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Mehr Geld für mehr Chancengleichheit! - GEW

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Erziehung<br />

undWissenschaft<br />

Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 7-8/2011<br />

Bildungsausgaben und Bedarf<br />

<strong>Mehr</strong> <strong>Geld</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>mehr</strong><br />

<strong>Chancengleichheit</strong>!


GASTKOMMENTAR<br />

Bildung ist<br />

Zukunftsinvestition<br />

Roman Jaich<br />

Fast alle nationalen und internationalen Vergleichsstudien<br />

stellen dem deutschen Bildungswesen<br />

ein miserables Zeugnis aus. Das<br />

betrifft einerseits die Strukturen – so ist z. B.<br />

das gegliederte Schulsystem immer noch<br />

nicht überwunden, die Halbtagsschule prägt<br />

weiterhin die Schullandschaft. Die Übergänge<br />

von Beruflicher Bildung und Hochschulbildung<br />

bleiben unsystematisch und brüchig.<br />

Andererseits ist das Bildungssystem chronisch<br />

unterfinanziert. So investierte Deutschland<br />

2007 laut OECD-Bericht „Bildung auf einen<br />

Blick 2010“ 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

(BIP) in Bildungseinrichtungen<br />

(der Durchschnitt der<br />

OECD-Staaten lag bei 5,7<br />

Prozent). Ein Grund hier<strong>für</strong>:<br />

Die Kompetenzen <strong>für</strong> Bildung<br />

fallen in vielerlei Zuständigkeiten.<br />

Das berührt<br />

nicht nur die Verteilung zwischen<br />

Bund und Ländern.<br />

Allein auf Bundesebene<br />

sind <strong>mehr</strong>ere Ministerien<br />

<strong>für</strong> unterschiedliche Bildungsbelange<br />

zuständig.<br />

Das führt dann zu Ad-Hoc-<br />

Aktionen, wenn der Handlungsdruck<br />

auf die Politik zu<br />

groß geworden ist – Beispiele<br />

sind die Hochschulpakte<br />

I und II, das Ganztagsschulprogramm<br />

oder die Förderung des<br />

Ausbaus der Betreuung <strong>für</strong> Kinder, die jünger<br />

als drei Jahre sind. Ein System ist hinter solchen<br />

Schnellschüssen nicht zu erkennen.<br />

Eine Reform der Bildungseinrichtungen sowie<br />

deren Ausstattung zu verbessern ist daher<br />

dringend notwendig. Dabei geht es nicht nur<br />

darum, den Standort Deutschland wettbewerbsfähig<br />

zu halten oder dem drohenden<br />

Fachkräftemangel aufgrund demografischer<br />

Entwicklungen zu begegnen. Viel wichtiger<br />

ist, ein ineffizientes System, das eine große<br />

Zahl Verlierer produziert, zu überwinden. So<br />

waren 2009 6,5 Prozent der Abgänger allgemein<br />

bildender Schulen ohne Abschluss und<br />

damit fast ohne Aussicht auf einen Ausbildungsplatz.<br />

Ihre Möglichkeiten, an Weiterbildungsangeboten<br />

teilzunehmen, sind zudem<br />

deutlich geringer als die Jener, die es qua sozialer<br />

Herkunft schon immer einfacher hatten,<br />

im maroden und ungerechten deutschen Bildungssystem<br />

zu bestehen.<br />

Neu ist das alles nicht. Schon in den 1990er-<br />

Jahren war zu erkennen, dass der Staat die<br />

Bildungsbereiche finanziell besser ausrüsten<br />

sollte. Doch statt dieser Erkenntnis Taten folgen<br />

zu lassen, erhoffte sich die Politik, dass<br />

Effizienzgewinne aus dem Einsatz neuer<br />

Steuerungssysteme ausreichend Finanzreserven<br />

mobilisieren würden. Zusätzliche Investitionen<br />

seien darum nicht <strong>mehr</strong> notwendig.<br />

Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch: sei<br />

es bei der Kita-Card der Kindertagesstätten,<br />

den Globalhaushalten im Schulbereich oder<br />

der Einführung der Hochschulautonomie. Häufig<br />

erforderten die neuen Steuerungsmodelle<br />

sogar zusätzliche Ressourcen, statt Effizienzgewinne<br />

zu bringen. Zum Teil sind sie daher<br />

schon wieder „Geschichte“.<br />

Fest steht: Um das deutsche<br />

Bildungssystem wieder an internationale<br />

Standards heran<br />

zu führen, aber vor allem, um<br />

allen jungen Menschen<br />

Bildungschancen zu eröffnen,<br />

die es ihnen ermöglichen, ihre<br />

Fähigkeiten zu entfalten, muss<br />

der Staat erheblich <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong><br />

in die Bildung investieren. „Optimierung“<br />

der Mittel oder eine<br />

bloße Umschichtung innerhalb<br />

des Bildungswesens genügt<br />

bei Weitem nicht. In einem Gutachten<br />

<strong>für</strong> die Hans-Böckler-<br />

Stiftung* kam ich zum Ergebnis,<br />

dass jährlich mindestens<br />

37 Milliarden Euro <strong>mehr</strong> als bisher in die Bildung<br />

fließen müssten. Neuere Untersuchungen<br />

stellen fest, dass der Finanzierungsbedarf<br />

sogar noch deutlich höher liegt.<br />

Wie schon die Föderalismusreform I (2006)<br />

war auch die Föderalismusreform II (2009)<br />

ein weiterer Schritt in die falsche Richtung.<br />

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse<br />

verhindert den quantitativen und<br />

qualitativen Ausbau der Bildung. Stattdessen<br />

ist eine weitere Absenkung des Bildungsbudgets<br />

zu be<strong>für</strong>chten. Mittelfristig sind deshalb<br />

die Staatsfinanzen durch eine Reform des<br />

Steuersystems zu sichern. Langfristig sind<br />

Bildung und Wissenschaft in den öffentlichen<br />

Haushalten als Zukunftsinvestitionen festzuschreiben<br />

und die Kompetenzen vom Bund<br />

neu zu regeln.<br />

Roman Jaich arbeitet <strong>für</strong> das European<br />

Institute for Globalisation Research<br />

roman.jaich@e4globe.org<br />

Foto: privat<br />

*s. auch im Internet unter:<br />

www.boeckler.de/pdf/p_arbp_165.pdf<br />

Prämie<br />

des Monats<br />

Seite 5<br />

Knallrot und ganz schön heiß.<br />

Gewinnen Sie im Juli ein neues<br />

Mitglied <strong>für</strong> die <strong>GEW</strong> und freuen<br />

Sie sich auf einen formschönen<br />

Wasserkocher von Bosch.<br />

Impressum<br />

Erziehung und Wissenschaft<br />

Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 63. Jg.<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

im Deutschen Gewerkschaftsbund.<br />

Vorsitzender: Ulrich Thöne.<br />

Redaktionsleitung: Ulf Rödde.<br />

Redaktion: Helga Haas-Rietschel.<br />

Redaktionsassistenz: Renate Körner.<br />

Postanschrift der Redaktion:<br />

Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M.,<br />

Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202.<br />

Internet: www.gew.de<br />

Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats.<br />

Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils<br />

am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien.<br />

Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann,<br />

Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt<br />

Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt.<br />

Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />

enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis<br />

jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl.<br />

MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern,<br />

Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und<br />

Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der<br />

E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />

und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung<br />

übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten<br />

Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.<br />

Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH,<br />

Goldammerweg 16, 45134 Essen,<br />

Verantwortlich <strong>für</strong> Anzeigen: Mathias Müller,<br />

Tel. (0201) 84300-0,Telefax (0201) 472590,<br />

anzeigen@stamm.de; www.erziehungundwissenschaft.de,<br />

gültige Anzeigenpreisliste Nr. 37 vom 1. 1. 2009,<br />

Anzeigenschluss ca. am 5. des Vormonats.<br />

E&W wird auf 100 Prozent chlorfrei<br />

gebleichtem Altpapier gedruckt.<br />

ISSN 0342-0671<br />

2 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


Cartoon: Thomas Plaßmann<br />

Foto: dpa<br />

Foto: imago<br />

„Klassenziel verfehlt“ – lässt sich das 2008 von Bund und<br />

Ländern in Dresden gegebene Versprechen, bis 2015 zehn<br />

Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Bildung und<br />

Forschung zu investieren, auf den Punkt bringen. Die vollmundigen<br />

Ankündigungen der einstigen Bildungsgipfelstürmer<br />

drohen ins Leere zu laufen. Nachgewiesen ist, dass<br />

die Bildungsausgaben längst nicht dem tatsächlichen Bedarf<br />

entsprechen – mit massiven sozialen Folgekosten. Vor<br />

allem: <strong>Chancengleichheit</strong> rückt in noch weitere Ferne.<br />

Schwerpunkt Bildungsausgaben und Bedarf Seite 6 ff.<br />

Sexueller Missbrauch geht alle an sagt die Missbrauchsbeauftragte<br />

der Bundesregierung,<br />

Christine Bergmann (SPD), nachdem sie kürzlich<br />

dem Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“<br />

ihre „Empfehlungen“ vorgestellt hat,<br />

bevor sie im Herbst dieses Jahres ihre Arbeit<br />

beendet. Wichtig sei, betont sie, dass die<br />

Gesellschaft das Unrecht anerkennt und lernt,<br />

wie lange die Folgeschäden nachwirken: Wer<br />

als Kind sexuell missbraucht wird, leidet häufig<br />

ein Leben lang. Seite 30<br />

Mit den Täuschungsmanövern<br />

bekannter Politiker<br />

ist die Debatte um seriöse<br />

wissenschaftliche Arbeit<br />

neu entbrannt. Armin Himmelrath<br />

wirft einen Blick in<br />

die Wissenschaftsgeschichte<br />

und fragt: Sollte man das<br />

„Abkupfern“ schon früher<br />

ahnden? Bislang sei es<br />

Usus, dass „studentische<br />

Plagiate nicht bestraft werden“.<br />

Seiten 32/33<br />

Gastkommentar<br />

Bildung ist Zukunftsinvestition Seite 2<br />

Impressum Seite 2<br />

Auf einen Blick Seite 4<br />

Prämie des Monats Seite 5<br />

Schwerpunkt Bildungsausgaben und Bedarf<br />

1. Klassenziel verfehlt Seite 6<br />

2. In der Abwärtsspirale!? Kurzinterviews mit den <strong>GEW</strong>-Vorsitzenden<br />

Klaus Bullan, Sabine Gerold, Klaus-Peter Hammer, Annett Lindner,<br />

Doro Moritz, Jochen Nagel und Bernd Winkelmann Seite 10<br />

3. Bildungsfinanzplan <strong>GEW</strong> NRW:<br />

„Demografiegewinne <strong>für</strong> <strong>mehr</strong> <strong>Chancengleichheit</strong> nutzen“ Seite 16<br />

4. Interview mit Jutta Allmendinger und Johannes Giesecke:<br />

„Bildung lohnt sich“ Seite 18<br />

5. Schuldenbremse: Sozialer Ausgleich wird schwieriger Seite 19<br />

6. <strong>GEW</strong>-Kommentar: <strong>Mehr</strong> Qualität <strong>für</strong> Bildung Seite 20<br />

Dialog: Zeitschrift <strong>für</strong> Seniorinnen und Senioren Seite 21<br />

Tarifpolitik<br />

Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst:<br />

Verbesserungen durchgesetzt Seite 25<br />

Frauen<br />

400-Euro-Jobs: Geschlechterrollen zementiert Seite 27<br />

Bildungspolitik<br />

<strong>GEW</strong>-Gutachten zu Privatschulen: Wachsamkeit geboten Seite 28<br />

Gesellschaftspolitik<br />

Interview mit Christine Bergmann:<br />

„Sexueller Missbrauch geht alle an“ Seite 30<br />

Hochschule<br />

1. <strong>GEW</strong>-Kommentar:<br />

Wird aus dem Albtraum mal ein Traumjob? Seite 31<br />

2. Abkupfern im Wissenschaftsbetrieb:<br />

„Studentische Plagiate werden nicht bestraft“ Seite 32<br />

Fair Childhood – Bildung statt Kinderarbeit<br />

Kleidung ohne Kinderarbeit: Hipp, chic und fair Seite 34<br />

Leserforum Seite 36<br />

Diesmal Seite 40<br />

Titel: Werbeagentur Zimmermann<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 3


AUF EINEN BLICK<br />

Gegliedert wird weiterhin<br />

Foto: <strong>GEW</strong> NRW<br />

Dorothea Schäfer<br />

Foto: Christian von Polentz/transit<br />

Dem Atomausstieg folgt der Ausstieg aus der Hauptschule –<br />

vor dem Sommerloch sorgt die CDU <strong>für</strong> Medienwirbel: Mit<br />

ihrem neuen Schulkonzept, das der Parteivorstand am 28. Juni<br />

beschlossen hat, verabschieden sich die Christdemokraten nur<br />

scheinbar vom dreigliedrigen Schulsystem. Das Gymnasium<br />

bleibt unangetastet. Haupt- und Realschulen sollen zu einer<br />

neuen Oberschule zusammengelegt werden. Es sei schon erstaunlich,<br />

so <strong>GEW</strong>-Schulexpertin Marianne Demmer, wie lange<br />

die Union gebraucht hat, um zu erkennen, dass die Gesellschaft<br />

sich verändert habe: „PISA-Ergebnisse wie auch die Abstimmung<br />

mit den Füßen durch Schüler und Eltern haben dem<br />

gegliederten deutschen Schulsystem schon längst den Laufpass<br />

erteilt.“ Die Bildungsgewerkschaft sieht im CDU-Vorstandsbeschluss<br />

daher eher „einen halbherzigen Schritt“ zum zweigliedrigen<br />

Schulwesen, das in Wirklichkeit dreigliedrig bleibe:<br />

Denn die Sonder- und Förderschulen würden, so Demmer,<br />

nicht in Frage gestellt. Kritik an der „kleinen Schulrevolution“<br />

der Unionsspitze kommt aber auch aus den eigenen Reihen.<br />

Die Traditionalisten wollen die Wende der Schwesterpartei in<br />

der Schulpolitik nicht mitmachen – allen voran die CSU: Die<br />

von der CDU geplante Auflösung der Hauptschule sei ein<br />

Schritt auf dem Weg zur Einheitsschule, kritisierte Bayerns<br />

Kultusminister Ludwig Spaenle. Einigen christdemokratischen<br />

Bürgermeistern geht der Vorstandsbeschluss indes nicht weit<br />

genug. Sie plädieren vor Ort <strong>für</strong> die Gemeinschaftsschule. SPD<br />

und Grüne begrüßten den schulpolitischen Kurswechsel als<br />

„Schritt in die richtige Richtung“. Doch Anlass <strong>für</strong> zu viel reformerischen<br />

Optimismus bietet der konservative schulpolitische<br />

Wandel trotzdem nicht: Der Knackpunkt des deutschen<br />

Schulsystems, kritisierte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir,<br />

die frühe Trennung der Schülerinnen und Schüler nach der<br />

vierten Klasse, bleibe weiter bestehen.<br />

5000 Schülerinnen und Schüler, Eltern<br />

und Lehrkräfte demonstrierten am 9.<br />

Juni in der Hauptstadt <strong>für</strong> „eine bessere<br />

Schule in Berlin“. Zur Demo hatten<br />

Landeselternausschuss, LandesschülerInnenausschuss<br />

und die <strong>GEW</strong><br />

Berlin aufgerufen.<br />

Gesamtschule gewinnt Deutschen Schulpreis<br />

Die Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule aus Göttingen<br />

ist die beste Schule des Jahres. Sie ist am 10. Juni in Berlin von<br />

Bundespräsident Christian Wulff mit dem Deutschen Schulpreis<br />

ausgezeichnet worden. Der Preis ist mit 100000 Euro dotiert.<br />

Die Auszeichnung wird seit 2006 von der Robert-Bosch-<br />

Stiftung und der Heidehoff-Stiftung vergeben.<br />

Schäfer <strong>GEW</strong>-Vorsitzende in NRW<br />

Dorothea Schäfer ist am 18. Juni mit rund 90 Prozent der Delegiertenstimmen<br />

zur Vorsitzenden der <strong>GEW</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

(NRW) gewählt worden. Die 56-jährige Gesamtschullehrerin<br />

aus Unna will die <strong>GEW</strong> in NRW unter einer rot-grünen<br />

Landesregierung profilieren und <strong>für</strong> Bildungsreformen<br />

kämpfen.<br />

Foto: Manfred Brinkmann<br />

Etwa 130 Grundschülerinnen aus Nordrhein-Westfalen (NRW)<br />

haben am 1. Juni in Essen am Mädchenfußballturnier der <strong>GEW</strong><br />

NRW teilgenommen und die Forderung der Globalen Bildungskampagne<br />

nach Bildung <strong>für</strong> Mädchen und Frauen weltweit unterstützt.<br />

In feudaler Manier: Tarifergebnis nur<br />

teilweise auf Beamte übertragen<br />

Einige Länder haben sich bislang geweigert, das Ergebnis,<br />

das Gewerkschaften und die Tarifgemeinschaft deutscher<br />

Länder (TdL) im März 2011 vereinbart hatten, zeit- und inhaltsgleich<br />

auf Beamte zu übertragen (s. E&W 5/2011).<br />

Nach Verhandlungen mit den Gewerkschaften hat nur<br />

Brandenburg die vollständige Übertragung angekündigt.<br />

In anderen Ländern wird der Abschluss nur teilweise und<br />

verzögert übertragen:<br />

Bremen: Die Besoldungserhöhung <strong>für</strong> 2012 wird vom 1. Januar<br />

auf den 1. April verschoben. Ab Besoldungsgruppe A<br />

12 erfolgt sie in 2011 und 2012 erst zum 1. Oktober. Außerdem<br />

wird die Einmalzahlung in 2011 in Höhe von 360 Euro<br />

nur bis zur Besoldungsgruppe A 8 gezahlt.<br />

Hamburg: Die prozentualen Erhöhungen in 2011 (1,5 Prozent)<br />

und 2012 (1,9 Prozent plus 17 Euro) erfolgen zeitgleich<br />

(rückwirkend). Die Einmalzahlung in 2011 entfällt<br />

<strong>für</strong> Beamte, ebenso die 17 Euro 2012. Außerdem wird das<br />

Weihnachtsgeld gekürzt.<br />

Hessen: Der Abschluss in Hessen weicht leicht vom Tarifergebnis<br />

ab: 2012 gibt es statt 1,9 Prozent und 17 Euro eine<br />

lineare Erhöhung von 2,6 Prozent, die allerdings erst am<br />

1. März in Kraft tritt. Für die Beamten entfällt die Einmalzahlung<br />

in 2011. Die prozentualen Erhöhungen erfolgen<br />

in beiden Jahren erst zum 1. Oktober. Hessen ist nicht Mitglied<br />

der TdL.<br />

Thüringen: Die Übertragung verzögert sich bis zum 1. Oktober<br />

2011 und 1. April 2012, die Einmalzahlung 2011 entfällt.<br />

Bayern und das Saarland: Es bleibt <strong>für</strong> 2011 bei der angekündigten<br />

„Nullrunde“.<br />

Berlin und Baden-Württemberg: Hier hat der Arbeitgeber<br />

den Beamten – unabhängig vom Tarifergebnis – eine<br />

höhere Besoldung von zwei Prozent zugesagt.<br />

Es zeigt sich: Die Länder nutzen ihre Möglichkeiten, in<br />

feudaler Manier einseitig über die Besoldung zu bestimmen.<br />

Heraus kommt eine völlig unberechenbare und uneinheitliche<br />

Besoldungserhöhung.<br />

4 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


Mitmachen lohnt sich...<br />

...<strong>für</strong> jedes neu geworbene <strong>GEW</strong>-Mitglied erwartet Sie einWasserkocher.<br />

Prämie des<br />

Monats Juli/August<br />

Ein formschönerWasserkocher von Bosch<br />

#<br />

Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />

Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />

Antrag auf<br />

Mitgliedschaft<br />

Vorname/Name<br />

Straße/Nr.<br />

Land/PLZ/Ort<br />

Geburtsdatum/Nationalität<br />

Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />

Telefon<br />

Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet, den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und seine Zahlungen<br />

daraufhin regelmäßig zu überprüfen. Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die<br />

Satzung der <strong>GEW</strong> an und ermächtige die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich, den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag<br />

vierteljährlich von meinem Konto abzubuchen. Prämienberechtigt sind <strong>GEW</strong>-Mitglieder,<br />

die ein beitragzahlendes Mitglied werben. Der Landesverband Niedersachsen<br />

nimmt nicht an diesem Programm teil.<br />

Ort/Datum<br />

Fax<br />

Unterschrift<br />

Daten desWerbers<br />

Ich habe die oben genannte Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />

Vorname/Name<br />

Straße/Nr.<br />

PLZ/Ort<br />

Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />

- BeamtInnen zahlen 0,75 Prozent der Besoldungsgruppe und -stufe, nach der sie besoldet werden.<br />

- Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />

- Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />

- Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />

- Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />

- Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />

- Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />

Weitere Informationen sind der Beitragsordnung zu entnehmen.<br />

E-Mail<br />

Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />

Name/Ort der Bank<br />

Kontonummer<br />

Tarif-/Besoldungsgebiet<br />

BLZ<br />

Tarif-/Besoldungsgruppe Stufe seit<br />

Bruttoeinkommen € monatlich (falls nicht öffentlicher Dienst)<br />

Betrieb/Dienststelle/Schule<br />

Straße/Nr.des Betriebes/der Dienststelle/der Schule<br />

<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Träger des Betriebes/der Dienststelle/der Schule<br />

Fax<br />

PLZ/Ort<br />

E+W-Prämie des<br />

Monats Juli/August 2011/<br />

Wasserkocher<br />

Beschäftigungsverhältnis<br />

Honorarkraft<br />

angestellt<br />

beamtet<br />

teilzeitbeschäftigt mit<br />

Prozent<br />

teilzeitbeschäftigt mit<br />

Std./Woche<br />

in Rente/pensioniert<br />

Altersteilzeit<br />

befristet bis<br />

arbeitslos<br />

beurlaubt ohne Bezüge<br />

im Studium<br />

in Elternzeit<br />

Referendariat/<br />

Berufspraktikum<br />

Sonstiges<br />

Bitte den Antrag<br />

vollständig ausfüllen<br />

und an folgende<br />

Adresse senden:<br />

Gewerkschaft<br />

Erziehung undWissenschaft<br />

Reifenberger Straße 21<br />

60489 Frankfurt a.M.<br />

Fax:069/78973-102<br />

Vielen Dank!<br />

Ihre <strong>GEW</strong>


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

Klassenziel verfehlt<br />

Trotz Dresden: Benachteiligte können nicht auf <strong>mehr</strong> Förderung hoffen<br />

Wie ist es um die Finanzierung der Bildung bestellt? Steht <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> bereit <strong>für</strong><br />

die individuelle Förderung der Lernenden? Lösen die Dresdner Bildungsgipfelstürmer<br />

ihr Versprechen von 2008 ein und versorgen das kranke Bildungswesen<br />

mit den nötigen Finanzspritzen? <strong>Mehr</strong> <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> Bildung – das brauchen vor<br />

allem jene, denen qua Herkunft keine guten Startchancen in die Wiege gelegt<br />

wurden. Wie Mustafa aus Berlin-Neukölln oder Heinz aus München-Hasenbergl.<br />

Migrationshintergrund, Hartz-IV-Bezug, Arbeitslosigkeit oder Armut<br />

der Eltern erschweren es diesen Kindern, im selektiven deutschen Bildungssystem<br />

zu bestehen. Fest steht: Je <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> direkt in Kitas, Schulen und Weiterbildung<br />

fließen kann, desto bessere Perspektiven werden Mustafa und Heinz haben.<br />

Es sei eine „Schande“, dass ein<br />

reiches Land wie die Bundesrepublik<br />

„so wenig gegen die<br />

Armut tut“, klagte Susanne<br />

Korbmacher neulich in einer<br />

Fernsehdiskussion. Die Lehrerin<br />

am Sonderpädagogischen Förderzentrum<br />

im Münchner Problemviertel<br />

Hasenbergl hat selbst die Initiative ergriffen<br />

und versucht, wenigstens vor Ort<br />

die Not zu lindern. Im „Salon“ ihres<br />

Hauses erhalten hungrige „Ghettokids“<br />

samstags neben Unterstützung beim<br />

6 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

Cartoons: Thomas Plaßmann<br />

jüngste schwere Krise relativ glimpflich<br />

überstand, sprechen ausländische Beobachter<br />

inzwischen bewundernd vom<br />

„Modell Deutschland“.<br />

Allenfalls Mittelmaß<br />

Doch diese Vorbildfunktion erledigt<br />

sich rasch, wenn es um Bildung geht.<br />

Auf diesem Feld ist die Bundesrepublik<br />

allenfalls Mittelmaß, wenn nicht gar ein<br />

abschreckendes Beispiel. Nach den<br />

jüngsten Daten der Organisation <strong>für</strong><br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />

Entwicklung (OECD) wurden 2007<br />

hier zu Lande je 100 Euro BIP gerade<br />

einmal 4,70 Euro <strong>für</strong> öffentliche und<br />

private Bildungseinrichtungen verwendet.<br />

Damit lag die Bundesrepublik deutlich<br />

unter dem Durchschnitt aller in der<br />

OECD vertretenen Industriestaaten<br />

von 5,7 Prozent. Nur Irland, Tschechien,<br />

Italien und die Slowakei gaben im<br />

Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft<br />

noch weniger <strong>für</strong> die Bildung aus.<br />

„Soweit es den Bildungsbereich betrifft,<br />

ist Deutschland kein Sozialstaat“, lautet<br />

das harsche Urteil, das der Bildungsforscher<br />

Christoph Ehmann in einem Beitrag<br />

<strong>für</strong> das „Handbuch Bildungsfinanzierung“*<br />

fällt. Dank zahlreicher internationaler<br />

Vergleichsstudien sei mittlerweile<br />

unstrittig, dass das hiesige System<br />

„stärker als die Bildungssysteme aller anderen<br />

nicht-feudalistischen Staaten den<br />

Bildungserfolg an die soziale Herkunft<br />

knüpft“. Dies hat Ehmann zufolge viel<br />

mit der Struktur zu tun und der in ihr<br />

„herausgebildeten wissenschaftlich verbrämten<br />

,schwarzen Pädagogik‘ der<br />

Ausgrenzung und Selektion“.<br />

Auf der Kippe<br />

Auf die skandalöse gesellschaftliche<br />

Schieflage weist auch der jüngste „Bildungsbericht“<br />

2010** hin. „Fast jedes<br />

dritte Kind unter 18 Jahren wächst in sozialen,<br />

finanziellen und/oder kulturellen<br />

Risikolagen auf“, heißt es dort. Mit<br />

anderen Worten: Rund vier Millionen<br />

Mädchen und Jungen stehen auf der<br />

Kippe. In diese Kategorien fallen den<br />

Angaben zufolge 1,1 Millionen bei Alleinerziehenden<br />

lebende Kinder und 1,7<br />

Millionen aus Familien mit Migrationshintergrund<br />

stammende. 3,5 Prozent<br />

seien „von allen Risikolagen gleichzeitig<br />

betroffen“. Es müsse be<strong>für</strong>chtet werden,<br />

schreiben die Autoren, „dass diese Kinder<br />

und Jugendlichen insgesamt<br />

ungünstigere Bildungschancen haben“.<br />

Das ist nicht zu be<strong>für</strong>chten, das ist so.<br />

Wer in Hasenbergl aufwächst, hat ziemlich<br />

miese Startvoraussetzungen. Hier<br />

leben viele Menschen, die auf Sozialhilfe<br />

angewiesen sind, die Arbeitslosigkeit<br />

und der Ausländeranteil liegen deutlich<br />

über dem Münchner Durchschnitt.<br />

Und Viertel mit hohen „Risikolagen“<br />

wie Hasenbergl gibt es in fast jeder deutschen<br />

Stadt.<br />

* Heiner Barz (Hrsg.):<br />

„Handbuch Bildungsfinanzierung“,<br />

VS Verlag,<br />

Wiesbaden 2010<br />

** Hrsg. Autorengruppe<br />

Bildungsberichterstattung<br />

im Auftrag der<br />

KMK und des BMBF,<br />

erschienen Bielefeld<br />

2011<br />

*** „An den Grundpfeilern<br />

unserer Zukunft sägen<br />

– Bildungsausgaben,<br />

Öffentliche Haushalte<br />

und Schuldenbremse.<br />

Hrsg. Kai<br />

Eicker-Wolf/Ulrich Thöne,<br />

Metropolis-Verlag, Marburg<br />

2010<br />

Lernen auch eine ordentliche Mahlzeit.<br />

„Bildung ohne Essen geht nicht“, weiß<br />

Korbmacher.<br />

Die Kosten der pädagogischen Koch-<br />

Aktionen tauchen in keiner der üblichen<br />

Statistiken über Bildungsausgaben<br />

auf. Der Verein „Ghettokids“ lebt von<br />

Spenden. Die Stadt München, berichtet<br />

Korbmacher, hat die Bitte um finanzielle<br />

Unterstützung mit Hinweis auf die<br />

leeren Kassen abgelehnt.<br />

Ökonomisch ist die kleine Bundesrepublik<br />

ein Riese. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP), das die gesamte<br />

Produktion von Gütern und Dienstleistungen<br />

einer Nation in einer Zahl zusammenfasst,<br />

belegte sie zuletzt Platz<br />

vier der Weltrangliste. In Europa ist sie<br />

die unangefochtene Nummer Eins.<br />

Und weil die hiesige Wirtschaft die<br />

Foto: FH Gelsenkirchen<br />

„Das Elend geht weiter“<br />

Wissenschaftlich ist hinlänglich bewiesen, dass Deutschland<br />

zu wenig <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> Bildung ausgibt. Und zwar in allen Bereichen.<br />

Von Dänemark trennen Deutschland bei den Bildungsausgaben<br />

rund 85 Milliarden Euro. Daran ändert auch die<br />

Verabredung zwischen Bund und Ländern auf dem Bildungsgipfel<br />

am 22. Oktober 2008 in Dresden wenig, bis 2015 die<br />

Bildungsausgaben auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

(BIP) anzuheben. Aber selbst die müssen erst einmal erreicht<br />

werden. Das nämlich würde bedeuten, das Bildungs-<br />

Heinz-J. Bontrup<br />

budget in der engen deutschen Definition jährlich um 20<br />

Milliarden Euro zu erhöhen. In Bezug auf internationale Bildungsbudgets wäre<br />

es laut OECD sogar um 56 Milliarden Euro zu steigern. Vor dem Hintergrund<br />

solcher Zahlen wird sofort klar, dass mit einem „Weiter so“ neoliberaler Umverteilungspolitik<br />

von unten nach oben und einer Politik der Steuersenkung zum<br />

Vorteil vermögender Schichten und Besserverdienender keine substanzielle Erhöhung<br />

der Bildungsausgaben erzielt wird.<br />

Nur durch eine radikal veränderte Steuerpolitik ließen sich die notwendigen zusätzlichen<br />

Bildungsausgaben erschließen. Die <strong>GEW</strong> hat dazu ein schlüssiges<br />

Steuerkonzept (s. E&W 5/2010 und 5/2011) vorgelegt, das die Bezieher hoher<br />

Einkommen, Unternehmer und Reiche stärker in die Pflicht nimmt, öffentliche<br />

Aufgaben stärker mit zu finanzieren und diese damit auch <strong>für</strong> Bildungsausgaben<br />

zur Verantwortung zieht. Fest steht: Ohne eine andere Steuerpolitik geht das<br />

Elend in der Bildung weiter.<br />

Heinz-J. Bontrup, Professor <strong>für</strong> Wirtschaftswissenschaft an der<br />

Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen<br />

und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 7


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

Abhilfe ist dringend erforderlich, darüber<br />

herrscht inzwischen weithin Einigkeit.<br />

„Der zunehmenden Kluft in den<br />

Bildungsverläufen von Kindern und Jugendlichen,<br />

die bestehende Bildungsangebote<br />

erfolgreich nutzen, und jenen,<br />

bei denen sich die Benachteiligungen<br />

eher kumulieren, muss entschiedener<br />

begegnet werden“, fordert der aktuelle<br />

Bildungsbericht. Und er stellt fest, dass<br />

die „zunehmenden segregativen Erscheinungen<br />

im Gegensatz zur Inklusions-<br />

und Integrationsaufgabe des Bildungswesens<br />

stehen“. So sieht es auch<br />

die <strong>GEW</strong>. „Gerade das Schulwesen verstärkt<br />

die soziale Ungleichheit und von<br />

<strong>Chancengleichheit</strong> kann keine Rede<br />

sein“, schreibt <strong>GEW</strong>-Vorsitzender Ulrich<br />

Thöne in einer Analyse, die sich mit der<br />

Bildungsfinanzierung beschäftigt.***<br />

Diese Position wird von der Bertelsmann-Stiftung<br />

geteilt. „Wir lassen zu<br />

viele Bildungsverlierer zurück“, sagt<br />

Vorstandsmitglied Jörg Dräger. Geht es<br />

nach ihm, müssten <strong>mehr</strong> Mittel dort<br />

eingesetzt werden, „wo die Probleme<br />

am größten sind“. Dies zahle sich <strong>für</strong> die<br />

gesamte Volkswirtschaft aus. Denn<br />

„schlechte Bildung“ koste auf Dauer riesige<br />

Milliardenbeträge, etwa in Form<br />

von weniger Wachstum, warnt Dräger:<br />

„Sparen ist teuer.“<br />

Hier rechnet man anders<br />

Dies scheint sich inzwischen auch in Regierungskreisen<br />

herumgesprochen zu<br />

haben. Auf ihrem Dresdner „Bildungsgipfel“<br />

im Herbst 2008 vereinbarten<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)<br />

und die Ministerpräsidenten der Länder,<br />

die Gesamtausgaben <strong>für</strong> das Bildungswesen<br />

deutlich steigern zu wollen.<br />

Angepeilt wird <strong>für</strong> 2015 ein Anteil am<br />

BIP von sieben Prozent. Weitere drei<br />

Prozent sollen in die Forschung fließen.<br />

Gemessen an den von der OECD zuletzt<br />

ermittelten 4,7 Prozent wäre das ein<br />

höchst ehrgeiziges Ziel. Doch hier zu<br />

Lande rechnet man anders. Die nationale<br />

Statistik erfasst unter Bildungsausgaben<br />

auch solche, die der Pariser Club<br />

der Industriestaaten außen vor lässt: etwa<br />

die Aufwendungen <strong>für</strong> betriebliche<br />

Weiterbildung, Krippen oder Volkshochschulen.<br />

Mit dieser erweiterten Definition<br />

stellt sich die Lage schon etwas<br />

günstiger dar. Im jüngsten Bildungsfinanzbericht****<br />

beziffert das Statistische<br />

Bundesamt die öffentlichen und<br />

privaten Bildungsausgaben in 2008 auf<br />

155 Milliarden Euro. Damit erreicht das<br />

„Bildungsbudget“ einen Anteil am BIP<br />

von 6,2 Prozent. 1995 waren es noch 6,8<br />

Prozent.<br />

Wenn im Herbst die neuen Zahlen auf<br />

den Tisch kommen, dürften sich die Bildungsgipfelstürmer<br />

allerdings schon<br />

dem Sieben-Prozent-Ziel nahe wähnen.<br />

Weil das BIP im Jahr 2009 eingebrochen<br />

ist, wird selbst bei unveränderten Bildungsausgaben<br />

deren Anteil deutlich<br />

steigen, bevor er dann 2010 im Aufschwung<br />

wieder schrumpft, prognostiziert<br />

Klaus Klemm. Diese Bewegungen<br />

weisen auf eine andere Problematik hin,<br />

die der Essener Bildungsforscher in einer<br />

Studie <strong>für</strong> die Friedrich-Ebert-Stiftung*****<br />

anspricht: Die Dresdner Be-<br />

8 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

schlüsse „lassen völlig offen, welchen<br />

Anteil die öffentlichen Haushalte an<br />

dem angestrebten Wachstum übernehmen<br />

wollen“ und was den Privaten überlassen<br />

werde. Ebenso ungeklärt bleibe,<br />

wie sich die angekündigten Steigerungen<br />

auf Bund, Länder und Gemeinden verteilen<br />

sollen.<br />

Verdeckte Subventionierung<br />

Damit kommt eine weitere Datenreihe<br />

ins Spiel. Laut „Bildungsbudget“ lagen<br />

die öffentlichen Ausgaben 2007 bei 117<br />

Milliarden Euro. Nach der enger gefassten<br />

Finanzstatistik machten Bund,<br />

Länder und Gemeinden tatsächlich<br />

aber nur gut 92 Milliarden Euro <strong>für</strong> die<br />

Bildung locker. Dies entsprach einem<br />

Anteil von 3,8 Prozent am BIP. „Die öffentlichen<br />

Bildungsausgaben sind im<br />

Bundesgebiet seit 1995 stetig gestiegen,<br />

jedoch unterproportional zur wirtschaftlichen<br />

Entwicklung“, heißt es im<br />

Bildungsfinanzbericht. Gut 56 Prozent<br />

der Ausgaben kamen den Schulen zugute,<br />

knapp 15 Prozent entfielen auf<br />

Kindertageseinrichtungen und ein<br />

Fünftel auf die Hochschulen.<br />

Diese Verteilung deutet auf eine Besonderheit<br />

des deutschen Systems hin: Im<br />

internationalen Vergleich ist der Anteil<br />

privater Finanzierung in der Vorschule<br />

hoch und <strong>für</strong> Universitäten niedrig. Allerdings<br />

wird der öffentliche Beitrag<br />

nicht nur nach Ansicht der Länderfinanzminister<br />

unterschätzt. Wie Ehmann<br />

anmerkt, kann ein Großteil privater<br />

Aufwendungen <strong>für</strong> Bildung bei der<br />

Steuer geltend gemacht werden. Im<br />

Grunde eine verdeckte staatliche Subventionierung,<br />

die auf Kosten der Allgemeinheit<br />

geht und vor allem den<br />

Beziehern hoher Einkommen zugute<br />

kommt.<br />

Rendite <strong>für</strong> Benachteiligte<br />

Dieses Argument führen deutsche Bildungspolitiker<br />

jedoch nicht so gern ins<br />

Feld. Stattdessen versuchen sie, mit dem<br />

Verweis auf die Ausgaben pro Schüler<br />

beziehungsweise Studierendem Punkte<br />

zu sammeln. Aber auch in dieser Kategorie<br />

schnitt die Bundesrepublik nach<br />

Angaben der OECD kaufkraftbereinigt<br />

zuletzt im Ländervergleich nur durchschnittlich<br />

ab. Immerhin reichte es <strong>für</strong><br />

einen besseren Platz als in der Rangliste<br />

nach den Gesamtausgaben gemessen<br />

am BIP. Der wesentliche Grund: Weil<br />

die Schülerzahlen sinken, steht pro<br />

Kopf <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> zur Verfügung. Vorausgesetzt<br />

das Budget wird nicht gekürzt,<br />

sondern die „demografische Rendite“<br />

genutzt, um das Bildungsangebot zu<br />

verbessern.<br />

Dabei geht es um eine Menge <strong>Geld</strong>.<br />

„Unter den Status-Quo-Annahmen<br />

eröffnet der demografische Wandel ein<br />

Gestaltungspotenzial von knapp 20 Milliarden<br />

Euro im Jahr 2025 im Vergleich<br />

zu 2007“, rechnet der „Bildungsbericht“<br />

vor. Dass die Mittel im Bildungsbereich<br />

bleiben müssen, darüber „herrscht breiter<br />

Konsens“, meint der Bildungsökonom<br />

Manfred Weiß. Gehtesnachihm,<br />

sollte das <strong>Geld</strong> vor allem <strong>für</strong> Benachteiligte<br />

wie Heinz in Hasenbergl oder<br />

Mustafa in Neukölln verwendet werden.<br />

Dabei beruft sich Weiss auf die Forschungen<br />

von James Heckman. Fürden<br />

Wirtschaftsnobelpreisträger aus den<br />

USA entscheidet die frühkindliche Prägung<br />

über die weitere Entwicklung, soziale<br />

Ungleichheit entstehe schon im Elternhaus.<br />

Heckman setzt deshalb auf Investitionen<br />

in die Vorschule. Sie minimierten<br />

die gesellschaftlichen Folgekosten<br />

und versprächen eine hohe Rendite.<br />

Ähnlich sieht es Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister<br />

in Berlin-Neukölln:<br />

„Die Kinder müssen raus aus dem Milieu,<br />

so früh wie möglich in die Krippe<br />

und dann auf die Ganztagsschule.“ Statt<br />

in die Familienförderung müsse das<br />

<strong>Geld</strong> vordringlich in die Bildung<br />

fließen, fordert der SPD-Politiker. Nach<br />

seiner Ansicht „hätte die letzte Kindergelderhöhung<br />

ausgereicht, um die Vorschulerziehung<br />

kostenlos zu machen“.<br />

Doch zu einem solchen Schritt mochte<br />

sich die Bundesregierung nicht entschließen.<br />

Klemm ist ohnehin skeptisch.<br />

Für ihn ist „keine Politik, die in<br />

Richtung auf das Ziel des Bildungsgipfels<br />

marschiert“, in Sicht.<br />

Mario Müller, Wirtschaftsjournalist<br />

Schavans Irrungen und Wirrungen<br />

Irrungen und Wirrungen bei Bildungsministerin Annette Schavan (CDU). Der<br />

Anlass: Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hatte im Juni gemeldet, dass<br />

die Bildungsausgaben im Jahr 2009 um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen<br />

seien. Der Anteil der Ausgaben <strong>für</strong> Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) habe 9,3 gegenüber 8,6 Prozent in 2008 betragen. Die Ministerin<br />

nutzte den Bericht zum Bildungsbudget 2008/2009 zur politischen Zahlenkosmetik:<br />

Das Ziel, zehn Prozent des BIP <strong>für</strong> Bildung und Forschung aufzuwenden,<br />

sei in greifbare Nähe gerückt. „Frau Schavan irrt!“, kommentierte<br />

<strong>GEW</strong>-Vorsitzender Ulrich Thöne. „Ihr gefährliches Rechenspiel droht nach hinten<br />

loszugehen.“ Die Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am BIP sei konjunkturbedingt:<br />

2009 sei das BIP wegen der Weltwirtschaftskrise um rund fünf<br />

Prozent gesunken. Damit habe sich der BIP-Anteil der relativ statischen Bildungsausgaben<br />

automatisch erhöht, ohne dass sich die Situation im Bildungsbereich<br />

verbessert hat.<br />

Hari<br />

**** Bildungsfinanzbericht<br />

2010 im Auftrag<br />

des BMBF und der<br />

KMK, Hrsg. Statistisches<br />

Bundesamt Wiesbaden,<br />

erschienen im<br />

Dezember 2010<br />

***** Klaus Klemm:<br />

„Bildungsausgaben im<br />

föderalen System – Zur<br />

Umsetzung der Beschlüsse<br />

des Bildungsgipfels“,<br />

Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

2009 (http://library.<br />

fes.de/pdf-files/stabs<br />

abteilung/06218.pdf)<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 9


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

In der Abwärtsspirale!?<br />

Status quo und künftiger Bedarf – E&W hat in sieben Bundesländern nachgefragt, wie es dort<br />

um die Bildungsfinanzierung steht, wo es Mängel gibt und Investitionen dringend nötig sind.<br />

Kurzinterviews mit den <strong>GEW</strong>-Vorsitzenden Klaus Bullan, Sabine Gerold, Klaus-Peter Hammer,<br />

Annett Lindner, Doro Moritz, Jochen Nagel und Bernd Winkelmann.<br />

„Klar unterfinanziert“<br />

Bernd Winkelmann, Vorsitzendenteam <strong>GEW</strong> Bremen<br />

Foto: <strong>GEW</strong> Bremen<br />

Foto: imago<br />

Bernd<br />

Winkelmann<br />

* www.gew-hb.de<br />

E &W: Der Zwei-Städte-Staat Bremen ist<br />

traditionell PISA-Schlusslicht. Wie sehr<br />

hängt das schlechte Abschneiden der Bremer<br />

und Bremerhavener Schulen mit deren finanzieller<br />

Ausstattung zusammen?<br />

Bernd Winkelmann: Von 1995 bis<br />

2008 sind die Ausgaben <strong>für</strong> die öffentlichen<br />

Schulen im Bundesdurchschnitt<br />

um 18,6 Prozent gestiegen, im<br />

Stadtstaat Bremen dagegen um 3,8<br />

Prozent gesunken. In absoluten Zahlen<br />

liegen wir mittlerweile sogar um<br />

100 Euro unter dem Bundesdurchschnitt<br />

jährlicher Ausgaben von 5100<br />

Euro pro Schüler. Der Bildungsbereich<br />

ist also klar unterfinanziert. Man kann<br />

natürlich nicht gleich einen linearen<br />

Zusammenhang zu PISA herstellen.<br />

Aber wer die Ergebnisse verbessern<br />

will, muss doch zumindest eine Finanzausstattung<br />

wie in vergleichbaren Ländern<br />

schaffen.<br />

E &W: Wo steht Bremen bei der Schüler-<br />

Lehrer-Relation, der Unterrichtsversorgung<br />

und den Klassengrößen?<br />

Winkelmann: Seriös vergleichen kann<br />

man nur die Stadtstaaten. Und hier stehen<br />

wir uns immer deutlich schlechter.<br />

Dabei hat Bremen zusammen mit den<br />

neuen Ländern das höchste Armutsrisiko<br />

bei Kindern und Jugendlichen: In<br />

den alten Ländern liegt es bei 15 Prozent,<br />

in Bremen bei 28 Prozent. Für uns<br />

ist das ein weiteres Argument <strong>für</strong> stärkere<br />

Anstrengungen in der Bildung. Schule<br />

muss in sozialen Notlagen kompensatorisch<br />

wirken. Außerdem gibt es einen<br />

erheblichen Bedarf an neuen Lehrkräften:<br />

Im Bundesland Bremen sind 60<br />

Prozent älter als 50 Jahre.<br />

E &W: Bremen ist Vorreiter bei der Inklusion.<br />

Reichen da die Mittel?<br />

Winkelmann: Nein. Nötig wären zum<br />

Beispiel 100 zusätzliche Sonderpädagogen.<br />

Wir haben sogar die große Sorge,<br />

dass die „demografische Rendite“, also<br />

die „Ersparnis“ durch rückläufige Schülerzahlen,<br />

nicht in vollem Umfang <strong>für</strong><br />

Bildung bereitgestellt wird, wie es die<br />

rot-grüne Koalition mit der CDU vor<br />

zwei Jahren im „Bremer Schulkonsens“<br />

vereinbart hat.<br />

E &W: Was fordert die <strong>GEW</strong>?<br />

Winkelmann: Die demografische Rendite<br />

ist die absolute Minimalausstattung<br />

und darf nicht angetastet werden. Wir<br />

bräuchten eher zehn Prozent <strong>mehr</strong><br />

Lehrkräfte. Ein zweiter Punkt: Die<br />

Schulreform mit dem Ziel Inklusion ist<br />

anspruchsvoll angelegt. Die Kolleginnen<br />

und Kollegen müssen qualifiziert<br />

werden und brauchen da<strong>für</strong> deutlich<br />

<strong>mehr</strong> Entlastung. Generell ist die Versorgung<br />

mit qualifizierten Pädagogen<br />

bedroht. Unsere Berufe müssen also attraktiver<br />

werden, unter anderem durch<br />

die Wiedereinführung von Sonderzahlungen<br />

oder eine Besoldung aller Lehrkräfte<br />

auf A-13-Niveau.<br />

E &W: Finanzsenatorin Karoline Linnert<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) würde jetzt wahrscheinlich<br />

rufen: „Wer soll das bezahlen? Ich<br />

nicht!“ Denn das kleinste Bundesland steckt<br />

in extremer Haushaltsnotlage. Gibt es denn<br />

überhaupt Spielraum auf Landesebene?<br />

Winkelmann: In den vergangenen Jahren<br />

hat Bremen sehr viel „in Beton“ investiert.<br />

Ein gutes Gemeinwesen zeichnet<br />

sich aber auch durch einen gut funktionierenden<br />

öffentlichen Dienst aus.<br />

Da könnte eine Landesregierung die<br />

Weichen sicher anders stellen.*<br />

Interview: Eckhard Stengel, freier Journalist<br />

„Spar-Primus unter den Ländern“<br />

Sabine Gerold, Vorsitzende <strong>GEW</strong> Sachsen<br />

E &W: Sachsen gilt seit längerem als Musterknabe.<br />

Das Land hat den geringsten Pro-<br />

Kopf-Schuldenstand. Kritiker bemängeln allerdings<br />

die Kehrseite: weniger Investitionen<br />

auch im Bildungsbereich.<br />

Sabine Gerold: Sachsen ist in der Tat<br />

inzwischen auch Spar-Primus unter den<br />

Bundesländern und will das bleiben –<br />

koste es, was es wolle. Mit dem im Dezember<br />

2010 beschlossenen Doppelhaushalt<br />

2011/2012 hat die CDU/FDP-<br />

Regierung eines der größten Sparprogramme<br />

in der Geschichte des Freistaates<br />

durchgesetzt – trotz massiver Proteste<br />

der Betroffenen.<br />

E &W: Welche Bereiche sind von den Haushaltskürzungen<br />

besonders betroffen?<br />

Gerold: Soziales und Kultur, aber auch<br />

Bildung. Die viel gepriesene „Priorität<br />

<strong>für</strong> Bildung“ heißt <strong>für</strong> die sächsische<br />

Staatsregierung lediglich, dass in diesem<br />

Bereich weniger als in anderen gekürzt<br />

wird. Die Folgekosten des Landesbankdesasters<br />

und der Pensionsfonds <strong>für</strong> die<br />

Beamten – zu denen die Lehrkräfte in<br />

Sachsen nicht gehören – genießen eine<br />

deutlich höhere Priorität. Auch die sich<br />

10 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

TimeTEX ®<br />

So leben<br />

Lehrer/innen leichter<br />

„<strong>Mehr</strong> Mangelverwaltung“<br />

Jochen Nagel, Vorsitzender <strong>GEW</strong> Hessen<br />

E &W: Die <strong>GEW</strong> kritisiert seit Jahren, die<br />

Bildung sei in Hessen unterfinanziert. Lässt<br />

sich das statistisch belegen?<br />

Jochen Nagel: Absolut. Die Bildung ist<br />

chronisch unterfinanziert – vor allem<br />

gemessen am Reichtum des Landes.<br />

Hessen gibt lediglich rund 2,6 Prozent<br />

seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) <strong>für</strong><br />

die Bildung aus.<br />

E &W: Wie macht sich das bemerkbar?<br />

Nagel: Die Probleme fangen bei der<br />

Lehrer-Schüler-Relation an. In Hessen<br />

kommen auf 1000 Schüler knapp 55<br />

Lehrkräfte. In dieser Statistik schneidet<br />

Hessen bundesweit am schlechtesten<br />

ab. Der Bundesdurchschnitt liegt bei<br />

60,3. Hinzu kommt eine extrem hohe<br />

Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, was<br />

besonders an der hohen Arbeitszeit –<br />

wir reden von einer 42-Stunden-Woche<br />

– und auch an den Klassengrößen<br />

liegt. Bis zu 33 Schülerinnen und<br />

Schüler lernen gemeinsam in einer<br />

Klasse, das ist viel zu viel. Ideal wären<br />

weniger als 25.<br />

E &W: Kann an allen Schulen die Unterrichtsversorgung<br />

gewährleistet werden?<br />

Nagel: Nein. Es gibt einen deutlich<br />

spürbaren Unterrichtsausfall. Die Zahlen<br />

bekommen wir aber einfach nicht.<br />

Doch es geht auch darum, dass eine zunehmende<br />

Zahl von Lehrenden nicht<br />

inzwischen abzeichnenden Steuer<strong>mehr</strong>einnahmen<br />

– immerhin jährlich rund<br />

300 Millionen Euro werden in den<br />

nächsten vier Jahre erwartet – will der Finanzminister<br />

Georg Unland (parteilos)<br />

nicht zur Korrektur der Kürzungen bei<br />

Bildung und Kultur verwenden, sondern<br />

weit überwiegend in die Rücklagen<br />

und den Pensionsfonds <strong>für</strong> Beamte<br />

stecken. Lediglich 140 Millionen Euro<br />

sollen in den nächsten zwei Jahren in<br />

zusätzliche Investitionen fließen, ein<br />

Teil davon auch in Kitas und Schulen.<br />

Das ist völlig unzureichend.<br />

E &W: Tut das Land Ihrer Meinung nach<br />

genug, um das Zehn-Prozent-Ziel vom<br />

Dresdner Bildungsgipfel 2008 zu erreichen?<br />

Gerold: Auf jeden Fall tut auch Sachsen<br />

eine ganze Menge, um einen möglichst<br />

hohen Anteil der Bildungs- und Forschungsausgaben<br />

am Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) nachzuweisen. Es ist nicht<br />

gerade leicht, Realität und Rechenkunst<br />

zu trennen. Vom Zehn-Prozent-Ziel ist<br />

der Freistaat auf jeden Fall noch weit<br />

entfernt. Beim letzten Bundesländervergleich<br />

lagen die Bildungsausgaben<br />

(ohne Forschung) bei etwa vier Prozent.<br />

E &W: Wo befinden sich Ihrer Ansicht nach<br />

die größten Baustellen im sächsischen Bildungssystem,<br />

in die <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> investiert werden<br />

müsste?<br />

Gerold: Große Baustellen sind aus unserer<br />

Sicht die Kita-Finanzierung, die<br />

Vergütung der Lehrkräfte und die Personalausstattung<br />

der Hochschulen. Hier<br />

insbesondere auch die Kapazitäten <strong>für</strong><br />

die Lehrerausbildung, die bei Weitem<br />

nicht genügen, um dem drohenden<br />

Lehrermangel entgegen zu wirken.<br />

Große Sorge bereiten uns auch neue<br />

Stellenabbaupläne der Staatsregierung.<br />

Bis 2020 sollen noch einmal rund 17 000<br />

Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut<br />

werden. Da die Schule der größte Beschäftigtenbereich<br />

auf Landesebene ist,<br />

droht also auch ein enormer Lehrerstellenabbau<br />

– trotz wieder ansteigender<br />

Schülerzahlen.*<br />

Interview: Jürgen Amendt, Redakteur<br />

„Neues Deutschland“<br />

<strong>für</strong> das Lehramt qualifiziert ist. Das<br />

neue hessische Schulgesetz sieht sogar<br />

den Einsatz von Leiharbeitern vor (s.<br />

E&W 5/2011). Dadurch werden sämtliche<br />

pädagogischen Konzepte in Frage<br />

gesellt.<br />

E &W: Wie wirkt sich das aus?<br />

Nagel: Für die individuelle Förderung<br />

von Kindern und Jugendlichen sind<br />

kaum Ressourcen vorhanden. Oder<br />

das Stichwort Inklusion: In Klassen, in<br />

denen das von uns be<strong>für</strong>wortete gemeinsame<br />

Lernen stattfindet, dürfen<br />

zurzeit nicht <strong>mehr</strong> als 20 Schüler unterrichtet<br />

werden. Diese Absicherung soll<br />

aber mit dem neuen Schulgesetz wegfallen.<br />

E &W: Was fordern Sie, um Abhilfe zu<br />

schaffen?<br />

Nagel: Um die Unterrichtsversorgung<br />

zu gewährleisten und individuelle Förderung<br />

zu garantieren, müsste die Zahl<br />

der Lehrkräfte mindestens um zehn Prozent<br />

aufgestockt werden. Das wären<br />

5000 zusätzliche Kolleginnen und Kollegen.<br />

Selbst wenn wir die bekämen, läge<br />

Hessen bei der Lehrer-Schüler-Relation<br />

lediglich im Bundesdurchschnitt<br />

und nicht etwa darüber.<br />

E &W: Zudem setzt sich die <strong>GEW</strong> <strong>für</strong> <strong>mehr</strong><br />

Schulsozialarbeiter ein. Wie sieht der Bedarf<br />

in Hessen aus?<br />

Foto: privat<br />

Foto: imago<br />

Foto: <strong>GEW</strong> Hessen<br />

Foto: imgao<br />

Sabine Gerold<br />

* www.gew-sachsen.de<br />

Jochen Nagel<br />

* www.gew-hessen.de<br />

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7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 11


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

Foto: <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz<br />

Foto: imago<br />

Klaus-Peter<br />

Hammer<br />

* www.gew-rlp.de<br />

Nagel: Der ist unterschiedlich. Die<br />

Schulsozialarbeiter werden ja von den<br />

Kommunen eingesetzt. Mit dem Ergebnis,<br />

dass in wohlhabenden Regionen<br />

ausreichend Stellen vorhanden sein<br />

können, seltener aber in ärmeren Gegenden.<br />

Dort wären sie jedoch besonders<br />

nötig, weil es in strukturschwachen<br />

Gebieten oft <strong>mehr</strong> soziale Probleme<br />

gibt. Das Land muss ärmere Kommunen<br />

so ausstatten, dass diese sich Schulsozialarbeit<br />

leisten können.<br />

E &W: Haben die Schüler, die qua sozialer<br />

Herkunft als Bildungsbenachteiligte gelten,<br />

E &W: Die SPD-Landesregierung in Rheinland-Pfalz<br />

hat in den vergangenen Jahren einige<br />

Vorschläge der <strong>GEW</strong> umgesetzt. Sind<br />

Sie auch mit der Bildungsfinanzierung zufrieden?<br />

Klaus-Peter Hammer: Nein, da kritisieren<br />

wir die neue Landesregierung. Vor<br />

der Wahl im April haben SPD und Grüne<br />

versprochen, dass im Bildungsbereich<br />

nicht gekürzt wird. Nun steht in<br />

der Koalitionsvereinbarung, dass bis<br />

2016 rund 3000 Lehrerstellen wegfallen<br />

könnten. Begründet wird das mit sinkenden<br />

Schülerzahlen.<br />

E &W: Für weniger Schüler braucht es doch<br />

weniger Lehrer ...<br />

Hammer: So einfach ist die Gleichung<br />

nicht. Die Landesregierung hat in der<br />

Tat <strong>mehr</strong>ere unserer Vorstöße aufgegriffen.<br />

Um sie aber umzusetzen, brauchen<br />

wir ausreichend Personal. Das fängt bei<br />

der Klassengröße an. Die ist in Grundschulen<br />

auf maximal 24 festgelegt worden.<br />

In anderen Schulformen haben wir<br />

aber Klassengrößen von 29 Schülern.<br />

Zumindest in der Sekundarstufe I sollte<br />

die Zahl 24 als Norm gelten. Da<strong>für</strong> sind<br />

aber <strong>mehr</strong> Lehrkräfte notwendig.<br />

E &W: Aber die Unterrichtsversorgung ist<br />

gewährleistet, die Zahl der Ganztagsschulen<br />

steigt – haben Sie wirklich Anlass zur Kritik<br />

an der Finanzierung?<br />

Hammer: Das klingt alles gut. Aber<br />

schauen wir genauer hin: Bei ganz wenigen<br />

Ganztagsschulen handelt es sich um<br />

gebundene. In den meisten Einrichtungen<br />

werden Schüler nachmittags nur betreut.<br />

Für pädagogische Konzepte fehlen<br />

die Fachkräfte. Und die gute Unterrichtsversorgung<br />

funktioniert über fragwürdige<br />

Vertretungsverträge.<br />

E &W: Inwiefern fragwürdig?<br />

Hammer: Die Vertretungen haben oft<br />

nicht die notwendigen Qualifizierun-<br />

besonders unter den von Ihnen beschriebenen<br />

Problemen zu leiden?<br />

Nagel: Sicher. Schüler aus Familien, die<br />

eher bildungsfernen Schichten angehören,<br />

brauchen <strong>mehr</strong> individuelle<br />

Zuwendung. Die Eltern können sie oft<br />

aufgrund der eigenen Benachteiligung<br />

nicht unterstützen und zusätzliche Hilfe<br />

von außen kann man sich nicht leisten.<br />

Ein Problem gibt es auch bei der<br />

Ausstattung von Schulen. So wird zum<br />

Beispiel die in der hessischen Verfassung<br />

enthaltene Lehrmittelfreiheit systematisch<br />

unterlaufen. Eltern müssen<br />

„Es fehlen Fachkräfte“<br />

Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz<br />

Cartoon: Thomas Plaßmann<br />

gen. An vielen Schulen ist man schon<br />

froh, wenn zumindest mal ein Student<br />

kommt.<br />

E &W: Wie beurteilen Sie den Bedarf an<br />

Schulsozialarbeitern?<br />

Hammer: Es gibt aus dem Bildungspaket<br />

der Hartz-IV-Reform (s. E&W 6/2011)<br />

zwar zusätzliche Stellen, das begrüßen<br />

wir. Ein weiterer Ausbau ist aber nötig.<br />

Ebenso bei Schulpsychologen. Derzeit<br />

kommt ein Psychologe auf 10000<br />

Schüler, vorher war das Verhältnis<br />

1:12000. Wir fordern 1: 6000.<br />

E &W: Gibt es genügend Mittel <strong>für</strong> individuelle<br />

Förderung – gerade <strong>für</strong> Schüler aus bildungsfernen<br />

Familien?<br />

Hammer: Nur begrenzt. Rheinland-<br />

Pfalz hat die Hauptschule abgeschafft.<br />

Dennoch besteht weiterhin eine Stigmatisierung<br />

Bildungsbenachteiligter. Die<br />

kooperative Realschule Plus, wie das<br />

Modell heißt, endet nach der 9. Klasse.<br />

Die Schülerinnen und Schüler haben<br />

dann zwar einen Abschluss, in die 10.<br />

viel <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> zusätzliches Unterrichtsmaterial<br />

zahlen. Dies hält eine Reihe davon<br />

ab, ihr Kind auf eine weiterführende<br />

Schule zu schicken. Alles in allem bedeutet<br />

dies <strong>für</strong> Schulen und andere Bildungseinrichtungen:<br />

Wenn nicht deutlich<br />

zugunsten öffentlicher Aufgaben<br />

umverteilt wird, zum Beispiel entsprechend<br />

dem von der <strong>GEW</strong> vorgelegten<br />

Steuerkonzept, wird es im Bildungsbereich<br />

zu einer noch größeren Mangelverwaltung<br />

kommen.*<br />

Interview: Georg Leppert, Redakteur der<br />

„Frankfurter Rundschau“<br />

Klasse schafft es aber fast keiner. Damit<br />

sich das ändert, brauchten wir zusätzliche<br />

Förderung. Womit wir wieder bei<br />

den 3000 Lehrerstellen wären. Die müssen<br />

im Bildungssystem verbleiben, auch<br />

wenn die Schülerzahlen sinken. Nur<br />

dann können wir uns um einzelne Kinder<br />

und Jugendliche gezielt kümmern.<br />

E &W: Wie sieht es mit dem Bedarf an Kindergarten-<br />

und Krippenplätzen aus?<br />

Hammer: Der Bedarf ist in Rheinland-<br />

Pfalz weitgehend erfüllt. Bei Krippenplätzen<br />

könnte das Land demnächst sogar<br />

über den Soll-Zahlen liegen. Es fehlt<br />

aber auch hier an Fachkräften. Wenn wir<br />

auf pädagogische Konzepte setzen,<br />

brauchen wir qualifiziertes Personal.<br />

UndesfehltanRäumen.Zwarwilldie<br />

Landesregierung in beiden Punkten Abhilfe<br />

schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag.<br />

Wir brauchen aber ein Sofortprogramm.*<br />

Interview: Georg Leppert, Redakteur der<br />

„Frankfurter Rundschau“<br />

12 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


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BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

„Senat tritt kräftig auf Schuldenbremse“<br />

Klaus Bullan, Vorsitzender <strong>GEW</strong> Hamburg<br />

Foto: dpa Foto: imago Foto: <strong>GEW</strong> Hamburg<br />

Klaus Bullan<br />

* www.gew-hamburg.de<br />

Annett Lindner<br />

dings zu einfach. Es hat angeordnet,<br />

dass es ab diesem Schuljahr an den Förderschulen<br />

keine ersten und zweiten<br />

Klassen <strong>mehr</strong> geben dürfe. Nun sitzen<br />

Schüler mit Handicaps in den Grundschulen<br />

und die Pädagoginnen und<br />

Pädagogen wissen zum Teil nicht, wie sie<br />

mit ihnen umgehen sollen. Die meisten<br />

Lehrkräfte sind <strong>für</strong> diese Aufgabe weder<br />

vorbereitet noch qualifiziert. Das Ganze<br />

heißt Inklusion, ist aber ein Etikettenschwindel.<br />

E &W: Wie sieht es in anderen Bildungsbereichen<br />

aus?<br />

Lindner: Die Kommunen haben nur<br />

begrenzten Einfluss bei der Kinderbetreuung,<br />

seitdem fast drei Viertel der Kitas<br />

aus Kostengründen private Träger<br />

haben. Die Arbeitsbedingungen sind<br />

dadurch recht unterschiedlich; in den<br />

kleinen Einrichtungen gibt es keine gewerkschaftliche<br />

Kampfkraft. An den<br />

Ganztagsschulen beklagen wir, dass Arsetzlich<br />

geregelt, die Manövriermasse ist<br />

gering.<br />

E &W: Was müsste stattdessen passieren?<br />

Bullan: Statt bei den öffentlichen Einrichtungen,<br />

beim Wohnungsbau, dem<br />

Sozialwesen und bei der Bildung zu sparen,<br />

müssten wir die Einnahmen im öffentlichen<br />

Haushalt verbessern, indem<br />

wir Spitzenverdiener am Gesamtsteueraufkommen<br />

stärker beteiligen, z. B.<br />

über Vermögensteuer, Erbschaftsteuer<br />

und höhere Spitzensteuersätze. Wenn<br />

Hamburg endlich genug Steuerprüfer<br />

einsetzen würde, könnten wir mit dem<br />

<strong>Geld</strong> sofort die gröbsten Missstände beseitigen.<br />

E &W: Wo müsste sofort investiert werden?<br />

Bullan: Ganz oben auf der Prioritätenliste<br />

stehen die frühkindliche Bildung,<br />

die Schulen in den benachteiligten<br />

Stadtteilen und die Umsetzung der Inklusion.<br />

Die Kleinsten und die Bildungsbenachteiligten<br />

brauchen bessere<br />

Bedingungen zum Lernen.<br />

E &W: Apropos Inklusion – wie geht Hamburg<br />

damit um?<br />

Bullan: Der Senat hat als Nothilfe 108 zusätzliche<br />

Sozialpädagogen-Stellen über<br />

„Kein <strong>Geld</strong> <strong>für</strong> Arbeitsentlastung“<br />

Annett Lindner, Vorsitzende <strong>GEW</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

E &W: Was brennt der <strong>GEW</strong> in Mecklenburg-Vorpommern<br />

am meisten auf den Nägeln?<br />

Annett Lindner: Wie unsere Kolleginnen<br />

und Kollegen in anderen Ländern<br />

haben auch wir vor allem mit zu hoher<br />

Arbeitsbelastung und mangelnder Altersermäßigung<br />

sowie fehlender Entlastung<br />

<strong>für</strong> außerunterrichtliche Aufgaben<br />

zu kämpfen. Die Unterrichtsverpflichtung<br />

ist mit 27 Stunden zu hoch, an<br />

Grundschulen ist sie sogar noch eine<br />

halbe Stunde länger. Die Absenkung<br />

um eine Stunde soll rund 26 Millionen<br />

Euro kosten, behauptet die Politik. Das<br />

<strong>Geld</strong> da<strong>für</strong> sei angeblich nicht da.<br />

E &W: Fürchten die Lehrkräfte zusätzliche<br />

Belastungen, wenn sie versuchen, die Inklusion<br />

umzusetzen?<br />

Lindner: Klar ist, dass die Schulen die<br />

UN-Charta nicht zum Nulltarif realisieren<br />

können. Das CDU-geführte Bildungsministerium<br />

macht es sich aller-<br />

E &W: Hamburg gilt als reich und schön.<br />

Wie sieht es hinter den Kulissen aus?<br />

Klaus Bullan: Wenn wir auf den Bildungshaushalt<br />

schauen: katastrophal.<br />

Gemessen an den Kriterien der OECD<br />

ist der Bildungsbereich in Hamburg<br />

skandalös unterfinanziert.<br />

E &W: Was heißt das konkret?<br />

Bullan: Optimalerweise sollte der Bildungshaushalt<br />

sieben bis zehn Prozent<br />

vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen.<br />

Ich habe ausgerechnet, dass Hamburg,<br />

um mit den Spitzenreitern weltweit<br />

mithalten zu können, zwischen<br />

900 Millionen und 1,3 Milliarden Euro<br />

zusätzlich <strong>für</strong> Bildung im Jahr ausgeben<br />

müsste.<br />

E &W: Aber das auszugleichen ist doch völlig<br />

illusorisch!?<br />

Bullan: Vom Status quo aus gedacht, ja.<br />

Das Problem ist, dass der neue Senat<br />

(SPD) kräftig auf die Schuldenbremse<br />

tritt. Ab 2020 darf Hamburg keine<br />

Schulden <strong>mehr</strong> machen. Das heißt: Es<br />

wird gekürzt. Aber die Schere zwischen<br />

Einnahmen und Ausgaben ist so nicht<br />

<strong>mehr</strong> zu schließen. Fast 90 Prozent der<br />

Ausgaben im Länderhaushalt sind gedas<br />

Bundesbildungspaket finanziert. Um<br />

Inklusion zu verankern, brauchen wir<br />

aber die tatsächliche Ausstattung mit ausgebildeten<br />

sonderpädagogischen Lehrkräften.<br />

Da<strong>für</strong> hat der Senat noch kein<br />

Konzept. Wenn Inklusion nur als Sparmodell<br />

gefahren wird, ist sie zum Scheitern<br />

verurteilt.<br />

E &W: Stichwort Bildungspolitik: Wo steht<br />

Hamburg heute?<br />

Bullan: Die letzten Senate haben viel<br />

kaputt gemacht. Hamburg lag im Bundesvergleich<br />

in Bezug auf die Klassenfrequenz<br />

und die Arbeitszeit der Lehrkräfte<br />

weit hinten. Dann hat die grüne<br />

Bildungssenatorin Christa Goetsch <strong>mehr</strong><br />

<strong>Geld</strong> in Bildung investiert, die Klassenfrequenzen<br />

an Grundschulen gesenkt<br />

und Reformen in Gang gesetzt. All das<br />

ist nun gefährdet. Wenn man sich die<br />

Haushaltsplanungen ansieht, kann einem<br />

angst und bange werden.<br />

E &W: Alle fordern doch bessere Bildung.<br />

Aber wie sieht die Realität aus?<br />

Bullan: Die aktuelle Kürzung von bis zu<br />

20 Millionen Euro etwa an Hochschulen<br />

bringt das Fass zum Überlaufen.*<br />

Interview: Tina Fritsche, freie Journalistin<br />

beitszeit widerrechtlich ausgenutzt<br />

wird: 45 Minuten bezahlt der Arbeitgeber,<br />

aber 90 Minuten muss gearbeitet<br />

werden.<br />

E &W: Und nun kommt auch noch die<br />

Schuldenbremse...<br />

Lindner: Der finanzielle Ansatz <strong>für</strong> die<br />

Bildungsausgaben hat schon vorher<br />

nicht gestimmt: Die rot-schwarze Landesregierung<br />

hat zuerst überlegt, wie<br />

viel <strong>Geld</strong> sie zur Verfügung hat und<br />

denkt dann darüber nach, was sie damit<br />

machen kann. Die <strong>GEW</strong> tickt anders:<br />

Sie denkt erst nach, welche Ressourcen<br />

<strong>für</strong> eine gelingende Bildung nötig<br />

wären. Danach reden wir über die Finanzierung<br />

der Konzepte. Im letzten<br />

Doppelhaushalt gab die SPD/CDU-<br />

Koalition 30 Millionen <strong>mehr</strong> <strong>für</strong> den<br />

Bereich Schule und Kita aus. Das war<br />

ein Tropfen auf den heißen Stein.<br />

Aber – wie sollen wir mit der Schuldenbremse<br />

die anstehenden Aufgaben be-<br />

14 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

wältigen? Die Regierung haut sich das<br />

eine Standbein über geringere Steuereinnahmen<br />

weg und das andere über<br />

die Schuldenbremse – eine Katastrophe.<br />

E &W: Im September sind Landtagswahlen.<br />

Gibt es Grund <strong>für</strong> Optimismus?<br />

Lindner: Eher nicht. Die Parteien vermeiden<br />

konkrete Aussagen. Es gibt keine<br />

Kontinuität und keinen Konsens in<br />

der Bildungspolitik. Sie wird ausschließlich<br />

als Parteienpolitik verhandelt. Wie<br />

der Bildungshaushalt nach dem 4. September<br />

aussieht, steht daher in den Sternen.<br />

Eines allerdings ist bereits jetzt<br />

klar: Die Kolleginnen und Kollegen<br />

müssen immer neue Aufgaben bewältigen.<br />

Jeder Legislaturperiode folgt seit 20<br />

Jahren ein neuer Bildungsminister, und<br />

der jagt dann wieder eine neue Sau<br />

durchs Dorf.*<br />

Interview: Tina Fritsche, freie Journalistin<br />

Foto: imago<br />

* www.gew-mv.de<br />

„Richtiger Schritt:<br />

Grün-Rot erhöht Steuern“<br />

Doro Moritz, Vorsitzende <strong>GEW</strong> Baden-Württemberg<br />

E &W: Stehen den baden-württembergischen<br />

Bildungseinrichtungen nach dem Regierungswechsel<br />

zu Grün-Rot goldene Zeiten<br />

bevor?<br />

Doro Moritz: DieErwartungeninder<br />

Bevölkerung, insbesondere aber bei den<br />

Eltern sowie den Pädagoginnen und<br />

Pädagogen, sind hoch. Grüne und SPD<br />

haben versprochen, <strong>mehr</strong> in die Bildung<br />

zu investieren und in vielen Bereichen<br />

einen Kurswechsel vorzunehmen. Ende<br />

Juni will die neue Landesregierung einen<br />

Kassensturz vorlegen (nach Redaktionsschluss<br />

dieser Ausgabe). Anfang Juni<br />

hat die Landesregierung zugesagt, 711<br />

von CDU/FDP gesperrte Lehrerstellen<br />

freizugeben. Das war ein erstes gutes Signal.<br />

E &W: Der erste grüne Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann ist <strong>GEW</strong>-Mitglied.<br />

Leichtes Spiel also <strong>für</strong> die Wünsche der<br />

<strong>GEW</strong>?<br />

Moritz: Wir gratulieren Winfried Kretschmann<br />

zu seinem Amt. Wir wissen aber<br />

auch, dass er als Finanzexperte angesichts<br />

der vielen notwendigen Investitionen<br />

Schwerpunkte setzen muss. Dass<br />

Grün-Rot die Grunderwerbsteuer erhöhen<br />

und damit die Umsetzung des<br />

Orientierungsplans in den Kitas finanzieren<br />

will, ist ein erster richtiger Schritt.<br />

Auch im vergleichsweise wohlhabenden<br />

Ländle ist die Schuldenbremse ein<br />

Bremsklotz. Deshalb ist es richtig, die<br />

Steuereinnahmen zu steigern und dieses<br />

<strong>Geld</strong> in Bildung zu investieren.<br />

E &W: Wo<strong>für</strong> sollte zuerst <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> ausgegeben<br />

werden?<br />

Moritz: Die Abschaffung der Studiengebühren<br />

ab 2012 ist zugesagt. Das muss<br />

gegenfinanziert werden. Richtig ist<br />

auch, <strong>mehr</strong> in die Bildung der Jüngsten<br />

im Land zu investieren. Die <strong>GEW</strong><br />

macht sich da<strong>für</strong> stark, dass eine bessere<br />

Qualität in den Kitas Vorrang vor geringeren<br />

Elterngebühren haben soll. Weitere<br />

wichtige Themen: die seriöse Umsetzung<br />

der Inklusion und der Ausbau echter<br />

rhythmisierter Ganztagsschulen.<br />

E &W: Grün-Rot kann jetzt bis 2016 regieren.<br />

Sieht die Bildungslandschaft danach anders<br />

aus?<br />

Moritz: Wir hoffen, dass sich etwas verändert.<br />

Wir wissen aber auch, dass fünf<br />

Jahre zum Beispiel <strong>für</strong> eine Veränderung<br />

der Schulstruktur eine kurze Zeit ist.<br />

Solche Veränderungen gelingen dann,<br />

wenn Schülerinnen und Schüler, Eltern,<br />

Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulträger<br />

mit auf den Weg genommen werden.<br />

Wir haben der neuen Landesregierung<br />

signalisiert, dass wir keine Schnellschüsse<br />

und keine Verteilung der <strong>Geld</strong>er mit<br />

der Gießkanne wollen. Wir wollen, dass<br />

Grün-Rot ein stabiles Fundament <strong>für</strong> eine<br />

andere Bildungspolitik und damit<br />

langfristig <strong>mehr</strong> <strong>Chancengleichheit</strong><br />

schafft.<br />

E &W: Das klingt nach großer Übereinstimmung<br />

mit der neuen Regierung?<br />

Moritz: Das hängt davon ab, ob und<br />

wie die vielen Versprechen realisiert werden.<br />

Der Abbau von Lehrerstellen ist<br />

trotz zurückgehender Schülerzahlen<br />

nicht möglich, wenn die bildungspolitischen<br />

Ziele erreicht werden sollen.<br />

Wenn Grün-Rot vorhat, auf Kosten der<br />

Kinder und Jugendlichen zu sparen,<br />

wird die Regierung Kretschmann wie<br />

zuvor auch Schwarz-Gelb merken, dass<br />

die <strong>GEW</strong> mit ihren Bündnispartnern<br />

viele Menschen mobilisieren kann.*<br />

Interview: Matthias Schneider,<br />

Geschäftsführer und Pressesprecher<br />

<strong>GEW</strong> Baden-Württemberg<br />

Foto: <strong>GEW</strong> Baden-Württemberg<br />

Foto: dpa<br />

Doro Moritz<br />

* www.gew-bw.de


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

* Jaich, Roman: Gesellschaftliche<br />

Kosten eines<br />

zukunftfsfähigen Bildungssystems.<br />

Studie<br />

im Auftrag der Hans-<br />

Böckler-Stiftung. Düsseldorf<br />

2008.<br />

** Klinger, Ansgar /<br />

Brauer, Dietrich:<br />

Bildungsfinanzplan<br />

NRW – Mit guter<br />

Bildung aus der Krise.<br />

In: Neue Deutsche<br />

Schule 12/2009.<br />

*** Klinger, Ansgar/<br />

Clermont, Karin: Landeshaushalt<br />

NRW 2011 –<br />

Bildungsinvestitionen<br />

<strong>für</strong> die künftigen<br />

Generationen. In: Neue<br />

Deutsche Schule<br />

5/2011.<br />

**** Prognos AG: Soziale<br />

Prävention – Bilanzierung<br />

der sozialen<br />

Folgekosten in Nordrhein-Westfalen.<br />

Gutachten<br />

im Auftrag der<br />

Staatskanzlei des Landes<br />

NRW. Basel 2011.<br />

***** Ministerium <strong>für</strong><br />

Schule und Weiterbildung<br />

des Landes NRW<br />

(MSW): Schülerprognose<br />

und Schulabgängerprognose<br />

bis zum<br />

Schuljahr 2029/30. Düsseldorf<br />

2010.<br />

„Demografiegewinne <strong>für</strong> <strong>mehr</strong><br />

<strong>Chancengleichheit</strong> nutzen“<br />

<strong>GEW</strong> legt Bildungsfinanzplan <strong>für</strong> NRW vor<br />

Bildungsökonom Roman Jaich und<br />

Bildungsforscher Klaus Klemm haben<br />

2008 bzw. 2009 ermittelt, wie viel<br />

ein zukunftsfähiges Bildungswesen in<br />

Deutschland kostet (Jaich*) und welche<br />

Maßnahmen im Bildungswesen<br />

vorrangig realisiert werden könnten,<br />

sofern das Verhältnis von öffentlicher<br />

zu privater Finanzierung gleich bleibt<br />

(Klemm, s. S. 9). Die <strong>GEW</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

(NRW) hat 2009 ergänzend<br />

eigene Berechnungen „Mit<br />

guter Bildung aus der Krise“<br />

(Klinger / Brauer**) angestellt.<br />

Der Bildungsplan der <strong>GEW</strong><br />

schlüsselt den konkreten<br />

zusätzlichen Finanzbedarf<br />

<strong>für</strong> NRW über alle Stufen<br />

des Bildungswesens auf<br />

und zeigt, welche Finanzierungsanteile<br />

auf das Land NRW, auf<br />

die Kommunen und die übrigen Finanziers<br />

entfallen.<br />

Nachdem die Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) im Mai 2010 empfohlen hatte,<br />

die Bildungsausgaben in Deutschland<br />

bis 2015 um 13 Milliarden Euro zu erhöhen<br />

– die Länder und der Bund sollen<br />

jeweils 40 und Private 20 Prozent aufbringen<br />

–, hat der damalige Vorsitzende<br />

der <strong>GEW</strong> NRW, Andreas Meyer-Lauber,<br />

Zahlen und Fakten zur Bildungsfinanzierung<br />

unter dem Leitmotto „Jetzt in<br />

Bildung investieren: Qualität und<br />

<strong>Chancengleichheit</strong> bis 2015 deutlich erhöhen“<br />

vorgestellt (siehe Tabelle S. 17).<br />

In diesem Zusammenhang machte<br />

Meyer-Lauber auch deutlich, dass<br />

NRW die Beschlüsse des Dresdner Bildungsgipfels<br />

von 2008 durchaus einhalten<br />

könne, sofern das Land – bei gleichbleibendem<br />

Anteil der Bildungsausgaben<br />

– seinen Bildungsetat bis 2015 jährlich<br />

um gut vier Prozent steigert.<br />

Schritt in richtige Richtung<br />

Die neue rot-grüne Landesregierung hat<br />

in der zweiten Februar-Hälfte dieses Jahres<br />

ihren Haushaltsentwurf 2011 in den<br />

Landtag eingebracht, der gut 1,1 Milliar-<br />

16 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


den Euro zusätzliche Investitionen<br />

in Bildung und Familie vorsieht<br />

und damit einen Schritt in<br />

die richtige Richtung einleitet<br />

(Klinger/Clermont***). Denn auch<br />

die von der SPD in Auftrag gegebene<br />

Prognos-Studie „Soziale<br />

Prävention...“**** hat nachgewiesen,<br />

dass unzureichende Bildungschancen<br />

und -abschlüsse zu handfesten<br />

Wohlfahrtsverlusten in der<br />

Gesellschaft führen. So zeigte das<br />

Prognos-Gutachten auf, dass NRW<br />

jährlich nicht nur bis zu 15 Milliarden<br />

Euro (!) allein aufgrund fehlender<br />

Berufsabschlüsse in der Bevölkerung<br />

verloren gehen, weil<br />

dem Staat die mit höheren Einkommen<br />

verbundenen Steuereinnahmen<br />

fehlen. Es entstünden zudem,<br />

so die Studie, weitere 15,7<br />

Milliarden Euro soziale Folgekosten<br />

(Hartz-IV-Bezüge etc.), wenn<br />

Schulkarrieren ohne Ausbildung<br />

enden. Dieses Ergebnis macht<br />

deutlich, dass Bildungsausgaben<br />

Investitionen sind. Auch das von<br />

der neuen Landesregierung angestrebte<br />

Ziel, die Familienzentren<br />

zu stärken, ist <strong>für</strong> die <strong>GEW</strong> ein<br />

wichtiger Baustein, damit zusätzliche<br />

Ressourcen in Bildung und Erziehung<br />

fließen. Sowohl die frühere<br />

CDU/FDP- als auch die jetzige<br />

rot-grüne Regierungskoalition haben<br />

außerdem erklärt, dass sie<br />

durch den erwarteten Schülerrückgang<br />

in NRW freiwerdende Lehrerstellen<br />

in den Schulen belassen<br />

wollen (sozusagen als demografische<br />

Rendite)*****.<br />

Kita<br />

Ausbau der Plätze <strong>für</strong> 0 – 3-Jährige auf 35 Prozent eines Jahrgangs<br />

Verbesserte Personalschlüssel<br />

Schulen<br />

Ausbau des Ganztags auf 35 Prozent eines Jahrgangs<br />

Ausbau der Lehrerfortbildung<br />

Stufenplan kleine Klassen<br />

Zusätzliches Personal <strong>für</strong> neue Aufgaben<br />

Hochschulen<br />

Abschaffung der Studiengebühren<br />

Verbesserung BAföG<br />

Verbesserte Personalschlüssel<br />

Ausbau der Zahl der Studienplätze<br />

Weiterbildung<br />

Verdopplung der öffentlichen Ausgaben<br />

Ausbau entsprechend der demografischen Veränderungen<br />

Kommunale Investitionen<br />

in Gebäude<br />

moderne Ausstattungen<br />

Summe<br />

davon öffentlich (Land, Kommunen, Bund) finanziert 75 Prozent<br />

BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

So ergeben sich bereits im Schuljahr<br />

2011/12 rechnerisch weit <strong>mehr</strong><br />

als 1000 weitere Lehrerstellen gegenüber<br />

2009/10. Ihr pädagogischer<br />

Einsatz könnte endlich die<br />

dringend notwendigen Verbesserungen<br />

im nordrhein-westfälischen<br />

Schulwesen – und das sogar<br />

kostenneutral – ermöglichen.<br />

Auch der von der <strong>GEW</strong> eingebrachte<br />

Stufenplan „Kleinere<br />

Klassen“ – in der Sekundarstufe<br />

keine Klasse mit <strong>mehr</strong> als 25<br />

Schülern und keine Grundschulklasse<br />

mit <strong>mehr</strong> als 20 Schülern –<br />

sieht vor, dass in nennenswertem<br />

Umfang Pädagogenstellen als demografische<br />

Rendite in den Schulen<br />

verbleiben, um <strong>mehr</strong> Kinder<br />

und Jugendliche besser fördern zu<br />

können (weitere Infos unter:<br />

www.gew-nrw.de/index.php?id=<br />

2112).<br />

Doch solche Finanzierungskonzepte<br />

stoßen bei der Opposition<br />

nicht auf Gegenliebe. Sie hat stattdessen<br />

zum Mitte Mai verabschiedeten<br />

Landeshaushalt 2011 Sparvorschläge<br />

auf den Tisch gelegt<br />

und droht, erneut gegen den Regierungshaushalt<br />

zu klagen. Als<br />

Schwarz-Gelb an der Regierung<br />

war, hat sich die Koalition zu den<br />

Zielen des Dresdner Bildungsgipfels<br />

bekannt. Doch davon will<br />

die CDU/FDP-Opposition nun<br />

nichts <strong>mehr</strong> wissen.<br />

Ansgar Klinger, Leiter Referat<br />

Schulrecht, Bildungsfinanzierung und<br />

-statistik in der <strong>GEW</strong> NRW<br />

Die wichtigsten Vorschläge der <strong>GEW</strong> NRW und ihr mittelfristiger jährlicher<br />

Finanzierungs<strong>mehr</strong>bedarf<br />

616 Mio Euro<br />

465 Mio Euro<br />

836 Mio Euro<br />

35 Mio Euro<br />

aus Demografiegewinnen finanzierbar<br />

358 Mio Euro<br />

230 Mio Euro<br />

110 Mio Euro<br />

388 Mio Euro<br />

850 Mio Euro<br />

100 Mio Euro<br />

528 Mio Euro<br />

3.000 Mio Euro<br />

553 Mio Euro<br />

8 069 Mio Euro jährlich<br />

6 051 Mio Euro jährlich<br />

Die Deutsche Schule Bukarest sucht ab dem<br />

Schuljahr 2011/2012 Lehrerinnen und Lehrer!<br />

Die Deutsche Schule Bukarest wurde vor 3 Jahren gegründet und<br />

besteht aus einer Grundschule / Gymnasium (1.-5. Klasse) und einem<br />

Kindergarten. Wir wachsen und entfalten uns stetig, ab dem nächsten<br />

Schuljahr wird es eine 6. Klasse geben.<br />

Wir verstehen uns als Begegnungsschule und legen Wert auf die<br />

individuelle Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden Kindes in einem<br />

interkulturellen Dialog.<br />

* Sie verfügen über Fachkompetenz, Leidenschaft <strong>für</strong> ihren Beruf und<br />

haben Lust an dem Aufbau einer Schule mitzuwirken?<br />

* Sie sind teamfähig und selbstständig?<br />

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nach § 111 und ist nach<br />

§ 30 GWO als beihilfefähig anerkannt.<br />

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Krankenkassen ist die Habichtswald-Klinik<br />

als Rehabilitationsklinik<br />

anerkannt, bei den privaten<br />

Krankenversicherungen als „Gemischte<br />

Einrichtung“ die auch<br />

Akutbehandlungen gemäß OPS<br />

301 durchführt. Die Beihilfestellen<br />

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Innere Medizin<br />

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Medizin<br />

Quelle: einschließlich der Statements von Prof. Heinz Bontrup und Prof. Franz Lehner zur Landespressekonferenz vom 7. Juni 2010 unter www.gew.nrw.de/index.<br />

php?id=2112<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 17


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

„Bildung lohnt sich“<br />

Interview mit Jutta Allmendinger und Johannes Giesecke<br />

Foto: dpa<br />

Foto: David Außerhofer<br />

Prof. Jutta<br />

Allmendinger,<br />

Direktorin des<br />

Wissenschaftszentrums<br />

Berlin<br />

(WZB)<br />

Prof. Johannes<br />

Giesecke lehrt<br />

Soziologie an der<br />

Uni Bamberg.<br />

* Unzureichende Bildung:<br />

Folgekosten <strong>für</strong><br />

die öffentlichen Haushalte.<br />

Jutta Allmendinger,<br />

Johannes Giesecke und<br />

Dirk Oberschachtsiek. Eine<br />

Studie des Wissenschaftszentrums<br />

Berlin<br />

<strong>für</strong> Sozialforschung,<br />

Gütersloh 2011, im Auftrag<br />

der Bertelsmann<br />

Stiftung.<br />

E &W: Frau Allmendinger, in Ihrer aktuellen<br />

Studie „Die Folgekosten unzureichender<br />

Bildung“* plädieren Sie <strong>für</strong> <strong>mehr</strong> Investitionen<br />

in Bildung und sehen darin eine präventive<br />

Sozialpolitik. Warum?<br />

Jutta Allmendinger: Bildung hilft, individuelle<br />

Arbeitsmarkt- und Gesundheitsrisiken<br />

zu verringern. Aus der Bildungsforschung<br />

ist bekannt, dass Menschen<br />

mit geringer Qualifikation überdurchschnittlich<br />

häufig arbeitslos sind<br />

und massive Probleme haben, stabile<br />

und gut entlohnte Beschäftigung zu finden.<br />

Die sozialpolitischen Gesamtkosten<br />

unzureichender Bildung, wie die<br />

Ausgaben <strong>für</strong> das Arbeitslosengeld<br />

(ALG) I und II, summieren sich schnell<br />

zu hohen Milliardenbeträgen. Ein<br />

großer Teil des <strong>Geld</strong>es wird gebraucht,<br />

um Missstände zu verwalten. Vernünftiger<br />

wäre es, diese Mittel <strong>für</strong> bessere Bildung<br />

einzusetzen – z.B. <strong>für</strong> die 150000<br />

jungen Menschen, die Jahr <strong>für</strong> Jahr ohne<br />

Abschluss ins Berufsleben starten.<br />

Daher ist Bildungspolitik präventive Sozialpolitik.<br />

E &W: Herr Giesecke, Sie und Frau Allmendinger<br />

rechnen vor, dass schlecht qualifizierte<br />

junge Menschen den Staat 1,5 Milliarden<br />

Euro kosten – wie setzen sich diese zusammen?<br />

Johannes Giesecke: Wir haben die<br />

Kosten betrachtet, die aufgrund von Arbeitslosigkeit<br />

entstehen, also vor allem<br />

Zahlungen im Bereich von ALG I und<br />

II. Die zentrale Frage hierbei ist: Wie<br />

viel <strong>Geld</strong> könnte gespart werden, wenn<br />

es gelänge, einen Teil junger Erwachsener<br />

mit geringen Kenntnissen und<br />

Kompetenzen zu einem Abschluss zu<br />

führen? Darüber hinaus haben wir die<br />

entgangenen Einnahmen aus Steuern<br />

und Arbeitslosenversicherung berechnet.<br />

Wer eine Ausbildung erfolgreich<br />

beendet, verdient <strong>mehr</strong>, zahlt höhere<br />

Steuern und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.<br />

Bund, Länder und Kommunen<br />

würden daher durch <strong>mehr</strong> Bildungsinvestitionen<br />

künftig ihre Ausgaben<br />

vermindern und von höheren Einnahmen<br />

profitieren. Wird nichts getan,<br />

summieren sich die Ausgaben und<br />

Mindereinnahmen pro Geburtsjahrgang<br />

über einen Zeitraum von 35 Jahren<br />

auf 1,5 Milliarden Euro.<br />

E &W: Dieses <strong>Geld</strong> wollen Sie stattdessen<br />

<strong>für</strong> bessere Bildung ausgeben. Doch heute<br />

sind Länder und Kommunen auf Sparkurs<br />

und denken eher daran, ihre Haushalte zu<br />

sanieren.<br />

Allmendinger: Wenn wir heute nicht<br />

handeln, werden die gesellschaftlichen<br />

Folgekosten mit jeder nachwachsenden<br />

Generation an Geringqualifizierten dramatisch<br />

steigen. Dabei machen die von<br />

uns betrachteten Kosten nur einen Teil<br />

der Gesamtkosten schlechter Bildung<br />

aus. Höhere Kosten im Gesundheitssystem<br />

oder entgangene wirtschaftliche<br />

Dynamik etwa sind noch gar nicht eingerechnet.<br />

Es geht also um Bildungsinvestitionen,<br />

deren Erträge sich über einen<br />

Zeitraum von <strong>mehr</strong>eren Jahrzehnten<br />

erstrecken.<br />

E &W: Sinkt die Arbeitslosigkeit tatsächlich,<br />

je qualifizierter die Menschen sind?<br />

Wenn die Jobs auf dem Arbeitsmarkt rar werden,<br />

haben es doch auch gut Qualifizierte<br />

schwer, prekäre Arbeitsverhältnisse zu vermeiden?<br />

Giesecke: Das klingt logisch, ist aber<br />

nicht die Realität. Im Gegenteil: Empirisch<br />

zeigt sich eindeutig, dass mittel<br />

und insbesondere hoch Qualifizierte<br />

weitgehend stabile und nach wie vor<br />

überdurchschnittlich gute Erwerbschancen<br />

haben. Schlecht Qualifizierte<br />

zählen dagegen zu den Verlierern am Arbeitsmarkt.<br />

<strong>Mehr</strong> denn je gilt: Bildung<br />

lohnt sich.<br />

E &W: Für jeden jungen Menschen, heißt es<br />

in Ihrer Untersuchung, könnte der Staat im<br />

Schnitt 22 000 Euro zusätzlich investieren,<br />

ohne dass den öffentlichen Haushalten <strong>mehr</strong><br />

Kosten entstünden. Bitte, erklären Sie mir<br />

das!<br />

Giesecke: Der Betrag ergibt sich aus der<br />

Berechnung der Folgekosten unzureichend<br />

gebildeter junger Erwachsener im<br />

Alter von 18 Jahren – aktuell etwa<br />

150000. Wir gehen davon aus, dass wir<br />

deren Zahl um die Hälfte reduzieren<br />

können, also auf knapp 75000. Für diese<br />

Gruppe ermitteln wir Folgekosten<br />

von etwas <strong>mehr</strong> als 1,5 Milliarden Euro.<br />

Pro Kopf ergeben sich zirka 22000 Euro.<br />

Im Umkehrschluss: Die Summe<br />

könnte in jeden jungen Erwachsenen<br />

ohne Abschluss investiert werden, damit<br />

er die fehlende Qualifikation nachholen<br />

kann.<br />

E &W: Länder und Kommunen klagen über<br />

leere Kassen, wie überzeugen Sie die?<br />

Allmendinger: Unsere Berechnungen<br />

zeigen doch gerade, dass wir auf mittlere<br />

Sicht nicht unbedingt <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong><br />

benötigen. Wir müssen die Ausgaben<br />

aber umschichten. Für die frühen Lebensjahre<br />

müssen wir <strong>mehr</strong> <strong>Geld</strong> ausgeben,<br />

in späteren entsprechend weniger.<br />

Da wir das nicht von heute auf morgen<br />

schaffen, sind Bundeszuschüsse im Bereich<br />

der Bildung in der Tat nötig. Daher<br />

brauchen wir eine Änderung des<br />

Grundgesetzes und eine enge Kooperation<br />

zwischen Bund, Land und Kommunen.<br />

E &W: Das Problem: Die Bildungsverlierer<br />

sind in den Ländern unterschiedlich verteilt.<br />

Ihr Anteil reicht von sieben Prozent in Sachsen<br />

bis zu <strong>mehr</strong> als 20 Prozent im Saarland<br />

und in Bremen. Wie sollen Bund und Länder<br />

<strong>für</strong> einen Ausgleich sorgen?<br />

Allmendinger: Genau das zeigt, dass<br />

der Bund finanziell einspringen muss.<br />

Die Sozialstruktur in Bremen ist eine<br />

ganz andere als in Sachsen. In der Hansestadt<br />

sind <strong>mehr</strong> Hilfestellungen und<br />

unterstützende Angebote <strong>für</strong> Lehrkräfte,<br />

Kinder und Eltern nötig. Viele Länder<br />

können solche Ausgaben nicht alleine<br />

stemmen und brauchen daher <strong>mehr</strong><br />

als den Länderfinanzausgleich.<br />

E &W: In der Ökonomie gilt Bildung als Investition,<br />

die Renditen bringt. Geht es nur<br />

darum, was der einzelne materiell gewinnt,<br />

der Steuerzahler einspart?<br />

Allmendinger: Grundsätzlich ist an der<br />

Sichtweise, dass Bildung etwas einbringt,<br />

nichts verkehrt. Im Bereich monetärer<br />

Erträge, etwa dem Erwerbseinkommen,<br />

können Renditen berechnet<br />

werden und helfen, politische Entscheidungsträger<br />

zu überzeugen. So setzen<br />

sich beispielsweise die Erkenntnisse des<br />

Nobelpreisträgers James Heckman (s.S. 9)<br />

immer stärker durch. Heckman hat ausgerechnet,<br />

dass Investitionen in Bildung<br />

umso ertragreicher sind, je jünger die<br />

Kinder sind, denen sie zugute kommen.<br />

Bildung hat aber auch nicht-monetäre<br />

Erträge. Die sind kaum zu quantifizieren,<br />

<strong>für</strong> mich aber besonders wichtig:<br />

soziale und kulturelle Teilhabe und persönliche<br />

Entfaltungsmöglichkeiten.<br />

Interview: Helga Haas-Rietschel,<br />

Redakteurin der<br />

„Erziehung und Wissenschaft“<br />

18 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

Sozialer Ausgleich wird schwieriger<br />

Schuldenbremse reißt Löcher in Bildungsetat – zum Nachteil bildungsferner Schichten<br />

Zentrales Ziel der 2009 beschlossenen<br />

Schuldenbremse ist der Abbau der<br />

Neuverschuldung des Bundes und der<br />

Länder. Die <strong>GEW</strong>, die die Einführung<br />

der Schuldenbremse kritisiert,<br />

be<strong>für</strong>chtet, dass damit dringend nötige<br />

höhere Bildungsausgaben blockiert<br />

werden. <strong>Mehr</strong> <strong>Chancengleichheit</strong> im<br />

Bildungssystem rückt so in noch weitere<br />

Ferne.<br />

<strong>Chancengleichheit</strong> kann in<br />

Westdeutschland als ein zentrales<br />

Anliegen der Politik<br />

der Regierung unter dem sozialdemokratischen<br />

Kanzler<br />

Willy Brandt gelten. Dabei<br />

spielte der „Aufstieg durch Bildung“ eine<br />

zentrale Rolle – dies spiegelt sich etwa<br />

in der Abschaffung der Hörergelder<br />

an den Universitäten und der Einführung<br />

des BAföG wider. Um den Ausbau<br />

des Bildungssystems finanzieren<br />

und koordinieren zu können, mussten<br />

zentrale Regelungen geändert werden:<br />

Zum einen wurden die Gemeinschaftsaufgaben<br />

im Grundgesetz verankert,<br />

zum anderen das Staatsschuldenrecht<br />

den neuen Anforderungen angepasst.<br />

Mit der großen Finanzreform von 1969<br />

wurden Kredite neben den Steuereinnahmen<br />

zu einem regulären Finanzinstrument<br />

des Staates gemacht. Der Umfang<br />

der Kreditaufnahme war dabei an<br />

die Investitionen gekoppelt, d. h. die<br />

Kreditaufnahme durfte in der Regel<br />

nicht höher liegen als die Ausgaben <strong>für</strong><br />

Investitionen („Goldene Regel“). Da bei<br />

einer Investition Sachwerte entstehen,<br />

ist diese Regelung sinnvoll: Den neuen<br />

Schulden steht immer neues öffentliches<br />

Vermögen etwa in Form von Schulgebäuden<br />

entgegen. Die Änderung der<br />

Finanzverfassung war daher eine zentrale<br />

Grundlage <strong>für</strong> die Verbesserung öffentlicher<br />

Infrastruktur in den 1970er-<br />

Jahren und Voraussetzung <strong>für</strong> den Ausbau<br />

der Bildungseinrichtungen.<br />

Wettbewerb setzt sich durch<br />

Der kooperative Föderalismus war insbesondere<br />

in den 1970er-Jahren durchaus<br />

erfolgreich – aber er passte danach<br />

nicht <strong>mehr</strong> in die neoliberal gefärbte politische<br />

Landschaft, in der Wettbewerb<br />

als produktivitätssteigerndes Moment<br />

durchgesetzt werden sollte. Die Folge<br />

war die Revision der großen Finanzreform<br />

durch die Föderalismusreformen I<br />

2006 (keine Gemeinschaftsaufgaben<br />

<strong>mehr</strong> im Bildungsbereich) und II 2009<br />

(„Goldene Regel“ gilt nicht <strong>mehr</strong>, Schuldenbremse<br />

wird eingeführt). Dies stellt<br />

einen Bruch mit den finanzverfassungsrechtlichen<br />

Prinzipien dar, die den Ausbau<br />

des Wohlfahrtsstaats und erhebliche<br />

Investitionen in Infrastruktur und<br />

öffentliche Bildung ermöglicht haben.<br />

Die seit 2009 im Grundgesetz verankerte<br />

Schuldenbremse teilt die Staatsverschuldung<br />

in zwei Komponenten: eine<br />

(erlaubte) konjunkturelle und eine (verbotene)<br />

strukturelle Neuverschuldung.<br />

Die konjunkturelle Komponente soll<br />

dazu führen, dass im Abschwung eine<br />

Verschuldung möglich ist, die es im Aufschwung<br />

abzubauen gilt. Alle über diese<br />

Komponente hinausgehenden Schulden<br />

sind <strong>für</strong> die Bundesländer ab 2020<br />

verboten. Der Bund darf ab 2016 nur<br />

noch 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />

(BIP) an zusätzlichen Krediten<br />

aufnehmen (strukturelle Neuverschuldung).<br />

Bis heute ist allerdings<br />

nicht geklärt, wie die konjunkturelle<br />

Komponente der Neuverschuldung zu<br />

ermitteln ist, eine allgemein akzeptierte<br />

Methode gibt es nicht. Zu be<strong>für</strong>chten ist<br />

zudem eine prozyklische* Wirkung der<br />

Schuldenbremse.<br />

Die Länder können<br />

nur über einen Teil ihrer<br />

Finanzen selbst<br />

verfügen. Einerseits<br />

sind die maßgeblichen<br />

Einnahmequellen<br />

durch die Steuergesetzgebung<br />

des Bundes<br />

festgelegt, andererseits<br />

müssen die<br />

Länder gesetzlichen<br />

Zahlungsverpflichtungen<br />

nachkommen.<br />

Die Maßnahmen zur<br />

Konsolidierung können<br />

auf Länderebene<br />

demnach kaum auf<br />

der Einnahmeseite erfolgen.<br />

Auf der Ausgabenseite<br />

kann nur<br />

gekürzt werden, wenn<br />

es keine gesetzlichen<br />

Verpflichtungen gibt.<br />

Es wundert daher<br />

nicht, dass zahlreiche<br />

Sparmaßnahmen, die<br />

bereits beschlossen worden sind, in den<br />

Bereichen Bildung und Soziales und<br />

nicht zuletzt bei den öffentlich Beschäftigten<br />

– und das sind auf Landesebene<br />

auch zahlreiche Fachkräfte in den Bildungseinrichtungen<br />

– greifen sollen.<br />

Die Konsequenzen werden sich nach<br />

dem Inkrafttreten der Schuldenbremse<br />

jedoch verschärfen. Ein Beispiel: Sollte<br />

ein Land nach 2020 eine Hochschule<br />

bauen wollen, darf es keine Schulden<br />

aufnehmen, sondern muss das Vorhaben<br />

aus laufenden Einnahmen finanzieren.<br />

Bei großen Infrastrukturprojekten<br />

ist dies schlicht unmöglich – kein Staat<br />

kann und sollte große Rücklagen bilden<br />

–, so dass solche Bauvorhaben entweder<br />

nicht angegangen werden können<br />

oder durch Dritte ermöglicht und die<br />

Gebäude dann im Nachhinein gemietet<br />

werden müssen. Fehlende öffentliche<br />

Investitionen in die Infrastruktur sind<br />

aber vor allem <strong>für</strong> jene ein Problem, die<br />

es sich nicht leisten können, den Ausfall<br />

öffentlicher Leistungen privat „dazu“zukaufen.<br />

Daher wird die Schuldenbremse<br />

den Zielen der 1970er-Jahre entgegenwirken;<br />

der soziale Ausgleich wird<br />

schwieriger.<br />

Klemens Himpele, Referent im<br />

<strong>GEW</strong>-Organisationsbereich Hochschule<br />

und Forschung<br />

*Eine prozyklische<br />

Wirtschaftspolitik<br />

gleicht Konjunkturausschläge<br />

nicht aus, sondern<br />

verstärkt sie.<br />

Cartoon: Thomas Plaßmann<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 19


BILDUNGSAUSGABEN UND BEDARF<br />

<strong>Mehr</strong> Qualität <strong>für</strong> Bildung<br />

<strong>GEW</strong>-Kommentar<br />

* s. auch <strong>GEW</strong>-Website<br />

unter: www.gew.de/<br />

Binaries/<br />

Binary65845/<br />

2010_10_<br />

26_<strong>GEW</strong>-<br />

Steuerkonzept.pdf<br />

Foto: Kay Herschelmann<br />

Ulrich Thöne<br />

Viel zu viele Menschen werden in dieser Gesellschaft ausgegrenzt – häufig eine Folge mangelnder Bildung<br />

oder schlechter Ausstattung der Bildungseinrichtungen. Beispielsweise leben in Deutschland 7,5<br />

Millionen funktionale Analphabeten im erwerbsfähigen Alter, sie können nicht ausreichend lesen und<br />

schreiben, um ihren Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Gleichzeitig hangeln sich nahezu 90 Prozent<br />

junger Nachwuchswissenschaftler jahrelang durch befristete Teilzeitjobs – immer am Rande zum Prekariat.<br />

Beschönigungen helfen nicht weiter. Die Qualität unseres Bildungssystems muss sich verbessern, damit<br />

wir Ausgrenzungen in Bildung und Arbeitsmarkt verringern und bessere berufliche Perspektiven<br />

<strong>für</strong> alle schaffen. Aber wir erreichen das nicht, indem sich Kinder und Jugendliche den Anforderungen<br />

der Schulen stärker anpassen müssen. Viel<strong>mehr</strong> müssen wir alle Bildungseinrichtungen so ausstatten,<br />

dass sie jeden Einzelnen bestmöglich fördern können. Ja, wir wollen gute Leistungen, gerade<br />

deshalb müssen wir aber bereit sein, jeden auf seinem Bildungsweg optimal zu unterstützen.<br />

Sicher, es muss sich vieles in unserem Bildungssystem ändern. Aber eines kann man nicht oft genug<br />

betonen: Den deutschen Bildungseinrichtungen mangelt es seit vielen Jahren erheblich an Personal.<br />

Zu große Kitagruppen, zu wenig Zeit, sich um die Lernenden individuell kümmern zu können. Zu<br />

große Klassen, zu hoher Arbeitsdruck und nicht ausreichende qualifizierte Unterstützung belasten Kitas,<br />

Schulen und Hochschulen gleichermaßen. In der Weiterbildung werden die Angebote zusammengestrichen,<br />

die Arbeitsbedingungen der Branche sind häufig katastrophal.<br />

Eine Zahl mag die Unterversorgung des Bildungsbereichs deutlich machen: Laut OECD-Erhebungen<br />

stehen im Schnitt <strong>für</strong> 1000 Schülerinnen und Schüler 86 qualifizierte Pädagoginnen und Pädagoginnen<br />

bereit. Deutschland bildet mit großem Abstand das Schlusslicht der OECD-Statistik, hier<br />

kommt die gleiche Schülerzahl gerade mal auf 63 Lehrkräfte, also rund ein Viertel weniger!<br />

Ungeachtet dümmlicher Kommentare wie dem von Peter Hahne in der Bild am Sonntag (BamS, 12. Juni<br />

2011: „Unterricht <strong>für</strong> Lehrer nur Unterbrechung ihrer Freizeit“), müssen wir als Profis <strong>für</strong>’s Lernen<br />

Alarm schlagen. Von uns kann die Gesellschaft zu Recht erwarten, dass wir nicht schweigen, wenn die<br />

Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht <strong>mehr</strong> zu ihrem Dresdner Versprechen<br />

stehen, die Bildungsausgaben zu erhöhen, und sich nun „in die Büsche“ schlagen wollen. 55 Milliarden<br />

wären es jährlich gewesen, wenn die beim Gipfeltreffen 2008 angekündigten sieben Prozent <strong>für</strong> Bildung<br />

wirklich angepeilt worden wären. Seitdem mühen sich viele Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft,<br />

diese Zahl aus ihrem und dem gesellschaftlichen Gedächtnis zu tilgen.<br />

Faktisch ist die Entscheidung der Länder, stattdessen noch <strong>mehr</strong> Personal abzubauen (Schuldenbremse)<br />

– ein Wahnsinn in einer Gesellschaft, in der es selbst die Spatzen von allen Dächern pfeifen, dass<br />

der Arbeitsmarkt zunehmend weniger Jobs <strong>für</strong> Geringqualifizierte anbietet. Hier wird spätestens seit<br />

Mitte der 1990er-Jahre Raubbau mit den Grundlagen dieser Gesellschaft getrieben. Der dramatische<br />

Anstieg der Analphabeten im erwerbsfähigen Alter ist nur ein trauriges Indiz da<strong>für</strong>. Gleichzeitig klagt<br />

Politik darüber, dass gut ausgebildete Fachkräfte fehlen. Und? Merkt keiner was?<br />

<strong>Geld</strong> ist genug vorhanden – allerdings in den falschen Taschen. Fakt ist: Das Ziel, erheblich <strong>mehr</strong> <strong>für</strong><br />

gute Bildung auszugeben, ist mach- und bezahlbar!<br />

Das hat die <strong>GEW</strong> veranlasst, eine Studie in Auftrag zu geben, die den größten Teil der Kosten der <strong>für</strong> den<br />

Bildungsbereich als notwendig erachteten Maßnahmen erfasst. In seiner Untersuchung hat der Wissenschaftler<br />

Henrik Piltz <strong>für</strong> den Bildungsbereich nachgewiesen, dass sich ein erheblicher <strong>Mehr</strong>bedarf von jährlich<br />

rund 60 Milliarden Euro ergibt.* Die hohe Summe mag erstaunen, aber sie ist – mit Blick auf die deutsche<br />

Wirtschaftsleistung – keine Utopie. Nicht vergessen werden darf dabei, dass Deutschland seit Jahrzehnten<br />

den Bildungsbereich drastisch unterfinanziert und so ein erheblicher Nachholbedarf entstanden ist.<br />

Wie sollen die <strong>GEW</strong>-Vorschläge umgesetzt werden? Die Antwort fällt leicht: Zum einen wächst mit<br />

höheren öffentlichen Ausgaben auch der Beschäftigungsstand. Man spricht in diesem Zusammenhang<br />

von so genannten Selbstfinanzierungseffekten durch steigende Steuereinnahmen und geringere Sozialtransfers<br />

(s. S. 18). Zum anderen hat die <strong>GEW</strong> im vergangenen Jahr ein Steuerkonzept* erarbeitet, das<br />

den öffentlichen Kassen durch eine sozial gerechtere Besteuerung jährlich zusätzlich 80 Milliarden Euro<br />

einbringen könnte. Damit wären die nötigen <strong>Mehr</strong>ausgaben in die Bildung zu finanzieren. Allerdings:<br />

Die Entscheidungen <strong>für</strong> einen Kurswechsel in Richtung einer solidarischen und nachhaltigen<br />

Steuerpolitik unterliegen keinen Sachzwängen, sondern neuen politischen Machtverhältnissen.<br />

Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />

* Würden die bildungspolitischen Forderungen der <strong>GEW</strong> in die Tat umgesetzt, müsste die öffentliche Hand jährlich zusätzlich rund 60 Milliarden Euro<br />

locker machen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die <strong>GEW</strong> in Auftrag gegeben und die Max-Traeger-Stiftung finanziert hat. Der Autor der Untersuchung<br />

„Bildungsfinanzierung <strong>für</strong> das 21. Jahrhundert“, Henrik Piltz, legt dar, wie hoch der zusätzliche Ausgabenbedarf im Bereich Erziehung und Bildung<br />

pro Bundesland ist. Die Studie wird in den Sommermonaten gedruckt und steht dann beim <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand und in den Landesverbänden<br />

zur Verfügung.<br />

20 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


Dialog<br />

2/2011<br />

Inhalt<br />

Titel<br />

<strong>GEW</strong>-Seniorentag:<br />

Auf dem Irrweg<br />

Seite 1– 2<br />

<strong>GEW</strong>-Kommentar<br />

Teure Gesundheitsversorgung<br />

trifft<br />

die Armen:Wer wird<br />

gesund älter?<br />

Seite 2 – 3<br />

Seniorenpolitik der<br />

Gewerkschaften:<br />

„Ihr gehört zu uns!“<br />

Seite 3<br />

Cartoon: Karl-Heinz Brecheis<br />

Bundesaltenbericht:<br />

Alter im kulturellen<br />

Wandel – Potenziale<br />

aktivieren<br />

Seite 4<br />

<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />

Auf dem Irrweg<br />

Im Gesundheitswesen werden<br />

Versicherte immer stärker zur<br />

Kasse gebeten. Gleichzeitig<br />

stagnieren oder sinken Renten<br />

und Pensionen. Der <strong>GEW</strong>-Seniorentag,<br />

der jüngst in Hannover<br />

tagte, forderte die Rückkehr zur<br />

Solidarität – nicht nur im Alter.<br />

Noch spüren es viele nicht im eigenen<br />

Portemonnaie, doch<br />

die Zusatzbeiträge zur gesetzlichen<br />

Krankenversicherung sind beschlossene<br />

Sache. Seit dem 1. Januar 2011 können<br />

Krankenkassen – unabhängig vom<br />

Einkommen – eine „Kopfpauschale“ pro<br />

Mitglied erheben, wenn sie „Finanzbedarf“<br />

haben. Bisher haben das viele Kassen<br />

vermieden, doch wenn die nächste<br />

Kostenwelle im Gesundheitswesen rollt,<br />

wird sich das rasch ändern.<br />

Zurzeit zahlen alle Versicherten einen<br />

Krankenkassenbeitrag von 8,2 Prozent des<br />

Bruttogehalts. Der Arbeitgeberanteil beträgt<br />

nur 7,3 Prozent und ist seit Januar<br />

2011 eingefroren. Die neuen einkommensunabhängigen<br />

Zusatzbeiträge kommen<br />

<strong>für</strong> die Mitglieder als Belastung<br />

obendrauf – ebenso die Praxisgebühr<br />

und weitere Zuzahlungen.<br />

DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie<br />

Buntenbach erklärte: „Experten haben<br />

berechnet, dass jeder Versicherte in neun<br />

Jahren durchschnittlich 50 Euro Zusatzbeitrag<br />

im Monat zahlen wird.“<br />

Erst wenn die Gesundheitskosten zwei<br />

Prozent des Bruttogehalts übersteigen,<br />

soll ein Sozialausgleich aus Steuermitteln<br />

greifen – nach intensiver Einkommensund<br />

Bedürftigkeitsprüfung. Prof. Simone<br />

Leiber hat <strong>für</strong> das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />

Forschungsinstitut<br />

in der Hans-Böckler-Stiftung* (WSI) die<br />

Konsequenzen dieser Politik untersucht.<br />

Sie warnte in Hannover vor hohen Bürokratiekosten<br />

und sozialen Schieflagen.<br />

Das WSI prognostiziert: Entwickeln sich<br />

die Zusatzbeiträge wie vorausberechnet,<br />

fällt in wenigen Jahren ein Drittel der Versicherten<br />

unter die Bedürftigkeitsprüfung.<br />

Sozialer Irrweg<br />

„Die Bundesregierung bürdet künftige<br />

steigende Kosten des Gesundheitssys-<br />

Dialog 2/11<br />

1


<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />

2<br />

*DasWirtschaftsund<br />

Sozialwissenschaftliche<br />

Institut<br />

(WSI) der Hans-<br />

Böckler-Stiftung<br />

forscht <strong>für</strong> eine<br />

faire Arbeitswelt<br />

(www.boeckler.de/<br />

8.html).<br />

Info Bürgerversicherung<br />

Das Reform-Bündnis<br />

„Für ein solidarisches<br />

Gesundheitssystem<br />

der Zukunft“<br />

informiert<br />

über Modelle einer<br />

Bürgerversicherung<br />

und die Bundestagspetition<br />

– gegen<br />

die schwarz-gelbe<br />

Gesundheitsreform<br />

mit Kopfpauschale –<br />

im Internet: www.<br />

stoppauschale.de.<br />

Dialog 2/11<br />

<strong>GEW</strong>-Seniorentag 2011 in Hannover<br />

tems einseitig den Beschäftigten sowie<br />

Rentnerinnen und Rentnern auf“, kritisierte<br />

<strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied Anne Jenter.<br />

Sie bezeichnete die fortschreitende<br />

Entsolidarisierung im Sozial- und Gesundheitswesen<br />

als „Irrweg“. Jenter plädierte<br />

– im Einvernehmen mit Vertreterinnen<br />

und Vertretern der Sozialverbände<br />

– <strong>für</strong> eine solidarische Bürgerversicherung<br />

neuen Typs. Eckpunkte da<strong>für</strong><br />

hat der DGB mit Verbänden und der<br />

Wissenschaft entwickelt (s. Info Randspalte).<br />

„Gesellschaftliche Bündnisse <strong>für</strong><br />

eine solidarische Politik sind ein guter<br />

Hebel, um den Wunsch nach einem Politikwechsel<br />

zu verdeutlichen“, hielt Jenter<br />

fest: Laut einer Allensbach-Umfrage vom<br />

November 2010 meinen 74 Prozent der<br />

Menschen, die Lasten der schwarz-gelben<br />

Gesundheitsreform seien ungerecht<br />

verteilt.<br />

Pauschale Aussagen<br />

über die gestiegene Lebenserwartung<br />

der<br />

Menschen sind irreführend.<br />

Wir sollten<br />

fragen: Wer wird gesund<br />

älter? Wer hat<br />

Anne Jenter denZugewinnanGesundheit,<br />

Lebensjahren<br />

und sozialer Sicherheit? Nicht die<br />

Einkommensschwächeren! Kürzungen<br />

bei der Rente, eine höhere Lebensarbeitszeit<br />

und Zusatzkosten in der Kran-<br />

Foto: Frank Walensky-Schweppe<br />

Vorsorge als Ware<br />

Im Kern geht es bei der Bürgerversicherung<br />

darum, die u.a. durch hohe Arbeitslosigkeit<br />

und niedrige Lohnzuwächse geschwächte<br />

Finanzbasis der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung zu stärken. Da<strong>für</strong><br />

sollen künftig Beiträge auf weitere Einkommensarten<br />

– wie etwa Vermögenseinkünfte<br />

– erhoben werden. Zudem sollen<br />

die Versicherungspflicht ausgeweitet<br />

und die private Krankenversicherung<br />

schrittweise abgeschafft werden. „Wir sind<br />

das einzige europäische Land, das sich ein<br />

Gesundheitssystem mit einem privaten<br />

und einem gesetzlichen Zweig als Vollversicherung<br />

leistet“, erläuterte Forscherin<br />

Leiber. Weltweit hätten nur die USA ein<br />

vergleichbares System – mit negativen<br />

Folgen <strong>für</strong> den Gesundheitsschutz und<br />

die Versorgungsqualität breiter Bevölkerungsschichten.<br />

Alfred Spieler von der<br />

Volkssolidarität problematisierte: „Uns<br />

begegnen täglich Leute mit Niedriglohn,<br />

kleiner Rente oder Hartz IV, die den Arztbesuch<br />

vermeiden, weil sie das <strong>Geld</strong> <strong>für</strong><br />

Praxisgebühr und Zuzahlungen nicht haben.“<br />

Georg Hupfauer von der Katholischen<br />

Arbeitnehmerbewegung beklagte:<br />

„Gesundheitsversorgung ist bei uns zur<br />

Ware geworden. Nur gut Betuchte können<br />

sich die besten Leistungen kaufen.“<br />

Karin Sauck von der <strong>GEW</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

beanstandete die Beitragspolitik<br />

der privaten Krankenversicherung:<br />

„Wer in jungen Jahren überredet<br />

wurde, in die private Versicherung zu<br />

wechseln, steht im Alter durch Höchstbeiträge<br />

nicht selten vor dem Ruin.“<br />

<strong>GEW</strong>-Kommentar:Teure Gesundheitsversorgung trifft die Armen<br />

Wer wird gesund älter?<br />

Foto: privat<br />

kenversicherung verschlechtern die Lebensumstände<br />

vieler Menschen.<br />

Der 6. Bundesaltenbericht* hält starre Altersgrenzen<br />

im Arbeitsleben <strong>für</strong> verzichtbar<br />

und schlägt alternativ das Sammeln<br />

von Erwerbsjahren vor. Hier schießt die<br />

Bundesaltenberichtskommission allerdings<br />

über das Ziel hinaus. Denn sie unterschlägt<br />

höchst unterschiedliche Lebens-<br />

und Arbeitsbedingungen. Die Perspektive<br />

„Arbeiten bis zum Umfallen“ ist<br />

keine.<br />

WerimAltermitniedrigerRenteundge-<br />

Weniger Netto vom Brutto<br />

Fakt ist: Höhere Ausgaben <strong>für</strong> Gesundheit<br />

schwächen den privaten Konsum –<br />

bei stagnierenden und teilweise sinkenden<br />

Reallöhnen und Renten. In diesem<br />

Jahr steigen die Renten um 0,99 Prozent.<br />

Die Auswirkungen der jüngsten<br />

Rentenreformen – mit Leistungskürzungen<br />

(z. B. Ausbildungszeiten) und<br />

gebremstem Rentenanstieg (Demografie-Faktor)<br />

– verstärken diese Entwicklung.<br />

Die Deregulierung des Arbeitsmarkts hat<br />

den öffentlichen Dienst auch in Bildung<br />

und Erziehung längst erfasst:<br />

<strong>mehr</strong> befristete Stellen in Hochschulen,<br />

Praktika, Niedriglöhne, Honorarverträge.<br />

Adolf Bauer vom Sozialverband Deutschland<br />

warnte: „Die Jungen arbeiten an<br />

ihrer Altersarmut von morgen.“ Der niedersächsische<br />

<strong>GEW</strong>-Vorsitzende Eberhard<br />

Brandt kritisierte die Bildungspolitik seines<br />

Landes: „Statt auf Ganztagsschule<br />

setzt Niedersachsen auf Ganztagsbetreuung.<br />

Honorarkräfte ohne Sozialversicherungsschutz<br />

werden im großen Stil<br />

eingesetzt.“ Das passiert nicht nur in<br />

Niedersachsen. „Eine Erzieherin muss<br />

heutzutage <strong>für</strong> eine Altersrente über der<br />

Grundsicherung 44 Jahre arbeiten“, erklärte<br />

Buntenbach. Das Beispiel belege,<br />

dass der demografische Wandel ohne<br />

Solidarität im Sozialsystem nicht menschenwürdig<br />

zu gestalten sei.<br />

Beate Eberhardt, freie Journalistin<br />

ringem Einkommen dasteht, den trifft<br />

der Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik<br />

besonders hart. Arbeitgeber<br />

werden finanziell entlastet und aus der<br />

paritätischen Verantwortung <strong>für</strong> die<br />

Kostendämpfung im Gesundheitswesen<br />

entlassen: Eingefrorene Arbeitgeberbeiträge<br />

sind eine politische Fehlentscheidung.<br />

Die Gewerkschaften setzen auf Solidarität:<br />

Die finanziell Starken sollen <strong>für</strong> die<br />

Einkommensschwächeren da sein, Junge<br />

<strong>für</strong> Alte, Gesunde <strong>für</strong> Kranke – im Ge-


<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />

Seniorenpolitik der Gewerkschaften<br />

„Ihr gehört zu uns!“<br />

Die „Seniorenfrage“ steht auch<br />

den Gewerkschaften ins Haus:<br />

Zunehmend suchen kompetente<br />

und rührige Mitglieder im Ruhestand<br />

neue Aufgaben und wollen<br />

gewerkschaftlich etwas bewirken.<br />

Und: Sie brauchen auch<br />

im Alter eine starke Interessenvertretung.<br />

Das machte der<br />

<strong>GEW</strong>-Seniorentag 2011 in Hannover<br />

deutlich.<br />

1,3 Millionen Mitglieder der DGB-Gewerkschaften<br />

sind zurzeit im Ruhestand.<br />

„Der DGB hat vor drei Jahren seniorenpolitische<br />

Eckpunkte beschlossen, tut<br />

sich aber schwer, diese zu realisieren.<br />

Denn Seniorenarbeit ist Sache der Einzelgewerkschaften,<br />

und da gibt es große<br />

Unterschiede“, stellt Bettina Munimus<br />

fest. Mit Wolfgang Schroeder hat sie die<br />

„Akteure deutscher Seniorenpolitik“<br />

untersucht.*<br />

Gewerkschaften arbeiten generationenübergreifend,<br />

daher vertreten sie die Interessen<br />

der Älteren indirekt mit. Das<br />

gilt insbesondere <strong>für</strong> sozialpolitische<br />

Themen. Andere Bereiche, die in der alternden<br />

Gesellschaft wichtig sind, erschließen<br />

sich Gewerkschaften erst nach<br />

und nach: etwa Wohnen im Alter, Fragen<br />

der Mobilität oder des Verbraucherschutzes.<br />

Viel wird davon abhängen, ob<br />

es den Gewerkschaften gelingt, ihr seniorenpolitisches<br />

Profil weiter zu schärfen,<br />

oder ob sie das Terrain und damit<br />

engagierte Mitglieder den Seniorenverbänden<br />

überlassen.<br />

Kein Seniorenprofil<br />

„Die Sozialverbände sind die direkten<br />

Interessenvertretungen der Älteren, das<br />

haben sie sich auf die Fahnen geschrieben“,<br />

sagt Munimus. Organisationen wie<br />

der Sozialverband Deutschland (SoVD),<br />

die Volkssolidarität oder der Sozialverband<br />

VdK Deutschland haben besondere<br />

Leistungen <strong>für</strong> ältere Menschen im<br />

Gepäck. Sie bieten vor allem direkte<br />

Rechtsberatung an, regional und ohne<br />

Wartezeit – etwa bei Rente oder Pflege.<br />

Die „mittelbaren Akteure“ – Parteien,<br />

Gewerkschaften und Kirchen – haben<br />

kein spezifisches seniorenpolitisches Profil.<br />

Sie müssen intern klären: Sind Ältere<br />

<strong>für</strong> den Erfolg der Organisation aktiv –<br />

etwa im klassischen Ehrenamt? Betreiben<br />

sie Gesellschaftspolitik – von Älteren<br />

<strong>für</strong> Ältere? Geht beides zusammen?<br />

Beispiel Parteien: Rund die Hälfte der<br />

SPD- und CDU-Mitglieder ist über 60<br />

Jahre alt, Tendenz steigend. In der SPD<br />

sundheitswesen wie bei der Rente. Zwar<br />

sind die Sozialversicherungssysteme<br />

nicht marode, doch nehmen sie immer<br />

weniger ein. Der Ausweg? Eine Bürgerversicherung.<br />

Sie garantiert dem Sozialsystem<br />

<strong>mehr</strong> Einnahmen und könnte<br />

da<strong>für</strong> eine gute, <strong>für</strong> die Beschäftigten<br />

bezahlbare Gesundheitsversorgung als<br />

Leistung anbieten – auch im Alter.<br />

Außerdem sollte die Erwerbstätigenversicherung<br />

<strong>für</strong> Renten ohne Armutsrisiko<br />

sorgen – mit ausreichendem Schutz bei<br />

Frühinvalidität. Flankierend sind sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigungsverhältnisse<br />

<strong>für</strong> alle sowie ein gesetzlicher<br />

Mindestlohn unerlässlich. Prekäre Arbeit<br />

ohne Sozialschutz ist die Wegbereiterin<br />

der Altersarmut. Die Bundesregierung<br />

muss deshalb endlich handeln.<br />

Anne Jenter, Leiterin des<br />

<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Frauenpolitik<br />

*„Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik<br />

Deutschland – Altersbilder in der Gesellschaft“, erschienen im November<br />

2010, kann beim Bundesministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und<br />

Jugend kostenlos als Broschüre bestellt werden: www.bmfsfj.de<br />

(Pfad: Ältere Menschen).<br />

wird man qua<br />

Alter „Mitglied<br />

60plus“; in die<br />

Senioren-Union<br />

tritt man ein und<br />

zahlt 2,50 Euro<br />

Monatsbeitrag.<br />

Beide Parteien<br />

sind politische Bettina Munimus<br />

Heimat, aber<br />

keine strikte Interessenvertretung älterer<br />

Menschen.<br />

Mitsprache verankern<br />

Die DGB-Gewerkschaften organisieren<br />

unterschiedliche Modelle <strong>für</strong> ältere Mitglieder:<br />

Die IG Metall setzt auf außerbetriebliche<br />

Gewerkschaftsarbeit, die<br />

IG BCE bietet Rentnerinnen und Rentnern<br />

die Vollmitgliedschaft mit allen<br />

Rechten an, ver.di hat die Seniorenarbeit<br />

in der Satzung verankert – ebenso<br />

die <strong>GEW</strong>.<br />

Außerdem gibt es in der Bildungsgewerkschaft<br />

je nach Landesverband unterschiedliche<br />

Mitmach-Angebote. In der<br />

Regel werden zwei Zielgruppen angesprochen:<br />

die Älteren und die so genannten<br />

„jungen Alten“. Fest steht: Der<br />

DGB sendet an die älteren Mitglieder<br />

das Signal: Ihr gehört zu uns!<br />

Künftig reicht das aber nicht <strong>mehr</strong> aus,<br />

urteilen beispielsweise Teilnehmende<br />

des <strong>GEW</strong>-Seniorentags. Sie möchten<br />

beides: die Solidargemeinschaft <strong>GEW</strong><br />

stärken und Seniorenpolitik aus Gewerkschaftsperspektive<br />

betreiben. Das<br />

klassische Ehrenamt wollen sie mit Projektarbeit<br />

und neuen Arbeitsformen verbinden.<br />

<strong>Mehr</strong> Gewerkschaftseinfluss vor<br />

Ort sei seniorenpolitisch auch nötig,<br />

hieß es in Hannover: etwa die regionale<br />

Zusammenarbeit mit DGB-Gruppen oder<br />

das Mitmischen in kommunalen Seniorenbeiräten.<br />

Das Potenzial <strong>für</strong> eine solide<br />

Seniorenarbeit scheint es in der<br />

<strong>GEW</strong> zu geben, jetzt gilt es, dieses stärker<br />

zu entfalten.<br />

Beate Eberhardt, freie Journalistin<br />

Foto: privat<br />

* Buchtipp <strong>für</strong><br />

Multiplikatoren<br />

Wolfgang Schroeder,<br />

Bettina Munimus,<br />

Diana Rüdt:<br />

„Seniorenpolitik im<br />

Wandel. Verbände<br />

und Gewerkschaften<br />

als Interessenvertreter<br />

der älteren<br />

Generation“.<br />

Frankfurt am Main,<br />

Campus-Verlag<br />

2010, 500 Seiten,<br />

50,40 Euro<br />

Dialog 2/11 3


<strong>GEW</strong>-Seniorentag<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft<br />

Hauptvorstand,<br />

Postfach 90 04 09<br />

60444 Frankfurt/M.<br />

Tel.: (069) 7 89 73-0<br />

Fax: (069) 7 89 73-2 01<br />

E-Mail: info@gew.de<br />

Internet: www.gew.de<br />

Redaktion:<br />

Ulf Rödde (verantwortlich),<br />

Anne Jenter, Helga Haas-Rietschel,<br />

Beate Eberhardt, Frauke Gützkow<br />

Hildegard Klenk, Hedda Lungwitz<br />

Gestaltung:<br />

Werbeagentur Zimmermann<br />

GmbH, Frankfurt/M.<br />

Druck:<br />

apm AG, Darmstadt<br />

4<br />

Dialog 2/11<br />

Bundesaltenbericht: Alter im kulturellen Wandel<br />

Potenziale aktivieren<br />

Der Altersumbau in der Gesellschaft<br />

geht rasant voran. Er<br />

bringt weit <strong>mehr</strong> mit sich als<br />

nur einen größeren Anteil älterer<br />

Menschen. Eine rein quantitative<br />

Betrachtung greife daher<br />

zu kurz, warnte Prof.Andreas<br />

Kruse,Vorsitzender der Bundesaltenberichtskommission,<br />

auf<br />

dem <strong>GEW</strong>-Seniorentag 2011 in<br />

Hannover.<br />

Unser Leben im Alter gut zu<br />

entwickeln, das haben wir ein<br />

Stück weit selbst in der<br />

Hand: aktiv, integriert in Gemeinschaften<br />

und in bester Verfassung. Zu oft<br />

wird medial das Horrorbild einer vergreisten<br />

Gesellschaft an die Wand gemalt:<br />

Große Teile der Bevölkerung werden<br />

als hilfebedürftig, krank und kaum<br />

leistungsfähig dargestellt. Solche Verallgemeinerungen<br />

verdecken, dass sich seit<br />

über vier Jahrzehnten eine kleine Kulturrevolution<br />

im positiven Sinne vollzieht:<br />

Fortschritt, Technologien und Reformen<br />

verlangen den Menschen immense<br />

Anpassungsleistungen ab. Sie<br />

sind bisher in aller Regel mit Bravour<br />

gemeistert worden. Die heutigen Generationen,<br />

die viel älter werden als ihre<br />

Vorfahren, interpretieren auf Grundlage<br />

dieser Erfahrungen auch ihr Alter neu.<br />

Das zeigt: Altern unterliegt einem kulturellen<br />

Wandel.<br />

Gesellschaftliche Aufgabe<br />

Diese Zusammenhänge analysierte Prof.<br />

Andreas Kruse, einer der Autoren des<br />

6. Bundesaltenberichts. Die rund 500<br />

Seiten starke Untersuchung geht den<br />

Altersbildern nach (s. DIALOG S.3): in<br />

Geschichte und Gegenwart, in Arbeitswelt,<br />

Bildung und Weiterbildung, in<br />

Konsum und Produktion, in den Medien,<br />

dem Gesundheitswesen und anderen<br />

Sparten der Altersforschung. Kruse erläuterte:<br />

„Es ist falsch, aus dem Durchschnittsalter<br />

der Menschen negative<br />

Schlüsse <strong>für</strong> die gesellschaftliche Entwicklung<br />

zu ziehen.“ Dieses Credo durchzieht<br />

den gesamten Bericht. Ein wichtiges<br />

Ergebnis lautet: Das Lebensalter ist kaum<br />

entscheidend da<strong>für</strong>, was „Silberköpfe“<br />

aus ihrem Leben machen; viel wichtiger<br />

sind im Alter kulturelle, soziale und gesellschaftliche<br />

Prägungen. Die Gesellschaft<br />

soll <strong>mehr</strong> auf die Potenziale der<br />

Älteren setzen, sich nicht auf deren Defizite<br />

fixieren, gleichzeitig gute Rahmenbedingungen<br />

gestalten. Denn: „Zu einem<br />

sinnerfüllten Dasein gehören kognitive,<br />

emotionale und soziale Aktivierungen“,<br />

betonte Kruse. Entsprechend sei Älterwerden<br />

keine individuelle Leistung,<br />

sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.<br />

Chancen nicht gleich<br />

Die Politik, das wurde deutlich, hat<br />

noch einen weiten Weg vor sich. Einige<br />

Standards – etwa in der Arbeitswelt,<br />

beim Wohnen oder im Gesundheitssystem<br />

– verhindern, das Alter freier zu gestalten.<br />

Kruse räumte ein, es mangele an<br />

Angeboten zur Gesundheitsförderung,<br />

zur Qualifizierung sowie an einer „positiven<br />

Einstellung der Jüngeren gegenüber<br />

den Älteren“. Ein weiteres Manko<br />

seien ungleiche soziale Chancen. „Wer<br />

in jungen Jahren keine Bildungsangebote<br />

nutzen konnte, kann das später<br />

kaum aufholen“, so Kruse.<br />

Für eine neue Sicht auf Altersbilder<br />

und -modelle liefert der Bundesaltenbericht<br />

zwar wertvolle Anstöße. Doch<br />

nicht alle Fragen sind mit Verweis auf<br />

die höhere Lebenserwartung beantwortet.<br />

Denn: Das Potenzial vieler Menschen<br />

ist zwar aktivierbar, doch Bildungsferne<br />

und Armut stehen dem erheblich<br />

im Weg. Altenpolitik, stellt<br />

Kruse fest, sei deshalb eine „Querschnittsaufgabe,<br />

die Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> ein gutes Leben“ zu schaffen habe.<br />

Beate Eberhardt, freie Journalistin<br />

Andreas Kruse, Direktor des Instituts <strong>für</strong> Gerontologie der Universität<br />

Heidelberg und Vorsitzender der Bundesaltenberichtskommission<br />

Foto: Frank Walensky-Schweppe


TARIFPOLITIK<br />

Verbesserungen<br />

durchgesetzt<br />

Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst<br />

Mit Verbesserungen bei Startgutschriften,<br />

Mutterschutzzeiten<br />

und Lebenspartnerschaften endeten<br />

am 30. Mai die Verhandlungen<br />

über die Zusatzversorgung<br />

im öffentlichen Dienst (VBL,<br />

ZVK). Die Veränderungen gelten<br />

<strong>für</strong> alle Tarifbeschäftigten im<br />

öffentlichen Dienst bei Bund,<br />

Ländern und Gemeinden sowie<br />

bei der evangelischen und katholischen<br />

Kirche, die entsprechende<br />

Regelungen zur Altersversorgung<br />

anwenden. Damit zurückliegende<br />

Mutterschutzzeiten angerechnet<br />

werden, ist ein Antrag notwendig,<br />

die anderen Korrekturen<br />

werden automatisch berücksichtigt.Die<br />

Gespräche waren<br />

2008 aufgenommen<br />

worden, nachdem<br />

der Bundesgerichtshof<br />

(BGH) 2007 die<br />

Berechnung der „Startgutschriften“<br />

<strong>für</strong> so genannte rentenferne<br />

Versicherte (Angestellte,<br />

die jünger als 55 Jahre sind) in<br />

Westdeutschland verworfen hatte.<br />

Im Osten stellte sich das Problem<br />

nicht in gleicher Weise, da die Zusatzversorgung<br />

dort erst 1997 neu<br />

eingeführt wurde. Mit den Startgutschriften<br />

wurden 2001 bei der<br />

Systemumstellung der Zusatzversorgung<br />

auf ein Punktemodell die<br />

Ansprüche aus dem alten Versorgungsmodell<br />

abgegolten.<br />

Auch <strong>für</strong> Mutterschutzzeiten und<br />

die Hinterbliebenenversorgung<br />

bei eingetragenen Lebenspartnerschaften<br />

waren höchstrichterliche<br />

Urteile umzusetzen, die zum Teil<br />

der <strong>GEW</strong>-Rechtsschutz erstritten<br />

hatte. Positiv ist zu vermerken,<br />

dass sich die Arbeitgeber – anders<br />

als zu Beginn der Verhandlungen –<br />

bereit erklärt haben, die zusätzlichen<br />

Kosten, die aus den Urteilen<br />

erwachsen, alleine zu tragen.<br />

Gemeinsames Ziel der Gewerkschaften<br />

und der Arbeitgeber war,<br />

die VBL-Renten endlich rechtssicher<br />

zu machen. Das ist dringend<br />

nötig: Schon jetzt beziehen tausende<br />

Kolleginnen und Kollegen,<br />

die 2001 jünger als 55 Jahren waren,<br />

wegen der unverbindlichen<br />

Startgutschrift eine „vorläufige“<br />

Rente. Im nächsten Jahr erreichen<br />

die ersten von ihnen die Altersgrenze<br />

65. Schon jetzt können<br />

<strong>mehr</strong>ere zehntausend Versorgungsausgleichsfälle<br />

wegen der<br />

Unsicherheit über die Höhe der<br />

Herzlich Willkommen in<br />

Den Hoorn auf Texel.<br />

Wir empfangen Sie sehr gerne in<br />

unseren schönen, kürzlich vollständig renovierten Ferienwohnungen:<br />

Zwei Appartements <strong>für</strong> 2-4 Personen und ein Appartement <strong>für</strong> 2 Personen.<br />

Sie wurden im Juni 2010, nach einer Kernsanierung mit Um- bzw. Anbau,<br />

neu eröffnet.<br />

Die Appartements sind geschmackvoll und sehr komfortabel eingerichtet.<br />

Das Inventar ist komplett neu. Die Wohnungen liegen an einer wenig<br />

befahrenen Straße und haben eine eigene kleine Gartenterasse (in der<br />

Erdgeschosswohnung), einen Holzbalkon mit Gartenmitbenutzung und<br />

Veranda (erstes Geschoss) sowie eine Dachterasse mit Sedumdach <strong>für</strong><br />

das 2 Personen-Appartement.<br />

Wir freuen uns Sie kennenlernen zu dürfen.<br />

Kerstin und Harald Weiss<br />

Herenstraat 55<br />

1797 AG Den Hoorn - Texel<br />

Tel. 0031 222 319397<br />

info@herenstraat55.nl<br />

www.herenstraat55.nl<br />

Beispiel:<br />

Beginn Beschäftigung öffentlicher Dienst: 1. Januar 1982 (Alter 30<br />

Jahre)<br />

Umstellung auf Punktemodell: 31. Dezember 2001 (Alter 50 Jahre)<br />

d.h. 20 Jahre, bei Weiterbeschäftigung bis Alter 65: 35 Jahre öffentlicher<br />

Dienst<br />

bisherige Startgutschrift 2001: 2,25 Prozent x 20 Jahre = 45 Prozent<br />

der Voll-Leistung*<br />

Vergleichsrechnung nach Betriebsrentengesetz: 20 Jahre/35 Jahre =<br />

57,14 Prozent der Voll-Leistung*<br />

Zuschlag zur Startgutschrift: (57,14 Prozent – 45 Prozent – 7,5 Prozent**)<br />

= 4,64 Prozent der Voll-Leistung.<br />

* Voll-Leistung = 91,75 Prozent des pauschalierten Nettoeinkommens minus hochgerechnete<br />

gesetzliche Rente nach dem Näherungsverfahren<br />

** tarifvertraglich vereinbarter Abschlag<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 25


TARIFPOLITIK<br />

VBL- oder ZVK-Rente nicht abgeschlossen<br />

werden. Gewerkschaften und Arbeitgeber<br />

gehen davon aus, dass die<br />

Neuregelung den Anforderungen des<br />

BGH genügt.<br />

Zuschläge zur Startgutschrift<br />

Zuschläge zur bisherigen Startgutschrift<br />

bekommen westdeutsche Versicherte,<br />

die relativ spät in den öffentlichen<br />

Dienst gekommen sind und zum Zeitpunkt<br />

der Systemumstellung schon relativ<br />

alt, aber noch nicht älter als 55 Jahre<br />

waren. Darin drückt sich spiegelbildlich<br />

aus, dass diese Beschäftigten bei der<br />

Umstellung auf das Punktesystem 2001<br />

am meisten verloren hatten. Hier<strong>für</strong><br />

<strong>GEW</strong>-Beitrag ändert sich<br />

Mit dem Tarifergebnis vom Februar 2010 <strong>für</strong> den Sozialund<br />

Erziehungsdienst (SuE) sowie die im öffentlichen<br />

Dienst bei Bund und Kommunen nach dem Tarifvertrag<br />

öffentlicher Dienst (TVöD) Beschäftigten sind eine Einmalzahlung<br />

und ein höheres Entgelt in drei Trippelschritten<br />

vereinbart worden. Die letzte Erhöhung um 0,5 Prozent<br />

tritt am 1. August 2011 in Kraft. Der monatliche Mitgliedsbeitrag<br />

<strong>für</strong> Angestellte nach SuE oder TVöD wird zu<br />

diesem Zeitpunkt entsprechend angehoben. Des Weiteren<br />

wird der Tabellenabschlag nach der so genannten „kleinen<br />

Lehrerzulage“ kontinuierlich abgeschmolzen: Mit jeder<br />

Tabellenerhöhung schrumpft der Rückstand der „Lehrertabelle“<br />

gegenüber der allgemeinen TVöD-Tabelle um 7,20<br />

Euro. Das wird bei der Beitragsberechnung ebenfalls<br />

berücksichtigt.<br />

Eventuell notwendige Änderungen und Korrekturen Ihres<br />

<strong>GEW</strong>-Beitrags nimmt der zuständige Landesverband vor.<br />

Petra Grundmann, Schatzmeisterin der <strong>GEW</strong><br />

muss in jedem Einzelfall eine Vergleichsrechnung<br />

angestellt werden. Diese<br />

Kolleginnen und Kollegen, die einen<br />

Zuschlag bekommen, erhalten von der<br />

VBL oder ZVK mit der nächsten Jahresmeldung<br />

eine entsprechende Mitteilung.<br />

Niemand muss selbst tätig werden.<br />

Die Vergleichsrechnung orientiert sich<br />

an Paragraf 2 Betriebsrentengesetz, der<br />

in der Privatwirtschaft angewendet wird.<br />

Dabei wird die Betriebsrente ab Beginn<br />

der Beschäftigung bei einem Arbeitgeber<br />

bis zum Rentenalter hochgerechnet.<br />

Scheidet jemand früher aus, bekommt<br />

er die hochgerechnete Rente anteilig.<br />

Demgegenüber waren bei der Berechnung<br />

der Startgutschrift im öffentlichen<br />

Dienst <strong>für</strong> „Rentenferne“ (unter 55 Jahren)<br />

pro Beschäftigungsjahr 2,25 Prozent<br />

einer in 44,4 Jahren erreichbaren<br />

Voll-Leistung gutgeschrieben worden.<br />

Allerdings haben sich die Arbeitgeber<br />

strikt geweigert, einen Zuschlag in allen<br />

Zusatzversorgung<br />

Die Zusatzversorgung, also die betriebliche Altersversorgung, ist der einzige Bereich,<br />

in dem im öffentlichen Dienst noch einheitliche Tarifbedingungen herrschen.<br />

Als Arbeitgeber verhandelten daher der Bund, die Tarifgemeinschaft<br />

deutscher Länder (TdL) und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände<br />

(VKA). Die Gewerkschaften hatten eine gemeinsame Verhandlungskommission<br />

aus ver.di, dbb Tarifunion und <strong>GEW</strong> gebildet. Bundestarifkommission und<br />

Große Tarifkommission der <strong>GEW</strong> haben dem Ergebnis am 20. Juni zugestimmt,<br />

die zuständige ver.di-Bundestarifkommission tagt im August.<br />

B.-L.<br />

Fällen zu finanzieren, in denen die Vergleichsrechnung<br />

einen höheren Wert als<br />

die bisherige Startgutschrift ergibt. Einen<br />

vollen Ausgleich hätte es nur bei einer<br />

Erhöhung des Arbeitnehmeranteils<br />

an der VBL-Umlage von derzeit 1,41<br />

Prozent geben können. Alle Beschäftigten<br />

stärker zur Kasse zu bitten, um einer<br />

Viertel Million älterer Beschäftigter eine<br />

höhere Startgutschrift zu verschaffen,<br />

haben alle Mitglieder der Gewerkschafts-Verhandlungskommission<br />

abgelehnt.<br />

Am Ende stand die Einigung: Liegt der<br />

Anteil an der Vollversorgung, der sich<br />

aus der Vergleichsrechnung nach dem<br />

Betriebsrentengesetz ergibt, um <strong>mehr</strong><br />

als 7,5 Prozentpunkte über dem Anteil<br />

an der Vollversorgung, der der jetzigen<br />

Startgutschrift zu Grunde liegt, gibt es<br />

einen Zuschlag zur Startgutschrift.<br />

Auch die Vollversorgung selbst wird etwas<br />

anders berechnet, weil das Betriebsrentengesetz<br />

berücksichtigt, welche<br />

Rente Beschäftigte bis zum Rentenalter<br />

hätten erreichen können. Für alle, die<br />

(bei durchgehender Beschäftigung ab<br />

2001) rechnerisch bis zum 65. Geburtstag<br />

auf wenigstens 32 Jahre öffentlicher<br />

Dienst kommen, ergibt sich die gleiche<br />

Vollversorgung wie nach der alten Rechnung.<br />

Der Mutterschutz wird künftig Beschäftigungszeiten<br />

gleichgestellt. Er gilt als<br />

vollwertige Versicherungszeit und wird<br />

bei der Berechnung der Rentenhöhe behandelt,<br />

als hätte die Mutter während<br />

dieser Phase im gleichen Umfang gearbeitet<br />

wie vor dem Mutterschutz. Damit<br />

werden Mutterschutz- den Krankheitszeiten<br />

gleichgestellt. Da die VBL die<br />

nötigen Informationen <strong>für</strong> die Vergangenheit<br />

nicht hat, wird <strong>für</strong> zurückliegende<br />

Mutterschutzzeiten ein Antrag nötig<br />

sein. Dieser kann bis zum Rentenbeginn<br />

gestellt werden. Näheres wird in<br />

den Redaktionsverhandlungen geklärt.<br />

Die <strong>GEW</strong> wird ihre Mitglieder so<br />

schnell und umfassend wie möglich informieren<br />

und ab Herbst entsprechende<br />

Musterschreiben zur Verfügung stellen.<br />

Gleichstellung<br />

Ebenfalls Teil der Einigung ist die<br />

Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften<br />

im Tarifvertrag über die<br />

Zusatzversorgung des öffentlichen<br />

Dienstes mit heterosexuellen Ehen.<br />

Gleichgeschlechtliche Lebenspartner eines<br />

verstorbenen Versicherten haben<br />

damit bei der Hinterbliebenenversorgung<br />

künftig die gleichen Rechte wie<br />

Heterosexuelle.<br />

Gesa Bruno-Latocha,<br />

Referentin im <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereich<br />

Angestellten- und Beamtenpolitik<br />

Weitere Infos zur Zusatzversorgung im Internet unter:<br />

www.gew.de/VBL_Zusatzversorgung.html<br />

Tarifrunde 2011 an hessischen Unis<br />

Seit 2010 haben die Goethe-Universität Frankfurt am Main und die Technische<br />

Universität Darmstadt (TUD) eigene Tarifverträge. Beide Einrichtungen müssen<br />

nun den Tarifabschluss zwischen Gewerkschaften und dem Land Hessen auf ihre<br />

Beschäftigten übertragen. An der Frankfurter Hochschule wird das höhere<br />

Einkommen ohnehin automatisch wirksam, an der TUD ist dieser Teil des Tarifergebnisses<br />

1:1 übernommen worden. Einzig die Zahlungsfristen <strong>für</strong> die Einmalzahlung<br />

und die Laufzeiten der Regelungen aus dem Überleitungsrecht hat<br />

man angepasst. Abweichungen gab es an der TUD hinsichtlich der Übernahmeregelung<br />

<strong>für</strong> Auszubildende. Weder den mit dem Land vereinbarten individuellen<br />

Anspruch auf Übernahme noch die differenzierte Abschlussprämie wollte<br />

die Darmstädter Uni akzeptieren. Bis zum 20. Juni sollten die <strong>GEW</strong>-Mitglieder<br />

ihr Votum zu dem Verhandlungsergebnis abgeben. Das Resultat der Abstimmung<br />

lag bei Druckbeginn der E&W noch nicht vor. O. B.<br />

26 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


FRAUEN<br />

Geschlechterrollen zementiert<br />

400-Euro-Jobs führen zu Abhängigkeit und Armut<br />

In der Gebäudereinigung, der Pflege,<br />

der Gastronomie, im Handel, zunehmend<br />

im Bildungsbereich arbeiten viele<br />

Frauen auf 400-Euro-Basis. Diese,<br />

wie es heißt, geringfügig entlohnten<br />

Beschäftigungsverhältnisse halten<br />

Frauen nicht nur in traditionellen Geschlechterrollen<br />

fest – sie führen auch<br />

in Altersarmut.<br />

Die Deregulierung des Arbeitsmarktes<br />

nimmt zu –<br />

besonders betroffen: Frauen.<br />

Jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis<br />

– das entspricht<br />

7,19 Millionen Arbeitsverträgen<br />

– war 2009 in Deutschland<br />

ein so genannter Minijob auf 400-<br />

Euro-Basis* – in Westdeutschland gab<br />

es insgesamt 6,28 Millionen Minijobs,<br />

im Osten knapp eine Million. Sie sind<br />

nicht sozialversicherungspflichtig und<br />

bauen auch keine Brücken in den regulären<br />

Arbeitsmarkt. Sie enden <strong>für</strong> die<br />

Betroffenen – der Frauenanteil beträgt<br />

70 Prozent** – meist in ökonomischen<br />

Sackgassen. <strong>Mehr</strong> als ein Viertel aller erwerbstätigen<br />

Frauen in Westdeutschland<br />

arbeitete 2009 in einem 400-Euro-<br />

Job, in Ostdeutschland ein Sechstel.<br />

Noch immer existiert das Vorurteil, vor<br />

allem Mütter gingen freiwillig in 400-<br />

Euro-Jobs. Fakt ist: Das Steuersystem<br />

und fehlende Kinderbetreuung drängen<br />

vor allem Frauen mit Kindern in gering<br />

entlohnte, oft auch befristete 400-Euro-<br />

Jobs. Sehr oft bekommen sie auch gar<br />

keine anderen Arbeitsverträge. In ländlichen<br />

Gebieten bieten sehr viele Betriebe<br />

überwiegend 400-Euro-Jobs an. So<br />

werden z. B. im Landkreis Trier-Saarburg<br />

über 40 Prozent aller Frauenarbeitsplätze<br />

mit nicht <strong>mehr</strong> als 400 Euro<br />

im Monat bezahlt. Ein Grund: Gerade<br />

auf dem Land fehlen Ganztagsangebote.<br />

Traditionelle Arbeitsteilung<br />

Fakt ist auch: Prekäre 400-Euro-Beschäftigungsverhältnisse<br />

befördern eine<br />

traditionelle Arbeitsteilung in der Familie<br />

– der Mann als Hauptversorger, die<br />

Frau als Zuverdienerin. So bestehen<br />

konservative Rollenmuster auch im 21.<br />

Jahrhundert fort.<br />

Denn fast fünf Millionen Menschen verfügen<br />

monatlich nur über ein 400-Euro-<br />

Entgelt. Sie sind auf das Einkommen eines<br />

anderen Haushaltsangehörigen und<br />

auf dessen Mitversicherung in der Gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) angewiesen<br />

oder auf das Arbeitslosengeld II<br />

(ALG II). Die beitragsfreie Mitversicherung<br />

<strong>für</strong> Ehepartner in der GKV lässt den<br />

400-Euro-Job vordergründig attraktiv erscheinen.<br />

Zu spät bemerken viele den<br />

Pferdefuß, der mit dieser Sozialversicherungsfreiheit<br />

verbunden ist: oft erst dann,<br />

wenn Arbeitslosigkeit eintritt, bei einer<br />

Scheidung nach neuem Unterhaltsrecht<br />

oder nach dem Tod des Ehegatten. Denn<br />

meist wurden keine eigenen oder lediglich<br />

geringe Rentenanwartschaften erworben.<br />

Altersarmut ist so vorprogrammiert.<br />

Die Sozialversicherungsfreiheit der 400-<br />

Euro-Jobs und das Steuersystem begünstigen<br />

so immer noch die Versorgerehe<br />

und tragen in der Regel langfristig dazu<br />

bei, die Ehefrau von ihrem Partner ökonomisch<br />

abhängig zu machen.<br />

Eine weitere soziale Falle: Bei den Steuern<br />

erhalten Ehepaare über das Ehegattensplitting<br />

quasi einen „privaten Kombilohn“.<br />

In Verbindung mit der Pauschalbesteuerung<br />

von zwei Prozent findet<br />

damit eine öffentliche Förderung<br />

prekärer Löhne statt. Mit ein Grund,<br />

warum es <strong>für</strong> die Ehefrau kurzfristig lukrativer<br />

erscheinen mag, einer 400-Euro-Beschäftigung<br />

nachzugehen. Diesen<br />

Effekt verstärkt das Steuersystem: Wenn<br />

sich die geringer verdienende Ehefrau in<br />

Steuerklasse V einstufen lässt und monatlich<br />

hohe Steuerabzüge da<strong>für</strong> in<br />

Kauf nehmen muss.<br />

Das Ehegattensplitting bringt allerdings<br />

nur bei größeren Einkommensunterschieden<br />

zwischen den Ehepartnern einen<br />

wirklichen Vorteil. In den östlichen<br />

Bundesländern fällt er gar nicht ins Gewicht:<br />

Hier sind die Verdienste verheirateter<br />

Paare seit längerem angeglichener,<br />

unzeitgemäße Anreize wie Ehegattensplitting<br />

und Lohnsteuerklasse V spielen<br />

<strong>für</strong> das Geschlechterverhältnis im<br />

Osten kaum eine Rolle.<br />

Abhilfe könnte eine grundständige Reform<br />

des Steuersystems schaffen, wie sie<br />

die <strong>GEW</strong> fordert.*** In ihrem Steuerkonzept<br />

schlägt die Bildungsgewerkschaft<br />

z.B. vor, das Ehegattensplitting<br />

abzuschaffen. Die freiwerdenden Steuermittel<br />

könnten in den dringend notwendigen<br />

Ausbau der Ganztagsangebote<br />

<strong>für</strong> Kinder und Jugendliche fließen.<br />

Damit wäre ein politischer Weg aufgezeigt,<br />

der Frauen unterstützt, in reguläre<br />

und sozial abgesicherte Beschäftigung<br />

zu kommen.<br />

Anne Jenter, Leiterin des<br />

<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Frauenpolitik<br />

* Die folgenden Zahlenangaben<br />

sind dem Archiv<br />

Pressemitteilungen<br />

der Hans-Böckler-Stiftung<br />

vom 7. Dezember<br />

2010 entnommen.<br />

www.boeckler.de/320_110<br />

799.html?cis_mode=print<br />

** vgl. Antwort der<br />

Bundesregierung auf die<br />

Kleine Anfrage von Abgeordneten<br />

der Faktion<br />

Bündnis 90/Die Grünen,<br />

Drucksache<br />

17/5862 vom 18. Mai<br />

2011<br />

*** s. auch im Internet<br />

unter: gew.de/Binaries/<br />

Binary65845/<br />

2010_10_26_<strong>GEW</strong>-<br />

Steuerkonzept.pdf<br />

PSYCHOLOGISCHES FORTBILDUNGS- UND SELBSTERFAHRUNGSSEMINAR FÜR LEHRER<br />

mit<br />

ROBERT BETZ<br />

Lehrer zwischen Angst, Aggression & Leistungsdruck!<br />

Wie Lehrer wieder Freude an ihrem Beruf finden<br />

04.-07.8.11 in Haltern am See (nördlich des Ruhrgebiets)<br />

Die Kerninhalte des Seminars:<br />

▲ Wie gehe ich mit Emotionen um, die Schüler in mir auslösen? (Angst, Wut, Ohnmacht)<br />

▲ Wie kann ich Schülern helfen mit »unangenehmen« Gefühlen umzugehen?<br />

▲ Was brauche ich, um dem Druck von allen Seiten gewachsen zu sein?<br />

▲ Wie vermeide ich Erschöpfungszustände?<br />

▲ Ansätze mit Vorbildcharakter <strong>für</strong> andere Lehrer<br />

Dipl.-Psych.<br />

Ausführliche Informationen über Büro Robert Betz · Tel. 089 - 512 661 888 · info@robert-betz.de und www.robert-betz.de<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 27


BILDUNGSPOLITIK<br />

Wachsamkeit geboten<br />

Foto: dpa<br />

Schule<br />

Die Herausforderung des öffentlichen<br />

Schulwesens durch private Schulen<br />

Aktuelle Rechtsfragen in einer angespannten Beziehung<br />

von Prof. Dr. jur. Hermann Avenarius<br />

Deutsches Institut <strong>für</strong> Internationale Pädagogische Forschung<br />

erstattet im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung<br />

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

* Das Rechtsgutachten<br />

steht auf der Homepage<br />

der <strong>GEW</strong> zum Download<br />

zur Verfügung:<br />

www.gew.de/Binaries/<br />

Binary78488/Gutachten_privateschulen_WEB.<br />

pdf.<br />

Die Druckfassung des<br />

Gutachtens erhalten Sie<br />

im <strong>GEW</strong>-Shop (Artikelnr.<br />

1393), www.gewshop.de,<br />

E-Mail: gew-shop@<br />

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30 332-20, Mindestbestellmenge:<br />

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Einzelpreis: zwei Euro<br />

zuzüglich Porto.<br />

<strong>GEW</strong>-Gutachten: Privatschulen gefährden öffentliche Einrichtungen<br />

Seit Jahren gibt es eine stärkere Nachfrage<br />

nach privaten Schulen. Vor allem<br />

bildungsbewusste Eltern wenden<br />

sich zunehmend vom öffentlichen<br />

Schulwesen ab. In einem <strong>GEW</strong>-Gutachten<br />

zum Privatschulsektor, finanziert<br />

von der Max-Traeger-Stiftung,<br />

stellt der Schulrechtler Hermann<br />

Avenarius die Verfassungskonformität<br />

der Genehmigungspraxis einiger<br />

Länder in Frage.<br />

Das deutsche Schulwesen<br />

hat keinen besonders guten<br />

Ruf. In kaum einem<br />

anderen hoch entwickelten<br />

Industriestaat sind höhere<br />

Ausbildungsabschlüsse<br />

so stark von der sozialen Herkunft abhängig<br />

wie in Deutschland. Zudem ist<br />

der Bildungsbereich vielerorts unterfinanziert,<br />

was sich in Unterrichtsausfällen,<br />

zu großen Klassen, mangelnder individueller<br />

Förderung und schlechter<br />

Ausstattung manifestiert. Da erstaunt es<br />

kaum, dass viele besser verdienende Eltern<br />

nach Alternativen suchen. Entsprechend<br />

boomt der private Sektor. Im vergangenen<br />

Schuljahr gab es in Deutschland<br />

rund 5200 allgemein- und berufsbildende<br />

Schulen in privater Trägerschaft,<br />

das sind 61 Prozent <strong>mehr</strong> als<br />

1992/93. Mittlerweile lernen 7,8 Prozent<br />

aller Schüler – fast eine Million – an privaten<br />

Institutionen, allerdings gibt es<br />

große regionale Unterschiede: So besuchen<br />

in Sachsen 13,4 Prozent der<br />

Schüler private Schulen, in Schleswig-<br />

Holstein nur 3,7 Prozent.<br />

Anspruch auf Förderung<br />

Diese werden im Grundgesetz unter bestimmten<br />

Voraussetzungen ausdrücklich<br />

als Bestandteil des Schulwesens anerkannt<br />

und haben daher Anspruch auf<br />

finanzielle Unterstützung. Die Einrichtungen<br />

unterliegen der öffentlichen<br />

Aufsicht. Sie müssen z.B. Qualitätsstandards<br />

beim Lehrpersonal einhalten<br />

und anerkannte Abschlüsse bzw. deren<br />

Vorbereitung gewährleisten. Aber sie<br />

dürfen ihren Schulbetrieb nach eigenen<br />

pädagogischen, religiösen oder weltanschaulichen<br />

Konzepten weitgehend frei<br />

Zunehmend drängen kommerzielle<br />

Anbieter wie die Privatschulkette<br />

Phorms (auf dem Bild<br />

Phorms-Grundschule in Berlin)<br />

auf den lukrativen Privatschul-<br />

Markt. Sind diese noch verfassungskonform?<br />

gestalten. Das Gros der Privatschulen ist<br />

in kirchlicher Trägerschaft, auch reformpädagogische<br />

Verbände wie der Bund<br />

freier Waldorfschulen sind stark vertreten.<br />

Doch zunehmend drängen kommerzielle<br />

Anbieter wie die Privatschulkette<br />

Phorms, der Schulbuchverlag<br />

Klett oder die Volkswagen AG auf den<br />

lukrativen Markt.<br />

Eine weitere Vorgabe des Grundgesetzes<br />

ist eine Art Sozialklausel, laut der „eine<br />

Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen<br />

der Eltern“ zu unterbleiben<br />

habe (s. Kasten auf S. 29). Es gibt<br />

<strong>mehr</strong>ere Gerichtsurteile, die je nach Region<br />

ein monatliches Schulgeld von maximal<br />

60 bis 120 Euro <strong>für</strong> angemessen erachten.<br />

Allerdings sind darin mögliche<br />

Kosten <strong>für</strong> Zusatzangebote nicht enthalten.<br />

Zwar gibt es in vielen Privatschulen<br />

Ermäßigungen oder sogar Freiplätze<br />

<strong>für</strong> Kinder aus ärmeren Familien, doch<br />

letztendlich können sich die Einrichtungen<br />

ihre „Kunden“ aussuchen.<br />

Man darf daher getrost fragen, ob die<br />

Entwicklung des Privatschulsektors in<br />

Deutschland noch mit den verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben und der Rechtsprechung<br />

zu vereinbaren ist. Was der<br />

Schulrechtler Professor Hermann Avenarius,<br />

Deutsches Institut <strong>für</strong> Internationale<br />

Pädagogische Forschung<br />

(DIPF), in dem Rechtsgutachten „Die<br />

Herausforderung des öffentlichen<br />

Schulwesens durch private Schulen. Aktuelle<br />

Rechtsfragen in einer angespannten<br />

Beziehung“* getan hat. Avenarius<br />

kommt zum Ergebnis, dass die Genehmigungs-<br />

und Förderungspraxis in vielen<br />

Bundesländern nicht den Normen<br />

des Grundgesetzes entspricht.<br />

Nicht abweichen<br />

So dürfen anerkannte Ersatzschulen<br />

nicht deutlich von der Organisationsform<br />

öffentlicher Schulen abweichen.<br />

Nur dann ist es möglich, dass die Schulpflicht<br />

erfüllt wird. Für Ergänzungsschulen,<br />

zu denen auch die internationalen<br />

gehören, die außerhalb des deutschen<br />

Bildungssystems agieren, gilt das<br />

ausdrücklich nicht. Diese Einrichtungen,<br />

deren Besuch bis zu 1000 Euro monatlich<br />

kostet, sind auch nicht mit dem<br />

Sonderungsverbot des Grundgesetzes in<br />

Einklang zu bringen. Die in Nordrhein-<br />

Westfalen und Sachsen übliche Praxis,<br />

generell zu gestatten, die Schulpflicht<br />

28 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


an internationalen Schulen zu erfüllen,<br />

ist <strong>für</strong> Avenarius mit dem<br />

Grundgesetz nicht zu vereinbaren.<br />

Ebenso wie die Entscheidung<br />

Sachsens, diese Schulen trotz offensichtlicher<br />

Verstöße gegen die<br />

„Sozialklausel“ mit öffentlichen<br />

Mitteln zu subventionieren.<br />

Die Verfassung legt fest, dass die<br />

Genehmigung privater Träger die<br />

Existenz öffentlicher Schulen<br />

nicht gefährden darf. Das basiert<br />

auf der Pflicht des Staates, ein ausreichendes<br />

Angebot wohnortnaher<br />

öffentlicher Schulen bereitzuhalten.<br />

Doch gerade in dünn besiedelten<br />

Gebieten führen Privatschulgründungen<br />

bisweilen dazu,<br />

dass öffentliche Einrichtungen wegen<br />

zu geringer Schülerzahlen geschlossen<br />

werden. Besonders im<br />

Primarbereich ergibt sich <strong>für</strong> den<br />

Schulrechtler daraus die zwingende<br />

Konsequenz, Genehmigungen<br />

<strong>für</strong> private Träger dann nicht zu erteilen,<br />

wenn damit die Existenz einer<br />

öffentlichen Grundschule gefährdet<br />

wird.<br />

In der bildungspolitischen Debatte<br />

spielt die Forderung, Bildungsgutscheine<br />

<strong>für</strong> alle Kinder einzuführen,<br />

eine wichtige Rolle. Die<br />

Privatschullobby und ihre Unterstützer<br />

in CDU und FDP, aber<br />

auch Unternehmervereinigungen<br />

und selbst der Paritätische Wohlfahrtsverband,<br />

argumentieren, ein<br />

Gutscheinsystem unter Einbezug<br />

privater Schulen gebe den Eltern<br />

größere Wahlfreiheit, vermindere<br />

soziale Selektion, fördere Wettbewerb<br />

und Innovationen im Schulsystem.<br />

Avenarius dagegen hat erhebliche<br />

Zweifel an der Verfassungskonformität<br />

der Bildungs-<br />

BILDUNGSPOLITIK<br />

gutscheine. Zum einen würde ein<br />

derartiges System den Privaten eine<br />

finanzielle Gleichbehandlung<br />

bescheren, die weder im Grundgesetz<br />

noch in der laufenden Rechtsprechung<br />

impliziert ist. Zum anderen<br />

würde das Sonderungsverbot,<br />

trotz des Wegfalls materieller<br />

Schranken, weiterhin massiv verletzt.<br />

Denn Privatschulen haben<br />

das verbürgte Recht, über Aufnahme<br />

oder Ablehnung von Schülern<br />

frei zu entscheiden. Erfahrungsgemäß<br />

werden Kinder aus bildungsnahen<br />

Familien bevorzugt.<br />

Die <strong>GEW</strong> stellt weder die Existenzberechtigung<br />

der Privaten,<br />

noch die mitunter sehr gute<br />

pädagogische Qualität der dort geleisteten<br />

Arbeit in Frage. Doch<br />

über die von Avenarius formulierten<br />

Zweifel an der Vereinbarkeit<br />

aktueller Privatschulpraxis mit<br />

dem Grundgesetz hinaus geht es<br />

bei dieser Auseinandersetzung um<br />

<strong>mehr</strong>.<br />

Gewiss, der Wunsch vieler Eltern<br />

nach der „besten Schule <strong>für</strong> ihr<br />

Kind“ ist ein sehr legitimer. Allerdings:<br />

Ein weiterer Boom privater<br />

Bildungsträger birgt auf alle Fälle<br />

die Gefahr, dass öffentliche Einrichtungen<br />

in dünn besiedelten<br />

Regionen von Schließungen bedroht<br />

werden und in Problemkiezen<br />

zu „Restschulen“ verkommen.<br />

Wachsamkeit ist daher geboten gegenüber<br />

den zuständigen Landesbehörden<br />

und ihrer nicht nur verfassungsrechtlich<br />

bedenklichen<br />

Praxis im Umgang mit Privatschulen.<br />

Rainer Balcerowiak,<br />

Redakteur Tageszeitung „Junge Welt“<br />

Privatschulen im Grundgesetz<br />

Artikel 7 (1): „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des<br />

Staates...<br />

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet.<br />

Private Schulen als Ersatz <strong>für</strong> öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung<br />

des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung<br />

ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen<br />

und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung<br />

ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen<br />

und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern<br />

nicht gefördert wird. (...).<br />

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung<br />

ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder,<br />

auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule,<br />

als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden<br />

soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde<br />

nicht besteht.“<br />

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GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />

„Sexueller Missbrauch geht alle an“<br />

Interview mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Christine Bergmann<br />

Foto: imago<br />

Christine<br />

Bergmann<br />

* Bergmann-Empfehlungen<br />

<strong>für</strong> den Runden<br />

Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“:<br />

www.<br />

beauftragte-missbrauch.de/<br />

course/view.php?id=30<br />

E &W: Frau Bergmann, am 24. Mai haben<br />

Sie dem Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“<br />

ihre Empfehlungen* vorgestellt. Mit<br />

welchem Gefühl haben Sie das Gremium verlassen?<br />

Christine Bergmann: Sehr zufrieden.<br />

Ein großer Erfolg ist bereits, dass die Ministerinnen<br />

<strong>für</strong> Bildung, Familie und Justiz<br />

sich eindeutig dazu bekannt haben,<br />

diese Stelle weiterzuführen. Die Opfer<br />

brauchen eine zentrale Anlaufstelle,<br />

von der sie wissen: Dort sitzen Fachkräfte,<br />

die mir glauben und mit meiner Geschichte<br />

umgehen können.<br />

E &W: 15 000 Menschen haben sich in einem<br />

Jahr bei Ihnen gemeldet, eine enorme<br />

Zahl!<br />

Bergmann: Und es werden immer<br />

<strong>mehr</strong>. Allein an dem Tag nachdem wir<br />

unsere Empfehlungen vorgestellt haben,<br />

erreichten uns 850 neue Anrufe.<br />

Viele schreiben auch. Aus vielen Briefen<br />

geht in erschütternder Deutlichkeit hervor,<br />

dass die Betroffenen, häufig nach<br />

Jahrzehnten, erstmals das Gefühl haben:<br />

Da ist jemand, dem ich mich öffnen<br />

kann.<br />

E &W: Sie haben 2000 Briefe persönlich gelesen.<br />

Gibt es so etwas wie eine zentrale Botschaft?<br />

Bergmann: Ja – wie wichtig es ist, dass<br />

die Gesellschaft das Unrecht anerkennt<br />

und lernt, wie lange die Folgeschäden<br />

nachwirken. Wer als Kind sexuell missbraucht<br />

wird, leidet häufig sein Leben<br />

lang: Menschen werden unfähig, Beziehungen<br />

einzugehen, brechen die Schule<br />

oder die Ausbildung ab oder haben so<br />

starke physische und psychische Symptome,<br />

dass sie nicht arbeitsfähig sind.<br />

Das immer wieder zu lesen und zu erkennen,<br />

ist mir sehr nahe gegangen.<br />

Hinter jedem 50-jährigen Mann und jeder<br />

60-jährigen Frau liest man gleichsam<br />

das hilflose Kind. Dem das, was es erlebt<br />

hat, bis heute sehr weh tut – und dem so<br />

lange niemand geglaubt hat.<br />

E &W: Viel spricht da<strong>für</strong>, dass im Anschluss<br />

an Ihre und die Arbeit des Runden Tisches im<br />

kommenden Jahr, ein Aktionsplan erstellt<br />

wird. Was gehört ganz nach oben?<br />

Bergmann: Der Ausbau und die bessere<br />

Vernetzung therapeutischer Angebote.<br />

Insbesondere auf dem Land gibt es viel<br />

zu wenige Therapeutinnen und Therapeuten,<br />

die mit diesen Fällen umgehen<br />

können. Auch <strong>für</strong> Männer, Migrantinnen<br />

und Migranten sowie Menschen<br />

mit Behinderungen gibt es zu wenig Angebote.<br />

Die von den Kassen bewilligten<br />

Therapiestunden reichen nicht aus;<br />

Traumatherapie wird bis heute gar nicht<br />

bezahlt.<br />

E &W: Losgetreten wurde die Debatte durch<br />

Missbrauch an kirchlichen und Reformschulen.<br />

Sind Sie auf weitere Fälle an Schulen gestoßen?<br />

Bergmann: Ja. Etwa jeder dritte Missbrauch,<br />

der uns gemeldet wurde, fand in<br />

einer Institution statt. Unter diesen haben<br />

die Schulen mit 24 Prozent den<br />

zweitgrößten Anteil. Also: Dass sich,<br />

wie neulich bei einer Podiumsdiskussion,<br />

die Leiterin einer Reformschule<br />

zurücklehnt und sagt: „Bei uns gibt es so<br />

etwas nicht. Wir brauchen keine Prävention“,<br />

ist völlig verfehlt. Sexueller Missbrauch<br />

geht alle an – und alle müssen<br />

handeln, auch die Schulen.<br />

Zur Person<br />

Seit März 2010 und noch bis Ende<br />

Oktober dieses Jahres ist Christine<br />

Bergmann (SPD) Unabhängige Beauftragte<br />

zur Aufarbeitung des sexuellen<br />

Kindesmissbrauchs. Nach der<br />

Wende war sie Senatorin <strong>für</strong> Arbeit<br />

und Frauen in Berlin, von 1998 bis<br />

2002 Bundesfamilienministerin.<br />

E &W: Und wie?<br />

Bergmann: Der Beschluss der Kultusminister,<br />

allen Lehrkräften und ehrenamtlich<br />

Tätigen an Schulen ein erweitertes<br />

polizeiliches Führungszeugnis abzuverlangen,<br />

ist ein richtiger Schritt! Das<br />

hat nichts damit zu tun, irgendwen unter<br />

Generalverdacht zu stellen. Wir wissen,<br />

dass Pädophile sich Nischen suchen,<br />

in denen nicht so genau hingeguckt<br />

wird – also ist das Hinsehen, nicht<br />

nur bei der Einstellung, ein ganz wichtiger<br />

Baustein im Schutzkonzept. Aber<br />

natürlich spielen Schulen und Kindertagesstätten<br />

noch aus einem anderen<br />

Grund eine immense Rolle. Sie sind<br />

häufig die ersten, die von sexuellem<br />

Missbrauch in den Familien erfahren,<br />

wenn es ihnen gelingt, ein Klima zu<br />

schaffen, in dem offen geredet wird. Das<br />

bedeutet aber auch, dass Lehrerinnen<br />

und Lehrer darauf vorbereitet sein müssen.<br />

Sie müssen mindestens wissen, wo<br />

die nächste Beratungsstelle ist und wo<br />

sie professionelle Hilfe bekommen. Dazu<br />

brauchen sie Fortbildung.<br />

E &W: Alle 900000 Lehrkräfte in Deutschland<br />

– oder je ein Spezialist an den 40000<br />

Schulen?<br />

Bergmann: Alle! Ein Kind wendet sich<br />

nicht unbedingt an die Vertrauenslehrkraft<br />

– sondern an eine Pädagogin oder<br />

einen Pädagogen, dem es vertraut. Das<br />

ist nicht einfach zu realisieren. Die Beratungsstellen<br />

sind schon jetzt völlig ausgebucht,<br />

nicht zuletzt, weil sich so viele<br />

Schulen bei ihnen melden, die etwas begriffen<br />

haben.<br />

E &W: Sie sprechen sich <strong>für</strong> eine Anzeigepflicht<br />

der Institutionen aus. Heißt das:<br />

Wenn ein Lehrer etwas erfährt, muss er zur<br />

Polizei?<br />

Bergmann: Ich bin nicht generell <strong>für</strong> eine<br />

Anzeigepflicht! Die Frage, in welcher<br />

Lage das Kind ist, muss vor einer Anzeige<br />

entscheidend bleiben. Aber es kann<br />

nicht in unserem Interesse sein, dass die<br />

Täter weiter ungeschoren davonkommen.<br />

Also muss es vor allem <strong>für</strong> die Opfer<br />

leichter werden, ein Verfahren durchzustehen.<br />

Ganz wichtig da<strong>für</strong> ist, den<br />

Opferschutz zu verbessern. Dazu gehört<br />

zum Beispiel, dass Opfer vor Gericht<br />

nicht immer wieder, sondern nur<br />

einmal, höchstens zweimal, vernommen<br />

werden. Auch Videovernehmungen<br />

– die es im Prinzip längst gibt – müssen<br />

weitere Verbreitung finden. Dass sie<br />

teurer sind, kann angesichts der Belastung,<br />

dem Täter im Gerichtssaal zu begegnen,<br />

kein Argument sein. Auch vor<br />

und im Gerichtsverfahren müssen Begleitung<br />

und Beratung verbessert werden.<br />

E &W: Die Opfer verjährter Taten sollen – so<br />

Ihre Empfehlung – von den <strong>für</strong> ihren Missbrauch<br />

verantwortlichen Institutionen entschädigt<br />

werden. Sie nennen aber keine konkrete<br />

Summe. Warum nicht?<br />

Bergmann: Weil keine Summe, die ich<br />

nennen könnte, gut machen kann, was<br />

die Opfer erlitten haben. Mein Vorschlag<br />

ist, sich an der Höhe des Schmerzensgeldes,<br />

die vor Gericht zu erzielen<br />

gewesen wäre, zu orientieren. Mir<br />

scheint das sinnvoller als eine pauschale<br />

Summe zu nennen.<br />

Interview: Jeannette Goddar,<br />

freie Journalistin<br />

Die Anlaufstelle ist unter der Telefonnummer<br />

0800-225 5530 kostenfrei<br />

zu erreichen.<br />

30 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


HOCHSCHULE<br />

Wird aus dem Albtraum mal ein Traumjob?<br />

<strong>GEW</strong>-Kommentar: Das Templiner Manifest wirkt<br />

83 Prozent der knapp 150 000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen<br />

Zeitvertrag, über die Hälfte mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr. Diese Zahlen aus dem<br />

Bericht zur Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (siehe E&W 5/2011) kann niemand<br />

<strong>mehr</strong> rechtfertigen: Immer größer wird die Kluft zwischen dem Gerede von exzellenter Forschung<br />

und Lehre auf der einen und unzumutbaren Beschäftigungsbedingungen <strong>für</strong> das wissenschaftliche<br />

Personal auf der anderen Seite. Immer deutlicher wird der Schaden <strong>für</strong> die Attraktivät<br />

des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung im Wettbewerb mit Arbeitgebern im Ausland oder<br />

in der Wirtschaft. Und immer lauter wird der Ruf nach einer Reform der Personalstruktur und<br />

Karrierewege in der Wissenschaft: Das zeigen die <strong>mehr</strong> als 7000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner<br />

des Templiner Manifests (www.templiner-manifest.de).<br />

Nicht nur die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind alarmiert, auch die Politik<br />

reagiert. Das zeigen parlamentarische Anträge, in denen sich die Bundestagsfraktionen der<br />

Grünen und Linken <strong>für</strong> bessere Arbeitsverhältnisse und Perspektiven an Hochschulen stark machen.<br />

Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) hat außerdem eine<br />

Bundesratsiniative angekündigt. Damit wird die Frage, wie aus dem Albtraum Wissenschaft<br />

ein Traumjob werden kann, im Herbst das politische Berlin beschäftigen.<br />

Das Templiner Manifest wirkt auch in den Ländern. „Gute Arbeit an den Hochschulen“ lautet etwa<br />

die Überschrift eines ganzen Abschnitts in der Koalitionsvereinbarung von Grünen und SPD<br />

in Baden-Württemberg. Die beiden Regierungsparteien streben an, „innerhalb der nächsten fünf<br />

Jahre die Zahl unbefristeter Mittelbaustellen an den Hochschulen zu erhöhen“. Weiter heißt es:<br />

„Wissenschaftliche Karrieren müssen auch ohne eine angestrebte Professur möglich sein.“ Solche<br />

Aussagen sind deutlich von den Forderungen des Templiner Manifests inspiriert. Ähnliche Vereinbarungen<br />

haben SPD und Grüne in Rheinland-Pfalz getroffen.<br />

Es kommt jetzt darauf an, den frischen Wind des Templiner Manifests in weitere Länder zu tragen,<br />

in denen Wahlen bevorstehen. Und nach Bonn, wo die Hochschulrektorenkonferenz<br />

(HRK) residiert. Diese hat der <strong>GEW</strong> zwar attestiert, ein wichtiges Thema angesprochen zu haben.<br />

Aber inhaltlich hat sich die HRK bisher nicht positioniert. Gute Wissenschaft und gute Arbeit<br />

sind zwei Seiten einer Medaille – diesem einfachen Zusammenhang werden sich auf Dauer auch<br />

die Arbeitgeber nicht verschließen können.<br />

Andreas Keller, Leiter des <strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Hochschule und Forschung<br />

„Lizenz zum Befristen“<br />

Stimmen aus der Bundespolitik vom 2. Follow-Up-Kongress zum Templiner Manifest Ende Mai in Berlin<br />

„Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zeigt, dass sich das Gesetz grundsätzlich bewährt hat. Deshalb<br />

möchte ich nicht alles ändern, aber über punktuelle Verbesserungen diskutieren.“ (Stefan Kaufmann, MdB, CDU/CSU)<br />

„Die SPD fordert ein Personalaufbauprogramm <strong>für</strong> die Hochschulen von Bund und Ländern, das insbesondere auch<br />

1000 zusätzliche Juniorprofessuren vorsieht. Zudem sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer wie überall sonst auch mit<br />

Tarifverträgen von den Bestimmungen abweichen können, wenn sie es wollen. Die im Gesetz enthaltene Tarifsperre ist<br />

ein Fossil und gehört abgeschafft.“ (Ernst-Dieter Rossmann, MdB, SPD)<br />

„Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz war ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn es bedeutet die Anpassung der<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen an die wirklichen Bedürfnisse der Wissenschaft. Mittelfristig be<strong>für</strong>worten wir jedoch<br />

einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag.“ (Martin Neumann, MdB, FDP)<br />

„Wir wollen eine bessere Absicherung der Grundfinanzierung von Hochschulen über eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe.<br />

Zudem sollte es ein Anschubprogramm <strong>für</strong> 10 000 Tenure-Track-Stellen an den Hochschulen geben, um<br />

Wissenschaft als Beruf neben der Professur wieder zu ermöglichen.“ (Petra Sitte, MdB, Die Linke)<br />

„Die Aufhebung der Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist eine wichtige Maßnahme, um Fehlentwicklungen<br />

in den Personalstrukturen der Hochschulen entgegen zu wirken. Sie alleine wird aber <strong>für</strong> <strong>mehr</strong> Dauerstellen und die<br />

Neujustierung der Personalstrukturen nicht ausreichen.“ (Krista Sager, MdB, Bündnis 90/Die Grünen)<br />

Die Statements wurden aufgezeichnet von Roland Koch, Redaktion DUZ<br />

Foto: Kay Herschelmann<br />

Andreas Keller<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 31


HOCHSCHULE<br />

Ist <strong>mehr</strong> Härte<br />

gegenüber jeglicher<br />

Form von<br />

Unehrlichkeit im<br />

Wissenschaftsbetrieb<br />

der richtige<br />

Weg?<br />

Den Wissenschaftsblog<br />

von Anatol Stefanowitsch<br />

finden Sie unter<br />

www.wissenslogs.de/<br />

wblogs/blog/sprachlog/<br />

kultur/2011-03-02/<br />

ehrlichkeit-in-derwissenschaft-mein-epilog<br />

Foto: imago<br />

„Studentische Plagiate<br />

werden nicht bestraft“<br />

Über Abkupfern und Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb<br />

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU),<br />

die FDP-Politiker Silvana Koch-<br />

<strong>Mehr</strong>in und Jorgo Chatzimarkakis –<br />

alle drei haben sich mit unseriöser wissenschaftlicher<br />

Arbeit um ihre Ämter<br />

gebracht. Im Prinzip nichts Neues:<br />

Solche Fälle gab es auch in der Vergangenheit.<br />

Doch jetzt ist die Debatte um<br />

ehrliche Wissenschaft neu entbrannt.<br />

Sogar Albert Einstein war<br />

beeindruckt. Der Nobelpreisträger<br />

hatte 1926 zwei<br />

neue und höchst komplizierte<br />

Experimente zur Natur<br />

der Lichtstrahlen erdacht,<br />

konnte sie aber aus technischen<br />

Gründen nicht umsetzen, sondern nur<br />

theoretisch beschreiben. Doch schon<br />

drei Monate später veröffentlichte ein<br />

bis dahin unbekannter junger Physiker<br />

namens Emil Rupp seine Habilitationsschrift,<br />

in der er Einsteins These vom<br />

Wellencharakter bestätigte und die<br />

Durchführung der beiden Experimente<br />

schilderte. Rupp, der nicht einmal an einer<br />

Universität, sondern im Berliner<br />

AEG-Forschungslabor arbeitete, landete<br />

damit einen echten wissenschaftlichen<br />

Coup. Doch bald tauchten Zweifel<br />

an der Arbeit auf, und der Münchner<br />

Professor Wilhelm Wien, ebenfalls ein<br />

Physik-Nobelpreisträger, beauftragte<br />

zwei Mitarbeiter damit, Rupps Experimente<br />

nachzuvollziehen.<br />

Vier Jahre probierten sie herum, dann<br />

gaben sie frustriert auf. „Undurchführbar“<br />

sei Einsteins Versuchsanordnung,<br />

lautete ihr vernichtendes Fazit. Rupps<br />

Ergebnisse seien damit „wertlos“, weil<br />

sie nicht wiederholt werden konnten –<br />

ein spektakulärer Fälschungsvorwurf,<br />

der auf große öffentliche Resonanz<br />

stieß. Rupp konterte kurz darauf mit der<br />

Veröffentlichung von Fotos, die den<br />

Versuchsaufbau zeigten. Für die Münchner<br />

Forscher um Wien war das der<br />

Anlass, noch einmal ins Labor zu gehen<br />

und den Aufbau nachzustellen. „Dabei<br />

machten sie eine sehr überraschende<br />

Entdeckung“, schreibt der Wissenschaftsjournalist<br />

Heinrich Zankl in seinem<br />

Buch „Fälscher, Schwindler, Scharlatane<br />

– Betrug in Forschung und Wissenschaft“*:<br />

„Sie konnten feststellen,<br />

dass Einstein bei der Darstellung der<br />

Versuchsanordnung ein kleiner Fehler<br />

unterlaufen war.“ Allerdings ein folgenschwerer:<br />

Der berühmte Physiker hatte<br />

versehentlich einen Spiegel falsch herum<br />

angeordnet – und Rupp hatte sich<br />

genau an diesen falschen Aufbau gehalten<br />

und angeblich trotzdem die richtigen<br />

Ergebnisse erzielt. Als die Forscher<br />

weitersuchten, stießen sie noch auf andere,<br />

ebenfalls erfundene Arbeiten des<br />

Berliner Physikers.<br />

Sensibilität gestärkt<br />

Schon vor rund 80 Jahren also war Ehrlichkeit<br />

in der Wissenschaft ein Thema –<br />

und schon damals mussten Wissenschaftler<br />

<strong>für</strong> Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb<br />

kämpfen. „Heute ist die<br />

Sensibilität natürlich um ein Vielfaches<br />

höher“, sagt Matthias Kleiner, Präsident<br />

der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG): „Die ‚Regeln guter wissenschaftlicher<br />

Praxis‘, die wir vor einigen Jahren<br />

entworfen haben, haben bewirkt, dass<br />

heute an allen Hochschulen Ombudsgremien<br />

existieren. Diese haben die Sensibilität<br />

bei den Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftlern <strong>für</strong> ehrliches Arbeiten<br />

in der Forschung – insbesondere<br />

bei den Nachwuchskräften – deutlich<br />

gestärkt.“ Er glaube trotz der spektakulären<br />

Fälle in den vergangenen Monaten<br />

nicht, dass es <strong>mehr</strong> Plagiatoren und<br />

Betrüger als früher gebe, so Kleiner:<br />

„Nicht die Zahl der Fälle wird größer,<br />

sondern es wird genauer hingeschaut –<br />

und damit steigt die Zahl der bekannt<br />

gewordenen Fälle.“<br />

Internet verantwortlich?<br />

Eine These, die auch Johannes Moes <strong>für</strong><br />

plausibel hält. Er ist Mitglied der <strong>GEW</strong>-<br />

Projektgruppe Doktoranden und macht<br />

neben der größer gewordenen Sensibilität<br />

auch das Internet <strong>für</strong> die steigende<br />

Zahl von Plagiatsfällen verantwortlich:<br />

„Solche Unehrlichkeiten sind mittlerweile<br />

viel leichter zu recherchieren und aufzudecken.“<br />

Gleichwohl ist sich Moes<br />

nicht sicher, welche Folgen der Guttenberg-Skandal<br />

<strong>für</strong> die Ehrlichkeits-Debatte<br />

unter Nachwuchswissenschaftlern hat:<br />

„Hier hat ja jemand plagiiert, der gerade<br />

32 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


HOCHSCHULE<br />

nicht als Beispiel <strong>für</strong> die Arbeitssituation<br />

junger Forscherinnen und Forscher<br />

taugt.“ Anders als der CSU-Politiker<br />

Guttenberg seien viele Nachwuchskräfte<br />

an den Unis und Fachhochschulen in<br />

schwierigen Arbeitsverhältnissen gefangen:<br />

kurze Vertragslaufzeiten, schlechte<br />

finanzielle Absicherung, eine höchst unsichere<br />

berufliche Perspektive – und das<br />

alles eingebettet in oftmals stark hierarchische<br />

Strukturen. „Wer forscht, steht da<br />

schon öfter vor der Frage, wie er es zum<br />

Beispiel mit Selbstzitaten oder der Autorennennung<br />

höherrangiger Kolleginnen<br />

und Kollegen hält“, sagt Moes. Über<br />

Redlichkeit und Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb,<br />

so sehen es jedenfalls viele<br />

Betroffene, kann in stressigen Alltagssituationen<br />

nicht unbedingt jedes Mal neu<br />

und ausgiebig diskutiert werden.<br />

„Milder Umgang“<br />

Genau das aber fordert Anatol Stefanowitsch,<br />

Professor in Hamburg. In seinem<br />

Wissenschaftsblog setzt er sich radikal<br />

da<strong>für</strong> ein, den Umgang mit Plagiaten<br />

schon bei Studierenden ganz anders zu<br />

handhaben als bisher. „Plagiate und Datenfälschung<br />

sind in der Wissenschaft<br />

eine Todsünde“, schreibt Stefanowitsch,<br />

„aber dort, wo wir den Grundstein <strong>für</strong><br />

diese wissenschaftliche Ehrlichkeit legen<br />

müssten – bei den Studierenden –<br />

gehen wir trotz des Eindrucks, der in der<br />

öffentlichen Diskussion um Guttenberg<br />

entstanden sein mag, mit Plagiaten sehr<br />

milde um.“ Solange es nicht um Examensarbeiten<br />

geht, habe man kaum eine<br />

Handhabe, so der Sprachwissenschaftler:<br />

„Die schmutzige Wahrheit ist<br />

die: Plagiate werden nicht bestraft. Mir<br />

ist keine deutsche Universität bekannt,<br />

an der ein studentisches Plagiat unterhalb<br />

der Abschlussarbeit zu irgendeiner<br />

Strafmaßnahme, geschweige denn zu einer<br />

Exmatrikulation führt.“<br />

<strong>Mehr</strong> Härte?<br />

Ist <strong>mehr</strong> Härte gegenüber jeglicher<br />

Form von Unehrlichkeit also der richtige<br />

Weg? Müssen Hochschulen, wie es<br />

die Berliner Humboldt-Universität angekündigt<br />

hat, zukünftig jede Examensarbeit<br />

als digitale Datei anfordern, um<br />

sie dann von Suchmaschinen auf Plagiate<br />

hin untersuchen zu lassen? Vielleicht<br />

kann das helfen – doch es gebe, sagt<br />

<strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied Andreas Keller,<br />

noch andere Stellschrauben, an denen<br />

im Wissenschaftssystem gedreht werden<br />

kann. Der Hochschulexperte erinnert<br />

daran, dass Guttenberg während der<br />

Promotion offenbar jahrelang unbetreut<br />

„vor sich hinwurschteln“ konnte:<br />

„Da muss man sich ja schon fragen, ob<br />

die Universität ihrer Verantwortung<br />

nachgekommen ist.“ Bessere Strukturierung<br />

von Qualifikationsprozessen und<br />

eine bessere Betreuung der Promovierenden<br />

seien hier wesentliche gewerkschaftliche<br />

Forderungen. Eine Mitschuld<br />

an der Entwicklung gibt der<br />

Gewerkschafter aber auch den hochschulpolitischen<br />

Rahmenbedingungen.<br />

„Denn die Unis folgen immer öfter dem<br />

Prinzip ‚Höher-schneller-weiter‘. Durch<br />

die Wettbewerbs-Ausrichtung und die<br />

leistungsorientierte Mittelvergabe ist<br />

der Druck auf die Hochschulen enorm<br />

gestiegen“, so Keller. Ein Druck, der in<br />

den Wissenschaftshierarchien nach unten<br />

durchgereicht werde, bis er bei den<br />

Doktoranden angekommen sei.<br />

Um so ermutigender ist, dass es letztlich<br />

doch die Wissenschaft selber war, die in<br />

der Causa Guttenberg den entscheidenden<br />

Impuls gab. „Ich hätte nie und nimmer<br />

erwartet, dass der Offene Brief der<br />

Doktorandinnen und Doktoranden eine<br />

solche politische Wucht entfalten<br />

würde“, sagt Moes. Rund 60000 Unterzeichner<br />

forderten darin das Festhalten<br />

an wissenschaftsethischen Prinzipien<br />

wie Ehrlichkeit – und zwangen den plagiierenden<br />

Verteidigungsminister damit<br />

schließlich zum Rücktritt. Der flapsige<br />

Spruch von Kanzlerin Angela Merkel<br />

(CDU), sie habe Guttenberg als Verteidigungsminister<br />

und nicht als wissenschaftliche<br />

Hilfskraft eingestellt, wirkte<br />

unter den Akademikern wie eine Initialzündung<br />

<strong>für</strong> weiteren Protest – und<br />

sorgte <strong>für</strong> zum Teil heftige Debatten darüber,<br />

wie man denn nun mit der Frage<br />

von Ehrlichkeit und Betrug in den eigenen<br />

Reihen umgehen sollte.<br />

Kurioser Fall<br />

Eine Diskussion, die, wie gesagt, nicht<br />

neu ist. Als Emil Rupp 1935 als Wissenschaftsbetrüger<br />

entlarvt wurde, machte<br />

er der Affäre schließlich selber ein Ende:<br />

1935 veröffentlichte der Physiker in den<br />

„Annalen der Physik“ ein Gutachten des<br />

Berliner Psychiaters Victor Emil Freiherr<br />

von Gebsattel, das ihm einen „mit psychogenen<br />

Dämmerzuständen verbundenen<br />

seelischen Schwächezustand“ bescheinigt:<br />

„Während dieser Erkrankung<br />

und durch sie bestimmt, hat er, ohne<br />

sich dessen bewußt zu sein, Mitteilungen<br />

über physikalische Phänomene (Positronen,<br />

Atomzertrümmerung) veröffentlicht,<br />

die den Charakter von ‚Fiktionen‘<br />

an sich tragen. Es handelt sich um<br />

den Einbruch von traumartigen Zuständen<br />

in das Gebiet seiner Forschertätigkeit.“<br />

Ein spektakulärer Schlusspunkt<br />

unter einen kuriosen Fall.<br />

Armin Himmelrath, freier Journalist<br />

Fotos: dpa<br />

Haben sich mit unseriöser wissenschaftlicher<br />

Arbeit um ihre Ämter gebracht:<br />

Jorgo<br />

Chatzimarkakis<br />

(FDP)<br />

Silvana<br />

Koch-<strong>Mehr</strong>in<br />

(FDP)<br />

Karl-Theodor<br />

zu Guttenberg<br />

(CSU)<br />

7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 33


FAIR CHILDHOOD – BILDUNG STATT KINDERARBEIT<br />

„Vielleicht hipp<br />

und chic“, aber sicherlich<br />

nicht<br />

„fair“ – die Kleiderschnäppchenangebote<br />

bei Tchibo,<br />

Kik, Aldi, Lidl<br />

& Co. Sie werden<br />

in Manufakturen<br />

in Indien oder<br />

Pakistan hergestellt,<br />

in denen<br />

häufig auch Minderjährige<br />

arbeiten.<br />

Zum Welttag der Kinderarbeit<br />

am 12. Juni<br />

2011 veröffentlichten<br />

Kultusministerkonferenz<br />

(KMK), Verband<br />

Bildung und Erziehung<br />

(VBE), Bundesverband<br />

der Lehrerinnen und<br />

Lehrer an beruflichen<br />

Schulen (BLBS) und<br />

Gewerkschaft Erziehung<br />

und Wissenschaft<br />

(<strong>GEW</strong>) eine gemeinsame<br />

Erklärung, die Sie<br />

auf der <strong>GEW</strong>-Website<br />

unter<br />

www.gew.de/<br />

Gemeinsame_<br />

Erklaerung_KMK_VBE<br />

_BLBS_und_<strong>GEW</strong>.html<br />

finden.<br />

* Literatur-Tipp:<br />

„Fair einkaufen – aber<br />

wie?“ von Martina Hahn<br />

und Frank Herrmann;<br />

Verlag Brandes & Apsel,<br />

Frankfurt a.M., 2. Auflage<br />

2010. 248 Seiten,<br />

19,90 Euro<br />

Fotos: imago<br />

Hipp, chic – und fair<br />

So können Verbraucher Kleidung ohne Kinderarbeit erkennen<br />

Wer den Laden Glore betritt, glaubt<br />

sich zunächst in einer der vielen Boutiquen,<br />

die – sehr chic, sehr stylish –<br />

vor allem Teenager ansprechen wollen.<br />

An den schwarzen Stangen vor weiß<br />

getünchter Wand hängen hippe Klamotten,<br />

Kollektionen junger, erfolgreicher<br />

Designer-Marken wie Armedangels<br />

oder Kuyichi. Glore ist hip – und<br />

dennoch anders: Am Schaufenster des<br />

Ladens unweit der Nürnberger<br />

Fußgängerzone klebt das Fairtrade-<br />

Siegel.<br />

Glore (www.glore.de) bietet<br />

faire und ökologisch produzierte<br />

Shirts, Jeans oder<br />

Stiefel an. Die Mode, die<br />

Bernd Hausmann, Inhaber<br />

des Ethik-Fashion-Ladens,<br />

verkauft, besteht ausschließlich<br />

aus fair erzeugter Baumwolle, welche<br />

die Fairtrade Labelling Organizations<br />

International – kurz FLO – oder eine andere<br />

unabhängige Organisation zertifizieren<br />

lässt. Auch <strong>für</strong> die weitere Produktionskette<br />

schließt Hausmann Kinderarbeit<br />

und miese Entlohnung aus.<br />

Auf seiner Website wirbt er damit, dass<br />

„fair <strong>mehr</strong> ist als ein Verkaufsargument –<br />

nämlich ein handfester Bestandteil der<br />

täglichen Produktion“. Im Gespräch findet<br />

er einfachere Worte: „Style und Optik<br />

sind wichtig, aber der Respekt vor<br />

den Menschen, die das Teil produzieren,<br />

darf trotzdem nicht fehlen.“ Er erzählt,<br />

dass er irgendwann einfach an den<br />

Punkt gekommen sei, an dem er mit seinem<br />

Konsumverhalten „niemandem<br />

<strong>mehr</strong> schaden wollte“.<br />

Neue, junge ethische Fashion-Labels<br />

von Designern und Streetwear-Händlern<br />

wie Glore oder Ghetto Deluxe, die<br />

sich Richtung Fairtrade bewegen,<br />

schießen hierzulande wie Pilze aus dem<br />

Boden. In Großbritannien oder in den<br />

USA haben sie sich bereits fest am<br />

Markt etabliert.<br />

Dort, sagt Anton Jurina, Designer des<br />

Kölner Labels Armedangels, „muss man<br />

vielen Kunden das Prinzip von fairer<br />

Mode nicht <strong>mehr</strong> erklären“. Die Konsumenten<br />

ziehen mit – aufgeschreckt<br />

durch Berichte über verheerende Arbeitsbedingungen,<br />

Kinderarbeit und<br />

massives Lohndumping in den Zulieferfabriken<br />

in Billiglohnländern wie China<br />

oder Bangladesch, aber auch der Türkei.<br />

In diesen Staaten werden heute 95 Prozent<br />

der hierzulande angebotenen Textilien<br />

hergestellt. Nach Angaben der<br />

„Kampagne <strong>für</strong> Saubere Kleidung“ bleiben<br />

den Nähern im Erzeugerland gerade<br />

mal ein bis zwei Prozent des Endverkaufspreises,<br />

den der Käufer in Deutschland<br />

etwa <strong>für</strong> das Paar Markensportschuhe<br />

auf den Ladentisch legt – das<br />

sind bei einem 100-Euro-Schuh ein bis<br />

zwei Euro. Der Großteil der Erlöse<br />

fließt an die Auftraggeber: Markenartikler<br />

und Handelskonzerne mit Sitz in<br />

Europa, Japan oder den USA.<br />

Gerade die unschlagbar billigen<br />

Schnäppchen und Sonderaktionen bei<br />

Kik, Tchibo, Aldi, Lidl & Co., aber auch<br />

das Gros teurer Marken-, Sport- und<br />

Outdoor-Artikeln wird heute größtenteils<br />

in einem Sweatshop in China, Indien,<br />

Bangladesch, Pakistan, Indonesien,<br />

Nicaragua, Bolivien oder Vietnam hergestellt.<br />

Tausende solcher Fabriken gibt<br />

es im asiatischen Raum, Lateinamerika<br />

und – mit abnehmender Tendenz – in<br />

Osteuropa. Sweatshops sind Manufakturen,<br />

in denen Menschen zu Niedrigstlöhnen<br />

und unter schlimmen Arbeitsbedingungen<br />

schuften – darunter häufig<br />

auch Minderjährige.<br />

Öko ist nicht gleich fair<br />

Doch woran erkennt der Kunde im Laden,<br />

ob das T-Shirt sozialverträglich<br />

und ohne Kinderarbeit hergestellt wurde?<br />

Kaum eine Verkäuferin wird ihm<br />

darüber Auskunft geben können – Armut<br />

und Ausbeutung stehen nicht auf<br />

dem Etikett. Auch das Öko-Label auf<br />

dem T-Shirt sagt wenig aus: Zwar haben<br />

etliche herkömmliche Anbieter wie<br />

H&M, Otto oder Levis inzwischen auch<br />

eine Natur-Kollektion auf den Markt<br />

gebracht. Doch nicht jede Öko-Mode<br />

ist automatisch auch fair erzeugt.<br />

Im Gegenteil: Viele Kleidungsstücke<br />

aus Bio-Baumwolle werden wie jedes andere<br />

konventionell gefertigte Kleidungsstück<br />

unfair zusammengenäht<br />

und gehandelt. Diese Mode ist dann<br />

zwar chemisch rückstandsfrei, aber unter<br />

Umständen sozial belastet. Hinzu<br />

kommt, dass die großen Modehäuser<br />

zumeist nur einzelne Teile aus Bio-<br />

Baumwolle in ihr Sortiment aufgenommen<br />

haben. Diesen Punkt kritisiert<br />

denn auch Berndt Hinzmann von der Organisation<br />

Inkota in Berlin: „Es kann<br />

doch nicht darum gehen, <strong>für</strong> einzelne<br />

ausgezeichnete Kleidungsstücke oder<br />

Teile der Produktionskette eine saubere<br />

Produktion nachzuweisen, während andere<br />

Produkte der gleichen Firma unter<br />

unwürdigen Bedingungen hergestellt<br />

werden.“<br />

34 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011


FAIR CHILDHOOD – BILDUNG STATT KINDERARBEIT<br />

Echte faire Mode oder zumindest<br />

Baumwolle aus Fairem Handel<br />

hingegen ist derzeit noch nicht so<br />

leicht im Laden zu finden. Die<br />

beste Orientierung bietet dem<br />

Kunden bislang das Siegel „Fairtrade<br />

Certified Cotton“ von Trans-<br />

Fair, der deutschen Siegelorganisation<br />

des Fairen Handels. Es haftet<br />

an Jeans, T-Shirts, Taschen oder<br />

Bettlaken aus Baumwolle und garantiert<br />

dem Verbraucher, dass der<br />

Bauer <strong>für</strong> seine Baumwollernte einen<br />

fairen Mindestpreis bekommen<br />

hat, der über dem Weltmarktpreis<br />

liegt, sowie einen Fairtrade-<br />

Aufschlag <strong>für</strong> soziale Projekte wie<br />

Schulen oder Hospitäler. Kinderarbeit<br />

auf den Plantagen der Trans-<br />

Fair-Partner ist verboten.<br />

Dass Kunden T-Shirts oder Hemden<br />

aus Bio- oder Fairtrade-zertifizierter<br />

Baumwolle kaufen, hilft<br />

den Baumwoll-Bauern und den<br />

Böden in den meist bitterarmen<br />

Produzentenländern. Der Anbau<br />

der sehr schädlingsanfälligen Pflanze<br />

gehört zu den umweltbelastensten<br />

Wirtschaftszweigen überhaupt:<br />

Er verbraucht viel Wasser<br />

und lässt als Monokultur Landstriche<br />

veröden. Hinzu kommt, dass<br />

im konventionellen Baumwollanbau<br />

jede Menge Kunstdünger, Insektizide<br />

und Fungizide eingesetzt<br />

werden. Auf den Plantagen in Burkina<br />

Faso, Pakistan oder Indien<br />

schuften häufig auch Kinder und<br />

Minderjährige. Sie und andere<br />

Baumwoll-Pflanzer und -Pflücker<br />

erhalten oft nicht einmal Anzüge,<br />

Brillen oder Atemmasken zum<br />

Schutz gegen die Chemiekeule.<br />

Viel<strong>mehr</strong> rühren sie die giftige<br />

Brühe mit nackten Armen an – um<br />

sie dann mit Handpumpen zu versprühen.<br />

Nicht alles ist Fairtrade<br />

Was Verbraucher allerdings wissen<br />

müssen ist, dass in der Regel nur<br />

die Rohbaumwolle und der Handel<br />

mit ihr, nicht aber das fertige<br />

Kleidungsstück zertifiziert werden.<br />

Das heißt: Auch das Fairtrade-Gütezeichen<br />

auf dem Hosenanzug<br />

garantiert dem Käufer keineswegs,<br />

dass das Stück in der<br />

nachfolgenden Wertschöpfungskette,<br />

also in der Spinnerei, Näherei<br />

oder bei den Konfektionären,<br />

fair weiterverarbeitet worden ist.<br />

Dies zu kontrollieren sei leider<br />

„fast unmöglich“, schreibt das Magazin<br />

Ökotest – zu unübersichtlich<br />

sei die Lieferkette in der globalen<br />

Textilbranche. Schließlich hat ein<br />

T-Shirt, bis es auf dem Ladentisch<br />

liegt, oft <strong>mehr</strong>ere zehntausend Kilometer<br />

zurückgelegt.<br />

Ein Fairtrade-Siegel nicht nur <strong>für</strong><br />

die rohe Baumwolle, sondern<br />

auch <strong>für</strong> das fertige Kleidungsstück<br />

wird es von TransFair und<br />

anderen Organisationen daher in<br />

naher Zukunft nicht geben – „zu<br />

schwierig sind die Bedingungen<br />

<strong>für</strong> den Fairen Handel auf dem<br />

Textilien-Massenmarkt“, räumt<br />

Maren Richter von TransFair ein.<br />

Der Verein verlangt allerdings von<br />

den Herstellern und Händlern,<br />

mit denen er kooperiert, dass sich<br />

die restlichen Beteiligten der Lieferkette<br />

zumindest an die Kernarbeitsnormen<br />

der Internationalen<br />

Arbeitsorganisation (ILO) halten.<br />

Und die verbieten Kinderarbeit.<br />

Martina Hahn, Redakteurin<br />

der „Sächsischen Zeitung“<br />

Mode aus fair gehandelter Baumwolle<br />

Eine Liste der Firmen, die Textilien aus Fairtrade-zertifizierter<br />

Baumwolle anbieten, findet sich im Internet<br />

unter www.fairtrade-deutschland.de unter der Rubrik<br />

„Produkte“. Weitere Anbieter fairer Mode sind<br />

u.a. Kuyichi, Armedangels, Gardeur, Glore, Katherine<br />

Hamnett und People-Tree.<br />

* Die unabhängige Non-Profit-Organisation Fair<br />

Wear Foundation (FWF) nennt auf ihrer Website www.fairwear.org<br />

Textilfirmen wie Hess Natur oder Outdoor-Ausrüster wie Mammut<br />

oder Jack Wolfskin, die ihre faire Produktion durch unabhängige Dritte<br />

kontrollieren lassen. Der FWF-Kodex gilt als einer der strengsten in<br />

der Textilbranche.<br />

* In Weltläden (www.weltlaeden.de) bieten etwa Gepa, El Puente und<br />

kleine Anbieter faire Textilien an.<br />

* Weitere Infos: Kampagne <strong>für</strong> Saubere Kleidung (www.saubere-kleidung.de)<br />

sowie Südwind Institut Siegburg (www.suedwind-institut.de)<br />

Ja,<br />

Schuften<br />

<strong>für</strong> 50 Cent<br />

am Tag!<br />

Kinderarbeit ist ein Armutszeugnis –in<br />

doppelter Hinsicht. Sie ist Zeugnis von Armut.<br />

Vor allem aber ist sie ein Armutszeugnis <strong>für</strong><br />

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Kontakt: Sabine Niestroj<br />

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Datum / Unterschrift<br />

60489 Frankfurt am Main


LESERFORUM<br />

„Kein Parteigezänk“<br />

(E&W 4/2011, Seite 26: „Deutschland<br />

hat eine Technikfeindlichkeit“)<br />

Unterschiedliche Standpunkte<br />

zwischen <strong>GEW</strong> und Lehrkräften<br />

an der pädagogischen Front einerseits<br />

und der Wirtschaft andererseits<br />

zeigen Widersprüche auf und<br />

regen an, nach neuen Lösungen<br />

zu suchen. Feindbilder werfen<br />

aber wohl eher Gräben auf, als<br />

zum konstruktiven Dialog zu ermutigen.<br />

Vielleicht ist dem Bürger, der am<br />

Morgen seinen Kaffee bereits<br />

während der Rasur im Bad vom<br />

vorprogrammierten Hi-Tech-Kaffeeautomaten<br />

serviert bekommt,<br />

dessen Waschmaschine zu Hause<br />

schon von der Arbeitsstelle aus<br />

per Handy gestartet wird und dessen<br />

Auto ihn per Mikrocomputer<br />

automatisch warnt, wenn hinter<br />

ihm ein Laternenpfahl näher als<br />

20 cm an der Stoßstange steht, die<br />

Problematik noch nicht bewusst:<br />

Vieles von dem wird jetzt schon<br />

von nach Silicon-Valley in die<br />

USA ausgewanderten jungen<br />

deutschen Ingenieuren entworfen<br />

und von chinesischen Arbeitern<br />

zusammengelötet. Vom Umsteuern<br />

an unseren Schulen, beginnend<br />

im Kindesalter, bis hin zu<br />

examinierten Fachkräften vergeht<br />

<strong>mehr</strong> Zeit, als eine Legislaturperiode<br />

dauert. Ein Grund <strong>mehr</strong>, das<br />

Ziel nicht im Parteiengezänk zerreiben<br />

zu lassen.<br />

Jochen Strehlau, Sehnde<br />

„Demokratie verteidigen“<br />

(E&W 5/2011, Seite 2: „Polemik<br />

nicht mit Wissen verwechseln“)<br />

Patrick Bahners hatRecht:Esgibt<br />

islamkritische Bücher. Einige Beispiele:<br />

das Grundgesetz (1949),<br />

Basam Tibi „Fundamentalismus<br />

im Islam“ (2000), Hamed Abdel-<br />

Samad „Der Untergang der<br />

islamistischen Welt“ (2010). Es ist<br />

auf jeden Fall Zeit, endlich wieder<br />

beide Lehren aus unserer Geschichte<br />

zu ziehen: „<strong>Mehr</strong> Demokratie<br />

wagen“ und diese Demokratie<br />

verteidigen – auch im<br />

Interesse derjenigen, die zu uns<br />

gekommen sind, um in Freiheit<br />

zu leben. Religiöser Fundamentalismus<br />

und bequemer Liberalismus,<br />

beide bedrohen das Erbe<br />

des Philosophen der Aufklärung,<br />

Immanuel Kant, und des Friedensnobelpreisträgers<br />

und ehemaligen<br />

Bundeskanzlers Willy Brandt<br />

(SPD).<br />

Dieter Hackenbracht,<br />

Frankfurt a.M.<br />

„Schlichtweg beleidigend“<br />

(E&W 5/2011, Seite 18: „Ist Herr<br />

Özer ein toller Kumpel?“)<br />

Zunächst einmal ist der Untertitel<br />

„Aktuelle Studien zeigen, ‚der<br />

Ausländer vom Dienst‘ macht<br />

Schule auch nicht besser“<br />

schlichtweg beleidigend, ausgrenzend<br />

und simplifizierend. Weder<br />

gibt es so etwas wie eine Lehrkraft,<br />

die nur aufgrund ihrer Herkunft<br />

unterrichtet, noch ist diese die<br />

einzige Grundlage, Menschen mit<br />

Migrationshintergrund einzustellen.<br />

Darüber hinaus möchte ich<br />

anmerken, dass der gesamte<br />

Schwerpunkt der Mai-Ausgabe<br />

mit dem Schwerpunkt „Identität<br />

und Integration“ fehlgeleitet ist.<br />

Eine Debatte, die die strukturellen<br />

Ausgrenzungen gegenüber<br />

Lehrkräften und Schülern mit Migrationshintergrund<br />

thematisiert,<br />

wird nicht angestoßen. So bleibt<br />

der Fokus auf dem „Anderen”. Eine<br />

Reflexion des eigenen Beitrags<br />

zu einer Situation, in der Schüler<br />

mit Migrationsgeschichte offensichtlich<br />

benachteiligt sind, findet<br />

nicht statt.<br />

Heidi Barz, Berlin<br />

„Enttäuschung“<br />

Im Namen des Berliner Netzwerkes<br />

<strong>für</strong> Lehrkräfte mit Migrationshintergrund<br />

möchte ich Ihnen<br />

unsere Enttäuschung über den<br />

Beitrag mitteilen. Wir fühlen uns<br />

in unserer Arbeit, die sich<br />

hauptsächlich auf ehrenamtliches<br />

Engagement stützt, geschädigt<br />

und finden die Art und Weise,<br />

sich mit dieser wichtigen Thematik<br />

auseinanderzusetzen, grundlegend<br />

falsch. Der Artikel weist verschiedene<br />

fachliche Fehler auf,<br />

aber auch die Grundsatzfrage ist<br />

wenig sachlich und hinterlässt einen<br />

bitteren Nachgeschmack: Hat<br />

sich Ihre Zeitschrift in anderen<br />

Beiträgen schon mal die Frage gestellt,<br />

ob „Herr Müller“ ein toller<br />

Kumpel ist? An dieser Stelle<br />

möchte ich die <strong>GEW</strong> zitieren:<br />

„...Bildung muss alle Menschen<br />

einbeziehen und gesellschaftliche<br />

Ungleichheiten abbauen. Es darf<br />

keine Aussonderung nach Herkunft<br />

und sozialer Stellung, nach<br />

Konfession oder Weltanschauung,<br />

nach Geschlecht oder Nationalität<br />

geben. ...“ Glauben Sie das<br />

wirklich?<br />

Antonia Steinkopff, Sprecherin<br />

Berliner „Netzwerk <strong>für</strong> Lehrkräfte<br />

mit Migrationshintergrund“<br />

„Fingerspitzengefühl“<br />

Diese Frage mag bei dem einen<br />

oder anderen Leser Kopfschütteln<br />

auslösen! Welches Lehrerbild<br />

steckt dahinter? Gehört es<br />

wirklich zu den primären Aufgaben<br />

einer Lehrkraft, ein „toller<br />

Kumpel“ zu sein? Natürlich<br />

nicht, werden die meisten wohl<br />

sofort antworten – zu Recht!<br />

Warum ist diese Frage – nach Ansicht<br />

der im Artikel zitierten Wissenschaftlerin<br />

Carolin Rotter –jedoch<br />

bei Lehrerinnen und Lehrern,<br />

die eine Zuwanderungsgeschichte<br />

haben, von Bedeutung?<br />

Hierauf antwortet der Text nicht.<br />

Natürlich nicht, denn es gibt darauf<br />

keine vernünftige Antwort.<br />

Denn auch diese Lehrkräfte sehen<br />

ihre Aufgabe – genauso wie<br />

ihre Kolleginnen und Kollegen<br />

ohne Migrationshintergrund – in<br />

erster Linie in der Bildung und<br />

Erziehung ihrer Schülerinnen<br />

und Schüler. Sie verstehen sich<br />

als Fachlehrkräfte und als<br />

Pädagogen <strong>für</strong> alle Schülerinnen<br />

und Schüler, nicht nur <strong>für</strong> diejenigen<br />

aus Migrantenfamilien.<br />

„Sind Einwanderer tatsächlich<br />

die besseren Lehrkräfte <strong>für</strong> Kinder<br />

aus Migrantenfamilien?“,<br />

fragt die Autorin Jeannette Goddar<br />

weiter, als ob dies von irgendwem<br />

behauptet würde. Die Antwort<br />

ist nein! Schülerinnen und<br />

Schüler mit und ohne Migrationshintergrund<br />

lernen am besten<br />

bei fachlich und sozial kompetenten<br />

Lehrkräften! Trotzdem<br />

bringen Kolleginnen und Kollegen<br />

mit Migrationshintergrund<br />

Dinge mit, die zu einer Verbesserung<br />

der Lernsituation der Kinder<br />

und Jugendlichen aus Einwanderermilieus<br />

beitragen können.<br />

Aus unserer Sicht hätten wir uns<br />

gewünscht, dass die <strong>GEW</strong> –<br />

wenn sie sich endlich des Themas<br />

annimmt – es mit dem nötigen<br />

Fingerspitzengefühl macht.<br />

Faried Ragab, Hülya Ösün, Landeskoordinatoren<br />

des Hamburger<br />

Netzwerks „Lehrkräfte mit<br />

Migrationshintergrund“<br />

„Der richtige Maßstab?“<br />

(E&W 5/2011, Seite 23: „89,2 Prozent<br />

Zustimmung“)<br />

Richtig ist, alle, auch Beamte und<br />

Pensionäre, sollen an der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung teilhaben<br />

– aber ist „mindestens in<br />

Höhe des Tarifabschlusses“ der<br />

richtige Maßstab?<br />

Bei näherem Betrachten zeigen<br />

sich erhebliche Unterschiede zwischen<br />

Angestellten und Beamten:<br />

Während Arbeitnehmer rund 20<br />

Prozent ihrer Tariflöhne an die<br />

Sozialversicherung und (z.T.) als<br />

Steuer einbüßen, zahlen Beamte<br />

praktisch nur Beiträge zur privaten<br />

Kranken- und Pflegeversicherung<br />

(die vom Staat zu 50 Prozent<br />

subventioniert werden) sowie<br />

Steuern von ihrem Bruttolohn.<br />

Unterschiede von über 500 Euro<br />

netto zwischen den Statusgruppen<br />

bei gleicher Tätigkeit sind<br />

normal! Im Ruhestand werden<br />

diese Differenzen durch die Rentenformel<br />

und ihre unsoziale Absenkung<br />

noch krasser, und das bei<br />

erheblichen Eigenleistungen der<br />

Rentner im Arbeitsleben: Pensionen<br />

sind im Schnitt <strong>mehr</strong> als doppelt<br />

so hoch wie Altersrenten.<br />

Sozial gerecht wäre eine teilweise<br />

Übertragung des Tarifergebnisses<br />

– vermindert um etwa 13 Prozent<br />

(Sozialversicherungsbeiträge <strong>für</strong><br />

Renten und Arbeitslosigkeit) und<br />

Pensionszuwächse etwa in Höhe<br />

der Rentensteigerungen (zurzeit<br />

0,99 Prozent).<br />

Günther Schedel-Gschwendtner,<br />

Nürnberg<br />

36 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2010


LESERFORUM<br />

„Nicht gut gemacht“<br />

(E&W 6/2011, Schwerpunkt Frauen-Fußball-WM)<br />

Es ist sehr zu begrüßen, dass sich<br />

die Redaktion des Fußball-Themas<br />

annimmt, das großes mediales<br />

Echo finden wird. So weit so gut.<br />

Aber: Gut gemeint heißt <strong>für</strong> eine<br />

Gewerkschaftszeitung noch lange<br />

nicht gut gemacht. Wo sind die genuinen<br />

gewerkschaftlichen Fragestellungen<br />

zu diesem Event?<br />

Fußball ist ein wunderbarer Sport<br />

und Frauen- und Mädchenfußball<br />

bietet viele Potenziale. Diese realisieren<br />

sich aber nicht im Selbstlauf.<br />

Welche schulischen Bedingungen<br />

des Gelingens da<strong>für</strong> erforderlich<br />

sind, dazu verliert E&W<br />

kein Wort. Sicher hätten Fußballund<br />

Sportbegeisterte mit gewerkschaftlichen<br />

Standpunkten hier<br />

möglicherweise <strong>für</strong> gewerkschaftliche<br />

Anliegen <strong>mehr</strong> beitragen können<br />

als z.B. ein FAZ-Redakteur!<br />

Norbert Baumann, langjähriger<br />

Vorsitzender der <strong>GEW</strong>-Sportkommission,<br />

Hamburg<br />

„Trivial und<br />

klischeehaft“<br />

(E&W 6/2011, Titelbild)<br />

Welches Niveau strebt E&W an?<br />

Ein Fußball auf dem Titel und eine<br />

hochhackige rosafarbene Damenpantolette<br />

– <strong>für</strong>s Fußball spielen<br />

offensichtlich so ungeeignet<br />

wie wohl Frauen auch. Der Aufmacher:<br />

trivial und klischeehaft.<br />

Uwe Hartwig, Ober-Mörlen<br />

„Total geschmacklos“<br />

(E&W 6/2011, Seite 40: „Diesmal“)<br />

Ich finde die Merkel-Karikatur<br />

der aktuellen Ausgabe total geschmacklos.<br />

Sie hat nichts mit der Kanzlerin,<br />

auch nichts mit der <strong>GEW</strong> oder<br />

Bildungspolitik zu tun und der<br />

Witz beruht allein darauf, dass<br />

Angela Merkel (CDU) so hässlich<br />

ist, dass es bei ihr komisch wirkt,<br />

wenn sie das gleiche versucht wie<br />

die genannten Männer. Ich fand<br />

die Karikaturen in der E&W noch<br />

nie den Knaller, aber diese ist einfach<br />

nur peinlich.<br />

Ina Goldenbaum, Berlin<br />

„Keine Sexistin“<br />

Ich gehöre weiß Gott nicht zu den<br />

glühenden Anhängern von Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel<br />

(CDU) und sehe vieles kritisch,<br />

was ihre Politik und ihr Verhalten<br />

betrifft. Sie aber als Sexistin in einen<br />

Topf mit Silvio Berlusconi, Dominique<br />

Strauß-Kahn und Arnold<br />

Schwarzenegger zu werfen, käme<br />

mir nicht in den Sinn.<br />

Heinrich Heintzmann, Stadtallendorf<br />

„Nicht zum Schmunzeln“<br />

Der Cartoon von Freimut Wössner<br />

ist ziemlich geschmacklos und bei<br />

Licht betrachtet auch sexistisch.<br />

Wenn auch nach Kurt Tucholsky<br />

die Satire alles darf, so darf eine<br />

Lehrergewerkschaft noch lange<br />

nicht alles veröffentlichen. Worin<br />

liegt denn der aufklärerische Wert<br />

dieser colorierten Zeichnung?<br />

Nicht einmal zum Schmunzeln<br />

ist sie geeignet.<br />

Manfred Fuhs, Neuwied<br />

Die E&W-Redaktion hat sehr viele<br />

kritische Zuschriften zu dem „Diesmal“-Cartoon<br />

der Juni-Ausgabe erhalten<br />

– im Tenor alle sehr ähnlich.<br />

Deswegen bitten wir um Verständnis,<br />

dass wir nicht alle Leserbriefe veröffentlichen<br />

können. E&W-Redaktion<br />

E &W-Briefkasten<br />

Postanschrift der Redaktion:<br />

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

Postfach 900409, 60444 Frankfurt a. M.,<br />

E-Mail: renate.koerner@gew.de<br />

Die E&W-Rubrik „Anschlagtafel“ ist auf<br />

unserer Website unter www.gew.de/<strong>GEW</strong>-<br />

Anschlagtafel. html zu finden.<br />

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7-8/2011 Erziehung und Wissenschaft 39


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40 Erziehung und Wissenschaft 7-8/2011

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