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Pirat Sockenfuß Kapitel 10

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<strong>Pirat</strong> <strong>Sockenfuß</strong><br />

Ralf Scherlinzky<br />

<strong>Kapitel</strong> <strong>10</strong>


<strong>10</strong>. Der alte Schiffskoch<br />

Tim rappelte sich auf. Seine Nase schmerzte und er wunderte sich,<br />

dass er nicht blutete. „Tu das nie wieder“, zischte Hasdrubal, als er<br />

ihn am Kragen packte und ihn in Richtung Schiffsheck hinter sich<br />

her zerrte. Wie soll ich auch, dachte sich Tim, du willst mich ja eh<br />

vom Schiff werfen. Umso verdutzter war er, als Hasdrubal sagte:<br />

„Irgendwie mag ich dich. Du bist ein lustiges Kerlchen. Wer weiß,<br />

vielleicht wirst du uns irgendwann mal noch nützlich sein. Das wird<br />

dem Käpt’n zwar nicht gefallen und ich werde mächtigen Ärger<br />

bekommen, wenn er es erfährt, aber ich bringe dich jetzt runter in die<br />

Kombüse. Dort kannst du unserem Koch beim Kartoffelschälen<br />

helfen. Der alte Stockfisch kommt nie dort runter, und ich werde<br />

dafür sorgen, dass auch unser guter Lazarus nicht in die Nähe der<br />

Küche kommt. Der Koch schuldet mir noch einen Gefallen, insofern<br />

wird er dich nicht verraten.“<br />

Der Redeschwall des <strong>Pirat</strong>en schien kein Ende zu nehmen. „Dass<br />

du beim alten Stockfisch gelacht hast, war sehr dumm von dir. Aber<br />

ich kann es gut verstehen, irgendwie ist er ja auch eine Witzfigur.<br />

Aber dennoch, er ist einer der mächtigsten <strong>Pirat</strong>en der Karibik.“<br />

„Karibik? Sind wir hier in der Karibik?“, entfuhr es Tim. „Na, du<br />

bist mir ja ein kleiner Witzbold. Wo sollen wir denn sonst sein?“<br />

„Na, in Deu...“, begann Tim, beschloss dann aber, für sich zu<br />

behalten, wie er hierher gekommen war. Der <strong>Pirat</strong> würde ihm<br />

sowieso nicht glauben und es würde ihn auch nicht interessieren.<br />

Noch bevor er „Ist ja auch egal“ sagen konnte, flüsterte Hasdrubal<br />

„hier sind wir“. Er blickte sich nochmal nach allen Seiten um, um<br />

Gewissheit zu bekommen, dass niemand sie beobachtete, dann<br />

1


öffnete er die schwere Holztür und forderte Tim auf, schnell<br />

hineinzugehen und die Treppe runter zu steigen.<br />

„He Alter, ich habe hier ein Helferlein für dich“, begrüßte<br />

Hasdrubal den Koch. Die beiden tuschelten miteinander und Tim<br />

nahm an, dass Hasdrubal dem Koch erzählte, was gerade vorgefallen<br />

war und ihm die Anweisung gab, den Jungen zu verstecken. Der<br />

Koch kam grinsend auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.<br />

„Hallo, ich bin Krank.“ – „Oh, das tut mir leid, was fehlt dir denn?“,<br />

antwortete Tim verwundert. „Nein nein, mein Name ist Krank. Na ja,<br />

eigentlich heiße ich Reginald, aber mich nennen alle nur Krank“,<br />

lachte der Koch.<br />

Die Gesellschaft von Krank und Hasdrubal ließ Tim wieder<br />

durchatmen. Hasdrubal hatte ihm mehr oder weniger das Leben<br />

gerettet, und bei Krank war er vorerst sicher. Er schämte sich fast<br />

dafür, dass er Hasdrubal in den Arm gebissen hatte. „Tut mir leid mit<br />

deinem Arm“, entschuldigte er sich bei Hasdrubal. Dieser winkte nur<br />

ab. „Schon gut, hab schon Schlimmeres abbekommen.“<br />

Tim überlegte, ob er mit Hilfe der beiden in einem günstigen<br />

Augenblick zur Kiste zurück gelangen konnte, um wieder nach<br />

Hause zurückkehren zu können. Dass dieser Augenblick nicht jetzt<br />

war, war ihm natürlich klar. Und dann war da ja auch noch die Sache<br />

mit seinem Großvater. So gerne er sich selbst in Sicherheit bringen<br />

würde, er musste schauen, dass er vorher noch seinen Opa finden<br />

und ihm helfen konnte. Denn er war sich inzwischen fast sicher, dass<br />

dieser tatsächlich noch lebte und sich irgendwo in der <strong>Pirat</strong>enwelt<br />

aufhielt.<br />

Er beschloss, Krank um Hilfe zu bitten, wenn die Gelegenheit<br />

günstig war, und ihn in seine Geheimnisse einzuweihen. Dieser hätte<br />

selbst sein Großvater sein können, so alt war er schon. Bestimmt<br />

2


kannte er sich in der <strong>Pirat</strong>enwelt bestens aus und konnte Tim auf der<br />

Suche nach Opa Jakob unterstützen. Und wer weiß, vielleicht kannte<br />

er ihn ja sogar. Zugegeben, dieser Gedanke war recht<br />

unwahrscheinlich, aber wenn Tim an diesem aufregenden Tag eines<br />

gelernt hatte, dann das, dass nichts unmöglich war.<br />

„Ich komme später wieder, und dann musst du mir noch ein paar<br />

Dinge erzählen“, verabschiedete sich Hasdrubal. „Aber jetzt muss<br />

ich Lazarus helfen, sonst schöpft der Griesgram noch Verdacht.“<br />

„Soso, du hast also Kapitän Stockfisch gewaltig auf die Palme<br />

gebracht.“ Krank schaute Tim belustigt an. „Schaut aus, als seist du<br />

ein mutiger kleiner Bursche.“ Er schob sich seine wenigen noch<br />

verbliebenen grauen Haare aus der Stirn – und zwar mit der Hand,<br />

die gerade noch irgendeinen Teig geknetet hatte. Widerlich, dachte<br />

Tim. Ein Stückchen Teig klebte nun zwischen den Haaren, und Tim<br />

starrte es wie hypnotisiert an.<br />

„Woher kommst du“, wollte Krank wissen. „Deutschland“,<br />

antwortete Tim abwesend, während er immer noch das<br />

Teigstückchen in Krank’s Haaren bestaunte.<br />

Krank erstarrte für einen Moment, ehe er dann mit zittriger Stimme<br />

sagte: „Kenn ich nicht, ist das eine Insel?“<br />

Erstaunt löste sich Tim’s Blick von dem Teigstückchen. „Du<br />

kennst Deutschland nicht?“, fragte er erstaunt, ohne jedoch Krank’s<br />

Verunsicherung bemerkt zu haben. Der Koch schüttelte hektisch den<br />

Kopf. „Deutschland ist in Europa und gehört zur Europäischen<br />

Union“, belehrte Tim den alten Mann, der sich jetzt wieder gefangen<br />

hatte. „und da tragt ihr solche komischen Trachten“, fragte Krank<br />

und zeigte auf Tim’s Kleider. Tim blickte an sich hinunter. Das T-<br />

Shirt mit dem schwarz-rot-gold aufgemalten Brandenburger Tor, die<br />

blaue Bermuda-Short, die Sandalen und die weißen Sportsocken<br />

3


passten wirklich nicht richtig in die <strong>Pirat</strong>enwelt. „Die weißen Dinger<br />

an deinen Füßen sind ja lustig, wie heißen die nochmal?“. - „Äh,<br />

Socken, wieso?“. „Nur so, ich hab solche Dinge vor langer Zeit auch<br />

hin und wieder angehabt, aber das ist bestimmt schon über 50 Jahre<br />

her und ich wusste nicht mehr, wie sie heißen. Sowas gibt es hier bei<br />

uns nicht.“<br />

Tim musste sich schon stark wundern. Dass <strong>Pirat</strong>en aus der<br />

Karibik Deutschland nicht kannten, ok. Aber dass sie nicht mal<br />

solche alltäglichen Dinge wie Socken kannten, das war schon mehr<br />

als eigenartig.<br />

Krank wollte hören, wie es ihn ausgerechnet auf dieses Schiff<br />

verschlagen hatte. Tim erkannte seine Chance. Wenn er Krank jetzt<br />

in das Geheimnis der Kiste einweihen würde, könnte dieser ihm<br />

vielleicht auch gleich helfen. „Kannst du ein Geheimnis für dich<br />

behalten?“, fragte er den alten Koch. „Ich liebe Geheimnisse“,<br />

antwortete dieser mit einem neugierigen Grinsen. „Und ich kann<br />

schweigen wie ein Grab.“<br />

Er konnte es Tim ansehen, dass dieser Zweifel hegte. „Weißt du,<br />

mein Junge, auf so einem <strong>Pirat</strong>enschiff werden nicht viele so alt wie<br />

ich. Ich habe die ganzen Jahre als Koch auf verschiedensten<br />

<strong>Pirat</strong>enschiffen viele Männer sterben sehen. Männer, die<br />

Geheimnisse ausgeplaudert hatten. Und was glaubst du, wie ich dann<br />

so alt werden konnte?“<br />

Diese Belehrung verfehlte ihr Ziel nicht, und Tim war sich sicher,<br />

dass der weise alte Koch tatsächlich einer war, dem man vertrauen<br />

konnte.<br />

„Okay, also gut!“. Tim begann zu erzählen, wie er in Deutschland<br />

in die Kiste gestiegen war, wie er mit dem Schließen des Deckels<br />

plötzlich in eine andere Welt befördert worden war und wie er sich<br />

4


überhaupt nicht erklären konnte, was mit ihm geschehen war. Krank<br />

hörte aufmerksam zu. Hin und wieder runzelte er die Stirn, doch er<br />

ließ Tim ausreden. „Und dann musste ich niesen, und Hasdrubal und<br />

dieser Lazarus haben mich entdeckt. Tja, und nun bin ich hier.“<br />

Der Schiffskoch verzog immer noch keine Miene. Tim begann<br />

schon unruhig auf dem Fass mit der Aufschrift „Rum“ hin und her zu<br />

rutschen, als Krank sich endlich rührte. Sein Gesicht verzog sich zu<br />

einer Fratze und er fing laut an zu lachen. „Du kleiner Spinner! Fast<br />

hättest du mich überzeugt. Aber so leicht lässt sich der alte Krank<br />

nicht veräppeln. Von so einem kleinen Wichtigtuer schon dreimal<br />

nicht. Und jetzt ist Schluss mit dem Gelaber. Hilf mir lieber, die<br />

Kartoffeln zu schälen. Wir müssen nachher 30 hungrige Mäuler<br />

stopfen und die Arbeit macht sich nicht von allein.“<br />

Tim war empört und protestierte lautstark. „Ich habe dir das<br />

erzählt, weil ich dir vertraue. Das ist unfair, dass du mir jetzt nicht<br />

glaubst..“ Die Hoffnung, den alten Mann doch noch zu überzeugen,<br />

wurde mit einem barschen „Maul halten, Kartoffeln schälen“ jedoch<br />

schnell zunichte gemacht.<br />

Tim ärgerte sich. Wie konnte er überhaupt glauben, dass ihm<br />

jemand eine solch haarsträubende Geschichte abnimmt?<br />

Er machte sich umständlich mit einem rostigen Ding, das die Form<br />

eines Messers hatte, an einer Kartoffel zu schaffen. Zuhause hatte<br />

Mama das immer gemacht, weshalb er keine Ahnung hatte, wie er<br />

die Kartoffel am besten von ihrer Schale befreien konnte. „Beim<br />

Klabautermann“ – Krank verdrehte die Augen und schüttelte den<br />

Kopf. Dem Jungen musste man wirklich alles von Grund auf<br />

beibringen.<br />

Insgeheim war der Koch froh, dass er den Jungen so überzeugend<br />

zum Schweigen bringen konnte. Was war ihm doch für ein Schock in<br />

5


die Glieder gefahren, als er Tim zum ersten Mal gesehen hatte. Für<br />

einen kurzen Moment hatte er begonnen, in alten Erinnerungen zu<br />

schwelgen. Er hatte doch tatsächlich vergessen, dass die Dinger<br />

Socken hießen. So langsam schien er zu verkalken. Es mussten<br />

tatsächlich schon über 50 Jahre verstrichen sein, seit er hier gelandet<br />

war. Während er den Jungen in die Geheimnisse des<br />

Kartoffelschälens einweihte, dachte er zurück an damals. Er hatte mit<br />

seinen Freunden eine Bootstour unternommen. Dann war dieses<br />

schreckliche Unwetter aufgekommen. Danach waren sie einige Zeit,<br />

es mussten ein paar Tage gewesen sein, ziellos auf dem Meer<br />

getrieben – unfähig, das Boot wieder auf Kurs zu bringen. Der Reihe<br />

nach waren sie ohnmächtig geworden und waren urplötzlich in einer<br />

ganz anderen Welt wieder zu sich gekommen. Man hatte sie an den<br />

Mast eines <strong>Pirat</strong>enschiffes gefesselt.<br />

Seine Leidenschaft für das Kochen hatte ihm damals das Leben<br />

gerettet. Der Schiffskoch war schwer krank geworden, da hatte er<br />

angeboten, für ihn einzuspringen. Zwar hatte er furchtbare Angst vor<br />

den <strong>Pirat</strong>en gehabt, doch war das Kochen für sie immer noch besser<br />

als an den Mast gebunden zu sein. Seit dieser Zeit hatten sie ihn nur<br />

noch Krank genannt. Er mochte den Namen zwar anfangs nicht, hatte<br />

sich aber schnell daran gewöhnt. Natürlich lebte er auf dem Schiff<br />

anfangs in großer Furcht und wollte nach Hause. Aber als er gesehen<br />

hatte, wie übel seine drei Freunde bei ihrem Fluchtversuch vom<br />

<strong>Pirat</strong>enschiff zugerichtet worden waren, war er froh, dass er zu feige<br />

gewesen war, um sich ihnen anzuschließen. Nur einer der drei hatte<br />

tatsächlich vom Schiff entkommen können, die anderen beiden<br />

waren gleich getötet worden. Krank war sich sicher, dass auch der<br />

andere nicht weit gekommen war. Er hatte im Gesicht geblutet und<br />

war ins Meer gesprungen. Zwar hatte er ihn wegschwimmen sehen,<br />

6


da es in dem Gewässer aber massig Haie gegeben hatte, war er davon<br />

ausgegangen, dass auch er nicht überlebte. Krank konnte sich nicht<br />

mal mehr an die Namen der drei erinnern, so lange war das schon<br />

her.<br />

Eigentlich war es nun schon ein großer Zufall, dass der Junge<br />

ausgerechnet bei ihm gelandet war. Er betrachtete Tim von der Seite,<br />

während dieser sich mit den Kartoffeln abmühte. Ob er wohl ein<br />

guter <strong>Pirat</strong> werden würde? Nicht, wenn Kapitän Stockfisch erfahren<br />

würde, dass ich ihn hier verstecke, dachte er sich. Wenn es nach dem<br />

Kapitän gegangen wäre, wäre der Junge schon tot. „Sein Leben liegt<br />

jetzt in meiner Hand!“ – diese Erkenntnis ließ Krank bzw. Reginald,<br />

wie er ja ursprünglich geheißen hatte, erschauern.<br />

Er selbst war damals 18 Jahre alt gewesen, als es ihn zu den<br />

<strong>Pirat</strong>en verschlagen hatte. Wenn er in diesem Alter schon solche<br />

Angst gehabt hatte, wie mochte es dem Jungen denn dann erst<br />

ergehen? Plötzlich tat er ihm leid. Er entschied sich, ihm zu helfen<br />

wieder nach Hause zu kommen.<br />

Da kam ihm ein Gedanke, der ihn noch mehr zum Grübeln brachte.<br />

Wenn der Junge den Weg zurück nach Deutschland kannte, konnte<br />

er selbst ja auch mitgehen. Wie gerne würde er wieder an die Orte<br />

seiner Jugend zurückkehren. Die große Wiese am Bach unten bei der<br />

alten Mühle, auf der er mit seinen Freunden immer Fußball gespielt<br />

hatte. Und das Haus einer Eltern, das als einziges im Dorf vom Krieg<br />

verschont geblieben war. Und Rosemarie. Mein Gott, dachte Krank,<br />

wie viele Jahre hatte er schon nicht mehr an sie gedacht! Er hatte<br />

sich fest vorgenommen, sich mit ihr zu verloben – und dann war er<br />

aus dieser heilen Welt gerissen und zu den <strong>Pirat</strong>en versetzt worden.<br />

Wie gerne würde er sie wieder sehen. Auf der anderen Seite war sie<br />

– wenn sie überhaupt noch lebte – jetzt auch eine alte Frau und hätte<br />

7


Kinder, ja vielleicht sogar Enkelkinder. Sie hätte ihn nach einiger<br />

Zeit der Trauer vergessen und er würde bei einem plötzlichen<br />

Auftauchen ihr Leben durcheinander bringen. Dennoch wäre es<br />

reizvoll. Ob sich Deutschland wohl sehr verändert hatte? Vielleicht<br />

würde er sich dort ja gar nicht mehr zurechtfinden. Er beschloss, den<br />

Jungen auszufragen, ohne dass dieser Verdacht schöpfte.<br />

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