WWW.JA-AKTUELL.DE
WWW.JA-AKTUELL.DE
WWW.JA-AKTUELL.DE
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
RECHTSPRECHUNG Zivilrecht Zivilprozess, EGZPO<br />
n<br />
FAZIT<br />
Ist für den konkreten Rechtsstreit ein Schlichtungsverfahren<br />
nach Landesrecht vorgesehen und greift auch keine Ausnahme<br />
von diesem Erfordernis, so wird eine vor vollständiger Durchführung<br />
des Schlichtungsverfahrens erhobene Klage als unzulässig<br />
abgewiesen. Eine Nachholung des Schlichtungsverfahrens<br />
kommt nicht in Betracht.<br />
Daniel Buchinger, Ass. iur., Frankfurt/M und Dr. Gero Pfeiffer,<br />
Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth), Gelnhausen<br />
RECHTSPRECHUNG Strafrecht Anstiftung zum Auftragsmord<br />
<strong>WWW</strong>.<strong>JA</strong>-<strong>AKTUELL</strong>.<strong>DE</strong><br />
BGH, Urteil vom 12. 1. 2005 –<br />
2 StR 229/04 (LG Kassel), NJW<br />
2005, 996<br />
1. Für die Anstiftung zum Heimtückemord genügt bedingter<br />
Vorsatz des Anstifters, der auch gegeben sein kann, wenn der<br />
Anstifter aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit<br />
der Tatausführung einverstanden ist.<br />
2. Ist bei dem Täter einer bezahlten Auftragstötung das Handeln<br />
aus Habgier neben anderen Motiven nicht bewusstseinsdominant,<br />
kommen auch sonstige niedrige Beweggründe als<br />
Mordmerkmal in Betracht.<br />
3. Fehlt beim Anstifter der Vorsatz hinsichtlich des tatsächlich<br />
vorliegenden Mordmerkmals der Heimtücke, stellt sich der Anstifter<br />
jedoch vor, der Täter werde aus Habgier handeln, so ist<br />
tateinheitlich zur Anstiftung zum Totschlag eine versuchte Anstiftung<br />
zum Mord gegeben.<br />
n<br />
SACHVERHALT (VEREINFACHT)<br />
A wollte seine von ihm in Trennung lebende Ehefrau F töten lassen,<br />
um zu verhindern, dass ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht<br />
für die gemeinsame Tochter zugesprochen würde. Er beauftragte<br />
daher den B mit der Umsetzung seines Vorhabens. Vorgaben,<br />
wie die Tat auszuführen sei, machte A nicht. A nahm an,<br />
dass B die Tat wegen der versprochenen Belohnung von 1 000 E<br />
beging. Tatsächlich war dies nur ein Beweggrund des B, der<br />
durch die Tat vornehmlich sein Ansehen bei A erhöhen wollte.<br />
B fuhr zur Wohnung der F, klingelte und tötete die arglos die<br />
Haustür öffnende F mit zwölf Messerstichen in ihre Hals- und<br />
Brustgegend.<br />
n<br />
PROBLEM<br />
Die vorliegende Entscheidung ist die zweite binnen weniger Monate,<br />
1 in der der 2. Strafsenat Stellung zum systematischen Verhältnis<br />
von Mord und Totschlag und zu damit verbundenen Folgeproblemen<br />
nimmt. Die Bedeutung des nunmehr ergangenen<br />
Urteils wird daran deutlich, dass seine Veröffentlichung in der<br />
amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs<br />
in Strafsachen (BGHSt) vorgesehen ist.<br />
Anstiftung zum Auftragsmord<br />
§§ 28, 30 I StGB: Irrtum des Anstifters über Mordmerkmale des Täters<br />
1. Der Sachverhalt verlangt zunächst, sich mit den Anforderungen<br />
an den Vorsatz des Anstifters zu befassen. Der Anstiftervorsatz<br />
hat eine doppelte Richtung. Zum einen muss er sich auf<br />
das Bestimmen iSd § 26, dh das Hervorrufen des Tatentschlusses<br />
2 beziehen, zum anderen auf die vorsätzliche rechtswidrige<br />
Haupttat.<br />
Dafür ist nicht ausreichend, den Haupttäter ganz allgemein<br />
zu einer strafbaren Handlung zu veranlassen. Andererseits ist<br />
nicht erforderlich, dass der Anstifter die Haupttat in allen Einzelheiten<br />
kennt. Vielmehr genügt, dass sich sein Vorsatz auf die<br />
Ausführung einer in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen<br />
konkretisierten Tat bezieht. Die konkreten Ausführungsmodalitäten<br />
können dagegen dem Täter überlassen werden. 3<br />
Vorliegend hat das Landgericht die Tötung durch B als heimtückisch<br />
bewertet und als Haupttat somit einen Mord angenommen.<br />
Zugunsten des A ging das Gericht jedoch davon aus, dass<br />
er keinen Vorsatz bzgl der heimtückischen Tatausführung hatte,<br />
weil er sich keine nähere Vorstellung von den Tatumständen<br />
machte. Daher wurde A nur eine Anstiftung zum Totschlag zur<br />
Last gelegt.<br />
2. Grdl für die Besprechung der Entscheidung ist des Weiteren<br />
das systematische Verhältnis von Mord und Totschlag. Während<br />
die Rspr Mord und Totschlag als zwei selbstständige Tatbestände<br />
betrachtet, 4 stellt nach hL Mord eine Qualifikation gegenüber<br />
dem Totschlag dar. 5<br />
Der Meinungsstreit hat vor allem Folgen, wenn bei Täter und<br />
Teilnehmer Divergenzen in den täterbezogenen Mordmerkmalen<br />
auftreten. Sieht man mit der Lit Mordmerkmale als Qualifikations-<br />
und somit strafschärfende Merkmale an, ist § 28 II StGB<br />
einschlägig. Danach werden besondere persönliche Merkmale<br />
nur demjenigen Beteiligten angelastet, der sie in eigener Person<br />
aufweist. Bei Divergenzen zwischen Täter und Teilnehmer<br />
kommt es zu einer Tatbestandsverschiebung. 6<br />
Nach der Rspr sind Mordmerkmale dagegen eigenständige<br />
und daher strafbegründende Merkmale. Dies führt zur Anwendung<br />
des § 28 I StGB, wenn der Teilnehmer die täterbezogenen<br />
Mordmerkmale des Haupttäters zwar kennt, selbst aber nicht<br />
erfüllt. Rechtsfolge ist eine Strafrahmenverschiebung, dh der<br />
Teilnehmer ist trotz fehlenden Mordmerkmals wegen Teilnahme<br />
am Mord schuldig zu sprechen, seine Strafe allerdings gem §§ 28<br />
I, 49 I StGB zu mildern. 7<br />
3. Basierend auf dem Verhältnis von Totschlag und Mord stellt<br />
sich vorliegend ein weiteres Problem. Verneint man mit dem<br />
Landgericht, dass das Verhalten des B habgierig war, weil ihn<br />
neben der Belohnung auch weitere Antriebe zur Tat bewegt haben,<br />
kommt als akzessorische Haupttat für die Anstiftung des A<br />
nur noch ein Totschlag in Frage.<br />
1 BGH HRRS 2004 Nr 934; dazu Valerius <strong>JA</strong> 2005, 412<br />
2 BGHSt 9, 370, 379; Kindhäuser Strafrecht AT § 41 Rn 5; Wessels/Beulke Strafrecht<br />
AT, 34. Aufl, Rn 568<br />
3 Vgl BGHSt 6, 359, 362; 34, 63, 64 ff; Kindhäuser (Fn 2) § 41 Rn 22; Wessels/Beulke<br />
(Fn 2) Rn 572<br />
4 BGHSt 1, 368, 370 f; 22, 375, 377; vgl dazu Fischer/Gutzeit <strong>JA</strong> 1998, 41, 43<br />
5 Statt vieler Schönke/Schröder-Eser StGB, 26. Aufl, Vorbem §§ 211 ff Rn 3, 5 f<br />
6 Schönke/Schröder-Cramer/Heine (Fn 5) § 28 Rn 28; SKStGB-Hoyer § 28 Rn 4;<br />
NKStGB-Neumann § 211 Rn 115<br />
7 BGHSt 22, 375, 377; zusammenfassend BGH NJW 2005, 996, 997<br />
682 <strong>JA</strong> 2005 · Heft 10
RECHTSPRECHUNG Strafrecht Anstiftung zum Auftragsmord<br />
Allerdings ist A davon ausgegangen, dass B die Tat wegen<br />
der Belohnung und somit aus Habgier ausführen würde. Er hatte<br />
somit vor, den B nicht nur zu einem Totschlag, sondern zu einem<br />
Mord anzustiften. Zur vollendeten Anstiftung zum Totschlag<br />
(§§ 212 I, 26 StGB) könnte daher tateinheitlich eine versuchte<br />
Anstiftung zum Mord (§§ 211, 30 I StGB) treten.<br />
Grds ist § 30 I StGB subsidiär und gelangt nur zur Anwendung,<br />
soweit das Gesetz nicht eine andere Strafe androht. Insb<br />
tritt die Vorschrift zurück, wenn das Verbrechen, zu dem angestiftet<br />
wird, in das Versuchsstadium oder zur Vollendung gelangt<br />
ist. 8 Bleibt die tatsächlich begangene (versuchte oder vollendete)<br />
Haupttat jedoch hinter dem Tatbestand zurück, zu dessen<br />
Verwirklichung der Anstifter den Täter bestimmen wollte, ist<br />
nach hM eine Subsidiarität unangebracht, da dann die Höhe des<br />
vorbereiteten Unrechts unberücksichtigt bliebe. 9<br />
So wird etwa Idealkonkurrenz zwischen vollendeter Anstiftung<br />
zur falschen uneidlichen Aussage und versuchter Anstiftung<br />
zum Meineid angenommen, wenn der Täter sich zu einem Meineid<br />
bereiterklärt, vor Gericht aber unvereidigt bleibt. 10 Gleiches<br />
soll gelten, wenn der Anstifter den Täter zu einem Mord aus tatbezogenem<br />
Mordmerkmal bestimmen will, die Tat letztlich aber<br />
nur einen Totschlag darstellt. 11<br />
Die vorliegende Konstellation, dass zwischen vorgestellter<br />
und tatsächlich begangener Tat die täterbezogenen Mordmerkmale<br />
divergieren, wurde bislang kaum behandelt. Mit den wenigen<br />
Stellungnahmen im Schrifttum 12 ist die Lösung aus der<br />
Wertung des § 28 II StGB abzuleiten. Danach gereichen täterbezogene<br />
Mordmerkmale nur demjenigen Beteiligten zum Nachteil,<br />
der sie in eigener Person erfüllt. Ob der Teilnehmer dagegen von<br />
persönlichen Mordmerkmalen des Täters weiß oder diese irrigerweise<br />
annimmt, ist unbeachtlich. Für § 30 I StGB ist somit kein<br />
Raum.<br />
Will der Anstifter zu einem Mord aus täterbezogenen Mordmerkmalen<br />
bestimmen, begeht der Täter aber nur einen Totschlag,<br />
ist daher nach Lit allein entscheidend, ob der Anstifter<br />
selbst ein solches Mordmerkmal aufweist. Ist dies der Fall, ist er<br />
über § 28 II StGB wegen vollendeter Anstiftung zum Mord strafbar,<br />
ansonsten – trotz weitergehenden Anstiftervorsatzes – nur<br />
wegen vollendeter Anstiftung zum Totschlag.<br />
n<br />
LÖSUNG <strong>DE</strong>S BGH<br />
1. Der BGH stellt zunächst klar, an seiner Rspr zum Verhältnis<br />
von Mord und Totschlag festhalten zu wollen. Basierend auf<br />
diesem – vom Landgericht noch geteilten – Ausgangspunkt, setzt<br />
sich der BGH intensiv und kritisch mit dessen Wertungen auseinander.<br />
Dies betrifft zunächst die einengende Auslegung des<br />
Anstiftervorsatzes.<br />
»Bei diesen Erwägungen verkennt das Landgericht, dass für<br />
den Anstifter auch bedingter Vorsatz ausreicht (vgl BGHSt<br />
44, 99 = NStZ 1998, 616 m Anm Roxin). Der Angekl musste<br />
daher die tatbezogenen Umstände, die die in Auftrag gegebene<br />
Tötung zum Mord machten, nicht positiv kennen, es<br />
genügte vielmehr, dass er sie billigend in Kauf nahm. Bedingten<br />
Vorsatz in diesem Sinn hat ein Straftäter aber auch<br />
dann, wenn er aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden<br />
Möglichkeit einverstanden ist (vgl BGHSt 40, 304, 306 f;<br />
BGH, Urteil vom 6. 11. 2002 – 2 StR 289/02). Das lag hier<br />
nahe, denn dem Angekl war es ›egal‹, wie die Tat durchgeführt<br />
würde.«<br />
Zudem bemängelt der BGH die Ausführungen zur Habgier des<br />
Haupttäters B als widersprüchlich. Auch wenn die Habgier nicht<br />
bewusstseinsdominant gewesen sein und der Täter vornehmlich<br />
gehandelt haben sollte, um sein Ansehen bei A zu steigern, wären<br />
des Weiteren sonstige niedrige Beweggründe nahe gelegen.<br />
Der BGH hätte somit bereits auf zweierlei Weise (Vorsatz des A<br />
bzgl Heimtücke; Mord des B aus Habgier) entgegen dem Landgericht<br />
eine Anstiftung zum Mord angenommen.<br />
2. Selbst wenn man der Wertung des Landgerichts folge, sei der<br />
Schuldspruch fehlerhaft, weil die Vorstellung des A unberücksichtigt<br />
bleibt, dass B den Auftragsmord nur wegen des Erhalts<br />
der versprochenen Belohnung ausführte.<br />
»Das Landgericht hat aber übersehen, dass der Angekl zu der<br />
ausgeurteilten Anstiftung zum Totschlag tateinheitlich auch<br />
eine versuchte Anstiftung zum Mord (§§ 30, 211 StGB) begangen<br />
hätte, weil er sich – wovon auch das Landgericht<br />
ausgeht . . . – vorstellte, dass die von ihm veranlasste Auftragstötung<br />
allein wegen der ausgelobten Belohnung und<br />
somit aus Habgier begangen werde.«<br />
Das nicht näher begründete Ergebnis tateinheitlicher Verwirklichung<br />
von vollendeter Anstiftung zum Totschlag und versuchter<br />
Anstiftung zum Mord 13 erscheint aus Sicht des BGH zunächst<br />
konsequent. Da er Mord und Totschlag als eigenständige<br />
Tatbestände ansieht, muss er bei divergierenden täterbezogenen<br />
Mordmerkmalen auf § 28 I StGB zurückgreifen. Danach ist<br />
der Anstifter bereits dann der Anstiftung zum Mord schuldig,<br />
wenn er Kenntnis von dem persönlichen Mordmerkmal des<br />
Täters hat.<br />
Für den Schuldspruch kommt nach Rspr der Vorstellung des<br />
Anstifters somit größere Bedeutung als nach Lit zu, wonach allein<br />
maßgebend ist, ob der Teilnehmer ein täterbezogenes Mordmerkmal<br />
in eigener Person verwirklicht. Dies legt den Schluss<br />
des BGH nahe, dass auch im umgekehrten Fall der nur irrigen<br />
Annahme täterbezogener Mordmerkmale des Täters die (Fehl-)<br />
Vorstellung des Anstifters im Schuldspruch auf die gezeigte<br />
Weise zu berücksichtigen sei.<br />
Dabei wird jedoch die Wertung des § 28 I StGB missachtet. 14<br />
Anders als bei § 28 II StGB, bei dem es zu einer Tatbestandsverschiebung<br />
nach beiden Seiten, dh sowohl zu Gunsten als auch zu<br />
Lasten des Teilnehmers (wie allg jedes Beteiligten), kommen<br />
kann, ist dem § 28 I StGB jegliche (Strafrahmen-)Verschiebung<br />
zu Lasten des Teilnehmers fremd. § 28 I StGB enthält somit eine<br />
Regelung, die für den Teilnehmer ausschließlich vorteilhaft ist.<br />
Liegt etwa als Haupttat ein Totschlag vor, kann dem Anstifter<br />
nicht einmal zum Nachteil gereichen, dass er in eigener Person<br />
ein täterbezogenes Mordmerkmal aufweist. Umso weniger ist es<br />
gerechtfertigt, die bloße Vorstellung, dass der Täter ein solches<br />
Merkmal erfülle, im Schuldspruch durch eine tateinheitliche Verwirklichung<br />
von vollendeter Anstiftung zum Totschlag und versuchter<br />
Anstiftung zum Mord zu berücksichtigen.<br />
Das Ergebnis mag unbillig erscheinen, weil der Anstifter zu<br />
einem höheren als dem verwirklichten Unrecht anstiften wollte.<br />
Allerdings ist dies lediglich die Konsequenz des systematischen<br />
Verständnisses der Rspr in Bezug auf die Tötungsdelikte<br />
und der daraus resultierenden Anwendbarkeit des § 28 I StGB.<br />
InsolchenFällenkannabervermehrteinTotschlagineinem<br />
8 BGHSt 1, 131, 135; 9, 131, 132 f; Schönke/Schröder-Cramer/Heine (Fn 5) § 30 Rn 37 f<br />
9 BGHSt 9, 131, 133 f; Geppert Jura 1997, 546, 552; SKStGB-Hoyer § 30 Rn 60; LK-Roxin<br />
§ 30 Rn 54; ders Strafrecht AT2, § 28 Rn 38; aA NKStGB-Zaczyk § 30 Rn 76<br />
10 BGHSt 9, 131; Schönke/Schröder-Cramer/Heine (Fn 5) § 30 Rn 39; Dreher GA 1954,<br />
11, 21; Geppert Jura 1997, 546, 552; LK-Roxin § 30 Rn 53<br />
11 Schönke/Schröder-Cramer/Heine (Fn 5) § 30 Rn 39; MKStGB-Joecks § 30 Rn 68<br />
12 Schönke/Schröder-Cramer/Heine (Fn 5) § 30 Rn 39; Maurach JuS 1969, 249, 256<br />
13 So bereits Engländer <strong>JA</strong> 2004, 410, 412<br />
14 Vgl auch Schönke/Schröder-Eser § 211 Rn 52<br />
<strong>JA</strong> 2005 · Heft 10 683
RECHTSPRECHUNG Strafrecht Anstiftung zum Auftragsmord<br />
besonders schweren Fall (§ 212 II StGB) in Erwägung gezogen<br />
werden.<br />
n<br />
FAZIT<br />
Dass Rspr und Lit in Bezug auf das Verhältnis von Mord und Totschlag<br />
unterschiedlicher Auffassung sind, macht sich nicht nur<br />
bei divergierenden Mordmerkmalen von Täter und Teilnehmer<br />
bemerkbar. 15 Die vorliegende Entscheidung hat die Liste der<br />
Sachverhaltskonstellationen, auf denen sich der Meinungsstreit<br />
auswirkt, um eine weitere Variante bereichert.<br />
Dr. Brian Valerius, Wiss. Mit., Würzburg<br />
15 Übersichten bei Engländer <strong>JA</strong> 2004, 410; Fischer/Gutzeit <strong>JA</strong> 1998, 41, 44 ff; Wessels/<br />
Hettinger Strafrecht BT1, 28. Aufl, Rn 144 ff<br />
RECHTSPRECHUNG Strafrecht Absprachen im Strafprozess<br />
<strong>WWW</strong>.<strong>JA</strong>-<strong>AKTUELL</strong>.<strong>DE</strong><br />
BGH, Großer Strafsenat,<br />
Beschluss vom 3. 3. 2005 –<br />
GSSt 1/04 (LG Lüneburg,<br />
LG Duisburg), NJW 2005, 1440<br />
1. Das Gericht darf iRe Urteilsabsprache an der Erörterung<br />
eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und auf einen solchen<br />
Verzicht auch nicht hinwirken.<br />
2. Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zu Grunde<br />
liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach § 35 a S 1<br />
StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber<br />
zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung<br />
frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung).<br />
Dies gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht<br />
nicht zum Gegenstand hatte.<br />
3. Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die<br />
Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn<br />
erklärende Rechtsmittelberechtigte nicht qualifiziert belehrt<br />
worden ist.<br />
n<br />
SACHVERHALT<br />
Mit dem vorliegenden Beschluss beantwortet der Große Strafsenat<br />
eine Rechtsfrage, die der 3. Strafsenat des BGH wegen einer<br />
beabsichtigten Abweichung von der Rspr anderer Senate (sog<br />
Divergenzvorlage, § 132 II GVG) und wegen der grds Bedeutung<br />
der Fragen (sog Vorlage wegen grds Bedeutung, § 132 IV GVG),<br />
diesem zur Entscheidung vorgelegt hat. 1 Diese Frage stellte sich<br />
dem 3. Strafsenat in zwei (miteinander verbundenen) Revisionsverfahren.<br />
Jeweils ging es darum, ob ein im Zusammenhang mit<br />
einer Absprache erklärter Rechtsmittelverzicht wirksam war. Die<br />
Annahme der Wirksamkeit des Verzichts hätte die Unzulässigkeit<br />
der Revisionen zur Folge.<br />
Im ersten Verfahren vor dem LG Duisburg wegen unerlaubten<br />
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />
sicherte die Kammer dem Angekl – laut Hauptverhandlungsprotokoll<br />
– »nach Erörterung der Sach- und Rechtslage . . . eine<br />
Freiheitsstrafe von höchstens vier Jahren und neun Monaten<br />
bei Rechtsmittelverzicht zu«. Dem stimmten der Angekl und<br />
sein Verteidiger sowie die Sitzungsvertreterin der StA zu. Daraufhin<br />
legte der Angekl ein Geständnis ab und wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />
von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.<br />
Unmittelbar nach der Verkündung des Urteils wurde allseits auf<br />
Rechtsmittel verzichtet. Fünf Monate später legte der Angekl<br />
unter Berufung auf die Unwirksamkeit des im Vorfeld abgesprochenen<br />
Rechtsmittelverzichts Revision ein (und beantragte Wiedereinsetzung<br />
in den vorigen Stand).<br />
Im zweiten Verfahren – vor dem LG Lüneburg – war der Rechtsmittelverzicht<br />
zwar nicht Inhalt der Urteilsabsprache selbst. Das<br />
Absprachen im Strafprozess, Wirksamkeit eines abgesprochenen<br />
Rechtsmittelverzichts<br />
§§ 35 a S 1, 44 S 2 StPO: Fair-trial-Grundsatz<br />
Gericht bezeichnete allerdings in seinem (danach von allen Verfahrensbeteiligten<br />
akzeptierten) Vorschlag für eine einverständliche<br />
Verfahrenserledigung, bei der im Gegenzug für ein umfassendes<br />
Geständnis der Angekl eine Strafobergrenze in Aussicht<br />
gestellt wurde, einen Rechtsmittelverzicht als »wünschenswert«.<br />
Die Angekl erklärte nach Urteilsverkündung und nach Rücksprache<br />
mit ihrem Verteidiger zwar den Rechtsmittelverzicht, legte am<br />
darauf folgenden Tag allerdings – unter Hinweis auf die Unwirksamkeit<br />
eines abgesprochenen Verzichts – Revision ein.<br />
n<br />
PROBLEM<br />
In beiden Fällen wollte der 3. Senat von einer Unwirksamkeit der<br />
Verzichtserklärungen ausgehen. Die bisherige höchstrichterlichen<br />
Rspr hat diese Frage aber nicht abschließend geklärt. Der<br />
4. und der 5. Strafsenat haben auf Anfrage (gem § 132 III 1 GVG)<br />
mitgeteilt, dass eigene Rspr nicht entgegensteht bzw insoweit<br />
aufgegeben wird. Demgegenüber haben der 1. und der 2. Senat<br />
bekundet, an der grds Wirksamkeit eines (unzulässig) vereinbarten<br />
Rechtsmittelverzichts festhalten zu wollen, so dass eine Divergenzvorlage<br />
erforderlich war.<br />
Ob der nach Urteilsverkündung erklärte Verzicht auf Rechtsmittel<br />
Wirksamkeit erlangt, wenn diese Erklärung auf einer im<br />
Vorfeld getroffenen Absprache beruht, ist elementar für die<br />
rechtliche Disziplinierbarkeit der – jenseits der StPO angesiedelten<br />
– Absprachenpraxis insg Ein abgesprochener, aber gleichwohl<br />
wirksamer Rechtsmittelverzicht stellt eine »Mauer« dar, die<br />
das abgesprochene Urteil jeglicher Überprüfung entzieht und die<br />
Absprache somit – unabhängig von deren Inhalt und Zustandekommen<br />
– »wasserdicht« macht.<br />
Zwei Fragen gilt es auseinander zu halten, die auch der Große<br />
Senat nacheinander behandelt:<br />
n Ist eine Urteilsabsprache zulässig, die den Verzicht auf<br />
Rechtsmittel zum Inhalt hat bzw iR derer das Gericht auf einen<br />
Rechtsmittelverzicht hinwirkt?<br />
n Ist die Erklärung eines derart abgesprochenen Rechtsmittelverzichts<br />
des Angekl wirksam?<br />
1 NJW 2004, 2536<br />
684 <strong>JA</strong> 2005 · Heft 10