer guten Beziehung zu<br />

seinen Schülern hat, nicht zuletzt verbringt er den überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit<br />

mit Schülern, ist das Interaktionsmuster, bzw. das Kommunikationsmus-<br />

44 Fend, Helmut: Vom Kind zum Jugendlichen, S. 107ff.<br />

45 Vgl. Czerwenka, K. u.a.: Schülerurteile über die Schule, S. 144.<br />

46 Vgl. Jerusalem, Matthias u.a.: Entwicklung des Selbstkonzepts in verschiedenen Lernumwelten, S. 123.<br />

47 Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 77.<br />

48 Vgl. Graumann, C.F.: Interaktion und Kommunikation, S. 1112ff.<br />

14


ter asymmetrisch und damit völlig anders, als das meist symmetrische Muster der<br />

Schüler untereinander. Asymmetrisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass<br />

der Lehrer kraft seiner institutionellen Legitimation in seiner Position mehr Macht<br />

als der Schüler hat. Der Lehrer beurteilt und benotet die Leistungen der Schüler,<br />

lobt, tadelt und bestraft Schülerverhalten und besitzt das Expertenfachwissen.<br />

Zwei Aspekte sind bei der Schüler-Lehrer-Interaktion von zentraler Bedeutung.<br />

Lehrer unterziehen die Schüler in vielen Fällen einer Typisierung, d.h. sie kategorisieren<br />

die große heterogene Gruppe der Schüler nach, für den Unterricht relevanten,<br />

Merkmalen. Brophy hat in Untersuchungen vier idealtypische Schülertypen<br />

festgestellt: Idealschüler, selbstständiger Schüler, Sorgenschüler und abgelehnter<br />

Schüler, unterschieden nach Konformität des Verhaltens und Leistungsniveau.<br />

49 Je nach Einordnung eines Schülers in die eine oder andere Kategorie<br />

kann dies auch Auswirkungen auf das Verhalten des Lehrers gegenüber diesem<br />

Schüler haben: Abgelehnte Schüler beispielsweise, die niedrige Leistung erbringen<br />

und durch Undiszipliniertheit und Unangepasstheit auffallen sind beim Lehrer<br />

wenig beliebt. Sie werden daher öfter kontrolliert und bestraft, erhalten weniger<br />

Gelegenheit zum Unterrichtsbeitrag und erhalten seltenes und dann auch meist<br />

negatives Feedback. 50 In Folge hat es sich sogar gezeigt, dass die Beliebtheit des<br />

Schülers beim Lehrer Einfluss auf die Notengebung und die Schullaufbahn des<br />

Schülers ausüben kann. 51<br />

Zusammen mit der Typisierung spielen auch die kontextgebundenen Erwartungen<br />

eine gravierende Rolle. Die Erwartungen wirken wie ein Filter auf das wahrgenommene<br />

Verhalten und führen zu einer unmittelbaren Interpretation und Bewertung<br />

im direkten Vergleich zwischen Soll- und Ist-Zustand. Bestätigt sich zum Beispiel<br />

das erwartete undisziplinierte Verhalten eines Schülers im Unterricht, so wird<br />

der Lehrer mit emotionaler Verärgerung und distanziertem Verhalten reagieren.<br />

Ein Ergebnis, zu dem Brophy in seinen Studien kam, war, dass sich Erwartungen<br />

der Lehrer möglicherweise selber bestätigen können. „Der Lehrer verhält sich gemäß<br />

seinen Erwartungen gegenüber dem Schüler, der darauf mit einem Verhalten<br />

reagiert, das den Erwartungen entspricht.“ 52<br />

49 Vgl. Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 83ff.<br />

50 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 84f.<br />

51 Vgl. Petillon, Hanns: Soziale Beziehungen zwischen Lehrern, Schülern und Schülergruppen, S. 304ff.<br />

52 Dobrick u.a. (1991), zitiert nach Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 91.<br />

15


Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis des Schülers von dem Lehrer, welches<br />

einer konstruktiven Interaktion auf symmetrischem, gleichem Niveau entgegenwirkt.<br />

Zudem hat der Schüler in der Regel keinen Einfluss auf die Wahl seiner Lehrer,<br />

sondern wird diesen, ähnlich wie bei der Zwangsgruppierung Klasse, zugeteilt.<br />

In einem Konfliktfall, z.B. bei einer Unterrichtsstörung, besteht die Gefahr, dass<br />

der Lehrer seine Machtposition dazu ausnützt seine Vorstellungen in Bezug auf<br />

das Schüler- oder Klassenverhalten durchzusetzen und damit ein selbstbestimmtes<br />

autonomes Schülerverhalten bewusst oder unbewusst verhindert. Ziel des AT<br />

ist es asymmetrische Interaktion – einseitiges Einwirken, Kontrollieren und Abhängig<br />

machen sowohl auf Schüler als auch auf Lehrerseite – aufzudecken und durch<br />

Abgrenzungsrituale zu entschärfen.<br />

1.2 Theoretische Konzepte der Persönlichkeitsentwicklung<br />

Die im letzten Kapitel betrachteten Aspekte des Sozialen Lernens sind eng mit<br />

der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen verknüpft. Beispielsweise<br />

ist die emotionale Entwicklung, etwa die Wahrnehmung und Bewertung<br />

von eigenen Gefühlen, sowohl ein Ziel der Persönlichkeitsentwicklung als<br />

auch ein Teilbereich des Sozialen Lernens. Ich möchte daher in diesem Kapitel<br />

die Persönlichkeitsentwicklung als zweite theoretische Grundlage für die Begründung<br />

des AT nach Dr. Langlotz heranziehen. In einem ersten Schritt grenze ich<br />

das große Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung begrifflich anhand des Gerüsts<br />

zur Identität nach Haußer ein und werde davon einige wichtige Teilaspekte vertiefen.<br />

Anschließend werde ich zwei spezielle Konzepte zur Persönlichkeitsentwicklung<br />

– von Piaget und von Grundmann – erläutern.<br />

Identitätskonzept von Haußer<br />

In der Literatur werden Begriffe, die mit der Persönlichkeitsentwicklung zusammenhängen,<br />

in unterschiedlichen Kontexten benützt. Daher möchte ich als Arbeitsgrundlage<br />

das theoretische Gerüst von Hauser aus dem Jahr 1995 verwenden:<br />

53<br />

53 Vgl. Martschinke, Sabine: Identitätsentwicklung und Selbstkonzept, S. 257ff.<br />

16


Nach Hauser setzt sich die Identität, die er als Kern der Persönlichkeit ansieht,<br />

aus den drei Bereichen Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Kontrollüberzeugung<br />

zusammen.<br />

Das Selbstkonzept, oft auch Selbstbild genannt, beschreibt dabei die kognitive<br />

Komponente der Identität. Es handelt sich um „ein erworbenes, gelerntes Konzept<br />

aus den Erfahrungen und Wahrnehmungen eines Menschen über und mit sich<br />

selbst. [...] Das Konzept von der Person ist in den verschiedenen Bereichen der<br />

Person selbst oft unterschiedlich bewußt und klar.“ 54 Die Erfahrungen und Wahrnehmungen<br />

beziehen sich insbesondere auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten.<br />

Direkte Konsequenzen ergeben sich daraus für den Schulkontext, wo<br />

Studien belegen, dass es einen reziproken Wirkzusammenhang zwischen Selbstkonzept<br />

und Schulleistung gibt. Einerseits wirkt sich das Selbstkonzept auf die<br />

Leistung aus (Skill-Development-Ansatz), andererseits beeinflusst die Leistung<br />

wiederum das Selbstkonzept (Self-Enhancement-Ansatz). 55 Die subtile Gefahr dabei<br />

ist, dass sich Selbstbild und Leistung wechselseitige in einer Abwärtsspirale<br />

verstärken können. Führt beispielsweise eine schlechte Mathe-Note zu der Überzeugung,<br />

dass ich generell schlecht in Mathe bin und keine Fertigkeiten, kein Talent<br />

habe, schaffe ich mir ein negatives Selbstbild in Bezug auf Mathe. In Folge<br />

wird die nächste Mathe-Leistung vermutlich wieder schlecht ausfallen und mein<br />

negatives Selbstkonzept wird bestätigt, verstärkt und verfestigt sich. Als problematisch<br />

erweist sich zudem die oben benannte Tatsache, dass Prozesse der Bildung<br />

oder Modifikation des Selbstbildes oft unbewusst ablaufen und sich damit der Kontrolle<br />

entziehen: „Daß wir ein Konzept von uns selbst haben, ist uns meist nicht<br />

bewußt.“ 56<br />

Das Selbstwertgefühl, die Selbstachtung oder Selbstakzeptanz, beinhalten die affektive<br />

oder emotionale Komponente der Persönlichkeit. Es gibt das „Gefühl für<br />

den hohen oder geringen Wert der eigenen Person“ 57 wieder und ist erheblich von<br />

der Achtung oder Missachtung von Bezugspersonen abhängig. Im Vergleich zum<br />

Selbstkonzept, welches bereits im Grundschulalter in großen Teilen vorhanden ist,<br />

entwickelt sich das Selbstwertgefühl meist etwas später. 58 Laut Studien ist es je-<br />

54 Tausch, Reinhardt: Erziehungs-Psychologie, S. 57.<br />

55 Vgl. Martschinke, Sabine: Identitätsentwicklung und Selbstkonzept, S. 257ff.<br />

56 Tausch, Reinhardt: Erziehungs-Psychologie, S. 57.<br />

57 Myers, David G.: Psychologie, S. 628.<br />

58 Vgl. Martschinke, Sabine: Identitätsentwicklung und Selbstkonzept, S. 257.<br />

17


doch umso bedeutender für das soziale, emotionale und intellektuelle Verhalten<br />

und das Zusammenleben. 59 „Die Selbstachtung beeinflusst erheblich […] unsere<br />

Zufriedenheit, unsere seelische Gesundheit und Funktionsfähigkeit.“ 60<br />

In einem engen Zusammenhang zur Selbstachtung steht die dritte Komponente<br />

der Identität, die handlungsbezogene Kontrollüberzeugung. Diese charakterisiert<br />

den individuellen Umgang mit Erfolg oder Misserfolg und kann aus zweierlei<br />

Blickwinkel erfolgen: Vor dem Verhalten als Selbstwirksamkeitserwartung oder<br />

nach dem Verhalten im Sinne der Kausalattribuierung. Unter dem Begriff Selbstwirksamkeitserwartung<br />

versteht man „die Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeit,<br />

eine bestimmte Aufgabe bis zu einem bestimmten Zeitpunkt lösen zu können.“<br />

61 Die Selbsteinschätzung wird noch zusätzlich durch den Effekt der Self-<br />

Fulfilling- Prophecy verstärkt, nach dem durchaus wahrscheinlich ist, dass sich eine<br />

selbst getroffene Vorhersage oder eine Erwartungshaltung, aufgrund des unterbewussten<br />

eigenen Verhaltens, auch bestätigt. 62 Bei der Kausalattribuierung ist<br />

entscheidend, welche Ursache einem Ergebnis individuell zugesprochen wird. Je<br />

nach Wechselwirkung zwischen Selbstwirksamkeitserwartung und Kausalattribuierung<br />

kann dies unterschiedliche Effekte auf die Kontrollüberzeugung ausüben. Im<br />

negativen Fall wird Misserfolg als stabil, internal und unkontrollierbar attribuiert,<br />

damit sinken das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeitserwartung für kommende<br />

ähnliche Aufgaben. Wenn sich die Erwartung in der folgenden zu lösenden<br />

Aufgabe bzw. zu lösendem Problem bestätigt, beginnt der Kreislauf von neuem. 63<br />

Weiten sich die Misserfolge auf andere Aufgabenbereiche aus, besteht die Gefahr,<br />

dass sich das negative Gefühl der Erlernte Hilflosigkeit einstellt und die Person<br />

resigniert. 64 Diesen Zusammenhang beschreibt auch das Selbstbewertungsmodell<br />

von Heckhausen. 65 Neben der variablen Ursachenzuschreibung und Selbstbewertung<br />

verknüpft Heckhausen noch die Zielsetzung als Prozesskomponente in den<br />

Kreislauf. Wiederholt sich eine negative Selbstbewertung, so kann sich ein Verhaltensmuster<br />

der Misserfolgserwartung konstituieren. Die Person neigt dann erfah-<br />

59 Vgl. Tausch, Reinhardt: Erziehungs-Psychologie, S .51f.<br />

60 Tausch, Reinhardt: Erziehungs-Psychologie, S. 53.<br />

61 Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 360.<br />

62 Vgl. Rosenthal u.a. (1968), in Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 91ff.<br />

63 Vgl. Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 151ff.<br />

64 Vgl. Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 367ff.<br />

65 Vgl. Fries, Stefan: Motivation, S. 154.<br />

18


ungsgemäß eher dazu, sich ein unrealistisches – zu niedriges oder zu hohes –<br />

Ziel zu setzen oder vermeidet entsprechende Aufgaben gänzlich.<br />

Die Übergänge und kausalen Zusammenhänge zwischen den drei Persönlichkeitsbereichen<br />

– Selbstkonzept, Selbstbewusstsein und Kontrollüberzeugung –<br />

sind fließend.<br />

Alle drei Komponenten der Identität werden durch andere Personen mehr oder<br />

minder stark beeinflusst. Je enger, bzw. näher die Beziehung zu dieser Bezugsperson<br />

ist, desto intensiver ist die mögliche Einflussnahme. Die wichtigsten Rollen,<br />

ähnlich wie beim sozialen Lernen, kommen auch hier wieder den Eltern und den<br />

Lehrern zu. Beispielsweise hat ein günstiges Selbstkonzept beim Lehrer, positive<br />

Auswirkungen auf das Selbstkonzept und das Selbstwertgefühl der Schüler. 66 Was<br />

ist jedoch, wenn die versuchte Einflussnahme der Lehrerpersönlichkeit auf die<br />

Identität der Schüler als nicht konstruktiv oder als nicht positiv empfunden wird?<br />

Die Intention des AT von Dr. Langlotz ist, vor allem diesen Schülern einen sicheren<br />

eigenen Raum für ihre Person und deren Entwicklung zu schaffen, relativ unabhängig<br />

von der Meinung und Beurteilung Dritter, in diesem Fall der Lehrer.<br />

Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan<br />

Betrachtet man die Persönlichkeit so kommt man nicht umhin sich auch mit dem<br />

Thema Motivation, bzw. der Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci und Richard<br />

Ryan aus dem Jahr 1993 zu beschäftigen. 67 Motivation spielt in sofern eine<br />

entscheidende Rolle, als diese Auswirkungen auf die Handlungsausführungen und<br />

das handlungsbegleitende Erleben hat. Motivation entscheidet über „die Auswahl<br />

von Handlungen, die Persistenz und die Intensität der Handlungsausführung sowie<br />

das handlungsbegleitende Erleben […].“ 68 Die Theorie beschreibt drei emotionale<br />

Grundbedürfnisse als Voraussetzung für den Grad der intrinsischen Motivation.<br />

Die intrinsische Motivation bezeichnet man den eigenen inneren Handlungsantrieb,<br />

unabhängig von jeglicher, von außen herangetragener Motivation. Perso-<br />

66 Vgl. Tausch, Reinhardt: Erziehungs-Psychologie, S. 61ff.<br />

67 Vgl. Lohrmann, Katrin: Lernemotionen, Lernmotivation und Interesse, S. 263ff.<br />

Vgl. Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 363ff.<br />

68 Heckhausen und Heckhausen (2006), zitiert nach Fries, Stefan: Motivation, S. 149.<br />

19


nen mit einer hohen intrinsischen Motivation zeichnen sich meist auch durch eine<br />

positive Selbstwirksamkeitserwartung aus. 69<br />

Folgende drei Grundbedürfnisse werden von Deci und Ryan benannt:<br />

Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung, bzw. <strong>Autonomie</strong>:<br />

Die Überzeugung Einfluss und Entscheidungsfreiheit, mithin Kontrolle,<br />

in Konfliktsituationen oder bei Problemen zu besitzen, gibt ein Gefühl<br />

der Sicherheit. Jene Sicherheit, die laut Bedürfnispyramide nach Maslow<br />

die zweite Stufe der Voraussetzungen auf dem Weg zu Selbstverwirklichung<br />

(oberste Stufe) darstellt. Im schulischen Kontext fördert<br />

Selbstbestimmung, z.B. durch Wahlmöglichkeiten, erwiesener Maßen<br />

auch das persönliche Verantwortungsbewusstsein und erhöht das Interesse<br />

an schulischen Aufgaben. 70<br />

Das Bedürfnis nach Kompetenzerfahrung:<br />

Die positive Erfahrung Problemstellungen selbständig bewältigen zu<br />

können in Verbindung mit wertschätzendem Feedback stärkt wiederum<br />

die Selbstwirksamkeit und gibt damit Selbstvertrauen in die eigene<br />

Leistungsfähigkeit. Das basale Kompetenzstreben fördert die zu<br />

nehmend komplexer werdende Auseinandersetzung mit der Umwelt.<br />

Auch dies gibt Sicherheit und stärkt den Selbstwert (2. und 4. Pyramidenstufe).<br />

Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, bzw. Eingebundenheit:<br />

Der Mensch als soziales Wesen benötigt als Voraussetzung für intrinsische<br />

Motivation die Angehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Gruppe.<br />

In ihr erfährt er Akzeptanz und Achtung für seine Person, Wertschätzung<br />

seiner erbrachten Leistung und kann dann in diesem geschützten<br />

Raum seine Leistungsfähigkeit entfalten.<br />

Ziel der Selbstbestimmungstheorie ist, durch die Erfüllung der drei Bedürfnisse<br />

fremdbestimmte, extrinsische Motivation durch selbstbestimmte intrinsische Motivation<br />

nach und nach zu ersetzten. 71<br />

Bezogen auf die Schule lässt sich jedoch feststellen, dass nach einer Studie von<br />

Susan Harter aus dem Jahr 1981, die „intrinsische Motivation von Schulstufe zu<br />

69 Vgl. Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 363f.<br />

70 Vgl. Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 365f.<br />

71 Vgl. Fries, Stefan: Motivation, S. 151.<br />

20


Schulstufe immer mehr abnimmt. Vor allem zwischen der sechsten und siebten<br />

Klassenstufe findet sich ein auffallender Abfall an intrinsischer Motivation und<br />

gleichzeitig ein beachtlicher Anstieg der extrinsischen Motivation.“ 72 Die Förderung<br />

der intrinsischen Motivation scheint mir im Hinblick auf die individuelle Entwicklung<br />

und für die schulische Leistung der Kinder ein Dreh- und Angelpunkt zu<br />

sein, welche noch stärker Beachtung finden sollte.<br />

Das Zusammenspiel zwischen intrinsischer Motivation, Selbstwirksamkeitserwartung<br />

als Persönlichkeitskomponente und den Bedürfnissen nach der<br />

Maslowschen Pyramide ist offensichtlich:<br />

Abbildung 1: Bedürfnispyramide nach Maslow, aus: Myers, David: Psychologie, S.516<br />

Die Basis der Pyramide ist, nach den lebensnotwendigen physiologischen Bedürfnissen,<br />

das individuelle Gefühl der Sicherheit. Sind diese beiden Bedürfnisse realisiert<br />

strebt der Einzelne nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Akzeptanz und<br />

Wertschätzung verspricht. Systemisch betrachte beinhaltet dies bei einem Kind<br />

auch die Zugehörigkeit zur Familie, zum Familiensystem. Dabei gewährleistet Zugehörigkeit<br />

zu einer Gruppe insbesondere auch das Bedürfnis nach Geborgenheit<br />

und Sicherheit. Auf dieser Grundlage kann dann Selbstwertgefühl erwachsen und<br />

erst dann ist es möglich das ganzes Potential zu leben und sich aktiv selbst zu<br />

verwirklichen und persönlich weiterzuentwickeln.<br />

72 Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 366.<br />

21


Soziale Entwicklung nach Piaget<br />

Das erste Teilkonzept zur Persönlichkeitsentwicklung, welches ich im Folgenden<br />

verkürzt darlege, stammt aus den 60-er Jahren von dem Entwicklungspsychologen<br />

Piaget und wird von James Youniss in seinem Buch Soziale Konstruktion und<br />

psychische Entwicklung beschrieben. 73 Ich habe diese, nicht ganz unumstrittene,<br />

Erkenntnistheorie über soziale Beziehungen von Piaget ausgewählt, weil Piaget<br />

den Schwerpunkt in der Persönlichkeitsentwicklung von der Kindheit bis hin zur<br />

Adoleszenz in der Interaktion zwischen Gleichaltrigen sieht. Durch reziprokes<br />

Handeln in der Beziehung zwischen Gleichaltrigen entwickelt sich das „Wachstum<br />

des Individuums oder des Selbst […] in einer immer wieder erfolgenden Konstruktion<br />

des Selbst durch Beziehungen“. 74<br />

Piaget unterscheidet in den interpersonalen Beziehungsmustern zwischen symmetrischer<br />

und komplementärer Reziprozität. Bei der komplementären Wechselbeziehung<br />

geschieht das Handeln – Aktion und Reaktion – zwischen ungleichen<br />

Partnern, wie z.B. Lehrer und Schüler oder Eltern und Kind. Der Lehrer kann in<br />

seiner übergeordneten Machtposition mit einer Aktion eine bestimmte Reaktion<br />

des Schülers zu erzwingen. Diese Art der abhängigen Beziehung spielt für Piaget<br />

vor allem in der frühen Kindheit eine wichtige Rolle. In dieser Phase strebt das<br />

Kind nach Ordnung und Regelmäßigkeit für sein inneres Gefühl der Sicherheit. Es<br />

orientiert sich an den Eltern oder dem Lehrer als Bezugspersonen, welche bereits<br />

eine geordnete und sichere Gesellschaft repräsentieren. Es übernimmt die vorgelebten<br />

und eingeforderten moralischen Werte und Einstellungen der Autoritäten.<br />

Mit zunehmendem Alter löst die symmetrische die komplementäre Reziprozität ab.<br />

Nach Piaget tritt die symmetrische Beziehung in erster Linie zwischen Gleichaltrigen<br />

auf, z.B. in Schulklassen oder Peergroups, und ist das entscheidende Beziehungsmuster<br />

für die soziale und moralische Persönlichkeitsentwicklung. Auf einer<br />

gleichberechtigten Handlungsebene interagieren die Partner auf freiwilliger Basis.<br />

Die Person die agiert hat keine Kontrolle darüber wie der Partner reagiert. Die Reaktion<br />

kann ausbleiben oder auf ähnliche Weise erfolgen. Der Agierende muss<br />

daher die Wirkung antizipieren und Erklärungssysteme dafür finden, somit die<br />

73 Vgl. Youniss, James: Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung, S. 141ff.<br />

74 Youniss, James: Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung, S. 150.<br />

22


Blickrichtung wechseln und die Perspektive des Gegenübers einnehmen. Durch<br />

Konflikte, Diskussionen und Konsensfindung entwickelt sich eine, in der symmetrischen<br />

Beziehung, ausgehandelte Ordnung. Die kooperative Anstrengung ist dabei<br />

eine wichtige Voraussetzung für die Konstruktion von individueller Erkenntnis. Die<br />

symmetrische Reziprozität unter Gleichaltrigen ist jedoch nicht per se eine positive<br />

soziale Beziehung, da die Interaktion nicht immer in einen Konsens mündet. Als<br />

Ergebnis ist auch eine negative Situation oder ein Patt möglich. Ungefähr im neunten<br />

Lebensalter tritt daher neben die symmetrische Reziprozität das Prinzip der<br />

Kooperation. 75 Kooperation unter Freunden, in Verbindung mit Solidarität, ist nach<br />

Piaget die Voraussetzung für eine fruchtbare soziale Beziehung. Erst dann entsteht<br />

ein positives soziales Verhältnis der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen<br />

Verstehens. Das Individuum findet in der Beziehung zu Gleichaltrigen zu<br />

sozialer Kompetenz und Kohäsion und definiert in diesem Rahmen sein Selbst,<br />

seine Identität.<br />

Die Erkenntnistheorie für soziale Beziehungen nach Piaget, bzw. Youniss habe ich<br />

ausgewählt, weil die gleichberechtigte symmetrische Interaktion und die gegenseitige<br />

Achtung auch Zielkriterien des <strong>Autonomie</strong>trainings darstellen.<br />

Identitätsentwicklung nach Grundmann<br />

Ein neueres Konzept zur Persönlichkeits-, bzw. Identitätsentwicklung von Kindern<br />

stammt von Matthias Grundmann. 76 Er unterscheidet dabei grundlegend zwei miteinander<br />

verflochtene, teilweise konkurrierende Entwicklungsprozesse: Einerseits<br />

die soziokulturell beeinflusste Kindheit als Lebensphase und andererseits die Individualentwicklung<br />

des Kind-Seins. Ziel der Identitätsentwicklung ist, „die Ablösung<br />

von der Herkunftsfamilie und die Ausbildung einer persönlichen Identität.“ 77<br />

Grundmann beschreibt dabei soziokulturelle, sozioökonomische und familienspezifische<br />

Bedingungsfaktoren, welche die soziale Entwicklung von der Kindheit zur<br />

selbstbestimmteren Adoleszenz maßgeblich beeinflussen:<br />

Die stärkste Wirkung haben dabei die Interaktions- und Handlungskompetenzen<br />

der Eltern, im Sinne des Modelllernens.<br />

75 Vgl. Youniss, James: Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung, S. 161.<br />

76 Vgl. Grundmann, Matthias: Kindheit, Identitätsentwicklung und Generativität, S. 87ff.<br />

77 Grundmann, Matthias: Kindheit, Identitätsentwicklung und Generativität, S. 88.<br />

23


In einer Studie (Fertilitätsstudie, Hoffman/Hoffman 1973) zeigte sich,<br />

„[...] dass sich die Wertvorstellungen von Kindern danach unterscheiden,<br />

ob Eltern eher aus ökonomischen oder emotionale Gründen Kinder<br />

gebären.“ 78 Dies hängt ferner mit der Gesellschaftsprägung zusammen.<br />

In eine gruppenorientierte Gesellschaft, die ökonomisch<br />

ausgerichtet ist werden Kindern frühzeitig in soziale Rollen, Pflichten<br />

und Aufgaben der Familie eingebunden. Wo hingegen in einer<br />

individuenorientierten Gesellschaft Kindern weitgehend freie Erfahrungen,<br />

Handlungsautonomie und Selbstverwirklichung zugestanden<br />

werden.<br />

Erziehungsvorstellungen in Verbindung mit der Erwartungshaltung der<br />

Eltern, die teils auch milieugeprägt sein können, beeinflussen nicht zuletzt<br />

die Kontrollüberzeugung und die Identitätskonzeption der Heranwachsenden.<br />

Problematische sind Erwartungshaltungen der Eltern,<br />

die auf eigenen, in ihrer Kindheit nicht eingelösten, Zielperspektiven<br />

beruhen.<br />

Qualitativ positive Bindungserfahrungen in der Eltern-Kind-Beziehung,<br />

im Sinne von Verlässlichkeit und Reziprozität, unterstützten den Erwerb<br />

sozialer Handlungskompetenzen und das Verstehen sozialer<br />

Beziehungen.<br />

Die Einbindung des Heranwachsenden in soziale Bezugsgruppen, z.B.<br />

Peer-groups, fördert die Differenzierung sozialer Handlungsperspektiven<br />

und der Rollenübernahme.<br />

Zuletzt haben auch die Sozialisationsbedingungen in Bezug auf die<br />

milieuspezifischen und kulturellen Handlungsstrukturen einen nicht zu<br />

unterschätzenden Einfluss auf die persönliche Entwicklung: Je nachdem,<br />

ob die Entwicklung des Individuums in einem sozio-kulturellen<br />

Kontext oder einem individuenbezogenen Kontext aufwächst, wird die<br />

Übernahme von konventionellen oder aber selbstentwickelten alternativen<br />

Handlungsstrukturen erwartet. Ziel ist dabei die Ausbildung einer<br />

postkonventionellen Identität, die diese widersprüchlichen selbst- und<br />

fremdbestimmten Erwartungen ausgleicht.<br />

78 Grundmann, Matthias: Kindheit, Identitätsentwicklung und Generativität, S. 89.<br />

24


Das nach Grundmann herausragende Ziel für die Identitätsentwicklung ist, so wie<br />

ich es verstanden habe, das Ausbalancieren von widersprüchlichen Rollenerwartungen<br />

innerhalb unterschiedlicher Bezugsgruppen und der Gesellschaft und zwischen<br />

Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Das AT nach Dr. Langlotz kann<br />

diesen Balanceakt durch die Erfahrung des geschützten individuellen Raumes,<br />

aus dem heraus der Heranwachsende seine Selbstbestimmung entfalten kann,<br />

unterstützen.<br />

2 Ausgewählte Grundlagen zum <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong><br />

Dr. Langlotz, Psychiater, arbeitet seit 1976 in seiner Praxis in München als systemischer<br />

Therapeut. Im Laufe seiner jahrelangen Arbeit mit psychiatrischen Patienten<br />

stieß er auf das zentrale Phänomen der Symbiose. Schrittweise modifizierte er<br />

das Verfahren der Systemaufstellung, nahm Elemente aus der analytischen Therapie<br />

C.G. Jung aber auch schamanische Rituale hinzu und entwickelte ein neues<br />

Verfahren: Die Systemische Selbst-Integration® 79 . Vor drei Jahren vereinfachte er<br />

das Verfahren speziell für Probleme aus dem Arbeitsbereich, so entstand das systemische<br />

<strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>. Anfang diesen Jahres entstand der Gedanke diese<br />

verdichtete Form therapeutischer Arbeit auch in die Schule zu tragen, um schon<br />

die Kindern im Alter von 11, 12 Jahren in ihrer Persönlichkeit und ihrer <strong>Autonomie</strong><br />

zu stärken. Warum Erwachsene therapieren, wenn schon 20 bis 30 Jahre früher,<br />

im Kindesalter Problemen vorgebeugt werden kann?<br />

Zu diesem Zweck adaptierte er die systemische Selbst-Integration zum <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong><br />

für Schulkinder.<br />

Zum besseren Verständnis des <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>s ist es notwendig einige<br />

Kenntnisse über die zugrunde liegenden therapeutischen Ansätze zu besitzen:<br />

In den folgenden Kapiteln werde ich daher kurz den Bezug zu<br />

dem Begriff <strong>Autonomie</strong><br />

der Systemischen Therapie<br />

der Systemaufstellung<br />

der theoretischen Unterscheidung des Ich- und des Selbst-Begriffs<br />

dem <strong>Autonomie</strong>trainings nach Grossarth-Maticek<br />

79 Die Bezeichnung Systemische Selbst-Integration® ist eine eingetragene Marke nach Dr.Langlotz.<br />

25


herstellen.<br />

sowie dem Gedanken des Rituals<br />

2.1 Begriffsbestimmung <strong>Autonomie</strong><br />

Der Begriff „<strong>Autonomie</strong>“ kommt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen<br />

aus „autos“ = selbst und „nomos“ = Gesetz und bedeutet „Selbstgesetzgebung“<br />

oder „Eigengesetzlichkeit“. 80 Je nach Fachbereich werden dabei die Worte Selbstbestimmung,<br />

Selbständigkeit, Selbstverwaltung oder Selbstregulierung als Synonym<br />

verwendet. Aus meiner Sicht ist die folgende Umschreibung für <strong>Autonomie</strong><br />

sehr passend: „Möglichkeit, sich ohne ungewollten Einfluss von außen selbst organisieren<br />

zu können.“ 81<br />

Für Dr. Langlotz stützt sich <strong>Autonomie</strong> im engeren Sinne auf folgende Voraussetzungen:<br />

82<br />

Die Abgrenzung gegenüber Fremdem, bzw. das Gefühl für eine gesunde<br />

Distanz und damit das Vorhandensein eines eigenen geschützten<br />

Raumes<br />

Das Verbunden sein mit dem Eigenen, mit den Selbstanteilen<br />

Die Integration aggressiver Impulse zu einer konstruktiven und positiven<br />

Kraft<br />

2.2 Systemische Therapie<br />

Die Systemische Therapie kann man als eine Art Weiterentwicklung der Familientherapie<br />

verstehen. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts verließen die Therapeuten die<br />

eindimensionale Sichtweise, die primär das Symptom im Fokus hatte und sich auf<br />

das Ursache-Wirkungs-Prinzip beschränkte. Sie betrachteten nunmehr das ganze<br />

80 Vgl. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Autonomie</strong>, [1.8.2011].<br />

81 Wiktionary: http://de.wiktionary.org/wiki/<strong>Autonomie</strong>, unter: Bedeutungen, [1.8.2011].<br />

82 Vgl. Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [2], letzter Absatz.<br />

26


System mit seinem Beziehungsgeflecht und seinen Regeln, in welches der Klient<br />

eingebunden ist. Diese Erweiterung auf Systeme vergrößert auch den Blickwinkel,<br />

da neben Familiensystemen auch andere Systeme, wie z.B. Organisationssysteme<br />

betrachtet werden können.<br />

Die Bezeichnung System, die der Therapierichtung ihren Namen gegeben hat,<br />

wird nach Hall und Fagen (1956) allgemein als, „Satz von Elementen oder Objekten<br />

zusammen mit den Beziehungen zwischen diesen Objekten und deren Merkmalen“,<br />

83 definiert.<br />

Eine noch ausführlichere und exaktere Bestimmung von System liefert Willke<br />

(1993): „Einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander<br />

quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen<br />

zu andern Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert<br />

eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt“. 84<br />

Demnach sind die wesentlichen Merkmale eines Systems in Abgrenzung zu nichtsystemischer<br />

Denkweise laut Definition:<br />

Es sind mehrere Elemente vorhanden<br />

Es gibt Beziehungen zwischen diesen Elementen, die sich gegenseitig<br />

beeinflussen<br />

Systeme grenzen sich gegeneinander ab<br />

In der Therapie und Beratung spezifiziert man den System-Begriff auf Menschen<br />

und bezeichnet diese als Soziale Systeme. Will man die Eigendynamik zur aktiven<br />

Aufrechterhaltung eines Systems betonen, das Phänomen der Selbstregulation,<br />

spricht man von einem Lebenden System. 85<br />

Die geschichtliche Entwicklung der Systemischen Therapie kann nicht als eine<br />

einheitliche Bewegung beschrieben werden, die auf einen einzelnen Gründer zurückgeht.<br />

Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Richtungen, die durch individuelle<br />

Veränderungen und Fortentwicklungen einzelner Therapeuten oder Therapie-Schulen<br />

in der praktischen Erfahrung entstanden sind. Auch das <strong>Autonomie</strong>-<br />

<strong>Training</strong> von Dr. Langlotz ist nicht einer speziellen Therapie-Richtung zuzuordnen,<br />

sondern adaptiert unterschiedliche therapeutische Prinzipien von verschiedenen<br />

83 Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 54.<br />

84 Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 55.<br />

85 Vgl. Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S.55.<br />

27


Modellen. Daher beschränke ich mich im Folgenden auf charakteristische Merkmale<br />

und Prinzipien, die in das <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> Eingang gefunden haben:<br />

<br />

<br />

<br />

Die Bedeutung von Grenzen und Strukturen sind wesentliche Bestandteile<br />

der strukturellen Familientherapie nach Minuchin. 86 Die Frage<br />

ob Grenzen klar oder diffus sind, ist auch im AT in Schulklassen die<br />

zentrale Frage.<br />

De Shazer prägte 1989 in seiner lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie<br />

den Satz: „Problem talk creates problems, solution talk creates solutions!“.<br />

87 Von Anfang an stehen die Lösungsmöglichkeiten im Vordergrund,<br />

nicht Problem und Ursache. Auch das AT ist lösungsorientiert<br />

ausgerichtet: Nach der Benennung des Problems wird zielstrebig auf<br />

das Ritual der Abgrenzung hingearbeitet, der Lösung durch Rückgabe<br />

des belastenden Rucksacks und damit der Verbindung mit dem<br />

Selbstanteil.<br />

Ebenfalls auf De Shazer lässt sich die zentrale Annahme zurückführen,<br />

„dass jedes System bereits über alle Ressourcen verfügt, die es<br />

zur Lösung seiner Probleme benötigt.“ 88 Als Ressourcen bezeichnet<br />

man im Allgemeinen ein „Hilfsmittel" oder eine „Hilfsquelle". 89 Im AT<br />

wird das freie, erwachsene, lebendige Selbst, das weiß, was es will,<br />

das frei ist sich zu entscheiden, zur Ressource. Es gehört zur Grundausstattung<br />

eines jeden Klienten, oftmals ist dieser aktuell aber nicht<br />

damit verbunden. Erst durch die bewusste Entscheidung gegen das<br />

unbewusste Abgrenzungsverbot erlangt der Klient Zugang zu seinem<br />

inneren Raum, in dem sich seine Ressource, das Selbst zeigen kann.<br />

Ist der Klient mit seinem Selbst verbunden hat er Energie und Kraft.<br />

Zur Verstärkung wird im AT manchmal auch noch die elementare<br />

Energie eines persönlichen Krafttieres 90 als Ressource für den Klienten<br />

geweckt.<br />

86 Vgl. Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 25.<br />

87 Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 35.<br />

88 Schlippe, Arist: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, S. 124.<br />

89 Vgl. Duden: Das Fremdwörterbuch, S. 903.<br />

90 Element aus dem Schamanismus<br />

28


2.3 Systemaufstellung<br />

Eine Systemaufstellung bezeichnet ein Setting bei dem Stellvertreter für die Elemente<br />

eines bestimmten Systems vom Klienten (Person mit dem Anliegen) im<br />

Raum angeordnet werden. Dies lässt sich für verschiedene Systeme durchführen:<br />

Familien-System – man spricht dann von einer Familienaufstellung, Organisations-<br />

System – man spricht von einer Organisationsaufstellung.<br />

Stellvertretend für die Elemente des Systems wählt der Klient aus der Gruppe der<br />

Anwesenden, Personen aus und stellt diese nach seinem Gefühl im Raum auf.<br />

Dieses erste Aufstellungsbild symbolisiert das Beziehungsgeflecht der realen Personen<br />

und ist gekennzeichnet durch: Abstände, Blickrichtung, Körperhaltung der<br />

Personen. Nach dem Phänomen der „repräsentierenden Wahrnehmung" 91 ist es<br />

den Stellvertretern möglich die Gefühle und Empfindungen der realen Personen,<br />

die sie vertreten, wahrzunehmen. Durch Nachfragen des Therapeuten können die<br />

Wahrnehmungen wiedergegeben werden und bei einer dynamischen Aufstellung<br />

können die Stellvertreter auch ihre Position im System nach ihrer Empfindung verändern.<br />

Das Aufstellungsbild in Verbindung mit den Äußerungen der Stellvertreter<br />

und den Erklärungen des Therapeuten kann zur Lösung des Anliegens des Klienten<br />

führen. Der Klient ist nach dem ersten Aufstellen der Stellvertreter meist nur<br />

noch Beobachter.<br />

Bei dem AT handelt es sich im weiteren Sinne um eine Systemaufstellung, die jedoch<br />

nach dem ersten Aufstellungsbild eher den Charakter eines angeleiteten Rollenspiels<br />

bekommt. Der Klient stellt je einen Stellvertreter für das Problem und<br />

seinen Selbstanteil auf und sucht auch für sich einen Platz im Raum. Hier weicht<br />

Dr. Langlotz bereits von den meist üblichen Regularien des Systemaufstellens ab,<br />

da nicht ein Stellvertreter für den Klienten, sondern er selber direkt an der Aufstellung<br />

teilnimmt. Während des gesamten <strong>Training</strong>s sind die emotionalen Wahrnehmungen<br />

der Stellvertreter und des Klienten von großer Bedeutung, ansonsten hält<br />

sich das AT in den überwiegenden Fällen an den 8-schrittigen Prozess-Ablauf.<br />

91 Vgl. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Repr%C3%A4sentierende_Wahrnehmung, [20.09.2011].<br />

29


2.4 Ich-Selbst-Unterscheidung nach C.G. Jung<br />

Dr. Huber umschreibt einen Kerngedanken C.G. Jung so: „Seine psychologische<br />

Vision ist der nie abschließende Prozess der Wandlung zu sich selbst hin. Ich-<br />

Werdung und <strong>Autonomie</strong>-Aufbau sind wichtige Individuationsanforderungen der<br />

frühen und früheren Zeit. In der späteren und späten Zeit ist es die sich häutende<br />

Verschiebung vom Ich zum Selbst, [...].“ 92 Der zentrale Begriff ist hierbei der Prozess<br />

der Individuation, dem Jung folgende Bedeutung beimisst: „ [...], zum Einzelwesen<br />

werden, und, insofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und<br />

unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst werden. Man könnte<br />

Individuation darum auch als Verselbstung oder als Selbstverwirklichung übersetzen."<br />

93<br />

Das Ich versteht Jung als den Teil, der sich zunächst den Rollenerwartungen der<br />

Umgebung anpasst und sich eventuell sogar damit identifiziert um zum Kollektiv<br />

zu gehören. Damit dies funktioniert müssen bestimmte störende Selbstanteile unterdrückt<br />

oder abgespalten werden.<br />

Das Selbst, als Ziel der Individuation, lässt sich begreifen als das Ganze eines<br />

Individuum, als Synthese aus der unbewussten Psyche und dem bewussten Ich.<br />

Das Selbst ist also dem Ich übergeordnet, im Sinne einer zentralen Instanz, die<br />

die Persönlichkeit ausmacht und deren Verwirklichung anstrebt.<br />

Dieser Gedanke wird im AT aufgegriffen, indem neben dem Klienten noch sein<br />

Selbst aufgestellt wird. Selbst im Sinne von „der Teil von dir, der sich frei und unbeschwert<br />

fühlt, der nein sagen kann [...]." 94<br />

Zu Beginn des <strong>Training</strong>s hat der Klient oft einen großen Abstand zu seinem Selbst<br />

und erst im Laufe des Prozesses gelingt es ihm zunehmend sich mit diesem Teil<br />

zu verbinden.<br />

92 Huber, Roland: Was ist anders bei Jung, S. 8.<br />

93 Jung, Carl Gustav: Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Unbewussten, 1933, S. 65.<br />

94 Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Kapitel: <strong>Training</strong>s-Prozess.<br />

30


2.5 <strong>Autonomie</strong>training nach Grossarth-Maticek<br />

Der Begriff "<strong>Autonomie</strong>training" wurde erstmals von Dr. Grossarth-Maticek verwendet,<br />

der unter gleichem Namen ein Buch veröffentlicht hat. Er bezeichnet damit<br />

eine „Methode zur Anregung der Selbstregulation, also jeder Eigenaktivität die<br />

zu Wohlbefinden, innerem Gleichgewicht, Bedürfnisbefriedigung, Zielerreichung<br />

und Problemlösung führt." 95<br />

Das Konzept kann an dieser Stelle nur verkürzt wiedergegeben werden, da die<br />

Ausführungen zum <strong>Autonomie</strong>training ausgesprochen komplex sind:<br />

Der zentrale Punkt ist die gesunde, autonome Selbstregulierung mit dem Ziel des<br />

körperlichen und seelischen Wohlbefindens, der Lustbefriedigung und sozialen Sicherheit.<br />

Wobei er schwerpunktmäßig damit das körperliche Wohlbefinden – die<br />

Gesundheit – meint (Dr. Grossarth-Maticek hat anhand verschiedener empirischer<br />

Studien unter anderem einen Zusammenhang zwischen fehlender Selbstregulation<br />

und der Krankheit Krebs festgestellt). 96<br />

Bei der Betrachtung der Selbstregulation geht er, ähnlich wie Dr. Langlotz, von der<br />

Grundannahme aus, dass der Mensch das Potential zur Selbstregulation (bei<br />

Langlotz „<strong>Autonomie</strong> als vorhandene Grundausstattung" 97 ) bereits in sich trägt:<br />

„Der Mensch ist ein sich selber regulierendes System, das von Natur aus gut funktioniert,<br />

und dessen Funktionen durch fehlerlernte Bewertungen und Emotionen<br />

gestört werden können. Wenn die fehlerlernten Hindernisse für die natürliche<br />

Selbstregulation aufgehoben werden, dann ist schon die Hälfte der Probleme gelöst."<br />

98<br />

In dem <strong>Autonomie</strong>training nach Grossarth-Maticek gibt es für den Trainer kein allgemeingültiges<br />

Verfahren, vielmehr erforscht er in einem diagnostischen Gespräch<br />

und unter Zuhilfenahme von diagnostischen Verfahren (z.B. Fragebogen)<br />

das individuelle Problem, den Ist-Zustand des Klienten und dessen persönliche<br />

Bedürfnisse, den erwünschten Ziel-Zustand. Der Trainer unterstützt den Klienten<br />

in der Findung einer eigenen individuellen Alternative für sein Verhalten, die eine<br />

Verbesserung des Wohlbefindens erreicht und ihn seinem Ziel-Zustand näher<br />

95 Grossarth-Maticek: <strong>Autonomie</strong>training, S. 155.<br />

96 Vgl. Grossarth-Maticek: <strong>Autonomie</strong>training, Tabelle 11.2, S. 191.<br />

97 Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Kapitel: Symbiose- und <strong>Autonomie</strong>.<br />

98 Grossarth-Maticek: <strong>Autonomie</strong>training, Vorwort des Autors.<br />

31


ingt. Oberstes Ziel des Trainers ist dabei die Eigenkompetenz des Klienten zu<br />

stärken, ihm zu ermöglichen aus eigener Kraft zu einer alternativen Verhaltensweise<br />

zu finden und mögliche bewusste oder unbewusste Hemmungen abzuschwächen<br />

oder aus dem Weg zu räumen. Diese autonome Kompetenzerfahrung<br />

stärkt den Klienten für zukünftige Problemlöseprozesse, es kann ein eigenaktiver<br />

Lernprozess einsetzen, der die Fähigkeit zur Selbstregulation kontinuierlich steigert.<br />

2.6 Initiations-Ritual<br />

Initiations-Ritual oder auch Initiationsritus bezeichnet einen bestimmten Brauch,<br />

der die Aufnahme eines Neulings in eine Gemeinschaft regelt, insbesondere bei<br />

Naturvölkern den Übergang des Jugendlichen in den Kreis der Männer oder Frauen.<br />

99<br />

Bei den archaischen Völkern war dieser Übergang vom beschützten und abhängigen<br />

Jugendlichen zum selbstbestimmten und selbständigen Mann oder Frau<br />

durch eine rituelle Handlung sowohl körperlich als auch mental mit allen Sinnen<br />

erfahrbar. Z.B. bei den Indianern erfuhren die Jugendlichen durch die Vision-<br />

Quest drei Tage Einsamkeit und Nahrungsentbehrung um im Anschluss einen<br />

neuen, einen Männernamen zu erhalten. Für diese Völker war das Erwachsenwerden<br />

lebensnotwendig in Anbetracht der gefahrvollen Natur.<br />

In unserer modernen Industriegesellschaft gibt es dergleichen nicht mehr, es wird<br />

weder die Notwendigkeit erachtet noch gibt es einen entsprechenden prägenden<br />

Ritus, der den Übergang zur Selbständigkeit erleichtert. Die Jugendlichen werden<br />

sich selbst überlassen, die <strong>Autonomie</strong>-Entwicklung kann in vielen Fällen durch die<br />

andauernde Fixierung auf die Mutter nicht stattfinden.<br />

Im AT hat Dr. Langlotz aus diesem Grund zwei körperlich erfahrbare Rituale eingebaut<br />

um den Jugendlichen den Übergang zur Selbständigkeit, zur <strong>Autonomie</strong> zu<br />

erleichtern. Denn Rituale haben eine andere Wirkung, als Worte. Sie drücken die<br />

Botschaft körperlich erfahrbar aus und scheinen dadurch direkt auf das Unterbewusstsein<br />

zu wirken:<br />

99 Vgl. Duden: Das Fremdwörterbuch, S. 456.<br />

32


Das Rückgaberitual, wo der Jugendliche z.B. einen Rucksack mit Fremderwartungen<br />

und Fremdbeurteilungen an den Fremden zurückgibt, um gleichsam symbolisch<br />

frei zu werden und seine Kraft und Energie auf sich selbst verwenden zu<br />

können.<br />

Und das symbolische Abgrenzungsritual, indem er erfährt, dass er seinen eigenen<br />

Raum schützen kann und darf und in diesem frei entscheiden kann.<br />

Er spürt in der Aufstellung emotional und körperlich den inneren Widerstand des<br />

Abgrenzungsverbotes, den er dann durch eine bewusste Entscheidung im Ritual<br />

überwindet. Er nimmt die damit verbundene Befreiung und Selbstwirksamkeit wahr<br />

und kann sein unterbewusstes Verbot nachhaltig lösen.<br />

3 Theoretisches Konzept<br />

Was ist nun der theoretische Hintergrund des AT von Dr. Langlotz?<br />

In jahrerlanger praktischer therapeutischer Arbeit entwickelte er sein Konzept der<br />

Systemischen Selbstintegration®, aus dem jüngst das Konzept des <strong>Autonomie</strong>-<br />

<strong>Training</strong>s für die Schule hervorging. Ohne die Systemische Selbstintegration® als<br />

Ausgangspunkt und Basis kann das AT nicht verstanden werden, daher will ich es<br />

hier kurz und vereinfacht skizzieren (eine ausführliche Darstellung findet sich in<br />

Praxis der Systemaufstellung 1/1009 und den zwei Online-Publikationen zum<br />

Thema Systemische Selbstintegration):<br />

3.1 Systemische Selbst-Integration®<br />

Jeder Mensch hat die beiden Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit/Bindung und<br />

gleichzeitig nach Freiheit bzw. <strong>Autonomie</strong>. Diese teilweise widersprüchlichen polaren<br />

Bedürfnisse bestimmen unsere psychische Entwicklung. Als Kind ist die Bindung,<br />

anfangs eine Art gegenseitiger Symbiose mit der Mutter, lebensnotwendig.<br />

Später meldet sich immer stärker das Bedürfnis nach Freiheit und <strong>Autonomie</strong>. In<br />

der kindlichen Trotzphase und in der Pubertät ist dieses Bedürfnis meist besonders<br />

intensiv.<br />

33


Damit die beiden Grundbedürfnisse, Bindung und Freiheit, gemeinsam gelebt<br />

werden können, erfordert dies, nach Dr. Langlotz, zwingend die Entwicklung einer<br />

inneren Abgrenzung.<br />

Ist jedoch dieser <strong>Autonomie</strong>- oder Individuationsprozess gestört oder hat er nicht<br />

stattgefunden, so verbleibt die Person in einem destruktiven symbiotischen Beziehungsmuster.<br />

Dr. Langlotz spricht dann von einem Symbiose-Komplex. 100 Dieser<br />

Symbiose-Komplex ist in der Regel unbewusst und lässt sich durch drei Aspekte<br />

charakterisieren: Die Verschmelzungstendenz, die Selbst-Entfremdung und die<br />

Aggressionshemmung. 101 Durch die Verschmelzungstendenz identifiziert sich die<br />

Person mit Fremdem, z.B. mit den Wünschen und Erwartungen der Eltern aber<br />

auch deren Problemen bis hin zu deren Krankheiten. Die dabei stattfindende Projektion<br />

des Selbstanteils auf das Selbst des Fremden führt zu einem falschen<br />

eigenen Selbst. Die Verbindung zu dem gesunden eigenen Selbstanteil ist gestört<br />

und damit auch der Individuations-Prozess. Es finden in Folge kompensatorische<br />

Verhaltensmuster statt, in denen die Person versucht mangelnde Abgrenzung<br />

durch Überabgrenzung, Verbindung mit dem eigenen Selbst durch Manipulation<br />

anderer und konstruktive Energie (positive Aggression) durch destruktive Aggression<br />

zu kompensieren.<br />

Mit Hilfe einer Systemaufstellung kann die Störung (oft eine Fixierung von Bindungsmustern<br />

aus der Kindheit) bildlich dargestellt werden. Durch das Abgrenzungs-Ritual<br />

gegenüber dem Fremden wird der besetzte innere Raum wieder frei,<br />

so dass die abgespaltenen Selbst-Anteile integriert werden können, daher der Begriff<br />

der Systemischen Selbst-Integration®.<br />

Unterstützt wird dieser Prozess durch Rituale und Lösungssätze. Die Person<br />

übergibt einen Stein als Symbol für „den Teil, der nicht zu ihr gehört“ 102 (z.B. die<br />

Krankheit) und spricht dabei die vom Therapeuten vorgeschlagenen systemischen<br />

Lösungssätze, z.B. „Du bist du und ich bin ich,“ „Du lebst dein Leben, und ich lebe<br />

meines“ und „Du hast deine Ansichten und ich habe meine eigenen, und die können<br />

ganz anders sein, [...].“ 103 Das gegenseitige Testen der Grenzen und das von<br />

den Schamanen stammende Zurückhauchen der fehlgeleiteten Energie macht die<br />

zurückgewonnene Freiheit und Selbstbestimmung körperlich erfahrbar.<br />

100 Vgl. Langlotz, Ernst Robert: Kollektive Destruktion, S. 23.<br />

101 Vgl. Langlotz, Ernst Robert: Kollektive Destruktion, S. 23.<br />

102 Vgl. Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Kapitel: <strong>Training</strong>s-Prozess.<br />

103 Vgl. Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Kapitel: <strong>Training</strong>s-Prozess.<br />

34


3.2 <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> für Schüler<br />

Im AT für die Schule ist der Kontext auf die Schule spezifiziert, auf Beziehungen<br />

zwischen Schülern, auf die Schüler-Lehrer-Interaktion und das schulische Umfeld<br />

zu dem auch Eltern und die Schulleitung zu zählen sind.<br />

Das Dilemma für die Kinder sind die beiden anscheinend für sie nicht zu vereinbarenden<br />

Pole Selbstbestimmung und Bindung. Einerseits das <strong>Autonomie</strong>-<br />

Bestreben, das mit Hilfe des <strong>Training</strong>s gefördert werden soll und auf der anderen<br />

Seite die Bindungsmuster, wie der Leistungsdruck in der Schule, die Zugehörigkeit<br />

zu schul- oder klasseninternen Peergroups oder Cliquen und die Anpassung an<br />

Erwartungen durch Eltern, Lehrer oder andere Personen. „Bereits im Kindergarten,<br />

verstärkt in der Schule, sind Kinder den Erwartungen der Eltern und Lehrer<br />

ausgeliefert. Anstatt herauszufinden, was ihre Begabungen, Fähigkeiten, Interessen<br />

sind und wie sie diese entwickeln können, „lernen“ sie, sich mit fremden Erwartungen<br />

zu identifizieren, sich anzupassen. Sie „lernen“, ihren Wunsch nach<br />

<strong>Autonomie</strong>, nach einem selbstbestimmten Leben zu unterdrücken. Sie lernen zu<br />

„funktionieren“, sie leben fremdbestimmt.“ 104<br />

Wird das Bestreben der Kinder nach <strong>Autonomie</strong> unterdrückt, hat dies nach<br />

Dr. Langlotz weitreichende Konsequenzen: Die Energie, die sich nicht konstruktiv<br />

entfalten kann, wird „[...] destruktiv, richtet sich nach außen, in Form von Gewalt<br />

und Mobbing oder nach innen, gegen das eigene Selbst in Form von Sucht, Drogen,<br />

Depression, Selbstzerstörung.“ 105<br />

Der Prozess kann zu einem Teufelskreis werden, da sich die Kinder nicht ohne<br />

weiteres über die Fremdbestimmung hinweg setzen können. Unterbewusst werden<br />

sie durch ein Verbot, das sogenannte „<strong>Autonomie</strong>-Verbot“ 106 daran gehindert:<br />

In ihrer materiellen Abhängigkeit von den Eltern erleben sie, dass ihre <strong>Autonomie</strong>-<br />

Tendenzen von den Eltern missverstanden werden, so als würden sie sich über<br />

die Wünsche, Gebote, Regeln der Eltern hinwegsetzen und damit das Wohlwollen<br />

und die Liebe der Eltern verlieren. Diese Angst vor Liebesentzug bewirkt ein un-<br />

104 Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Absatz: Not an unseren Schulen.<br />

105 Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Absatz: Not an unseren Schulen.<br />

106 Vgl. Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Absatz: Ein unbewusstes <strong>Autonomie</strong>-Verbot.<br />

35


ewusst verankertes Abgrenzungsverbot, das ihr ganzes weiteres Leben bestimmt.<br />

Das Abgrenzungsverbot wirkt sich auch auf die Schüler -Lehrer-Beziehung aus, so<br />

als würde sich Selbstbestimmung über die Regeln und Leistungserwartungen der<br />

Lehrer hinwegsetzen und mit schlechten Noten und möglicherweise Mitteilungen<br />

an die Eltern bestraft werden. Somit hat der Schüler das unbewusst verankerte<br />

Gefühl, dass Selbstbestimmung nicht erwünscht, bzw. gänzlich verboten sei. In<br />

Folge entwickeln sich Schuldgefühle, Ängste (Schulangst, Angst vor Lehrern),<br />

Leistungsversagen, usw., die sich im Sinne der „Erlernten Hilflosigkeit“ 107 nach Seligmann<br />

in einem Teufelskreislauf verstärken können. Dr. Langlotz spricht in diesem<br />

Zusammenhang auch von einem „von der Schule besetzt sein“, 108 durch die<br />

Identifizierung der Schüler mit den fremden Erwartungen haben sie keine innere<br />

Freiheit mehr, sich auf ihr Hobby in der Freizeit zu freuen. Sie machen die Erfahrung,<br />

weder das Eine (Schule) noch das Andere (Hobby) richtig zu machen oder<br />

machen zu dürfen. Dadurch steigt das Gefühl der Unzufriedenheit und des hin und<br />

her gerissen seins. In Folge vertrödeln sie die Zeit und machen keines von Beidem,<br />

es stellt sich Resignation ein. Die Schüler versuchen die unausweichliche<br />

Spannung zu kompensieren, sie reagieren mit Überanpassung, werden destruktiv<br />

gegenüber sich oder anderen oder versuchen andere zu manipulieren und zu dominieren.<br />

Diese Prozesse und die daraus resultierenden Verhaltensweisen sind in der Regel<br />

den Jugendlichen nicht bewusst, da das <strong>Autonomie</strong>-Verbot im emotionalen Gedächtnis<br />

gespeichert ist. Die das Verbot auslösenden frühen traumatischen Beziehungserfahrungen<br />

sind damit der Erinnerung nicht direkt zugänglich.<br />

Anhand des <strong>Training</strong>s sollen diese Prozesse sichtbar gemacht und eine Lösungsmöglichkeit<br />

bereitgestellt werden.<br />

Das <strong>Training</strong> besteht aus einer Aufstellung, vereinfacht gesagt einer Art Rollenspiel,<br />

die ein Schüler oder eine Schülerin initiiert und an dessen Ende als Intervention<br />

ein Ritual stattfindet. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass Jungendliche im<br />

Schulkontext in vielen Fällen ähnliche Probleme haben:<br />

Konflikte mit einzelnen Lehrern<br />

Desinteresse oder Unlust an einem bestimmten Fach<br />

107 Vgl. Myers, David G.: Psychologie, S. 621.<br />

108 Zitat stammt aus der Niederschrift des Autors vom Projekttag.<br />

36


Konflikte mit Mitschülern<br />

Für diese Themen lässt sich das <strong>Training</strong> auf ein Grundmuster mit acht Schritten<br />

zurückführen, welche hintereinander ausgeführt werden:<br />

Die acht Schritte des <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>s:<br />

(Zur einfacheren Beschreibung des AT verwende ich für diejenige Person, die das<br />

AT durchführt, anstelle des Begriffes Schüler oder Schülerin zukünftig den Begriff<br />

Klient, der beides einschließen soll.)<br />

1) Die Anliegen-Abklärung:<br />

Hat sich ein Klient auf freiwilliger Basis für die Bearbeitung seines oder<br />

eines seiner Probleme im Schulkontext bereiterklärt beginnt die Anliegen-Abklärung.<br />

Der Klient benennt einerseits sein Problem mit Lehrer,<br />

Fach, Mitschüler und andererseits den Bereich, in dem er sein freies unbeschwertes<br />

Selbst kennen gelernt hat, z.B. ein Hobby in der Freizeit.<br />

Danach sucht es sich aus der Runde der Mitschüler einen Stellvertreter<br />

für das Problem und einen Stellvertreter für seinen Selbstanteil. Der<br />

Selbstanteil wird benannt als „der Teil von dir, der sich frei und ungebunden<br />

fühlt, Spaß haben darf und Zeit für sein Hobby hat“. Will der Klient<br />

sein Problem nicht direkt benennen, weil er Angst oder Scham verspürt,<br />

so kann das <strong>Training</strong> auch verdeckt durchgeführt werden, was bedeutet,<br />

dass der Stellvertreter die Bezeichnung das Problem erhält, ohne es genauer<br />

zu spezifizieren.<br />

2) Das Aufstellungsbild:<br />

Der Klient stellt nacheinander die Stellvertreter für das Problem, für sein<br />

Selbst und zuletzt sich selber im Raum (Fläche innerhalb des Sitz-<br />

Kreises) auf, so wie er meint, dass die Personen in Beziehung stehen.<br />

Das Aufstellen geschieht nach dem Gefühl, es soll nicht rational bedacht<br />

oder erklärt werden.<br />

In dem Aufstellungsbild geben Entfernungen, Körperhaltungen und Blickrichtungen<br />

einen ersten Aufschluss über mögliche Beziehungsmuster.<br />

Zum Beispiel stehen sich der Klient und der Stellvertreter des Problems<br />

37


gegenüber, in kurzem Abstand, und in weiterer Entfernung steht der Vertreter<br />

des Selbst-Anteils.<br />

3) Die Beziehungsklärung:<br />

Die an der Aufstellung beteiligten Personen erklären, wie sie sich an den<br />

Plätzen fühlen. Dadurch werden qualitative und quantitative Merkmale<br />

der Beziehung offensichtlich. Ist das Selbst des Klienten von diesem in<br />

einiger Entfernung, verbalisiert der Trainer diesen Abstand, der für das<br />

<strong>Autonomie</strong>bestreben hinderlich ist. Ein kurzer oder extrem großer Abstand<br />

zwischen Klient und Problem bedeutet in der Regel mangelnde<br />

Abgrenzung, bzw. Überabgrenzung des Klienten.<br />

Als Symbol für einen gesunden Abstand zum Problem legt der Trainer<br />

zwischen Klient und dem Stellvertreter für das Problem einen Schal als<br />

optische Grenze. Die Personen dürfen jetzt äußern, ob dies bereits eine<br />

Gefühls-Veränderung für sie bewirkt.<br />

4) Die Identifizierung mit dem Gegenüber:<br />

Der Trainer weist den Klient darauf hin, dass er möglicherweise dem<br />

Problem zu viel Beachtung geschenkt hat, sich vielleicht sogar mit diesem<br />

identifiziert. Zur Überprüfung stellt sich der Klient auf den Platz des<br />

Problems und fühlt, ob er sich dort auskennt, ob er sich beispielsweise in<br />

den schwierigen Lehrer hineinversetzt hat, um ihn besser zu verstehen,<br />

oder meint es an seiner Stelle viel besser machen zu können. Meist ist<br />

dies der Fall, der Klient hat dem Problem mehr Raum und Aufmerksamkeit<br />

gegeben, als sich selber. Der Trainer ermutigt den Klienten, aus dieser<br />

Situation auszusteigen und wieder auf seine Seite der Grenze zu gehen.<br />

5) Das Rückgaberitual:<br />

Der Klient bekommt einen Rucksack, der symbolisch mit den Dingen gefüllt<br />

wird, die nicht zum Klienten gehören sondern zum belastenden Problem<br />

und mit denen er sich identifiziert hat, z.B. der Einstellung oder die<br />

wertende Meinung eines Lehrers über den Klienten.<br />

38


Der Trainer gibt passende Lösungssätze 109 vor, wie z.B.:<br />

„Ich bin ich und du bist du“.<br />

„Ich bin vollständig ohne dich und du bist vollständig ohne mich“.<br />

„Ich habe meine Art und du hast deine Art und meine kann ganz anders<br />

ausschauen als deine“.<br />

Danach wird symbolisch der Rucksack vom Klienten an das Problem zurückgegeben,<br />

zusammen mit den Worten: „Was nicht zu mir gehört lasse<br />

ich ab jetzt wieder bei dir.“ Im Anschluss äußert der Klient wieder seine<br />

Gefühle – meist ist eine deutliche Erleichterung zu vernehmen. Manchmal<br />

ist die Rückgabe jedoch auch nicht gleich möglich, der Klient verspürt<br />

ein unbewusstes Verbot, das Abgrenzungs- oder <strong>Autonomie</strong>-<br />

Verbot. Wenn das der Fall ist, ermutigt der Trainer den Klienten sich bewusst<br />

über das Verbot hinwegzusetzen. Die so gewonnene Erfahrung<br />

von Freiheit und Selbstwirksamkeit ist in der Lage, das im Unterbewusstsein<br />

verankerte Abgrenzungsverbot zu löschen.<br />

6) Die Annäherung an das Selbst:<br />

Ist der Rucksack symbolisch für das Übernommene an den Stellvertreter<br />

des Problems zurückgegeben, ist meist auch der Stellvertreter für den<br />

Selbstanteil erleichtert und Klient und Selbstanteil können sich annähern.<br />

Der Klient fühlt dabei wie er Kraft und Energie erhält. Auch eine spontane<br />

Umarmung des Klienten mit seinem Selbstanteil wäre möglich.<br />

7) Das Abgrenzungsritual:<br />

Damit aber ein <strong>Autonomie</strong>-Zuwachs bei dem Klienten stattfinden kann,<br />

ist es wesentlich, dass dieser seinen eigenen geschützten Raum hat.<br />

Einen Raum der nur ihm zusteht und ihm eine gesunde Distanz zum<br />

Problem ermöglicht. Erst dann ist eine freie Wahl, bzw. eine selbstbestimmte<br />

Entscheidung möglich. Dieser Raum muss jedoch gegenüber<br />

Fremden geschützt oder gar verteidigt werden, das sogenannte "Testen<br />

der Grenze" 110 .<br />

109 Vgl. Langlotz, Ero: Systemisches <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> [1], Kapitel: <strong>Training</strong>s-Prozess.<br />

110 Zitat stammt aus der Niederschrift des Autors vom Projekttag.<br />

39


In einem symbolischen Abgrenzungsritual geht der Stellvertreter des<br />

Problems auf die Grenze des Klienten zu, in der Absicht diese zu überschreiten.<br />

Der Klient darf mit seinen Händen den Gegenüber an dessen<br />

Schultern zurückschieben und an der Grenzüberschreitung hindern. Er<br />

kann dies auch verbal mit einem „Stopp“ oder „Nein“ unterstreichen.<br />

Auch hier macht sich manchmal das Abgrenzungsverbot bemerkbar, z.B.<br />

die Angst, den anderen zu berühren oder zu verletzen. Der Trainer weist<br />

darauf hin, dass es sich um eine symbolische Ebene handelt und nicht<br />

um das Abreagieren von Wut. Trotzdem ist es wichtig, dass der Klient<br />

seine volle Kraft einsetzt, um die Entfaltung der konstruktiven Aggression<br />

körperlich zu erfahren. Wählt der Klient zusätzlich für sich ein Krafttier<br />

(schamanischer Aspekt) so kann dies den Abgrenzungs-Prozess unterstützen.<br />

8) Die Gegenabgrenzung:<br />

Das Problem, z.B. in Form eines Lehrers, hat jedoch auch einen eigenen<br />

geschützten Raum, der wiederum vom Klienten nicht überschritten werden<br />

darf. Das Abgrenzungsritual wird nun andersherum durchgeführt:<br />

Der Klient versucht die Grenze des Problems zu betreten und der Stellvertreter<br />

des Problems darf ihn daran hindern.<br />

Die Gegenabgrenzung ist wichtig, damit der Klient erkennt, dass nicht<br />

nur er selbstbestimmt agieren darf, sondern auch alle anderen Menschen<br />

in seinem schulischen und privaten Umfeld ein Recht auf <strong>Autonomie</strong>, auf<br />

einen eigenen geschützten Raum haben. Durch gegenseitigen Respekt<br />

entsteht ein Klima gegenseitiger Achtung und eine Balance selbstbestimmten<br />

Lebens.<br />

Dem Klienten wird dann noch etwas Zeit gegeben, damit die Situation<br />

auf ihn wirken kann und zuletzt fragt der Trainer, wie sich „das jetzt anfühlt“<br />

und auch der Stellvertreter für den Selbst-Anteil kann noch etwas<br />

dazu sagen und seine Gefühle äußern. Meist sind es Worte des Wohlbefindens,<br />

voller Tatendrang und Energie, es kann aber auch zu überraschenden<br />

Einsichten kommen, „aha genau, der Lehrer hat ja auch<br />

einen eigenen Raum...“.<br />

40


Im Anschluss entlässt der Klient die Stellvertreter wieder aus ihren Rollen,<br />

damit diese wieder in ihre eigenen Gefühle zurück finden. Zu diesem<br />

Zweck werden meist die Worte, „vielen Dank, du bist jetzt wieder der ...,<br />

oder die ...“, gesprochen.<br />

Damit ist der zentrale Prozess des AT beendet. Die dargestellten Schritte sind ein<br />

mögliches Raster, an welches sich der Trainer halten kann. Bedingt durch die vielen<br />

unbekannten Faktoren, die nicht geplant werden können, sind Abweichungen<br />

im Prozess wahrscheinlich und vom Trainer individuell und intuitiv zu berücksichtigen:<br />

Gefühle und Gefühlsäußerungen können unterschiedlichster Art sein,<br />

beeinflussen aber maßgeblich den Aufstellungsprozess<br />

Es geht um andere Probleme, als die oben angesprochenen Hauptthemen<br />

Es werden noch weitere Stellvertreter aufgestellt, wenn z.B. das Problem<br />

gesplittet werden muss oder mehr als ein Selbst-Anteil betroffen<br />

ist<br />

Wichtig und unverzichtbar in jedem AT ist jedoch das Rückgabe-Ritual, die Verbindung<br />

mit dem Selbstanteil und das Abgrenzungs- sowie Gegenabgrenzungs-<br />

Ritual.<br />

Die positive Wirkung des AT auf die Schüler kann sich unterschiedlich entfalten<br />

(diese Erkenntnisse stammen aus der jahrelangen Erfahrung von Dr. Langlotz mit<br />

der Systemischen Selbstintegration®):<br />

Bei vielen Teilnehmern kommt es nach der Durchführung zu einem spontanen<br />

<strong>Autonomie</strong>-Zuwachs, der sich jedoch im Anschluss bei Einigen wieder verringert.<br />

Im Ergebnis ist das <strong>Autonomie</strong>-Niveau allerdings höher als ursprünglich.<br />

Es kann aber auch zu einer Erstverschlechterung führen und die positive Wirkung<br />

des <strong>Autonomie</strong>-Zuwachses entwickelt sich erst im Laufe einiger Tage oder sogar<br />

Wochen.<br />

Bei einigen Wenigen ist es möglich, dass das einmalige Durchführen des AT nicht<br />

ausreicht, insbesondere dann, wenn die Beziehungsmuster aus der frühen Kind-<br />

41


heit massiv gestört sind. Dann ist unbedingt eine längerfristige therapeutische Betreuung<br />

anzuraten.<br />

Aus den Erfahrungen der Systemischen Selbst-Integration® hat sich gezeigt, dass<br />

sich auch eine Wirkung in Teilnehmern entfalten kann, die selber keinen eigenen<br />

AT-Prozess durchgeführt haben. Durch das Zuschauen oder die Übernahme einer<br />

Rolle als Stellvertreter werden oft auch eigene Gefühle geweckt und angesprochen.<br />

Beurteilung der <strong>Autonomie</strong>-Veränderung<br />

Zur Beurteilung der <strong>Autonomie</strong>-Veränderung hat Dr. Langlotz einen <strong>Autonomie</strong>-<br />

Fragebogen 111 entwickelt, der von den Teilnehmern zweimal beantwortet wird, zu<br />

Beginn und am Ende des AT-Projekts. Die Werte aus dem Fragebogen werden<br />

vom <strong>Autonomie</strong>-Trainer zur visuellen Veranschaulichung in das <strong>Autonomie</strong>-<br />

Diagramm 112 eingetragen. Das Diagramm ist als Information und Feedback für<br />

den Trainer und den Klienten konzipiert. Der Fragebogen und das Diagramm sind<br />

auf S. 23 bis 25 abgebildet. Laut Dr. Langlotz wird es in Kürze auch eine Online-<br />

Version des Fragebogens mit automatischer Generierung des Diagramms geben.<br />

Bei der praktischen Durchführung des AT-Projekts hat sich jedoch gezeigt, dass<br />

der Fragebogen, der ursprünglich für Erwachsene entwickelt wurde, für 11- und<br />

12-jährige vermutlich zu komplex ist und daher Aussagen nur mit Einschränkung<br />

möglich ist.<br />

In dem Fragebogen werden, entsprechend dem skizzierten systemischen Verständnis<br />

des Symbiose-Komplexes, zu sechs Teilbereichen jeweils acht Fragen<br />

gestellt. Die Bereiche A bis C beziehen sich auf den <strong>Autonomie</strong>-Aspekt, die Bereiche<br />

C bis F auf den kompensatorischen destruktiven Aspekt. Die erzielten Punkte<br />

werden addiert und als Summe dem entsprechenden Bereich zugeordnet.<br />

Die ersten drei Merkmale befinden sich im Diagramm in der oberen Hälfte.<br />

Je höher der Wert auf der Skala von 1 bis 30 ausfällt, umso besser ist die <strong>Autonomie</strong><br />

entwickelt:<br />

111 http://www.e-r-langlotz.de/download/<strong>Autonomie</strong>Fragebogen.pdf<br />

112 http://www.e-r-langlotz.de/download/<strong>Autonomie</strong>Diagramm.pdf<br />

42


A) Abgrenzung gegenüber Fremdem:<br />

D.h. gesunde Distanz zum Gegenüber, ich kann bei Kritik und in Konflikten<br />

ruhig und sachlich argumentieren, ich kann „nein“ sagen, ...<br />

B) Verbindung mit dem Eigenen:<br />

D.h. ich kenne meine Gefühle, meine Wünsche und kann diese auf angemessene<br />

Weise ausdrücken und verwirklichen, ...<br />

C) Integration aggressiver Impulse:<br />

D.h. Aggressivität als gesunde Kraft und Energie, ich kann Ärger konstruktiv<br />

ausdrücken, auf Menschen und Probleme aktiv zugehen, ...<br />

Die Bereiche D, E und F können als kompensatorische Verhaltensmuster bei<br />

eingeschränkter Entwicklung der <strong>Autonomie</strong>-Aspekte A bis C verstanden<br />

werden. Je höher deren Wert auf der Skala von 1 bis 30 ausfällt, umso ausgeprägter<br />

ist das destruktive Verhalten.<br />

D) Überabgrenzung:<br />

D.h. Verweigerung, offener Widerstand oder Kontaktabbruch bei Konflikten,<br />

...<br />

E) Dominanz:<br />

D.h. Tendenz, andere zu manipulieren und von mir abhängig zu machen, ...<br />

F) Destruktion:<br />

D.h. negative, zerstörerische Aggression gegenüber Sachen, anderen oder<br />

der eigenen Personen, ...<br />

Die Werte der sechs Bereiche werden im Diagramm in den sechs Skalen eingetragen<br />

und mit einer kreisähnlichen Linie verbunden. Das Volumen und die Form<br />

der eingeschlossenen Fläche ermöglichen eine quantitative und qualitative Aus-<br />

43


sage über den <strong>Autonomie</strong>-Zustand des Jugendlichen. Nach dem <strong>Training</strong> wird der<br />

Fragebogen erneut beantwortet und in dasselbe Diagramm eingetragen, wodurch<br />

sich <strong>Autonomie</strong>-Veränderungen bildlich darstellen lassen.<br />

Abbildung 2: Fragebogen Seite 1: http://www.e-r-langlotz.de/download/<strong>Autonomie</strong>Fragebogen.pdf<br />

44


Abbildung 3: Fragebogen Seite 2: http://www.e-r-langlotz.de/download/<strong>Autonomie</strong>Fragebogen.pdf<br />

45


Abbildung 4: <strong>Autonomie</strong>-Diagramm: http://www.e-r-langlotz.de/download/<strong>Autonomie</strong>Diagramm.pdf<br />

46


4 Praxis-Projekt: 6. Klasse der Städtischen Helen-Keller-<br />

Realschule<br />

Anmerkung des Autors:<br />

Ab diesem Kapitel stammen alle Zitate, sofern diese nicht ausdrücklich durch eine<br />

Fußnote gekennzeichnet sind, aus der Niederschrift des Autors am Projekttag.<br />

Herr Peter Schricker, Mitarbeiter des Pädagogischen Institutes der Landeshauptstadt<br />

München, verschickte im Frühjahr 2011 ein Rundschreiben an alle Städtischen<br />

Schulen in München, in dem er das AT-Projekt für Schulklassen anbot. Daraufhin<br />

meldeten sich drei interessierte Realschulen, darunter die Helen-Keller-<br />

Realschule.<br />

Die Klasse 6 b wurde von der Klassenlehrerin als eine Problemklasse beschrieben:<br />

Niedriges Leistungsniveau, wiederholt Konflikte zwischen Schülern innerhalb<br />

der Klasse, aber auch aufreibende Konflikte zwischen Schülern und mehreren<br />

Lehrern. In der ersten Hälfte des Schuljahres wurde eine Schülerin gemobbt und<br />

von den Eltern schließlich aus der Klasse und von der Schule genommen. Hinzu<br />

kommt, dass für die Jugendlichen, die sich in der Altersspanne von 11 bis 14 Jahren<br />

befanden, die schwierige Phase der Pubertät begann oder bereits begonnen<br />

hatte. Es ist noch zu erwähnen, dass es sich bei der Klasse um eine gebundene<br />

Ganztagesklasse handelte, die insgesamt aus 31 Schülern bestand, davon 14<br />

Mädchen und 17 Jungen. Am Projekttag waren ein Mädchen und ein Junge abwesend.<br />

4.1 Vorbereitungsphase<br />

Bei dem AT an der Helen-Keller-Realschule handelt es sich um ein Pilotprojekt,<br />

welches bisher noch an keiner Schule durchgeführt wurde. Auch in diesem Kontext<br />

mit Jugendlichen im Alter von 11 bis 14 Jahren zu arbeiten ist, soweit mir bekannt,<br />

neu. Der therapeutische Hintergrund des <strong>Training</strong>s und die langjährige Erfahrung<br />

von Dr. Langlotz mit der Systemischen Selbst-Integration gebietet eine<br />

ausführliche Aufklärung aller, am <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> mittelbar und unmittelbar<br />

47


Beteiligten. Therapeutische Arbeit bedingt für die Teilnehmer ein Potential zur<br />

Verhaltens-Änderung, mithin auch ein Risiko zu auf den ersten Blick unerwünschter<br />

Veränderung. Auch wenn dies beim AT nur in geringem Umfang besteht, so<br />

sollten doch auch Eltern, Lehrer und Schulleitung in einem gewissen Maß informiert<br />

sein:<br />

Zu diesem Zweck erhielten die Eltern einen knappen Monat vor Durchführung<br />

folgenden Elternbrief: 113<br />

Abbildung 5: Text des Elternbriefs<br />

• Der Elternbrief war verbunden mit der Einladung zu einem Informations-Elternabend,<br />

den Dr. Langlotz am 19.7., eine Woche vor dem Projekttag,<br />

hielt.<br />

113 Mit Einwilligung der Schul- und Klassenleitung - es ist nur der Text wiedergegeben.<br />

48


Es erschienen die Eltern von fünf Schülern, davon zwei Mütter, die ihre<br />

Töchter dabei hatten, eine weitere Mutter, ein Vater und ein Elternpaar.<br />

Weiterhin waren die Trainer, Hospitanten und die Klassenlehrerin<br />

anwesend. In einer Begrüßungsrunde wurden seitens der Eltern<br />

folgende Probleme angesprochen:<br />

o Mangelndes Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein<br />

bei den Mädchen<br />

o Respektlosigkeit der Schüler/Innen gegenüber den Lehrkräften<br />

o Aggression innerhalb der Klasse<br />

o Verhalten eines Schülers aufgrund familiärer Probleme (leiblicher<br />

Vater verstorben)<br />

Einleitend erläuterte Dr. Langlotz das Phänomen <strong>Autonomie</strong> am Beispiel<br />

des blinden und tauben amerikanischen Mädchens Helen Keller,<br />

deren Namen sich die Schule gegeben hat. Er erklärte den Zuhörenden,<br />

dass der Selbstbestimmungswille in jedem Kind und Jugendlichen<br />

vorhanden ist und nach Ausdruck verlangt.<br />

Für die beispielhafte Durchführung eines <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>s meldete<br />

sich eine Mutter, die gerne ein Anliegen aufstellen wollte: Drohender<br />

Burn-out aufgrund von familiären Problemen. Anhand des Ablaufs<br />

erläuterte Dr. Langlotz den anwesenden Eltern die zentralen Punkte<br />

des AT.<br />

Kritische Fragen seitens der Eltern wurden kaum geäußert:<br />

„Ob die Kinder das Vorgehen und die Sprache überhaupt verstehen?"<br />

Die Frage wurde an die zwei anwesenden Mädchen weiter gegeben,<br />

die darauf folgende Antwort gaben: „Es ist wichtig, an sich selbst zu<br />

glauben, das sollen wir lernen." Diese Antwort zeugt von tiefem Verständnis.<br />

„Was passiert, wenn die Kinder negative Erfahrungen machen, wenn<br />

es eine schlechte Wirkung hat. Wie wird damit umgegangen?"<br />

Um die Erfahrungen nachzubearbeiten wird es Anfang des darauffolgenden<br />

Schuljahres ein nochmaliges Treffen mit den Jugendlichen der<br />

Klasse geben, vielleicht im Rahmen eines Elternabends, um auch das<br />

Feedback der Eltern einholen zu können. Nach Langlotz ist jedoch zu<br />

49


erwarten, dass die Probleme bei Jugendlichen in dem entsprechenden<br />

Alter noch weniger komplex sind als bei Erwachsenen.<br />

Der Frage, ob „die Kinder mitmachen werden und sich auch öffnen",<br />

entgegnete Langlotz, dass dies „ein geschützter Raum sein wird mit<br />

einer Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und Unterstützung, der<br />

die besten Voraussetzungen dafür bietet, dass auch die ruhigeren<br />

Kinder zum Zuge kommen werden."<br />

Die Abschlussrunde ließ erkennen, dass die anwesenden Eltern dem<br />

AT mit einem positiven Gefühl und mit gespannter Erwartung gegenüber<br />

stehen.<br />

<br />

Einen Tag vor dem Elternabend fand am 18.7. auch ein Workshop für<br />

Lehrer der Schule statt. Die Teilnehmer waren zwei Lehrerinnen aus<br />

der Klasse 6 b, die Beratungslehrerinnen, das schuleigene Kriseninterventionsteam<br />

sowie interessierte Lehrer der Realschule.Nach der,<br />

dem Elternabend entsprechenden Einleitung über Helen Keller, erklärte<br />

Dr. Langlotz die grundlegenden Begrifflichkeiten. Dabei ergaben<br />

sich unter anderem bei den Lehrkräften folgende Fragen:<br />

o Lassen sich alle Probleme auf die fehlende Distanz verkürzen,<br />

gibt es keine anderen Ursachen?<br />

o Ist das <strong>Training</strong> nicht eine zu kurze Zeit für eine Verhaltensänderung?<br />

o Wo sind die Grenzen der <strong>Autonomie</strong>, dürfen die Schüler dann<br />

alles?<br />

o Wie kann ich als Lehrer in meiner täglichen Arbeit das AT einbringen?<br />

Tatsächlich lassen sich die allermeisten Probleme auf fehlende Distanz<br />

zurückführen, dies hat sich in der jahrelangen therapeutischen<br />

Arbeit von Dr. Langlotz herausgestellt. Man darf jedoch nicht vergessen,<br />

dass der Begriff der fehlenden Distanz komplex ist und mehrere<br />

Dimensionen beinhaltet.<br />

Obwohl ein einziger Tag für eine Verhaltensänderung durch das AT<br />

kurz ist, kann doch durch das Fühlen der Situation eine positive persönliche<br />

Erfahrung entstehen und durch das Bewusstwerden des Ab-<br />

50


grenzungs-Verbots dieses in einem einzigen Setting gelöst werden.<br />

<strong>Autonomie</strong> bedeutet nicht, dass ein Schüler alles machen darf. Jeder<br />

Mensch hat seinen autonomen, geschützten eigenen Raum. Aus der<br />

Erkenntnis, dass dies für jeden Menschen gilt, also auch für mein Gegenüber,<br />

ob Schüler oder Lehrer, erwächst der gegenseitige Respekt<br />

verbunden mit Achtung. Daher ist im AT neben dem Abgrenzungs-<br />

Ritual das Gegenabgrenzungs-Ritual von großer Bedeutung.<br />

Im täglichen Schul- und Unterrichtsalltag kann das Wissen um den<br />

geschützten eigenen Raum des Schülers und dem Bedürfnis nach<br />

Selbstbestimmung, dem Lehrer zu einer größeren Gelassenheit und<br />

zu mehr Verständnis gegenüber den Schülern verhelfen. Beispielsweise<br />

bei dem leidigen Thema der Hausaufgaben.<br />

Zur allgemeinen Veranschaulichung führte Dr. Langlotz eine <strong>Autonomie</strong>-Aufstellung<br />

mit einer Lehrerin durch, die als Anliegen „Probleme<br />

mit einem bestimmten Schüler" angab. Am Ende der Aufstellung äußerte<br />

die Lehrerin: „Gut, dass mir jemand von außen gesagt hat, dass<br />

ich auch zu diesem Schüler, trotz seines schweren Schicksals (Anmerkung:<br />

Der Vater des Jungen war vor gut einem Jahr gestorben),<br />

Distanz haben darf".<br />

In der Abschlussrunde kamen von Seiten der Lehrer verschiedene<br />

Feststellungen: Von skeptischen Äußerungen, „das kann ich mir für<br />

mich nicht vorstellen", „dazu denke ich zu rationalistisch", „ich glaube<br />

nicht, dass es für alle Probleme geeignet ist", über eher neutrale Aussagen:<br />

„Sehr neu, aber finde ich interessant", „warten wir mal die Entwicklung<br />

im nächsten Jahr ab". Zuletzt auch sehr positive Einstellungen<br />

gegenüber dem AT: „Guter Ansatz", „bringt was, kenne ich in ähnlicher<br />

Weise schon aus der Supervision" und „Aufstellungen kenne ich<br />

schon, den Übertrag auf <strong>Autonomie</strong> finde ich gut".<br />

<br />

Am Abend vor dem Projekttag fand die Einweisung der Trainer und<br />

Protokollanten statt. Die Trainer sind systemische Therapeuten mit<br />

einer zusätzlichen Ausbildung zur Systemischen Selbst-Integration bei<br />

Dr. Langlotz.<br />

51


4.2 Ablauf des Projekt-Tages<br />

Der Projekttag begann um 8 Uhr und endete ca. 15 Uhr.<br />

8:00 Uhr: Einführung und Fragebogen (1)<br />

Um 8 Uhr startete das Projekt für alle 28 Schüler, acht Trainer und acht Assistenten<br />

in dem Klassenzimmer mit einer Begrüßung durch den Schulleiter und die<br />

Klassenlehrerin.<br />

Dr. Langlotz stellte sich vor, als jemand, der sich seit Jahren mit Problemen von<br />

anderen Leuten beschäftigt, und dabei gelernt hat, dass es die unterschiedlichsten<br />

Problem gibt und wie man mit diesen umgehen kann, um zu einer Lösung zu<br />

gelangen. Er gab Beispiele für Probleme und fragte die Schüler welche Probleme<br />

sie kennen.<br />

Anschließend erzählte er die Geschichte der 3-jährigen Helen Keller: Diese hatte<br />

das Problem, dass sie nach einer Hirnhautentzündung weder sehen noch hören<br />

konnte und damit in ihrer <strong>Autonomie</strong>, d.h. in ihrer Fähigkeit sich mitzuteilen und<br />

Kontakt aufzunehmen, extrem beeinträchtigt war. Das löste bei ihr heftige destruktive<br />

Wutausbrüche aus. Helen’s Bestreben nach Selbstständigkeit war jedoch so<br />

stark, dass sie mit Hilfe einer Lehrerin ein Fingeralphabet lernte, mit dem sie sich<br />

endlich verständlich machen konnte. Ihr Glück war so groß, dass sie ihrer Lehrerin<br />

um den Hals fiel und diese küsste.<br />

Bei Helen Keller handelt es sich durch die körperliche Behinderung um ein außergewöhnliches<br />

Beispiel, doch auch ohne körperliche Behinderung gibt es Probleme,<br />

die die <strong>Autonomie</strong>-Entwicklung eines Jugendlichen beeinträchtigen können.<br />

Das <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> soll eine Hilfe sein, dass die Schüler/Innen mehr Selbständigkeit<br />

und Selbstbestimmung erlangen.<br />

Die Klasse wurde nun gebeten den <strong>Autonomie</strong>-Fragebogen auszufüllen. Dafür<br />

standen ca. 10 bis 14 Minuten zur Verfügung. Bei Unklarheiten durften Fragen gestellt<br />

werden. Ferner betonte Dr. Langlotz, dass es bei den Fragen keine richtigen<br />

und keine falschen Antworten gebe, sondern dass jeder nach seinem eigenen Gefühl<br />

ankreuzen solle. Die ausgefüllten Fragebögen wurden eingesammelt.<br />

Zur Demonstration des <strong>Training</strong>s führte Dr. Langlotz eine Aufstellung vor der kompletten<br />

Klasse durch: Ein Schüler stellte sich mit folgendem Problem zur Verfü-<br />

52


gung: "Ich mag Mathe nicht." Auf diese Aufstellung will ich hier nicht weiter eingehen,<br />

da im Kapitel 5.3 fünf <strong>Training</strong>s ausführlich dargestellt werden.<br />

9:00 Uhr: AT in den vier Kleingruppen<br />

Die Klassenlehrerin hat bereits eine Gruppenaufteilung vorbereitet: Die Klasse<br />

wird in vier Kleingruppen mit jeweils sieben Schülern aufgeteilt. Die Gruppeneinteilung<br />

wurde mit der Zielsetzung vorgenommen, dass die Jungendlichen in ihrer<br />

Gruppe möglichst unbefangen ihren Prozess durchführen können, d.h. dass keine<br />

gravierenden Konflikte untereinander vorliegen und das Temperament und Emotionalität<br />

in etwa kompatibel sind. Dadurch sollte vermieden werden, dass einzelne<br />

Jugendliche aufgrund von Gruppendruck vermeiden, selber ein AT durchzuführen.<br />

Es ergaben sich je eine reine Mädchen- und Jungengruppe sowie zwei gemischte<br />

Gruppen. In der reinen Jungengruppe waren die eher unruhigeren, extrovertierten<br />

und agileren Jugendlichen.<br />

Jede Gruppe wurde einem Team aus zwei Trainern und zwei Assistenten (Protokoll-Schreiber)<br />

zugeordnet. Die Gruppen arbeiteten in separaten Räumen. Nachdem<br />

sich die Personen in den einzelnen Gruppen in einer Vorstellungsrunde bekannt<br />

gemacht hatten, begannen die eigentlichen <strong>Training</strong>s-Prozesse. Die Trainer<br />

waren in ihren Gruppen in Bezug auf Zeiteinteilung und Pausen unabhängig.<br />

Fünf detaillierte <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>s sind im Punkt 6.3. dokumentiert.<br />

13:00 bis 13:45 Mittagspause<br />

13:45 bis 14:45 Fragebogen (2) mit Abschluss<br />

Wieder gemeinsam zurück im Klassenzimmer wurden die Schüler gebeten den<br />

Fragebogen erneut auszufüllen.<br />

Anschließend wurde die Klasse von Dr. Langlotz gefragt, wie ihnen das <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong><br />

gefallen hat, was sie gut fanden, was nicht und ob sich etwas für sie<br />

verändert hat.<br />

Es wurden folgende Feedbacks wörtlich wiedergegeben:<br />

„Ich konnte offen über meine Probleme reden, jetzt kann ich besser<br />

damit umgehen."<br />

„Hat mir Spaß gemacht."<br />

„Fand ich gut."<br />

53


„Ich habe gemerkt, dass ich Möglichkeiten habe, um meine Probleme<br />

zu verbessern."<br />

Aber auch kritische Anmerkungen wurden von den Jugendlichen gemacht:<br />

„Ich fand doof, dass die zwei Lehrkräfte immer wieder reingekommen<br />

sind."<br />

„Wir haben immer das Gleiche gemacht, das war ein bisschen langweilig."<br />

Auffallend war, dass das <strong>Training</strong> durch die Bank positiv aufgenommen<br />

wurde. Alle Jugendlichen haben interessiert und aktiv mitgearbeitet.<br />

Ab 14:45 Nachbesprechung der Trainer und Assistenten<br />

In der Nachbesprechung wurden Besonderheiten, die Trainer oder Assistenten in<br />

den einzelnen Gruppen beobachtet haben, wiedergegeben:<br />

Die Gruppen haben unterschiedlich lange Anlaufzeiten benötigt. In der Jungen-<br />

Gruppe hat erst jeder zurückhaltend gearbeitet, dann wurden auch Gefühle geäußert.<br />

Die Mädchen-Gruppe hat dagegen schnell gemerkt, dass es um Gefühle<br />

geht und auch bestätigt, „dass es gut tut, wenn man über Gefühle sprechen kann."<br />

In einer Gruppe wurde ein <strong>Training</strong> zu Mobbing durchgeführt. Auch bei diesem<br />

schwierigen Thema hat die Gruppe intensiv gearbeitet. Der Stellvertreter für das<br />

Mobbing war offensichtlich stark emotional angesprochen. Im Anschluss an dieses<br />

AT, welches gegen Mitte des Vormittages stattfand, beobachteten die Trainer eine<br />

wesentlich bessere Kooperation zwischen den Jungen und den Mädchen in dieser<br />

Gruppe.<br />

Ferner fiel auf, dass für den Schulunterricht, trotz des Themas eigene <strong>Autonomie</strong>,<br />

bei den Jugendlichen ein starker Wunsch nach klaren Regeln, Abgrenzung durch<br />

die Lehrkräfte und sogar nach Strafen besteht.<br />

Bemerkenswert war auch die Aufstellung eines sehr introvertierten Jungen, der<br />

sich nicht traute, sein Problem oder Anliegen zu benennen. Es hat sich gezeigt,<br />

dass es auch möglich ist, mit dem Positiven, das, was er gerne macht, zu beginnen<br />

und dann im zweiten Schritt nachzufragen, was ihn möglicherweise bremst<br />

oder daran hindert. Prinzipiell muss jedoch darauf geachtet werden, dass das AT<br />

freiwillig ist, niemand muss aufstellen.<br />

Auch formale Bedingungen wurden angesprochen. So war für einige Jugendliche<br />

die Zeit des AT zu lange, die Konzentration konnte nicht den ganzen Vormittag<br />

54


aufrechterhalten werden. Mehr Pausen und mehr Zeit für die Aufstellungen wären<br />

produktiver gewesen. Dagegen kann die Gruppenstärke durchaus auf acht bis<br />

zehn Schüler erhöht werden, da nicht notwendigerweise jeder Jugendliche ein AT<br />

selber durchführen möchte und auch nicht muss.<br />

Die einhellige Meinung aller beteiligten Therapeuten war, dass die Jugendlichen<br />

aller Gruppen interessiert, ernsthaft und unvoreingenommen mitgearbeitet und die<br />

Aufstellungen ihrer Klassenkameraden unterstützt haben. Im Laufe des Vormittags<br />

nahmen auch bei den gemischt zusammengesetzten Gruppen die emotionale Beteiligung<br />

und die Kooperation zwischen Mädchen und Jugendlichen zu.<br />

4.3 <strong>Training</strong>sdokumentationen von fünf Schülern<br />

Von den 28 anwesenden Schülern haben am Projekttag 24 ein AT durchgeführt.<br />

Ich war nacheinander in allen vier Kleingruppen und habe jeweils ein bis zwei<br />

<strong>Training</strong>s beobachtet und protokolliert. In den fünf Fall-Dokumentationen habe ich<br />

teilweise auf die Protokolle der Assistenten zurückgegriffen oder meine Protokolle<br />

ergänzt. Zum jetzigen Zeitpunkt standen mir insgesamt die Protokolle von 19 AT’s<br />

zur Verfügung.<br />

Beispielhaft habe ich aus den drei Themen-Bereichen, für die das AT schwerpunktmäßig<br />

vorgesehen ist die ersten vier Fälle ausgewählt:<br />

Beispiel 1: Probleme mit einem Fach oder der Schule allgemein – wurde insgesamt<br />

3 x durchgeführt<br />

Dieses AT wurde von Dr. Langlotz in der Einführungs-Phase mit einem Schüler<br />

durchgeführt und gibt den gewünschten Prozess-Ablauf am exaktesten wieder.<br />

Beispiel 2: Problem mit einem Lehrer – wurde insgesamt 6 x durchgeführt<br />

Beispiel 3: Konflikte mit Mitschülern – wurde insgesamt 3 x durchgeführt<br />

Beispiel 4: Konflikte mit Mitschülern: Mobbing<br />

Darüber hinaus sind noch 6 andersartige Themen als Anliegen gewählt worden.<br />

Aufgrund der Häufigkeit und des etwas anderen Prozess-Verlaufs habe ich folgendes<br />

Beispiel angeführt:<br />

Beispiel 5: Konflikt mit Bruder – wurde insgesamt 3 x durchgeführt<br />

Weitere Anliegen sind: Unleserliche Schrift, Wohnortwechsel, Liebeskummer als<br />

verdeckte Aufstellung.<br />

55


Um die Anonymität der Schüler zu gewährleisten, entsprechen die als Abkürzung<br />

verwendeten Großbuchstaben nicht deren Namen.<br />

Obwohl die Diagramme nur bedingt aussagekräftig sind (siehe Kapitel 7: Fazit<br />

Dr. Langlotz), so habe ich sie doch der Vollständigkeit halber bei jedem Beispiel<br />

mit angeführt.<br />

Beispiel 1:<br />

Thema: Probleme mit einem Fach<br />

(Einführungsbeispiel von Dr. Langlotz vor der ganzen Klasse)<br />

Anliegen des Schülers D:<br />

Der Schüler M hat Probleme mit dem Fach Mathe.<br />

Frei fühlt er sich, wenn er Basketball spielt.<br />

Die Schüler D wählt folgende Stellvertreter:<br />

M: Fach Mathe<br />

S: Basketball als das freie Selbst<br />

Prozess:<br />

[Aufstellungsbild:]<br />

D steht leicht nach hinten versetzt rechts neben M (Mathe).<br />

Beide schauen auf das weit entferne S (Basketball).<br />

[Beziehungsklärung:]<br />

Trainer (zukünftige Abkürzung: T): „Das Problem ist zu dicht bei dir, dann geht das Lernen mit<br />

Mathe nicht gut. Besser ist ein gesunder Abstand."<br />

T legt einen Schal als symbolische Grenze zwischen D und M.<br />

T: „Wie geht’s dir jetzt?"<br />

D: „Mir geht’s besser."<br />

[Identifizierung mit dem Gegenüber:]<br />

T bittet D, sich auf M’s Platz zu stellen und fragt D wie er sich dort fühlt.<br />

D: „Hier fühle ich mich gar nicht gut, nur Druck, das kenne ich."<br />

T: „Das ist auch nicht dein Platz! Das bist ja gar nicht du. Aber du kannst da aussteigen, wenn du<br />

willst."<br />

D steigt wieder auf seine Seite des Schals.<br />

56


T schlägt folgenden Satz vor: „Du bist du und ich bin D, ich bin vollständig auch ohne dich."<br />

D spricht den Satz nach.<br />

[Rückgaberitual:]<br />

T gibt D einen Rucksack in die Hände mit den Worten: „Der Druck, das Schwere, das nicht zu dir<br />

gehört ist in dem Rucksack, das kannst du jetzt bei Mathe lassen."<br />

D gibt den Rucksack an M.<br />

D: „Ich fühle mich freier!"<br />

[Verbindung mit dem Selbst:]<br />

T: „Schau mal, ob du jetzt nicht mehr Verbindung mit deinem freien Selbstanteil, das gerne Basketball<br />

spielt, aufnehmen möchtest? Oder findest du es gefährlich?"<br />

D geht zu S.<br />

D: „Ja, das finde ich schon gefährlich. Dann spiele ich nur noch Basketball und mach kein Mathe<br />

mehr."<br />

T: „Das ist ein Irrtum, im Gegenteil, wenn du mehr Spaß am Basketball hast und dich dann Mathe<br />

zuwendest, dann ist Mathe nicht mehr so übermächtig."<br />

D verbindet sich mit S, sie stehen nebeneinander und haben die Arme auf den Schultern.<br />

T: „Jetzt dreht euch mal zu Mathe."<br />

D und S wenden sich M zu.<br />

D: „Jetzt geht es mir mit Mathe gut."<br />

T: „Du brauchst gegenüber Mathe einen gesunden Abstand, damit du deinen eigenen Raum hast,<br />

in dem du mit dir selber verbunden sein kannst, mit dem was zu dir gehört. Das ist der D-Raum<br />

und wenn D drauf steht, sollte auch nur D drin sein - und nicht Mathe!"<br />

[Abgrenzungsritual:]<br />

T: „Kannst du deinen Raum schützen und Mathe auf einem gesunden Abstand halten? Mathe ist<br />

ja wichtig, aber es ist effektiv nicht D!"<br />

D versucht M auf Distanz zu halten. Der erste Versuch ist eher etwas zaghaft, so als ob es verboten<br />

wäre, im zweiten Versuch schiebt D M schon vor Übertritt der symbolischen Grenze energisch<br />

wieder zurück.<br />

57


<strong>Autonomie</strong>-Diagramm (aufgrund der zwei Fragebögen von dem Schüler D):<br />

Ergebnis:<br />

Das Diagramm zeigt einen deutlichen Zuwachs in den Bereichen A (Abgrenzung<br />

gegenüber Fremdem, B (Verbindung mit dem Eigenen), C (Integration der positiven<br />

Aggression) und eine positive Verminderung im Bereich F (Destruktion). D<br />

(Überabgrenzung) und E (Dominanz) und<br />

Dieses Beispiel ist typisch für das Dilemma, in dem sich die Jugendlichen oft in<br />

der Schule befinden: Die anfängliche Nähe zu Mathe drückt die fremdbestimmte<br />

Wichtigkeit dieses Fach aus, es nimmt einen großen Teil seines Raumes ein. Obwohl<br />

der Schüler sich auf dem Platz von Mathe schlecht fühlt sucht er doch unbewusst<br />

dessen Nähe, um die fremden Erwartungen zu erfüllen. Gleichzeitig ärgert<br />

es ihn, dass er so weit vom Basketball entfernt ist, wegen Mathe zu wenig Zeit dafür<br />

hat – eine Spirale der Hilflosigkeit. Durch selbstbestimmte Entscheidungen und<br />

aktive Handlungen im Rückgaberitual geht es ihm zunehmend besser: „Mir geht’s<br />

gut“, „ich fühl mich freier“, er erfährt Selbstwirksamkeit und bekommt mehr Distanz<br />

zu seinem Problem. Unterstützt durch seine Ressource, sein Selbst, verliert Mathe<br />

seine Bedrohlichkeit, er kann vielleicht sogar Spaß daran haben: „Jetzt geht es mir<br />

mit Mathe gut.“ Im Anschluss überwindet er im zweiten Versuch die letzte Hürde<br />

58


des Abgrenzungsverbots und schützt kraftvoll seine Grenze. Die Energie und<br />

Freude der neu gewonnenen Selbstbestimmung war ihm förmlich anzusehen. Sie<br />

spiegelt sich in diesem Fall auch entsprechend im <strong>Autonomie</strong>-Diagramm wieder.<br />

Abgesehen von der Tatsache, dass in dieser Aufstellung die umgekehrte Abgrenzung<br />

fehlt, finde ich den Verlauf dieses Prozesses sehr positiv: D hat durch eigene<br />

Entscheidungen und bewusste Handlungen im Rollenspiel seine Selbstwirksamkeit<br />

erfahren und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Mathe auch Spaß machen<br />

kann, genau wie Basketball.<br />

Beispiel 2: 114<br />

Thema: Konflikt mit einem Lehrer<br />

(Gemischte Gruppe mit Jungen und Mädchen)<br />

Anliegen des Schülers K:<br />

K hat einen Konflikt mit einem Lehrer.<br />

K stört dessen Gebrüll und die fehlende Kontrolle über die Klasse. Er hat Wut auf den Lehrer.<br />

Positiv ist für K das Handballspiel.<br />

Der Schüler K wählt folgende Stellvertreter:<br />

L: Lehrer<br />

S: Handball als das freie Selbst.<br />

Prozess:<br />

[Aufstellungsbild:]<br />

K und S schauen sich an, L steht im Rücken von K und schaut auf K.<br />

[Beziehungsklärung:]<br />

S: „Fühlt sich gut an."<br />

K: „Fühlt sich doof an, da L zu weit weg, aber im Rücken steht."<br />

L: „K soll ruhig sein, sich hinsetzen und ihn beachten."<br />

L verspürt Wut und schleudert seine Arme hin und her.<br />

Trainer (zukünftig abgekürzt: T) legt einen Schal als symbolische Grenze zwischen K und L<br />

K dreht sich zu L und sagt, es sei einfach besser, wenn da eine Art Mauer sei.<br />

T bittet K folgende Worte an L zu richten: „Ich bin K und Sie sind Herr ... . Ich habe meine Vorstellungen<br />

und Sie haben ihre."<br />

114 Große Teile des Protokolls wurden wortwörtlich von Herrn Peter Schricker (Protokollant bei diesem AT)<br />

übernommen.<br />

59


[Identifizierung mit dem Gegenüber:]<br />

T bittet K, sich auf L’s Platz zu stellen.<br />

K: „Der Lehrer sitzt im Schüler drin. Es fühlt sich doof an. Ich kenne das Gefühl, es ist als ob ich<br />

selbst Herr ... wär."<br />

K macht einen großen Schritt zurück über die Grenze in seinen Raum.<br />

K wiederholt: „Ich bin K und sie sind Herr ... . Ich habe meine Vorstellungen und sie haben ihre."<br />

[Rückgaberitual:]<br />

T gibt K den Rucksack in die Hand und fragt ihn, was denn in dem Rucksack drin sein soll.<br />

K: „Herrn ... Erwartungen, Vorstellungen und Unverständnis."<br />

K übergibt den Rucksack an L mit den Worten: "Ich will mich nicht in ihr Leben einmischen."<br />

L nimmt den Rucksack und sagt: „Er ist etwas freier, aber ich... ."<br />

K: „Ich fühl mich deutlich besser, ich kümmere mich um mich."<br />

[Verbindung mit dem Selbst:]<br />

K wendet sich S zu.<br />

K: „Fühlt sich besser an, jetzt habe ich meinen Spaß!"<br />

L: „Sieht besser aus."<br />

K ist bei weitem nicht mehr so nervös, wie während der gesamten Zeit zuvor.<br />

[Abgrenzungsritual:]<br />

L versucht K’s Grenze zu überschreiten und in seinen Raum einzudringen.<br />

K schiebt ihn zurück: „Stopp, das ist mein Leben. Kümmern sie sich um ihres. Lärm mache ich,<br />

wenn sie mich nicht in Ruhe lassen."<br />

[Gegenabgrenzung:]<br />

L setzt nun die Grenze und hält K von der Überschreitung ab.<br />

K akzeptiert die Grenze, die L setzt: „Das ist für mich so OK“.<br />

K: „Ich fühle mich deutlich besser, denn das Problem ist nicht mehr in meinem Kopf. Ich will nicht<br />

angebrüllt werden, [...]. Außerdem will ich etwas in Geschichte lernen."<br />

K ist nach diesen Worten deutlich ruhiger geworden als zuvor.<br />

60


<strong>Autonomie</strong>-Diagramm (aufgrund der zwei Fragebögen von der Schülerin K):<br />

Ergebnis:<br />

Das Diagramm zeigt einen Zuwachs im Bereich A (Abgrenzung gegenüber<br />

Fremdem) und im Bereich C (Gesunde, positive Aggression).<br />

Bei D (Überabgrenzung) und E (Dominanz) stellt sich dagegen eine Verschlechterung<br />

ein.<br />

Die anderen Merkmale sind annähernd unverändert geblieben.<br />

Das aus meiner Sicht Interessante an diesem Fall ist – ohne dass ich auf Details<br />

des Prozesses eingehen möchte – dass die anfängliche Aggression (Wut) und die<br />

Vorwürfe des Schülers gegenüber dem Lehrer – durch das AT – der Einsicht weichen:<br />

Ich kann den Lehrer nicht ändern. Aber wenn ich den Lehrer so akzeptiere<br />

wie er ist, kann ich besser bei mir bleiben, habe das „Problem aus meinem Kopf“<br />

und kann in Ruhe mein Eigenes machen, „Geschichte lernen“ und Spaß an Handball<br />

haben. Der Schüler hat dies so im Laufe seines Prozesses sehr deutlich zum<br />

Ausdruck gebracht.<br />

61


Beispiel 3: 115<br />

Thema: Schikane durch Mitschüler<br />

(Gemischte Gruppe mit Jungen und Mädchen)<br />

Anliegen der Schülerin V:<br />

Sie wird regelmäßig von zwei Schülern aus der Parallelklasse schikaniert. Sie nehmen ihr den<br />

Fahrradhelm weg, beleidigen und schlagen sie. Der Konflikt spielt sich immer an den Spinden ab.<br />

Positiv besetzt sind für V ihre Reitstunden.<br />

Die Schülerin V wählt folgende Stellvertreter:<br />

M: Der unangenehmere von den zwei Schülern, die V schikanieren.<br />

S: Schülerin für ihr Hobby, das Reiten, bei dem sie sich frei und unbeschwert fühlt.<br />

Prozess:<br />

[Aufstellungsbild:]<br />

V stellt S in großem Abstand hinter sich.<br />

V stellt M relativ nah neben sich: M schaut V nicht an, V schaut M nicht an.<br />

[Beziehungsklärung:]<br />

V: „Ich spüre Wut; M ist zu nah, ich kann aber nicht weg, ich fühle mich ohnmächtig."<br />

M: „Ich habe Spaß am Ärgern." Er rutscht unruhig hin und her.<br />

Trainer (zukünftig abgekürzt: T) legt einen Schal als symbolische Grenze zwischen V und<br />

V: „Ich fühle mich besser meine Wut wird weniger."<br />

M: „Jetzt kann ich sie nicht mehr ärgern."<br />

[Identifizierung mit dem Gegenüber:]<br />

T bittet V, sich auf M’s Platz zu stellen.<br />

Dort steht V mit sehr verkrampften Händen.<br />

M: „Geh weg, das ist nicht dein Platz."<br />

V wechselt auf ihren Platz zurück und entspannt sich.<br />

[Rückgaberitual:]<br />

T gibt V einen Rucksack, in den sie ihre Gefühle gegenüber M packen soll.<br />

V zu M: „Du hast mich so wütend gemacht, du hast mich so geärgert, du hast mich so verletzt."<br />

V will M den Rucksack geben, der weigert sich, ihn anzunehmen mit den Worten: „Der Rucksack<br />

ist zu schwer."<br />

115 Große Teile des Protokolls wurden wortwörtlich von Herrn Peter Schricker (Protokollant bei diesem<br />

AT) übernommen.<br />

62


T bittet V Folgendes zu M zu sagen: „Ich bin V und du bist M." [Es werden die kompletten Vornamen<br />

ausgesprochen]. Jetzt nimmt M den Rucksack resolut auf den Rücken und sagt: „Sie kann<br />

ihre Wut behalten."<br />

V zu M: „Ich habe dich viel zu nah an mich herangelassen."M wendet sich daraufhin angespannt<br />

ab.<br />

[Verbindung mit dem Selbst:]<br />

V geht auf R zu, die beiden umarmen sich und gehen dann an die symbolische Grenze (Schal).<br />

T nimmt für M ein Selbst aus dem Kreis der Schüler hinzu (= MS). [In diesem Punkt weicht der<br />

Trainer von den 8 Schritten (siehe Kapitel 5) des AT flexibel ab]. M legt daraufhin den Rucksack<br />

ab und fühlt sich besser.<br />

[Abgrenzungsritual:]<br />

R ist aufgerichtet, V wirkt lockerer als zu Beginn der Aufstellung.<br />

V schiebt M mäßig stark von ihrer Grenze zurück.<br />

T fordert V auf, M kräftiger zurückzuschieben, was sie daraufhin macht.<br />

[Gegenabgrenzung:]<br />

T fordert M auf, seinerseits V von seiner Grenze wegzuschieben. M überlässt das aber zunächst<br />

seinem Selbst (MS), im zweiten Versuch schiebt M selber V hinter die Grenze.<br />

M nimmt nun den Rucksack und stellt diesen in V’s geschützten Raum.<br />

Daraufhin nimmt V den Rucksack und stellt ihn in M’s Raum zurück.<br />

V und S stehen am Ende der Aufstellung beisammen, V wirkt unsicher, S wirkt kräftig.<br />

<strong>Autonomie</strong>-Diagramm (aufgrund der zwei Fragebögen von der Schülerin V):<br />

63


Ergebnis:<br />

Das Diagramm zeigt einen Zuwachs im Bereich C (Gesunde, positive Aggression)<br />

und ein Rückgang im Bereich F (Destruktive Aggression).<br />

Auch bei dieser Schülerin ist im Verlauf des <strong>Training</strong>s eine spürbare Erleichterung<br />

festzustellen. Trotzdem wirkt sie am Ende noch unsicher, die Lösung scheint noch<br />

nicht gänzlich gefunden. Vielleicht liegt dies an dem Rückgaberitual, in dem sie<br />

sich von den eigenen Gefühlen distanziert und nicht von dem Verhalten ihres Gegenübers.<br />

Interessant ist an diesem Setting, dass der Trainer auch ein Selbst für<br />

den schikanierenden Mitschüler dazu nimmt, da es diesem mit seinem eigenen<br />

Verhalten auch nicht gut geht.<br />

Beispiel 4: 116<br />

Thema: Mobbing<br />

(Gemischte Gruppe mit Jungen und Mädchen)<br />

Anliegen der Schülerin A:<br />

Ausgrenzung, weil sie es nicht erträgt, wenn andere ausgegrenzt und gemobbt werden.<br />

Die Schülerin A wählt folgende Stellvertreter:<br />

M: Mobbing, bzw. die Gruppe, die mobbt.<br />

S: Selbst<br />

Prozess:<br />

[Aufstellungsbild:]<br />

A stellt sich gleich weit entfernt von M und S, alle drei stehen auf einer Linie.<br />

[Beziehungsklärung:]<br />

Trainer (zukünftig abgekürzt: T): „Wie geht es dir mit dem Thema, der Mobbing-Gruppe?"<br />

A: „Nicht so gut. Ich spüre es hier (zeigt oberhalb Solarplexus bis Brustbein)."<br />

T legt einen Schal als symbolische Grenze zwischen A und M.<br />

A: „Ich spüre keinen Unterschied."<br />

116 Mein Protokoll wurde in einzelnen Punkten aus dem Protokoll von Heidemarie Herzog ergänzt.<br />

64


T: „Es ist vielleicht zu nah bei dir, aber du bist nicht Mobbing. Du kannst sagen: Du bist nicht ich,<br />

ich bin nicht du."<br />

A spricht den Satz nach und fühlt sich danach besser.<br />

[Identifizierung mit dem Gegenüber:]<br />

T bittet A, sich auf M’s Platz zu stellen.<br />

A wirkt dort sehr nervös. „Ich habe meinen eigenen Platz."<br />

Dem Stellvertreter für das Mobbing geht’s schlecht.<br />

T schlägt A einen Satz gegenüber M vor: „Du hast deine Strategie und deine Art wie du mit Menschen<br />

umgehst und ich habe meine. Und meine Art darf ganz anders sein als deine."<br />

A sagt den Satz und es ist gut so.<br />

T: „Womöglich hast du das Thema sehr weit in dich hereingelassen, um es zu verstehen, viel zu<br />

nah ans Herz genommen."<br />

[Rückgaberitual:]<br />

A gibt M symbolisch einen Rucksack zurück mit den Worten: „Vielleicht habe ich das alles zu sehr<br />

in mich hereingenommen, aber es gehört zu dir, ich lasse es ganz bei dir."<br />

T zu A: „Darfst du das, darfst du es zurückgeben?"<br />

A. „Ja."<br />

[Verbindung mit dem Selbst:]<br />

T zeigt auf das Selbst (S) und sagt zu A: „Das ist dein Selbst, der Teil von dir, dem es gut gehen<br />

darf, auch wenn es Mobbing in der Klasse gibt."<br />

A geht zum Selbst.<br />

A zu S: „Mit dir geht es mir gut und du bist auch nicht gefährlich, höchstens etwas heimlich." Sie<br />

lächelt. „Du gehörst zu mir und du bist mir wichtig. Ab jetzt kümmere ich mich um dich"<br />

T: „Vielleicht hast du M zu viel von deiner Kraft abgegeben. Hier bei deinem Selbst bekommst du<br />

sie zurück."<br />

A und S umarmen sich spontan zweimal und gehen dann gemeinsam zu M.<br />

A zu M: „Ich bin vollständig ohne dich und du bist vollständig ohne mich.“<br />

[Abgrenzungsritual:]<br />

T: „Es ist wichtig, dass du deinen eigenen geschützten Raum hast, dann kannst du gegenüber<br />

dem Problem die innere Distanz behalten. Bist du bereit deine Grenze zu schützen?"<br />

A bejaht.<br />

Beim ersten Versuch lässt A den Stellvertreter für M zu nah herankommen, so dass dieser fast<br />

den Schal als symbolische Grenze überschreitet.<br />

T: „Du darfst auch früher starten, dann kannst Du M besser aufhalten."<br />

Beim zweiten Versuch kann A den M auf Distanz halten.<br />

65


[Gegenabgrenzung:]<br />

Nun schützt M seine Grenze vor A.<br />

T: „Wie ist es, wenn jemand seine Grenze vor dir schützt?"<br />

A: „Es ist verständlich."<br />

A entlässt die Stellvertreter aus ihren Rollen.<br />

Anschließende Bemerkung:<br />

Die Schülerin A wurde im Laufe des Prozesses innerlich immer ruhiger.<br />

Die Gruppe der Jungen war wie gebannt und hat kein einziges Mal die Aufstellung durch<br />

„Reinquatschen" gestört.<br />

<strong>Autonomie</strong>-Diagramm (aufgrund der zwei Fragebögen von der Schülerin A):<br />

Ergebnis:<br />

Das Diagramm zeigt einen Zuwachs im Bereich B (Verbindung mit dem Eigenen)<br />

und im Bereich C (Integration der positiven Aggression).<br />

In diesem Beispiel finde ich es bemerkenswert, wie belastend ein Konflikt auch für<br />

jemanden sein kann, der gar nicht direkt daran beteiligt ist. Die Schülerin hat das<br />

Mobbing zu sehr „in sich hereingenommen“, war sehr stark emotional davon betroffen.<br />

Erst mit Hilfe des körperlich und verbal erfahrenen Rituals konnte sie sich<br />

davon distanzieren. Oftmals mischen sich Schüler unbewusst und übereilt in einen<br />

fremden Konflikt ein und machen sich diesen zu eigen, was den Konflikt jedoch<br />

meist eher verschlimmert.<br />

66


Beispiel 5: 117<br />

Thema: Bruder nervt<br />

(Mädchengruppe)<br />

Anliegen der Schülerin D (12 Jahre):<br />

Sie wird von ihrem 7-jährigen Bruder ständig genervt und geärgert.<br />

Die Schülerin D wählt folgende Stellvertreter:<br />

C: Bruder<br />

S: Der Teil von ihr, der Freude mit ihrem Hund hat.<br />

Prozess:<br />

[Aufstellungsbild:]<br />

S und C stehen sich in großem Abstand gegenüber und schauen sich an. D steht etwas entfernt<br />

von dieser Achse und blickt 90 Grad in eine andere Richtung. D steht näher an C als an L.<br />

[Beziehungsklärung:]<br />

Trainer (zukünftig abgekürzt: T) zu D: „Wie geht es dir an dieser Stelle?"<br />

D: „Ich fühle mich schlecht, es belastet mich."<br />

T zu C: „Und C, wie geht es dir?"<br />

C lacht: „Gut!"<br />

T: „Warum ärgerst du deine Schwester?"<br />

C. „Weil ich sie mag, weil ich sie gerne ärgere, weil sie sich nicht wehren kann."<br />

T legt einen Schal als symbolische Grenze zwischen D und C.<br />

T: „Das ist der D-Raum und das ist der C-Raum. Du bist vollständig ohne ihn, er ist vollständig<br />

ohne dich. Du bist nicht ein Teil von ihm, er ist nicht ein Teil von dir."<br />

[Identifizierung mit dem Gegenüber:]<br />

T bittet D, sich auf C’s Platz zu stellen und fragt D: „Kennst du dich hier aus?"<br />

D: „Es fühlt sich wie eine Mauer an. Ich kann es kaum richtig unterscheiden."<br />

T: „Das ist nicht dein Platz, du kannst dich jetzt entscheiden und aussteigen."<br />

D geht wieder auf ihren eigenen Platz.<br />

Im Gegenzug stellt sich D auf D’s Platz. Auch C kennt sich auf dem Platz seiner Schwester aus<br />

und entscheidet sich wieder zurück auf seine Seite der symbolischen Grenze zu gehen.<br />

T schlägt D folgenden Satz vor: „Du bist du und ich bin ich. Ich bin nicht ein Teil von dir und du<br />

bist nicht ein Teil von mir. Ich bin deine große Schwester."<br />

117 Mein Protokoll wurde in einzelnen Punkten aus dem Protokoll von Gabriele Veith ergänzt.<br />

67


D spricht den Satz nach.<br />

T: „Wie geht es dir jetzt?"<br />

D: „Etwas besser".<br />

[Rückgaberitual/ Verbindung mit dem Selbst]:<br />

D gibt symbolisch ihren Ärger und ihre Trauer in den Rucksack.<br />

Sie kann jedoch den Rucksack nicht an ihren Bruder C zurückgeben.<br />

T: „Vielleicht kann dir dein Selbstanteil helfen."<br />

D verbindet sich mit ihrem Selbst und kann dann den Rucksack an C zurückgeben.<br />

D umarmt erneut ihr Selbst.<br />

T: „Wie fühlt sich die Kraft an?"<br />

D: „Das kann man nicht beschreiben. Freude, Spaß!"<br />

[Abgrenzungsritual:]<br />

T: „Wenn du das behalten möchtest, dann musst du jetzt deinen Platz verteidigen. Bist du bereit<br />

deine Grenze zu schützen?"<br />

D: „Ja!"<br />

D schiebt C mehrmals zurück.<br />

[Gegenabgrenzung:]<br />

Nun schützt C seine Grenze vor D.<br />

D: „Ich fühle mich, wie wenn er mich verabscheut."<br />

T: „Das ist der Raum von C, da gehörst du nicht hin, das musst du respektieren. Du hast deinen<br />

eigenen Raum."<br />

C hat gute und schlechte Gefühle während er seinen Raum verteidigt.<br />

C wiederholt das Ritual mehrmals, dann fühlt es sich richtig an.<br />

D: „Es fühlt sich jetzt leichter an. Ein anderes Gefühl wie vorher."<br />

D entlässt die Stellvertreter aus ihren Rollen.<br />

68


<strong>Autonomie</strong>-Diagramm (aufgrund der zwei Fragebögen von der Schülerin D):<br />

Ergebnis:<br />

Das Diagramm zeigt eine Verschlechterung in den Bereichen A (Abgrenzung gegenüber<br />

Fremdem) und in dem dazu kompensatorischen Bereich D (Überabgrenzung).<br />

Ich habe dieses Beispiel gewählt – obwohl es nicht zu den hauptsächlichen Themengebieten<br />

des AT gehört – weil sich nach meiner Meinung hier hintergründig<br />

doch eine wichtige Verbindung zur Schule darstellt: Der Konflikt mit dem Bruder ist<br />

eine starke psychische Belastung für das Mädchen. Dieses Problem nimmt einen<br />

Großteil ihrer eigenen Energie in Beschlag, die ihr dann in der Schule möglicherweise<br />

fehlt. Teilweise ist es auch ein Thema, welches in den Bereich der Familie<br />

gehört. Da es jedoch indirekt Auswirkungen auf die Schule zeigt, hat es seine Berechtigung<br />

im AT.<br />

69


5 Fazit Dr. med. Ero Langlotz<br />

"Es war ein voller Erfolg! [...] Es war beeindruckend wie aufgeschlossen und kooperativ<br />

sie [Anmerkung des Autors: die Schüler] waren, das anfängliche Misstrauen<br />

war schnell verflogen" 118 , so schrieb Dr. Langlotz in seinem Newsletter vom<br />

August 2011. Und in der Tat war das Feedback der Trainer und Assistenten ebenfalls<br />

voller Lob für die Mitarbeit der Schüler.<br />

Wie bei jedem Pilotprojekt ist es jedoch von großer Wichtigkeit über die Vorgehensweis<br />

und das Ergebnis zu reflektieren, um kommende AT-Projekte, und es<br />

steht bereits das nächste Projekt mit einer 9. Klasse Realschule an, zu verbessern<br />

und zu optimieren.<br />

Am 18.08.2011 nahm ich an einer Nachbesprechung mit Dr. Langlotz und drei<br />

Trainern teil, bei der Dr. Langlotz einige Verbesserungs-Möglichkeiten bezüglich<br />

der Prozesse und der Vorgehensweise erörterte, die ich in diesem Kapitel sinngemäß<br />

wiedergebe. Eine Beurteilung der Wirkung des AT ist erst zu einem späteren<br />

Zeitpunkt denkbar, da das <strong>Training</strong> in der letzten Schulwoche vor den Sommerferien<br />

stattgefunden hatte, somit seitens der Lehrer noch keine Möglichkeit zur<br />

Feststellung einer Verhaltensänderung bestanden hat.<br />

Betrachtet man den <strong>Autonomie</strong>-Prozess, so muss berücksichtigt werden, dass es<br />

verschiedene Anliegen-Typen gibt. Handelt es sich bei dem Anliegen um ein Problem<br />

mit einer anderen Person (Lehrer oder Mitschüler) oder einem anderen Objekt<br />

(z.B. das Fach Mathe) so findet der 8-schrittige Ablauf 119 Anwendung. Es gibt<br />

aber auch andere Anliegen, die sich z.B. auf eine persönliche Eigenschaft des Jugendlichen<br />

beziehen können: Eine unleserliche Handschrift 120 oder etwa körperliche<br />

Merkmale wie Übergewicht oder Ähnliches. In diesem Fall ist es nicht sinnvoll,<br />

wenn der Jugendliche im Rückgabe-Ritual seine eigene schlechte Handschrift zurückgibt<br />

oder sich im Abgrenzungsritual von seiner Handschrift distanziert, so, als<br />

sei sie etwas Fremdes. Ziel ist die Integration des Eigenen, mit dem man nicht<br />

verbunden ist oder was man ablehnt, und dazu gehört in diesem Beispiel auch die<br />

eigene Handschrift. Durch Distanzierung würde man sich von seinem Selbst noch<br />

weiter entfremden. Gesunde Distanz im Sinne des AT soll zu Fremdem erreicht<br />

118 Langlotz, Ero: Projekt Realschule, Newsletter August 2011, [27.8.2011].<br />

119 Vgl. Kapitel 3.2.<br />

120 Anliegen eines Schülers am Projekttag.<br />

70


werden, welches man unbewusst übernommen hat, um sich wieder mit dem Eigenen<br />

identifizieren zu können. Bezogen auf das Beispiel Handschrift könnte dies<br />

bedeuten, dass der Jugendliche sich von den fremden, abwertenden Beurteilungen<br />

und Wertungen, z.B. naher Angehöriger, mit denen er sich identifiziert hat, so<br />

als wären es seine Eigenen, distanziert.<br />

Daher ist es auch kontraproduktiv, bei der Rückgabe des übernommenen Fremden<br />

den symbolischen Rucksack mit den eigenen Gefühlen, wie Wut, Hass und<br />

Ärger zu füllen. Zurück gegeben werden sollen nicht die eigenen Gefühle, sondern<br />

die übernommenen, zu eigen gemachten negativen Wertungen, das falsche Urteil,<br />

die ungerechte Behandlung durch den Anderen.<br />

Bei der Durchführung des AT ist somit bei jedem Anliegen Folgendes genau zu<br />

betrachten: Was ist das Fremde, mit dem ich mich identifiziert habe, von dem ich<br />

mich distanzieren muss und welches ist das Eigene, von dem ich dadurch getrennt<br />

war? Dementsprechend muss der 8-stufige <strong>Training</strong>sablauf durch den Trainer<br />

sinngemäß modifiziert werden.<br />

Anliegen, die sich auf Familien-Probleme des Jugendlichen beziehen, werden im<br />

AT prinzipiell nicht betrachtet, um die Intimsphäre der Familie vor den Mitschülern<br />

zu bewahren. Allenfalls könnte man ein Familien-Thema verdeckt aufstellen, das<br />

heißt, ohne dabei die Personen zu benennen.<br />

Ferner muss die Symbolik des Selbst genauer erklärt werden. In den Aufstellungen<br />

wurde das Selbst oft als das Hobby, oder als das, was Freude macht definiert.<br />

Damit war von Beginn an das Selbst eindeutig positiv und die Pflicht, wie z.B. ein<br />

bestimmtes Fach, das als Problem angesehen wird, als negativ besetzt. Das Ziel<br />

– die gesunde Distanz – soll sowohl zum Selbst als auch zur Pflicht erreicht werden,<br />

um sich frei für das eine oder andere entscheiden zu können. Mit der ursprünglichen<br />

Wertung gut und schlecht ist dies jedoch kaum möglich. Grundsätzlich<br />

sollen bei dem AT keine Lehrkräfte anwesend sein, die den Schüler oder die<br />

Schülerin kennen. Das hat bei den Jugendlichen zu inneren Konflikten und Rücksichtnahme<br />

geführt. Anliegen, oft Probleme mit Lehrern, konnten nicht mehr frei<br />

angesprochen werden und Emotionen und Gefühle wurden unterdrückt.<br />

Als fragwürdig hat sich die Verwendung des Fragebogens für Jugendliche im Alter<br />

von 11 bis 14 Jahren herausgestellt. Die Auswertung der zwei Fragebögen, vor<br />

und nach dem <strong>Training</strong>, ergab folgendes Bild: Ca. ein Drittel der Schüler zeigte ei-<br />

71


ne Verbesserung im Diagramm, ein Drittel keine Veränderung und ein Drittel sogar<br />

eine Verschlechterung. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den persönlichen<br />

Wahrnehmungen der Trainer und Assistenten, sowie den Äußerungen der<br />

Schüler am Ende des Projekttages.<br />

Ferner hat in der Vergangenheit die Anwendung des Fragebogens bei Erwachsenen<br />

in Workshops zur Systemischen Selbst-Integration zu signifikant besseren Ergebnissen<br />

in den Diagrammen geführt. Dies legt den Schluss nahe, dass der Fragebogen<br />

aufgrund seiner Formulierungen für den Altersbereich einer 6. Klasse<br />

ungeeignet ist. Dr. Langlotz will daher zukünftig auf den Fragebogen ganz verzichten<br />

oder diesen altersgemäß gestalten.<br />

6 Diskussion und Ausblick<br />

Die Arbeit von Dr. Ero Langlotz begleitet mich schon seit einiger Zeit.<br />

Ich selbst habe vor zwei Jahren in einem Selbst-Integrations-Workshop eine Aufstellung<br />

durchgeführt. Ende Juni hat mein 15-jähriger Sohn an dem Pilot-<br />

Workshop für das <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> teilgenommen, zusammen mit anderen<br />

Schülern, Lehrern und Eltern. Ich habe somit die positive Wirkung, die Veränderung<br />

direkt an mir selbst, als auch indirekt an meinem Sohn beobachten können.<br />

Lässt sich nun eine Verhaltens-Änderung durch das AT auch in einer Schulklasse<br />

verwirklichen?<br />

Ist es möglich, die in Kapitel 1 beschriebenen Zielsetzungen, die Förderung des<br />

Klassenklimas durch soziales Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen<br />

Schülers, als Begründung des AT für die Schule, zu realisieren?<br />

Dies soll mein Versuch sein, nun, nach der Durchführung des Pilot-Projekts<br />

– AT in der Klasse 6 b der Helen-Keller-Realschule – diese Fragen zu diskutieren.<br />

Bei meiner Beurteilung des AT kann ich mich ausschließlich auf die Beobachtungen<br />

am <strong>Training</strong>stag stützen. Eine wissenschaftliche Evaluation des <strong>Training</strong>s,<br />

welche eine Aussage über die mittel- und langfristige Wirkung des AT machen<br />

könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt bei diesem Pilotprojekt nicht gegeben: Das<br />

<strong>Training</strong> fand in der letzten Schulwoche vor den Sommerferien statt und somit war<br />

72


es nicht möglich Verhaltensveränderungen anhand von Rückmeldungen seitens<br />

der Lehrer oder der Eltern zu erhalten oder im Sinne einer Follow-Up-Messung<br />

den Fragebogen nach einigen Wochen erneut ausfüllen zu lassen.<br />

Daher liegen meinem Fazit folgende subjektive Gegebenheiten zugrunde:<br />

Meine Beobachtungen und Protokolle in den Kleingruppen – im Laufe<br />

des Vormittags habe ich nacheinander in jeder Gruppe ein bis zwei<br />

<strong>Training</strong>s beobachtet<br />

Die Protokolle der anderen Assistenten<br />

Das Feedback der Schüler am Ende des <strong>Training</strong>stages<br />

Das Feedback der Trainer und Assistenten am Ende des <strong>Training</strong>stages<br />

Die Nachbesprechung mit Dr. Langlotz und drei Trainern<br />

Klassenklima und Soziales Lernen<br />

Als erstes will ich der Frage nachgehen, ob tatsächlich durch das <strong>Training</strong> das<br />

Klassenklima verbessert, bzw. Soziales Lernen gefördert werden konnte:<br />

Diese Zielsetzungen, die auch sicherlich zwei der zentralen Motivationen der Lehrerin<br />

und der Schulleitung war, sich für das Projekt zu bewerben, sind bei jenem<br />

<strong>Training</strong> schwer überprüfbar. Diesbezüglich war der Zeitpunkt für die Durchführung<br />

schlecht gewählt, da das AT in der letzten Woche des Schuljahres stattfand<br />

und die 6. Klasse im kommenden Schuljahr auf unterschiedliche Schwerpunkt-<br />

Zweige aufgeteilt wird. In dieser problematischen Zusammensetzung wird es die<br />

Klasse somit nicht mehr geben. Die Bezugsgruppe, die sich im Laufe von zwei<br />

Schuljahren entwickelte und die wesentlichen Einfluss auf die Klassen- und Unterrichtsatmosphäre<br />

hatte, ist im Begriff sich aufzulösen und die Phasen der Gruppenentwicklung<br />

nach Stanford 121 werden nach der Aufteilung der Schüler in der 7.<br />

Klasse von neuem durchlaufen.<br />

Trotzdem gehe ich davon aus, dass sich auch beim Klassenklima Veränderungen<br />

eingestellt hätten bzw. in den neu zusammengestellten 7. Klassen einstellen werden.<br />

Durch die Teilnahme am AT erfuhren die Jugendlichen körperlich und bildlich<br />

im Rollenspiel die Verflechtungen und die Dynamik im Klassengefüge. Vergleiche<br />

121 Vgl. Stanford (1991): Stadienmodell, in Connemann, Ralf: Funktionierende Klassengemeinschaft, S. 82ff.<br />

73


und normative Funktionen, Anpassungsdruck und Konkurrenz 122 innerhalb der<br />

Klasse werden offensichtlich. Als im Beispiel 3 (Schikane durch Mitschüler) das<br />

Mädchen V ihr Gefühl der Wut und der Verletzung über die Schikane durch die<br />

Mitschüler äußert und es durch das körperliche Abgrenzungsritual schafft, sich<br />

dem Druck der Schikanen zu widersetzen, kann sie im Rollenspiel merkbar erleichtert<br />

aus der Opferrolle heraustreten und für sich eine neue, bessere Rolle in<br />

der Gruppe gestalten. Die Erfahrung, dass Rollen im Klassenkontext nicht fix sind,<br />

sondern dass durch die Verbindung mit dem Selbstanteil Energie geweckt werden<br />

kann, um die Situation selbstbestimmt zu verändern, bzw. zu kontrollieren, erzeugt<br />

Kompetenzerfahrung und Sicherheit im Sinne der Selbstbestimmungstheorie nach<br />

Deci und Ryan. 123 Ferner erfuhren die Jugendlichen bildlich ihren eigenen, oftmals<br />

verdeckten Einfluss auf Probleme und Konflikte in der Klasse. Emotionales Engagement<br />

für eine Sache, wie beispielsweise in der Aufstellung mit Mobbing, führt<br />

möglicherweise unterschwellig zu einer Verstärkung der Problematik und einer<br />

persönlichen gesundheitlichen Belastung. Durch das AT wurden die Schüler befähigt<br />

eigene Konflikte und Probleme eigenverantwortlich durch gesunde Distanz<br />

anzugehen und zu lösen. Auch erkannten sie, welche Konflikte in der Klasse nicht<br />

ihre eigenen waren und konnten sich davon emotional distanzieren. Aus meiner<br />

Sicht ein wesentlicher Beitrag zu konstruktivem Konfliktverhalten und sozialer<br />

Sensibilität – Zielkompetenzen sozialen Lernens nach Petillon. 124 Dass dieses<br />

Verständnis in der Tat auch bei einigen Schülern durch das AT so angestoßen<br />

wurde, unterstreichen Äußerungen, die am Ende des Projekts in einer Kleingruppe<br />

(von vier Mädchen und drei Jungen) wortwörtlich so lauteten: 125<br />

„Die Methode mit dem Aufstellen ist sehr schön, weil man sich besser<br />

in andere hineinversetzen kann."<br />

„Die Methode ist nützlich, weil man die Lage des anderen auch viel<br />

besser sieht und seine Probleme versteht."<br />

„Man spürt, wie mit der Grenze die Kraft in einem aufsteigt und dass<br />

man den anderen respektiert."<br />

122 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 52ff.<br />

123 Vgl. Lohrmann, Katrin: Lernemotionen, Lernmotivation und Interesse, S. 263ff.<br />

Vgl. Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 363ff.<br />

124 Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 100 ff.<br />

125 Aus dem Protokoll der Assistentin Christiane Wesselowsky<br />

74


Ein wichtiger Faktor für positive Veränderungen im Klassenklima sind die Lehrkräfte.<br />

Da diese nach Gert Lohmann in drei "Dimensionen" – der Beziehungsebene,<br />

der Organisations- und Disziplin-Management-Ebene, der Unterrichtsebene 126 –<br />

wesentlichen Einfluss auf das soziale Unterrichtsgeschehen und das Klassenklima<br />

ausüben, sollten auch alle Lehrer der entsprechenden Klasse an einem Lehrer-AT<br />

teilnehmen. Denn mit Kenntnis der <strong>Autonomie</strong>-Bedürfnisse der Jugendlichen und<br />

der damit verbundenen bewussten und unbewussten Prozesse ist die adäquate<br />

Reaktion und Unterstützung besser möglich. Asymmetrische Interaktion, 127 wie sie<br />

Ulich zwischen Lehrer und Schüler beschreibt, kann damit besser konstruktiv für<br />

die Schüler eingesetzte werden. Starke Kontrolle, Abhängigkeit und Einwirkung<br />

seitens des Lehrers und auch die problematischen Typisierungseffekte, mit ihren<br />

Auswirkungen auf Beliebtheit und Schulleistung, könnte vermieden oder relativiert<br />

werden. In diesem Projekt war die Einbindung der Lehrer, bezogen auf die teilnehmende<br />

Klasse nicht optimal gewährleistet: Der Lehrerworkshop wurde für alle<br />

interessierten Lehrer der Schule angeboten, wo hingegen die Lehrkräfte der Klasse<br />

6 b nur zum Teil dabei waren. Auch die Schüler verspürten das Bedürfnis: "Die<br />

Lehrkräfte sollten auch dieses <strong>Training</strong> machen." 128<br />

Persönlichkeitsentwicklung<br />

Im Hinblick auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung habe ich bei vielen<br />

Schülern im Laufe des Projekttages interessante Aspekte feststellen können. Die<br />

Fähigkeit selbstbewusst „nein" zu sagen war für einige Jugendliche ungewohnt. Im<br />

<strong>Training</strong> von Dr. Langlotz ist gerade dies ein wesentlicher Bestandteil des Abgrenzungsrituals,<br />

wo explizit, d.h. sowohl körperlich durch Zurückschieben als auch<br />

durch verbale Stoppsignale der eigene Raum geschützt werden soll. Bei etlichen<br />

Aufstellungen 129 haben die Jugendlichen sich dies nicht auf Anhieb getraut. Das<br />

Fremde wurde zu nah herangelassen oder die Abwehrbewegung war zu zaghaft.<br />

Der innere Widerstand, „das darf man doch nicht", „ich muss doch Rücksicht nehmen",<br />

musste erst überwunden werden. Im zweiten Abgrenzungsversuch gelang<br />

es dann meist schon viel besser. Das Nein-Sagen ist nach Petillon´s Zielkriterien<br />

126 Vgl. Lohmann, Gert: Mit Schülern klarkommen, S. 33.<br />

127 Vgl. Ulich, Klaus: Sozialpsychologie der Schule, S. 76ff.<br />

128 Aus dem Protokoll der Assistentin Christiane Wesselowsky.<br />

129 Vgl. Fallbeispiel 1 und 3.<br />

75


sozialer Kompetenz 130 , Ausdruck einer starken Ich-Identität. Diese vermittelt eine<br />

adäquate Haltung gegenüber Ungleichheit und fordert die eigenen Bedürfnisse<br />

ein: Ich kann und will mich durchsetzten. 131 Die meisten Prävention- und Interventionsprogramme<br />

beschäftigen sich neben emotionalen Kompetenzen mit der Förderung<br />

des Selbstbewusstseins, welche das Nein-Sagen als zentrales Element<br />

beinhalten. 132<br />

Jene körperliche Erfahrung, ich darf meinen Raum und damit mich selber schützen<br />

und auch das Erlebnis, wenn ich will schaffe ich das auch, hat bei vielen das<br />

Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit wesentlich gestärkt. Aussprüche der<br />

Schüler, „man fühlt die Kraft plötzlich in einem drin", „ich habe die Grenze richtig<br />

gespürt" oder „ich konnte meine Meinung aussprechen", verdeutlichen es eindrucksvoll.<br />

133<br />

Im Gegenzug vermittelt aber auch das Ritual der Gegenabgrenzung die Person<br />

und Meinung des Anderen zu respektieren. Die Gegenabgrenzung fordert von<br />

dem aufstellenden Schüler den Perspektivenwechsel ein, sich soweit in den anderen<br />

hineinzuversetzen, um auch dessen Bedürfnis nach einem eigenen geschützten<br />

Raum zu verstehen: „Es ist verständlich“ 134 oder „das ist für mich so OK“ 135 ,<br />

waren die Bemerkungen der Schüler in Bezug auf die Gegenabgrenzung. Indirekt<br />

wird damit auch die Fähigkeit geübt, mit Kritik adäquat umzugehen.<br />

Der Perspektivenwechsel bezogen auf die Schüler-Lehrer-Beziehung ermöglicht<br />

dem Schüler die komplementäre Reziprozität zu erkennen und in Folge durch das<br />

Abgrenzungsritual mit der erlebten Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit besser umgehen<br />

zu können. In der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern findet in der Regel<br />

ein Wechsel von der komplementären zur symmetrischen, d.h. gleichberechtigten<br />

Beziehungsstruktur statt. 136 Umso schwieriger wird es für Jugendliche, in<br />

dem sich entwickelnden Streben nach <strong>Autonomie</strong>, komplementäre Reziprozität<br />

auszuhalten. Der Perspektivenwechsel im <strong>Autonomie</strong>training kann eine tolerantere<br />

und wertschätzendere Sichtweise der Schüler gegenüber dem Lehrer unterstützen:<br />

„Ich bin K und sie sind Herr … . Ich habe meine Vorstellungen und sie haben<br />

130 Vgl. Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 100 ff.<br />

131 Vgl. Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 171.<br />

132 Vgl. Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, Tabelle S. 174.<br />

133 Aussprüche der Schüler am Ende des Projektes nach dem Ausfüllen des 2. Fragenbogens.<br />

134 Fallbeispiel 4.<br />

135 Fallbeispiel 2.<br />

136 Vgl. Youniss, James: Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung, S. 154ff.<br />

76


ihre.“ 137 Daraufhin fühlt sich der Schüler viel besser. Er kann nun mit der Widersprüchlichkeit<br />

zwischen seinen eigenen Vorstellungen und den Erwartungen des<br />

Lehrers besser umgehen. Dieser Ausgleich zwischen Selbst- und Fremdbestimmung<br />

ist Voraussetzung für eine postkonventionelle Identität, die Grundmann in<br />

seinem Konzept zur Identitätsentwicklung als erforderlich ansieht. 138<br />

In ähnlich positiver Art beeinflusst das AT die Beziehungsmuster zwischen den<br />

Schülern. Auch hier verstärkt der vollzogene Perspektivenwechsel die gegenseitige<br />

Achtung und Akzeptanz und unterstützt damit die symmetrische Reziprozität<br />

unter Gleichaltrigen, die nach Piaget in der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern<br />

und Jugendlichen wichtiger ist, als die Beziehung zu Erwachsenen. 139<br />

Selbstwirksamkeit, als handlungsbezogene Komponente der Persönlichkeitsentwicklung<br />

Im nächsten Punkt will ich erörtern ob, und in welchem Maße sich das AT auf die<br />

Selbstwirksamkeit, bzw. Kontrollüberzeugung der Schüler ausgewirkt hat.<br />

Unter Selbstwirksamkeit versteht Albert Bandura die, „[...] Fähigkeit, [...] in bestimmtem<br />

Umfang Kontrolle über ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen<br />

auszuüben," 140 und damit Handlungen erfolgreich auszuführen. Die Jugendlichen<br />

wurden in ihren <strong>Training</strong>s dazu angeleitet, dass sie ihre Probleme aus eigener<br />

Kraft lösen können. Der wesentliche Aspekt dabei ist das Rückgaberitual, bei<br />

dem sie erfahren, dass es an ihnen liegt, ob sie sich die Ansichten und Beurteilungen<br />

des Anderen zu eigen machen oder nicht, sie können ihre Entscheidung selber<br />

kontrollieren. Sie haben die Freiheit, den symbolischen Rucksack aktiv zurück<br />

zu geben und können sich somit von dem Problem distanzieren, womit es gleichzeitig<br />

seine Gefahr verliert. So sagt der Schüler in Beispiel 2 nach Rückgabe des<br />

Rucksacks mit den Erwartungen, Vorstellungen und Unverständnis an den Lehrer:<br />

„Ich fühl mich deutlich besser, ich kümmere mich um mich." Auch die Schülerin,<br />

die im Beispiel 4 dem Stellvertreter für das Mobbing den symbolischen Rucksack<br />

zurück gibt und dabei sagt, „vielleicht habe ich das alles zu sehr in mich hereinge-<br />

137 Fallbeispiel 2.<br />

138 Vgl. Grundmann, Matthias: Kindheit, Identitätsentwicklung und Generativität, S. 95.<br />

139 Vgl. Youniss, James: Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung, S. 150.<br />

140 Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 360.<br />

77


nommen, aber es gehört zu dir, ich lasse es ganz bei dir," fühlt sich im Anschluss<br />

erleichtert.<br />

Die Verbindung mit dem Selbstanteil hat in allen AT zusätzlich noch das Gefühl<br />

der Energie und Kraft gegeben für das folgende Abgrenzungsritual vom eigenen<br />

Problem: „Das kann man nicht beschreiben, Freude, Spaß!“, sagt eine Schülerin<br />

auf die Frage des Trainers, wie sich die Kraft anfühlt. Das ursprüngliche Dilemma<br />

zwischen Leistungsdruck als Problem und die Sachen die im Leben der Jugendlichen<br />

Spaß machen, symbolisiert durch den Selbstanteil, findet im Rollenspiel des<br />

AT einen Ausgleich. Die entstandene Hilflosigkeit, die dazu führte, dass weder<br />

Schule noch Freizeit sinnvoll genutzt werden konnte, wird durch die erlangte gesunde<br />

Distanz zur selbstbestimmten Entscheidung, jedes zu seiner Zeit machen<br />

zu können, ohne schlechtes Gewissen. Symptomatisch für die neu erlangte<br />

Selbstwirksamkeit sagt der Schüler in Beispiel 1 über sein Problem Mathe (nachdem<br />

er sich mit seinem Selbstanteil verbunden hat): „Jetzt geht es mir mit Mathe<br />

gut". Diese Zuversicht auf Erfolg – mit gesunder Distanz geht ja beides, Schule<br />

und Hobby – wurde bei vielen <strong>Training</strong>s am Ende von den Schülern erkannt. In<br />

Übereinstimmung mit dem Selbstbewertungsmodell von Heckhausen 141 ist zu erwarten,<br />

dass Jugendliche, die erfolgszuversichtlich sind, sich ihrerseits realistische<br />

Ziele mit angemessenem Anspruch stellen können und damit insgesamt eine positive<br />

Selbstbewertungsbilanz aufbauen. <strong>Autonomie</strong> und die Verbindung mit sich<br />

selbst gibt Energie und Selbstbewusstsein auch für die Pflichtaufgaben, in Übereinstimmung<br />

mit der Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci und<br />

Ryan. 142 Denn die Zuversicht auf Erfolg, verbunden mit Kompetenzerfahrung – ich<br />

bin gut, ich schaff das – motiviert die Jugendlichen für die Schule und für die einzelnen<br />

Fächer. Mit dieser Einstellung werden Sie wieder gerne in die Schule gehen,<br />

und auch Spaß daran finden. In Folge sind auch positive Effekte in Bezug auf<br />

Leistungsdruck und Prüfungsangst zu erwarten. Freude an der Kommunikation mit<br />

anderen Schülern, eigenständiges Denken, Authentizität, Empathie und Kritikfähigkeit,<br />

alles Persönlichkeitsmerkmale, die – nach meinen Beobachtungen – in<br />

den <strong>Autonomie</strong>-Prozessen bei den Schülern verstärkt wurden. Sozialen Konflikten<br />

mit Lehrkräften und Mitschülern wird dadurch effektiv der Nährboden entzogen.<br />

Und hier schließt sich der Kreis zu einem positiven und kreativen Klassenklima.<br />

141 Vgl. Fries, Stefan: Motivation, S. 154f.<br />

142 Vgl. Lohrmann, Katrin: Lernemotionen, Lernmotivation und Interesse, S. 263f.<br />

Vgl. Mietzel, Gerd: Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens, S. 363f.<br />

78


Emotionen<br />

In der pädagogischen Interventionsforschung wird bemängelt, dass im Bildungssystem,<br />

bzw. in der Schule der „emotionale Aspekt im zwischenmenschlichen<br />

Umgang“ 143 generell zu wenig berücksichtigt wird. Daher halte ich die emotionale<br />

Komponente für einen wichtigen Aspekt des <strong>Training</strong>s. Die Jugendlichen werden<br />

in den <strong>Training</strong>s immer wieder gefragt, wie sie sich fühlen und nach einer gewissen<br />

Anlaufzeit gelingt es ihnen immer offener über ihre Gefühle zu sprechen. In<br />

den gleichgeschlechtlichen Gruppen funktioniert dies etwas schneller, aber auch<br />

in den gemischten Gruppen trauen sich die Klienten und die Stellvertreter über<br />

wahrgenommene Gefühle zu sprechen. Da es sich bei den Stellvertretern im Rollenspiel<br />

um die Gefühle der vertretenen Personen handelt, fällt es ihnen auch oft<br />

leichter diese zu zeigen und auch zu benennen, da ja nicht die eigenen in diesem<br />

Moment offenbart werden müssen. In Beispiel 4, dem Mobbingthema, fühlt sich<br />

der Stellvertreter für das Mobbing sehr schlecht und zeigt dies auch, so dass die<br />

Zuschauer des Prozesses, die anderen Schüler aus Respekt reagieren: Sie werden<br />

ruhig und hören auf zu quatschen, sie sind wie gebannt. Soziale Sensibilität 144<br />

nennt Petillon das Verhalten der Gruppenmitglieder. Eigene und auch fremde<br />

Emotionen wahrzunehmen, diese zu kommunizieren und damit empathisch umzugehen<br />

zeugt von einem positiven Selbstwertgefühl und wird auch zu den sogenannten<br />

Schlüsselfertigkeiten gezählt. 145 Ferner hat sich gezeigt, dass ein <strong>Training</strong>sprogramm,<br />

welches insbesondere den Ausdruck von Ärger zulässt, zur Reduktion<br />

von Ärger-Situationen beitragen kann und damit eine effektive Selbstregulationsstrategie<br />

darstellt. 146 Im AT können Schüler insbesondere im Abschnitt der<br />

Beziehungsklärung Ärger und Vorwürfe zulassen: „Ich spüre Wut; M ist zu nah, ich<br />

kann aber nicht weg, ich fühle mich ohnmächtig.“ 147<br />

Das AT ermöglicht den Schülern somit nicht nur über ihre Gefühle sondern auch<br />

über ihre Probleme frei sprechen zu dürfen. Dass die Schüler das Bedürfnis haben,<br />

zeigt sich darin, dass bis auf zwei Jugendliche der Klasse alle ein persönliches<br />

Problem, meist aus dem Themenbereich des <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>s, bearbei-<br />

143 Gläser-Zikuda: Emotionen, S. 125.<br />

144 Vgl. Petillon, Hanns: Soziales Lernen in der Grundschule, S. 100 ff.<br />

145 Vgl. Gläser-Zikuda: Emotionen, S. 115f.<br />

146 Vgl. Gläser-Zikuda: Emotiontn, S. 116<br />

147 Fallbeispiel 3.<br />

79


ten wollten und dies auch durchgeführt haben. Das AT als Klassen-Projekttag bietet<br />

hierfür einen geschützten Rahmen, den der normale Unterricht meist nicht leisten<br />

kann: Ausreichend Zeit, kleine Gruppen und externe Anleitung durch ausgebildete<br />

Trainer.<br />

Trotzdem ist es für die Jugendlichen immer noch sehr schwierig über eigene Probleme<br />

zu reden. Am Anfang des Projekttages haben die Jugendlichen sich oft nicht<br />

getraut ihr Problem in die Gruppe einzubringen und zum Thema eines <strong>Training</strong>s<br />

zu machen. Die Erfahrung, dass es großen Mut braucht und Vertrauen in die <strong>Training</strong>sgruppe<br />

um über das eigene Problem zu reden, war meiner Meinung nach<br />

sehr lehrreich. Denn auf der anderen Seite zeigt sich auch, dass jeder irgendeine<br />

Art von Problem hat und mit sich rumträgt, ganz egal wie cool er tut. Und was<br />

noch viel wichtiger ist, die Jugendlichen erkennen, dass es Möglichkeiten gibt, wie<br />

z.B. das AT, mit deren Hilfe die eigenen Probleme verbessert oder gelöst werden<br />

können. Auch die Fähigkeit zu erkennen, wenn ich ein Problem nicht selber lösen<br />

kann, so habe ich die Möglichkeit mir externe Hilfe zu holen, erachte ich für wichtig.<br />

Gruppenzusammenstellung<br />

Für problematisch erachte ich es jedoch, wenn derjenige Schüler in der Gruppe<br />

anwesend ist, mit dem der Aufstellende ein Problem klären möchte. Möglicherweise<br />

wird die Angst vor Konsequenzen den Prozess beeinflussen oder gar nicht erst<br />

zur Sprache kommen lassen. Auch halte ich es für denkbar, dass aufgrund der<br />

normativen Funktion und der Vergleichsfunktion in der Bezugsgruppe Klasse 148<br />

der Einzelne seine Position innerhalb der Hierarchie nicht gefährden will, weder<br />

durch Kritik an anderen noch indem er seine Gefühle preis gibt. Insbesondere die<br />

Außenseiter würden ihre Situation möglicherweise noch verschlimmern. Da der<br />

Anpassungsdruck und das Konkurrenzdenken nach Fend altersabhängig sind,<br />

sollte man sehr bewusst die Gruppenzusammensetzung im AT bedenken. 149 Bei<br />

dieser Klasse hat es nach meiner Beobachtung gut funktioniert, da die Kleingruppen<br />

von der Klassenlehrerin nach dem Kriterium der Freundschaft und Kompatibilität<br />

zusammengesetzt wurden. Auch die Bildung von geschlechtshomogenen<br />

148 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 52ff.<br />

149 Vgl. Fend, Helmut: Vom Kind zum Jugendlichen, S. 107ff.<br />

80


Gruppen, je eine Mädchen- und eine Jungengruppe, hat sich in dieser Altersklasse<br />

positiv erwiesen: Die Beziehungsmuster der Mädchen waren in der Tat entsprechend<br />

der These von Ulich, eher freundschaftlich beziehungsorientiert, wo<br />

hingegen sich die Jungs eher rollenbezogen und konkurrenzorientiert verhielten.<br />

150 Es war für mich deutlich erkennbar welche Jungs beispielsweise Meinungsführer<br />

waren. Da die Beziehungsmuster je nach Alter der Schüler verändern,<br />

müsste dies auch im AT mit anderen Jahrgangstufen bei der Gruppenzusammensetzung<br />

zukünftig berücksichtigt werden.<br />

Positiv empfand ich die Tatsache, dass die <strong>Training</strong>s von externen Trainern<br />

durchgeführt wurden und nicht von den Lehrern selbst. Dieses Setting gewährleistete<br />

eine Art Neutralität und Objektivität, die Lehrer durch die habitualisierten<br />

Interaktionsmuster zu den Schülern meines Erachtens schwer erbringen können.<br />

So ist auch wissenschaftlich bestätigt, dass die Effektivität bei der Durchführung<br />

mit Hilfe externer Trainer höher ist. 151<br />

Der Fragebogen<br />

Welche Rolle soll oder kann der Fragebogen im AT einnehmen?<br />

Ich schließe mich da der Meinung von Dr. Langlotz an. Der Fragebogen, der in der<br />

verwendeten Ausführung für Erwachsene konzipiert ist, macht bei Jugendlichen im<br />

Alter von 11 bis 13 Jahren in vielen Fällen keine sinnvolle Aussage über die Wirkung<br />

unmittelbar nach dem <strong>Training</strong>.<br />

Mein Vorschlag ist eine kurze schriftliche Befragung (mit fünf bis zehn offenen<br />

Fragen) der Schüler am Ende eines Projekttages, um eher ein individuell gefühltes<br />

Stimmungsbild einzuholen.<br />

Folgende Fragen könnte ich mir beispielsweise vorstellen:<br />

Wie hat dir das <strong>Training</strong> gefallen und warum?<br />

Wie hat es dir mit deinem persönlichen Problem weitergeholfen?<br />

Was hat sich bei dir verändert?<br />

Würdest du in einiger Zeit wieder daran teilnehmen?<br />

...<br />

150 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 65ff.<br />

151 Vgl. Schmidt, Michaela u.a.: Direkte und indirekte Intervention, S. 237f.<br />

81


Vielleicht würde das nochmalige Nachdenken über den eigenen AT-Prozess auch<br />

die Wirkung unterstützen oder auch noch die eine oder andere Frage aufwerfen.<br />

Alter der Schüler<br />

Bei dem Pilotprojekt hat sich auch gezeigt, dass der Einsatz des AT schon für Jugendliche<br />

im Alter ab 11 Jahren gut geeignet ist. Sie begegneten dem <strong>Training</strong> mit<br />

Offenheit, stellten immer wieder tiefgründige Fragen und waren den ganzen Projekttag<br />

konzentriert bei der Sache, auch das abschließende Schülerfeedback war<br />

durchweg positiv. Zudem stellte sich bei vielen Jugendlichen zumindest in Teilbereichen<br />

der erwünschte <strong>Training</strong>seffekt ein, alles Bestätigungen für mich, dass das<br />

AT bereits ab der 6. Klasse durchgeführt werden kann. Aufgrund der Tatsache,<br />

dass sich „antisoziale Verhaltensweisen früh stabilisieren“, haben, nach G. Faust,<br />

„frühe Interventionen bessere Erfolgsaussichten.“ 152 Auch in Bezug auf die Emotion<br />

Lernfreude ist die positive Auswirkung durch eine frühzeitige Unterstützung der<br />

Schüler wissenschaftlich belegt. 153 Interessant wäre für mich nun die Frage, ob die<br />

Durchführung des AT auch schon in der Primarstufe, nach Petillon eine „sensible<br />

Phase für soziale Entwicklung“, 154 sinnvoll realisierbar ist?<br />

Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, das AT in der Schule einzusetzen. Die vorangegangene<br />

Argumentation ist für mich eine Bestätigung, dass die Schüler von<br />

dem <strong>Training</strong> in vielerlei Hinsicht profitieren. Wobei mir die einmalige Durchführung<br />

des AT in einer Klasse zu wenig effektiv erscheint. Um eine nachhaltige Wirkung<br />

zu erreichen, sollte das <strong>Training</strong> mindestens noch ein zweites Mal durchgeführt<br />

werden: Meine Idee wäre gleich zu Beginn des Schuljahres, wenn die Klassen<br />

oft neu zusammengestellt wurden, ein erstes AT durchzuführen, um den Prozess<br />

der Gruppenfindung in der Orientierungsphase von Anfang an positiv zu beeinflussen<br />

und ein achtsames Klima zu etablieren. 155 Ein zweites <strong>Training</strong>, vielleicht<br />

zum Halbjahr, halte ich aus mehreren Gründen für unumgänglich:<br />

Die Wirkung des ersten <strong>Training</strong>s kann durch die erneute Aufstellung des gleichen<br />

Problems überprüft, und gegebenenfalls nachbearbeitet werden. Manchmal lassen<br />

152 Faust, Gabriele: Individualentwicklung und Sozialerziehung, S. 267.<br />

153 Vgl. Gläser-Zikuda, Michaela: Emotionen, S. 123f.<br />

154 Petillon, Hanns: Grundschulkinder und ihre sozialen Beziehungen, S. 170.<br />

155 Vgl. Stanford (1991): Stadienmodell, in Connemann, Ralf: Funktionierende Klassengemeinschaft, S. 81ff.<br />

82


sich Probleme beim ersten Mal nicht endgültig lösen oder verändern sich im Laufe<br />

der Zeit.<br />

Es können in einem weiteren Setting nach einer gewissen Zeit auch neue und/<br />

oder andere Probleme bearbeitet werden.<br />

Ferner wird die <strong>Autonomie</strong>-Thematik wieder aufgefrischt und vertieft. Gruppenprozesse<br />

in der therapeutischen Praxis, und die Erfahrung habe ich auch schon selber<br />

in mehreren therapeutischen Workshops gemacht, unterliegen oftmals einer<br />

bestimmten Gruppendynamik: Aufgeputscht und verstärkt durch die Gruppe, in der<br />

man an den Problemen, Erfahrungen und auch den positiven Ergebnissen der anderen<br />

Gruppenmitglieder teilnimmt, erfährt man oft eine Erstverbesserung, eine<br />

Art Euphorie, die jedoch nach relativ kurzer Zeit ohne die Gruppe wieder abflacht.<br />

So ließe sich auch die Tatsache erklären, dass bei mindestens zwei Jugendlichen<br />

laut Fragebogen trotz der Verbesserung bei der Abgrenzung gegenüber Fremden<br />

und der Verbindung mit dem Eigenen, also eigentlich ein Zugewinn an <strong>Autonomie</strong>,<br />

eine Verschlechterung im Bereich E, des dominanten und manipulativen Verhaltens<br />

gegenüber Anderen, stattfand. Die Teilnahme an einem <strong>Training</strong>sprozess,<br />

der denen der anderen Gruppenmitgliedern ähnlich ist und an dessen Ende sich<br />

meist eine Erleichterung der aufstellenden Person einstellt, könnte, missverstanden,<br />

in eine Art egoistische Euphorie umgeschlagen sein. Ich weiß jetzt worum es<br />

geht, ich bin grenzenlos autonom, die anderen können mir gar nichts mehr sagen<br />

(die Darstellungsweise ist bewusst etwas übertrieben).<br />

Nicht zuletzt ist auch zu bedenken, dass durch das AT ein Entwicklungsprozess<br />

bei den Jugendlichen angestoßen wurde, der durch weitere Settings positiv unterstützt<br />

werden kann: Die Entwicklung einer autonomen Persönlichkeit in Hinsicht<br />

auf Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein. Das <strong>Training</strong>, wiederholt auf mehreren<br />

Ebenen in verschiedenen Entwicklungsstufen durchzuführen, stünde auch in<br />

Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Meinung über Präventions- bzw.<br />

Interventions-Design zur Förderung von sozial-emotionaler Kompetenzen. 156<br />

Eine weitere Möglichkeit, die Effektivität und Wirkung des AT zu verbessern, bestünde<br />

meiner Meinung nach darin, auch die Schüler mindestens einen Tag vor<br />

dem eigentlichen <strong>Training</strong>, im Rahmen einer Vorbesprechung oder auch durch<br />

Einbindung in den Elternabend, darauf vorzubereiten. Die Schüler könnten die<br />

Zielsetzung des <strong>Training</strong>s und den Prozessablauf bereits kennenlernen und hätten<br />

156 Vgl. Petermann, Franz: Soziale Kompetenzen, S. 145.<br />

83


schon im Vorfeld die Möglichkeit sich Gedanken über ihre Themen, sprich Probleme,<br />

zu machen. Das könnte helfen die Scheu des Einzelnen vor der eigenen<br />

Aufstellung zu verringern, die doch anfangs in der einen oder anderen Gruppe erkennbar<br />

war. Ferner ließe sich damit vermeiden, dass Schüler, aufgrund von<br />

Gruppenkonformität und Anpassungsdruck, 157 um auch ein Anliegen vorweisen zu<br />

können, ein Verlegenheitsthema wählen. Auch darf man nicht vergessen, dass es<br />

sich auch bei bewusst ausgewählten Kleingruppen um Zwangsgruppierungen<br />

handelt. Die Schüler nehmen nicht freiwillig an dem <strong>Training</strong> teil, sondern sind<br />

zumindest für diesen Projekttag von Lehrern und Schulleitung dazu verpflichtet<br />

worden. Darin unterscheidet sich das AT für Schüler von einem AT mit Erwachsenen,<br />

welche aus eigenem Antrieb mit einem konkreten Problem daran teilnehmen.<br />

Die Lehrer und das Schulumfeld<br />

Dr. Langlotz hat im Vorfeld sowohl für die Lehrer und die Schulleitung, als auch für<br />

die Eltern einen Workshop bzw. einen Elternabend zum Kennenlernen des <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong>s<br />

angeboten. Durch die Einbeziehung von Lehrern, Schulleitung<br />

und Eltern kann man nach Petermann von einem Mehrebenenprogramm<br />

sprechen, welches sich positiv auf Effektivität und Nachhaltigkeit der Intervention<br />

auswirkt. 158 Jedoch wurden die Angebote nur von wenigen Eltern und auch nicht<br />

von allen Lehrern der Klasse genutzt. Ferner war der Zeitrahmen kurz, um die<br />

Skepsis einiger Lehrer auszuräumen. Aus meiner Sicht wäre es erforderlich, dass<br />

alle Lehrkräfte an eigenen <strong>Training</strong>s teilnehmen. Die Schüler können zwar von ihrer<br />

Seite Verhalten, Klassen- und Unterrichtsklima, zu einem respektvollen Miteinander<br />

verändern, dies ist aber wie gesagt nur eine Seite. Die Lehrkräfte als Interaktionspartner<br />

159 müssen auch mit dem Thema <strong>Autonomie</strong> vertraut sein, um auf<br />

das veränderte Verhalten der Schüler auch adäquat reagieren zu können. Insbesondere<br />

das eigene emotionale Erleben der Lehrer, z.B. in Bezug auf die Kontrollierbarkeit<br />

von Unterrichtssituationen, hat Einfluss auf die Förderung positiver<br />

Emotionen der Schüler. 160 Besitzen die Lehrer keinen eigenen geschützten Raum,<br />

so haben sie möglicherweise auch nicht die nötige Distanz, um die <strong>Autonomie</strong>-<br />

157 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 52ff.<br />

158 Vgl. Petermann, Franz: Soziale Kompetenzen, S. 145f.<br />

159 Vgl. Ulich, Klaus: Einführung in die Sozialpsychologie der Schule, S. 76ff.<br />

160 Vgl. Gläser-Zikuda, Michaela: Emotionen, S. 123f.<br />

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entwicklung der Schüler zuzulassen und zu unterstützen. Eine gute Wirkung wird<br />

wesentlich davon abhängen, ob es gelingt den <strong>Autonomie</strong>gedanken bei allen Beteiligten<br />

des Schulumfeldes, auf allen Schulebenen – Lehrern, Schulleitung und<br />

Eltern – zu etablieren 161 und dazu gehört auch die praktische Erfahrung, gegenseitig<br />

Grenzen zu setzen und zu respektieren.<br />

Abschließend kann ich bestätigen, dass das erste <strong>Autonomie</strong>-<strong>Training</strong> für Schüler<br />

nach Dr. Langlotz einen sinnvollen Ansatzpunkt zur Verbesserung des Klassenklimas,<br />

zur Förderung sozialen Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung der<br />

Schüler bietet. Ob die einmalige Anwendung des lösungsorientiert arbeitenden,<br />

systemischen <strong>Training</strong>s jedoch einen erwünschten langfristigen Effekt hat, müsste<br />

durch eine wissenschaftliche Evaluation untersucht werden. Ich hoffe jedoch, dass<br />

ich mit dem von mir erarbeiteten theoretischen Hintergrund und den kritischen<br />

Anmerkungen zur Verbesserung des <strong>Training</strong>s, welches sich als Pilotprojekt noch<br />

in den Anfängen befindet, einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung des<br />

<strong>Autonomie</strong>trainings liefern kann. Persönlich habe ich einen sinnvollen, harmonisch<br />

verlaufenden Projekttag erlebt. Die Trainer sind mit dem AT auf die zwischenmenschlichen<br />

Bedürfnisse der Schüler eingegangen und dies wurde von den Jugendlichen<br />

auch intensiv und interessiert wahrgenommen. Ich bin davon überzeugt,<br />

dass das AT einen positiven Beitrag für ein respektvolles Miteinander in der<br />

Schulgemeinschaft und eine effektive Strategie zur Konflikt- und Problemlösung<br />

darstellt und ich würde es befürworten, wenn viele Schüler und Lehrer die Möglichkeit<br />

bekämen, daran teilzunehmen oder wenn das AT fester Bestandteil des<br />

Unterrichts würde.<br />

161 Vgl. Gläser-Zikuda, Michaela: Emotionen, S. 123f.<br />

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