Mehr Geld für mehr Chancengleichheit! - GEW
Mehr Geld für mehr Chancengleichheit! - GEW
Mehr Geld für mehr Chancengleichheit! - GEW
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Erziehung<br />
undWissenschaft<br />
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 7-8/2011<br />
Bildungsausgaben und Bedarf<br />
<strong>Mehr</strong> <strong>Geld</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>mehr</strong><br />
<strong>Chancengleichheit</strong>!
GASTKOMMENTAR<br />
Bildung ist<br />
Zukunftsinvestition<br />
Roman Jaich<br />
Fast alle nationalen und internationalen Vergleichsstudien<br />
stellen dem deutschen Bildungswesen<br />
ein miserables Zeugnis aus. Das<br />
betrifft einerseits die Strukturen – so ist z. B.<br />
das gegliederte Schulsystem immer noch<br />
nicht überwunden, die Halbtagsschule prägt<br />
weiterhin die Schullandschaft. Die Übergänge<br />
von Beruflicher Bildung und Hochschulbildung<br />
bleiben unsystematisch und brüchig.<br />
Andererseits ist das Bildungssystem chronisch<br />
unterfinanziert. So investierte Deutschland<br />
2007 laut OECD-Bericht „Bildung auf einen<br />
Blick 2010“ 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) in Bildungseinrichtungen<br />
(der Durchschnitt der<br />
OECD-Staaten lag bei 5,7<br />
Prozent). Ein Grund hier<strong>für</strong>:<br />
Die Kompetenzen <strong>für</strong> Bildung<br />
fallen in vielerlei Zuständigkeiten.<br />
Das berührt<br />
nicht nur die Verteilung zwischen<br />
Bund und Ländern.<br />
Allein auf Bundesebene<br />
sind <strong>mehr</strong>ere Ministerien<br />
<strong>für</strong> unterschiedliche Bildungsbelange<br />
zuständig.<br />
Das führt dann zu Ad-Hoc-<br />
Aktionen, wenn der Handlungsdruck<br />
auf die Politik zu<br />
groß geworden ist – Beispiele<br />
sind die Hochschulpakte<br />
I und II, das Ganztagsschulprogramm<br />
oder die Förderung des<br />
Ausbaus der Betreuung <strong>für</strong> Kinder, die jünger<br />
als drei Jahre sind. Ein System ist hinter solchen<br />
Schnellschüssen nicht zu erkennen.<br />
Eine Reform der Bildungseinrichtungen sowie<br />
deren Ausstattung zu verbessern ist daher<br />
dringend notwendig. Dabei geht es nicht nur<br />
darum, den Standort Deutschland wettbewerbsfähig<br />
zu halten oder dem drohenden<br />
Fachkräftemangel aufgrund demografischer<br />
Entwicklungen zu begegnen. Viel wichtiger<br />
ist, ein ineffizientes System, das eine große<br />
Zahl Verlierer produziert, zu überwinden. So<br />
waren 2009 6,5 Prozent der Abgänger allgemein<br />
bildender Schulen ohne Abschluss und<br />
damit fast ohne Aussicht auf einen Ausbildungsplatz.<br />
Ihre Möglichkeiten, an Weiterbildungsangeboten<br />
teilzunehmen, sind zudem<br />
deutlich geringer als die Jener, die es qua sozialer<br />
Herkunft schon immer einfacher hatten,<br />
im maroden und ungerechten deutschen Bildungssystem<br />
zu bestehen.<br />
Neu ist das alles nicht. Schon in den 1990er-<br />
Jahren war zu erkennen, dass der Staat die<br />
Bildungsbereiche finanziell besser ausrüsten<br />
sollte. Doch statt dieser Erkenntnis Taten folgen<br />
zu lassen, erhoffte sich die Politik, dass<br />
Effizienzgewinne aus dem Einsatz neuer<br />
Steuerungssysteme ausreichend Finanzreserven<br />
mobilisieren würden. Zusätzliche Investitionen<br />
seien darum nicht <strong>mehr</strong> notwendig.<br />
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch: sei<br />
es bei der Kita-Card der Kindertagesstätten,<br />
den Globalhaushalten im Schulbereich oder<br />
der Einführung der Hochschulautonomie. Häufig<br />
erforderten die neuen Steuerungsmodelle<br />
sogar zusätzliche Ressourcen, statt Effizienzgewinne<br />
zu bringen. Zum Teil sind sie daher<br />
schon wieder „Geschichte“.<br />
Fest steht: Um das deutsche<br />
Bildungssystem wieder an internationale<br />
Standards heran<br />
zu führen, aber vor allem, um<br />
allen jungen Menschen<br />
Bildungschancen zu eröffnen,<br />
die es ihnen ermöglichen, ihre<br />
Fähigkeiten zu entfalten, muss<br />
der Staat erheblich <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong><br />
in die Bildung investieren. „Optimierung“<br />
der Mittel oder eine<br />
bloße Umschichtung innerhalb<br />
des Bildungswesens genügt<br />
bei Weitem nicht. In einem Gutachten<br />
<strong>für</strong> die Hans-Böckler-<br />
Stiftung* kam ich zum Ergebnis,<br />
dass jährlich mindestens<br />
37 Milliarden Euro <strong>mehr</strong> als bisher in die Bildung<br />
fließen müssten. Neuere Untersuchungen<br />
stellen fest, dass der Finanzierungsbedarf<br />
sogar noch deutlich höher liegt.<br />
Wie schon die Föderalismusreform I (2006)<br />
war auch die Föderalismusreform II (2009)<br />
ein weiterer Schritt in die falsche Richtung.<br />
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse<br />
verhindert den quantitativen und<br />
qualitativen Ausbau der Bildung. Stattdessen<br />
ist eine weitere Absenkung des Bildungsbudgets<br />
zu be<strong>für</strong>chten. Mittelfristig sind deshalb<br />
die Staatsfinanzen durch eine Reform des<br />
Steuersystems zu sichern. Langfristig sind<br />
Bildung und Wissenschaft in den öffentlichen<br />
Haushalten als Zukunftsinvestitionen festzuschreiben<br />
und die Kompetenzen vom Bund<br />
neu zu regeln.<br />
Roman Jaich arbeitet <strong>für</strong> das European<br />
Institute for Globalisation Research<br />
roman.jaich@e4globe.org<br />
Foto: privat<br />
*s. auch im Internet unter:<br />
www.boeckler.de/pdf/p_arbp_165.pdf<br />
Prämie<br />
des Monats<br />
Seite 5<br />
Knallrot und ganz schön heiß.<br />
Gewinnen Sie im Juli ein neues<br />
Mitglied <strong>für</strong> die <strong>GEW</strong> und freuen<br />
Sie sich auf einen formschönen<br />
Wasserkocher von Bosch.<br />
Impressum<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 63. Jg.<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
im Deutschen Gewerkschaftsbund.<br />
Vorsitzender: Ulrich Thöne.<br />
Redaktionsleitung: Ulf Rödde.<br />
Redaktion: Helga Haas-Rietschel.<br />
Redaktionsassistenz: Renate Körner.<br />
Postanschrift der Redaktion:<br />
Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M.,<br />
Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202.<br />
Internet: www.gew.de<br />
Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats.<br />
Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils<br />
am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien.<br />
Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann,<br />
Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt<br />
Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt.<br />
Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />
enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis<br />
jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl.<br />
MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern,<br />
Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und<br />
Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der<br />
E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />
und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung<br />
übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten<br />
Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.<br />
Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH,<br />
Goldammerweg 16, 45134 Essen,<br />
Verantwortlich <strong>für</strong> Anzeigen: Mathias Müller,<br />
Tel. (0201) 84300-0,Telefax (0201) 472590,<br />
anzeigen@stamm.de; www.erziehungundwissenschaft.de,<br />
gültige Anzeigenpreisliste Nr. 37 vom 1. 1. 2009,<br />
Anzeigenschluss ca. am 5. des Vormonats.<br />
E&W wird auf 100 Prozent chlorfrei<br />
gebleichtem Altpapier gedruckt.<br />
ISSN 0342-0671<br />
2 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
Cartoon: Thomas Plaßmann<br />
Foto: dpa<br />
Foto: imago<br />
„Klassenziel verfehlt“ – lässt sich das 2008 von Bund und<br />
Ländern in Dresden gegebene Versprechen, bis 2015 zehn<br />
Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Bildung und<br />
Forschung zu investieren, auf den Punkt bringen. Die vollmundigen<br />
Ankündigungen der einstigen Bildungsgipfelstürmer<br />
drohen ins Leere zu laufen. Nachgewiesen ist, dass<br />
die Bildungsausgaben längst nicht dem tatsächlichen Bedarf<br />
entsprechen – mit massiven sozialen Folgekosten. Vor<br />
allem: <strong>Chancengleichheit</strong> rückt in noch weitere Ferne.<br />
Schwerpunkt Bildungsausgaben und Bedarf Seite 6 ff.<br />
Sexueller Missbrauch geht alle an sagt die Missbrauchsbeauftragte<br />
der Bundesregierung,<br />
Christine Bergmann (SPD), nachdem sie kürzlich<br />
dem Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“<br />
ihre „Empfehlungen“ vorgestellt hat,<br />
bevor sie im Herbst dieses Jahres ihre Arbeit<br />
beendet. Wichtig sei, betont sie, dass die<br />
Gesellschaft das Unrecht anerkennt und lernt,<br />
wie lange die Folgeschäden nachwirken: Wer<br />
als Kind sexuell missbraucht wird, leidet häufig<br />
ein Leben lang. Seite 30<br />
Mit den Täuschungsmanövern<br />
bekannter Politiker<br />
ist die Debatte um seriöse<br />
wissenschaftliche Arbeit<br />
neu entbrannt. Armin Himmelrath<br />
wirft einen Blick in<br />
die Wissenschaftsgeschichte<br />
und fragt: Sollte man das<br />
„Abkupfern“ schon früher<br />
ahnden? Bislang sei es<br />
Usus, dass „studentische<br />
Plagiate nicht bestraft werden“.<br />
Seiten 32/33<br />
Gastkommentar<br />
Bildung ist Zukunftsinvestition Seite 2<br />
Impressum Seite 2<br />
Auf einen Blick Seite 4<br />
Prämie des Monats Seite 5<br />
Schwerpunkt Bildungsausgaben und Bedarf<br />
1. Klassenziel verfehlt Seite 6<br />
2. In der Abwärtsspirale!? Kurzinterviews mit den <strong>GEW</strong>-Vorsitzenden<br />
Klaus Bullan, Sabine Gerold, Klaus-Peter Hammer, Annett Lindner,<br />
Doro Moritz, Jochen Nagel und Bernd Winkelmann Seite 10<br />
3. Bildungsfinanzplan <strong>GEW</strong> NRW:<br />
„Demografiegewinne <strong>für</strong> <strong>mehr</strong> <strong>Chancengleichheit</strong> nutzen“ Seite 16<br />
4. Interview mit Jutta Allmendinger und Johannes Giesecke:<br />
„Bildung lohnt sich“ Seite 18<br />
5. Schuldenbremse: Sozialer Ausgleich wird schwieriger Seite 19<br />
6. <strong>GEW</strong>-Kommentar: <strong>Mehr</strong> Qualität <strong>für</strong> Bildung Seite 20<br />
Dialog: Zeitschrift <strong>für</strong> Seniorinnen und Senioren Seite 21<br />
Tarifpolitik<br />
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst:<br />
Verbesserungen durchgesetzt Seite 25<br />
Frauen<br />
400-Euro-Jobs: Geschlechterrollen zementiert Seite 27<br />
Bildungspolitik<br />
<strong>GEW</strong>-Gutachten zu Privatschulen: Wachsamkeit geboten Seite 28<br />
Gesellschaftspolitik<br />
Interview mit Christine Bergmann:<br />
„Sexueller Missbrauch geht alle an“ Seite 30<br />
Hochschule<br />
1. <strong>GEW</strong>-Kommentar:<br />
Wird aus dem Albtraum mal ein Traumjob? Seite 31<br />
2. Abkupfern im Wissenschaftsbetrieb:<br />
„Studentische Plagiate werden nicht bestraft“ Seite 32<br />
Fair Childhood – Bildung statt Kinderarbeit<br />
Kleidung ohne Kinderarbeit: Hipp, chic und fair Seite 34<br />
Leserforum Seite 36<br />
Diesmal Seite 40<br />
Titel: Werbeagentur Zimmermann<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 3
AUF EINEN BLICK<br />
Gegliedert wird weiterhin<br />
Foto: <strong>GEW</strong> NRW<br />
Dorothea Schäfer<br />
Foto: Christian von Polentz/transit<br />
Dem Atomausstieg folgt der Ausstieg aus der Hauptschule –<br />
vor dem Sommerloch sorgt die CDU <strong>für</strong> Medienwirbel: Mit<br />
ihrem neuen Schulkonzept, das der Parteivorstand am 28. Juni<br />
beschlossen hat, verabschieden sich die Christdemokraten nur<br />
scheinbar vom dreigliedrigen Schulsystem. Das Gymnasium<br />
bleibt unangetastet. Haupt- und Realschulen sollen zu einer<br />
neuen Oberschule zusammengelegt werden. Es sei schon erstaunlich,<br />
so <strong>GEW</strong>-Schulexpertin Marianne Demmer, wie lange<br />
die Union gebraucht hat, um zu erkennen, dass die Gesellschaft<br />
sich verändert habe: „PISA-Ergebnisse wie auch die Abstimmung<br />
mit den Füßen durch Schüler und Eltern haben dem<br />
gegliederten deutschen Schulsystem schon längst den Laufpass<br />
erteilt.“ Die Bildungsgewerkschaft sieht im CDU-Vorstandsbeschluss<br />
daher eher „einen halbherzigen Schritt“ zum zweigliedrigen<br />
Schulwesen, das in Wirklichkeit dreigliedrig bleibe:<br />
Denn die Sonder- und Förderschulen würden, so Demmer,<br />
nicht in Frage gestellt. Kritik an der „kleinen Schulrevolution“<br />
der Unionsspitze kommt aber auch aus den eigenen Reihen.<br />
Die Traditionalisten wollen die Wende der Schwesterpartei in<br />
der Schulpolitik nicht mitmachen – allen voran die CSU: Die<br />
von der CDU geplante Auflösung der Hauptschule sei ein<br />
Schritt auf dem Weg zur Einheitsschule, kritisierte Bayerns<br />
Kultusminister Ludwig Spaenle. Einigen christdemokratischen<br />
Bürgermeistern geht der Vorstandsbeschluss indes nicht weit<br />
genug. Sie plädieren vor Ort <strong>für</strong> die Gemeinschaftsschule. SPD<br />
und Grüne begrüßten den schulpolitischen Kurswechsel als<br />
„Schritt in die richtige Richtung“. Doch Anlass <strong>für</strong> zu viel reformerischen<br />
Optimismus bietet der konservative schulpolitische<br />
Wandel trotzdem nicht: Der Knackpunkt des deutschen<br />
Schulsystems, kritisierte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir,<br />
die frühe Trennung der Schülerinnen und Schüler nach der<br />
vierten Klasse, bleibe weiter bestehen.<br />
5000 Schülerinnen und Schüler, Eltern<br />
und Lehrkräfte demonstrierten am 9.<br />
Juni in der Hauptstadt <strong>für</strong> „eine bessere<br />
Schule in Berlin“. Zur Demo hatten<br />
Landeselternausschuss, LandesschülerInnenausschuss<br />
und die <strong>GEW</strong><br />
Berlin aufgerufen.<br />
Gesamtschule gewinnt Deutschen Schulpreis<br />
Die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule aus Göttingen<br />
ist die beste Schule des Jahres. Sie ist am 10. Juni in Berlin von<br />
Bundespräsident Christian Wulff mit dem Deutschen Schulpreis<br />
ausgezeichnet worden. Der Preis ist mit 100000 Euro dotiert.<br />
Die Auszeichnung wird seit 2006 von der Robert-Bosch-<br />
Stiftung und der Heidehoff-Stiftung vergeben.<br />
Schäfer <strong>GEW</strong>-Vorsitzende in NRW<br />
Dorothea Schäfer ist am 18. Juni mit rund 90 Prozent der Delegiertenstimmen<br />
zur Vorsitzenden der <strong>GEW</strong> Nordrhein-Westfalen<br />
(NRW) gewählt worden. Die 56-jährige Gesamtschullehrerin<br />
aus Unna will die <strong>GEW</strong> in NRW unter einer rot-grünen<br />
Landesregierung profilieren und <strong>für</strong> Bildungsreformen<br />
kämpfen.<br />
Foto: Manfred Brinkmann<br />
Etwa 130 Grundschülerinnen aus Nordrhein-Westfalen (NRW)<br />
haben am 1. Juni in Essen am Mädchenfußballturnier der <strong>GEW</strong><br />
NRW teilgenommen und die Forderung der Globalen Bildungskampagne<br />
nach Bildung <strong>für</strong> Mädchen und Frauen weltweit unterstützt.<br />
In feudaler Manier: Tarifergebnis nur<br />
teilweise auf Beamte übertragen<br />
Einige Länder haben sich bislang geweigert, das Ergebnis,<br />
das Gewerkschaften und die Tarifgemeinschaft deutscher<br />
Länder (TdL) im März 2011 vereinbart hatten, zeit- und inhaltsgleich<br />
auf Beamte zu übertragen (s. E&W 5/2011).<br />
Nach Verhandlungen mit den Gewerkschaften hat nur<br />
Brandenburg die vollständige Übertragung angekündigt.<br />
In anderen Ländern wird der Abschluss nur teilweise und<br />
verzögert übertragen:<br />
Bremen: Die Besoldungserhöhung <strong>für</strong> 2012 wird vom 1. Januar<br />
auf den 1. April verschoben. Ab Besoldungsgruppe A<br />
12 erfolgt sie in 2011 und 2012 erst zum 1. Oktober. Außerdem<br />
wird die Einmalzahlung in 2011 in Höhe von 360 Euro<br />
nur bis zur Besoldungsgruppe A 8 gezahlt.<br />
Hamburg: Die prozentualen Erhöhungen in 2011 (1,5 Prozent)<br />
und 2012 (1,9 Prozent plus 17 Euro) erfolgen zeitgleich<br />
(rückwirkend). Die Einmalzahlung in 2011 entfällt<br />
<strong>für</strong> Beamte, ebenso die 17 Euro 2012. Außerdem wird das<br />
Weihnachtsgeld gekürzt.<br />
Hessen: Der Abschluss in Hessen weicht leicht vom Tarifergebnis<br />
ab: 2012 gibt es statt 1,9 Prozent und 17 Euro eine<br />
lineare Erhöhung von 2,6 Prozent, die allerdings erst am<br />
1. März in Kraft tritt. Für die Beamten entfällt die Einmalzahlung<br />
in 2011. Die prozentualen Erhöhungen erfolgen<br />
in beiden Jahren erst zum 1. Oktober. Hessen ist nicht Mitglied<br />
der TdL.<br />
Thüringen: Die Übertragung verzögert sich bis zum 1. Oktober<br />
2011 und 1. April 2012, die Einmalzahlung 2011 entfällt.<br />
Bayern und das Saarland: Es bleibt <strong>für</strong> 2011 bei der angekündigten<br />
„Nullrunde“.<br />
Berlin und Baden-Württemberg: Hier hat der Arbeitgeber<br />
den Beamten – unabhängig vom Tarifergebnis – eine<br />
höhere Besoldung von zwei Prozent zugesagt.<br />
Es zeigt sich: Die Länder nutzen ihre Möglichkeiten, in<br />
feudaler Manier einseitig über die Besoldung zu bestimmen.<br />
Heraus kommt eine völlig unberechenbare und uneinheitliche<br />
Besoldungserhöhung.<br />
4 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
Mitmachen lohnt sich...<br />
...<strong>für</strong> jedes neu geworbene <strong>GEW</strong>-Mitglied erwartet Sie einWasserkocher.<br />
Prämie des<br />
Monats Juli/August<br />
Ein formschönerWasserkocher von Bosch<br />
#<br />
Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />
Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />
Antrag auf<br />
Mitgliedschaft<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
Land/PLZ/Ort<br />
Geburtsdatum/Nationalität<br />
Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />
Telefon<br />
Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet, den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und seine Zahlungen<br />
daraufhin regelmäßig zu überprüfen. Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die<br />
Satzung der <strong>GEW</strong> an und ermächtige die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich, den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag<br />
vierteljährlich von meinem Konto abzubuchen. Prämienberechtigt sind <strong>GEW</strong>-Mitglieder,<br />
die ein beitragzahlendes Mitglied werben. Der Landesverband Niedersachsen<br />
nimmt nicht an diesem Programm teil.<br />
Ort/Datum<br />
Fax<br />
Unterschrift<br />
Daten desWerbers<br />
Ich habe die oben genannte Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
PLZ/Ort<br />
Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />
- BeamtInnen zahlen 0,75 Prozent der Besoldungsgruppe und -stufe, nach der sie besoldet werden.<br />
- Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />
- Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />
- Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />
- Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />
- Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />
- Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />
Weitere Informationen sind der Beitragsordnung zu entnehmen.<br />
E-Mail<br />
Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />
Name/Ort der Bank<br />
Kontonummer<br />
Tarif-/Besoldungsgebiet<br />
BLZ<br />
Tarif-/Besoldungsgruppe Stufe seit<br />
Bruttoeinkommen € monatlich (falls nicht öffentlicher Dienst)<br />
Betrieb/Dienststelle/Schule<br />
Straße/Nr.des Betriebes/der Dienststelle/der Schule<br />
<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Träger des Betriebes/der Dienststelle/der Schule<br />
Fax<br />
PLZ/Ort<br />
E+W-Prämie des<br />
Monats Juli/August 2011/<br />
Wasserkocher<br />
Beschäftigungsverhältnis<br />
Honorarkraft<br />
angestellt<br />
beamtet<br />
teilzeitbeschäftigt mit<br />
Prozent<br />
teilzeitbeschäftigt mit<br />
Std./Woche<br />
in Rente/pensioniert<br />
Altersteilzeit<br />
befristet bis<br />
arbeitslos<br />
beurlaubt ohne Bezüge<br />
im Studium<br />
in Elternzeit<br />
Referendariat/<br />
Berufspraktikum<br />
Sonstiges<br />
Bitte den Antrag<br />
vollständig ausfüllen<br />
und an folgende<br />
Adresse senden:<br />
Gewerkschaft<br />
Erziehung undWissenschaft<br />
Reifenberger Straße 21<br />
60489 Frankfurt a.M.<br />
Fax:069/78973-102<br />
Vielen Dank!<br />
Ihre <strong>GEW</strong>
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
Klassenziel verfehlt<br />
Trotz Dresden: Benachteiligte können nicht auf <strong>mehr</strong> Förderung hoffen<br />
Wie ist es um die Finanzierung der Bildung bestellt? Steht <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> bereit <strong>für</strong><br />
die individuelle Förderung der Lernenden? Lösen die Dresdner Bildungsgipfelstürmer<br />
ihr Versprechen von 2008 ein und versorgen das kranke Bildungswesen<br />
mit den nötigen Finanzspritzen? <strong>Mehr</strong> <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> Bildung – das brauchen vor<br />
allem jene, denen qua Herkunft keine guten Startchancen in die Wiege gelegt<br />
wurden. Wie Mustafa aus Berlin-Neukölln oder Heinz aus München-Hasenbergl.<br />
Migrationshintergrund, Hartz-IV-Bezug, Arbeitslosigkeit oder Armut<br />
der Eltern erschweren es diesen Kindern, im selektiven deutschen Bildungssystem<br />
zu bestehen. Fest steht: Je <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> direkt in Kitas, Schulen und Weiterbildung<br />
fließen kann, desto bessere Perspektiven werden Mustafa und Heinz haben.<br />
Es sei eine „Schande“, dass ein<br />
reiches Land wie die Bundesrepublik<br />
„so wenig gegen die<br />
Armut tut“, klagte Susanne<br />
Korbmacher neulich in einer<br />
Fernsehdiskussion. Die Lehrerin<br />
am Sonderpädagogischen Förderzentrum<br />
im Münchner Problemviertel<br />
Hasenbergl hat selbst die Initiative ergriffen<br />
und versucht, wenigstens vor Ort<br />
die Not zu lindern. Im „Salon“ ihres<br />
Hauses erhalten hungrige „Ghettokids“<br />
samstags neben Unterstützung beim<br />
6 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
Cartoons: Thomas Plaßmann<br />
jüngste schwere Krise relativ glimpflich<br />
überstand, sprechen ausländische Beobachter<br />
inzwischen bewundernd vom<br />
„Modell Deutschland“.<br />
Allenfalls Mittelmaß<br />
Doch diese Vorbildfunktion erledigt<br />
sich rasch, wenn es um Bildung geht.<br />
Auf diesem Feld ist die Bundesrepublik<br />
allenfalls Mittelmaß, wenn nicht gar ein<br />
abschreckendes Beispiel. Nach den<br />
jüngsten Daten der Organisation <strong>für</strong><br />
wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />
Entwicklung (OECD) wurden 2007<br />
hier zu Lande je 100 Euro BIP gerade<br />
einmal 4,70 Euro <strong>für</strong> öffentliche und<br />
private Bildungseinrichtungen verwendet.<br />
Damit lag die Bundesrepublik deutlich<br />
unter dem Durchschnitt aller in der<br />
OECD vertretenen Industriestaaten<br />
von 5,7 Prozent. Nur Irland, Tschechien,<br />
Italien und die Slowakei gaben im<br />
Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft<br />
noch weniger <strong>für</strong> die Bildung aus.<br />
„Soweit es den Bildungsbereich betrifft,<br />
ist Deutschland kein Sozialstaat“, lautet<br />
das harsche Urteil, das der Bildungsforscher<br />
Christoph Ehmann in einem Beitrag<br />
<strong>für</strong> das „Handbuch Bildungsfinanzierung“*<br />
fällt. Dank zahlreicher internationaler<br />
Vergleichsstudien sei mittlerweile<br />
unstrittig, dass das hiesige System<br />
„stärker als die Bildungssysteme aller anderen<br />
nicht-feudalistischen Staaten den<br />
Bildungserfolg an die soziale Herkunft<br />
knüpft“. Dies hat Ehmann zufolge viel<br />
mit der Struktur zu tun und der in ihr<br />
„herausgebildeten wissenschaftlich verbrämten<br />
,schwarzen Pädagogik‘ der<br />
Ausgrenzung und Selektion“.<br />
Auf der Kippe<br />
Auf die skandalöse gesellschaftliche<br />
Schieflage weist auch der jüngste „Bildungsbericht“<br />
2010** hin. „Fast jedes<br />
dritte Kind unter 18 Jahren wächst in sozialen,<br />
finanziellen und/oder kulturellen<br />
Risikolagen auf“, heißt es dort. Mit<br />
anderen Worten: Rund vier Millionen<br />
Mädchen und Jungen stehen auf der<br />
Kippe. In diese Kategorien fallen den<br />
Angaben zufolge 1,1 Millionen bei Alleinerziehenden<br />
lebende Kinder und 1,7<br />
Millionen aus Familien mit Migrationshintergrund<br />
stammende. 3,5 Prozent<br />
seien „von allen Risikolagen gleichzeitig<br />
betroffen“. Es müsse be<strong>für</strong>chtet werden,<br />
schreiben die Autoren, „dass diese Kinder<br />
und Jugendlichen insgesamt<br />
ungünstigere Bildungschancen haben“.<br />
Das ist nicht zu be<strong>für</strong>chten, das ist so.<br />
Wer in Hasenbergl aufwächst, hat ziemlich<br />
miese Startvoraussetzungen. Hier<br />
leben viele Menschen, die auf Sozialhilfe<br />
angewiesen sind, die Arbeitslosigkeit<br />
und der Ausländeranteil liegen deutlich<br />
über dem Münchner Durchschnitt.<br />
Und Viertel mit hohen „Risikolagen“<br />
wie Hasenbergl gibt es in fast jeder deutschen<br />
Stadt.<br />
* Heiner Barz (Hrsg.):<br />
„Handbuch Bildungsfinanzierung“,<br />
VS Verlag,<br />
Wiesbaden 2010<br />
** Hrsg. Autorengruppe<br />
Bildungsberichterstattung<br />
im Auftrag der<br />
KMK und des BMBF,<br />
erschienen Bielefeld<br />
2011<br />
*** „An den Grundpfeilern<br />
unserer Zukunft sägen<br />
– Bildungsausgaben,<br />
Öffentliche Haushalte<br />
und Schuldenbremse.<br />
Hrsg. Kai<br />
Eicker-Wolf/Ulrich Thöne,<br />
Metropolis-Verlag, Marburg<br />
2010<br />
Lernen auch eine ordentliche Mahlzeit.<br />
„Bildung ohne Essen geht nicht“, weiß<br />
Korbmacher.<br />
Die Kosten der pädagogischen Koch-<br />
Aktionen tauchen in keiner der üblichen<br />
Statistiken über Bildungsausgaben<br />
auf. Der Verein „Ghettokids“ lebt von<br />
Spenden. Die Stadt München, berichtet<br />
Korbmacher, hat die Bitte um finanzielle<br />
Unterstützung mit Hinweis auf die<br />
leeren Kassen abgelehnt.<br />
Ökonomisch ist die kleine Bundesrepublik<br />
ein Riese. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP), das die gesamte<br />
Produktion von Gütern und Dienstleistungen<br />
einer Nation in einer Zahl zusammenfasst,<br />
belegte sie zuletzt Platz<br />
vier der Weltrangliste. In Europa ist sie<br />
die unangefochtene Nummer Eins.<br />
Und weil die hiesige Wirtschaft die<br />
Foto: FH Gelsenkirchen<br />
„Das Elend geht weiter“<br />
Wissenschaftlich ist hinlänglich bewiesen, dass Deutschland<br />
zu wenig <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> Bildung ausgibt. Und zwar in allen Bereichen.<br />
Von Dänemark trennen Deutschland bei den Bildungsausgaben<br />
rund 85 Milliarden Euro. Daran ändert auch die<br />
Verabredung zwischen Bund und Ländern auf dem Bildungsgipfel<br />
am 22. Oktober 2008 in Dresden wenig, bis 2015 die<br />
Bildungsausgaben auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) anzuheben. Aber selbst die müssen erst einmal erreicht<br />
werden. Das nämlich würde bedeuten, das Bildungs-<br />
Heinz-J. Bontrup<br />
budget in der engen deutschen Definition jährlich um 20<br />
Milliarden Euro zu erhöhen. In Bezug auf internationale Bildungsbudgets wäre<br />
es laut OECD sogar um 56 Milliarden Euro zu steigern. Vor dem Hintergrund<br />
solcher Zahlen wird sofort klar, dass mit einem „Weiter so“ neoliberaler Umverteilungspolitik<br />
von unten nach oben und einer Politik der Steuersenkung zum<br />
Vorteil vermögender Schichten und Besserverdienender keine substanzielle Erhöhung<br />
der Bildungsausgaben erzielt wird.<br />
Nur durch eine radikal veränderte Steuerpolitik ließen sich die notwendigen zusätzlichen<br />
Bildungsausgaben erschließen. Die <strong>GEW</strong> hat dazu ein schlüssiges<br />
Steuerkonzept (s. E&W 5/2010 und 5/2011) vorgelegt, das die Bezieher hoher<br />
Einkommen, Unternehmer und Reiche stärker in die Pflicht nimmt, öffentliche<br />
Aufgaben stärker mit zu finanzieren und diese damit auch <strong>für</strong> Bildungsausgaben<br />
zur Verantwortung zieht. Fest steht: Ohne eine andere Steuerpolitik geht das<br />
Elend in der Bildung weiter.<br />
Heinz-J. Bontrup, Professor <strong>für</strong> Wirtschaftswissenschaft an der<br />
Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen<br />
und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 7
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
Abhilfe ist dringend erforderlich, darüber<br />
herrscht inzwischen weithin Einigkeit.<br />
„Der zunehmenden Kluft in den<br />
Bildungsverläufen von Kindern und Jugendlichen,<br />
die bestehende Bildungsangebote<br />
erfolgreich nutzen, und jenen,<br />
bei denen sich die Benachteiligungen<br />
eher kumulieren, muss entschiedener<br />
begegnet werden“, fordert der aktuelle<br />
Bildungsbericht. Und er stellt fest, dass<br />
die „zunehmenden segregativen Erscheinungen<br />
im Gegensatz zur Inklusions-<br />
und Integrationsaufgabe des Bildungswesens<br />
stehen“. So sieht es auch<br />
die <strong>GEW</strong>. „Gerade das Schulwesen verstärkt<br />
die soziale Ungleichheit und von<br />
<strong>Chancengleichheit</strong> kann keine Rede<br />
sein“, schreibt <strong>GEW</strong>-Vorsitzender Ulrich<br />
Thöne in einer Analyse, die sich mit der<br />
Bildungsfinanzierung beschäftigt.***<br />
Diese Position wird von der Bertelsmann-Stiftung<br />
geteilt. „Wir lassen zu<br />
viele Bildungsverlierer zurück“, sagt<br />
Vorstandsmitglied Jörg Dräger. Geht es<br />
nach ihm, müssten <strong>mehr</strong> Mittel dort<br />
eingesetzt werden, „wo die Probleme<br />
am größten sind“. Dies zahle sich <strong>für</strong> die<br />
gesamte Volkswirtschaft aus. Denn<br />
„schlechte Bildung“ koste auf Dauer riesige<br />
Milliardenbeträge, etwa in Form<br />
von weniger Wachstum, warnt Dräger:<br />
„Sparen ist teuer.“<br />
Hier rechnet man anders<br />
Dies scheint sich inzwischen auch in Regierungskreisen<br />
herumgesprochen zu<br />
haben. Auf ihrem Dresdner „Bildungsgipfel“<br />
im Herbst 2008 vereinbarten<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)<br />
und die Ministerpräsidenten der Länder,<br />
die Gesamtausgaben <strong>für</strong> das Bildungswesen<br />
deutlich steigern zu wollen.<br />
Angepeilt wird <strong>für</strong> 2015 ein Anteil am<br />
BIP von sieben Prozent. Weitere drei<br />
Prozent sollen in die Forschung fließen.<br />
Gemessen an den von der OECD zuletzt<br />
ermittelten 4,7 Prozent wäre das ein<br />
höchst ehrgeiziges Ziel. Doch hier zu<br />
Lande rechnet man anders. Die nationale<br />
Statistik erfasst unter Bildungsausgaben<br />
auch solche, die der Pariser Club<br />
der Industriestaaten außen vor lässt: etwa<br />
die Aufwendungen <strong>für</strong> betriebliche<br />
Weiterbildung, Krippen oder Volkshochschulen.<br />
Mit dieser erweiterten Definition<br />
stellt sich die Lage schon etwas<br />
günstiger dar. Im jüngsten Bildungsfinanzbericht****<br />
beziffert das Statistische<br />
Bundesamt die öffentlichen und<br />
privaten Bildungsausgaben in 2008 auf<br />
155 Milliarden Euro. Damit erreicht das<br />
„Bildungsbudget“ einen Anteil am BIP<br />
von 6,2 Prozent. 1995 waren es noch 6,8<br />
Prozent.<br />
Wenn im Herbst die neuen Zahlen auf<br />
den Tisch kommen, dürften sich die Bildungsgipfelstürmer<br />
allerdings schon<br />
dem Sieben-Prozent-Ziel nahe wähnen.<br />
Weil das BIP im Jahr 2009 eingebrochen<br />
ist, wird selbst bei unveränderten Bildungsausgaben<br />
deren Anteil deutlich<br />
steigen, bevor er dann 2010 im Aufschwung<br />
wieder schrumpft, prognostiziert<br />
Klaus Klemm. Diese Bewegungen<br />
weisen auf eine andere Problematik hin,<br />
die der Essener Bildungsforscher in einer<br />
Studie <strong>für</strong> die Friedrich-Ebert-Stiftung*****<br />
anspricht: Die Dresdner Be-<br />
8 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
schlüsse „lassen völlig offen, welchen<br />
Anteil die öffentlichen Haushalte an<br />
dem angestrebten Wachstum übernehmen<br />
wollen“ und was den Privaten überlassen<br />
werde. Ebenso ungeklärt bleibe,<br />
wie sich die angekündigten Steigerungen<br />
auf Bund, Länder und Gemeinden verteilen<br />
sollen.<br />
Verdeckte Subventionierung<br />
Damit kommt eine weitere Datenreihe<br />
ins Spiel. Laut „Bildungsbudget“ lagen<br />
die öffentlichen Ausgaben 2007 bei 117<br />
Milliarden Euro. Nach der enger gefassten<br />
Finanzstatistik machten Bund,<br />
Länder und Gemeinden tatsächlich<br />
aber nur gut 92 Milliarden Euro <strong>für</strong> die<br />
Bildung locker. Dies entsprach einem<br />
Anteil von 3,8 Prozent am BIP. „Die öffentlichen<br />
Bildungsausgaben sind im<br />
Bundesgebiet seit 1995 stetig gestiegen,<br />
jedoch unterproportional zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung“, heißt es im<br />
Bildungsfinanzbericht. Gut 56 Prozent<br />
der Ausgaben kamen den Schulen zugute,<br />
knapp 15 Prozent entfielen auf<br />
Kindertageseinrichtungen und ein<br />
Fünftel auf die Hochschulen.<br />
Diese Verteilung deutet auf eine Besonderheit<br />
des deutschen Systems hin: Im<br />
internationalen Vergleich ist der Anteil<br />
privater Finanzierung in der Vorschule<br />
hoch und <strong>für</strong> Universitäten niedrig. Allerdings<br />
wird der öffentliche Beitrag<br />
nicht nur nach Ansicht der Länderfinanzminister<br />
unterschätzt. Wie Ehmann<br />
anmerkt, kann ein Großteil privater<br />
Aufwendungen <strong>für</strong> Bildung bei der<br />
Steuer geltend gemacht werden. Im<br />
Grunde eine verdeckte staatliche Subventionierung,<br />
die auf Kosten der Allgemeinheit<br />
geht und vor allem den<br />
Beziehern hoher Einkommen zugute<br />
kommt.<br />
Rendite <strong>für</strong> Benachteiligte<br />
Dieses Argument führen deutsche Bildungspolitiker<br />
jedoch nicht so gern ins<br />
Feld. Stattdessen versuchen sie, mit dem<br />
Verweis auf die Ausgaben pro Schüler<br />
beziehungsweise Studierendem Punkte<br />
zu sammeln. Aber auch in dieser Kategorie<br />
schnitt die Bundesrepublik nach<br />
Angaben der OECD kaufkraftbereinigt<br />
zuletzt im Ländervergleich nur durchschnittlich<br />
ab. Immerhin reichte es <strong>für</strong><br />
einen besseren Platz als in der Rangliste<br />
nach den Gesamtausgaben gemessen<br />
am BIP. Der wesentliche Grund: Weil<br />
die Schülerzahlen sinken, steht pro<br />
Kopf <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> zur Verfügung. Vorausgesetzt<br />
das Budget wird nicht gekürzt,<br />
sondern die „demografische Rendite“<br />
genutzt, um das Bildungsangebot zu<br />
verbessern.<br />
Dabei geht es um eine Menge <strong>Geld</strong>.<br />
„Unter den Status-Quo-Annahmen<br />
eröffnet der demografische Wandel ein<br />
Gestaltungspotenzial von knapp 20 Milliarden<br />
Euro im Jahr 2025 im Vergleich<br />
zu 2007“, rechnet der „Bildungsbericht“<br />
vor. Dass die Mittel im Bildungsbereich<br />
bleiben müssen, darüber „herrscht breiter<br />
Konsens“, meint der Bildungsökonom<br />
Manfred Weiß. Gehtesnachihm,<br />
sollte das <strong>Geld</strong> vor allem <strong>für</strong> Benachteiligte<br />
wie Heinz in Hasenbergl oder<br />
Mustafa in Neukölln verwendet werden.<br />
Dabei beruft sich Weiss auf die Forschungen<br />
von James Heckman. Fürden<br />
Wirtschaftsnobelpreisträger aus den<br />
USA entscheidet die frühkindliche Prägung<br />
über die weitere Entwicklung, soziale<br />
Ungleichheit entstehe schon im Elternhaus.<br />
Heckman setzt deshalb auf Investitionen<br />
in die Vorschule. Sie minimierten<br />
die gesellschaftlichen Folgekosten<br />
und versprächen eine hohe Rendite.<br />
Ähnlich sieht es Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister<br />
in Berlin-Neukölln:<br />
„Die Kinder müssen raus aus dem Milieu,<br />
so früh wie möglich in die Krippe<br />
und dann auf die Ganztagsschule.“ Statt<br />
in die Familienförderung müsse das<br />
<strong>Geld</strong> vordringlich in die Bildung<br />
fließen, fordert der SPD-Politiker. Nach<br />
seiner Ansicht „hätte die letzte Kindergelderhöhung<br />
ausgereicht, um die Vorschulerziehung<br />
kostenlos zu machen“.<br />
Doch zu einem solchen Schritt mochte<br />
sich die Bundesregierung nicht entschließen.<br />
Klemm ist ohnehin skeptisch.<br />
Für ihn ist „keine Politik, die in<br />
Richtung auf das Ziel des Bildungsgipfels<br />
marschiert“, in Sicht.<br />
Mario Müller, Wirtschaftsjournalist<br />
Schavans Irrungen und Wirrungen<br />
Irrungen und Wirrungen bei Bildungsministerin Annette Schavan (CDU). Der<br />
Anlass: Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hatte im Juni gemeldet, dass<br />
die Bildungsausgaben im Jahr 2009 um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen<br />
seien. Der Anteil der Ausgaben <strong>für</strong> Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) habe 9,3 gegenüber 8,6 Prozent in 2008 betragen. Die Ministerin<br />
nutzte den Bericht zum Bildungsbudget 2008/2009 zur politischen Zahlenkosmetik:<br />
Das Ziel, zehn Prozent des BIP <strong>für</strong> Bildung und Forschung aufzuwenden,<br />
sei in greifbare Nähe gerückt. „Frau Schavan irrt!“, kommentierte<br />
<strong>GEW</strong>-Vorsitzender Ulrich Thöne. „Ihr gefährliches Rechenspiel droht nach hinten<br />
loszugehen.“ Die Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am BIP sei konjunkturbedingt:<br />
2009 sei das BIP wegen der Weltwirtschaftskrise um rund fünf<br />
Prozent gesunken. Damit habe sich der BIP-Anteil der relativ statischen Bildungsausgaben<br />
automatisch erhöht, ohne dass sich die Situation im Bildungsbereich<br />
verbessert hat.<br />
Hari<br />
**** Bildungsfinanzbericht<br />
2010 im Auftrag<br />
des BMBF und der<br />
KMK, Hrsg. Statistisches<br />
Bundesamt Wiesbaden,<br />
erschienen im<br />
Dezember 2010<br />
***** Klaus Klemm:<br />
„Bildungsausgaben im<br />
föderalen System – Zur<br />
Umsetzung der Beschlüsse<br />
des Bildungsgipfels“,<br />
Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
2009 (http://library.<br />
fes.de/pdf-files/stabs<br />
abteilung/06218.pdf)<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 9
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
In der Abwärtsspirale!?<br />
Status quo und künftiger Bedarf – E&W hat in sieben Bundesländern nachgefragt, wie es dort<br />
um die Bildungsfinanzierung steht, wo es Mängel gibt und Investitionen dringend nötig sind.<br />
Kurzinterviews mit den <strong>GEW</strong>-Vorsitzenden Klaus Bullan, Sabine Gerold, Klaus-Peter Hammer,<br />
Annett Lindner, Doro Moritz, Jochen Nagel und Bernd Winkelmann.<br />
„Klar unterfinanziert“<br />
Bernd Winkelmann, Vorsitzendenteam <strong>GEW</strong> Bremen<br />
Foto: <strong>GEW</strong> Bremen<br />
Foto: imago<br />
Bernd<br />
Winkelmann<br />
* www.gew-hb.de<br />
E &W: Der Zwei-Städte-Staat Bremen ist<br />
traditionell PISA-Schlusslicht. Wie sehr<br />
hängt das schlechte Abschneiden der Bremer<br />
und Bremerhavener Schulen mit deren finanzieller<br />
Ausstattung zusammen?<br />
Bernd Winkelmann: Von 1995 bis<br />
2008 sind die Ausgaben <strong>für</strong> die öffentlichen<br />
Schulen im Bundesdurchschnitt<br />
um 18,6 Prozent gestiegen, im<br />
Stadtstaat Bremen dagegen um 3,8<br />
Prozent gesunken. In absoluten Zahlen<br />
liegen wir mittlerweile sogar um<br />
100 Euro unter dem Bundesdurchschnitt<br />
jährlicher Ausgaben von 5100<br />
Euro pro Schüler. Der Bildungsbereich<br />
ist also klar unterfinanziert. Man kann<br />
natürlich nicht gleich einen linearen<br />
Zusammenhang zu PISA herstellen.<br />
Aber wer die Ergebnisse verbessern<br />
will, muss doch zumindest eine Finanzausstattung<br />
wie in vergleichbaren Ländern<br />
schaffen.<br />
E &W: Wo steht Bremen bei der Schüler-<br />
Lehrer-Relation, der Unterrichtsversorgung<br />
und den Klassengrößen?<br />
Winkelmann: Seriös vergleichen kann<br />
man nur die Stadtstaaten. Und hier stehen<br />
wir uns immer deutlich schlechter.<br />
Dabei hat Bremen zusammen mit den<br />
neuen Ländern das höchste Armutsrisiko<br />
bei Kindern und Jugendlichen: In<br />
den alten Ländern liegt es bei 15 Prozent,<br />
in Bremen bei 28 Prozent. Für uns<br />
ist das ein weiteres Argument <strong>für</strong> stärkere<br />
Anstrengungen in der Bildung. Schule<br />
muss in sozialen Notlagen kompensatorisch<br />
wirken. Außerdem gibt es einen<br />
erheblichen Bedarf an neuen Lehrkräften:<br />
Im Bundesland Bremen sind 60<br />
Prozent älter als 50 Jahre.<br />
E &W: Bremen ist Vorreiter bei der Inklusion.<br />
Reichen da die Mittel?<br />
Winkelmann: Nein. Nötig wären zum<br />
Beispiel 100 zusätzliche Sonderpädagogen.<br />
Wir haben sogar die große Sorge,<br />
dass die „demografische Rendite“, also<br />
die „Ersparnis“ durch rückläufige Schülerzahlen,<br />
nicht in vollem Umfang <strong>für</strong><br />
Bildung bereitgestellt wird, wie es die<br />
rot-grüne Koalition mit der CDU vor<br />
zwei Jahren im „Bremer Schulkonsens“<br />
vereinbart hat.<br />
E &W: Was fordert die <strong>GEW</strong>?<br />
Winkelmann: Die demografische Rendite<br />
ist die absolute Minimalausstattung<br />
und darf nicht angetastet werden. Wir<br />
bräuchten eher zehn Prozent <strong>mehr</strong><br />
Lehrkräfte. Ein zweiter Punkt: Die<br />
Schulreform mit dem Ziel Inklusion ist<br />
anspruchsvoll angelegt. Die Kolleginnen<br />
und Kollegen müssen qualifiziert<br />
werden und brauchen da<strong>für</strong> deutlich<br />
<strong>mehr</strong> Entlastung. Generell ist die Versorgung<br />
mit qualifizierten Pädagogen<br />
bedroht. Unsere Berufe müssen also attraktiver<br />
werden, unter anderem durch<br />
die Wiedereinführung von Sonderzahlungen<br />
oder eine Besoldung aller Lehrkräfte<br />
auf A-13-Niveau.<br />
E &W: Finanzsenatorin Karoline Linnert<br />
(Bündnis 90/Die Grünen) würde jetzt wahrscheinlich<br />
rufen: „Wer soll das bezahlen? Ich<br />
nicht!“ Denn das kleinste Bundesland steckt<br />
in extremer Haushaltsnotlage. Gibt es denn<br />
überhaupt Spielraum auf Landesebene?<br />
Winkelmann: In den vergangenen Jahren<br />
hat Bremen sehr viel „in Beton“ investiert.<br />
Ein gutes Gemeinwesen zeichnet<br />
sich aber auch durch einen gut funktionierenden<br />
öffentlichen Dienst aus.<br />
Da könnte eine Landesregierung die<br />
Weichen sicher anders stellen.*<br />
Interview: Eckhard Stengel, freier Journalist<br />
„Spar-Primus unter den Ländern“<br />
Sabine Gerold, Vorsitzende <strong>GEW</strong> Sachsen<br />
E &W: Sachsen gilt seit längerem als Musterknabe.<br />
Das Land hat den geringsten Pro-<br />
Kopf-Schuldenstand. Kritiker bemängeln allerdings<br />
die Kehrseite: weniger Investitionen<br />
auch im Bildungsbereich.<br />
Sabine Gerold: Sachsen ist in der Tat<br />
inzwischen auch Spar-Primus unter den<br />
Bundesländern und will das bleiben –<br />
koste es, was es wolle. Mit dem im Dezember<br />
2010 beschlossenen Doppelhaushalt<br />
2011/2012 hat die CDU/FDP-<br />
Regierung eines der größten Sparprogramme<br />
in der Geschichte des Freistaates<br />
durchgesetzt – trotz massiver Proteste<br />
der Betroffenen.<br />
E &W: Welche Bereiche sind von den Haushaltskürzungen<br />
besonders betroffen?<br />
Gerold: Soziales und Kultur, aber auch<br />
Bildung. Die viel gepriesene „Priorität<br />
<strong>für</strong> Bildung“ heißt <strong>für</strong> die sächsische<br />
Staatsregierung lediglich, dass in diesem<br />
Bereich weniger als in anderen gekürzt<br />
wird. Die Folgekosten des Landesbankdesasters<br />
und der Pensionsfonds <strong>für</strong> die<br />
Beamten – zu denen die Lehrkräfte in<br />
Sachsen nicht gehören – genießen eine<br />
deutlich höhere Priorität. Auch die sich<br />
10 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
TimeTEX ®<br />
So leben<br />
Lehrer/innen leichter<br />
„<strong>Mehr</strong> Mangelverwaltung“<br />
Jochen Nagel, Vorsitzender <strong>GEW</strong> Hessen<br />
E &W: Die <strong>GEW</strong> kritisiert seit Jahren, die<br />
Bildung sei in Hessen unterfinanziert. Lässt<br />
sich das statistisch belegen?<br />
Jochen Nagel: Absolut. Die Bildung ist<br />
chronisch unterfinanziert – vor allem<br />
gemessen am Reichtum des Landes.<br />
Hessen gibt lediglich rund 2,6 Prozent<br />
seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) <strong>für</strong><br />
die Bildung aus.<br />
E &W: Wie macht sich das bemerkbar?<br />
Nagel: Die Probleme fangen bei der<br />
Lehrer-Schüler-Relation an. In Hessen<br />
kommen auf 1000 Schüler knapp 55<br />
Lehrkräfte. In dieser Statistik schneidet<br />
Hessen bundesweit am schlechtesten<br />
ab. Der Bundesdurchschnitt liegt bei<br />
60,3. Hinzu kommt eine extrem hohe<br />
Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, was<br />
besonders an der hohen Arbeitszeit –<br />
wir reden von einer 42-Stunden-Woche<br />
– und auch an den Klassengrößen<br />
liegt. Bis zu 33 Schülerinnen und<br />
Schüler lernen gemeinsam in einer<br />
Klasse, das ist viel zu viel. Ideal wären<br />
weniger als 25.<br />
E &W: Kann an allen Schulen die Unterrichtsversorgung<br />
gewährleistet werden?<br />
Nagel: Nein. Es gibt einen deutlich<br />
spürbaren Unterrichtsausfall. Die Zahlen<br />
bekommen wir aber einfach nicht.<br />
Doch es geht auch darum, dass eine zunehmende<br />
Zahl von Lehrenden nicht<br />
inzwischen abzeichnenden Steuer<strong>mehr</strong>einnahmen<br />
– immerhin jährlich rund<br />
300 Millionen Euro werden in den<br />
nächsten vier Jahre erwartet – will der Finanzminister<br />
Georg Unland (parteilos)<br />
nicht zur Korrektur der Kürzungen bei<br />
Bildung und Kultur verwenden, sondern<br />
weit überwiegend in die Rücklagen<br />
und den Pensionsfonds <strong>für</strong> Beamte<br />
stecken. Lediglich 140 Millionen Euro<br />
sollen in den nächsten zwei Jahren in<br />
zusätzliche Investitionen fließen, ein<br />
Teil davon auch in Kitas und Schulen.<br />
Das ist völlig unzureichend.<br />
E &W: Tut das Land Ihrer Meinung nach<br />
genug, um das Zehn-Prozent-Ziel vom<br />
Dresdner Bildungsgipfel 2008 zu erreichen?<br />
Gerold: Auf jeden Fall tut auch Sachsen<br />
eine ganze Menge, um einen möglichst<br />
hohen Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben<br />
am Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) nachzuweisen. Es ist nicht<br />
gerade leicht, Realität und Rechenkunst<br />
zu trennen. Vom Zehn-Prozent-Ziel ist<br />
der Freistaat auf jeden Fall noch weit<br />
entfernt. Beim letzten Bundesländervergleich<br />
lagen die Bildungsausgaben<br />
(ohne Forschung) bei etwa vier Prozent.<br />
E &W: Wo befinden sich Ihrer Ansicht nach<br />
die größten Baustellen im sächsischen Bildungssystem,<br />
in die <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> investiert werden<br />
müsste?<br />
Gerold: Große Baustellen sind aus unserer<br />
Sicht die Kita-Finanzierung, die<br />
Vergütung der Lehrkräfte und die Personalausstattung<br />
der Hochschulen. Hier<br />
insbesondere auch die Kapazitäten <strong>für</strong><br />
die Lehrerausbildung, die bei Weitem<br />
nicht genügen, um dem drohenden<br />
Lehrermangel entgegen zu wirken.<br />
Große Sorge bereiten uns auch neue<br />
Stellenabbaupläne der Staatsregierung.<br />
Bis 2020 sollen noch einmal rund 17 000<br />
Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut<br />
werden. Da die Schule der größte Beschäftigtenbereich<br />
auf Landesebene ist,<br />
droht also auch ein enormer Lehrerstellenabbau<br />
– trotz wieder ansteigender<br />
Schülerzahlen.*<br />
Interview: Jürgen Amendt, Redakteur<br />
„Neues Deutschland“<br />
<strong>für</strong> das Lehramt qualifiziert ist. Das<br />
neue hessische Schulgesetz sieht sogar<br />
den Einsatz von Leiharbeitern vor (s.<br />
E&W 5/2011). Dadurch werden sämtliche<br />
pädagogischen Konzepte in Frage<br />
gesellt.<br />
E &W: Wie wirkt sich das aus?<br />
Nagel: Für die individuelle Förderung<br />
von Kindern und Jugendlichen sind<br />
kaum Ressourcen vorhanden. Oder<br />
das Stichwort Inklusion: In Klassen, in<br />
denen das von uns be<strong>für</strong>wortete gemeinsame<br />
Lernen stattfindet, dürfen<br />
zurzeit nicht <strong>mehr</strong> als 20 Schüler unterrichtet<br />
werden. Diese Absicherung soll<br />
aber mit dem neuen Schulgesetz wegfallen.<br />
E &W: Was fordern Sie, um Abhilfe zu<br />
schaffen?<br />
Nagel: Um die Unterrichtsversorgung<br />
zu gewährleisten und individuelle Förderung<br />
zu garantieren, müsste die Zahl<br />
der Lehrkräfte mindestens um zehn Prozent<br />
aufgestockt werden. Das wären<br />
5000 zusätzliche Kolleginnen und Kollegen.<br />
Selbst wenn wir die bekämen, läge<br />
Hessen bei der Lehrer-Schüler-Relation<br />
lediglich im Bundesdurchschnitt<br />
und nicht etwa darüber.<br />
E &W: Zudem setzt sich die <strong>GEW</strong> <strong>für</strong> <strong>mehr</strong><br />
Schulsozialarbeiter ein. Wie sieht der Bedarf<br />
in Hessen aus?<br />
Foto: privat<br />
Foto: imago<br />
Foto: <strong>GEW</strong> Hessen<br />
Foto: imgao<br />
Sabine Gerold<br />
* www.gew-sachsen.de<br />
Jochen Nagel<br />
* www.gew-hessen.de<br />
System-Schulplaner<br />
<strong>für</strong> Schuljahr 11/12<br />
• Formate A4 + A5 + A6<br />
• Flexible Formblätter <strong>für</strong><br />
Schüler-Notenverwaltung<br />
• bis 12 Klassen á 6 Seiten<br />
• Tagesplan bis 10 U-Std.<br />
• Jahrespläne <strong>für</strong> 11/12 +<br />
12/13, Stundenpläne<br />
Vertretungsliste, etc.<br />
• Einstecktasche <strong>für</strong> lose Blätter<br />
• Zubehör wie Aufsteckmappen etc.<br />
• Insgesamt 198 Seiten<br />
Ab 5,95 €<br />
Mobil-Sichtschutz<br />
“Clausura”<br />
• Ideal <strong>für</strong> Tests<br />
• kein Abschreiben <strong>mehr</strong><br />
• Klassensatz im Koffer<br />
• leicht und schnell aufstellbar<br />
ab 1,95 € /Stück<br />
(14 Tage Rückgaberecht)<br />
Flüssigkreide-Stift<br />
<strong>für</strong> Tafel, Fenster, Folie, etc.<br />
● auch auf Kunststoff, Metall usw.<br />
● einfach abwischbar<br />
● auf Wasserbasis, umweltfreundlich<br />
● fünf brillante, deckende Farben<br />
Stift L, 1-5 mm Strichbreite<br />
ab 1,75 €<br />
Stift XL, 5-15 mm Strichbreite<br />
ab 2,65 €<br />
Pädagogenglocken<br />
So sorgen Sie <strong>für</strong> Ruhe<br />
• gut hörbarer Glockenton<br />
• schont Ihre Stimme<br />
+ Nerven<br />
• schafft sofort Ruhe<br />
+ Aufmerksamkeit<br />
• kompakte Größen<br />
Preis ab 3,95 €<br />
Schultaschen<br />
<strong>für</strong> Lehrer/innen<br />
Groß, robust, praktisch, schön<br />
Herstellerpreis ab 69,90 €<br />
(14 Tage Rückgaberecht)<br />
Besuchen Sie uns:<br />
www.timetex.de<br />
TimeTEX ®<br />
HERMEDIA Verlag<br />
Tel.: 09442/922090, Fax: 09442/9220966<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 11
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
Foto: <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz<br />
Foto: imago<br />
Klaus-Peter<br />
Hammer<br />
* www.gew-rlp.de<br />
Nagel: Der ist unterschiedlich. Die<br />
Schulsozialarbeiter werden ja von den<br />
Kommunen eingesetzt. Mit dem Ergebnis,<br />
dass in wohlhabenden Regionen<br />
ausreichend Stellen vorhanden sein<br />
können, seltener aber in ärmeren Gegenden.<br />
Dort wären sie jedoch besonders<br />
nötig, weil es in strukturschwachen<br />
Gebieten oft <strong>mehr</strong> soziale Probleme<br />
gibt. Das Land muss ärmere Kommunen<br />
so ausstatten, dass diese sich Schulsozialarbeit<br />
leisten können.<br />
E &W: Haben die Schüler, die qua sozialer<br />
Herkunft als Bildungsbenachteiligte gelten,<br />
E &W: Die SPD-Landesregierung in Rheinland-Pfalz<br />
hat in den vergangenen Jahren einige<br />
Vorschläge der <strong>GEW</strong> umgesetzt. Sind<br />
Sie auch mit der Bildungsfinanzierung zufrieden?<br />
Klaus-Peter Hammer: Nein, da kritisieren<br />
wir die neue Landesregierung. Vor<br />
der Wahl im April haben SPD und Grüne<br />
versprochen, dass im Bildungsbereich<br />
nicht gekürzt wird. Nun steht in<br />
der Koalitionsvereinbarung, dass bis<br />
2016 rund 3000 Lehrerstellen wegfallen<br />
könnten. Begründet wird das mit sinkenden<br />
Schülerzahlen.<br />
E &W: Für weniger Schüler braucht es doch<br />
weniger Lehrer ...<br />
Hammer: So einfach ist die Gleichung<br />
nicht. Die Landesregierung hat in der<br />
Tat <strong>mehr</strong>ere unserer Vorstöße aufgegriffen.<br />
Um sie aber umzusetzen, brauchen<br />
wir ausreichend Personal. Das fängt bei<br />
der Klassengröße an. Die ist in Grundschulen<br />
auf maximal 24 festgelegt worden.<br />
In anderen Schulformen haben wir<br />
aber Klassengrößen von 29 Schülern.<br />
Zumindest in der Sekundarstufe I sollte<br />
die Zahl 24 als Norm gelten. Da<strong>für</strong> sind<br />
aber <strong>mehr</strong> Lehrkräfte notwendig.<br />
E &W: Aber die Unterrichtsversorgung ist<br />
gewährleistet, die Zahl der Ganztagsschulen<br />
steigt – haben Sie wirklich Anlass zur Kritik<br />
an der Finanzierung?<br />
Hammer: Das klingt alles gut. Aber<br />
schauen wir genauer hin: Bei ganz wenigen<br />
Ganztagsschulen handelt es sich um<br />
gebundene. In den meisten Einrichtungen<br />
werden Schüler nachmittags nur betreut.<br />
Für pädagogische Konzepte fehlen<br />
die Fachkräfte. Und die gute Unterrichtsversorgung<br />
funktioniert über fragwürdige<br />
Vertretungsverträge.<br />
E &W: Inwiefern fragwürdig?<br />
Hammer: Die Vertretungen haben oft<br />
nicht die notwendigen Qualifizierun-<br />
besonders unter den von Ihnen beschriebenen<br />
Problemen zu leiden?<br />
Nagel: Sicher. Schüler aus Familien, die<br />
eher bildungsfernen Schichten angehören,<br />
brauchen <strong>mehr</strong> individuelle<br />
Zuwendung. Die Eltern können sie oft<br />
aufgrund der eigenen Benachteiligung<br />
nicht unterstützen und zusätzliche Hilfe<br />
von außen kann man sich nicht leisten.<br />
Ein Problem gibt es auch bei der<br />
Ausstattung von Schulen. So wird zum<br />
Beispiel die in der hessischen Verfassung<br />
enthaltene Lehrmittelfreiheit systematisch<br />
unterlaufen. Eltern müssen<br />
„Es fehlen Fachkräfte“<br />
Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz<br />
Cartoon: Thomas Plaßmann<br />
gen. An vielen Schulen ist man schon<br />
froh, wenn zumindest mal ein Student<br />
kommt.<br />
E &W: Wie beurteilen Sie den Bedarf an<br />
Schulsozialarbeitern?<br />
Hammer: Es gibt aus dem Bildungspaket<br />
der Hartz-IV-Reform (s. E&W 6/2011)<br />
zwar zusätzliche Stellen, das begrüßen<br />
wir. Ein weiterer Ausbau ist aber nötig.<br />
Ebenso bei Schulpsychologen. Derzeit<br />
kommt ein Psychologe auf 10000<br />
Schüler, vorher war das Verhältnis<br />
1:12000. Wir fordern 1: 6000.<br />
E &W: Gibt es genügend Mittel <strong>für</strong> individuelle<br />
Förderung – gerade <strong>für</strong> Schüler aus bildungsfernen<br />
Familien?<br />
Hammer: Nur begrenzt. Rheinland-<br />
Pfalz hat die Hauptschule abgeschafft.<br />
Dennoch besteht weiterhin eine Stigmatisierung<br />
Bildungsbenachteiligter. Die<br />
kooperative Realschule Plus, wie das<br />
Modell heißt, endet nach der 9. Klasse.<br />
Die Schülerinnen und Schüler haben<br />
dann zwar einen Abschluss, in die 10.<br />
viel <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> zusätzliches Unterrichtsmaterial<br />
zahlen. Dies hält eine Reihe davon<br />
ab, ihr Kind auf eine weiterführende<br />
Schule zu schicken. Alles in allem bedeutet<br />
dies <strong>für</strong> Schulen und andere Bildungseinrichtungen:<br />
Wenn nicht deutlich<br />
zugunsten öffentlicher Aufgaben<br />
umverteilt wird, zum Beispiel entsprechend<br />
dem von der <strong>GEW</strong> vorgelegten<br />
Steuerkonzept, wird es im Bildungsbereich<br />
zu einer noch größeren Mangelverwaltung<br />
kommen.*<br />
Interview: Georg Leppert, Redakteur der<br />
„Frankfurter Rundschau“<br />
Klasse schafft es aber fast keiner. Damit<br />
sich das ändert, brauchten wir zusätzliche<br />
Förderung. Womit wir wieder bei<br />
den 3000 Lehrerstellen wären. Die müssen<br />
im Bildungssystem verbleiben, auch<br />
wenn die Schülerzahlen sinken. Nur<br />
dann können wir uns um einzelne Kinder<br />
und Jugendliche gezielt kümmern.<br />
E &W: Wie sieht es mit dem Bedarf an Kindergarten-<br />
und Krippenplätzen aus?<br />
Hammer: Der Bedarf ist in Rheinland-<br />
Pfalz weitgehend erfüllt. Bei Krippenplätzen<br />
könnte das Land demnächst sogar<br />
über den Soll-Zahlen liegen. Es fehlt<br />
aber auch hier an Fachkräften. Wenn wir<br />
auf pädagogische Konzepte setzen,<br />
brauchen wir qualifiziertes Personal.<br />
UndesfehltanRäumen.Zwarwilldie<br />
Landesregierung in beiden Punkten Abhilfe<br />
schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag.<br />
Wir brauchen aber ein Sofortprogramm.*<br />
Interview: Georg Leppert, Redakteur der<br />
„Frankfurter Rundschau“<br />
12 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
Sie geben alles. Wir geben alles <strong>für</strong> Sie.<br />
Mit dem<br />
optimalen Schutz<br />
vonAnfangan.<br />
Spezialist <strong>für</strong> den Öffentlichen Dienst.<br />
Dienstanfänger-Police<br />
Einkommensabsicherung bei Dienstunfähigkeit<br />
Einstieg in die private Altersvorsorge<br />
mit reduziertem Anfangsbeitrag<br />
Vision B<br />
Umfassender Krankenversicherungsschutz<br />
<strong>für</strong> Beihilfeberechtigte<br />
Beitragsfrei mitversichert sind medizinische<br />
Dienstleistungen<br />
Als Spezialversicherer exklusiv <strong>für</strong> den Öffentlichen<br />
Dienst geben wir alles <strong>für</strong> Sie – mit Produkten, die auf<br />
IhreBedürfnisseabgestimmtsind.Sowiediespeziellen<br />
Absicherungen <strong>für</strong> LehramtsanwärterInnen. Sprechen<br />
Sie jetzt mit Ihrem persönlichen Betreuer in Ihrer Nähe.<br />
<strong>Mehr</strong> Informationen:<br />
www.DBV.deoderunter<br />
Tel. 01803-000944 *<br />
Ein Unternehmen der AXA Gruppe<br />
*9 Cent aus dem deutschen Festnetz, Mobilfunk maximal
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
„Senat tritt kräftig auf Schuldenbremse“<br />
Klaus Bullan, Vorsitzender <strong>GEW</strong> Hamburg<br />
Foto: dpa Foto: imago Foto: <strong>GEW</strong> Hamburg<br />
Klaus Bullan<br />
* www.gew-hamburg.de<br />
Annett Lindner<br />
dings zu einfach. Es hat angeordnet,<br />
dass es ab diesem Schuljahr an den Förderschulen<br />
keine ersten und zweiten<br />
Klassen <strong>mehr</strong> geben dürfe. Nun sitzen<br />
Schüler mit Handicaps in den Grundschulen<br />
und die Pädagoginnen und<br />
Pädagogen wissen zum Teil nicht, wie sie<br />
mit ihnen umgehen sollen. Die meisten<br />
Lehrkräfte sind <strong>für</strong> diese Aufgabe weder<br />
vorbereitet noch qualifiziert. Das Ganze<br />
heißt Inklusion, ist aber ein Etikettenschwindel.<br />
E &W: Wie sieht es in anderen Bildungsbereichen<br />
aus?<br />
Lindner: Die Kommunen haben nur<br />
begrenzten Einfluss bei der Kinderbetreuung,<br />
seitdem fast drei Viertel der Kitas<br />
aus Kostengründen private Träger<br />
haben. Die Arbeitsbedingungen sind<br />
dadurch recht unterschiedlich; in den<br />
kleinen Einrichtungen gibt es keine gewerkschaftliche<br />
Kampfkraft. An den<br />
Ganztagsschulen beklagen wir, dass Arsetzlich<br />
geregelt, die Manövriermasse ist<br />
gering.<br />
E &W: Was müsste stattdessen passieren?<br />
Bullan: Statt bei den öffentlichen Einrichtungen,<br />
beim Wohnungsbau, dem<br />
Sozialwesen und bei der Bildung zu sparen,<br />
müssten wir die Einnahmen im öffentlichen<br />
Haushalt verbessern, indem<br />
wir Spitzenverdiener am Gesamtsteueraufkommen<br />
stärker beteiligen, z. B.<br />
über Vermögensteuer, Erbschaftsteuer<br />
und höhere Spitzensteuersätze. Wenn<br />
Hamburg endlich genug Steuerprüfer<br />
einsetzen würde, könnten wir mit dem<br />
<strong>Geld</strong> sofort die gröbsten Missstände beseitigen.<br />
E &W: Wo müsste sofort investiert werden?<br />
Bullan: Ganz oben auf der Prioritätenliste<br />
stehen die frühkindliche Bildung,<br />
die Schulen in den benachteiligten<br />
Stadtteilen und die Umsetzung der Inklusion.<br />
Die Kleinsten und die Bildungsbenachteiligten<br />
brauchen bessere<br />
Bedingungen zum Lernen.<br />
E &W: Apropos Inklusion – wie geht Hamburg<br />
damit um?<br />
Bullan: Der Senat hat als Nothilfe 108 zusätzliche<br />
Sozialpädagogen-Stellen über<br />
„Kein <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> Arbeitsentlastung“<br />
Annett Lindner, Vorsitzende <strong>GEW</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />
E &W: Was brennt der <strong>GEW</strong> in Mecklenburg-Vorpommern<br />
am meisten auf den Nägeln?<br />
Annett Lindner: Wie unsere Kolleginnen<br />
und Kollegen in anderen Ländern<br />
haben auch wir vor allem mit zu hoher<br />
Arbeitsbelastung und mangelnder Altersermäßigung<br />
sowie fehlender Entlastung<br />
<strong>für</strong> außerunterrichtliche Aufgaben<br />
zu kämpfen. Die Unterrichtsverpflichtung<br />
ist mit 27 Stunden zu hoch, an<br />
Grundschulen ist sie sogar noch eine<br />
halbe Stunde länger. Die Absenkung<br />
um eine Stunde soll rund 26 Millionen<br />
Euro kosten, behauptet die Politik. Das<br />
<strong>Geld</strong> da<strong>für</strong> sei angeblich nicht da.<br />
E &W: Fürchten die Lehrkräfte zusätzliche<br />
Belastungen, wenn sie versuchen, die Inklusion<br />
umzusetzen?<br />
Lindner: Klar ist, dass die Schulen die<br />
UN-Charta nicht zum Nulltarif realisieren<br />
können. Das CDU-geführte Bildungsministerium<br />
macht es sich aller-<br />
E &W: Hamburg gilt als reich und schön.<br />
Wie sieht es hinter den Kulissen aus?<br />
Klaus Bullan: Wenn wir auf den Bildungshaushalt<br />
schauen: katastrophal.<br />
Gemessen an den Kriterien der OECD<br />
ist der Bildungsbereich in Hamburg<br />
skandalös unterfinanziert.<br />
E &W: Was heißt das konkret?<br />
Bullan: Optimalerweise sollte der Bildungshaushalt<br />
sieben bis zehn Prozent<br />
vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen.<br />
Ich habe ausgerechnet, dass Hamburg,<br />
um mit den Spitzenreitern weltweit<br />
mithalten zu können, zwischen<br />
900 Millionen und 1,3 Milliarden Euro<br />
zusätzlich <strong>für</strong> Bildung im Jahr ausgeben<br />
müsste.<br />
E &W: Aber das auszugleichen ist doch völlig<br />
illusorisch!?<br />
Bullan: Vom Status quo aus gedacht, ja.<br />
Das Problem ist, dass der neue Senat<br />
(SPD) kräftig auf die Schuldenbremse<br />
tritt. Ab 2020 darf Hamburg keine<br />
Schulden <strong>mehr</strong> machen. Das heißt: Es<br />
wird gekürzt. Aber die Schere zwischen<br />
Einnahmen und Ausgaben ist so nicht<br />
<strong>mehr</strong> zu schließen. Fast 90 Prozent der<br />
Ausgaben im Länderhaushalt sind gedas<br />
Bundesbildungspaket finanziert. Um<br />
Inklusion zu verankern, brauchen wir<br />
aber die tatsächliche Ausstattung mit ausgebildeten<br />
sonderpädagogischen Lehrkräften.<br />
Da<strong>für</strong> hat der Senat noch kein<br />
Konzept. Wenn Inklusion nur als Sparmodell<br />
gefahren wird, ist sie zum Scheitern<br />
verurteilt.<br />
E &W: Stichwort Bildungspolitik: Wo steht<br />
Hamburg heute?<br />
Bullan: Die letzten Senate haben viel<br />
kaputt gemacht. Hamburg lag im Bundesvergleich<br />
in Bezug auf die Klassenfrequenz<br />
und die Arbeitszeit der Lehrkräfte<br />
weit hinten. Dann hat die grüne<br />
Bildungssenatorin Christa Goetsch <strong>mehr</strong><br />
<strong>Geld</strong> in Bildung investiert, die Klassenfrequenzen<br />
an Grundschulen gesenkt<br />
und Reformen in Gang gesetzt. All das<br />
ist nun gefährdet. Wenn man sich die<br />
Haushaltsplanungen ansieht, kann einem<br />
angst und bange werden.<br />
E &W: Alle fordern doch bessere Bildung.<br />
Aber wie sieht die Realität aus?<br />
Bullan: Die aktuelle Kürzung von bis zu<br />
20 Millionen Euro etwa an Hochschulen<br />
bringt das Fass zum Überlaufen.*<br />
Interview: Tina Fritsche, freie Journalistin<br />
beitszeit widerrechtlich ausgenutzt<br />
wird: 45 Minuten bezahlt der Arbeitgeber,<br />
aber 90 Minuten muss gearbeitet<br />
werden.<br />
E &W: Und nun kommt auch noch die<br />
Schuldenbremse...<br />
Lindner: Der finanzielle Ansatz <strong>für</strong> die<br />
Bildungsausgaben hat schon vorher<br />
nicht gestimmt: Die rot-schwarze Landesregierung<br />
hat zuerst überlegt, wie<br />
viel <strong>Geld</strong> sie zur Verfügung hat und<br />
denkt dann darüber nach, was sie damit<br />
machen kann. Die <strong>GEW</strong> tickt anders:<br />
Sie denkt erst nach, welche Ressourcen<br />
<strong>für</strong> eine gelingende Bildung nötig<br />
wären. Danach reden wir über die Finanzierung<br />
der Konzepte. Im letzten<br />
Doppelhaushalt gab die SPD/CDU-<br />
Koalition 30 Millionen <strong>mehr</strong> <strong>für</strong> den<br />
Bereich Schule und Kita aus. Das war<br />
ein Tropfen auf den heißen Stein.<br />
Aber – wie sollen wir mit der Schuldenbremse<br />
die anstehenden Aufgaben be-<br />
14 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
wältigen? Die Regierung haut sich das<br />
eine Standbein über geringere Steuereinnahmen<br />
weg und das andere über<br />
die Schuldenbremse – eine Katastrophe.<br />
E &W: Im September sind Landtagswahlen.<br />
Gibt es Grund <strong>für</strong> Optimismus?<br />
Lindner: Eher nicht. Die Parteien vermeiden<br />
konkrete Aussagen. Es gibt keine<br />
Kontinuität und keinen Konsens in<br />
der Bildungspolitik. Sie wird ausschließlich<br />
als Parteienpolitik verhandelt. Wie<br />
der Bildungshaushalt nach dem 4. September<br />
aussieht, steht daher in den Sternen.<br />
Eines allerdings ist bereits jetzt<br />
klar: Die Kolleginnen und Kollegen<br />
müssen immer neue Aufgaben bewältigen.<br />
Jeder Legislaturperiode folgt seit 20<br />
Jahren ein neuer Bildungsminister, und<br />
der jagt dann wieder eine neue Sau<br />
durchs Dorf.*<br />
Interview: Tina Fritsche, freie Journalistin<br />
Foto: imago<br />
* www.gew-mv.de<br />
„Richtiger Schritt:<br />
Grün-Rot erhöht Steuern“<br />
Doro Moritz, Vorsitzende <strong>GEW</strong> Baden-Württemberg<br />
E &W: Stehen den baden-württembergischen<br />
Bildungseinrichtungen nach dem Regierungswechsel<br />
zu Grün-Rot goldene Zeiten<br />
bevor?<br />
Doro Moritz: DieErwartungeninder<br />
Bevölkerung, insbesondere aber bei den<br />
Eltern sowie den Pädagoginnen und<br />
Pädagogen, sind hoch. Grüne und SPD<br />
haben versprochen, <strong>mehr</strong> in die Bildung<br />
zu investieren und in vielen Bereichen<br />
einen Kurswechsel vorzunehmen. Ende<br />
Juni will die neue Landesregierung einen<br />
Kassensturz vorlegen (nach Redaktionsschluss<br />
dieser Ausgabe). Anfang Juni<br />
hat die Landesregierung zugesagt, 711<br />
von CDU/FDP gesperrte Lehrerstellen<br />
freizugeben. Das war ein erstes gutes Signal.<br />
E &W: Der erste grüne Ministerpräsident<br />
Winfried Kretschmann ist <strong>GEW</strong>-Mitglied.<br />
Leichtes Spiel also <strong>für</strong> die Wünsche der<br />
<strong>GEW</strong>?<br />
Moritz: Wir gratulieren Winfried Kretschmann<br />
zu seinem Amt. Wir wissen aber<br />
auch, dass er als Finanzexperte angesichts<br />
der vielen notwendigen Investitionen<br />
Schwerpunkte setzen muss. Dass<br />
Grün-Rot die Grunderwerbsteuer erhöhen<br />
und damit die Umsetzung des<br />
Orientierungsplans in den Kitas finanzieren<br />
will, ist ein erster richtiger Schritt.<br />
Auch im vergleichsweise wohlhabenden<br />
Ländle ist die Schuldenbremse ein<br />
Bremsklotz. Deshalb ist es richtig, die<br />
Steuereinnahmen zu steigern und dieses<br />
<strong>Geld</strong> in Bildung zu investieren.<br />
E &W: Wo<strong>für</strong> sollte zuerst <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> ausgegeben<br />
werden?<br />
Moritz: Die Abschaffung der Studiengebühren<br />
ab 2012 ist zugesagt. Das muss<br />
gegenfinanziert werden. Richtig ist<br />
auch, <strong>mehr</strong> in die Bildung der Jüngsten<br />
im Land zu investieren. Die <strong>GEW</strong><br />
macht sich da<strong>für</strong> stark, dass eine bessere<br />
Qualität in den Kitas Vorrang vor geringeren<br />
Elterngebühren haben soll. Weitere<br />
wichtige Themen: die seriöse Umsetzung<br />
der Inklusion und der Ausbau echter<br />
rhythmisierter Ganztagsschulen.<br />
E &W: Grün-Rot kann jetzt bis 2016 regieren.<br />
Sieht die Bildungslandschaft danach anders<br />
aus?<br />
Moritz: Wir hoffen, dass sich etwas verändert.<br />
Wir wissen aber auch, dass fünf<br />
Jahre zum Beispiel <strong>für</strong> eine Veränderung<br />
der Schulstruktur eine kurze Zeit ist.<br />
Solche Veränderungen gelingen dann,<br />
wenn Schülerinnen und Schüler, Eltern,<br />
Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulträger<br />
mit auf den Weg genommen werden.<br />
Wir haben der neuen Landesregierung<br />
signalisiert, dass wir keine Schnellschüsse<br />
und keine Verteilung der <strong>Geld</strong>er mit<br />
der Gießkanne wollen. Wir wollen, dass<br />
Grün-Rot ein stabiles Fundament <strong>für</strong> eine<br />
andere Bildungspolitik und damit<br />
langfristig <strong>mehr</strong> <strong>Chancengleichheit</strong><br />
schafft.<br />
E &W: Das klingt nach großer Übereinstimmung<br />
mit der neuen Regierung?<br />
Moritz: Das hängt davon ab, ob und<br />
wie die vielen Versprechen realisiert werden.<br />
Der Abbau von Lehrerstellen ist<br />
trotz zurückgehender Schülerzahlen<br />
nicht möglich, wenn die bildungspolitischen<br />
Ziele erreicht werden sollen.<br />
Wenn Grün-Rot vorhat, auf Kosten der<br />
Kinder und Jugendlichen zu sparen,<br />
wird die Regierung Kretschmann wie<br />
zuvor auch Schwarz-Gelb merken, dass<br />
die <strong>GEW</strong> mit ihren Bündnispartnern<br />
viele Menschen mobilisieren kann.*<br />
Interview: Matthias Schneider,<br />
Geschäftsführer und Pressesprecher<br />
<strong>GEW</strong> Baden-Württemberg<br />
Foto: <strong>GEW</strong> Baden-Württemberg<br />
Foto: dpa<br />
Doro Moritz<br />
* www.gew-bw.de
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
* Jaich, Roman: Gesellschaftliche<br />
Kosten eines<br />
zukunftfsfähigen Bildungssystems.<br />
Studie<br />
im Auftrag der Hans-<br />
Böckler-Stiftung. Düsseldorf<br />
2008.<br />
** Klinger, Ansgar /<br />
Brauer, Dietrich:<br />
Bildungsfinanzplan<br />
NRW – Mit guter<br />
Bildung aus der Krise.<br />
In: Neue Deutsche<br />
Schule 12/2009.<br />
*** Klinger, Ansgar/<br />
Clermont, Karin: Landeshaushalt<br />
NRW 2011 –<br />
Bildungsinvestitionen<br />
<strong>für</strong> die künftigen<br />
Generationen. In: Neue<br />
Deutsche Schule<br />
5/2011.<br />
**** Prognos AG: Soziale<br />
Prävention – Bilanzierung<br />
der sozialen<br />
Folgekosten in Nordrhein-Westfalen.<br />
Gutachten<br />
im Auftrag der<br />
Staatskanzlei des Landes<br />
NRW. Basel 2011.<br />
***** Ministerium <strong>für</strong><br />
Schule und Weiterbildung<br />
des Landes NRW<br />
(MSW): Schülerprognose<br />
und Schulabgängerprognose<br />
bis zum<br />
Schuljahr 2029/30. Düsseldorf<br />
2010.<br />
„Demografiegewinne <strong>für</strong> <strong>mehr</strong><br />
<strong>Chancengleichheit</strong> nutzen“<br />
<strong>GEW</strong> legt Bildungsfinanzplan <strong>für</strong> NRW vor<br />
Bildungsökonom Roman Jaich und<br />
Bildungsforscher Klaus Klemm haben<br />
2008 bzw. 2009 ermittelt, wie viel<br />
ein zukunftsfähiges Bildungswesen in<br />
Deutschland kostet (Jaich*) und welche<br />
Maßnahmen im Bildungswesen<br />
vorrangig realisiert werden könnten,<br />
sofern das Verhältnis von öffentlicher<br />
zu privater Finanzierung gleich bleibt<br />
(Klemm, s. S. 9). Die <strong>GEW</strong> Nordrhein-Westfalen<br />
(NRW) hat 2009 ergänzend<br />
eigene Berechnungen „Mit<br />
guter Bildung aus der Krise“<br />
(Klinger / Brauer**) angestellt.<br />
Der Bildungsplan der <strong>GEW</strong><br />
schlüsselt den konkreten<br />
zusätzlichen Finanzbedarf<br />
<strong>für</strong> NRW über alle Stufen<br />
des Bildungswesens auf<br />
und zeigt, welche Finanzierungsanteile<br />
auf das Land NRW, auf<br />
die Kommunen und die übrigen Finanziers<br />
entfallen.<br />
Nachdem die Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) im Mai 2010 empfohlen hatte,<br />
die Bildungsausgaben in Deutschland<br />
bis 2015 um 13 Milliarden Euro zu erhöhen<br />
– die Länder und der Bund sollen<br />
jeweils 40 und Private 20 Prozent aufbringen<br />
–, hat der damalige Vorsitzende<br />
der <strong>GEW</strong> NRW, Andreas Meyer-Lauber,<br />
Zahlen und Fakten zur Bildungsfinanzierung<br />
unter dem Leitmotto „Jetzt in<br />
Bildung investieren: Qualität und<br />
<strong>Chancengleichheit</strong> bis 2015 deutlich erhöhen“<br />
vorgestellt (siehe Tabelle S. 17).<br />
In diesem Zusammenhang machte<br />
Meyer-Lauber auch deutlich, dass<br />
NRW die Beschlüsse des Dresdner Bildungsgipfels<br />
von 2008 durchaus einhalten<br />
könne, sofern das Land – bei gleichbleibendem<br />
Anteil der Bildungsausgaben<br />
– seinen Bildungsetat bis 2015 jährlich<br />
um gut vier Prozent steigert.<br />
Schritt in richtige Richtung<br />
Die neue rot-grüne Landesregierung hat<br />
in der zweiten Februar-Hälfte dieses Jahres<br />
ihren Haushaltsentwurf 2011 in den<br />
Landtag eingebracht, der gut 1,1 Milliar-<br />
16 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
den Euro zusätzliche Investitionen<br />
in Bildung und Familie vorsieht<br />
und damit einen Schritt in<br />
die richtige Richtung einleitet<br />
(Klinger/Clermont***). Denn auch<br />
die von der SPD in Auftrag gegebene<br />
Prognos-Studie „Soziale<br />
Prävention...“**** hat nachgewiesen,<br />
dass unzureichende Bildungschancen<br />
und -abschlüsse zu handfesten<br />
Wohlfahrtsverlusten in der<br />
Gesellschaft führen. So zeigte das<br />
Prognos-Gutachten auf, dass NRW<br />
jährlich nicht nur bis zu 15 Milliarden<br />
Euro (!) allein aufgrund fehlender<br />
Berufsabschlüsse in der Bevölkerung<br />
verloren gehen, weil<br />
dem Staat die mit höheren Einkommen<br />
verbundenen Steuereinnahmen<br />
fehlen. Es entstünden zudem,<br />
so die Studie, weitere 15,7<br />
Milliarden Euro soziale Folgekosten<br />
(Hartz-IV-Bezüge etc.), wenn<br />
Schulkarrieren ohne Ausbildung<br />
enden. Dieses Ergebnis macht<br />
deutlich, dass Bildungsausgaben<br />
Investitionen sind. Auch das von<br />
der neuen Landesregierung angestrebte<br />
Ziel, die Familienzentren<br />
zu stärken, ist <strong>für</strong> die <strong>GEW</strong> ein<br />
wichtiger Baustein, damit zusätzliche<br />
Ressourcen in Bildung und Erziehung<br />
fließen. Sowohl die frühere<br />
CDU/FDP- als auch die jetzige<br />
rot-grüne Regierungskoalition haben<br />
außerdem erklärt, dass sie<br />
durch den erwarteten Schülerrückgang<br />
in NRW freiwerdende Lehrerstellen<br />
in den Schulen belassen<br />
wollen (sozusagen als demografische<br />
Rendite)*****.<br />
Kita<br />
Ausbau der Plätze <strong>für</strong> 0 – 3-Jährige auf 35 Prozent eines Jahrgangs<br />
Verbesserte Personalschlüssel<br />
Schulen<br />
Ausbau des Ganztags auf 35 Prozent eines Jahrgangs<br />
Ausbau der Lehrerfortbildung<br />
Stufenplan kleine Klassen<br />
Zusätzliches Personal <strong>für</strong> neue Aufgaben<br />
Hochschulen<br />
Abschaffung der Studiengebühren<br />
Verbesserung BAföG<br />
Verbesserte Personalschlüssel<br />
Ausbau der Zahl der Studienplätze<br />
Weiterbildung<br />
Verdopplung der öffentlichen Ausgaben<br />
Ausbau entsprechend der demografischen Veränderungen<br />
Kommunale Investitionen<br />
in Gebäude<br />
moderne Ausstattungen<br />
Summe<br />
davon öffentlich (Land, Kommunen, Bund) finanziert 75 Prozent<br />
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
So ergeben sich bereits im Schuljahr<br />
2011/12 rechnerisch weit <strong>mehr</strong><br />
als 1000 weitere Lehrerstellen gegenüber<br />
2009/10. Ihr pädagogischer<br />
Einsatz könnte endlich die<br />
dringend notwendigen Verbesserungen<br />
im nordrhein-westfälischen<br />
Schulwesen – und das sogar<br />
kostenneutral – ermöglichen.<br />
Auch der von der <strong>GEW</strong> eingebrachte<br />
Stufenplan „Kleinere<br />
Klassen“ – in der Sekundarstufe<br />
keine Klasse mit <strong>mehr</strong> als 25<br />
Schülern und keine Grundschulklasse<br />
mit <strong>mehr</strong> als 20 Schülern –<br />
sieht vor, dass in nennenswertem<br />
Umfang Pädagogenstellen als demografische<br />
Rendite in den Schulen<br />
verbleiben, um <strong>mehr</strong> Kinder<br />
und Jugendliche besser fördern zu<br />
können (weitere Infos unter:<br />
www.gew-nrw.de/index.php?id=<br />
2112).<br />
Doch solche Finanzierungskonzepte<br />
stoßen bei der Opposition<br />
nicht auf Gegenliebe. Sie hat stattdessen<br />
zum Mitte Mai verabschiedeten<br />
Landeshaushalt 2011 Sparvorschläge<br />
auf den Tisch gelegt<br />
und droht, erneut gegen den Regierungshaushalt<br />
zu klagen. Als<br />
Schwarz-Gelb an der Regierung<br />
war, hat sich die Koalition zu den<br />
Zielen des Dresdner Bildungsgipfels<br />
bekannt. Doch davon will<br />
die CDU/FDP-Opposition nun<br />
nichts <strong>mehr</strong> wissen.<br />
Ansgar Klinger, Leiter Referat<br />
Schulrecht, Bildungsfinanzierung und<br />
-statistik in der <strong>GEW</strong> NRW<br />
Die wichtigsten Vorschläge der <strong>GEW</strong> NRW und ihr mittelfristiger jährlicher<br />
Finanzierungs<strong>mehr</strong>bedarf<br />
616 Mio Euro<br />
465 Mio Euro<br />
836 Mio Euro<br />
35 Mio Euro<br />
aus Demografiegewinnen finanzierbar<br />
358 Mio Euro<br />
230 Mio Euro<br />
110 Mio Euro<br />
388 Mio Euro<br />
850 Mio Euro<br />
100 Mio Euro<br />
528 Mio Euro<br />
3.000 Mio Euro<br />
553 Mio Euro<br />
8 069 Mio Euro jährlich<br />
6 051 Mio Euro jährlich<br />
Die Deutsche Schule Bukarest sucht ab dem<br />
Schuljahr 2011/2012 Lehrerinnen und Lehrer!<br />
Die Deutsche Schule Bukarest wurde vor 3 Jahren gegründet und<br />
besteht aus einer Grundschule / Gymnasium (1.-5. Klasse) und einem<br />
Kindergarten. Wir wachsen und entfalten uns stetig, ab dem nächsten<br />
Schuljahr wird es eine 6. Klasse geben.<br />
Wir verstehen uns als Begegnungsschule und legen Wert auf die<br />
individuelle Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden Kindes in einem<br />
interkulturellen Dialog.<br />
* Sie verfügen über Fachkompetenz, Leidenschaft <strong>für</strong> ihren Beruf und<br />
haben Lust an dem Aufbau einer Schule mitzuwirken?<br />
* Sie sind teamfähig und selbstständig?<br />
* Sie sind neugierig auf interkulturelle Lernerfahrung?<br />
* Sie sind Muttersprachler/in Deutsch und haben gute Englischkenntnisse?<br />
Wir suchen eine(n) Grundschullehrer/in und eine gymnasiale Lehr<br />
mit den Fächern Mathematik, Englisch und Naturwissenschaften. Sie<br />
sollten bereit sein, sich mit überdurchschnittlicher Bereitschaft in die<br />
Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern einzubringen und am Aufbau<br />
der Schule mitzuwirken!<br />
Wir bieten eine <strong>für</strong> rumänische Verhältnisse überdurchschnittliche<br />
Bezahlung und Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft.<br />
Nehmen Sie Kontakt mit uns auf: Frau Tünde Imbeck<br />
Tel. + Fax Rumänien: 0040 (0)21 210 60 70, e-mail: info@dsbu.eu<br />
Verein zur Gründung und Förderung der Deutschen Schule Bukarest<br />
Bucuresti, Str. Ancuta Baneasa, nr 8, Sector 2<br />
www.dsbu.eu<br />
Habichtswald-Klinik · Wigandstr. 1 · 34131 Kassel · www.habichtswaldklinik.de · info@habichtswaldklinik.de<br />
In Mitten Deutschlands am Fuße des<br />
größten Bergparks Europas mit Herkules<br />
und Schloss Wilhelmshöhe<br />
sowie in direkter Nachbarschaft zu<br />
einer der schönsten Thermen liegt die<br />
In ihrem Selbstverständnis als<br />
Klinik <strong>für</strong> Ganzheitsmedizin<br />
arbeitet die Habichtswald-Klinik<br />
auf der Ebene einer integrativen<br />
Betrachtung von Körper, Seele<br />
und Geist in einer Synthese aus<br />
Schulmedizin, Naturheilverfahren<br />
und komplementärer Therapien.<br />
Die Klinik hat einen Versorgungsvertrag<br />
nach § 111 und ist nach<br />
§ 30 GWO als beihilfefähig anerkannt.<br />
Bei den Gesetzlichen<br />
Krankenkassen ist die Habichtswald-Klinik<br />
als Rehabilitationsklinik<br />
anerkannt, bei den privaten<br />
Krankenversicherungen als „Gemischte<br />
Einrichtung“ die auch<br />
Akutbehandlungen gemäß OPS<br />
301 durchführt. Die Beihilfestellen<br />
rechnen mit der Klinik den<br />
allgemeinen niedrigsten mit den<br />
Sozialversicherungsträgern vereinbarten<br />
pauschalen Pflegesatz<br />
ab.<br />
Kostenloses Service-Telefon:<br />
0800 / 8 90 11 00<br />
Telefon Aufnahmebüro:<br />
0561 / 3108 - 186, - 622<br />
Habichtswald-<br />
Klinik<br />
Fachklinik <strong>für</strong> Psychosomatik,<br />
Onkologie und Innere Medizin<br />
Kassel - Bad Wilhelmshöhe<br />
Psychosomatik<br />
Burnout<br />
Tinnitus<br />
Onkologie<br />
Innere Medizin<br />
Ayurveda-<br />
Medizin<br />
Quelle: einschließlich der Statements von Prof. Heinz Bontrup und Prof. Franz Lehner zur Landespressekonferenz vom 7. Juni 2010 unter www.gew.nrw.de/index.<br />
php?id=2112<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 17
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
„Bildung lohnt sich“<br />
Interview mit Jutta Allmendinger und Johannes Giesecke<br />
Foto: dpa<br />
Foto: David Außerhofer<br />
Prof. Jutta<br />
Allmendinger,<br />
Direktorin des<br />
Wissenschaftszentrums<br />
Berlin<br />
(WZB)<br />
Prof. Johannes<br />
Giesecke lehrt<br />
Soziologie an der<br />
Uni Bamberg.<br />
* Unzureichende Bildung:<br />
Folgekosten <strong>für</strong><br />
die öffentlichen Haushalte.<br />
Jutta Allmendinger,<br />
Johannes Giesecke und<br />
Dirk Oberschachtsiek. Eine<br />
Studie des Wissenschaftszentrums<br />
Berlin<br />
<strong>für</strong> Sozialforschung,<br />
Gütersloh 2011, im Auftrag<br />
der Bertelsmann<br />
Stiftung.<br />
E &W: Frau Allmendinger, in Ihrer aktuellen<br />
Studie „Die Folgekosten unzureichender<br />
Bildung“* plädieren Sie <strong>für</strong> <strong>mehr</strong> Investitionen<br />
in Bildung und sehen darin eine präventive<br />
Sozialpolitik. Warum?<br />
Jutta Allmendinger: Bildung hilft, individuelle<br />
Arbeitsmarkt- und Gesundheitsrisiken<br />
zu verringern. Aus der Bildungsforschung<br />
ist bekannt, dass Menschen<br />
mit geringer Qualifikation überdurchschnittlich<br />
häufig arbeitslos sind<br />
und massive Probleme haben, stabile<br />
und gut entlohnte Beschäftigung zu finden.<br />
Die sozialpolitischen Gesamtkosten<br />
unzureichender Bildung, wie die<br />
Ausgaben <strong>für</strong> das Arbeitslosengeld<br />
(ALG) I und II, summieren sich schnell<br />
zu hohen Milliardenbeträgen. Ein<br />
großer Teil des <strong>Geld</strong>es wird gebraucht,<br />
um Missstände zu verwalten. Vernünftiger<br />
wäre es, diese Mittel <strong>für</strong> bessere Bildung<br />
einzusetzen – z.B. <strong>für</strong> die 150000<br />
jungen Menschen, die Jahr <strong>für</strong> Jahr ohne<br />
Abschluss ins Berufsleben starten.<br />
Daher ist Bildungspolitik präventive Sozialpolitik.<br />
E &W: Herr Giesecke, Sie und Frau Allmendinger<br />
rechnen vor, dass schlecht qualifizierte<br />
junge Menschen den Staat 1,5 Milliarden<br />
Euro kosten – wie setzen sich diese zusammen?<br />
Johannes Giesecke: Wir haben die<br />
Kosten betrachtet, die aufgrund von Arbeitslosigkeit<br />
entstehen, also vor allem<br />
Zahlungen im Bereich von ALG I und<br />
II. Die zentrale Frage hierbei ist: Wie<br />
viel <strong>Geld</strong> könnte gespart werden, wenn<br />
es gelänge, einen Teil junger Erwachsener<br />
mit geringen Kenntnissen und<br />
Kompetenzen zu einem Abschluss zu<br />
führen? Darüber hinaus haben wir die<br />
entgangenen Einnahmen aus Steuern<br />
und Arbeitslosenversicherung berechnet.<br />
Wer eine Ausbildung erfolgreich<br />
beendet, verdient <strong>mehr</strong>, zahlt höhere<br />
Steuern und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.<br />
Bund, Länder und Kommunen<br />
würden daher durch <strong>mehr</strong> Bildungsinvestitionen<br />
künftig ihre Ausgaben<br />
vermindern und von höheren Einnahmen<br />
profitieren. Wird nichts getan,<br />
summieren sich die Ausgaben und<br />
Mindereinnahmen pro Geburtsjahrgang<br />
über einen Zeitraum von 35 Jahren<br />
auf 1,5 Milliarden Euro.<br />
E &W: Dieses <strong>Geld</strong> wollen Sie stattdessen<br />
<strong>für</strong> bessere Bildung ausgeben. Doch heute<br />
sind Länder und Kommunen auf Sparkurs<br />
und denken eher daran, ihre Haushalte zu<br />
sanieren.<br />
Allmendinger: Wenn wir heute nicht<br />
handeln, werden die gesellschaftlichen<br />
Folgekosten mit jeder nachwachsenden<br />
Generation an Geringqualifizierten dramatisch<br />
steigen. Dabei machen die von<br />
uns betrachteten Kosten nur einen Teil<br />
der Gesamtkosten schlechter Bildung<br />
aus. Höhere Kosten im Gesundheitssystem<br />
oder entgangene wirtschaftliche<br />
Dynamik etwa sind noch gar nicht eingerechnet.<br />
Es geht also um Bildungsinvestitionen,<br />
deren Erträge sich über einen<br />
Zeitraum von <strong>mehr</strong>eren Jahrzehnten<br />
erstrecken.<br />
E &W: Sinkt die Arbeitslosigkeit tatsächlich,<br />
je qualifizierter die Menschen sind?<br />
Wenn die Jobs auf dem Arbeitsmarkt rar werden,<br />
haben es doch auch gut Qualifizierte<br />
schwer, prekäre Arbeitsverhältnisse zu vermeiden?<br />
Giesecke: Das klingt logisch, ist aber<br />
nicht die Realität. Im Gegenteil: Empirisch<br />
zeigt sich eindeutig, dass mittel<br />
und insbesondere hoch Qualifizierte<br />
weitgehend stabile und nach wie vor<br />
überdurchschnittlich gute Erwerbschancen<br />
haben. Schlecht Qualifizierte<br />
zählen dagegen zu den Verlierern am Arbeitsmarkt.<br />
<strong>Mehr</strong> denn je gilt: Bildung<br />
lohnt sich.<br />
E &W: Für jeden jungen Menschen, heißt es<br />
in Ihrer Untersuchung, könnte der Staat im<br />
Schnitt 22 000 Euro zusätzlich investieren,<br />
ohne dass den öffentlichen Haushalten <strong>mehr</strong><br />
Kosten entstünden. Bitte, erklären Sie mir<br />
das!<br />
Giesecke: Der Betrag ergibt sich aus der<br />
Berechnung der Folgekosten unzureichend<br />
gebildeter junger Erwachsener im<br />
Alter von 18 Jahren – aktuell etwa<br />
150000. Wir gehen davon aus, dass wir<br />
deren Zahl um die Hälfte reduzieren<br />
können, also auf knapp 75000. Für diese<br />
Gruppe ermitteln wir Folgekosten<br />
von etwas <strong>mehr</strong> als 1,5 Milliarden Euro.<br />
Pro Kopf ergeben sich zirka 22000 Euro.<br />
Im Umkehrschluss: Die Summe<br />
könnte in jeden jungen Erwachsenen<br />
ohne Abschluss investiert werden, damit<br />
er die fehlende Qualifikation nachholen<br />
kann.<br />
E &W: Länder und Kommunen klagen über<br />
leere Kassen, wie überzeugen Sie die?<br />
Allmendinger: Unsere Berechnungen<br />
zeigen doch gerade, dass wir auf mittlere<br />
Sicht nicht unbedingt <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong><br />
benötigen. Wir müssen die Ausgaben<br />
aber umschichten. Für die frühen Lebensjahre<br />
müssen wir <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> ausgeben,<br />
in späteren entsprechend weniger.<br />
Da wir das nicht von heute auf morgen<br />
schaffen, sind Bundeszuschüsse im Bereich<br />
der Bildung in der Tat nötig. Daher<br />
brauchen wir eine Änderung des<br />
Grundgesetzes und eine enge Kooperation<br />
zwischen Bund, Land und Kommunen.<br />
E &W: Das Problem: Die Bildungsverlierer<br />
sind in den Ländern unterschiedlich verteilt.<br />
Ihr Anteil reicht von sieben Prozent in Sachsen<br />
bis zu <strong>mehr</strong> als 20 Prozent im Saarland<br />
und in Bremen. Wie sollen Bund und Länder<br />
<strong>für</strong> einen Ausgleich sorgen?<br />
Allmendinger: Genau das zeigt, dass<br />
der Bund finanziell einspringen muss.<br />
Die Sozialstruktur in Bremen ist eine<br />
ganz andere als in Sachsen. In der Hansestadt<br />
sind <strong>mehr</strong> Hilfestellungen und<br />
unterstützende Angebote <strong>für</strong> Lehrkräfte,<br />
Kinder und Eltern nötig. Viele Länder<br />
können solche Ausgaben nicht alleine<br />
stemmen und brauchen daher <strong>mehr</strong><br />
als den Länderfinanzausgleich.<br />
E &W: In der Ökonomie gilt Bildung als Investition,<br />
die Renditen bringt. Geht es nur<br />
darum, was der einzelne materiell gewinnt,<br />
der Steuerzahler einspart?<br />
Allmendinger: Grundsätzlich ist an der<br />
Sichtweise, dass Bildung etwas einbringt,<br />
nichts verkehrt. Im Bereich monetärer<br />
Erträge, etwa dem Erwerbseinkommen,<br />
können Renditen berechnet<br />
werden und helfen, politische Entscheidungsträger<br />
zu überzeugen. So setzen<br />
sich beispielsweise die Erkenntnisse des<br />
Nobelpreisträgers James Heckman (s.S. 9)<br />
immer stärker durch. Heckman hat ausgerechnet,<br />
dass Investitionen in Bildung<br />
umso ertragreicher sind, je jünger die<br />
Kinder sind, denen sie zugute kommen.<br />
Bildung hat aber auch nicht-monetäre<br />
Erträge. Die sind kaum zu quantifizieren,<br />
<strong>für</strong> mich aber besonders wichtig:<br />
soziale und kulturelle Teilhabe und persönliche<br />
Entfaltungsmöglichkeiten.<br />
Interview: Helga Haas-Rietschel,<br />
Redakteurin der<br />
„Erziehung und Wissenschaft“<br />
18 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
Sozialer Ausgleich wird schwieriger<br />
Schuldenbremse reißt Löcher in Bildungsetat – zum Nachteil bildungsferner Schichten<br />
Zentrales Ziel der 2009 beschlossenen<br />
Schuldenbremse ist der Abbau der<br />
Neuverschuldung des Bundes und der<br />
Länder. Die <strong>GEW</strong>, die die Einführung<br />
der Schuldenbremse kritisiert,<br />
be<strong>für</strong>chtet, dass damit dringend nötige<br />
höhere Bildungsausgaben blockiert<br />
werden. <strong>Mehr</strong> <strong>Chancengleichheit</strong> im<br />
Bildungssystem rückt so in noch weitere<br />
Ferne.<br />
<strong>Chancengleichheit</strong> kann in<br />
Westdeutschland als ein zentrales<br />
Anliegen der Politik<br />
der Regierung unter dem sozialdemokratischen<br />
Kanzler<br />
Willy Brandt gelten. Dabei<br />
spielte der „Aufstieg durch Bildung“ eine<br />
zentrale Rolle – dies spiegelt sich etwa<br />
in der Abschaffung der Hörergelder<br />
an den Universitäten und der Einführung<br />
des BAföG wider. Um den Ausbau<br />
des Bildungssystems finanzieren<br />
und koordinieren zu können, mussten<br />
zentrale Regelungen geändert werden:<br />
Zum einen wurden die Gemeinschaftsaufgaben<br />
im Grundgesetz verankert,<br />
zum anderen das Staatsschuldenrecht<br />
den neuen Anforderungen angepasst.<br />
Mit der großen Finanzreform von 1969<br />
wurden Kredite neben den Steuereinnahmen<br />
zu einem regulären Finanzinstrument<br />
des Staates gemacht. Der Umfang<br />
der Kreditaufnahme war dabei an<br />
die Investitionen gekoppelt, d. h. die<br />
Kreditaufnahme durfte in der Regel<br />
nicht höher liegen als die Ausgaben <strong>für</strong><br />
Investitionen („Goldene Regel“). Da bei<br />
einer Investition Sachwerte entstehen,<br />
ist diese Regelung sinnvoll: Den neuen<br />
Schulden steht immer neues öffentliches<br />
Vermögen etwa in Form von Schulgebäuden<br />
entgegen. Die Änderung der<br />
Finanzverfassung war daher eine zentrale<br />
Grundlage <strong>für</strong> die Verbesserung öffentlicher<br />
Infrastruktur in den 1970er-<br />
Jahren und Voraussetzung <strong>für</strong> den Ausbau<br />
der Bildungseinrichtungen.<br />
Wettbewerb setzt sich durch<br />
Der kooperative Föderalismus war insbesondere<br />
in den 1970er-Jahren durchaus<br />
erfolgreich – aber er passte danach<br />
nicht <strong>mehr</strong> in die neoliberal gefärbte politische<br />
Landschaft, in der Wettbewerb<br />
als produktivitätssteigerndes Moment<br />
durchgesetzt werden sollte. Die Folge<br />
war die Revision der großen Finanzreform<br />
durch die Föderalismusreformen I<br />
2006 (keine Gemeinschaftsaufgaben<br />
<strong>mehr</strong> im Bildungsbereich) und II 2009<br />
(„Goldene Regel“ gilt nicht <strong>mehr</strong>, Schuldenbremse<br />
wird eingeführt). Dies stellt<br />
einen Bruch mit den finanzverfassungsrechtlichen<br />
Prinzipien dar, die den Ausbau<br />
des Wohlfahrtsstaats und erhebliche<br />
Investitionen in Infrastruktur und<br />
öffentliche Bildung ermöglicht haben.<br />
Die seit 2009 im Grundgesetz verankerte<br />
Schuldenbremse teilt die Staatsverschuldung<br />
in zwei Komponenten: eine<br />
(erlaubte) konjunkturelle und eine (verbotene)<br />
strukturelle Neuverschuldung.<br />
Die konjunkturelle Komponente soll<br />
dazu führen, dass im Abschwung eine<br />
Verschuldung möglich ist, die es im Aufschwung<br />
abzubauen gilt. Alle über diese<br />
Komponente hinausgehenden Schulden<br />
sind <strong>für</strong> die Bundesländer ab 2020<br />
verboten. Der Bund darf ab 2016 nur<br />
noch 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />
(BIP) an zusätzlichen Krediten<br />
aufnehmen (strukturelle Neuverschuldung).<br />
Bis heute ist allerdings<br />
nicht geklärt, wie die konjunkturelle<br />
Komponente der Neuverschuldung zu<br />
ermitteln ist, eine allgemein akzeptierte<br />
Methode gibt es nicht. Zu be<strong>für</strong>chten ist<br />
zudem eine prozyklische* Wirkung der<br />
Schuldenbremse.<br />
Die Länder können<br />
nur über einen Teil ihrer<br />
Finanzen selbst<br />
verfügen. Einerseits<br />
sind die maßgeblichen<br />
Einnahmequellen<br />
durch die Steuergesetzgebung<br />
des Bundes<br />
festgelegt, andererseits<br />
müssen die<br />
Länder gesetzlichen<br />
Zahlungsverpflichtungen<br />
nachkommen.<br />
Die Maßnahmen zur<br />
Konsolidierung können<br />
auf Länderebene<br />
demnach kaum auf<br />
der Einnahmeseite erfolgen.<br />
Auf der Ausgabenseite<br />
kann nur<br />
gekürzt werden, wenn<br />
es keine gesetzlichen<br />
Verpflichtungen gibt.<br />
Es wundert daher<br />
nicht, dass zahlreiche<br />
Sparmaßnahmen, die<br />
bereits beschlossen worden sind, in den<br />
Bereichen Bildung und Soziales und<br />
nicht zuletzt bei den öffentlich Beschäftigten<br />
– und das sind auf Landesebene<br />
auch zahlreiche Fachkräfte in den Bildungseinrichtungen<br />
– greifen sollen.<br />
Die Konsequenzen werden sich nach<br />
dem Inkrafttreten der Schuldenbremse<br />
jedoch verschärfen. Ein Beispiel: Sollte<br />
ein Land nach 2020 eine Hochschule<br />
bauen wollen, darf es keine Schulden<br />
aufnehmen, sondern muss das Vorhaben<br />
aus laufenden Einnahmen finanzieren.<br />
Bei großen Infrastrukturprojekten<br />
ist dies schlicht unmöglich – kein Staat<br />
kann und sollte große Rücklagen bilden<br />
–, so dass solche Bauvorhaben entweder<br />
nicht angegangen werden können<br />
oder durch Dritte ermöglicht und die<br />
Gebäude dann im Nachhinein gemietet<br />
werden müssen. Fehlende öffentliche<br />
Investitionen in die Infrastruktur sind<br />
aber vor allem <strong>für</strong> jene ein Problem, die<br />
es sich nicht leisten können, den Ausfall<br />
öffentlicher Leistungen privat „dazu“zukaufen.<br />
Daher wird die Schuldenbremse<br />
den Zielen der 1970er-Jahre entgegenwirken;<br />
der soziale Ausgleich wird<br />
schwieriger.<br />
Klemens Himpele, Referent im<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereich Hochschule<br />
und Forschung<br />
*Eine prozyklische<br />
Wirtschaftspolitik<br />
gleicht Konjunkturausschläge<br />
nicht aus, sondern<br />
verstärkt sie.<br />
Cartoon: Thomas Plaßmann<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 19
BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />
<strong>Mehr</strong> Qualität <strong>für</strong> Bildung<br />
<strong>GEW</strong>-Kommentar<br />
* s. auch <strong>GEW</strong>-Website<br />
unter: www.gew.de/<br />
Binaries/<br />
Binary65845/<br />
2010_10_<br />
26_<strong>GEW</strong>-<br />
Steuerkonzept.pdf<br />
Foto: Kay Herschelmann<br />
Ulrich Thöne<br />
Viel zu viele Menschen werden in dieser Gesellschaft ausgegrenzt – häufig eine Folge mangelnder Bildung<br />
oder schlechter Ausstattung der Bildungseinrichtungen. Beispielsweise leben in Deutschland 7,5<br />
Millionen funktionale Analphabeten im erwerbsfähigen Alter, sie können nicht ausreichend lesen und<br />
schreiben, um ihren Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Gleichzeitig hangeln sich nahezu 90 Prozent<br />
junger Nachwuchswissenschaftler jahrelang durch befristete Teilzeitjobs – immer am Rande zum Prekariat.<br />
Beschönigungen helfen nicht weiter. Die Qualität unseres Bildungssystems muss sich verbessern, damit<br />
wir Ausgrenzungen in Bildung und Arbeitsmarkt verringern und bessere berufliche Perspektiven<br />
<strong>für</strong> alle schaffen. Aber wir erreichen das nicht, indem sich Kinder und Jugendliche den Anforderungen<br />
der Schulen stärker anpassen müssen. Viel<strong>mehr</strong> müssen wir alle Bildungseinrichtungen so ausstatten,<br />
dass sie jeden Einzelnen bestmöglich fördern können. Ja, wir wollen gute Leistungen, gerade<br />
deshalb müssen wir aber bereit sein, jeden auf seinem Bildungsweg optimal zu unterstützen.<br />
Sicher, es muss sich vieles in unserem Bildungssystem ändern. Aber eines kann man nicht oft genug<br />
betonen: Den deutschen Bildungseinrichtungen mangelt es seit vielen Jahren erheblich an Personal.<br />
Zu große Kitagruppen, zu wenig Zeit, sich um die Lernenden individuell kümmern zu können. Zu<br />
große Klassen, zu hoher Arbeitsdruck und nicht ausreichende qualifizierte Unterstützung belasten Kitas,<br />
Schulen und Hochschulen gleichermaßen. In der Weiterbildung werden die Angebote zusammengestrichen,<br />
die Arbeitsbedingungen der Branche sind häufig katastrophal.<br />
Eine Zahl mag die Unterversorgung des Bildungsbereichs deutlich machen: Laut OECD-Erhebungen<br />
stehen im Schnitt <strong>für</strong> 1000 Schülerinnen und Schüler 86 qualifizierte Pädagoginnen und Pädagoginnen<br />
bereit. Deutschland bildet mit großem Abstand das Schlusslicht der OECD-Statistik, hier<br />
kommt die gleiche Schülerzahl gerade mal auf 63 Lehrkräfte, also rund ein Viertel weniger!<br />
Ungeachtet dümmlicher Kommentare wie dem von Peter Hahne in der Bild am Sonntag (BamS, 12. Juni<br />
2011: „Unterricht <strong>für</strong> Lehrer nur Unterbrechung ihrer Freizeit“), müssen wir als Profis <strong>für</strong>’s Lernen<br />
Alarm schlagen. Von uns kann die Gesellschaft zu Recht erwarten, dass wir nicht schweigen, wenn die<br />
Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht <strong>mehr</strong> zu ihrem Dresdner Versprechen<br />
stehen, die Bildungsausgaben zu erhöhen, und sich nun „in die Büsche“ schlagen wollen. 55 Milliarden<br />
wären es jährlich gewesen, wenn die beim Gipfeltreffen 2008 angekündigten sieben Prozent <strong>für</strong> Bildung<br />
wirklich angepeilt worden wären. Seitdem mühen sich viele Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft,<br />
diese Zahl aus ihrem und dem gesellschaftlichen Gedächtnis zu tilgen.<br />
Faktisch ist die Entscheidung der Länder, stattdessen noch <strong>mehr</strong> Personal abzubauen (Schuldenbremse)<br />
– ein Wahnsinn in einer Gesellschaft, in der es selbst die Spatzen von allen Dächern pfeifen, dass<br />
der Arbeitsmarkt zunehmend weniger Jobs <strong>für</strong> Geringqualifizierte anbietet. Hier wird spätestens seit<br />
Mitte der 1990er-Jahre Raubbau mit den Grundlagen dieser Gesellschaft getrieben. Der dramatische<br />
Anstieg der Analphabeten im erwerbsfähigen Alter ist nur ein trauriges Indiz da<strong>für</strong>. Gleichzeitig klagt<br />
Politik darüber, dass gut ausgebildete Fachkräfte fehlen. Und? Merkt keiner was?<br />
<strong>Geld</strong> ist genug vorhanden – allerdings in den falschen Taschen. Fakt ist: Das Ziel, erheblich <strong>mehr</strong> <strong>für</strong><br />
gute Bildung auszugeben, ist mach- und bezahlbar!<br />
Das hat die <strong>GEW</strong> veranlasst, eine Studie in Auftrag zu geben, die den größten Teil der Kosten der <strong>für</strong> den<br />
Bildungsbereich als notwendig erachteten Maßnahmen erfasst. In seiner Untersuchung hat der Wissenschaftler<br />
Henrik Piltz <strong>für</strong> den Bildungsbereich nachgewiesen, dass sich ein erheblicher <strong>Mehr</strong>bedarf von jährlich<br />
rund 60 Milliarden Euro ergibt.* Die hohe Summe mag erstaunen, aber sie ist – mit Blick auf die deutsche<br />
Wirtschaftsleistung – keine Utopie. Nicht vergessen werden darf dabei, dass Deutschland seit Jahrzehnten<br />
den Bildungsbereich drastisch unterfinanziert und so ein erheblicher Nachholbedarf entstanden ist.<br />
Wie sollen die <strong>GEW</strong>-Vorschläge umgesetzt werden? Die Antwort fällt leicht: Zum einen wächst mit<br />
höheren öffentlichen Ausgaben auch der Beschäftigungsstand. Man spricht in diesem Zusammenhang<br />
von so genannten Selbstfinanzierungseffekten durch steigende Steuereinnahmen und geringere Sozialtransfers<br />
(s. S. 18). Zum anderen hat die <strong>GEW</strong> im vergangenen Jahr ein Steuerkonzept* erarbeitet, das<br />
den öffentlichen Kassen durch eine sozial gerechtere Besteuerung jährlich zusätzlich 80 Milliarden Euro<br />
einbringen könnte. Damit wären die nötigen <strong>Mehr</strong>ausgaben in die Bildung zu finanzieren. Allerdings:<br />
Die Entscheidungen <strong>für</strong> einen Kurswechsel in Richtung einer solidarischen und nachhaltigen<br />
Steuerpolitik unterliegen keinen Sachzwängen, sondern neuen politischen Machtverhältnissen.<br />
Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />
* Würden die bildungspolitischen Forderungen der <strong>GEW</strong> in die Tat umgesetzt, müsste die öffentliche Hand jährlich zusätzlich rund 60 Milliarden Euro<br />
locker machen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die <strong>GEW</strong> in Auftrag gegeben und die Max-Traeger-Stiftung finanziert hat. Der Autor der Untersuchung<br />
„Bildungsfinanzierung <strong>für</strong> das 21. Jahrhundert“, Henrik Piltz, legt dar, wie hoch der zusätzliche Ausgabenbedarf im Bereich Erziehung und Bildung<br />
pro Bundesland ist. Die Studie wird in den Sommermonaten gedruckt und steht dann beim <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand und in den Landesverbänden<br />
zur Verfügung.<br />
20 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
Dialog<br />
2/2011<br />
Inhalt<br />
Titel<br />
<strong>GEW</strong>-Seniorentag:<br />
Auf dem Irrweg<br />
Seite 1– 2<br />
<strong>GEW</strong>-Kommentar<br />
Teure Gesundheitsversorgung<br />
trifft<br />
die Armen:Wer wird<br />
gesund älter?<br />
Seite 2 – 3<br />
Seniorenpolitik der<br />
Gewerkschaften:<br />
„Ihr gehört zu uns!“<br />
Seite 3<br />
Cartoon: Karl-Heinz Brecheis<br />
Bundesaltenbericht:<br />
Alter im kulturellen<br />
Wandel – Potenziale<br />
aktivieren<br />
Seite 4<br />
<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />
Auf dem Irrweg<br />
Im Gesundheitswesen werden<br />
Versicherte immer stärker zur<br />
Kasse gebeten. Gleichzeitig<br />
stagnieren oder sinken Renten<br />
und Pensionen. Der <strong>GEW</strong>-Seniorentag,<br />
der jüngst in Hannover<br />
tagte, forderte die Rückkehr zur<br />
Solidarität – nicht nur im Alter.<br />
Noch spüren es viele nicht im eigenen<br />
Portemonnaie, doch<br />
die Zusatzbeiträge zur gesetzlichen<br />
Krankenversicherung sind beschlossene<br />
Sache. Seit dem 1. Januar 2011 können<br />
Krankenkassen – unabhängig vom<br />
Einkommen – eine „Kopfpauschale“ pro<br />
Mitglied erheben, wenn sie „Finanzbedarf“<br />
haben. Bisher haben das viele Kassen<br />
vermieden, doch wenn die nächste<br />
Kostenwelle im Gesundheitswesen rollt,<br />
wird sich das rasch ändern.<br />
Zurzeit zahlen alle Versicherten einen<br />
Krankenkassenbeitrag von 8,2 Prozent des<br />
Bruttogehalts. Der Arbeitgeberanteil beträgt<br />
nur 7,3 Prozent und ist seit Januar<br />
2011 eingefroren. Die neuen einkommensunabhängigen<br />
Zusatzbeiträge kommen<br />
<strong>für</strong> die Mitglieder als Belastung<br />
obendrauf – ebenso die Praxisgebühr<br />
und weitere Zuzahlungen.<br />
DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie<br />
Buntenbach erklärte: „Experten haben<br />
berechnet, dass jeder Versicherte in neun<br />
Jahren durchschnittlich 50 Euro Zusatzbeitrag<br />
im Monat zahlen wird.“<br />
Erst wenn die Gesundheitskosten zwei<br />
Prozent des Bruttogehalts übersteigen,<br />
soll ein Sozialausgleich aus Steuermitteln<br />
greifen – nach intensiver Einkommensund<br />
Bedürftigkeitsprüfung. Prof. Simone<br />
Leiber hat <strong>für</strong> das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />
Forschungsinstitut<br />
in der Hans-Böckler-Stiftung* (WSI) die<br />
Konsequenzen dieser Politik untersucht.<br />
Sie warnte in Hannover vor hohen Bürokratiekosten<br />
und sozialen Schieflagen.<br />
Das WSI prognostiziert: Entwickeln sich<br />
die Zusatzbeiträge wie vorausberechnet,<br />
fällt in wenigen Jahren ein Drittel der Versicherten<br />
unter die Bedürftigkeitsprüfung.<br />
Sozialer Irrweg<br />
„Die Bundesregierung bürdet künftige<br />
steigende Kosten des Gesundheitssys-<br />
Dialog 2/11<br />
1
<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />
2<br />
*DasWirtschaftsund<br />
Sozialwissenschaftliche<br />
Institut<br />
(WSI) der Hans-<br />
Böckler-Stiftung<br />
forscht <strong>für</strong> eine<br />
faire Arbeitswelt<br />
(www.boeckler.de/<br />
8.html).<br />
Info Bürgerversicherung<br />
Das Reform-Bündnis<br />
„Für ein solidarisches<br />
Gesundheitssystem<br />
der Zukunft“<br />
informiert<br />
über Modelle einer<br />
Bürgerversicherung<br />
und die Bundestagspetition<br />
– gegen<br />
die schwarz-gelbe<br />
Gesundheitsreform<br />
mit Kopfpauschale –<br />
im Internet: www.<br />
stoppauschale.de.<br />
Dialog 2/11<br />
<strong>GEW</strong>-Seniorentag 2011 in Hannover<br />
tems einseitig den Beschäftigten sowie<br />
Rentnerinnen und Rentnern auf“, kritisierte<br />
<strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied Anne Jenter.<br />
Sie bezeichnete die fortschreitende<br />
Entsolidarisierung im Sozial- und Gesundheitswesen<br />
als „Irrweg“. Jenter plädierte<br />
– im Einvernehmen mit Vertreterinnen<br />
und Vertretern der Sozialverbände<br />
– <strong>für</strong> eine solidarische Bürgerversicherung<br />
neuen Typs. Eckpunkte da<strong>für</strong><br />
hat der DGB mit Verbänden und der<br />
Wissenschaft entwickelt (s. Info Randspalte).<br />
„Gesellschaftliche Bündnisse <strong>für</strong><br />
eine solidarische Politik sind ein guter<br />
Hebel, um den Wunsch nach einem Politikwechsel<br />
zu verdeutlichen“, hielt Jenter<br />
fest: Laut einer Allensbach-Umfrage vom<br />
November 2010 meinen 74 Prozent der<br />
Menschen, die Lasten der schwarz-gelben<br />
Gesundheitsreform seien ungerecht<br />
verteilt.<br />
Pauschale Aussagen<br />
über die gestiegene Lebenserwartung<br />
der<br />
Menschen sind irreführend.<br />
Wir sollten<br />
fragen: Wer wird gesund<br />
älter? Wer hat<br />
Anne Jenter denZugewinnanGesundheit,<br />
Lebensjahren<br />
und sozialer Sicherheit? Nicht die<br />
Einkommensschwächeren! Kürzungen<br />
bei der Rente, eine höhere Lebensarbeitszeit<br />
und Zusatzkosten in der Kran-<br />
Foto: Frank Walensky-Schweppe<br />
Vorsorge als Ware<br />
Im Kern geht es bei der Bürgerversicherung<br />
darum, die u.a. durch hohe Arbeitslosigkeit<br />
und niedrige Lohnzuwächse geschwächte<br />
Finanzbasis der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung zu stärken. Da<strong>für</strong><br />
sollen künftig Beiträge auf weitere Einkommensarten<br />
– wie etwa Vermögenseinkünfte<br />
– erhoben werden. Zudem sollen<br />
die Versicherungspflicht ausgeweitet<br />
und die private Krankenversicherung<br />
schrittweise abgeschafft werden. „Wir sind<br />
das einzige europäische Land, das sich ein<br />
Gesundheitssystem mit einem privaten<br />
und einem gesetzlichen Zweig als Vollversicherung<br />
leistet“, erläuterte Forscherin<br />
Leiber. Weltweit hätten nur die USA ein<br />
vergleichbares System – mit negativen<br />
Folgen <strong>für</strong> den Gesundheitsschutz und<br />
die Versorgungsqualität breiter Bevölkerungsschichten.<br />
Alfred Spieler von der<br />
Volkssolidarität problematisierte: „Uns<br />
begegnen täglich Leute mit Niedriglohn,<br />
kleiner Rente oder Hartz IV, die den Arztbesuch<br />
vermeiden, weil sie das <strong>Geld</strong> <strong>für</strong><br />
Praxisgebühr und Zuzahlungen nicht haben.“<br />
Georg Hupfauer von der Katholischen<br />
Arbeitnehmerbewegung beklagte:<br />
„Gesundheitsversorgung ist bei uns zur<br />
Ware geworden. Nur gut Betuchte können<br />
sich die besten Leistungen kaufen.“<br />
Karin Sauck von der <strong>GEW</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />
beanstandete die Beitragspolitik<br />
der privaten Krankenversicherung:<br />
„Wer in jungen Jahren überredet<br />
wurde, in die private Versicherung zu<br />
wechseln, steht im Alter durch Höchstbeiträge<br />
nicht selten vor dem Ruin.“<br />
<strong>GEW</strong>-Kommentar:Teure Gesundheitsversorgung trifft die Armen<br />
Wer wird gesund älter?<br />
Foto: privat<br />
kenversicherung verschlechtern die Lebensumstände<br />
vieler Menschen.<br />
Der 6. Bundesaltenbericht* hält starre Altersgrenzen<br />
im Arbeitsleben <strong>für</strong> verzichtbar<br />
und schlägt alternativ das Sammeln<br />
von Erwerbsjahren vor. Hier schießt die<br />
Bundesaltenberichtskommission allerdings<br />
über das Ziel hinaus. Denn sie unterschlägt<br />
höchst unterschiedliche Lebens-<br />
und Arbeitsbedingungen. Die Perspektive<br />
„Arbeiten bis zum Umfallen“ ist<br />
keine.<br />
WerimAltermitniedrigerRenteundge-<br />
Weniger Netto vom Brutto<br />
Fakt ist: Höhere Ausgaben <strong>für</strong> Gesundheit<br />
schwächen den privaten Konsum –<br />
bei stagnierenden und teilweise sinkenden<br />
Reallöhnen und Renten. In diesem<br />
Jahr steigen die Renten um 0,99 Prozent.<br />
Die Auswirkungen der jüngsten<br />
Rentenreformen – mit Leistungskürzungen<br />
(z. B. Ausbildungszeiten) und<br />
gebremstem Rentenanstieg (Demografie-Faktor)<br />
– verstärken diese Entwicklung.<br />
Die Deregulierung des Arbeitsmarkts hat<br />
den öffentlichen Dienst auch in Bildung<br />
und Erziehung längst erfasst:<br />
<strong>mehr</strong> befristete Stellen in Hochschulen,<br />
Praktika, Niedriglöhne, Honorarverträge.<br />
Adolf Bauer vom Sozialverband Deutschland<br />
warnte: „Die Jungen arbeiten an<br />
ihrer Altersarmut von morgen.“ Der niedersächsische<br />
<strong>GEW</strong>-Vorsitzende Eberhard<br />
Brandt kritisierte die Bildungspolitik seines<br />
Landes: „Statt auf Ganztagsschule<br />
setzt Niedersachsen auf Ganztagsbetreuung.<br />
Honorarkräfte ohne Sozialversicherungsschutz<br />
werden im großen Stil<br />
eingesetzt.“ Das passiert nicht nur in<br />
Niedersachsen. „Eine Erzieherin muss<br />
heutzutage <strong>für</strong> eine Altersrente über der<br />
Grundsicherung 44 Jahre arbeiten“, erklärte<br />
Buntenbach. Das Beispiel belege,<br />
dass der demografische Wandel ohne<br />
Solidarität im Sozialsystem nicht menschenwürdig<br />
zu gestalten sei.<br />
Beate Eberhardt, freie Journalistin<br />
ringem Einkommen dasteht, den trifft<br />
der Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik<br />
besonders hart. Arbeitgeber<br />
werden finanziell entlastet und aus der<br />
paritätischen Verantwortung <strong>für</strong> die<br />
Kostendämpfung im Gesundheitswesen<br />
entlassen: Eingefrorene Arbeitgeberbeiträge<br />
sind eine politische Fehlentscheidung.<br />
Die Gewerkschaften setzen auf Solidarität:<br />
Die finanziell Starken sollen <strong>für</strong> die<br />
Einkommensschwächeren da sein, Junge<br />
<strong>für</strong> Alte, Gesunde <strong>für</strong> Kranke – im Ge-
<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />
Seniorenpolitik der Gewerkschaften<br />
„Ihr gehört zu uns!“<br />
Die „Seniorenfrage“ steht auch<br />
den Gewerkschaften ins Haus:<br />
Zunehmend suchen kompetente<br />
und rührige Mitglieder im Ruhestand<br />
neue Aufgaben und wollen<br />
gewerkschaftlich etwas bewirken.<br />
Und: Sie brauchen auch<br />
im Alter eine starke Interessenvertretung.<br />
Das machte der<br />
<strong>GEW</strong>-Seniorentag 2011 in Hannover<br />
deutlich.<br />
1,3 Millionen Mitglieder der DGB-Gewerkschaften<br />
sind zurzeit im Ruhestand.<br />
„Der DGB hat vor drei Jahren seniorenpolitische<br />
Eckpunkte beschlossen, tut<br />
sich aber schwer, diese zu realisieren.<br />
Denn Seniorenarbeit ist Sache der Einzelgewerkschaften,<br />
und da gibt es große<br />
Unterschiede“, stellt Bettina Munimus<br />
fest. Mit Wolfgang Schroeder hat sie die<br />
„Akteure deutscher Seniorenpolitik“<br />
untersucht.*<br />
Gewerkschaften arbeiten generationenübergreifend,<br />
daher vertreten sie die Interessen<br />
der Älteren indirekt mit. Das<br />
gilt insbesondere <strong>für</strong> sozialpolitische<br />
Themen. Andere Bereiche, die in der alternden<br />
Gesellschaft wichtig sind, erschließen<br />
sich Gewerkschaften erst nach<br />
und nach: etwa Wohnen im Alter, Fragen<br />
der Mobilität oder des Verbraucherschutzes.<br />
Viel wird davon abhängen, ob<br />
es den Gewerkschaften gelingt, ihr seniorenpolitisches<br />
Profil weiter zu schärfen,<br />
oder ob sie das Terrain und damit<br />
engagierte Mitglieder den Seniorenverbänden<br />
überlassen.<br />
Kein Seniorenprofil<br />
„Die Sozialverbände sind die direkten<br />
Interessenvertretungen der Älteren, das<br />
haben sie sich auf die Fahnen geschrieben“,<br />
sagt Munimus. Organisationen wie<br />
der Sozialverband Deutschland (SoVD),<br />
die Volkssolidarität oder der Sozialverband<br />
VdK Deutschland haben besondere<br />
Leistungen <strong>für</strong> ältere Menschen im<br />
Gepäck. Sie bieten vor allem direkte<br />
Rechtsberatung an, regional und ohne<br />
Wartezeit – etwa bei Rente oder Pflege.<br />
Die „mittelbaren Akteure“ – Parteien,<br />
Gewerkschaften und Kirchen – haben<br />
kein spezifisches seniorenpolitisches Profil.<br />
Sie müssen intern klären: Sind Ältere<br />
<strong>für</strong> den Erfolg der Organisation aktiv –<br />
etwa im klassischen Ehrenamt? Betreiben<br />
sie Gesellschaftspolitik – von Älteren<br />
<strong>für</strong> Ältere? Geht beides zusammen?<br />
Beispiel Parteien: Rund die Hälfte der<br />
SPD- und CDU-Mitglieder ist über 60<br />
Jahre alt, Tendenz steigend. In der SPD<br />
sundheitswesen wie bei der Rente. Zwar<br />
sind die Sozialversicherungssysteme<br />
nicht marode, doch nehmen sie immer<br />
weniger ein. Der Ausweg? Eine Bürgerversicherung.<br />
Sie garantiert dem Sozialsystem<br />
<strong>mehr</strong> Einnahmen und könnte<br />
da<strong>für</strong> eine gute, <strong>für</strong> die Beschäftigten<br />
bezahlbare Gesundheitsversorgung als<br />
Leistung anbieten – auch im Alter.<br />
Außerdem sollte die Erwerbstätigenversicherung<br />
<strong>für</strong> Renten ohne Armutsrisiko<br />
sorgen – mit ausreichendem Schutz bei<br />
Frühinvalidität. Flankierend sind sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigungsverhältnisse<br />
<strong>für</strong> alle sowie ein gesetzlicher<br />
Mindestlohn unerlässlich. Prekäre Arbeit<br />
ohne Sozialschutz ist die Wegbereiterin<br />
der Altersarmut. Die Bundesregierung<br />
muss deshalb endlich handeln.<br />
Anne Jenter, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Frauenpolitik<br />
*„Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik<br />
Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft“, erschienen im November<br />
2010, kann beim Bundesministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und<br />
Jugend kostenlos als Broschüre bestellt werden: www.bmfsfj.de<br />
(Pfad: Ältere Menschen).<br />
wird man qua<br />
Alter „Mitglied<br />
60plus“; in die<br />
Senioren-Union<br />
tritt man ein und<br />
zahlt 2,50 Euro<br />
Monatsbeitrag.<br />
Beide Parteien<br />
sind politische Bettina Munimus<br />
Heimat, aber<br />
keine strikte Interessenvertretung älterer<br />
Menschen.<br />
Mitsprache verankern<br />
Die DGB-Gewerkschaften organisieren<br />
unterschiedliche Modelle <strong>für</strong> ältere Mitglieder:<br />
Die IG Metall setzt auf außerbetriebliche<br />
Gewerkschaftsarbeit, die<br />
IG BCE bietet Rentnerinnen und Rentnern<br />
die Vollmitgliedschaft mit allen<br />
Rechten an, ver.di hat die Seniorenarbeit<br />
in der Satzung verankert – ebenso<br />
die <strong>GEW</strong>.<br />
Außerdem gibt es in der Bildungsgewerkschaft<br />
je nach Landesverband unterschiedliche<br />
Mitmach-Angebote. In der<br />
Regel werden zwei Zielgruppen angesprochen:<br />
die Älteren und die so genannten<br />
„jungen Alten“. Fest steht: Der<br />
DGB sendet an die älteren Mitglieder<br />
das Signal: Ihr gehört zu uns!<br />
Künftig reicht das aber nicht <strong>mehr</strong> aus,<br />
urteilen beispielsweise Teilnehmende<br />
des <strong>GEW</strong>-Seniorentags. Sie möchten<br />
beides: die Solidargemeinschaft <strong>GEW</strong><br />
stärken und Seniorenpolitik aus Gewerkschaftsperspektive<br />
betreiben. Das<br />
klassische Ehrenamt wollen sie mit Projektarbeit<br />
und neuen Arbeitsformen verbinden.<br />
<strong>Mehr</strong> Gewerkschaftseinfluss vor<br />
Ort sei seniorenpolitisch auch nötig,<br />
hieß es in Hannover: etwa die regionale<br />
Zusammenarbeit mit DGB-Gruppen oder<br />
das Mitmischen in kommunalen Seniorenbeiräten.<br />
Das Potenzial <strong>für</strong> eine solide<br />
Seniorenarbeit scheint es in der<br />
<strong>GEW</strong> zu geben, jetzt gilt es, dieses stärker<br />
zu entfalten.<br />
Beate Eberhardt, freie Journalistin<br />
Foto: privat<br />
* Buchtipp <strong>für</strong><br />
Multiplikatoren<br />
Wolfgang Schroeder,<br />
Bettina Munimus,<br />
Diana Rüdt:<br />
„Seniorenpolitik im<br />
Wandel. Verbände<br />
und Gewerkschaften<br />
als Interessenvertreter<br />
der älteren<br />
Generation“.<br />
Frankfurt am Main,<br />
Campus-Verlag<br />
2010, 500 Seiten,<br />
50,40 Euro<br />
Dialog 2/11 3
<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
Hauptvorstand,<br />
Postfach 90 04 09<br />
60444 Frankfurt/M.<br />
Tel.: (069) 7 89 73-0<br />
Fax: (069) 7 89 73-2 01<br />
E-Mail: info@gew.de<br />
Internet: www.gew.de<br />
Redaktion:<br />
Ulf Rödde (verantwortlich),<br />
Anne Jenter, Helga Haas-Rietschel,<br />
Beate Eberhardt, Frauke Gützkow<br />
Hildegard Klenk, Hedda Lungwitz<br />
Gestaltung:<br />
Werbeagentur Zimmermann<br />
GmbH, Frankfurt/M.<br />
Druck:<br />
apm AG, Darmstadt<br />
4<br />
Dialog 2/11<br />
Bundesaltenbericht: Alter im kulturellen Wandel<br />
Potenziale aktivieren<br />
Der Altersumbau in der Gesellschaft<br />
geht rasant voran. Er<br />
bringt weit <strong>mehr</strong> mit sich als<br />
nur einen größeren Anteil älterer<br />
Menschen. Eine rein quantitative<br />
Betrachtung greife daher<br />
zu kurz, warnte Prof.Andreas<br />
Kruse,Vorsitzender der Bundesaltenberichtskommission,<br />
auf<br />
dem <strong>GEW</strong>-Seniorentag 2011 in<br />
Hannover.<br />
Unser Leben im Alter gut zu<br />
entwickeln, das haben wir ein<br />
Stück weit selbst in der<br />
Hand: aktiv, integriert in Gemeinschaften<br />
und in bester Verfassung. Zu oft<br />
wird medial das Horrorbild einer vergreisten<br />
Gesellschaft an die Wand gemalt:<br />
Große Teile der Bevölkerung werden<br />
als hilfebedürftig, krank und kaum<br />
leistungsfähig dargestellt. Solche Verallgemeinerungen<br />
verdecken, dass sich seit<br />
über vier Jahrzehnten eine kleine Kulturrevolution<br />
im positiven Sinne vollzieht:<br />
Fortschritt, Technologien und Reformen<br />
verlangen den Menschen immense<br />
Anpassungsleistungen ab. Sie<br />
sind bisher in aller Regel mit Bravour<br />
gemeistert worden. Die heutigen Generationen,<br />
die viel älter werden als ihre<br />
Vorfahren, interpretieren auf Grundlage<br />
dieser Erfahrungen auch ihr Alter neu.<br />
Das zeigt: Altern unterliegt einem kulturellen<br />
Wandel.<br />
Gesellschaftliche Aufgabe<br />
Diese Zusammenhänge analysierte Prof.<br />
Andreas Kruse, einer der Autoren des<br />
6. Bundesaltenberichts. Die rund 500<br />
Seiten starke Untersuchung geht den<br />
Altersbildern nach (s. DIALOG S.3): in<br />
Geschichte und Gegenwart, in Arbeitswelt,<br />
Bildung und Weiterbildung, in<br />
Konsum und Produktion, in den Medien,<br />
dem Gesundheitswesen und anderen<br />
Sparten der Altersforschung. Kruse erläuterte:<br />
„Es ist falsch, aus dem Durchschnittsalter<br />
der Menschen negative<br />
Schlüsse <strong>für</strong> die gesellschaftliche Entwicklung<br />
zu ziehen.“ Dieses Credo durchzieht<br />
den gesamten Bericht. Ein wichtiges<br />
Ergebnis lautet: Das Lebensalter ist kaum<br />
entscheidend da<strong>für</strong>, was „Silberköpfe“<br />
aus ihrem Leben machen; viel wichtiger<br />
sind im Alter kulturelle, soziale und gesellschaftliche<br />
Prägungen. Die Gesellschaft<br />
soll <strong>mehr</strong> auf die Potenziale der<br />
Älteren setzen, sich nicht auf deren Defizite<br />
fixieren, gleichzeitig gute Rahmenbedingungen<br />
gestalten. Denn: „Zu einem<br />
sinnerfüllten Dasein gehören kognitive,<br />
emotionale und soziale Aktivierungen“,<br />
betonte Kruse. Entsprechend sei Älterwerden<br />
keine individuelle Leistung,<br />
sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.<br />
Chancen nicht gleich<br />
Die Politik, das wurde deutlich, hat<br />
noch einen weiten Weg vor sich. Einige<br />
Standards – etwa in der Arbeitswelt,<br />
beim Wohnen oder im Gesundheitssystem<br />
– verhindern, das Alter freier zu gestalten.<br />
Kruse räumte ein, es mangele an<br />
Angeboten zur Gesundheitsförderung,<br />
zur Qualifizierung sowie an einer „positiven<br />
Einstellung der Jüngeren gegenüber<br />
den Älteren“. Ein weiteres Manko<br />
seien ungleiche soziale Chancen. „Wer<br />
in jungen Jahren keine Bildungsangebote<br />
nutzen konnte, kann das später<br />
kaum aufholen“, so Kruse.<br />
Für eine neue Sicht auf Altersbilder<br />
und -modelle liefert der Bundesaltenbericht<br />
zwar wertvolle Anstöße. Doch<br />
nicht alle Fragen sind mit Verweis auf<br />
die höhere Lebenserwartung beantwortet.<br />
Denn: Das Potenzial vieler Menschen<br />
ist zwar aktivierbar, doch Bildungsferne<br />
und Armut stehen dem erheblich<br />
im Weg. Altenpolitik, stellt<br />
Kruse fest, sei deshalb eine „Querschnittsaufgabe,<br />
die Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> ein gutes Leben“ zu schaffen habe.<br />
Beate Eberhardt, freie Journalistin<br />
Andreas Kruse, Direktor des Instituts <strong>für</strong> Gerontologie der Universität<br />
Heidelberg und Vorsitzender der Bundesaltenberichtskommission<br />
Foto: Frank Walensky-Schweppe
TARIFPOLITIK<br />
Verbesserungen<br />
durchgesetzt<br />
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst<br />
Mit Verbesserungen bei Startgutschriften,<br />
Mutterschutzzeiten<br />
und Lebenspartnerschaften endeten<br />
am 30. Mai die Verhandlungen<br />
über die Zusatzversorgung<br />
im öffentlichen Dienst (VBL,<br />
ZVK). Die Veränderungen gelten<br />
<strong>für</strong> alle Tarifbeschäftigten im<br />
öffentlichen Dienst bei Bund,<br />
Ländern und Gemeinden sowie<br />
bei der evangelischen und katholischen<br />
Kirche, die entsprechende<br />
Regelungen zur Altersversorgung<br />
anwenden. Damit zurückliegende<br />
Mutterschutzzeiten angerechnet<br />
werden, ist ein Antrag notwendig,<br />
die anderen Korrekturen<br />
werden automatisch berücksichtigt.Die<br />
Gespräche waren<br />
2008 aufgenommen<br />
worden, nachdem<br />
der Bundesgerichtshof<br />
(BGH) 2007 die<br />
Berechnung der „Startgutschriften“<br />
<strong>für</strong> so genannte rentenferne<br />
Versicherte (Angestellte,<br />
die jünger als 55 Jahre sind) in<br />
Westdeutschland verworfen hatte.<br />
Im Osten stellte sich das Problem<br />
nicht in gleicher Weise, da die Zusatzversorgung<br />
dort erst 1997 neu<br />
eingeführt wurde. Mit den Startgutschriften<br />
wurden 2001 bei der<br />
Systemumstellung der Zusatzversorgung<br />
auf ein Punktemodell die<br />
Ansprüche aus dem alten Versorgungsmodell<br />
abgegolten.<br />
Auch <strong>für</strong> Mutterschutzzeiten und<br />
die Hinterbliebenenversorgung<br />
bei eingetragenen Lebenspartnerschaften<br />
waren höchstrichterliche<br />
Urteile umzusetzen, die zum Teil<br />
der <strong>GEW</strong>-Rechtsschutz erstritten<br />
hatte. Positiv ist zu vermerken,<br />
dass sich die Arbeitgeber – anders<br />
als zu Beginn der Verhandlungen –<br />
bereit erklärt haben, die zusätzlichen<br />
Kosten, die aus den Urteilen<br />
erwachsen, alleine zu tragen.<br />
Gemeinsames Ziel der Gewerkschaften<br />
und der Arbeitgeber war,<br />
die VBL-Renten endlich rechtssicher<br />
zu machen. Das ist dringend<br />
nötig: Schon jetzt beziehen tausende<br />
Kolleginnen und Kollegen,<br />
die 2001 jünger als 55 Jahren waren,<br />
wegen der unverbindlichen<br />
Startgutschrift eine „vorläufige“<br />
Rente. Im nächsten Jahr erreichen<br />
die ersten von ihnen die Altersgrenze<br />
65. Schon jetzt können<br />
<strong>mehr</strong>ere zehntausend Versorgungsausgleichsfälle<br />
wegen der<br />
Unsicherheit über die Höhe der<br />
Herzlich Willkommen in<br />
Den Hoorn auf Texel.<br />
Wir empfangen Sie sehr gerne in<br />
unseren schönen, kürzlich vollständig renovierten Ferienwohnungen:<br />
Zwei Appartements <strong>für</strong> 2-4 Personen und ein Appartement <strong>für</strong> 2 Personen.<br />
Sie wurden im Juni 2010, nach einer Kernsanierung mit Um- bzw. Anbau,<br />
neu eröffnet.<br />
Die Appartements sind geschmackvoll und sehr komfortabel eingerichtet.<br />
Das Inventar ist komplett neu. Die Wohnungen liegen an einer wenig<br />
befahrenen Straße und haben eine eigene kleine Gartenterasse (in der<br />
Erdgeschosswohnung), einen Holzbalkon mit Gartenmitbenutzung und<br />
Veranda (erstes Geschoss) sowie eine Dachterasse mit Sedumdach <strong>für</strong><br />
das 2 Personen-Appartement.<br />
Wir freuen uns Sie kennenlernen zu dürfen.<br />
Kerstin und Harald Weiss<br />
Herenstraat 55<br />
1797 AG Den Hoorn - Texel<br />
Tel. 0031 222 319397<br />
info@herenstraat55.nl<br />
www.herenstraat55.nl<br />
Beispiel:<br />
Beginn Beschäftigung öffentlicher Dienst: 1. Januar 1982 (Alter 30<br />
Jahre)<br />
Umstellung auf Punktemodell: 31. Dezember 2001 (Alter 50 Jahre)<br />
d.h. 20 Jahre, bei Weiterbeschäftigung bis Alter 65: 35 Jahre öffentlicher<br />
Dienst<br />
bisherige Startgutschrift 2001: 2,25 Prozent x 20 Jahre = 45 Prozent<br />
der Voll-Leistung*<br />
Vergleichsrechnung nach Betriebsrentengesetz: 20 Jahre/35 Jahre =<br />
57,14 Prozent der Voll-Leistung*<br />
Zuschlag zur Startgutschrift: (57,14 Prozent – 45 Prozent – 7,5 Prozent**)<br />
= 4,64 Prozent der Voll-Leistung.<br />
* Voll-Leistung = 91,75 Prozent des pauschalierten Nettoeinkommens minus hochgerechnete<br />
gesetzliche Rente nach dem Näherungsverfahren<br />
** tarifvertraglich vereinbarter Abschlag<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 25
TARIFPOLITIK<br />
VBL- oder ZVK-Rente nicht abgeschlossen<br />
werden. Gewerkschaften und Arbeitgeber<br />
gehen davon aus, dass die<br />
Neuregelung den Anforderungen des<br />
BGH genügt.<br />
Zuschläge zur Startgutschrift<br />
Zuschläge zur bisherigen Startgutschrift<br />
bekommen westdeutsche Versicherte,<br />
die relativ spät in den öffentlichen<br />
Dienst gekommen sind und zum Zeitpunkt<br />
der Systemumstellung schon relativ<br />
alt, aber noch nicht älter als 55 Jahre<br />
waren. Darin drückt sich spiegelbildlich<br />
aus, dass diese Beschäftigten bei der<br />
Umstellung auf das Punktesystem 2001<br />
am meisten verloren hatten. Hier<strong>für</strong><br />
<strong>GEW</strong>-Beitrag ändert sich<br />
Mit dem Tarifergebnis vom Februar 2010 <strong>für</strong> den Sozialund<br />
Erziehungsdienst (SuE) sowie die im öffentlichen<br />
Dienst bei Bund und Kommunen nach dem Tarifvertrag<br />
öffentlicher Dienst (TVöD) Beschäftigten sind eine Einmalzahlung<br />
und ein höheres Entgelt in drei Trippelschritten<br />
vereinbart worden. Die letzte Erhöhung um 0,5 Prozent<br />
tritt am 1. August 2011 in Kraft. Der monatliche Mitgliedsbeitrag<br />
<strong>für</strong> Angestellte nach SuE oder TVöD wird zu<br />
diesem Zeitpunkt entsprechend angehoben. Des Weiteren<br />
wird der Tabellenabschlag nach der so genannten „kleinen<br />
Lehrerzulage“ kontinuierlich abgeschmolzen: Mit jeder<br />
Tabellenerhöhung schrumpft der Rückstand der „Lehrertabelle“<br />
gegenüber der allgemeinen TVöD-Tabelle um 7,20<br />
Euro. Das wird bei der Beitragsberechnung ebenfalls<br />
berücksichtigt.<br />
Eventuell notwendige Änderungen und Korrekturen Ihres<br />
<strong>GEW</strong>-Beitrags nimmt der zuständige Landesverband vor.<br />
Petra Grundmann, Schatzmeisterin der <strong>GEW</strong><br />
muss in jedem Einzelfall eine Vergleichsrechnung<br />
angestellt werden. Diese<br />
Kolleginnen und Kollegen, die einen<br />
Zuschlag bekommen, erhalten von der<br />
VBL oder ZVK mit der nächsten Jahresmeldung<br />
eine entsprechende Mitteilung.<br />
Niemand muss selbst tätig werden.<br />
Die Vergleichsrechnung orientiert sich<br />
an Paragraf 2 Betriebsrentengesetz, der<br />
in der Privatwirtschaft angewendet wird.<br />
Dabei wird die Betriebsrente ab Beginn<br />
der Beschäftigung bei einem Arbeitgeber<br />
bis zum Rentenalter hochgerechnet.<br />
Scheidet jemand früher aus, bekommt<br />
er die hochgerechnete Rente anteilig.<br />
Demgegenüber waren bei der Berechnung<br />
der Startgutschrift im öffentlichen<br />
Dienst <strong>für</strong> „Rentenferne“ (unter 55 Jahren)<br />
pro Beschäftigungsjahr 2,25 Prozent<br />
einer in 44,4 Jahren erreichbaren<br />
Voll-Leistung gutgeschrieben worden.<br />
Allerdings haben sich die Arbeitgeber<br />
strikt geweigert, einen Zuschlag in allen<br />
Zusatzversorgung<br />
Die Zusatzversorgung, also die betriebliche Altersversorgung, ist der einzige Bereich,<br />
in dem im öffentlichen Dienst noch einheitliche Tarifbedingungen herrschen.<br />
Als Arbeitgeber verhandelten daher der Bund, die Tarifgemeinschaft<br />
deutscher Länder (TdL) und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände<br />
(VKA). Die Gewerkschaften hatten eine gemeinsame Verhandlungskommission<br />
aus ver.di, dbb Tarifunion und <strong>GEW</strong> gebildet. Bundestarifkommission und<br />
Große Tarifkommission der <strong>GEW</strong> haben dem Ergebnis am 20. Juni zugestimmt,<br />
die zuständige ver.di-Bundestarifkommission tagt im August.<br />
B.-L.<br />
Fällen zu finanzieren, in denen die Vergleichsrechnung<br />
einen höheren Wert als<br />
die bisherige Startgutschrift ergibt. Einen<br />
vollen Ausgleich hätte es nur bei einer<br />
Erhöhung des Arbeitnehmeranteils<br />
an der VBL-Umlage von derzeit 1,41<br />
Prozent geben können. Alle Beschäftigten<br />
stärker zur Kasse zu bitten, um einer<br />
Viertel Million älterer Beschäftigter eine<br />
höhere Startgutschrift zu verschaffen,<br />
haben alle Mitglieder der Gewerkschafts-Verhandlungskommission<br />
abgelehnt.<br />
Am Ende stand die Einigung: Liegt der<br />
Anteil an der Vollversorgung, der sich<br />
aus der Vergleichsrechnung nach dem<br />
Betriebsrentengesetz ergibt, um <strong>mehr</strong><br />
als 7,5 Prozentpunkte über dem Anteil<br />
an der Vollversorgung, der der jetzigen<br />
Startgutschrift zu Grunde liegt, gibt es<br />
einen Zuschlag zur Startgutschrift.<br />
Auch die Vollversorgung selbst wird etwas<br />
anders berechnet, weil das Betriebsrentengesetz<br />
berücksichtigt, welche<br />
Rente Beschäftigte bis zum Rentenalter<br />
hätten erreichen können. Für alle, die<br />
(bei durchgehender Beschäftigung ab<br />
2001) rechnerisch bis zum 65. Geburtstag<br />
auf wenigstens 32 Jahre öffentlicher<br />
Dienst kommen, ergibt sich die gleiche<br />
Vollversorgung wie nach der alten Rechnung.<br />
Der Mutterschutz wird künftig Beschäftigungszeiten<br />
gleichgestellt. Er gilt als<br />
vollwertige Versicherungszeit und wird<br />
bei der Berechnung der Rentenhöhe behandelt,<br />
als hätte die Mutter während<br />
dieser Phase im gleichen Umfang gearbeitet<br />
wie vor dem Mutterschutz. Damit<br />
werden Mutterschutz- den Krankheitszeiten<br />
gleichgestellt. Da die VBL die<br />
nötigen Informationen <strong>für</strong> die Vergangenheit<br />
nicht hat, wird <strong>für</strong> zurückliegende<br />
Mutterschutzzeiten ein Antrag nötig<br />
sein. Dieser kann bis zum Rentenbeginn<br />
gestellt werden. Näheres wird in<br />
den Redaktionsverhandlungen geklärt.<br />
Die <strong>GEW</strong> wird ihre Mitglieder so<br />
schnell und umfassend wie möglich informieren<br />
und ab Herbst entsprechende<br />
Musterschreiben zur Verfügung stellen.<br />
Gleichstellung<br />
Ebenfalls Teil der Einigung ist die<br />
Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften<br />
im Tarifvertrag über die<br />
Zusatzversorgung des öffentlichen<br />
Dienstes mit heterosexuellen Ehen.<br />
Gleichgeschlechtliche Lebenspartner eines<br />
verstorbenen Versicherten haben<br />
damit bei der Hinterbliebenenversorgung<br />
künftig die gleichen Rechte wie<br />
Heterosexuelle.<br />
Gesa Bruno-Latocha,<br />
Referentin im <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereich<br />
Angestellten- und Beamtenpolitik<br />
Weitere Infos zur Zusatzversorgung im Internet unter:<br />
www.gew.de/VBL_Zusatzversorgung.html<br />
Tarifrunde 2011 an hessischen Unis<br />
Seit 2010 haben die Goethe-Universität Frankfurt am Main und die Technische<br />
Universität Darmstadt (TUD) eigene Tarifverträge. Beide Einrichtungen müssen<br />
nun den Tarifabschluss zwischen Gewerkschaften und dem Land Hessen auf ihre<br />
Beschäftigten übertragen. An der Frankfurter Hochschule wird das höhere<br />
Einkommen ohnehin automatisch wirksam, an der TUD ist dieser Teil des Tarifergebnisses<br />
1:1 übernommen worden. Einzig die Zahlungsfristen <strong>für</strong> die Einmalzahlung<br />
und die Laufzeiten der Regelungen aus dem Überleitungsrecht hat<br />
man angepasst. Abweichungen gab es an der TUD hinsichtlich der Übernahmeregelung<br />
<strong>für</strong> Auszubildende. Weder den mit dem Land vereinbarten individuellen<br />
Anspruch auf Übernahme noch die differenzierte Abschlussprämie wollte<br />
die Darmstädter Uni akzeptieren. Bis zum 20. Juni sollten die <strong>GEW</strong>-Mitglieder<br />
ihr Votum zu dem Verhandlungsergebnis abgeben. Das Resultat der Abstimmung<br />
lag bei Druckbeginn der E&W noch nicht vor. O. B.<br />
26 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
FRAUEN<br />
Geschlechterrollen zementiert<br />
400-Euro-Jobs führen zu Abhängigkeit und Armut<br />
In der Gebäudereinigung, der Pflege,<br />
der Gastronomie, im Handel, zunehmend<br />
im Bildungsbereich arbeiten viele<br />
Frauen auf 400-Euro-Basis. Diese,<br />
wie es heißt, geringfügig entlohnten<br />
Beschäftigungsverhältnisse halten<br />
Frauen nicht nur in traditionellen Geschlechterrollen<br />
fest – sie führen auch<br />
in Altersarmut.<br />
Die Deregulierung des Arbeitsmarktes<br />
nimmt zu –<br />
besonders betroffen: Frauen.<br />
Jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis<br />
– das entspricht<br />
7,19 Millionen Arbeitsverträgen<br />
– war 2009 in Deutschland<br />
ein so genannter Minijob auf 400-<br />
Euro-Basis* – in Westdeutschland gab<br />
es insgesamt 6,28 Millionen Minijobs,<br />
im Osten knapp eine Million. Sie sind<br />
nicht sozialversicherungspflichtig und<br />
bauen auch keine Brücken in den regulären<br />
Arbeitsmarkt. Sie enden <strong>für</strong> die<br />
Betroffenen – der Frauenanteil beträgt<br />
70 Prozent** – meist in ökonomischen<br />
Sackgassen. <strong>Mehr</strong> als ein Viertel aller erwerbstätigen<br />
Frauen in Westdeutschland<br />
arbeitete 2009 in einem 400-Euro-<br />
Job, in Ostdeutschland ein Sechstel.<br />
Noch immer existiert das Vorurteil, vor<br />
allem Mütter gingen freiwillig in 400-<br />
Euro-Jobs. Fakt ist: Das Steuersystem<br />
und fehlende Kinderbetreuung drängen<br />
vor allem Frauen mit Kindern in gering<br />
entlohnte, oft auch befristete 400-Euro-<br />
Jobs. Sehr oft bekommen sie auch gar<br />
keine anderen Arbeitsverträge. In ländlichen<br />
Gebieten bieten sehr viele Betriebe<br />
überwiegend 400-Euro-Jobs an. So<br />
werden z. B. im Landkreis Trier-Saarburg<br />
über 40 Prozent aller Frauenarbeitsplätze<br />
mit nicht <strong>mehr</strong> als 400 Euro<br />
im Monat bezahlt. Ein Grund: Gerade<br />
auf dem Land fehlen Ganztagsangebote.<br />
Traditionelle Arbeitsteilung<br />
Fakt ist auch: Prekäre 400-Euro-Beschäftigungsverhältnisse<br />
befördern eine<br />
traditionelle Arbeitsteilung in der Familie<br />
– der Mann als Hauptversorger, die<br />
Frau als Zuverdienerin. So bestehen<br />
konservative Rollenmuster auch im 21.<br />
Jahrhundert fort.<br />
Denn fast fünf Millionen Menschen verfügen<br />
monatlich nur über ein 400-Euro-<br />
Entgelt. Sie sind auf das Einkommen eines<br />
anderen Haushaltsangehörigen und<br />
auf dessen Mitversicherung in der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung (GKV) angewiesen<br />
oder auf das Arbeitslosengeld II<br />
(ALG II). Die beitragsfreie Mitversicherung<br />
<strong>für</strong> Ehepartner in der GKV lässt den<br />
400-Euro-Job vordergründig attraktiv erscheinen.<br />
Zu spät bemerken viele den<br />
Pferdefuß, der mit dieser Sozialversicherungsfreiheit<br />
verbunden ist: oft erst dann,<br />
wenn Arbeitslosigkeit eintritt, bei einer<br />
Scheidung nach neuem Unterhaltsrecht<br />
oder nach dem Tod des Ehegatten. Denn<br />
meist wurden keine eigenen oder lediglich<br />
geringe Rentenanwartschaften erworben.<br />
Altersarmut ist so vorprogrammiert.<br />
Die Sozialversicherungsfreiheit der 400-<br />
Euro-Jobs und das Steuersystem begünstigen<br />
so immer noch die Versorgerehe<br />
und tragen in der Regel langfristig dazu<br />
bei, die Ehefrau von ihrem Partner ökonomisch<br />
abhängig zu machen.<br />
Eine weitere soziale Falle: Bei den Steuern<br />
erhalten Ehepaare über das Ehegattensplitting<br />
quasi einen „privaten Kombilohn“.<br />
In Verbindung mit der Pauschalbesteuerung<br />
von zwei Prozent findet<br />
damit eine öffentliche Förderung<br />
prekärer Löhne statt. Mit ein Grund,<br />
warum es <strong>für</strong> die Ehefrau kurzfristig lukrativer<br />
erscheinen mag, einer 400-Euro-Beschäftigung<br />
nachzugehen. Diesen<br />
Effekt verstärkt das Steuersystem: Wenn<br />
sich die geringer verdienende Ehefrau in<br />
Steuerklasse V einstufen lässt und monatlich<br />
hohe Steuerabzüge da<strong>für</strong> in<br />
Kauf nehmen muss.<br />
Das Ehegattensplitting bringt allerdings<br />
nur bei größeren Einkommensunterschieden<br />
zwischen den Ehepartnern einen<br />
wirklichen Vorteil. In den östlichen<br />
Bundesländern fällt er gar nicht ins Gewicht:<br />
Hier sind die Verdienste verheirateter<br />
Paare seit längerem angeglichener,<br />
unzeitgemäße Anreize wie Ehegattensplitting<br />
und Lohnsteuerklasse V spielen<br />
<strong>für</strong> das Geschlechterverhältnis im<br />
Osten kaum eine Rolle.<br />
Abhilfe könnte eine grundständige Reform<br />
des Steuersystems schaffen, wie sie<br />
die <strong>GEW</strong> fordert.*** In ihrem Steuerkonzept<br />
schlägt die Bildungsgewerkschaft<br />
z.B. vor, das Ehegattensplitting<br />
abzuschaffen. Die freiwerdenden Steuermittel<br />
könnten in den dringend notwendigen<br />
Ausbau der Ganztagsangebote<br />
<strong>für</strong> Kinder und Jugendliche fließen.<br />
Damit wäre ein politischer Weg aufgezeigt,<br />
der Frauen unterstützt, in reguläre<br />
und sozial abgesicherte Beschäftigung<br />
zu kommen.<br />
Anne Jenter, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Frauenpolitik<br />
* Die folgenden Zahlenangaben<br />
sind dem Archiv<br />
Pressemitteilungen<br />
der Hans-Böckler-Stiftung<br />
vom 7. Dezember<br />
2010 entnommen.<br />
www.boeckler.de/320_110<br />
799.html?cis_mode=print<br />
** vgl. Antwort der<br />
Bundesregierung auf die<br />
Kleine Anfrage von Abgeordneten<br />
der Faktion<br />
Bündnis 90/Die Grünen,<br />
Drucksache<br />
17/5862 vom 18. Mai<br />
2011<br />
*** s. auch im Internet<br />
unter: gew.de/Binaries/<br />
Binary65845/<br />
2010_10_26_<strong>GEW</strong>-<br />
Steuerkonzept.pdf<br />
PSYCHOLOGISCHES FORTBILDUNGS- UND SELBSTERFAHRUNGSSEMINAR FÜR LEHRER<br />
mit<br />
ROBERT BETZ<br />
Lehrer zwischen Angst, Aggression & Leistungsdruck!<br />
Wie Lehrer wieder Freude an ihrem Beruf finden<br />
04.-07.8.11 in Haltern am See (nördlich des Ruhrgebiets)<br />
Die Kerninhalte des Seminars:<br />
▲ Wie gehe ich mit Emotionen um, die Schüler in mir auslösen? (Angst, Wut, Ohnmacht)<br />
▲ Wie kann ich Schülern helfen mit »unangenehmen« Gefühlen umzugehen?<br />
▲ Was brauche ich, um dem Druck von allen Seiten gewachsen zu sein?<br />
▲ Wie vermeide ich Erschöpfungszustände?<br />
▲ Ansätze mit Vorbildcharakter <strong>für</strong> andere Lehrer<br />
Dipl.-Psych.<br />
Ausführliche Informationen über Büro Robert Betz · Tel. 089 - 512 661 888 · info@robert-betz.de und www.robert-betz.de<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 27
BILDUNGSPOLITIK<br />
Wachsamkeit geboten<br />
Foto: dpa<br />
Schule<br />
Die Herausforderung des öffentlichen<br />
Schulwesens durch private Schulen<br />
Aktuelle Rechtsfragen in einer angespannten Beziehung<br />
von Prof. Dr. jur. Hermann Avenarius<br />
Deutsches Institut <strong>für</strong> Internationale Pädagogische Forschung<br />
erstattet im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
* Das Rechtsgutachten<br />
steht auf der Homepage<br />
der <strong>GEW</strong> zum Download<br />
zur Verfügung:<br />
www.gew.de/Binaries/<br />
Binary78488/Gutachten_privateschulen_WEB.<br />
pdf.<br />
Die Druckfassung des<br />
Gutachtens erhalten Sie<br />
im <strong>GEW</strong>-Shop (Artikelnr.<br />
1393), www.gewshop.de,<br />
E-Mail: gew-shop@<br />
callagift.de, Fax 06103/<br />
30 332-20, Mindestbestellmenge:<br />
zehn Exemplare,<br />
Einzelpreis: zwei<br />
Euro, Preise zuzüglich<br />
Verpackungs- und Versandkosten.<br />
Einzelexemplare können<br />
Sie anfordern unter:<br />
broschueren@gew.de,<br />
Fax 069/789 73-70 161.<br />
Einzelpreis: zwei Euro<br />
zuzüglich Porto.<br />
<strong>GEW</strong>-Gutachten: Privatschulen gefährden öffentliche Einrichtungen<br />
Seit Jahren gibt es eine stärkere Nachfrage<br />
nach privaten Schulen. Vor allem<br />
bildungsbewusste Eltern wenden<br />
sich zunehmend vom öffentlichen<br />
Schulwesen ab. In einem <strong>GEW</strong>-Gutachten<br />
zum Privatschulsektor, finanziert<br />
von der Max-Traeger-Stiftung,<br />
stellt der Schulrechtler Hermann<br />
Avenarius die Verfassungskonformität<br />
der Genehmigungspraxis einiger<br />
Länder in Frage.<br />
Das deutsche Schulwesen<br />
hat keinen besonders guten<br />
Ruf. In kaum einem<br />
anderen hoch entwickelten<br />
Industriestaat sind höhere<br />
Ausbildungsabschlüsse<br />
so stark von der sozialen Herkunft abhängig<br />
wie in Deutschland. Zudem ist<br />
der Bildungsbereich vielerorts unterfinanziert,<br />
was sich in Unterrichtsausfällen,<br />
zu großen Klassen, mangelnder individueller<br />
Förderung und schlechter<br />
Ausstattung manifestiert. Da erstaunt es<br />
kaum, dass viele besser verdienende Eltern<br />
nach Alternativen suchen. Entsprechend<br />
boomt der private Sektor. Im vergangenen<br />
Schuljahr gab es in Deutschland<br />
rund 5200 allgemein- und berufsbildende<br />
Schulen in privater Trägerschaft,<br />
das sind 61 Prozent <strong>mehr</strong> als<br />
1992/93. Mittlerweile lernen 7,8 Prozent<br />
aller Schüler – fast eine Million – an privaten<br />
Institutionen, allerdings gibt es<br />
große regionale Unterschiede: So besuchen<br />
in Sachsen 13,4 Prozent der<br />
Schüler private Schulen, in Schleswig-<br />
Holstein nur 3,7 Prozent.<br />
Anspruch auf Förderung<br />
Diese werden im Grundgesetz unter bestimmten<br />
Voraussetzungen ausdrücklich<br />
als Bestandteil des Schulwesens anerkannt<br />
und haben daher Anspruch auf<br />
finanzielle Unterstützung. Die Einrichtungen<br />
unterliegen der öffentlichen<br />
Aufsicht. Sie müssen z.B. Qualitätsstandards<br />
beim Lehrpersonal einhalten<br />
und anerkannte Abschlüsse bzw. deren<br />
Vorbereitung gewährleisten. Aber sie<br />
dürfen ihren Schulbetrieb nach eigenen<br />
pädagogischen, religiösen oder weltanschaulichen<br />
Konzepten weitgehend frei<br />
Zunehmend drängen kommerzielle<br />
Anbieter wie die Privatschulkette<br />
Phorms (auf dem Bild<br />
Phorms-Grundschule in Berlin)<br />
auf den lukrativen Privatschul-<br />
Markt. Sind diese noch verfassungskonform?<br />
gestalten. Das Gros der Privatschulen ist<br />
in kirchlicher Trägerschaft, auch reformpädagogische<br />
Verbände wie der Bund<br />
freier Waldorfschulen sind stark vertreten.<br />
Doch zunehmend drängen kommerzielle<br />
Anbieter wie die Privatschulkette<br />
Phorms, der Schulbuchverlag<br />
Klett oder die Volkswagen AG auf den<br />
lukrativen Markt.<br />
Eine weitere Vorgabe des Grundgesetzes<br />
ist eine Art Sozialklausel, laut der „eine<br />
Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen<br />
der Eltern“ zu unterbleiben<br />
habe (s. Kasten auf S. 29). Es gibt<br />
<strong>mehr</strong>ere Gerichtsurteile, die je nach Region<br />
ein monatliches Schulgeld von maximal<br />
60 bis 120 Euro <strong>für</strong> angemessen erachten.<br />
Allerdings sind darin mögliche<br />
Kosten <strong>für</strong> Zusatzangebote nicht enthalten.<br />
Zwar gibt es in vielen Privatschulen<br />
Ermäßigungen oder sogar Freiplätze<br />
<strong>für</strong> Kinder aus ärmeren Familien, doch<br />
letztendlich können sich die Einrichtungen<br />
ihre „Kunden“ aussuchen.<br />
Man darf daher getrost fragen, ob die<br />
Entwicklung des Privatschulsektors in<br />
Deutschland noch mit den verfassungsrechtlichen<br />
Vorgaben und der Rechtsprechung<br />
zu vereinbaren ist. Was der<br />
Schulrechtler Professor Hermann Avenarius,<br />
Deutsches Institut <strong>für</strong> Internationale<br />
Pädagogische Forschung<br />
(DIPF), in dem Rechtsgutachten „Die<br />
Herausforderung des öffentlichen<br />
Schulwesens durch private Schulen. Aktuelle<br />
Rechtsfragen in einer angespannten<br />
Beziehung“* getan hat. Avenarius<br />
kommt zum Ergebnis, dass die Genehmigungs-<br />
und Förderungspraxis in vielen<br />
Bundesländern nicht den Normen<br />
des Grundgesetzes entspricht.<br />
Nicht abweichen<br />
So dürfen anerkannte Ersatzschulen<br />
nicht deutlich von der Organisationsform<br />
öffentlicher Schulen abweichen.<br />
Nur dann ist es möglich, dass die Schulpflicht<br />
erfüllt wird. Für Ergänzungsschulen,<br />
zu denen auch die internationalen<br />
gehören, die außerhalb des deutschen<br />
Bildungssystems agieren, gilt das<br />
ausdrücklich nicht. Diese Einrichtungen,<br />
deren Besuch bis zu 1000 Euro monatlich<br />
kostet, sind auch nicht mit dem<br />
Sonderungsverbot des Grundgesetzes in<br />
Einklang zu bringen. Die in Nordrhein-<br />
Westfalen und Sachsen übliche Praxis,<br />
generell zu gestatten, die Schulpflicht<br />
28 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
an internationalen Schulen zu erfüllen,<br />
ist <strong>für</strong> Avenarius mit dem<br />
Grundgesetz nicht zu vereinbaren.<br />
Ebenso wie die Entscheidung<br />
Sachsens, diese Schulen trotz offensichtlicher<br />
Verstöße gegen die<br />
„Sozialklausel“ mit öffentlichen<br />
Mitteln zu subventionieren.<br />
Die Verfassung legt fest, dass die<br />
Genehmigung privater Träger die<br />
Existenz öffentlicher Schulen<br />
nicht gefährden darf. Das basiert<br />
auf der Pflicht des Staates, ein ausreichendes<br />
Angebot wohnortnaher<br />
öffentlicher Schulen bereitzuhalten.<br />
Doch gerade in dünn besiedelten<br />
Gebieten führen Privatschulgründungen<br />
bisweilen dazu,<br />
dass öffentliche Einrichtungen wegen<br />
zu geringer Schülerzahlen geschlossen<br />
werden. Besonders im<br />
Primarbereich ergibt sich <strong>für</strong> den<br />
Schulrechtler daraus die zwingende<br />
Konsequenz, Genehmigungen<br />
<strong>für</strong> private Träger dann nicht zu erteilen,<br />
wenn damit die Existenz einer<br />
öffentlichen Grundschule gefährdet<br />
wird.<br />
In der bildungspolitischen Debatte<br />
spielt die Forderung, Bildungsgutscheine<br />
<strong>für</strong> alle Kinder einzuführen,<br />
eine wichtige Rolle. Die<br />
Privatschullobby und ihre Unterstützer<br />
in CDU und FDP, aber<br />
auch Unternehmervereinigungen<br />
und selbst der Paritätische Wohlfahrtsverband,<br />
argumentieren, ein<br />
Gutscheinsystem unter Einbezug<br />
privater Schulen gebe den Eltern<br />
größere Wahlfreiheit, vermindere<br />
soziale Selektion, fördere Wettbewerb<br />
und Innovationen im Schulsystem.<br />
Avenarius dagegen hat erhebliche<br />
Zweifel an der Verfassungskonformität<br />
der Bildungs-<br />
BILDUNGSPOLITIK<br />
gutscheine. Zum einen würde ein<br />
derartiges System den Privaten eine<br />
finanzielle Gleichbehandlung<br />
bescheren, die weder im Grundgesetz<br />
noch in der laufenden Rechtsprechung<br />
impliziert ist. Zum anderen<br />
würde das Sonderungsverbot,<br />
trotz des Wegfalls materieller<br />
Schranken, weiterhin massiv verletzt.<br />
Denn Privatschulen haben<br />
das verbürgte Recht, über Aufnahme<br />
oder Ablehnung von Schülern<br />
frei zu entscheiden. Erfahrungsgemäß<br />
werden Kinder aus bildungsnahen<br />
Familien bevorzugt.<br />
Die <strong>GEW</strong> stellt weder die Existenzberechtigung<br />
der Privaten,<br />
noch die mitunter sehr gute<br />
pädagogische Qualität der dort geleisteten<br />
Arbeit in Frage. Doch<br />
über die von Avenarius formulierten<br />
Zweifel an der Vereinbarkeit<br />
aktueller Privatschulpraxis mit<br />
dem Grundgesetz hinaus geht es<br />
bei dieser Auseinandersetzung um<br />
<strong>mehr</strong>.<br />
Gewiss, der Wunsch vieler Eltern<br />
nach der „besten Schule <strong>für</strong> ihr<br />
Kind“ ist ein sehr legitimer. Allerdings:<br />
Ein weiterer Boom privater<br />
Bildungsträger birgt auf alle Fälle<br />
die Gefahr, dass öffentliche Einrichtungen<br />
in dünn besiedelten<br />
Regionen von Schließungen bedroht<br />
werden und in Problemkiezen<br />
zu „Restschulen“ verkommen.<br />
Wachsamkeit ist daher geboten gegenüber<br />
den zuständigen Landesbehörden<br />
und ihrer nicht nur verfassungsrechtlich<br />
bedenklichen<br />
Praxis im Umgang mit Privatschulen.<br />
Rainer Balcerowiak,<br />
Redakteur Tageszeitung „Junge Welt“<br />
Privatschulen im Grundgesetz<br />
Artikel 7 (1): „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des<br />
Staates...<br />
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet.<br />
Private Schulen als Ersatz <strong>für</strong> öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung<br />
des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung<br />
ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen<br />
und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung<br />
ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen<br />
und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern<br />
nicht gefördert wird. (...).<br />
(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung<br />
ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder,<br />
auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule,<br />
als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden<br />
soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde<br />
nicht besteht.“<br />
Mit dem<br />
zum Traumhaus:<br />
1. Kostenlos unter<br />
www.epost.de registrieren.<br />
2.<br />
Ein WeberHaus<br />
PlusEnergie im Wert<br />
von 250.000 Euro gewinnen * –<br />
einHaus,das<strong>mehr</strong>Energie<br />
erzeugen kann, als es braucht.<br />
* Gewinnspiel und Teilnahmebedingungen unter www.epost.de
GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />
„Sexueller Missbrauch geht alle an“<br />
Interview mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Christine Bergmann<br />
Foto: imago<br />
Christine<br />
Bergmann<br />
* Bergmann-Empfehlungen<br />
<strong>für</strong> den Runden<br />
Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“:<br />
www.<br />
beauftragte-missbrauch.de/<br />
course/view.php?id=30<br />
E &W: Frau Bergmann, am 24. Mai haben<br />
Sie dem Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“<br />
ihre Empfehlungen* vorgestellt. Mit<br />
welchem Gefühl haben Sie das Gremium verlassen?<br />
Christine Bergmann: Sehr zufrieden.<br />
Ein großer Erfolg ist bereits, dass die Ministerinnen<br />
<strong>für</strong> Bildung, Familie und Justiz<br />
sich eindeutig dazu bekannt haben,<br />
diese Stelle weiterzuführen. Die Opfer<br />
brauchen eine zentrale Anlaufstelle,<br />
von der sie wissen: Dort sitzen Fachkräfte,<br />
die mir glauben und mit meiner Geschichte<br />
umgehen können.<br />
E &W: 15 000 Menschen haben sich in einem<br />
Jahr bei Ihnen gemeldet, eine enorme<br />
Zahl!<br />
Bergmann: Und es werden immer<br />
<strong>mehr</strong>. Allein an dem Tag nachdem wir<br />
unsere Empfehlungen vorgestellt haben,<br />
erreichten uns 850 neue Anrufe.<br />
Viele schreiben auch. Aus vielen Briefen<br />
geht in erschütternder Deutlichkeit hervor,<br />
dass die Betroffenen, häufig nach<br />
Jahrzehnten, erstmals das Gefühl haben:<br />
Da ist jemand, dem ich mich öffnen<br />
kann.<br />
E &W: Sie haben 2000 Briefe persönlich gelesen.<br />
Gibt es so etwas wie eine zentrale Botschaft?<br />
Bergmann: Ja – wie wichtig es ist, dass<br />
die Gesellschaft das Unrecht anerkennt<br />
und lernt, wie lange die Folgeschäden<br />
nachwirken. Wer als Kind sexuell missbraucht<br />
wird, leidet häufig sein Leben<br />
lang: Menschen werden unfähig, Beziehungen<br />
einzugehen, brechen die Schule<br />
oder die Ausbildung ab oder haben so<br />
starke physische und psychische Symptome,<br />
dass sie nicht arbeitsfähig sind.<br />
Das immer wieder zu lesen und zu erkennen,<br />
ist mir sehr nahe gegangen.<br />
Hinter jedem 50-jährigen Mann und jeder<br />
60-jährigen Frau liest man gleichsam<br />
das hilflose Kind. Dem das, was es erlebt<br />
hat, bis heute sehr weh tut – und dem so<br />
lange niemand geglaubt hat.<br />
E &W: Viel spricht da<strong>für</strong>, dass im Anschluss<br />
an Ihre und die Arbeit des Runden Tisches im<br />
kommenden Jahr, ein Aktionsplan erstellt<br />
wird. Was gehört ganz nach oben?<br />
Bergmann: Der Ausbau und die bessere<br />
Vernetzung therapeutischer Angebote.<br />
Insbesondere auf dem Land gibt es viel<br />
zu wenige Therapeutinnen und Therapeuten,<br />
die mit diesen Fällen umgehen<br />
können. Auch <strong>für</strong> Männer, Migrantinnen<br />
und Migranten sowie Menschen<br />
mit Behinderungen gibt es zu wenig Angebote.<br />
Die von den Kassen bewilligten<br />
Therapiestunden reichen nicht aus;<br />
Traumatherapie wird bis heute gar nicht<br />
bezahlt.<br />
E &W: Losgetreten wurde die Debatte durch<br />
Missbrauch an kirchlichen und Reformschulen.<br />
Sind Sie auf weitere Fälle an Schulen gestoßen?<br />
Bergmann: Ja. Etwa jeder dritte Missbrauch,<br />
der uns gemeldet wurde, fand in<br />
einer Institution statt. Unter diesen haben<br />
die Schulen mit 24 Prozent den<br />
zweitgrößten Anteil. Also: Dass sich,<br />
wie neulich bei einer Podiumsdiskussion,<br />
die Leiterin einer Reformschule<br />
zurücklehnt und sagt: „Bei uns gibt es so<br />
etwas nicht. Wir brauchen keine Prävention“,<br />
ist völlig verfehlt. Sexueller Missbrauch<br />
geht alle an – und alle müssen<br />
handeln, auch die Schulen.<br />
Zur Person<br />
Seit März 2010 und noch bis Ende<br />
Oktober dieses Jahres ist Christine<br />
Bergmann (SPD) Unabhängige Beauftragte<br />
zur Aufarbeitung des sexuellen<br />
Kindesmissbrauchs. Nach der<br />
Wende war sie Senatorin <strong>für</strong> Arbeit<br />
und Frauen in Berlin, von 1998 bis<br />
2002 Bundesfamilienministerin.<br />
E &W: Und wie?<br />
Bergmann: Der Beschluss der Kultusminister,<br />
allen Lehrkräften und ehrenamtlich<br />
Tätigen an Schulen ein erweitertes<br />
polizeiliches Führungszeugnis abzuverlangen,<br />
ist ein richtiger Schritt! Das<br />
hat nichts damit zu tun, irgendwen unter<br />
Generalverdacht zu stellen. Wir wissen,<br />
dass Pädophile sich Nischen suchen,<br />
in denen nicht so genau hingeguckt<br />
wird – also ist das Hinsehen, nicht<br />
nur bei der Einstellung, ein ganz wichtiger<br />
Baustein im Schutzkonzept. Aber<br />
natürlich spielen Schulen und Kindertagesstätten<br />
noch aus einem anderen<br />
Grund eine immense Rolle. Sie sind<br />
häufig die ersten, die von sexuellem<br />
Missbrauch in den Familien erfahren,<br />
wenn es ihnen gelingt, ein Klima zu<br />
schaffen, in dem offen geredet wird. Das<br />
bedeutet aber auch, dass Lehrerinnen<br />
und Lehrer darauf vorbereitet sein müssen.<br />
Sie müssen mindestens wissen, wo<br />
die nächste Beratungsstelle ist und wo<br />
sie professionelle Hilfe bekommen. Dazu<br />
brauchen sie Fortbildung.<br />
E &W: Alle 900000 Lehrkräfte in Deutschland<br />
– oder je ein Spezialist an den 40000<br />
Schulen?<br />
Bergmann: Alle! Ein Kind wendet sich<br />
nicht unbedingt an die Vertrauenslehrkraft<br />
– sondern an eine Pädagogin oder<br />
einen Pädagogen, dem es vertraut. Das<br />
ist nicht einfach zu realisieren. Die Beratungsstellen<br />
sind schon jetzt völlig ausgebucht,<br />
nicht zuletzt, weil sich so viele<br />
Schulen bei ihnen melden, die etwas begriffen<br />
haben.<br />
E &W: Sie sprechen sich <strong>für</strong> eine Anzeigepflicht<br />
der Institutionen aus. Heißt das:<br />
Wenn ein Lehrer etwas erfährt, muss er zur<br />
Polizei?<br />
Bergmann: Ich bin nicht generell <strong>für</strong> eine<br />
Anzeigepflicht! Die Frage, in welcher<br />
Lage das Kind ist, muss vor einer Anzeige<br />
entscheidend bleiben. Aber es kann<br />
nicht in unserem Interesse sein, dass die<br />
Täter weiter ungeschoren davonkommen.<br />
Also muss es vor allem <strong>für</strong> die Opfer<br />
leichter werden, ein Verfahren durchzustehen.<br />
Ganz wichtig da<strong>für</strong> ist, den<br />
Opferschutz zu verbessern. Dazu gehört<br />
zum Beispiel, dass Opfer vor Gericht<br />
nicht immer wieder, sondern nur<br />
einmal, höchstens zweimal, vernommen<br />
werden. Auch Videovernehmungen<br />
– die es im Prinzip längst gibt – müssen<br />
weitere Verbreitung finden. Dass sie<br />
teurer sind, kann angesichts der Belastung,<br />
dem Täter im Gerichtssaal zu begegnen,<br />
kein Argument sein. Auch vor<br />
und im Gerichtsverfahren müssen Begleitung<br />
und Beratung verbessert werden.<br />
E &W: Die Opfer verjährter Taten sollen – so<br />
Ihre Empfehlung – von den <strong>für</strong> ihren Missbrauch<br />
verantwortlichen Institutionen entschädigt<br />
werden. Sie nennen aber keine konkrete<br />
Summe. Warum nicht?<br />
Bergmann: Weil keine Summe, die ich<br />
nennen könnte, gut machen kann, was<br />
die Opfer erlitten haben. Mein Vorschlag<br />
ist, sich an der Höhe des Schmerzensgeldes,<br />
die vor Gericht zu erzielen<br />
gewesen wäre, zu orientieren. Mir<br />
scheint das sinnvoller als eine pauschale<br />
Summe zu nennen.<br />
Interview: Jeannette Goddar,<br />
freie Journalistin<br />
Die Anlaufstelle ist unter der Telefonnummer<br />
0800-225 5530 kostenfrei<br />
zu erreichen.<br />
30 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
HOCHSCHULE<br />
Wird aus dem Albtraum mal ein Traumjob?<br />
<strong>GEW</strong>-Kommentar: Das Templiner Manifest wirkt<br />
83 Prozent der knapp 150 000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen<br />
Zeitvertrag, über die Hälfte mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr. Diese Zahlen aus dem<br />
Bericht zur Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (siehe E&W 5/2011) kann niemand<br />
<strong>mehr</strong> rechtfertigen: Immer größer wird die Kluft zwischen dem Gerede von exzellenter Forschung<br />
und Lehre auf der einen und unzumutbaren Beschäftigungsbedingungen <strong>für</strong> das wissenschaftliche<br />
Personal auf der anderen Seite. Immer deutlicher wird der Schaden <strong>für</strong> die Attraktivät<br />
des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung im Wettbewerb mit Arbeitgebern im Ausland oder<br />
in der Wirtschaft. Und immer lauter wird der Ruf nach einer Reform der Personalstruktur und<br />
Karrierewege in der Wissenschaft: Das zeigen die <strong>mehr</strong> als 7000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner<br />
des Templiner Manifests (www.templiner-manifest.de).<br />
Nicht nur die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind alarmiert, auch die Politik<br />
reagiert. Das zeigen parlamentarische Anträge, in denen sich die Bundestagsfraktionen der<br />
Grünen und Linken <strong>für</strong> bessere Arbeitsverhältnisse und Perspektiven an Hochschulen stark machen.<br />
Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) hat außerdem eine<br />
Bundesratsiniative angekündigt. Damit wird die Frage, wie aus dem Albtraum Wissenschaft<br />
ein Traumjob werden kann, im Herbst das politische Berlin beschäftigen.<br />
Das Templiner Manifest wirkt auch in den Ländern. „Gute Arbeit an den Hochschulen“ lautet etwa<br />
die Überschrift eines ganzen Abschnitts in der Koalitionsvereinbarung von Grünen und SPD<br />
in Baden-Württemberg. Die beiden Regierungsparteien streben an, „innerhalb der nächsten fünf<br />
Jahre die Zahl unbefristeter Mittelbaustellen an den Hochschulen zu erhöhen“. Weiter heißt es:<br />
„Wissenschaftliche Karrieren müssen auch ohne eine angestrebte Professur möglich sein.“ Solche<br />
Aussagen sind deutlich von den Forderungen des Templiner Manifests inspiriert. Ähnliche Vereinbarungen<br />
haben SPD und Grüne in Rheinland-Pfalz getroffen.<br />
Es kommt jetzt darauf an, den frischen Wind des Templiner Manifests in weitere Länder zu tragen,<br />
in denen Wahlen bevorstehen. Und nach Bonn, wo die Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK) residiert. Diese hat der <strong>GEW</strong> zwar attestiert, ein wichtiges Thema angesprochen zu haben.<br />
Aber inhaltlich hat sich die HRK bisher nicht positioniert. Gute Wissenschaft und gute Arbeit<br />
sind zwei Seiten einer Medaille – diesem einfachen Zusammenhang werden sich auf Dauer auch<br />
die Arbeitgeber nicht verschließen können.<br />
Andreas Keller, Leiter des <strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Hochschule und Forschung<br />
„Lizenz zum Befristen“<br />
Stimmen aus der Bundespolitik vom 2. Follow-Up-Kongress zum Templiner Manifest Ende Mai in Berlin<br />
„Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zeigt, dass sich das Gesetz grundsätzlich bewährt hat. Deshalb<br />
möchte ich nicht alles ändern, aber über punktuelle Verbesserungen diskutieren.“ (Stefan Kaufmann, MdB, CDU/CSU)<br />
„Die SPD fordert ein Personalaufbauprogramm <strong>für</strong> die Hochschulen von Bund und Ländern, das insbesondere auch<br />
1000 zusätzliche Juniorprofessuren vorsieht. Zudem sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer wie überall sonst auch mit<br />
Tarifverträgen von den Bestimmungen abweichen können, wenn sie es wollen. Die im Gesetz enthaltene Tarifsperre ist<br />
ein Fossil und gehört abgeschafft.“ (Ernst-Dieter Rossmann, MdB, SPD)<br />
„Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz war ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn es bedeutet die Anpassung der<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen an die wirklichen Bedürfnisse der Wissenschaft. Mittelfristig be<strong>für</strong>worten wir jedoch<br />
einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag.“ (Martin Neumann, MdB, FDP)<br />
„Wir wollen eine bessere Absicherung der Grundfinanzierung von Hochschulen über eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe.<br />
Zudem sollte es ein Anschubprogramm <strong>für</strong> 10 000 Tenure-Track-Stellen an den Hochschulen geben, um<br />
Wissenschaft als Beruf neben der Professur wieder zu ermöglichen.“ (Petra Sitte, MdB, Die Linke)<br />
„Die Aufhebung der Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist eine wichtige Maßnahme, um Fehlentwicklungen<br />
in den Personalstrukturen der Hochschulen entgegen zu wirken. Sie alleine wird aber <strong>für</strong> <strong>mehr</strong> Dauerstellen und die<br />
Neujustierung der Personalstrukturen nicht ausreichen.“ (Krista Sager, MdB, Bündnis 90/Die Grünen)<br />
Die Statements wurden aufgezeichnet von Roland Koch, Redaktion DUZ<br />
Foto: Kay Herschelmann<br />
Andreas Keller<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 31
HOCHSCHULE<br />
Ist <strong>mehr</strong> Härte<br />
gegenüber jeglicher<br />
Form von<br />
Unehrlichkeit im<br />
Wissenschaftsbetrieb<br />
der richtige<br />
Weg?<br />
Den Wissenschaftsblog<br />
von Anatol Stefanowitsch<br />
finden Sie unter<br />
www.wissenslogs.de/<br />
wblogs/blog/sprachlog/<br />
kultur/2011-03-02/<br />
ehrlichkeit-in-derwissenschaft-mein-epilog<br />
Foto: imago<br />
„Studentische Plagiate<br />
werden nicht bestraft“<br />
Über Abkupfern und Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb<br />
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU),<br />
die FDP-Politiker Silvana Koch-<br />
<strong>Mehr</strong>in und Jorgo Chatzimarkakis –<br />
alle drei haben sich mit unseriöser wissenschaftlicher<br />
Arbeit um ihre Ämter<br />
gebracht. Im Prinzip nichts Neues:<br />
Solche Fälle gab es auch in der Vergangenheit.<br />
Doch jetzt ist die Debatte um<br />
ehrliche Wissenschaft neu entbrannt.<br />
Sogar Albert Einstein war<br />
beeindruckt. Der Nobelpreisträger<br />
hatte 1926 zwei<br />
neue und höchst komplizierte<br />
Experimente zur Natur<br />
der Lichtstrahlen erdacht,<br />
konnte sie aber aus technischen<br />
Gründen nicht umsetzen, sondern nur<br />
theoretisch beschreiben. Doch schon<br />
drei Monate später veröffentlichte ein<br />
bis dahin unbekannter junger Physiker<br />
namens Emil Rupp seine Habilitationsschrift,<br />
in der er Einsteins These vom<br />
Wellencharakter bestätigte und die<br />
Durchführung der beiden Experimente<br />
schilderte. Rupp, der nicht einmal an einer<br />
Universität, sondern im Berliner<br />
AEG-Forschungslabor arbeitete, landete<br />
damit einen echten wissenschaftlichen<br />
Coup. Doch bald tauchten Zweifel<br />
an der Arbeit auf, und der Münchner<br />
Professor Wilhelm Wien, ebenfalls ein<br />
Physik-Nobelpreisträger, beauftragte<br />
zwei Mitarbeiter damit, Rupps Experimente<br />
nachzuvollziehen.<br />
Vier Jahre probierten sie herum, dann<br />
gaben sie frustriert auf. „Undurchführbar“<br />
sei Einsteins Versuchsanordnung,<br />
lautete ihr vernichtendes Fazit. Rupps<br />
Ergebnisse seien damit „wertlos“, weil<br />
sie nicht wiederholt werden konnten –<br />
ein spektakulärer Fälschungsvorwurf,<br />
der auf große öffentliche Resonanz<br />
stieß. Rupp konterte kurz darauf mit der<br />
Veröffentlichung von Fotos, die den<br />
Versuchsaufbau zeigten. Für die Münchner<br />
Forscher um Wien war das der<br />
Anlass, noch einmal ins Labor zu gehen<br />
und den Aufbau nachzustellen. „Dabei<br />
machten sie eine sehr überraschende<br />
Entdeckung“, schreibt der Wissenschaftsjournalist<br />
Heinrich Zankl in seinem<br />
Buch „Fälscher, Schwindler, Scharlatane<br />
– Betrug in Forschung und Wissenschaft“*:<br />
„Sie konnten feststellen,<br />
dass Einstein bei der Darstellung der<br />
Versuchsanordnung ein kleiner Fehler<br />
unterlaufen war.“ Allerdings ein folgenschwerer:<br />
Der berühmte Physiker hatte<br />
versehentlich einen Spiegel falsch herum<br />
angeordnet – und Rupp hatte sich<br />
genau an diesen falschen Aufbau gehalten<br />
und angeblich trotzdem die richtigen<br />
Ergebnisse erzielt. Als die Forscher<br />
weitersuchten, stießen sie noch auf andere,<br />
ebenfalls erfundene Arbeiten des<br />
Berliner Physikers.<br />
Sensibilität gestärkt<br />
Schon vor rund 80 Jahren also war Ehrlichkeit<br />
in der Wissenschaft ein Thema –<br />
und schon damals mussten Wissenschaftler<br />
<strong>für</strong> Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb<br />
kämpfen. „Heute ist die<br />
Sensibilität natürlich um ein Vielfaches<br />
höher“, sagt Matthias Kleiner, Präsident<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG): „Die ‚Regeln guter wissenschaftlicher<br />
Praxis‘, die wir vor einigen Jahren<br />
entworfen haben, haben bewirkt, dass<br />
heute an allen Hochschulen Ombudsgremien<br />
existieren. Diese haben die Sensibilität<br />
bei den Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern <strong>für</strong> ehrliches Arbeiten<br />
in der Forschung – insbesondere<br />
bei den Nachwuchskräften – deutlich<br />
gestärkt.“ Er glaube trotz der spektakulären<br />
Fälle in den vergangenen Monaten<br />
nicht, dass es <strong>mehr</strong> Plagiatoren und<br />
Betrüger als früher gebe, so Kleiner:<br />
„Nicht die Zahl der Fälle wird größer,<br />
sondern es wird genauer hingeschaut –<br />
und damit steigt die Zahl der bekannt<br />
gewordenen Fälle.“<br />
Internet verantwortlich?<br />
Eine These, die auch Johannes Moes <strong>für</strong><br />
plausibel hält. Er ist Mitglied der <strong>GEW</strong>-<br />
Projektgruppe Doktoranden und macht<br />
neben der größer gewordenen Sensibilität<br />
auch das Internet <strong>für</strong> die steigende<br />
Zahl von Plagiatsfällen verantwortlich:<br />
„Solche Unehrlichkeiten sind mittlerweile<br />
viel leichter zu recherchieren und aufzudecken.“<br />
Gleichwohl ist sich Moes<br />
nicht sicher, welche Folgen der Guttenberg-Skandal<br />
<strong>für</strong> die Ehrlichkeits-Debatte<br />
unter Nachwuchswissenschaftlern hat:<br />
„Hier hat ja jemand plagiiert, der gerade<br />
32 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
HOCHSCHULE<br />
nicht als Beispiel <strong>für</strong> die Arbeitssituation<br />
junger Forscherinnen und Forscher<br />
taugt.“ Anders als der CSU-Politiker<br />
Guttenberg seien viele Nachwuchskräfte<br />
an den Unis und Fachhochschulen in<br />
schwierigen Arbeitsverhältnissen gefangen:<br />
kurze Vertragslaufzeiten, schlechte<br />
finanzielle Absicherung, eine höchst unsichere<br />
berufliche Perspektive – und das<br />
alles eingebettet in oftmals stark hierarchische<br />
Strukturen. „Wer forscht, steht da<br />
schon öfter vor der Frage, wie er es zum<br />
Beispiel mit Selbstzitaten oder der Autorennennung<br />
höherrangiger Kolleginnen<br />
und Kollegen hält“, sagt Moes. Über<br />
Redlichkeit und Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb,<br />
so sehen es jedenfalls viele<br />
Betroffene, kann in stressigen Alltagssituationen<br />
nicht unbedingt jedes Mal neu<br />
und ausgiebig diskutiert werden.<br />
„Milder Umgang“<br />
Genau das aber fordert Anatol Stefanowitsch,<br />
Professor in Hamburg. In seinem<br />
Wissenschaftsblog setzt er sich radikal<br />
da<strong>für</strong> ein, den Umgang mit Plagiaten<br />
schon bei Studierenden ganz anders zu<br />
handhaben als bisher. „Plagiate und Datenfälschung<br />
sind in der Wissenschaft<br />
eine Todsünde“, schreibt Stefanowitsch,<br />
„aber dort, wo wir den Grundstein <strong>für</strong><br />
diese wissenschaftliche Ehrlichkeit legen<br />
müssten – bei den Studierenden –<br />
gehen wir trotz des Eindrucks, der in der<br />
öffentlichen Diskussion um Guttenberg<br />
entstanden sein mag, mit Plagiaten sehr<br />
milde um.“ Solange es nicht um Examensarbeiten<br />
geht, habe man kaum eine<br />
Handhabe, so der Sprachwissenschaftler:<br />
„Die schmutzige Wahrheit ist<br />
die: Plagiate werden nicht bestraft. Mir<br />
ist keine deutsche Universität bekannt,<br />
an der ein studentisches Plagiat unterhalb<br />
der Abschlussarbeit zu irgendeiner<br />
Strafmaßnahme, geschweige denn zu einer<br />
Exmatrikulation führt.“<br />
<strong>Mehr</strong> Härte?<br />
Ist <strong>mehr</strong> Härte gegenüber jeglicher<br />
Form von Unehrlichkeit also der richtige<br />
Weg? Müssen Hochschulen, wie es<br />
die Berliner Humboldt-Universität angekündigt<br />
hat, zukünftig jede Examensarbeit<br />
als digitale Datei anfordern, um<br />
sie dann von Suchmaschinen auf Plagiate<br />
hin untersuchen zu lassen? Vielleicht<br />
kann das helfen – doch es gebe, sagt<br />
<strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied Andreas Keller,<br />
noch andere Stellschrauben, an denen<br />
im Wissenschaftssystem gedreht werden<br />
kann. Der Hochschulexperte erinnert<br />
daran, dass Guttenberg während der<br />
Promotion offenbar jahrelang unbetreut<br />
„vor sich hinwurschteln“ konnte:<br />
„Da muss man sich ja schon fragen, ob<br />
die Universität ihrer Verantwortung<br />
nachgekommen ist.“ Bessere Strukturierung<br />
von Qualifikationsprozessen und<br />
eine bessere Betreuung der Promovierenden<br />
seien hier wesentliche gewerkschaftliche<br />
Forderungen. Eine Mitschuld<br />
an der Entwicklung gibt der<br />
Gewerkschafter aber auch den hochschulpolitischen<br />
Rahmenbedingungen.<br />
„Denn die Unis folgen immer öfter dem<br />
Prinzip ‚Höher-schneller-weiter‘. Durch<br />
die Wettbewerbs-Ausrichtung und die<br />
leistungsorientierte Mittelvergabe ist<br />
der Druck auf die Hochschulen enorm<br />
gestiegen“, so Keller. Ein Druck, der in<br />
den Wissenschaftshierarchien nach unten<br />
durchgereicht werde, bis er bei den<br />
Doktoranden angekommen sei.<br />
Um so ermutigender ist, dass es letztlich<br />
doch die Wissenschaft selber war, die in<br />
der Causa Guttenberg den entscheidenden<br />
Impuls gab. „Ich hätte nie und nimmer<br />
erwartet, dass der Offene Brief der<br />
Doktorandinnen und Doktoranden eine<br />
solche politische Wucht entfalten<br />
würde“, sagt Moes. Rund 60000 Unterzeichner<br />
forderten darin das Festhalten<br />
an wissenschaftsethischen Prinzipien<br />
wie Ehrlichkeit – und zwangen den plagiierenden<br />
Verteidigungsminister damit<br />
schließlich zum Rücktritt. Der flapsige<br />
Spruch von Kanzlerin Angela Merkel<br />
(CDU), sie habe Guttenberg als Verteidigungsminister<br />
und nicht als wissenschaftliche<br />
Hilfskraft eingestellt, wirkte<br />
unter den Akademikern wie eine Initialzündung<br />
<strong>für</strong> weiteren Protest – und<br />
sorgte <strong>für</strong> zum Teil heftige Debatten darüber,<br />
wie man denn nun mit der Frage<br />
von Ehrlichkeit und Betrug in den eigenen<br />
Reihen umgehen sollte.<br />
Kurioser Fall<br />
Eine Diskussion, die, wie gesagt, nicht<br />
neu ist. Als Emil Rupp 1935 als Wissenschaftsbetrüger<br />
entlarvt wurde, machte<br />
er der Affäre schließlich selber ein Ende:<br />
1935 veröffentlichte der Physiker in den<br />
„Annalen der Physik“ ein Gutachten des<br />
Berliner Psychiaters Victor Emil Freiherr<br />
von Gebsattel, das ihm einen „mit psychogenen<br />
Dämmerzuständen verbundenen<br />
seelischen Schwächezustand“ bescheinigt:<br />
„Während dieser Erkrankung<br />
und durch sie bestimmt, hat er, ohne<br />
sich dessen bewußt zu sein, Mitteilungen<br />
über physikalische Phänomene (Positronen,<br />
Atomzertrümmerung) veröffentlicht,<br />
die den Charakter von ‚Fiktionen‘<br />
an sich tragen. Es handelt sich um<br />
den Einbruch von traumartigen Zuständen<br />
in das Gebiet seiner Forschertätigkeit.“<br />
Ein spektakulärer Schlusspunkt<br />
unter einen kuriosen Fall.<br />
Armin Himmelrath, freier Journalist<br />
Fotos: dpa<br />
Haben sich mit unseriöser wissenschaftlicher<br />
Arbeit um ihre Ämter gebracht:<br />
Jorgo<br />
Chatzimarkakis<br />
(FDP)<br />
Silvana<br />
Koch-<strong>Mehr</strong>in<br />
(FDP)<br />
Karl-Theodor<br />
zu Guttenberg<br />
(CSU)<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 33
FAIR CHILDHOOD – BILDUNG STATT KINDERARBEIT<br />
„Vielleicht hipp<br />
und chic“, aber sicherlich<br />
nicht<br />
„fair“ – die Kleiderschnäppchenangebote<br />
bei Tchibo,<br />
Kik, Aldi, Lidl<br />
& Co. Sie werden<br />
in Manufakturen<br />
in Indien oder<br />
Pakistan hergestellt,<br />
in denen<br />
häufig auch Minderjährige<br />
arbeiten.<br />
Zum Welttag der Kinderarbeit<br />
am 12. Juni<br />
2011 veröffentlichten<br />
Kultusministerkonferenz<br />
(KMK), Verband<br />
Bildung und Erziehung<br />
(VBE), Bundesverband<br />
der Lehrerinnen und<br />
Lehrer an beruflichen<br />
Schulen (BLBS) und<br />
Gewerkschaft Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
(<strong>GEW</strong>) eine gemeinsame<br />
Erklärung, die Sie<br />
auf der <strong>GEW</strong>-Website<br />
unter<br />
www.gew.de/<br />
Gemeinsame_<br />
Erklaerung_KMK_VBE<br />
_BLBS_und_<strong>GEW</strong>.html<br />
finden.<br />
* Literatur-Tipp:<br />
„Fair einkaufen – aber<br />
wie?“ von Martina Hahn<br />
und Frank Herrmann;<br />
Verlag Brandes & Apsel,<br />
Frankfurt a.M., 2. Auflage<br />
2010. 248 Seiten,<br />
19,90 Euro<br />
Fotos: imago<br />
Hipp, chic – und fair<br />
So können Verbraucher Kleidung ohne Kinderarbeit erkennen<br />
Wer den Laden Glore betritt, glaubt<br />
sich zunächst in einer der vielen Boutiquen,<br />
die – sehr chic, sehr stylish –<br />
vor allem Teenager ansprechen wollen.<br />
An den schwarzen Stangen vor weiß<br />
getünchter Wand hängen hippe Klamotten,<br />
Kollektionen junger, erfolgreicher<br />
Designer-Marken wie Armedangels<br />
oder Kuyichi. Glore ist hip – und<br />
dennoch anders: Am Schaufenster des<br />
Ladens unweit der Nürnberger<br />
Fußgängerzone klebt das Fairtrade-<br />
Siegel.<br />
Glore (www.glore.de) bietet<br />
faire und ökologisch produzierte<br />
Shirts, Jeans oder<br />
Stiefel an. Die Mode, die<br />
Bernd Hausmann, Inhaber<br />
des Ethik-Fashion-Ladens,<br />
verkauft, besteht ausschließlich<br />
aus fair erzeugter Baumwolle, welche<br />
die Fairtrade Labelling Organizations<br />
International – kurz FLO – oder eine andere<br />
unabhängige Organisation zertifizieren<br />
lässt. Auch <strong>für</strong> die weitere Produktionskette<br />
schließt Hausmann Kinderarbeit<br />
und miese Entlohnung aus.<br />
Auf seiner Website wirbt er damit, dass<br />
„fair <strong>mehr</strong> ist als ein Verkaufsargument –<br />
nämlich ein handfester Bestandteil der<br />
täglichen Produktion“. Im Gespräch findet<br />
er einfachere Worte: „Style und Optik<br />
sind wichtig, aber der Respekt vor<br />
den Menschen, die das Teil produzieren,<br />
darf trotzdem nicht fehlen.“ Er erzählt,<br />
dass er irgendwann einfach an den<br />
Punkt gekommen sei, an dem er mit seinem<br />
Konsumverhalten „niemandem<br />
<strong>mehr</strong> schaden wollte“.<br />
Neue, junge ethische Fashion-Labels<br />
von Designern und Streetwear-Händlern<br />
wie Glore oder Ghetto Deluxe, die<br />
sich Richtung Fairtrade bewegen,<br />
schießen hierzulande wie Pilze aus dem<br />
Boden. In Großbritannien oder in den<br />
USA haben sie sich bereits fest am<br />
Markt etabliert.<br />
Dort, sagt Anton Jurina, Designer des<br />
Kölner Labels Armedangels, „muss man<br />
vielen Kunden das Prinzip von fairer<br />
Mode nicht <strong>mehr</strong> erklären“. Die Konsumenten<br />
ziehen mit – aufgeschreckt<br />
durch Berichte über verheerende Arbeitsbedingungen,<br />
Kinderarbeit und<br />
massives Lohndumping in den Zulieferfabriken<br />
in Billiglohnländern wie China<br />
oder Bangladesch, aber auch der Türkei.<br />
In diesen Staaten werden heute 95 Prozent<br />
der hierzulande angebotenen Textilien<br />
hergestellt. Nach Angaben der<br />
„Kampagne <strong>für</strong> Saubere Kleidung“ bleiben<br />
den Nähern im Erzeugerland gerade<br />
mal ein bis zwei Prozent des Endverkaufspreises,<br />
den der Käufer in Deutschland<br />
etwa <strong>für</strong> das Paar Markensportschuhe<br />
auf den Ladentisch legt – das<br />
sind bei einem 100-Euro-Schuh ein bis<br />
zwei Euro. Der Großteil der Erlöse<br />
fließt an die Auftraggeber: Markenartikler<br />
und Handelskonzerne mit Sitz in<br />
Europa, Japan oder den USA.<br />
Gerade die unschlagbar billigen<br />
Schnäppchen und Sonderaktionen bei<br />
Kik, Tchibo, Aldi, Lidl & Co., aber auch<br />
das Gros teurer Marken-, Sport- und<br />
Outdoor-Artikeln wird heute größtenteils<br />
in einem Sweatshop in China, Indien,<br />
Bangladesch, Pakistan, Indonesien,<br />
Nicaragua, Bolivien oder Vietnam hergestellt.<br />
Tausende solcher Fabriken gibt<br />
es im asiatischen Raum, Lateinamerika<br />
und – mit abnehmender Tendenz – in<br />
Osteuropa. Sweatshops sind Manufakturen,<br />
in denen Menschen zu Niedrigstlöhnen<br />
und unter schlimmen Arbeitsbedingungen<br />
schuften – darunter häufig<br />
auch Minderjährige.<br />
Öko ist nicht gleich fair<br />
Doch woran erkennt der Kunde im Laden,<br />
ob das T-Shirt sozialverträglich<br />
und ohne Kinderarbeit hergestellt wurde?<br />
Kaum eine Verkäuferin wird ihm<br />
darüber Auskunft geben können – Armut<br />
und Ausbeutung stehen nicht auf<br />
dem Etikett. Auch das Öko-Label auf<br />
dem T-Shirt sagt wenig aus: Zwar haben<br />
etliche herkömmliche Anbieter wie<br />
H&M, Otto oder Levis inzwischen auch<br />
eine Natur-Kollektion auf den Markt<br />
gebracht. Doch nicht jede Öko-Mode<br />
ist automatisch auch fair erzeugt.<br />
Im Gegenteil: Viele Kleidungsstücke<br />
aus Bio-Baumwolle werden wie jedes andere<br />
konventionell gefertigte Kleidungsstück<br />
unfair zusammengenäht<br />
und gehandelt. Diese Mode ist dann<br />
zwar chemisch rückstandsfrei, aber unter<br />
Umständen sozial belastet. Hinzu<br />
kommt, dass die großen Modehäuser<br />
zumeist nur einzelne Teile aus Bio-<br />
Baumwolle in ihr Sortiment aufgenommen<br />
haben. Diesen Punkt kritisiert<br />
denn auch Berndt Hinzmann von der Organisation<br />
Inkota in Berlin: „Es kann<br />
doch nicht darum gehen, <strong>für</strong> einzelne<br />
ausgezeichnete Kleidungsstücke oder<br />
Teile der Produktionskette eine saubere<br />
Produktion nachzuweisen, während andere<br />
Produkte der gleichen Firma unter<br />
unwürdigen Bedingungen hergestellt<br />
werden.“<br />
34 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
FAIR CHILDHOOD – BILDUNG STATT KINDERARBEIT<br />
Echte faire Mode oder zumindest<br />
Baumwolle aus Fairem Handel<br />
hingegen ist derzeit noch nicht so<br />
leicht im Laden zu finden. Die<br />
beste Orientierung bietet dem<br />
Kunden bislang das Siegel „Fairtrade<br />
Certified Cotton“ von Trans-<br />
Fair, der deutschen Siegelorganisation<br />
des Fairen Handels. Es haftet<br />
an Jeans, T-Shirts, Taschen oder<br />
Bettlaken aus Baumwolle und garantiert<br />
dem Verbraucher, dass der<br />
Bauer <strong>für</strong> seine Baumwollernte einen<br />
fairen Mindestpreis bekommen<br />
hat, der über dem Weltmarktpreis<br />
liegt, sowie einen Fairtrade-<br />
Aufschlag <strong>für</strong> soziale Projekte wie<br />
Schulen oder Hospitäler. Kinderarbeit<br />
auf den Plantagen der Trans-<br />
Fair-Partner ist verboten.<br />
Dass Kunden T-Shirts oder Hemden<br />
aus Bio- oder Fairtrade-zertifizierter<br />
Baumwolle kaufen, hilft<br />
den Baumwoll-Bauern und den<br />
Böden in den meist bitterarmen<br />
Produzentenländern. Der Anbau<br />
der sehr schädlingsanfälligen Pflanze<br />
gehört zu den umweltbelastensten<br />
Wirtschaftszweigen überhaupt:<br />
Er verbraucht viel Wasser<br />
und lässt als Monokultur Landstriche<br />
veröden. Hinzu kommt, dass<br />
im konventionellen Baumwollanbau<br />
jede Menge Kunstdünger, Insektizide<br />
und Fungizide eingesetzt<br />
werden. Auf den Plantagen in Burkina<br />
Faso, Pakistan oder Indien<br />
schuften häufig auch Kinder und<br />
Minderjährige. Sie und andere<br />
Baumwoll-Pflanzer und -Pflücker<br />
erhalten oft nicht einmal Anzüge,<br />
Brillen oder Atemmasken zum<br />
Schutz gegen die Chemiekeule.<br />
Viel<strong>mehr</strong> rühren sie die giftige<br />
Brühe mit nackten Armen an – um<br />
sie dann mit Handpumpen zu versprühen.<br />
Nicht alles ist Fairtrade<br />
Was Verbraucher allerdings wissen<br />
müssen ist, dass in der Regel nur<br />
die Rohbaumwolle und der Handel<br />
mit ihr, nicht aber das fertige<br />
Kleidungsstück zertifiziert werden.<br />
Das heißt: Auch das Fairtrade-Gütezeichen<br />
auf dem Hosenanzug<br />
garantiert dem Käufer keineswegs,<br />
dass das Stück in der<br />
nachfolgenden Wertschöpfungskette,<br />
also in der Spinnerei, Näherei<br />
oder bei den Konfektionären,<br />
fair weiterverarbeitet worden ist.<br />
Dies zu kontrollieren sei leider<br />
„fast unmöglich“, schreibt das Magazin<br />
Ökotest – zu unübersichtlich<br />
sei die Lieferkette in der globalen<br />
Textilbranche. Schließlich hat ein<br />
T-Shirt, bis es auf dem Ladentisch<br />
liegt, oft <strong>mehr</strong>ere zehntausend Kilometer<br />
zurückgelegt.<br />
Ein Fairtrade-Siegel nicht nur <strong>für</strong><br />
die rohe Baumwolle, sondern<br />
auch <strong>für</strong> das fertige Kleidungsstück<br />
wird es von TransFair und<br />
anderen Organisationen daher in<br />
naher Zukunft nicht geben – „zu<br />
schwierig sind die Bedingungen<br />
<strong>für</strong> den Fairen Handel auf dem<br />
Textilien-Massenmarkt“, räumt<br />
Maren Richter von TransFair ein.<br />
Der Verein verlangt allerdings von<br />
den Herstellern und Händlern,<br />
mit denen er kooperiert, dass sich<br />
die restlichen Beteiligten der Lieferkette<br />
zumindest an die Kernarbeitsnormen<br />
der Internationalen<br />
Arbeitsorganisation (ILO) halten.<br />
Und die verbieten Kinderarbeit.<br />
Martina Hahn, Redakteurin<br />
der „Sächsischen Zeitung“<br />
Mode aus fair gehandelter Baumwolle<br />
Eine Liste der Firmen, die Textilien aus Fairtrade-zertifizierter<br />
Baumwolle anbieten, findet sich im Internet<br />
unter www.fairtrade-deutschland.de unter der Rubrik<br />
„Produkte“. Weitere Anbieter fairer Mode sind<br />
u.a. Kuyichi, Armedangels, Gardeur, Glore, Katherine<br />
Hamnett und People-Tree.<br />
* Die unabhängige Non-Profit-Organisation Fair<br />
Wear Foundation (FWF) nennt auf ihrer Website www.fairwear.org<br />
Textilfirmen wie Hess Natur oder Outdoor-Ausrüster wie Mammut<br />
oder Jack Wolfskin, die ihre faire Produktion durch unabhängige Dritte<br />
kontrollieren lassen. Der FWF-Kodex gilt als einer der strengsten in<br />
der Textilbranche.<br />
* In Weltläden (www.weltlaeden.de) bieten etwa Gepa, El Puente und<br />
kleine Anbieter faire Textilien an.<br />
* Weitere Infos: Kampagne <strong>für</strong> Saubere Kleidung (www.saubere-kleidung.de)<br />
sowie Südwind Institut Siegburg (www.suedwind-institut.de)<br />
Ja,<br />
Schuften<br />
<strong>für</strong> 50 Cent<br />
am Tag!<br />
Kinderarbeit ist ein Armutszeugnis –in<br />
doppelter Hinsicht. Sie ist Zeugnis von Armut.<br />
Vor allem aber ist sie ein Armutszeugnis <strong>für</strong><br />
die internationale Gemeinschaft.<br />
Machen Sie mit. Werden Sie Förderer<br />
und Förderin von Fair Childhood –<br />
<strong>GEW</strong>-Stiftung Bildung statt Kinderarbeit<br />
Spendenkonto: Bank <strong>für</strong> Sozialwirtschaft,<br />
Konto-Nr. 375 188 0 188, BLZ 700 20 500<br />
www.fair-childhood.eu<br />
ich möchte <strong>mehr</strong> Informationen zu Fair Childhood,<br />
bitte senden Sie mir weitere Informationen.<br />
...................................................................................................................<br />
Vorname / Name<br />
...................................................................................................................<br />
Straße / Hausnummer<br />
...................................................................................................................<br />
PLZ / Stadt<br />
...................................................................................................................<br />
e-Mail<br />
fair<br />
childh<br />
<strong>GEW</strong>-Stiftung<br />
Bildung statt Kinderarbeit<br />
Fair Childhood<br />
<strong>GEW</strong>-Stiftung<br />
Bildung statt Kinderarbeit<br />
Kontakt: Sabine Niestroj<br />
Reifenberger Straße 21<br />
d<br />
...................................................................................................................<br />
Datum / Unterschrift<br />
60489 Frankfurt am Main
LESERFORUM<br />
„Kein Parteigezänk“<br />
(E&W 4/2011, Seite 26: „Deutschland<br />
hat eine Technikfeindlichkeit“)<br />
Unterschiedliche Standpunkte<br />
zwischen <strong>GEW</strong> und Lehrkräften<br />
an der pädagogischen Front einerseits<br />
und der Wirtschaft andererseits<br />
zeigen Widersprüche auf und<br />
regen an, nach neuen Lösungen<br />
zu suchen. Feindbilder werfen<br />
aber wohl eher Gräben auf, als<br />
zum konstruktiven Dialog zu ermutigen.<br />
Vielleicht ist dem Bürger, der am<br />
Morgen seinen Kaffee bereits<br />
während der Rasur im Bad vom<br />
vorprogrammierten Hi-Tech-Kaffeeautomaten<br />
serviert bekommt,<br />
dessen Waschmaschine zu Hause<br />
schon von der Arbeitsstelle aus<br />
per Handy gestartet wird und dessen<br />
Auto ihn per Mikrocomputer<br />
automatisch warnt, wenn hinter<br />
ihm ein Laternenpfahl näher als<br />
20 cm an der Stoßstange steht, die<br />
Problematik noch nicht bewusst:<br />
Vieles von dem wird jetzt schon<br />
von nach Silicon-Valley in die<br />
USA ausgewanderten jungen<br />
deutschen Ingenieuren entworfen<br />
und von chinesischen Arbeitern<br />
zusammengelötet. Vom Umsteuern<br />
an unseren Schulen, beginnend<br />
im Kindesalter, bis hin zu<br />
examinierten Fachkräften vergeht<br />
<strong>mehr</strong> Zeit, als eine Legislaturperiode<br />
dauert. Ein Grund <strong>mehr</strong>, das<br />
Ziel nicht im Parteiengezänk zerreiben<br />
zu lassen.<br />
Jochen Strehlau, Sehnde<br />
„Demokratie verteidigen“<br />
(E&W 5/2011, Seite 2: „Polemik<br />
nicht mit Wissen verwechseln“)<br />
Patrick Bahners hatRecht:Esgibt<br />
islamkritische Bücher. Einige Beispiele:<br />
das Grundgesetz (1949),<br />
Basam Tibi „Fundamentalismus<br />
im Islam“ (2000), Hamed Abdel-<br />
Samad „Der Untergang der<br />
islamistischen Welt“ (2010). Es ist<br />
auf jeden Fall Zeit, endlich wieder<br />
beide Lehren aus unserer Geschichte<br />
zu ziehen: „<strong>Mehr</strong> Demokratie<br />
wagen“ und diese Demokratie<br />
verteidigen – auch im<br />
Interesse derjenigen, die zu uns<br />
gekommen sind, um in Freiheit<br />
zu leben. Religiöser Fundamentalismus<br />
und bequemer Liberalismus,<br />
beide bedrohen das Erbe<br />
des Philosophen der Aufklärung,<br />
Immanuel Kant, und des Friedensnobelpreisträgers<br />
und ehemaligen<br />
Bundeskanzlers Willy Brandt<br />
(SPD).<br />
Dieter Hackenbracht,<br />
Frankfurt a.M.<br />
„Schlichtweg beleidigend“<br />
(E&W 5/2011, Seite 18: „Ist Herr<br />
Özer ein toller Kumpel?“)<br />
Zunächst einmal ist der Untertitel<br />
„Aktuelle Studien zeigen, ‚der<br />
Ausländer vom Dienst‘ macht<br />
Schule auch nicht besser“<br />
schlichtweg beleidigend, ausgrenzend<br />
und simplifizierend. Weder<br />
gibt es so etwas wie eine Lehrkraft,<br />
die nur aufgrund ihrer Herkunft<br />
unterrichtet, noch ist diese die<br />
einzige Grundlage, Menschen mit<br />
Migrationshintergrund einzustellen.<br />
Darüber hinaus möchte ich<br />
anmerken, dass der gesamte<br />
Schwerpunkt der Mai-Ausgabe<br />
mit dem Schwerpunkt „Identität<br />
und Integration“ fehlgeleitet ist.<br />
Eine Debatte, die die strukturellen<br />
Ausgrenzungen gegenüber<br />
Lehrkräften und Schülern mit Migrationshintergrund<br />
thematisiert,<br />
wird nicht angestoßen. So bleibt<br />
der Fokus auf dem „Anderen”. Eine<br />
Reflexion des eigenen Beitrags<br />
zu einer Situation, in der Schüler<br />
mit Migrationsgeschichte offensichtlich<br />
benachteiligt sind, findet<br />
nicht statt.<br />
Heidi Barz, Berlin<br />
„Enttäuschung“<br />
Im Namen des Berliner Netzwerkes<br />
<strong>für</strong> Lehrkräfte mit Migrationshintergrund<br />
möchte ich Ihnen<br />
unsere Enttäuschung über den<br />
Beitrag mitteilen. Wir fühlen uns<br />
in unserer Arbeit, die sich<br />
hauptsächlich auf ehrenamtliches<br />
Engagement stützt, geschädigt<br />
und finden die Art und Weise,<br />
sich mit dieser wichtigen Thematik<br />
auseinanderzusetzen, grundlegend<br />
falsch. Der Artikel weist verschiedene<br />
fachliche Fehler auf,<br />
aber auch die Grundsatzfrage ist<br />
wenig sachlich und hinterlässt einen<br />
bitteren Nachgeschmack: Hat<br />
sich Ihre Zeitschrift in anderen<br />
Beiträgen schon mal die Frage gestellt,<br />
ob „Herr Müller“ ein toller<br />
Kumpel ist? An dieser Stelle<br />
möchte ich die <strong>GEW</strong> zitieren:<br />
„...Bildung muss alle Menschen<br />
einbeziehen und gesellschaftliche<br />
Ungleichheiten abbauen. Es darf<br />
keine Aussonderung nach Herkunft<br />
und sozialer Stellung, nach<br />
Konfession oder Weltanschauung,<br />
nach Geschlecht oder Nationalität<br />
geben. ...“ Glauben Sie das<br />
wirklich?<br />
Antonia Steinkopff, Sprecherin<br />
Berliner „Netzwerk <strong>für</strong> Lehrkräfte<br />
mit Migrationshintergrund“<br />
„Fingerspitzengefühl“<br />
Diese Frage mag bei dem einen<br />
oder anderen Leser Kopfschütteln<br />
auslösen! Welches Lehrerbild<br />
steckt dahinter? Gehört es<br />
wirklich zu den primären Aufgaben<br />
einer Lehrkraft, ein „toller<br />
Kumpel“ zu sein? Natürlich<br />
nicht, werden die meisten wohl<br />
sofort antworten – zu Recht!<br />
Warum ist diese Frage – nach Ansicht<br />
der im Artikel zitierten Wissenschaftlerin<br />
Carolin Rotter –jedoch<br />
bei Lehrerinnen und Lehrern,<br />
die eine Zuwanderungsgeschichte<br />
haben, von Bedeutung?<br />
Hierauf antwortet der Text nicht.<br />
Natürlich nicht, denn es gibt darauf<br />
keine vernünftige Antwort.<br />
Denn auch diese Lehrkräfte sehen<br />
ihre Aufgabe – genauso wie<br />
ihre Kolleginnen und Kollegen<br />
ohne Migrationshintergrund – in<br />
erster Linie in der Bildung und<br />
Erziehung ihrer Schülerinnen<br />
und Schüler. Sie verstehen sich<br />
als Fachlehrkräfte und als<br />
Pädagogen <strong>für</strong> alle Schülerinnen<br />
und Schüler, nicht nur <strong>für</strong> diejenigen<br />
aus Migrantenfamilien.<br />
„Sind Einwanderer tatsächlich<br />
die besseren Lehrkräfte <strong>für</strong> Kinder<br />
aus Migrantenfamilien?“,<br />
fragt die Autorin Jeannette Goddar<br />
weiter, als ob dies von irgendwem<br />
behauptet würde. Die Antwort<br />
ist nein! Schülerinnen und<br />
Schüler mit und ohne Migrationshintergrund<br />
lernen am besten<br />
bei fachlich und sozial kompetenten<br />
Lehrkräften! Trotzdem<br />
bringen Kolleginnen und Kollegen<br />
mit Migrationshintergrund<br />
Dinge mit, die zu einer Verbesserung<br />
der Lernsituation der Kinder<br />
und Jugendlichen aus Einwanderermilieus<br />
beitragen können.<br />
Aus unserer Sicht hätten wir uns<br />
gewünscht, dass die <strong>GEW</strong> –<br />
wenn sie sich endlich des Themas<br />
annimmt – es mit dem nötigen<br />
Fingerspitzengefühl macht.<br />
Faried Ragab, Hülya Ösün, Landeskoordinatoren<br />
des Hamburger<br />
Netzwerks „Lehrkräfte mit<br />
Migrationshintergrund“<br />
„Der richtige Maßstab?“<br />
(E&W 5/2011, Seite 23: „89,2 Prozent<br />
Zustimmung“)<br />
Richtig ist, alle, auch Beamte und<br />
Pensionäre, sollen an der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung teilhaben<br />
– aber ist „mindestens in<br />
Höhe des Tarifabschlusses“ der<br />
richtige Maßstab?<br />
Bei näherem Betrachten zeigen<br />
sich erhebliche Unterschiede zwischen<br />
Angestellten und Beamten:<br />
Während Arbeitnehmer rund 20<br />
Prozent ihrer Tariflöhne an die<br />
Sozialversicherung und (z.T.) als<br />
Steuer einbüßen, zahlen Beamte<br />
praktisch nur Beiträge zur privaten<br />
Kranken- und Pflegeversicherung<br />
(die vom Staat zu 50 Prozent<br />
subventioniert werden) sowie<br />
Steuern von ihrem Bruttolohn.<br />
Unterschiede von über 500 Euro<br />
netto zwischen den Statusgruppen<br />
bei gleicher Tätigkeit sind<br />
normal! Im Ruhestand werden<br />
diese Differenzen durch die Rentenformel<br />
und ihre unsoziale Absenkung<br />
noch krasser, und das bei<br />
erheblichen Eigenleistungen der<br />
Rentner im Arbeitsleben: Pensionen<br />
sind im Schnitt <strong>mehr</strong> als doppelt<br />
so hoch wie Altersrenten.<br />
Sozial gerecht wäre eine teilweise<br />
Übertragung des Tarifergebnisses<br />
– vermindert um etwa 13 Prozent<br />
(Sozialversicherungsbeiträge <strong>für</strong><br />
Renten und Arbeitslosigkeit) und<br />
Pensionszuwächse etwa in Höhe<br />
der Rentensteigerungen (zurzeit<br />
0,99 Prozent).<br />
Günther Schedel-Gschwendtner,<br />
Nürnberg<br />
36 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2010
LESERFORUM<br />
„Nicht gut gemacht“<br />
(E&W 6/2011, Schwerpunkt Frauen-Fußball-WM)<br />
Es ist sehr zu begrüßen, dass sich<br />
die Redaktion des Fußball-Themas<br />
annimmt, das großes mediales<br />
Echo finden wird. So weit so gut.<br />
Aber: Gut gemeint heißt <strong>für</strong> eine<br />
Gewerkschaftszeitung noch lange<br />
nicht gut gemacht. Wo sind die genuinen<br />
gewerkschaftlichen Fragestellungen<br />
zu diesem Event?<br />
Fußball ist ein wunderbarer Sport<br />
und Frauen- und Mädchenfußball<br />
bietet viele Potenziale. Diese realisieren<br />
sich aber nicht im Selbstlauf.<br />
Welche schulischen Bedingungen<br />
des Gelingens da<strong>für</strong> erforderlich<br />
sind, dazu verliert E&W<br />
kein Wort. Sicher hätten Fußballund<br />
Sportbegeisterte mit gewerkschaftlichen<br />
Standpunkten hier<br />
möglicherweise <strong>für</strong> gewerkschaftliche<br />
Anliegen <strong>mehr</strong> beitragen können<br />
als z.B. ein FAZ-Redakteur!<br />
Norbert Baumann, langjähriger<br />
Vorsitzender der <strong>GEW</strong>-Sportkommission,<br />
Hamburg<br />
„Trivial und<br />
klischeehaft“<br />
(E&W 6/2011, Titelbild)<br />
Welches Niveau strebt E&W an?<br />
Ein Fußball auf dem Titel und eine<br />
hochhackige rosafarbene Damenpantolette<br />
– <strong>für</strong>s Fußball spielen<br />
offensichtlich so ungeeignet<br />
wie wohl Frauen auch. Der Aufmacher:<br />
trivial und klischeehaft.<br />
Uwe Hartwig, Ober-Mörlen<br />
„Total geschmacklos“<br />
(E&W 6/2011, Seite 40: „Diesmal“)<br />
Ich finde die Merkel-Karikatur<br />
der aktuellen Ausgabe total geschmacklos.<br />
Sie hat nichts mit der Kanzlerin,<br />
auch nichts mit der <strong>GEW</strong> oder<br />
Bildungspolitik zu tun und der<br />
Witz beruht allein darauf, dass<br />
Angela Merkel (CDU) so hässlich<br />
ist, dass es bei ihr komisch wirkt,<br />
wenn sie das gleiche versucht wie<br />
die genannten Männer. Ich fand<br />
die Karikaturen in der E&W noch<br />
nie den Knaller, aber diese ist einfach<br />
nur peinlich.<br />
Ina Goldenbaum, Berlin<br />
„Keine Sexistin“<br />
Ich gehöre weiß Gott nicht zu den<br />
glühenden Anhängern von Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel<br />
(CDU) und sehe vieles kritisch,<br />
was ihre Politik und ihr Verhalten<br />
betrifft. Sie aber als Sexistin in einen<br />
Topf mit Silvio Berlusconi, Dominique<br />
Strauß-Kahn und Arnold<br />
Schwarzenegger zu werfen, käme<br />
mir nicht in den Sinn.<br />
Heinrich Heintzmann, Stadtallendorf<br />
„Nicht zum Schmunzeln“<br />
Der Cartoon von Freimut Wössner<br />
ist ziemlich geschmacklos und bei<br />
Licht betrachtet auch sexistisch.<br />
Wenn auch nach Kurt Tucholsky<br />
die Satire alles darf, so darf eine<br />
Lehrergewerkschaft noch lange<br />
nicht alles veröffentlichen. Worin<br />
liegt denn der aufklärerische Wert<br />
dieser colorierten Zeichnung?<br />
Nicht einmal zum Schmunzeln<br />
ist sie geeignet.<br />
Manfred Fuhs, Neuwied<br />
Die E&W-Redaktion hat sehr viele<br />
kritische Zuschriften zu dem „Diesmal“-Cartoon<br />
der Juni-Ausgabe erhalten<br />
– im Tenor alle sehr ähnlich.<br />
Deswegen bitten wir um Verständnis,<br />
dass wir nicht alle Leserbriefe veröffentlichen<br />
können. E&W-Redaktion<br />
E &W-Briefkasten<br />
Postanschrift der Redaktion:<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
Postfach 900409, 60444 Frankfurt a. M.,<br />
E-Mail: renate.koerner@gew.de<br />
Die E&W-Rubrik „Anschlagtafel“ ist auf<br />
unserer Website unter www.gew.de/<strong>GEW</strong>-<br />
Anschlagtafel. html zu finden.<br />
Verschiedenes<br />
<br />
<br />
Werden Sie Baumsparer!<br />
BaumSparVertrag<br />
D Ab33€monatl.,ca.4–9%Rendite.<br />
D Nur ein Jahr Mindest-Einzahlung.<br />
Broschüren und Informationen unter:<br />
www.BaumSparVertrag.de<br />
Tel: 02 28 - 943 778-0 · info@forestfinance.de<br />
www.hamosons.de<br />
Umhängetasche <strong>für</strong> Lehrer<br />
• leichtes, robustes Leder<br />
• geräumig + Laptopfach<br />
Nur 149 Euro. 1 Monat Widerrufsrecht.<br />
Extra günstig vom Spezialisten<br />
anrufen und testen.<br />
Wer vergleicht,<br />
kommt zu uns,<br />
seit über 30 Jahren.<br />
Beamtendarlehen ab 10.000 € - 120.000 €<br />
Best-Preis-Garantie der AK-Finanz:<br />
Bekommen Sie bei einem anderen Anbieter als Beamter a. L.<br />
oder unkündbarer Angestellter (i.ö.D.) nachweislich eine<br />
günstigere monatliche Rate <strong>für</strong> ein Beamtendarlehen als bei<br />
uns - bei 12jähriger Laufzeit – (inklusive Überschuss aus der<br />
Police), erhalten Sie einen 100.- €-Tankgutschein.<br />
FINANZ<br />
www.AK-Finanz.de<br />
Spezialdarlehen: Beamte / Angestellte ö.D.<br />
Äußerst günstige Darlehen z.B. 30.000 € Sollzins (fest<br />
gebunden) 5,7%, Lfz. 84 Monate, mtl. Rate 434 € effektiver<br />
Jahreszins 5,85%, Bruttobetrag 36.456 € Sicherheit:<br />
Kein Grundschuldeintrag, keine Abtretung, nur<br />
stille Gehaltsabtretung. Verwendung: z.B. Modernisierung<br />
rund ums Haus, Ablösung teurer Ratenkredite, Möbelkauf<br />
etc. Vorteile: Niedrige Zinsen, feste Monatsrate,<br />
Sondertilgung jederzeit kostenfrei, keine Zusatzkosten,<br />
keine Lebens- Renten oder Restschuldversicherung.<br />
Beamtenkredite <strong>für</strong> Beamte auf Lebenszeit, Beamte auf Probe und Tarifbeschäftigte im Öffentlichen Dienst<br />
www.kredite-fuer-beamte.de<br />
oder fordern Sie Ihr persönliches Angebot telefonisch an unter 0800-500 9880<br />
7-8/2010 Erziehung und Wissenschaft 37
Beamten- und Angestellten-Darlehen<br />
Partner der Nürnberger Versicherung<br />
TOP - ZINSSÄTZE <strong>für</strong> Beamte und Tarifbeschäftigte<br />
ab 5-jähriger Beschäftigung, auch <strong>für</strong> Pensionäre bis 58 Jahre<br />
Darlehenshöhe ab 10.000,00 € bis 80.0000,00 €, Festzinsgarantie,<br />
Laufzeiten 12, 15 und 20 Jahre, Sondertilgung und Laufzeitverkürzung<br />
möglich, auch ohne Ehepartner, <strong>für</strong> jeden Zweck: Anschaffungen,<br />
Ausgleich Girokonto, Ablösung anderer Kredite<br />
kostenlose Beratung: Mo - Fr von 8:00 - 20:00 Uhr<br />
Info-Büro: 0800 / 77 88 000<br />
vermittelt: K. Jäckel, Am Husalsberg 3, 30900 Wedemark<br />
Fax: 05130 / 79 03 95, jaeckel@beamtendarlehen-center.de<br />
www.beamtendarlehen-center.de<br />
lutzgoerner.de<br />
Ein Titan der Erzählkunst (RP)<br />
Klicken lohnt sich<br />
Die Wollmarshöhe<br />
Klinik<br />
Wollmarshöhe<br />
Fachkrankenhaus<br />
<strong>für</strong> psychosomatische<br />
Medizin<br />
Individuelle Hilfe mit<br />
Verfahren der klassischen<br />
Medizin, Psychotherapie<br />
und Naturheilkunde.<br />
Top-Finanzierung <strong>für</strong> Beamte, Angestellte, Arbeiter im Öffentlichen Dienst sowie Akademiker<br />
Unser Versprechen: „Nur das Beste <strong>für</strong> Sie aus einer<br />
Auswahl von ausgesuchten Darlehensprogrammen”<br />
Schnell und sicher <strong>für</strong> jeden Zweck: Anschaffungen, Ablösungen von<br />
anderen Krediten oder Ausgleich Kontoüberziehungen.<br />
Festzinsgarantie bei allen Laufzeiten: Ratenkredite bis 10 Jahre,<br />
Beamtendarlehen von 12 bis 20 Jahre.<br />
> Unverbindliche Finanzierungsberatung <strong>für</strong> Sie. Rufen Sie<br />
uns jetzt gebührenfrei an oder besuchen Sie unsere Webseite.<br />
Seit 1997<br />
wTop-Finanz.de · Nulltarif-S0800-33 10 332<br />
Andreas Wendholt · Unabhängige Kapitalvermittlung · Prälat-Höing-Str. 19 · 46325 Borken<br />
GUTES UND SCHÖNES<br />
www.dreiineins.de<br />
Im 3in1 finden Sie 3x Gutes und Schönes:<br />
Geschenke | Schmuck | Naturkosmetik<br />
Neben Lavera Naturkosmetik auch Bio-Pflegeprodukte auf Basis<br />
von Sanddorn, Molke und Honig, sowie Spezialprodukte, die bei<br />
Neurodermitis und Problemhaut angewendet werden. Verschiedene<br />
Schmuck-Kollektionen mit unterschiedlichem Anspruch.<br />
Besonders interessant: Schmuck mit magnetischer Energie.<br />
www.klinik-wollmarshoehe.de<br />
Akutaufnahme möglich<br />
nach § 4 Abs. 4 (Privatversicherer).<br />
40 Betten,<br />
Arzt / Pat.Verhältnis 1:5.<br />
EZ-Unterbringung, persönliche<br />
Atmosphäre, in<br />
Bodenseenähe (Bodnegg).<br />
Für Privatpatienten und<br />
Beihilfeberechtigte.<br />
Gerne senden wir Ihnen<br />
unser Exposé.<br />
Information: 07520 927-0<br />
Klinik Wollmarshöhe Gmbh<br />
info@klinik-wollmarshoehe.de<br />
www.wollmarshoehe.de<br />
Urlaub / Klassenfahrten<br />
Gratiskatalog<br />
anfordern:<br />
0221 • 760 9970<br />
www.highlaender-reisen.de<br />
Willkommen in Irland!<br />
SCHULFAHRTEN 2011<br />
Tel0039/0547/672727<br />
Fax0039/0547/672767<br />
Via Bartolini, 12<br />
47042 Cesenatico/Italia<br />
www.real-tours.de<br />
24 h online buchen<br />
E-Mail: Info@real-tours.de<br />
Busfahrten nach Cesenatico mit Ausflügen ab Euro 218,00 HP.<br />
4 oder 6 Übernachtungen mit Ausflügen nach Ravenna, Venedig,<br />
San Marino, Urbino.<br />
. Busfahrten<br />
zur Toskana-Küste, zum Gardasee, nach Rom, nach Sorrent,<br />
nach Südtirol, nach Spanien, nach Griechenland<br />
. Städtereisen mit dem Bus, inkl. Ausflüge vor Ort<br />
6 Tage nach Prag, 6 Tage Paris, 7½ Tage nach London,<br />
4 Tage nach Berlin, 4 Tage nach München (Preise auf Anfrage)<br />
. Pakete bei eigener Anreise z.B. per Flugzeug<br />
nach Cesenatico, in die Toskana, zum Gardasee,<br />
nach Spanien/Katalonien, Barcelona, Madrid, Sevilla.<br />
Nur Hotelunterbringungen bei eigener Anreise sind bei allen in unserem<br />
Katalog angegebenen Reisezielen möglich.<br />
Bitte fragen Sie nach unserem aktuellen Katalog 2011.<br />
Einzelheiten zu unseren Reisen, Daten, Preisen und Programmabläufen<br />
finden Sie auch im Internet unter www.real-tours.de<br />
Weitere Informationen auch bei R. Peverada, Im Steinach 30, 87561<br />
Oberstdorf, Telefon 0 83 22 / 800 222, Telefax 0 83 22 / 800 223.<br />
<br />
<br />
<br />
www.travelxsite.de<br />
TÜRKEI EINMAL ANDERS<br />
Urlaub im malerischen<br />
Fischerstädtchen Kas.<br />
Kleine Pension, dt.-türk. Ltg.,<br />
Dachterrasse, traumhafter<br />
Meerblick, alle Zi. mit DU/WC.<br />
Zi.-Preise/Nacht mit Frühstück:<br />
DZ 54 €, EZ 40 €, Fam.-Zi. 80 €.<br />
Telefon: 0172 / 913 66 77<br />
www.brigitte-krickl-reisen.de<br />
Berlin<br />
Das freundliche Hotel in Prenzlauer Berg.<br />
Für Oberstufengruppen und Einzelreisende.<br />
T: 030 4435283, www.hotel-greifswald.de<br />
Rom<br />
Berlin<br />
Sonne, Kunst & Kultur<br />
RESTPLÄTZE: Sommer + Herbst<br />
SINGLEREISEN + Angebote<br />
<strong>für</strong> gemischte Gruppen.<br />
Sonnenreisen und Aktivangebote<br />
T.: 030 - 609 359 29<br />
www.solos-erlebnisreisen.de<br />
SÜDFRANKREICH 2 charm. FeWo<br />
3 (-7) Pers. in idyll. Dorf am Fuß der Cevennen.<br />
Herrliche Landschaft, Causses, Fluss. Lac<br />
Salagou 12 km, schnell am Meer. Von privat.<br />
Info auf: www.ditsch.fr/peg/<br />
5-tägige Flugreise ab193 €<br />
Tel. 05261 2506-8110 | italien@cts-reisen.de | www.cts-reisen.de<br />
38 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011
Preissturz in<br />
IRLAND<br />
5-tägige Flugreise ab<br />
statt 284 <br />
249 <br />
Tel. 05261 2506-1140 | irland@cts-reisen.de | www.cts-reisen.de<br />
Prag? Nur mit uns!<br />
Ausgezeichnet: 90 % unserer Kunden<br />
kommen auf Empfehlung.<br />
Türkische Ägäis –<br />
Wiege der Zivilisationen<br />
Kunst - Kultur - Natur in kleiner<br />
Pension am Nationalpark am Meer<br />
www.domizil-lina-art.de<br />
Infos: 040 / 280 95 90 www.agaria.de prag@agaria.de<br />
Winter-<br />
Special:<br />
4 Tage Flugreise<br />
inkl. ÜN/F<br />
BARCELONA<br />
Sonne und Kultur!<br />
ab 1 1 1 € p.P.<br />
www.freizeit-aktiv.de 06257-998190<br />
5 Tage ab € 99,00 inkl. HP<br />
Jugendwerk Brookmerland<br />
Leezdorfer Straße 70, 26529 Leezdorf<br />
Tel. 04934 - 804257, Fax 04934 - 7827<br />
info@klassenfahrt-nordsee.de<br />
www.Herberge-Harz.de<br />
3 Tage ab 49 € - 5 Tage ab 79 €<br />
(ÜB/VP, Programm inklusive).<br />
Keine Stornoklausel, Freiplätze<br />
<strong>für</strong> Begleitpersonen.<br />
Besondere Angebote:<br />
Winter-, Weihnachts- und<br />
Outdoorprogramme.<br />
Telefon: 03947 - 2793<br />
Klassenfahrten<br />
maßgeschneidert<br />
www.cts-reisen.de<br />
Tel. 05261 2506-0 | info@cts-reisen.de | www.cts-reisen.de<br />
Klassenfahrten Versailles<br />
mit oder ohne Sprachkurs<br />
ausgesuchte Gastfamilien, indiv. Programm<br />
versailles@reichardt.eu, T: 06181 424830<br />
www.reichardt.eu<br />
www.s-e-t.de<br />
Tel: 0421– 308820<br />
• Top-Hotels • Top-Programm • inkl. Oxford<br />
Der Spezialist <strong>für</strong> Klassenfahrten England<br />
• Shakespeare at the Globe<br />
7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 39
Erziehung und Wissenschaft<br />
Diesmal<br />
Cartoon: Thomas Plaßmann<br />
40 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011