Berufswunsch: Diktator - Gegenwind
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<strong>Berufswunsch</strong>: <strong>Diktator</strong><br />
"Ubu, König" mit Musik der Mardi Gras B.B. an der<br />
Landesbühne<br />
Veröffentlicht am 14. Januar 2013 (iz) Die Premiere begann mit einem Eklat: Nach<br />
Ubus einleitender Fäkal-Tirade musste die Vorführung aufgrund von<br />
Tumulten für mehrere Minuten unterbrochen werden.<br />
So geschehen bei der Uraufführung von "König Ubu"<br />
am 10. Dezember 1896 im Théâtre de L'Œuvre, Paris.<br />
117 Jahre später, im Stadttheater Wilhelmshaven,<br />
reißt ein "Schreiße" (original "Merde", von Autor<br />
Alfred Jarry verfremdet zu "Merdre") niemanden mehr<br />
empört vom Theatersessel. Hilfsweise wechselt<br />
Darsteller Cino Djavid kurz in die<br />
Publikumsperspektive und nörgelt ein bisschen<br />
herum. Ansonsten schweigt sich der Protest auf<br />
einigen leeren Plätze nach der Pause der<br />
ausverkauften Vorstellung aus.<br />
Vater Ubu (franz. gesprochen Übü; Wahlspruch: "Bei<br />
meiner grünen Kerze!") möchte gern Herrscher eines<br />
Landes werden. Nachdem Mutter Ubu ihm alle Skrupel<br />
ausgeredet hat, mordet er mit Hilfe seiner Anhänger den polnischen König vom<br />
Thron und lässt sicherheitshalber auch Adelige und Staatsbeamte "enthirnen". Die<br />
Verwaltung der vakanten Adelsvermögen, die Rechtssprechung und auch das<br />
Eintreiben von Steuern erklärt Ubu zur Chefsache. Alles läuft gut für ihn, bis der<br />
russische Zar - angestachelt durch den abtrünnigen Bordure - erfolgreich gegen<br />
Ubu zu Felde zieht. Die Staatskasse unterm Arm, flüchten Vater und Mutter Ubu<br />
nach Frankreich und ersinnen eine neue Lebensperspektive: Jetzt möchten sie<br />
Sklaven werden. Erneut gelangen sie mit Dummdreistigkeit ans Ziel ...<br />
Bindeglied zwischen William Shakespeare und Homer Simpson<br />
Ubu 2013 ist alles andere als Museumstheater. Über mehr als ein Jahrhundert hat<br />
Jarry, der aus bürgerlichen Verhältnissen stammte, in anarchistischen Pariser<br />
Kreisen ein neues Zuhause fand und die Bourgeoisie provozieren wollte, mit<br />
seinem Stoff die darstellende und bildende Kunst beeinflusst. Clowns und Komiker,<br />
wie Laurel und Hardy, nahmen seine schrägen Protagonisten zum Vorbild.<br />
Dadaismus, Surrealismus, absurdes und episches Theater wurden durch Jarry<br />
inspiriert. "Selbst Homer Simpson wäre ohne Ubu undenkbar", ist Regisseur Ingo<br />
Putz überzeugt. Gleichzeitig birgt Ubu zahlreiche - auch versteckte -<br />
Reminiszenzen an Shakespeare und andere Klassiker aus Literatur und Theater<br />
und ist damit stilistisches Bindeglied zwischen Klassik und Moderne. "Kommt Jarry<br />
zur Premiere?" soll jemand gefragt haben. Der 1907 jung verstorbene<br />
Schriftsteller war zweifellos seiner Zeit voraus.
Ubu Amin<br />
Auch inhaltlich hat Ubu nicht an Wirkung verloren. Laut Dramaturg Peter Hilton<br />
Fliegel bietet der primitive, peinliche, dummdreiste Antiheld eine Steilvorlage für<br />
alle erfolgreichen <strong>Diktator</strong>en und Autokraten des 20. Jahrhunderts (ff.). (Zu<br />
Wilhelm II, Zeitgenosse von Jarry und von 1888 bis 1918 letzter Deutscher Kaiser<br />
und König von Preußen, haben wir sogar einen lokalen Bezug). Ob Stalin, Hitler,<br />
Franco, Ceausescu, Idi Amin, Pinochet, Kim Jong Il, Gaddafi ... die Liste lässt sich<br />
leider bis heute weiterführen.<br />
<strong>Diktator</strong>en treten nicht mehr unbedingt wie Gaddafi in bizarren Uniformen auf oder<br />
als brutale Schlächter wie Idi Amin. Sie pflegen heute das Image des honorigen<br />
Staatsmanns und erwecken den Anschein, als respektierten sie den Rechtsstaat.<br />
Denn moderne Alleinherrscher haben gelernt, die Demokratie mit den Methoden<br />
des 21. Jahrhunderts auszuhebeln.<br />
William J. Dobson, „Diktatur 2.0“, Blessing Verlag 2012<br />
Zu Jarrys Zeiten bestand große Hoffung auf einen Vormarsch der<br />
Demokratie. Imzweiten Teil der Inszenierung (angelehnt an die<br />
Vorlage Ubu in Ketten) nimmt Ubu, wieder ohne Rücksicht auf<br />
Verluste, seine neue Rolle an: Der moderne demokratische Untertan<br />
als Verkünder einer neuen Freiheit - der freiwilligen Sklaverei. Wie<br />
wir ihn heute noch kennen. Gelebte Demokratie beschränkt sich auf<br />
Wahlzettel, und wer so kreuzbrave Bürger/innen hat, braucht sich<br />
nicht mal mehr die Finger blutig zu machen, um die Herrschaft zu behalten.<br />
Ob sich tieferer Sinn und ernsthafte Hintergründe dem Publikum auf den ersten<br />
Blick erschließen, sei dahingestellt. Absurdes Theater ist nie leicht verdaulich.<br />
Regisseur Ingo Putz ("Meta, Nordeich") ist tief eingetaucht in Jarrys / Ubus<br />
Abgründe und mit sympathisch kindlicher Begeisterung ans Werk gegangen. Für<br />
seine acht Schauspieler in fast 40 Rollen war es "harte Arbeit", was man daran<br />
merkt, dass man es bei der Premiere eben nicht merkt. Christoph Sommer füllt als<br />
Vater Ubu den Proleten-Feinripp bis zur letzten Sekunde überzeugend und mit<br />
ungebremster Energie aus. Felix Frenken legt als Mutter Ubu eine<br />
ernstzunehmende Travestie aufs Parkett. Cino Djavid ist ja ohnehin für absurdes<br />
Theater geboren. Auch die übrigen Mitspieler bewegen sich leicht und sicher durch<br />
die Geisterbahn, die Steffen Lebjedzinski stimmig als Bühne gestaltet hat.<br />
Tanz auf dem Vulkan<br />
Dem Intendanten Gerhard Hess kommen bei langen Autofahrten oft gute Ideen.<br />
Als vor einiger Zeit die "anarchische, verrückte, genussvolle" Musik der Mardi Gras<br />
Brass Band, geprägt von Blues, Soul und Funk,<br />
aus dem Autoradio an sein Ohr drang, schien sie<br />
ihm wie gemacht, das Stück um Vater Ubu "zu<br />
bändigen". Jochen Wenz, Frontmann der 1992<br />
(vom ehemaligen Guru Guru-Bassisten Uli Krug)<br />
gegründeten Mannheimer Band, ließ sich<br />
überreden, zu bekannten Songs seiner Band<br />
passende deutsche Texte zu schreiben, die die<br />
Handlung von "Ubu, König" weitertragen. Die<br />
Musik ist klasse und wird live von einem<br />
regionalen Sextett professioneller Musiker eingespielt. So gelangte Ubu als<br />
"musikalisches Spektakel" in Wilhelmshaven zur erneuten Uraufführung.
Schwer zu sagen, warum sich trotz alledem im zweiten Teil etwas Müdigkeit breit<br />
macht. Schauspieler und Musiker sprühen vor Energie und wie die Darsteller<br />
möchte man (im Angesicht des Grauens) eigentlich immerzu tanzen. Immer<br />
wieder passieren über die Bühne verteilt mehrere Dinge zugleich, auf die man sich<br />
höllisch konzentrieren muss, will man nichts verpassen von witzigen Ideen,<br />
verschmitzten Gesten und perfekter Choreografie. Vielleicht ist das Ganze mit gut<br />
zwei Stunden ein wenig zu lang und schon der erste Teil - der aufhaltsame<br />
Aufstieg des Vater Ubu - in sich geschlossen genug zum Verdauen. Der zweite Teil<br />
- freiwilliger Abstieg zum Sklaven - könnte eigentlich das Publikum direkt am<br />
Schopf packen, wenn man die Drehzahl noch mal erhöht, und das kriegt die hoch<br />
motivierte Belegschaft nicht mehr hin.<br />
Natürlich kann sich von dem Stück und der Musik ohne Sinnsuche einfach nur<br />
unterhalten lassen. Aber dazu ist der kostbare Stoff eigentlich zu schade. Für den<br />
Geschichts- oder Politikunterricht zum Beispiel ist es eine Supervorlage, um die<br />
Schüler/innen über die schräge, auch vulgäre Komik und natürlich die fetzige<br />
Musik "abzuholen" und danach in die vielschichtigen Botschaften des Stückes<br />
einzutauchen.<br />
Weitere Aufführungen von "Ubu, König" im Stadttheater: Mi., 30.01.2013 / 20.00 Uhr;<br />
Fr., 08.02.2013 / 20.00 Uhr; So., 10.02.2013 / 15.30 Uhr; Sa., 02.03.2013 / 20.00 Uhr.<br />
Unter dem Titel "Bei meiner grünen Kerze!" gibt es Dienstag, 15.1., um 21 Uhr eine<br />
TrashKantine (Kantine im Stadttheater Wilhelmshaven) zur wunderbaren Welt des Alfred<br />
Jarry, mit Prosa und Poesie und Songs aus Ubu, König. Mit: Christoph Sommer, Felix<br />
Frenken und Bastian Netsch (Gitarre)<br />
Und am 22.2. spielt die Original Mardi Gras Brass Band im KlingKlang auf!