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Urban, Postmodern als Konsens

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Entwurf – bitte nicht zitieren!<br />

Florian <strong>Urban</strong><br />

<strong>Postmodern</strong>e <strong>als</strong> <strong>Konsens</strong>: Neo-historistischer Wiederaufbau im Ost-Berliner<br />

Nikolaiviertel 1977-1989<br />

Freitag, 25. September 2009, Universiät Hamburg, moderner Neubau beim<br />

Hauptgebäude der Universität, Werner-von-Siemens-Allee, Dammtorviertel, S-Bhf<br />

Dammtor, U-Bhf Stephansplatz<br />

Sektion V: Städtebau versus Denkmalpflege, Neubau versus Geschichte<br />

Moderation und Kommentar: Dr. Marc Schalenberg, Universität Helsinki,<br />

Das Nikolaiviertel und die historische Stadt in Ost-Berlin<br />

Vier Jahrzehnte nach Kriegsende – die Stadt war längst in weiten Teilen wieder aufgebaut –<br />

befand sich südlich des Alexanderplatzes im Ost-Berliner Stadtzentrum noch immer eine<br />

bedeutungsvolle Brache. Nur einen Steinwurf vom Repräsentationszentrum der DDR entfernt –<br />

dem Ende der 1960er Jahre erbauten Ensemble von Fernsehturm, Hotel Stadt Berlin und Marx-<br />

Engels-Forum – hatte sich einst das Zentrum der mittelalterlichen Stadt befunden. Davon zeugten<br />

nun lediglich ein paar unbebaute Grundstücke sowie die Ruine von Berlins ältester Kirche. Wie<br />

aus diesem Gebiet – nach der Zahl seiner Besucher zu urteilen – das beliebteste Bauprojekt Ost-<br />

Berlins wurde, davon möchte ich im Folgenden berichten.<br />

Zwischen 1983 und 1987 entwarf der Architekt Günter Stahn ein städtebauliches Ensemble mit<br />

Wohnungen, Ladengeschäften und Gastronomiebetrieben, das aus einigen wenigen erhaltenen<br />

Bauwerken und zahlreichen Neubauten mit historisierenden Fassaden bestand. Einige der<br />

Gebäude wurden in traditioneller Ziegelbauweise errichtet – das gab es in den 1980er Jahren<br />

sonst fast nirgends in der DDR – und der Rest <strong>als</strong> Stahlskelettkonstruktion unter Verwendung<br />

vorgefertigter Betonteile. 1 Das Nikolaiviertel war das größte neo-historische Bauvorhaben der<br />

DDR. Es wurde am Vorabend des 11. und letzten Parteitags der SED im April 1987 eröffnet. Es<br />

war für den Durchgangsverkehr gesperrt und bot etwa 800 Wohnungen für circa 2000 Bewohner<br />

– einer von ihnen war der Architekt selbst. Außerdem gab es zahlreiche Museen und die höchste<br />

Dichte an Bars und Restaurants in der gesamten Republik – 22 Bars, Cafés und Restaurants auf<br />

weniger <strong>als</strong> einem halben Quadratkilometer. 2<br />

Wie in Westdeutschland war auch in der DDR seit den 1970er Jahren eine Hinwendung zur alten<br />

Stadt zu verzeichnen. [...]<br />

Beschreibung des Bau- und Entscheidungsprozesses, von modernen bis hin zu historischen<br />

Entwürfen, keiner war direkt dafür, dennoch setzt sich ein historisierender Entwurf durch [...]<br />

In den 1980er Jahren bereitete sich Berlin auf die Feier für das 750-jährige Jubiläum der ersten<br />

urkundlichen Erwähnung der Schwesterstadt Cölln im Jahre 1237 vor. Die „750-Jahrfeier“ war<br />

besonders im Osten ein wichtiges Ereignis. Da der historische Stadtkern auf Ost-Berliner Gebiet<br />

lag und sich damit die wichtigsten historischen Gebäude im Osten befanden, war das Jubiläum<br />

für die DDR-Führung ein besonders willkommener Anlass, ihre vermeintliche Überlegenheit zu<br />

1 „Aufgabenstellung für den Wohnungsbau im Gebiet zwischen Rathaus und Spree im Stadtbezirk Berlin-Mitte”,<br />

vom November 1980 Landesarchiv Berlin C Rep 110-01, 2669: 23.<br />

2 Ibid.


Entwurf – bitte nicht zitieren!<br />

demonstrieren. Aus historischer Perspektive, das war ausnahmsweise unstrittig, war Ost-Berlin<br />

die wichtigere Hälfte der Stadt und der Westen vor allem eine Ansammlung ehemaliger Vororte.<br />

Anfragen des Westens nach gemeinsamen Feierlichkeiten lehnte die DDR-Seite daher kühl ab.<br />

[...]<br />

Im Stadterneuerungsgebiet Nikolaiviertel wurde von 1983 bis 1987 an der Stelle des<br />

mittelalterlichen Stadtkerns eine komplett designte Altstadt errichtet. Teilweise geschah das in<br />

Ziegelbauweise, zum größten Teil jedoch in Fertigteilen. Das Viertel, das bereits vor dem<br />

Zweiten Weltkrieg nur wenige Gebäude aufwies, die älter <strong>als</strong> hundert Jahre waren, war im Krieg<br />

beinahe total zerstört worden. Nun erstand es <strong>als</strong> Idealtypus einer historischen Altstadt wieder,<br />

mit Boutiquen, Bierkneipen und „Altberliner“ Restaurants. Die Entwürfe des Architekten Günter<br />

Stahn belegen, dass der neo-historische Eindruck des Viertels zwar bereits im ersten Plan von<br />

1979 angelegt war, aber im Laufe der Jahre zunehmend mehr Einfluss erhielt. Etwa die<br />

auffälligen Giebel aus vorgefertigten Betonplatten – die kaum mit Berliner Taditionen zu<br />

verbinden sind – tauchen erstm<strong>als</strong> in einem Modell von 1983 auf. 3<br />

Die historische Stadt in der DDR war kein spezifisches Produkt des Sozialismus. Der Städtebau<br />

in der späten DDR entwickelte sich parallel und im Zusammenhang mit ähnlichen Entwicklungen<br />

im Westen. In der DDR wurden Leitbilder aufgenommen und im Rahmen des nur sehr begrenzt<br />

flexiblen re<strong>als</strong>ozialistischen Systems angepasst und weiterentwickelt.<br />

Was die Reaktion des kapitalistischen Nachbarn im Westen betrifft, war die Eröffnung zweifellos<br />

ein Erfolg. Die West-Berliner Presse war des Lobes voll. Ekkehard Schwerk vom Tagesspiegel<br />

feierte die Rekonstruktion <strong>als</strong> „liebevoll und aufwendig” und entschuldigte die Freizügigkeit im<br />

Umgang mit den historischen Vorbildern <strong>als</strong> typisch für Berlin und der Attraktivität des neuen<br />

Viertels nicht abträglich. 4 Generell waren die West-Berliner Journalisten bereits erfreut, dass das<br />

Viertel nicht <strong>als</strong> Plattenbausiedlung aufgebaut wurde, und diese Erleichterung überdeckte jegliche<br />

Kritik an historischer Ungenauigkeit, Eklektizismus und Kulissenhaftigkeit. Ein weiterer<br />

Pluspunkt war in ihren Augen auch die offensichtliche Akzeptanz des Projektes bei<br />

Einheimischen und Touristen. Das Nikolaiviertel, so der Grundton, besitze anders <strong>als</strong> viele Teile<br />

des Ost-Berliner Zentrums zumindest das Potential, mit städtischem Leben erfüllt zu werden. [...]<br />

Die DDR-Städtebaupolitik seit den späten 1970er Jahren folgte einer globalen Entwicklung.<br />

Ähnliche Ansätze waren zu jener Zeit in vielen Ländern Europas und Nordamerikas<br />

wahrzunehmen. Ein weltweiter kultureller Wandel wurde hier im Rahmen des sozialistischen<br />

Systems aufgenommen und innerhalb der engen Grenzen des politisch und wirtschaftlich<br />

Machbaren auf eigene Weise gestaltet. Die historische Stadt vereinigte die visuellen Eindrücke<br />

verschiedener historischer Perioden zu einem unspezifischen Konglomerat. Auf<br />

programmatischer Ebene bedeutete sie Unterhaltung und Konsum, auf kultureller Ebene erlaubte<br />

sie eine Interaktion mit der städtischen Vergangenheit, die gleichzeitig individualisiert und<br />

losgelöst von der ursprünglichen Geschichtskonstruktion stattfand. Für die DDR-Führung war das<br />

besonders attraktiv: Man konnte sich geschichtsbewusst geben, ohne sich mit Geschichte<br />

tatsächlich auseinandersetzen zu müssen. Die zahlreichen Fallstricke der offiziellen<br />

Geschichtsschreibung mit ihren ideologisch bedingen Ausblendungen und Modifikationen<br />

wurden damit geschickt umgangen.<br />

3<br />

Vgl. hierzu die Fotos des Wettbewerbsbeitrags von Günter Stahn von 1979 im Fotoarchiv des Instituts für<br />

Regionalplanung und Strukturentwicklung Erkner.<br />

4 Ekkehard Schwerk, „Von der Rippe eines Riesen und von berauschten Padden – Geschichten im neuen ‚alten’<br />

Nikolaiviertel, Tagesspiegel 26. Oktober 1986.


Entwurf – bitte nicht zitieren!<br />

Die historische Stadt, so wie sie in Ost-Berlin entstand, nahm viele Aspekte der<br />

Umstrukturierung voraus, die sich nach der Wiedervereinigung ereignete. Die Innenstadt wurde<br />

wieder explizit zu einem Zentrum für Kommerz und Konsum; dabei bediente man sich realer und<br />

imaginärer Geschichte. In Anbetracht der zahlreichen Parallelen in der Stadtentwicklung in<br />

beiden Teilen Berlins kann die Vorstellung zweier gegenläufiger Entwicklungen nicht länger<br />

aufrechterhalten werden. In städtebaulicher Hinsicht war das Ende der DDR keineswegs eine<br />

Stunde Null; vielmehr gab es eine erstaunliche Kontinuität der städtebaulichen Prinzipien vor und<br />

nach der Wiedervereinigung.

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