Forum Sexualaufklärung und Familienplanung – Alter und Sexualität
Forum Sexualaufklärung und Familienplanung – Alter und Sexualität
Forum Sexualaufklärung und Familienplanung – Alter und Sexualität
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
• „Gender equalisation“ 3 : Der Liberalisierungsschub ist bei<br />
Mädchen stärker als bei Jungen; dadurch verringern sich<br />
traditionelle Geschlechtsunterschiede im Sexualverhalten<br />
(Masturbation) oder sie verkehren sich (Mädchen haben<br />
nun früher Koitus als Jungen). Dies signalisiert einen<br />
Abbau doppelmoralischer Vorschriften <strong>und</strong> eine Zunahme<br />
sexueller Selbstbestimmung von Frauen. 4<br />
• Zunehmende Beziehungsmobilität: Die Tendenz zum<br />
Wechsel von festen Partnerschaften im jungen Erwachsenenalter<br />
nimmt zu.<br />
Diese Modernisierungstendenzen lassen sich für Hamburger<br />
<strong>und</strong> Leipziger nachweisen, sie sind im Westen allerdings<br />
stärker ausgeprägt als im Osten. Insgesamt haben die heute<br />
60-Jährigen also deutlich andere sexuelle Sozialisierungserfahrungen<br />
als die jüngeren Generationen. Der „sexuellen<br />
Revolution“ waren sie erst im frühen Erwachsenenalter<br />
ausgesetzt. Wie stark hat sie dieses Ereignis später beeinflusst,<br />
wie weit ist es an ihnen vorbeigegangen?<br />
Wir wollen dieser Frage im Hinblick auf das Beziehungsverhalten<br />
nachgehen. Aus den Angaben der Befragten zu<br />
ihrer Beziehungsgeschichte (Beginn <strong>und</strong> Dauer aller festen<br />
Beziehungen, Beginn <strong>und</strong> Dauer aller Single-Phasen) lassen<br />
sich ihre Beziehungsbiografien rekonstruieren <strong>und</strong> zu Typen<br />
zusammenfassen. Abbildung 2 veranschaulicht diese Biografietypen<br />
an jeweils einem Beispiel. Die Häufigkeitsverteilung<br />
dieser Typen (Tabelle 2) ist für unsere Frage relevant:<br />
• Die meisten 60-Jährigen, nämlich 55%, haben eine Kontinuitätsbiografie;<br />
sie leben seit mindestens 25 Jahren (im<br />
Durchschnitt seit 37 Jahren) in einer festen Beziehung. Die<br />
„sexuelle Revolution“ hat der Stabilität ihrer Beziehung<br />
offenbar nur wenig anhaben können<br />
• 31% der 60-Jährigen haben eine nicht-traditionelle Beziehungsbiografie.<br />
Männer <strong>und</strong> Frauen mit einer Umbruchsbiografie<br />
(17%) haben sich von einer Beziehung getrennt,<br />
die mindestens 15 Jahre (im Durchschnitt 23 Jahre) hielt;<br />
die meisten trennten sich im <strong>Alter</strong> zwischen 36 <strong>und</strong> 50<br />
Jahren, fast alle hatten Kinder. Befragte mit einer Kettenbiografie<br />
(14%) hatten mindestens 3 (im Durchschnitt<br />
4bis 5) feste Beziehungen in ihrem Leben (wobei die Dauer<br />
dieser Beziehungen die Dauer der Single-Phasen übersteigt).<br />
Beide Gruppen verabschiedeten sich früher oder<br />
später aus einem traditionellen Lebensentwurf, <strong>und</strong> man<br />
kann vermuten, dass zumindest bei manchen von ihnen<br />
die „sexuelle Revolution“ dazu beitrug.<br />
Im Hinblick auf das Beziehungsverhalten legen unsere<br />
Daten also den Schluss nahe, dass viele 60-Jährige in ihren<br />
Traditionen verharrten <strong>und</strong> etliche die neuen Tendenzen<br />
assimilierten. Das „Verharren“ war im Osten, das „Assimilieren“<br />
im Westen deutlich stärker, zwischen Frauen <strong>und</strong><br />
Männern gibt es keine Unterschiede (Tabelle 2).<br />
Partnersituation <strong>und</strong> Sexualverhalten<br />
Tabelle 3 fasst die Partnersituation der 60-Jährigen zusammen.<br />
Die meisten Männer <strong>und</strong> Frauen leben in sehr langen<br />
Beziehungen (30 Jahre <strong>und</strong> mehr), nur Minderheiten<br />
berichten über relativ kurze Partnerschaften (15 Jahre <strong>und</strong><br />
weniger). Wie in anderen Erhebungen auch ist der Anteil der<br />
Singles bei älteren Frauen erheblich höher als bei älteren<br />
Männern. (Wir kommen darauf im Abschnitt „Singles“<br />
zurück.) Hamburger <strong>und</strong> Leipziger 60-Jährige unterscheiden<br />
sich beträchtlich in ihrer Partnersituation: Hamburger sind<br />
häufiger Singles <strong>und</strong> leben häufiger in kurzen Partnerschaften;<br />
Leipziger haben besonders oft sehr lange Partnerschaften.<br />
Das zeigt noch einmal, dass der soziokulturelle<br />
Wandel des Beziehungsverhaltens bei dieser <strong>Alter</strong>gruppe im<br />
Osten Deutschlands geringer war als im Westen.<br />
Die sexuelle Aktivität 60-Jähriger variiert enorm:<br />
Während 14% den Geschlechtsverkehr aufgegeben haben<br />
<strong>und</strong> ihn seit mindestens fünf Jahren nicht mehr praktizieren,<br />
haben 4% im letzten Monat mindestens dreimal wöchentlich<br />
Abbildung 1<br />
Frühe sexuelle <strong>und</strong> Beziehungserfahrungen der „vorliberalen Generation“ (Jg. 1942)<br />
<strong>und</strong> der „Generation der sexuellen Revolution“ (Jg. 1957) (in %)<br />
100<br />
Erste Masturbation mit 15 Jahren<br />
oder früher<br />
Erster Geschlechtsverkehr mit 18 Jahren<br />
oder früher<br />
Drei oder mehr feste Beziehungen<br />
bis zum <strong>Alter</strong> von 30 Jahren<br />
77<br />
Männer<br />
82<br />
85<br />
Frauen<br />
72<br />
50<br />
Frauen<br />
51<br />
58<br />
47<br />
Männer<br />
30<br />
23<br />
Männer<br />
Frauen<br />
63<br />
53<br />
15<br />
0<br />
1942<br />
(60-Jährige)<br />
1957<br />
(45-Jährige)<br />
1942<br />
(60-Jährige)<br />
1957<br />
(45-Jährige)<br />
1942<br />
(60-Jährige)<br />
1957<br />
(45-Jährige)<br />
3 Dieser Begriff geht auf Haavio-Mannila u.a. 2002 zurück.<br />
4vgl. Schmidt 2003<br />
BZgA FORUM 1/2<strong>–</strong>2003<br />
17