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Zivilisationstheorie von Norbert Elias.pdf - Gemeindeforschung.de

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Zur <strong>Zivilisationstheorie</strong> <strong>von</strong> <strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong><br />

Artur Bogner: Zivilisation und Rationalisierung<br />

Die Struktur sozialer Prozesse<br />

Dr. Hans Perlinger<br />

I. Die Biographie:<br />

Die Biographie <strong>von</strong> <strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong> lässt sich, unter Berücksichtigung seiner<br />

wichtigsten Werke, tabellarisch wie folgt darstellen 1 :<br />

Datum<br />

Vorgang<br />

22.6.1897 Geburt in Breslau.<br />

ab 1918 Studium <strong>de</strong>r Medizin, später Philosophie<br />

1924 Promotion und anschließen<strong>de</strong>r Wechsel nach<br />

Hei<strong>de</strong>lbarg<br />

1925 –<br />

1929/30<br />

Wechsel <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Philosophie zur Soziologie.<br />

Von 1925 – 1929/30 Habilitant bei Alfred Weber<br />

1930 – 1933 Assistent bei Karl Mannheimer<br />

1933 Flucht nach Paris<br />

1935 Flucht nach England<br />

1939 wird sein Hauptwerk „ Über <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r<br />

Zivilisation“ in Basel veröffentlicht<br />

1940 Stirbt sein Vater in Breslau<br />

1941 Stirbt seine Mutter in Auschwitz<br />

1954 – 1962 Erhielt er erstmals eine Dozentenstelle am neu<br />

gegrün<strong>de</strong>ten Department of Soziologie of Leicester.<br />

1962 – 1964 Übernahme einer Professur in Ghana<br />

1965 Gastprofessur an <strong>de</strong>r Universität in Münster<br />

1965 Studie: „ The Established and the Outsi<strong>de</strong>rs“, die sich<br />

mit dörflichem Stan<strong>de</strong>sverhalten befasst.<br />

1969 Erscheint sein Werk über „Die höfische Gesellschaft<br />

1976 Erscheint im Suhrkamp Verlag eine preiswerte<br />

Taschenbuchausgabe <strong>de</strong>s Werkes „ Der Prozess <strong>de</strong>r<br />

Zivilisation“ und ab diesem Zeitpunkt beginnt <strong>de</strong>r<br />

wissenschaftliche und wirtschaftliche Erfolg <strong>de</strong>s<br />

Werkes.<br />

1977 1. Preisträger <strong>de</strong>s Theodor Adorno Preises <strong>de</strong>r Stadt<br />

Frankfurt a. Main<br />

1979 – 1984 Tätigkeit am Zentrum für interdisziplinäre Forschung<br />

<strong>de</strong>r Universität Bielefeld<br />

1987 Die Gesellschaft <strong>de</strong>r Individuen<br />

1988 erhält er für sein Werk: Die Gesellschaft <strong>de</strong>r Individuen“<br />

<strong>de</strong>n sog. Amalfi-Preis<br />

1989 Studien über die Deutschen<br />

1 Grundlagen waren: Hillmann Karl-Heinz , Wörterbuch <strong>de</strong>r Soziologie, Stuttgart 1994 S. 176,<br />

Annette Treibel, Einführung in soziologische Theorien <strong>de</strong>r Gegenwart, Opla<strong>de</strong>n 2000 S.182,183<br />

sowie Korte Hermann, Soziologie im Nebenfach, Konstanz 2001 S. 145<br />

1


1990 Verstirbt <strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong> in Amsterdam<br />

II. Komprimierte, formelhafte Darstellung <strong>de</strong>r empirisch-theoretischen<br />

Vorgehensweise <strong>von</strong> <strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong> als Überblick:<br />

„<strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong> betrachtet <strong>de</strong>n langfristigen Zivilisierungsprozess als<br />

ungeplanten, unendlichen und offenen Prozess, in <strong>de</strong>ssen verlauf<br />

Fremdzwänge zu Selbstzwängen wer<strong>de</strong>n 1 “<br />

Diese Kurzzusammenfassung soll <strong>de</strong>n weiteren Ausführung als Grobrichtung<br />

für die Art und Weise <strong>de</strong>s Denkens <strong>von</strong> <strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong> vorangestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

In diesem Zusammenhang darf aber auch darauf verwiesen wer<strong>de</strong>n, dass<br />

unter Selbstzwang lediglich <strong>de</strong>r Standart an Scham- und<br />

Peinlichkeitsgefühlen zu verstehen ist 2<br />

Diese Überlegungen ähneln sehr <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Schule <strong>de</strong>r griechischen<br />

Philosophen Platon und Aristoteles, die bereits erkannt haben, dass<br />

„ Alles fließt“ bzw. „Alles sich fortbewegt“ 3 .<br />

In diesem Bereich mag auch das Philosophiestudium <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> durchaus<br />

seine Be<strong>de</strong>utung wie<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n.<br />

III. Zivilisation und Rationalisierung.<br />

Die Struktur sozialer Prozesse, Textinterpretation <strong>von</strong> Artur Bogner.<br />

1.) Einleiten<strong>de</strong> Bemerkungen:<br />

Um Missverständnissen vorzubeugen, erläutert Bogner zunächst, was<br />

entgegen <strong>de</strong>s herkömmlichen Verständnisses in <strong>de</strong>n weiteren Ausführungen<br />

unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Struktur verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n soll. Dabei wird <strong>de</strong>r bisher<br />

übliche Wortsinn <strong>de</strong>m im Text gebrauchten gegenüber gestellt, sodass sich<br />

folgen<strong>de</strong> Matrix erstellen lässt:<br />

Begriff Bisherige<br />

Be<strong>de</strong>utung<br />

Strukturen Ordnung i. S. d.<br />

Logik<br />

Wan<strong>de</strong>l<br />

Neubildung o<strong>de</strong>r<br />

Zerstörung <strong>von</strong><br />

Bewertung<br />

Statische Färbung<br />

(relativ stabile und<br />

statische Gebil<strong>de</strong>)<br />

Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Verhältnisse<br />

neue Be<strong>de</strong>utung<br />

Strukturen <strong>de</strong>r<br />

Verän<strong>de</strong>rung<br />

Regelhaftigkeit<br />

<strong>von</strong> Prozessen<br />

1 Korte Hermann, Soziologie im Nebenfach, Konstanz 2001 S.149<br />

2 Korte Hermann, wie Anm 1.<br />

3 Büchmann Georg, Geflügelte Worte, Berlin 1892, S 269<br />

2


Soziale<br />

Prozesse<br />

Strukturen<br />

prozesshaftes<br />

(gesetzmäßig<br />

ablaufen<strong>de</strong>s<br />

stetiges)<br />

Geschehen<br />

tendiert<br />

zur<br />

Herstellung eines<br />

bestimmten Zustands<br />

<strong>von</strong> an<strong>de</strong>rer Art<br />

als die logischen<br />

Zusammenhänge<br />

menschlicher<br />

Symbole und<br />

Intentionen.<br />

Darnach ist es <strong>de</strong>r einleiten<strong>de</strong>n Stellungnahme zur Folge das Ziel <strong>von</strong><br />

Bogner in diesem Kapitel die wichtigsten Beiträge <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> zu <strong>de</strong>r Theorie<br />

langfristiger sozialer Prozesse darzustellen und ihren Sinn herauszustellen.<br />

2. Spontane Ordnung<br />

Bogner bedient sich zur Veranschaulichung <strong>de</strong>r Problematik <strong>de</strong>r Diktion <strong>de</strong>r<br />

Naturwissenschaften, wenn er die grundlegen<strong>de</strong>n Gedanken <strong>von</strong> <strong>Elias</strong>, die in<br />

seinen Werken:<br />

• Über <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Zivilisation<br />

• Theorie <strong>de</strong>r Staatenbildung<br />

• Entwicklung <strong>de</strong>r sozialen Persönlichkeitsstrukturen<br />

• Engagement und Distanzierung<br />

• Über <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Zeit<br />

zum Ausdruck kommen, als „groun<strong>de</strong>d theory <strong>de</strong>r sozialen Evolution<br />

bezeichnet.<br />

Entschei<strong>de</strong>nd für die Überlegungen <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> ist darnach <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m<br />

Zeitablauf in engem Zusammenhang stehen<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rungsfaktor. „Es geht<br />

im Grun<strong>de</strong> genommen nach <strong>de</strong>m alten Sprichwort: Gottes Mühlen mahlen<br />

langsam, aber trefflich fein“.<br />

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für <strong>Elias</strong> seine Wortwahl seinem<br />

Denkmo<strong>de</strong>ll anzupassen, was auch, wie Bogner zutreffend feststellt,<br />

geschieht. Daneben stellt Bogner die wichtigsten Begriffe, mit <strong>de</strong>nen <strong>Elias</strong><br />

umgeht und mit neuem Sinn erfüllt, heraus. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um<br />

folgen<strong>de</strong> Begriffe:<br />

• Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nz<br />

• Figuration<br />

• Verflechtung<br />

• Macht<br />

Die zwei auf Seite 30 zitierten Textteile, die im wesentlichen die<br />

Beschreibung <strong>von</strong> Verflechtungen und ihre Entstehung betreffen, sieht<br />

Bogner als Schlüssel für die Definition <strong>de</strong>s „Sozialen“ und als Ausgangspunkt<br />

für <strong>de</strong>n „spezifischen Zugriff auf das Verhältnis <strong>von</strong> Individuum und<br />

3


gesellschaftliche Strukturen“ an. Dabei stellt er jedoch klar, dass <strong>Elias</strong> <strong>von</strong><br />

zwei Ebenen ausgeht, nämlich:<br />

• <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r nicht-intentionaler Strukturen<br />

• <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Ebene <strong>de</strong>r Intentionen<br />

und formuliert die These <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> zusammenfassend folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

„Es gibt erstens nicht-intentionale Zusammenhänge zwischen intentionalen<br />

Handlungen und zweitens haben in <strong>de</strong>r bisherigen Geschichte diese<br />

nichtintentionalen Zusammenhänge die Oberhand über die intentionalen,<br />

also bewusst gestalteten Zusammenhänge, behalten“.<br />

Es wird herausgestellt, dass diese These dazu führt diejenige<br />

Vorgehendweisen als utopisch anzusehen, die alle Vorgänge auf bewusst<br />

gestaltetes o<strong>de</strong>r sinnhaftes Han<strong>de</strong>ln zurückführen wollen ohne sich um die<br />

„unbewusst hergestellten“ Zusammenhänge zu kümmern.<br />

Was die dargestellte Ansicht <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> betrifft, so kann diese auch aus <strong>de</strong>r<br />

Sicht <strong>de</strong>r Rechtswissenschaften begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn dort wird<br />

beispielsweise im Verwaltungsrecht sehr genau zwischen organisierten und<br />

nichtorganisierten Rechtsquellen unterschie<strong>de</strong>n 1 . Die für unorganisierte<br />

Recht gefun<strong>de</strong>ne Bezeichnung lautet „Gewohnheitsrecht“.<br />

Die sich im Text weiter anschließen<strong>de</strong> Feststellung im Sinne <strong>von</strong> <strong>Elias</strong>, dass<br />

nicht die Naturwissenschaften das Vorbild für ein Theorienmo<strong>de</strong>ll liefern<br />

können, son<strong>de</strong>rn ein <strong>de</strong>n tatsächliche Verhältnissen angepasstes Mo<strong>de</strong>ll<br />

notwendig ist, um angemessene Erklärungen liefern zu können, erscheint als<br />

logische Konsequenz <strong>de</strong>r Ausgangsüberlegungen. In diesem Bereich weist<br />

Bogner zu Recht auf die parallelen Überlegungen bei Max Weber hin.<br />

Aus <strong>de</strong>m Sinnzusammenhang glaubt Bogner eine Dreiteilung <strong>de</strong>r Bereiche<br />

folgern zu müssen und zwar mit <strong>de</strong>r Ten<strong>de</strong>nz, dass es zwischen <strong>de</strong>n<br />

eingangs genannten bei<strong>de</strong>n Ebenen <strong>de</strong>r nicht-intentionalen Strukturen und<br />

<strong>de</strong>r Intentionen eine dritte Ebene, nämlich die <strong>de</strong>r nicht-intentionalen<br />

Geordnetheit gibt (vgl S. 32 und 33). Damit wür<strong>de</strong> sich das Denkmo<strong>de</strong>ll in<br />

folgen<strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>rung darstellen lassen:<br />

1. nicht-intentionale Strukturen<br />

2. nicht-intentionale Geordnetheit<br />

3. Intention<br />

Aus <strong>de</strong>r Darstellung Bogners kann entnommen wer<strong>de</strong>n, dass er <strong>de</strong>n mittleren<br />

Bereich als eine Art Bin<strong>de</strong>glied o<strong>de</strong>r als eine Art Übergangsbereich ansieht.<br />

Letztlich kann diese Art <strong>de</strong>r Sinndarstellung als feinere Art <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Denkmo<strong>de</strong>lls <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> angesehen wer<strong>de</strong>n, will er doch die Vorgänge in<br />

<strong>de</strong>r Übergangsphase vom nicht-intentionalem Bereich zur Intention darstellen<br />

1 Forsthoff Ernst, Lehrbuch <strong>de</strong>s Verwaltungsrechts, Berlin München 1966 S.137 - 142<br />

4


und damit einen Bereich ins Blickfeld rücken, <strong>de</strong>r sowohl Charakterzüge <strong>de</strong>r<br />

nicht-intentionalen Strukturen wie <strong>de</strong>r Intentionen bereits beinhaltet. Diese<br />

Auffassung kommt <strong>de</strong>m Grundgedanken <strong>de</strong>r sich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit<br />

verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Menschen und damit auch <strong>de</strong>r <strong>von</strong> ihnen gebil<strong>de</strong>ten<br />

Strukturen sehr entgegen.<br />

Auf Grund seiner Untersuchungen kommt <strong>Elias</strong> zu <strong>de</strong>m Ergebnis <strong>de</strong>n<br />

Wan<strong>de</strong>l zum Thema zu machen und dabei <strong>de</strong>n Hauptakzent nicht auf die<br />

Intentionen, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n nicht-intentionalen Bereich zu legen. Mit dieser<br />

Ten<strong>de</strong>nz, so Bogner, grenzt er sich <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Theorien, die langfristige<br />

gesellschaftliche Entwicklung zum Gegenstand haben, ab. Als Begründung<br />

wird u.a. angeführt, dass mit dieser Vorgehensweise dann keine<br />

Schwierigkeiten entstehen, wenn unbeabsichtigte Abhängigkeiten o<strong>de</strong>r<br />

unbeabsichtigte Verflechtungen erläutert wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

Von dieser Position aus fin<strong>de</strong>t Bogner jedoch keinen gleiten<strong>de</strong>n Übergang<br />

zum nachfolgen<strong>de</strong>n Kapitel über die Macht als Schlüsselbegriff <strong>de</strong>r<br />

Figurationstheorie, son<strong>de</strong>rn geht <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Erläuterung <strong>de</strong>s Begriffes Ordnung<br />

unmittelbar auf <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Macht über, ohne darauf hinzuweisen, dass<br />

für das Bestehenbleiben <strong>de</strong>r Ordnung das Bestehenbleiben <strong>de</strong>r Macht<br />

schlichtweg notwendig ist. Deshalb ist auch <strong>de</strong>r Begriff Macht für <strong>Elias</strong> <strong>von</strong> so<br />

ausschlaggeben<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung, wie auch Bogner betont 1 .<br />

3. Macht als Schlüsselbegriff <strong>de</strong>r Funktionstheorie<br />

Wenn Bogner <strong>de</strong>n Begriff „Macht“ im Sinne <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> in <strong>de</strong>r Weise<br />

beschreibt, dass Macht<br />

„auf die ungeplanten Abhängigkeiten zwischen planen<strong>de</strong>n Individuen“<br />

bezogen sei, so scheint es, hat er einen bestimmten Darstellungsbereich <strong>von</strong><br />

<strong>Elias</strong> im Auge, ohne diesen aber zu nennen.<br />

Weiter meint er, <strong>de</strong>r Begriff Macht bei <strong>Elias</strong> ziele: „auf das Problem, wie<br />

nicht- intensionale Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzen Menschen als Ansatzpunkt und<br />

Grundlage für ihre absichtsvollen Interventionen in <strong>de</strong>n Lauf sozialer<br />

Prozesse dienen können“.<br />

Dieser Satz scheint die grammatikalische Tolleranzgrenze zu überschreiten.<br />

Mit dieser fragmentarischen Ausdrucksweise soll vermutlich folgen<strong>de</strong>s<br />

gemeint sein.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r Macht ist für <strong>de</strong>n weiteren Begriff <strong>de</strong>r Figuration (vielleicht<br />

übersetzt mit: Beziehungskneul) unverzichtbar 2 . Bei <strong>Elias</strong> richtet sich das<br />

Augenmerk bei <strong>de</strong>r Sinnzumessung für <strong>de</strong>n Begriff Macht auch auf <strong>de</strong>n<br />

Bereich, <strong>de</strong>r <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Zielen <strong>de</strong>r han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Menschen nicht mit umfasst<br />

1 vgl z.B. Bogner S. 29 Glie<strong>de</strong>rungspunkt 3.2<br />

2 Treibel Annette, Einführung in soziologische Theorien <strong>de</strong>r Gegenwart, Opla<strong>de</strong>n 2000, S190<br />

5


wird, sozusagen außerhalb ihres Bewusstseins abläuft und <strong>de</strong>nnoch<br />

zwingend zu Folgeerscheinungen führt, an die seitens <strong>de</strong>r am Geschehen<br />

Beteiligten nicht gedacht wird o<strong>de</strong>r nicht bedacht wor<strong>de</strong>n ist. In diesen<br />

Zusammenhang stellt Bogner zu Recht <strong>de</strong>n Hinweis, dass <strong>de</strong>r Machtbegriff<br />

bei <strong>Elias</strong> und bei Weber insofern i<strong>de</strong>ntisch ist, als bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Begriff in <strong>de</strong>m<br />

Bereich <strong>de</strong>r Möglichkeiten (Potentials) ansie<strong>de</strong>ln 1 , wobei <strong>Elias</strong> noch<br />

hinzu<strong>de</strong>nkt, dass diese Möglichkeiten <strong>von</strong> nicht intentionalen Vorgängen<br />

verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n können, sodass sich das Bild einer Waage anbietet, die je<br />

nach Gewichtung in die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Richtung ausschlägt. Deshalb wird<br />

bei <strong>Elias</strong> auch <strong>von</strong> einer Machtbalance gesprochen.<br />

In diesen Rahmen stellt Bogner auch <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Monopolisierung und<br />

beschreibt diese Situation in <strong>de</strong>r Weise, dass die Abhängigkeit auf <strong>de</strong>r einen<br />

Seite ein Minimum, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite ein Maximum erreiche, sodass<br />

eine einprägsame Beschreibung geliefert wird. Bei <strong>de</strong>r Monopolisierung<br />

han<strong>de</strong>lt es sich also um einen Extremfall einseitiger Machtverteilung.<br />

In diesem Zusammenhang wer<strong>de</strong>n auch die Preisbildungsmechanismen<br />

gestellt und zwar als Beispiel dafür, dass nicht gesteuerte Vorgänge eine<br />

Struktur entstehen lassen, die ein zwar schwanken<strong>de</strong>s aber <strong>de</strong>nnoch<br />

funktionieren<strong>de</strong>s System aufrechterhalten. Dabei, so wird zutreffen<strong>de</strong>r Weise<br />

betont, spielt es gera<strong>de</strong> beim Preisbildungsmechanismus keine Rolle, ob<br />

<strong>de</strong>ssen Gesetzmäßigkeit erkannt wird o<strong>de</strong>r nicht. Die nicht intentionalen<br />

Vorgänge herrschen hier mit eherner Gesetzmäßigkeit. Man könnte in<br />

diesem Zusammenhang durchaus <strong>von</strong> einer „normativen Kraft <strong>de</strong>s<br />

Faktischen“ sprechen.<br />

Auch die Marktvorgänge wer<strong>de</strong>n erwähnt und in die Riege <strong>de</strong>r Machtbalance<br />

eingeglie<strong>de</strong>rt mit <strong>de</strong>m Hinweis, dass es sich in diesem Fall um einen<br />

beson<strong>de</strong>ren Anwendungsfall in diesem Bereich han<strong>de</strong>lt.<br />

Auffällig allerdings ist, dass in <strong>de</strong>n doch breiten Ausführungen zum<br />

Preisbildungsprozess <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Konkurrenz nicht auftaucht, obgleich<br />

doch Konkurrenz im Zuge <strong>von</strong> Preisbildungsprozessen und Marktgeschehen<br />

allgemein anerkannt eine tragen<strong>de</strong> Rolle spielt. Erst im nächsten Kapitel<br />

fin<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Hinweis, dass sich <strong>Elias</strong> mit <strong>de</strong>m Begriff Konkurrenz<br />

nachhaltig auseinan<strong>de</strong>rsetze und ein Kapitel weiter ist vom Strukturwan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Konkurrenz die Re<strong>de</strong>. Dies geschieht aber nicht im Marktbereich,<br />

son<strong>de</strong>rn im Bereich <strong>de</strong>r Darstellung politischer Macht.<br />

4. Richtungen und Strukturen <strong>de</strong>s Zivilisationsprozesses<br />

Bogner stellt seinen Erläuterungen in diesem Kapitel <strong>de</strong>n Hinweis voran,<br />

dass <strong>Elias</strong> in einem wichtigen Punkt die Bewertung Max Webers nicht teilte,<br />

nämlich darin, dass <strong>de</strong>r protestantische (asketische) Calvinusmus die<br />

Erstursache für die westeuropäische Entwicklung <strong>de</strong>r Persönlichkeitsstrukturen<br />

war. Anhand <strong>von</strong> empirischen Quellen weist <strong>Elias</strong> nach,<br />

dass diese Denkungs- und Handlungsweise schon viel früher bei <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nsten Gruppen angesie<strong>de</strong>lt war und <strong>de</strong>r asketische<br />

1 Weber Max, soziologische Grundbegriffe, Tübingen 1921, ND 1984 S.89. Bei Weber wird Macht<br />

ebenfalls als Chance verstan<strong>de</strong>n seinen eigenen Willen auch gegen Wi<strong>de</strong>rstreben durchzusetzen.<br />

6


Protestantismus in diesem Bereich nur ein Beispiel darstellt, wenn auch ein<br />

sehr nachdrückliches.<br />

Wenn auch in diesem Punkt einer <strong>de</strong>r hauptsächlichsten<br />

Unterscheidungsmerkmale <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Soziologen <strong>Elias</strong> und Weber zu fin<strong>de</strong>n<br />

ist, so ergibt sich aus <strong>de</strong>n dargestellten Vorgängen durchaus die Richtung, in<br />

die <strong>Elias</strong> Gedankengebäu<strong>de</strong> angelegt ist. Es han<strong>de</strong>lt sich, wie Bogner<br />

nachdrücklich bemerkt, um langfristige Prozesse im Rahmen <strong>de</strong>rer sich<br />

Außenzwänge zu Innenzwängen wan<strong>de</strong>ln. An<strong>de</strong>rs ausgedrückt be<strong>de</strong>utet<br />

dies:<br />

Außenzwänge wer<strong>de</strong>n im Laufe <strong>de</strong>r Zeit zu Innenzwängen o<strong>de</strong>r<br />

o<strong>de</strong>r<br />

Verhaltensvorschriften wer<strong>de</strong>n, wenn sie lange genug im wesentlichen<br />

in <strong>de</strong>rselben Form angewandt wer<strong>de</strong>n zur zweiten Natur <strong>de</strong>s Menschen 1<br />

Hier weist Bogner insbeson<strong>de</strong>re auf die auch heutigen tags gefor<strong>de</strong>rte<br />

Zeitdisziplin hin, die ein hohes Maß an Selbstdisziplin erfor<strong>de</strong>rt. Weiter wird<br />

darauf verwiesen, dass <strong>Elias</strong> bei dieser Erkenntnis nicht stehen bleibt,<br />

son<strong>de</strong>rn ergänzend die Erkenntnis anfügt, dass es sich bei <strong>de</strong>n<br />

Verhaltensmustern vom 11. bis zum 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt um einen ungeplanten<br />

Prozess han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r nicht bewusst herbeigeführt wor<strong>de</strong>n ist, son<strong>de</strong>rn sich<br />

umgangssprachlich ausgedrückt „ <strong>von</strong> ganz allein ergeben“ hat.<br />

Dabei wirft Bogner zwei Fragen auf, nämlich:<br />

1. Wie können wir die Genese einer nicht-intentionalen Strukturiertheit<br />

erklären?<br />

2. Welche Konsequenz haben wir daraus für die Definition <strong>de</strong>s Sozialen<br />

zu ziehen?<br />

Jetzt kommt Bogner auf die Begriffe Konkurrenz- und<br />

Monopolisierungsprozess zu sprechen und weist auch auf die<br />

wirtschaftlichen Konkurrenzverhältnisse hin.<br />

Bogner begrün<strong>de</strong>t die Wichtigkeit <strong>de</strong>r Konkurrenzverhältnisse damit, dass sie<br />

die Ursache dafür sind, dass soziale Regelhaftigkeiten entstehen, <strong>de</strong>nn sie<br />

wür<strong>de</strong>n einen erheblichen Druck auf die Menschen ausüben sich in<br />

bestimmter Art und Weise zu verhalten. Dies sei, so Bogner, auch <strong>de</strong>r Grund<br />

dafür, warum <strong>Elias</strong> <strong>de</strong>n politischen und ökonomischen Depen<strong>de</strong>nzen solch<br />

große Be<strong>de</strong>utung beimesse. Es sei <strong>de</strong>r Druck <strong>de</strong>r Wahlsituation: sein o<strong>de</strong>r<br />

nicht sein.<br />

Genau diese Situation ist auch <strong>von</strong> Niklas Luhmann im Rahmen seiner<br />

funktionalen Systemtheorie als Reduktion <strong>von</strong> Komplexität in ähnlicher Weise<br />

beschrieben wor<strong>de</strong>n 2 .<br />

Ergänzend und richtigerweise bemerkt Bogner, dass die faktischen Zwänge,<br />

<strong>von</strong> <strong>de</strong>nen die Re<strong>de</strong> ist, nicht dazu führen, die menschliche Freiheit zu<br />

1 Bogner Artur, Zivilisation und Rationalisierung Seite 43<br />

2 Treibel Annette, Einführung in soziologische Theorien <strong>de</strong>r Gegenwart, Opla<strong>de</strong>n 2000, S. 26<br />

7


leugnen. Dies ist insoweit zu unterstreichen als Konkurrenzverhältnissen<br />

immer auch eine Wahlmöglichkeit in sich tragen, also nie nur einen<br />

gangbaren Weg zulassen.<br />

5. Die Strukturwandlungen <strong>de</strong>r Konkurrenz und die Transformation <strong>de</strong>r<br />

Handlungsorientierung<br />

Bogner stellt in diesem Kapitel die Ergebnisse <strong>de</strong>r Analyse <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> heraus,<br />

dass <strong>de</strong>r Druck <strong>de</strong>r<br />

1. politischen Konkurrenz<br />

2. ökonomischen Konkurrenz<br />

ab einem bestimmten Punkt zu einer Entwicklung führe, wie wir sie in ihrer<br />

Fortführung heute noch vorfin<strong>de</strong>n.<br />

Herausgearbeitet wer<strong>de</strong>n aus diesem langfristigen Prozess als wichtige<br />

Ergebnisse:<br />

1. Monopolinstitutionen <strong>de</strong>r physischen Gewalt (Polizei und Justiz)<br />

2. Entwicklung <strong>von</strong> Monopolinstitutionen <strong>de</strong>r Produktionsmittel<br />

(Großindustrie).<br />

Diese bei<strong>de</strong>n Stränge konnten sich nach <strong>Elias</strong> gegenseitig und nach und<br />

nach hochschrauben, so dass sowohl die Geldverflechtung wie die<br />

Arbeitsteilung vorangetrieben wer<strong>de</strong>n konnte. Dies bot <strong>de</strong>n Herrschen<strong>de</strong>n<br />

dann folgen<strong>de</strong> Möglichkeiten:<br />

• Bürokratisierung <strong>von</strong> Verwaltung<br />

• Bürokratisierung <strong>von</strong> Militär<br />

• dauerhafte Abhängigkeit <strong>de</strong>s Verwaltungsstabes vom Herrscher<br />

• Möglichkeit <strong>de</strong>r Ausbreitung <strong>de</strong>r Marktwirtschaft<br />

• Aufteilung <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Funktionen<br />

Als tragen<strong>de</strong> Ursachen für diesen Prozess sieht <strong>Elias</strong> folgen<strong>de</strong> Tatsachen<br />

an:<br />

• Landknappheit bei aristokratischer Überbevölkerung<br />

• Herausbildung einer relativen Autonomie <strong>de</strong>r Städtischen und<br />

arbeiten<strong>de</strong>n Schichten<br />

• zunehmen<strong>de</strong> ökonomische Binnenlandintegration durch<br />

Abschneidung <strong>de</strong>s feudalen Europa vom Mittelmeer.<br />

Beson<strong>de</strong>rs wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die zwar etwas<br />

verschlüsselte, aber <strong>de</strong>nnoch verstehbare Nachricht hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

„funktionalen Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nz zwischen politischer Pazifizierung und<br />

ökonomischen System (Seite 49).<br />

8


In diesem Bereich wird das Geben und Nehmen zwischen <strong>de</strong>r politischen<br />

und <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Macht im Grundsatz dargestellt. Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Machtpositionen erscheint auf die an<strong>de</strong>re in bestimmter Weise angewiesen<br />

zu sein. Kurz und einprägsam kann dies auf <strong>de</strong>n Nenner gebracht wer<strong>de</strong>n:<br />

• Die Politik braucht das Geld <strong>de</strong>r Wirtschaft um han<strong>de</strong>ln zu können<br />

• Die Wirtschaft braucht <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Politik zum Schutz ihrer<br />

Positionen und zur Interessenwahrung.<br />

Ergänzend wird erwähnt, dass die Konkurrenz <strong>de</strong>r Fürsten um die<br />

Steuereinnahmequellen ein einzigartiges Maß an gesellschaftlicher Stärke<br />

vermittelte. Mit wachsen<strong>de</strong>r Dichte und Komplexität <strong>de</strong>r mit dieser<br />

Entwicklung verbun<strong>de</strong>nen sozialen Handlungsketten verän<strong>de</strong>rten sich auch<br />

die Lebensbedingungen <strong>de</strong>r Menschen und damit auch die Kräfte, die Ihre<br />

Lebensbedingungen prägen, wie Bogner zutreffen<strong>de</strong>r Weise unter<br />

Bezugnahme auf Textstellen <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> ausführt.<br />

Diese Entwicklung vollzieht sich aber nicht bewusst und geplant, son<strong>de</strong>rn<br />

sozusagen wie <strong>von</strong> selbst. Bildlich gesprochen: Die Menschen sitzen wie auf<br />

einem För<strong>de</strong>rband und erkennen teilweise nicht einmal, dass sie beför<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Umso weiter dieser Prozess fortschritt, umso dichter wur<strong>de</strong>n die<br />

Handlungsketten, die wie<strong>de</strong>rum die Lebensbedingungen <strong>de</strong>r Menschen<br />

verän<strong>de</strong>rten und damit – und das ist ein wichtiger Hinweis – auch die<br />

Persönlichkeitsstrukturen. Hier wer<strong>de</strong>n die Ursachen genannt, die letztlich<br />

die Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r menschlichen Persönlichkeit und damit <strong>de</strong>ren<br />

Verhalten zur Folge haben. Auf eine Kurzformel gebracht heißt das:<br />

Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Lebensbedingungen führt zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Person.<br />

Genau diese doch wesentliche Verän<strong>de</strong>rung ist aber einem niemand<br />

bewusster Prozess, son<strong>de</strong>rn ein blin<strong>de</strong>r Ablauf <strong>de</strong>r Dinge, <strong>de</strong>r durchaus aber<br />

<strong>von</strong> planvollem Han<strong>de</strong>ln <strong>von</strong> Menschen begleitet sein kann.<br />

In diesem Rahmen stellt Bogner die Analyse <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> Denkungsweise<br />

folgen<strong>de</strong>rmaßen dar:<br />

• Zwang zur Gewaltlosigkeit<br />

• lange Handlungsketten<br />

• langfristige Planung<br />

• Distinktionsverhältnis <strong>de</strong>r Oberschichten<br />

und zusätzlich die Verknüpfung dieser Punkte untereinan<strong>de</strong>r, wobei diese<br />

Verknüpfung maßgebend durch das Konkurrenzverhältnis erfolgt. Diese<br />

Kombination bringt <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Zivilisation in Gang.<br />

Dabei wird einer <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Gemeinsamkeiten <strong>de</strong>r a<strong>de</strong>ligen mit<br />

<strong>de</strong>n bürgerlichen Schichten herausgearbeitet, nämlich <strong>de</strong>r gemeinsame<br />

9


Trend <strong>de</strong>r formalen Rationalisierung <strong>von</strong> sozialen<br />

Handlungszusammenhängen und Persönlichkeitsstrukturen.<br />

6. Über einige charakteristische Missverständnisse <strong>de</strong>r Kritiker<br />

Die <strong>von</strong> Bogner herausgestellten Missverständnisse sollen im Einzelnen<br />

plakativ herausgestellt und behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n:<br />

• Vernachlässigung <strong>de</strong>s Bürgertums<br />

Zwar rückt <strong>Elias</strong> <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund seiner Überlegungen,<br />

weil die Zeitgenossen sich fast ausschließlich mit <strong>de</strong>m Bürgertum<br />

befasst haben. Im Grun<strong>de</strong> genommen wollte <strong>Elias</strong> mit dieser<br />

Handhabung nur darauf aufmerksam machen, dass es außer <strong>de</strong>m<br />

Bürgertum auch noch eine an<strong>de</strong>re Schicht gibt, die durchaus noch<br />

dazu als Kontrastprogramm dienen konnte.<br />

• Nichtberücksichtigung eines zentralen Wertesystems<br />

Diese Kritiker gehen <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Vorstellung sozialen Wan<strong>de</strong>ls als einer<br />

bewussten Übernahme und Akzeptierung <strong>von</strong> neuen Verhaltensregeln<br />

durch die Menschen aus.<br />

In diesem Zusammenhang weist <strong>Elias</strong> darauf hin, dass Regeln als<br />

Verhaltensfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Menschen z. B. im Kleinkindalter <strong>von</strong><br />

außen herangetragen wer<strong>de</strong>n, die er dann übernimmt und<br />

entsprechend verinnerlicht, wie etwa die Sprache. Gera<strong>de</strong> diese<br />

Abläufe bestärken die Ansicht <strong>Elias</strong>, dass <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>r Aneignung<br />

<strong>von</strong> Verhaltensformen <strong>von</strong> außen nach innen erfolgt. Nicht umsonst<br />

hat sich <strong>Elias</strong> mit Manierenbüchern befasst, die gera<strong>de</strong> diese Situation<br />

sozusagen buchstäblich dokumentieren.<br />

• Unterschätzung <strong>de</strong>r höheren Fähigkeiten <strong>de</strong>s Ich<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r Kritik sind die breit angelegten Ausführungen über die<br />

nicht intentionalen Vorgänge.<br />

Nach<strong>de</strong>m aber <strong>Elias</strong> <strong>de</strong>r erste war, <strong>de</strong>r die Wichtigkeit dieser<br />

Konstellation erkannte, blieb ihm gar nicht an<strong>de</strong>res übrig, als seine<br />

Position eingehen<strong>de</strong>r zu begrün<strong>de</strong>n. In diesem Zusammen weist<br />

Bogner zu Recht darauf hin, dass <strong>Elias</strong> an<strong>de</strong>rweitig auch auf die<br />

intentionalen Vorgänge verweist.<br />

Die abweichen<strong>de</strong> Meinung scheint zu glauben, dass alle<br />

Zusammenhänge durch Symbole und symbolische Normen strukturiert<br />

wer<strong>de</strong>n, was mehr einer Konstruktion als einer an <strong>de</strong>r Realität<br />

gemessenen Einschätzung entspricht.<br />

10


• <strong>Elias</strong> - Max Weber und die Vernachlässigung <strong>de</strong>s<br />

Protestantismus<br />

Bogner stellt hier heraus, dass <strong>Elias</strong> eine „ massive Rechtfertigung“<br />

<strong>de</strong>r weberschen Soziologie betreibt, aber auch eine an<strong>de</strong>rsgeartete<br />

Bewertung <strong>de</strong>s asketischen Protestantismus.<br />

Aus seinen Forschungen heraus sieht <strong>Elias</strong> die Darstellung Webers<br />

bereits als eine Stufe in einem viel früher begonnenen Prozess, als<br />

eine „spezifische Phase und Teilentwicklung innerhalb eines<br />

umfassen<strong>de</strong>ren und langfristigeren Prozesses an. Insofern kann nicht<br />

einmal behauptet wer<strong>de</strong>n, dass <strong>Elias</strong> ein Gegner Weberscher<br />

Bewertungen in diesem Punkt ist. Er ordnet sie nur an<strong>de</strong>rs ein.<br />

7. Funktionale Demokratisierung und Fortschritt in inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nztheoretischer<br />

Perspektive<br />

In diesem Schlusskapitel wird eine Zusammenschau <strong>de</strong>r Überlegungen <strong>von</strong><br />

<strong>Elias</strong> geboten. Dieses Konzept stellt Bogner folgen<strong>de</strong>rmaßen dar:<br />

• Verlängerung und wachsen<strong>de</strong> Komplexität <strong>de</strong>r sozialen<br />

Handlungsketten und Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzen<br />

• zunehmen<strong>de</strong> politische und ökonomische Integration <strong>von</strong> Menschen.<br />

Entschei<strong>de</strong>nd seien aber:<br />

• Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>n Formen, Mitteln und Spielregeln <strong>de</strong>r sozialen<br />

Konkurrenzfigurationen<br />

• die Differenzierung <strong>von</strong> verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>von</strong> Konkurrenz<br />

die alles sei die zentrale Erklärung <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> für <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r<br />

Zivilisationskurve.<br />

Die Richtungen <strong>de</strong>r zivilisatorischen Prozesse können als Transformationen<br />

<strong>de</strong>r Machtinstrumente o<strong>de</strong>r Waffen angesehen wer<strong>de</strong>, die Menschen in <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen sozialen Formen <strong>de</strong>r Konkurrenz verwen<strong>de</strong>n.<br />

Dieser Ausdrucksweise muss allerdings vom Sinn her entgegengetreten<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn unter Richtung versteht man <strong>de</strong>n bestimmten Verlauf eines<br />

Weges auf <strong>de</strong>m man sich entwe<strong>de</strong>r körperlich o<strong>de</strong>r übertragen geistig<br />

bewegt. Deshalb kann eine Richtung niemals eine Sache bezeichnen. In<br />

diesem Punkt <strong>de</strong>r Darstellung muss Bogner <strong>de</strong>shalb die Gefolgschaft versagt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Den Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Konkurrenzverhältnisse erklärt Bogner mit <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>n,<br />

wechselseitigen Abhängigkeiten <strong>de</strong>r Menschen. Der gerichtete Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r<br />

„sozialen Co<strong>de</strong>s“ wür<strong>de</strong> sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Oberschichten ausgehend später auf<br />

die Unterschichten aus<strong>de</strong>hnen. Als Folge stellt er auch dar, dass selbst die<br />

11


Herrscher abhängig wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> <strong>de</strong>m problemlosen Funktionieren <strong>von</strong><br />

Netzwerken, aber auch die Netzwerke gefähr<strong>de</strong>n ihre Stellung gegenüber<br />

Konkurrenten, wenn sie ihre Abhängigkeiten <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Herrschen<strong>de</strong>n nicht<br />

beachten. Dem Grundsatz nach gilt also <strong>de</strong>r römische Satz: “Do ut <strong>de</strong>s“.<br />

IV. Eigene Überlegungen und Kritik<br />

Man hat <strong>de</strong>n Eindruck, dass durch die Art <strong>de</strong>r <strong>von</strong> Bogner gewählten<br />

Sprache einiges <strong>von</strong> <strong>de</strong>m verschüttet wird, was die Be<strong>de</strong>utung <strong>von</strong> <strong>Elias</strong><br />

ausmacht.<br />

Persönlich wur<strong>de</strong> erst durch die Bearbeitung <strong>de</strong>s Aufsatzes <strong>von</strong> Bogner und<br />

<strong>de</strong>r in diesem Zusammenhang herangezogenen Hinweise <strong>von</strong> Annette<br />

Treibel und Karl-Hein Hillmann <strong>de</strong>utlich, dass sich <strong>Elias</strong> als Dozent <strong>de</strong>r<br />

Universität Leicester als Dorfforscher betätigt hat 1 . Das hiernach entstan<strong>de</strong>ne<br />

Werk mit <strong>de</strong>m Titel „ Etablierte und Außenseiter“, das <strong>Elias</strong> zusammen mit<br />

Scotson verfasste, wird allem Anschein nach bis zum heutigen Tag in seiner<br />

Wichtigkeit unterschätzt. Dies be<strong>de</strong>utet aber, dass man dieses Werk kaum in<br />

das Denksystem <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> einpasst, obgleich es <strong>de</strong>r schlagen<strong>de</strong>r Beweis<br />

dafür ist, dass sich <strong>Elias</strong> nicht nur mit <strong>de</strong>m A<strong>de</strong>l auseinan<strong>de</strong>rgesetzt hat,<br />

son<strong>de</strong>rn sogar unter nachhaltiger Forschung auch und gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n<br />

Verhältnissen <strong>de</strong>s unteren Bürgertums.<br />

Die Unersuchungen in Leicester dokumentieren aber auch wie sozialer<br />

Wan<strong>de</strong>l langfristig funktioniert. Es han<strong>de</strong>lt sich bei diesen Forschungen nicht<br />

etwa um Feststellungen eines Status, son<strong>de</strong>rn um Beschreibungen <strong>de</strong>r Art<br />

und Weise <strong>von</strong> Fließgeschwindigkeiten verschie<strong>de</strong>ner Einwohnerteile und ihr<br />

Verhalten zueinan<strong>de</strong>r. Kurz gesagt: Der Prozess <strong>de</strong>r Staatenbildung auf<br />

Dorfebene.<br />

Prägnanter herauszustellen wäre, wie <strong>Elias</strong> <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Staatsbildung in<br />

Europa sieht, nämlich in folgen<strong>de</strong>r Entwicklungskette:<br />

1. Schritt: Verkleinerung <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Konkurrenten<br />

2. Monopolisierung einzelner Fürsten<br />

3. Herausbildung <strong>de</strong>s absolutistischen Staates mit <strong>de</strong>r Monopolisierung<br />

<strong>de</strong>r physischen Gewalt<br />

Dieser Prozess ist verflochten mit (1. Strang):<br />

• <strong>de</strong>m Übergang <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Natural- zur Geldwirtschaft<br />

• <strong>de</strong>r Zunahme <strong>de</strong>r Arbeitsteilung<br />

• <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsverflechtungen<br />

• <strong>de</strong>r Verstädterung und damit <strong>de</strong>m Aufstieg <strong>de</strong>s Bürgertums<br />

1 Treibel Annette, Einführung in soziologische Theorien <strong>de</strong>r Gegenwart, Opla<strong>de</strong>n 2000 S182 und<br />

Hillmann Karl-Heinz, Wörterbuch <strong>de</strong>r Soziologie, Stuttgart 1994 S. 176.<br />

12


Als weitere Verflechtung mit (2. Strang) kommt hinzu:<br />

• langfristige Verän<strong>de</strong>rung im Verhalten einzelner Menschen<br />

• und bei Anwachsen dieser Zahl Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>n Gesellschaften<br />

Als Antriebsmotor dieser Vorgänge sieht <strong>Elias</strong>:<br />

Konkurrenz <strong>von</strong> inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nten Menschen o<strong>de</strong>r Menschengruppen um<br />

Macht und die Angst vor <strong>de</strong>m Verlust o<strong>de</strong>r einer Min<strong>de</strong>rung <strong>von</strong> Prestige 1 .<br />

Nach <strong>Elias</strong> bestimmt daher die Verflechtungsordnung <strong>de</strong>n Gang <strong>de</strong>s<br />

geschichtlichen Wan<strong>de</strong>ls und zwar sowohl auf Staatsebene wie auf<br />

Dorfebene.<br />

Einprägsam könnte man <strong>de</strong>shalb formulieren:<br />

Wir sind mehr Getriebene und nicht die Treiber<br />

Deshalb erscheint es als sinnvoll sich klarzumachen, dass im Mittelpunkt <strong>von</strong><br />

Forschung in diesen Bereichen<br />

Die Umstän<strong>de</strong>, die sich än<strong>de</strong>rn, sind die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Menschen selbst 2<br />

Als wesentliches Verdienst <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> ist die Überwindung <strong>de</strong>s Makro/Mikro-<br />

Ebenen Denkens zu vermerken, aber auch die Ten<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>n Begriffen auch<br />

<strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls hinzu zu messen und sie damit in ihrer<br />

Be<strong>de</strong>utung zu erweitern 3 . Hinsichtlich <strong>de</strong>r Überwindung <strong>de</strong>s Makro/Mikro-<br />

Dualismus fin<strong>de</strong>t <strong>Elias</strong> in Anthony Gid<strong>de</strong>ns und Ulrich Beck zwei be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

noch leben<strong>de</strong> Soziologen 4<br />

<strong>Elias</strong> aber erkennt auch trotz seines furchtbaren Schicksals an, dass <strong>de</strong>r<br />

Nationalsozialismus die dunkle Seite zivilisierter Menschen habe erkennen<br />

lassen. Sollten diese Seiten dann zum Vorschein kommen, wenn das „Wir-<br />

Gefühl“ Menschen- und Menschengruppen nicht umfasst?<br />

Was die Ausführungen <strong>von</strong> Bogner betrifft, so wür<strong>de</strong> man sich auch eine<br />

begrün<strong>de</strong>te Stellungnahme über die Abgrenzung <strong>de</strong>r Überlegungen <strong>von</strong> <strong>Elias</strong><br />

zu maßgeben<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Theorien wünschen.<br />

Es ist aber auch teilweise so, dass <strong>de</strong>r Urheber <strong>de</strong>r Gedanken klarer<br />

formuliert als sein Interpret.<br />

1 Korte Hermann <strong>Norbert</strong> <strong>Elias</strong>, in: Kaesler Dirk, Vogt Ludgera, Hauptwerke <strong>de</strong>r Soziologie, Stuttgart<br />

2000, S. 116<br />

2 <strong>Elias</strong> <strong>Norbert</strong>, Über <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Zivilisation, Bd 2 S. 388<br />

3 vgl Korte Herrmann a.a.O. S 118<br />

4 Treibel Annette, Einführung in soziologische Theorien <strong>de</strong>r Gegenwart, Opla<strong>de</strong>n 2000, S. 230 und<br />

231<br />

13


Ein Aspekt, <strong>de</strong>r bei Bogner nie angesprochen wird, ist <strong>de</strong>r, dass er nie die<br />

Frage aufwirft, auf welche Weise das persönliche Schicksal <strong>von</strong> <strong>Elias</strong> sein<br />

Denken beeinflusst haben mag? Dass die Vorgänge um die Eltern <strong>von</strong> <strong>Elias</strong>,<br />

aber auch <strong>de</strong>r Zwang aus seiner Heimat fortgehen zu müssen, ihn bis ins<br />

Innerste getroffen haben muss, zeigt sein Verhalten nach Beendigung seiner<br />

Tätigkeit in Deutschland. Er zog sofort darnach nach Holland. Es gibt aber<br />

<strong>de</strong>n jüdischen Literaten Franz Kafka, <strong>de</strong>r als Jurist im Rahmen seines<br />

Werkes „Der Prozess“ in verklausulierter Form die<br />

Unterdrückungsmechanismen darstellt, die <strong>von</strong> Personen ausgehen, die man<br />

nie zu Gesicht bekommt. Es bleibt <strong>de</strong>shalb eine spannen<strong>de</strong> Frage, ob die<br />

Gedanken über die ungeplanten Prozesse und die nicht intentionalen<br />

Schichten nicht letztlich auf die furchtbaren persönlichen Erfahrungen <strong>von</strong><br />

<strong>Elias</strong> zurückgeführt wer<strong>de</strong>n können..<br />

Literaturverzeichnis:<br />

Büchmann Georg: Geflügelte Worte, Berlin 1892<br />

Forsthoff Ernst: Lehrbuch <strong>de</strong>s Verwaltungsrechts, Berlin München 1966<br />

Hillmann Karl-Heinz: Wörterbuch <strong>de</strong>r Soziologie, Stuttgart 1994<br />

Korte Hermann: Soziologie im Nebenfach, Konstanz 2001 S. 145<br />

Treibel Annette: Einführung in soziologische Theorien <strong>de</strong>r Gegenwart,<br />

Opla<strong>de</strong>n 2000<br />

Weber Max: Soziologische Grundbegriffe, Tübingen 1921, ND 1984 S.89<br />

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