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Nr. 12 (1. Auflage Oktober 2003)<br />

Alter der Kinder bei der Wahl der weiterführenden Schulform<br />

® DIE ZEIT<br />

Reisen nach PISA<br />

Die GGG war vor Ort


GGG konkret Nr. 12<br />

Impressum<br />

GGG konkret Nr. 12<br />

(1. Auflage Oktober 2003)<br />

Herausgeber:<br />

Redaktion:<br />

Arbeitskreis <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen e.V.<br />

Landesverband der<br />

<strong>Gemeinnützige</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Gesamtschule</strong> e.V.<br />

Jürgen Theis<br />

Beiträge bitte einsenden<br />

an:<br />

<strong>Gemeinnützige</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Gesamtschule</strong> e.V.<br />

Huckarder Str. 12<br />

44147 Dortmund<br />

Telefon: (0231) 14 80 11<br />

Fax: (0231) 14 79 42<br />

Internet: http://www.GGG-NRW.de/<br />

E-Mail: GGG-NRW@dokom.net<br />

Erscheinungsweise:GGG konkret erscheint nach Bedarf,<br />

in der Regel einmal jährlich.<br />

Verleger:<br />

Arbeitskreis <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen e.V.<br />

Landesverband der<br />

<strong>Gemeinnützige</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Gesamtschule</strong> e.V.<br />

Huckarder Str. 12<br />

44147 Dortmund<br />

Preis: 2,00 €<br />

Ausgabe: Oktober 2003<br />

- II -


GGG im Internet!<br />

Seit Mitte Juni 1996 sind aktuelle und nützliche Informationen<br />

aus den <strong>Gesamtschule</strong>n und für <strong>Gesamtschule</strong>n unter<br />

der folgenden Adresse im Internet erreichbar:<br />

http://www.ggg-nrw.de<br />

<strong>Datei</strong>: D:\Daten\Konkret\Gko12\Gko12.doc - Erstellung: 25.09.2003 - Druck: 05.10.2003 - ThJ<br />

- III -


GGG konkret Nr. 12<br />

GGG-Landesverband NRW (Arbeitskreis <strong>Gesamtschule</strong> in NRW e.V.),<br />

Huckarder Str. 12, 44147 Dortmund<br />

- IV -


Inhalt<br />

Vorbemerkung --------------------------------------------------------------------------- 2<br />

Die GGG war vor Ort – „Reisen nach PISA“ ------------------------------------ 2<br />

Reiseberichte und Interviews---------------------------------------------------------- 3<br />

Werner Kerski:<br />

Schwedische Schulen ------------------------------------------------------------ 3<br />

Anne Ratzki:<br />

Schulentwicklung orientiert sich an demokratischen Werten --------------- 7<br />

Anne Ratzki:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion, Edu<strong>ca</strong>tion and Edu<strong>ca</strong>tion----------------------------------------- 10<br />

Werner Kerski:<br />

Schulen in Norwegen ---------------------------------------------------------- 19<br />

Brigitte Schumann:<br />

Interview mit Marianne Stokke ----------------------------------------------- 25<br />

Anne Ratzki:<br />

Finnland - High Quality and High Equality--------------------------------- 27<br />

Anne Ratzki:<br />

Kanada - Vertrauen war gut, ist Kontrolle besser? ------------------------- 34<br />

Pressemitteilungen und Stellungnahmen ----------------------------------------- 42<br />

Pressemitteilung der GGG NRW zu »PISA international« ------------------ 42<br />

Schreiben der GGG NRW an den SPD-Landesvorstand<br />

PISA und die Notwendigkeit zu reagieren ---------------------------------- 43<br />

Informationen und Meinungen ----------------------------------------------------- 47<br />

Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n------------------------------------------------- 47<br />

Werner Kerski:<br />

Bei einem Waldbrand hilft keine Feuerpatsche----------------------------- 57<br />

Jürgen Theis:<br />

PISA - Alarm längst verklungen? -------------------------------------------- 64<br />

Druckschriften ------------------------------------------------------------------------- 67<br />

GGG-Druckschriften -------------------------------------------------------------- 67<br />

Forum-Materialien------------------------------------------------------------------ 69<br />

Handreichungen für den<br />

fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht ---------------- 70<br />

Formulare ------------------------------------------------------------------------------- 73<br />

Bestellung von Druckschriften------------------------------------------------- 73<br />

Beitrittserklärung ------------------------------------------------------------------ 75<br />

- 1 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Vorbemerkung<br />

VORBEMERKUNG<br />

Die GGG war vor Ort – „Reisen nach PISA“<br />

Bereits 1969 und 1970, also zu Beginn des Gesamtschulversuchs in der Bundesrepublik,<br />

veranstaltete der „Arbeitskreis <strong>Gesamtschule</strong> in NRW“ – seit 1970<br />

Landesverband Nordrhein-Westfalen der GGG – Studienfahrten nach Kalmar<br />

und Malmö, um dort erste Erfahrungen bei der Umwandlung des schwedischen<br />

Schulwesens in ein integriertes Schulsystem, insbesondere den Unterricht in<br />

heterogenen Lerngruppen kennen zu lernen. Diese Reisen hatten beachtliche<br />

Auswirkungen auf die Entwicklung von Unterrichtsverfahren und Schulorganisation<br />

während der Zeit des Schulversuchs <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen.<br />

Nicht alle damaligen Mitbringsel hatten dauerhaften Bestand; so gehören Großgruppenunterricht,<br />

programmiertes Lernen und Mengenlehre längst in die Abteilung<br />

„Historische Pädagogik“. 1 Geblieben ist dem Gesamtschulverband von<br />

damals ein besonderer Impuls für eine integrative Pädagogik, für eine Schule, die<br />

sich für alle ihre Schülerinnen und Schüler verantwortlich fühlt.<br />

In Schweden und den skandinavischen Nachbarstaaten ist die Entwicklung zu<br />

einem integrierenden Schulwesen seitdem längst abgeschlossen – auch wenn die<br />

Weiterentwicklung von Schule dort als bleibende Aufgabe verstanden wird.<br />

In Deutschland hingegen wurde eine so genannte „<strong>Gesamtschule</strong>“ nach Abschluss<br />

des Schulversuchs als vierte oder fünfte Schulform auf den Markt gebracht,<br />

was nicht nur die Vielfalt des System sondern auch dessen Selektivität<br />

steigerte.<br />

Dennoch war die Erörterung der Schulstruktur fast zwei Jahrzehnte lang ein<br />

bildungspolitisches Tabu. Erst die Ergebnisse internationaler Vergleichsuntersuchungen<br />

wie TIMSS und vor allem PISA ließen dieses Thema sogar für Politiker<br />

wieder diskussionswürdig erscheinen.<br />

Im Mai 2001 - also bereits fast ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung der<br />

Ergebnisse von „PISA international“ - führte eine Erkundungsreise von Mitgliedern<br />

der GGG-NRW wieder nach Schweden, in eines der „Siegerländer“ bei<br />

internationalen Schulleistungs-Vergleichen. Weitere Reisen nach Großbritannien,<br />

Finnland, Norwegen, Kanada folgten. Die in der Mitgliederzeitschrift des<br />

GGG-Landesverbandes „<strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen“ und im<br />

Internet veröffentlichten Berichte über diese Reisen sowie weitere Artikel über<br />

PISA sind in diesem Heft noch einmal zusammen gestellt worden.<br />

Die Weiterbildungseinrichtungen der GGG-NRW haben seit 2002 für interessierte<br />

Kolleginnen und Kollegen „Reisen nach PISA“ in verschiedene Länder in<br />

ihr Programm aufgenommen (im Internet: http://www.ggg-nrw.de/WB).<br />

J. Theis<br />

1<br />

Vgl. J. Theis, Die Anfänge der <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen (s. auch S. 67)<br />

- 2 -


Werner Kerski:<br />

Schwedische Schulen<br />

REISEBERICHTE UND INTERVIEWS<br />

Werner Kerski:<br />

Schwedische Schulen<br />

Ein Beispiel für erfolgreiche Arbeit von <strong>Gesamtschule</strong>n 2<br />

Das schwedische Schulsystem erweist sich im internationalen Vergleich<br />

als sehr erfolgreich. Eine vergleichsweise hohe Zahl an qualifizierten<br />

Abschlüssen und gleichzeitig gute Ergebnisse in der TIMS-Studie zeichnen<br />

die schwedischen Schulen aus. Was macht die schwedischen <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

so erfolgreich? Auf diese Frage haben wir zu dritt bei einem<br />

Besuch vor Ort - in Göteborg und Umgebung - versucht, Antworten zu<br />

finden.<br />

Schwedische Schulen kommen bis zum 8.<br />

Schuljahr gänzlich ohne Noten aus. Vor<br />

dem Hintergrund unserer heimischen Diskussion<br />

um die Notengebung - schon die<br />

Frage der Zeugnisnoten im dritten Schuljahr<br />

der Grundschule führt in Deutschland<br />

zu erbitterten ideologischen Auseinandersetzungen<br />

- setzt dies selbst überzeugte<br />

Gesamtschulanhänger in ungläubiges Erstaunen.<br />

Dabei ist die Logik der Schweden<br />

nachvollziehbar: Noten sind die Grundlage<br />

bei der Erteilung von Abschlüssen. Vom 1.<br />

bis zum 9. Schuljahr besuchen alle schwedischen<br />

Schülerinnen und Schüler die Basisschule,<br />

in unserem Sprachgebrauch eine<br />

<strong>Gesamtschule</strong>. Der erste Abschluss wird<br />

nach dem 9. Schuljahr erteilt, Noten folglich<br />

ab dem Jahrgang 8. Dass es kein Sitzenbleiben<br />

gibt, ist eine weitere logische<br />

Konsequenz.<br />

In der schwedischen Basisschule findet<br />

Basisschule in einem Dorf:<br />

alle Klassenräume sind<br />

gegenseitig zu öffnen<br />

keinerlei Differenzierung nach Fachleistung statt. Wir konnten im Gespräch mit<br />

schwedischen Lehrerinnen und Lehrern auch keinen Wunsch nach differenzierten<br />

Gruppen feststellen. Das Unterrichten in heterogenen Gruppen wird offensichtlich<br />

als selbstverständlich empfunden und mit großem Einverständnis getragen.<br />

Auslese, sowohl in unterschiedliche Schulformen als auch innerhalb der<br />

2<br />

Aus: <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen III/2001<br />

- 3 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Basisschule in Form von Leistungsdifferenzierung, ist den schwedischen Schulen<br />

fremd.<br />

Die genannten Strukturmerkmale sind Ausfluss eines pädagogischen Leitziels,<br />

das offensichtlich von der schwedischen <strong>Gesellschaft</strong> getragen wird. Das schwedische<br />

Schulgesetz formuliert das Ziel, dass alle jungen Menschen gleichwertig<br />

ausgebildet werden müssen, unabhängig vom Geschlecht, dem Wohnort, der<br />

sozialen und ökonomischen Lage. Diese Präambel bestimmt alle weiteren Maßnahmen,<br />

sie ist nicht nur schmückender und folgenloser Überbau. Das zugrunde<br />

liegende Menschenbild prägt die schulische Kultur und ist stets spürbar. Die<br />

individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes ist das wichtigste Ziel der schwedischen<br />

Schulen. Dies setzt das Offenhalten der Schullaufbahn und das Vermeiden<br />

von vorzeitiger Auslese voraus. Dies trifft auch auf Sonderschüler zu. Es gib<br />

keine Schulen für Lernbehinderte. Körper- und geistigbehinderte Schülerinnen<br />

und Schüler nehmen so weit wie möglich am Unterricht in den Basisschulen teil.<br />

Computer im Hauswirtschaftsunterricht - Ernährungsgewohnheiten und Gesundheit<br />

- 4 -


Werner Kerski:<br />

Schwedische Schulen<br />

Das Ziel der größtmöglichen individuellen Förderung setzt auch eine andere<br />

Klassengröße voraus. 20 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse werden schon<br />

als viel empfunden, in der Regel sind die Klassen in der Basisschule kleiner. Ein<br />

individualisierter Unterricht ist hier möglich und wird auch tatsächlich praktiziert.<br />

Anders sieht es in den Jahrgängen 10 bis 12 aus. Hier sind die Kurse - wie<br />

in vielen anderen europäischen Ländern<br />

auch - deutlich größer. Wir haben Kurse<br />

gesehen, die die Zahl 30 überschritten.<br />

Die schulische Erziehung der schwedischen<br />

Kinder und Jugendlichen ist der<br />

schwedischen <strong>Gesellschaft</strong> wichtig und sie<br />

ist ihr auch etwas wert. Die Schulgebäude<br />

sind wohnlich und gepflegt. Die Schulen<br />

sind sehr gut ausgestattet. So standen z.B.<br />

in einer Schule für 300 Schülerinnen und<br />

Schüler 200 Computer zur Verfügung -<br />

natürlich vernetzt und natürlich professionell<br />

gewartet. Auch bei den Lehrern wird<br />

weniger gespart als bei uns. Die kleineren<br />

Klassen in den Basisschulen verursachen<br />

Chemieunterricht in der Oberstufe<br />

(Gymnasiet)<br />

einen erheblich größeren Lehrerbedarf.<br />

Dabei muss man allerdings berücksichtigen,<br />

dass die Lehrergehälter deutlich geringer<br />

als in Deutschland sind.<br />

An die Basisschule schließt sich eine Sekundarstufe<br />

für die Jahrgänge 10 bis 12 an.<br />

Diese Schule ist keine Pflichtschule, sie wird jedoch von den allermeisten Jugendlichen<br />

in Schweden besucht. Die wenigen Schülerinnen und Schüler, die die<br />

Basisschule nicht erfolgreich abgeschlossen haben, erhalten hier im Programm<br />

„Individuelle Förderung“ eine zweite Chance, den Abschluss zu erreichen. Ansonsten<br />

kann man „Gymnasiet“ am ehesten mit einem Berufskolleg vergleichen.<br />

Es gibt dort ein weit gefächertes Angebot von Schulprogrammen, z.B. „Sozialwesen<br />

und Freizeitpädagogik“, „Energiewesen“, „Medien“, „Naturwissenschaften“<br />

- insgesamt 18 unterschiedliche Programme. Alle Programme können zur<br />

Hochschulreife führen. Insgesamt gelingt dies ungefähr 70 % der schwedischen<br />

Schülerinnen und Schüler. Und sie sind dabei äußerst erfolgreich. Baumert stellte<br />

dazu im Abschlussbericht zu TIMSS III fest: „Schweden und Norwegen sind<br />

gute Beispiele für die Tatsache, dass man in einem Gesamtschulsystem mit differenzierter<br />

Oberstufe, in dem für inhaltliche Konsistenz und Kontinuität des Lernens<br />

gesorgt wird, Spitzenleistungen erreichen kann, die weit über dem Niveau<br />

gymnasialer Leistungskurse liegen.“<br />

- 5 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Was macht die schwedischen Schulen so erfolgreich? Wie gelingt es den<br />

Schweden eine große Bildungsbeteiligung mit dem Erreichen von Spitzenleistungen<br />

zu verbinden? Eine möglichst späte Selektion lässt jedem einzelnen<br />

Schüler Zeit und Chance zur persönlichen Entwicklung. So werden Bildungsreserven<br />

genutzt, Jugendliche individuell gefördert und ihre Leistungsfähigkeit<br />

aktiviert. Neben dieser Kultur der schulischen Erziehung sind vermutlich folgende<br />

Regelungen von Bedeutung:<br />

• In den Jahrgängen 5 und 9 der Basisschulen und allen Jahrgängen der Sekundarstufe<br />

werden zentrale Tests in den Kernfächern geschrieben. Die<br />

Tests werden von „Skolverket“, dem zentralen Schulentwicklungsinstitut in<br />

Stockholm, zusammengestellt und an alle Schulen in Schweden versandt.<br />

Obwohl die Teilnahme nicht verpflichtend ist, nehmen offensichtlich alle<br />

Schule daran teil. Wir haben jedenfalls keine Schule gefunden, die sich<br />

nicht am Test beteiligt. Die Auswertung der Tests geschieht durch den<br />

Fachlehrer, der das Ergebnis nach eigener pädagogischer Verantwortung in<br />

die Bewertung des Schülers einfließen lässt. Es handelt sich also nicht um<br />

ein Zentralabitur, ein Ranking kann ebenfalls nicht stattfinden, trotzdem<br />

wirkt der zentrale Test auf das gesamte Schulsystem standardisierend. Weiter<br />

bringt er für alle Beteiligten Sicherheit. Die Schule kennt die national<br />

gesetzten Standards und kann sich damit vergleichen.<br />

• Ein zweiter wesentlicher Unterschied zum deutschen Schulwesen ist die<br />

Langfristigkeit, mit der Entwicklungsprozesse betrieben werden - im Gegensatz<br />

zur deutschen Kurzatmigkeit. Auch das bringt Zufriedenheit und<br />

Sicherheit in das System, dies besonders bei den Lehrerinnen und Lehrern,<br />

die die Reformen umzusetzen haben. Die Zielperspektive wird im Schulgesetz<br />

benannt und ist auch allen präsent: Eine möglichst gute Ausbildung für<br />

alle Schülerinnen und Schüler, Breitenförderung und Individualisierung als<br />

oberste Priorität. An dieser Zielperspektive richten sich alle Maßnahmen<br />

aus. Sie werden gesellschaftlich, vor allem aber von den Lehrerinnen und<br />

Lehrern ganz selbstverständlich getragen und umgesetzt. Und man lässt den<br />

Schulen Zeit, das Schulprogramm zu entwickeln und eigene Wege zu finden.<br />

Seit 1994 gibt es für die Basisschulen neue landesweit geltende Richtlinien.<br />

Die Umsetzung dieser Reform wird seitdem betrieben, den Freiraum<br />

nutzen die Schulen, um vor Ort ihr eigenes Profil zu entwickeln. Ebenfalls<br />

1994 wurde die Sekundarstufe reformiert. Den seinerzeit 17 Oberstufenprofilen<br />

wurde im vergangenen Jahr ein weiteres hinzugefügt. Ansonsten gelten<br />

die Bestimmungen von 1994 unverändert. Dies bringt Zuverlässigkeit,<br />

Sicherheit und damit Qualität in die Schulen.<br />

Das schwedische Schulsystem macht deutlich, dass eine breite Förderung aller<br />

Jugendlicher und eine hohe Qualität bei den Fachleistungen durchaus vereinbar<br />

sind. Die Voraussetzungen dazu sind eine möglichst lange gemeinsame Erziehung<br />

aller Schülerinnen und Schüler, eine hohe Wertschätzung in die Jugendli-<br />

- 6 -


Anne Ratzki:<br />

Schulentwicklung orientiert sich an demokratischen Werten<br />

chen als Potential für die Zukunft der <strong>Gesellschaft</strong>, klar definierte und akzeptierte<br />

Erziehungsziele, das Bereitstellen der notwendigen Ressourcen, akzeptierte<br />

fachliche Ziele und den Mut, Schulen Zeit und Raum für ihre Entwicklung zu<br />

geben.<br />

Cafeteria in Gymnasiet<br />

Anne Ratzki:<br />

Schulentwicklung orientiert sich an demokratischen Werten<br />

Gespräch mit Marianne Skardéus, Schulentwicklerin in Schweden<br />

Anne Ratzki: Marianne, in den vergangenen Jahren hast du die Entwicklung des<br />

schwedischen Schulwesens in ganz unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen<br />

mitgestaltet und verfolgt. Was waren deine Aufgaben?<br />

Marianne Skardéus: Zuerst habe ich als Lehrerin auf allen Stufen Schwedisch<br />

und Deutsch unterrichtet, bevor ich als Fachberaterin und pädagogische Beraterin<br />

zur regionalen Schulbehörde ging. In der nationalen Schulbehörde Skolverket<br />

in Stockholm war ich ab 1991 für die Lehrpläne am gymnasiet, der Oberstufe,<br />

zuständig. Wir haben 16 Programme für allgemeine und berufliche Bildung<br />

entwickelt, die sich an Zielen und Standards orientieren, dazu ein Benotungssystem.<br />

Ein anderer Schwerpunkt von mir war Internationales, und ich habe dann<br />

im Ministerium den Eintritt Schwedens in die EU mit vorbereitet, war verant-<br />

- 7 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

wortlich für die EU-Programme Leonardo da Vinci und Socrates. In der Arbeit<br />

mit den europäischen Bildungsprogrammen hatten pädagogische Erwägungen zu<br />

wenig zu sagen und deshalb habe ich anschließend in Stockholm als Inspektorin<br />

für die Oberstufe gearbeitet. Zur Zeit bin ich im Sabbath-Jahr, habe ein Buch<br />

namens „So gelingt das EU-Projekt“ geschrieben und habe Aufträge für das<br />

Gymnasiekommitté 2000 - ein Komitee, das neue Vorschläge für die Entwicklung<br />

unserer Oberstufe vorbereitet.<br />

A. R.: Schweden hatte ja 1962 die gemeinsame Basisschule - grundskola - für<br />

die Klassen 1 bis 9 eingeführt. Seitdem ist viel Zeit vergangen, vieles hat sich<br />

geändert. Welche Veränderungen im schwedischen Schulwesen waren dir besonders<br />

wichtig?<br />

M. S.: Seit eh und je gab es sehr viele Regelungen, die die Schulen in ein Korsett<br />

zwangen. Alles lief zentral über Stockholm, Stundenzahlen, Geld etc. Gehälter<br />

machten etwa 50% des Schuletats aus. Es war mir wichtig, dass diese Regelungen<br />

aufgehoben wurden. Ab etwa 1985 lief eine Versuchsphase, mit finanzieller<br />

Unterstützung. 1000 Blumen sollten blühen! Ein anderer Stundenplan wurde<br />

möglich, Schulen konnten sich auf einen Schwerpunkt konzentrieren, neue Fächer<br />

versuchen, Projekte durchführen, berufliche und allgemeine Fächer verbinden.<br />

Dies betraf vor allem die Oberstufe. Die „grundskola“ hatte inzwischen<br />

zwei Revisionen durchgemacht; und zwar 1969 und 1980Ab 1989/90 wurde die<br />

Versuchsphase der Oberstufe ausgewertet. Diese Auswertung fiel zusammen mit<br />

der Kommunalisierung des Schulwesens. Entscheidend ist die Primärkommune,<br />

sie erhält das Geld für die Schulen, soll alles regeln. Die Kommune hat damit<br />

auch die Verantwortung für die LehrerInnen.. LehrerInnen werden individuell<br />

entlohnt, Kommunen bezahlen unterschiedlich. 1991 wurde die Oberstufe reformiert<br />

und die Berufsausbildung noch weiter integriert. Alle Ausbildungsprogramme<br />

der Oberstufe wurden dreijährig. Um das lebenslange Lernen zu fördern<br />

und die Jugendlichen für eine immer wieder sich wandelnde Umwelt vorzubereiten<br />

wurde entschieden, dass alle Schüler und Schülerinnen Basisfächer wie<br />

Schwedisch, Mathematik, Englisch, <strong>Gesellschaft</strong>swissenschaft, Naturwissenschaft,<br />

Religion, Sport und Gesundheit und die ästhetischen Fächer studieren.<br />

Dieses Basiskonzept entspricht einer Studienzeit von einem Schuljahr.<br />

A. R.: Seit 1990 sind die Kommunen für die Schulen voll verantwortlich. Wie<br />

wirkte sich die Kommunalisierung auf die Schulen aus?<br />

M. S.: Ich will ein Beispiel geben: Die Kinderfürsorge war bis zu diesem Zeitpunkt<br />

beim Sozialministerium und infolgedessen der sozialen Behörde unterstellt.<br />

Die Kommune wurde nun für alle Kinder von der Vorschule bis zur Schulentlassung<br />

verantwortlich. Ebenso für Freizeitangebote. Das führte zu einer Integration<br />

von Vorschulerziehung und Schule und zu Ganztagsschulen. Es ist nun<br />

die Pflicht der Kommunen ein Angebot von 6.30 morgens bis 21 Uhr für die<br />

Kinder zu machen, mit Freizeitpädagogen. Und an den Schulen gibt es einen Ort<br />

für soziale Betreuung.<br />

- 8 -


Anne Ratzki:<br />

Schulentwicklung orientiert sich an demokratischen Werten<br />

A. R.: Ein Schulsystem sagt vieles aus über das Menschenbild einer <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Wie würdest du das Menschenbild der schwedischen <strong>Gesellschaft</strong> beschreiben?<br />

M. S.: Ich kann mich da auf unser Schulgesetz und die Werte und Ziele beziehen,<br />

die im Curriculum von 1994 für das Schulwesen existieren. Das Schulgesetz<br />

hebt hervor, dass die „Ausbildung den Schülern Kenntnisse und Fertigkeiten<br />

verleihen soll und in Zusammenarbeit mit den Eltern die harmonische Entwicklung<br />

zu verantwortungsbewussten Menschen und Mitbürgern fördern soll.“Der<br />

Auftrag der Schule umfasst also sowohl die traditionelle Kenntnisvermittlung<br />

wie auch die demokratische Erziehung. Der Schulgesetz betont, dass „die Aktivitäten<br />

in der Schule in Übereinstimmung mit den grundlegenden Werten gestaltet<br />

werden müssen.“ Die Schüler sollen die inhaltliche und formale Gestaltung ihres<br />

Unterrichts beeinflussen können. Allerdings muss die Gestaltung des Einflusses<br />

dem Alter und der Reife der Schüler angepasst werden.<br />

A. R.: Und wie sieht das in der Praxis aus?<br />

M. S.: Es ist die Pflicht der Schule die Tätigkeiten und die Arbeit entsprechend<br />

den demokratischen Prinzipien zu organisieren. Die Unterricht muss demokratische<br />

Arbeitsformen verwenden und die Schüler darauf vorbereiten persönliche<br />

Verantwortungen für ihr Tun und Lassen zu übernehmen. Solche Arbeitsformen<br />

sind die Grundvoraussetzung Gesprächsmöglichkeiten über Werte und Normen<br />

zu schaffen. Die Bedeutung der kommunikativen Kompetenz der Schüler wird<br />

durchgehend in den Lehrplänen betont. Es wird in den Lehrplänen weiter betont,<br />

dass die Schule ein sozialer und kultureller Treffpunkt ist. „Der Bildungsanstalt<br />

soll für unterschiedliche Auffassungen offen sein und das Aussprechen dieser<br />

Auffassungen fördern. Die Schule soll die Bedeutung einer persönlichen Stellungnahme<br />

hervorheben und auch Foren für das Aussprechen solcher Stellungnahmen<br />

schaffen.“ Von den Lehrenden verlangen die Richtlinien, dass sie mit<br />

den SchülerInnen die Werte der schwedischen <strong>Gesellschaft</strong> diskutieren und dabei<br />

auch die Bedeutung und Konsequenzen dieser Werte für das persönliche Handeln<br />

ergänzen. Die LehrerInnen sollen auch verschiedenartige Werte, Auffassungen<br />

und Probleme offen darlegen und diskutieren.<br />

A. R.: Welche Auswirkungen haben diese Wertorientierungen auf das Lernen,<br />

auf die Schülerinnen und Schüler? Du sprachst auch von Verantwortung ...<br />

M. S.: Zunächst ist auf dieser Basis von Werten auch der Kenntnisbegriff erweitert<br />

worden. Sämtliche Kurspläne umfassen Faktenkenntnisse, Fertigkeiten,<br />

Vertrautheitskenntnisse und Verständniskenntnisse. D.h. die Erfahrungen der<br />

Schüler auf verschiedenen Gebieten spielen eine wichtige Rolle beim Lernen<br />

selbst und sollen in den Lernprozess integriert werden. Ganz wichtig ist die Teilung<br />

der Verantwortung zwischen Eltern, Lehrkräften und Schulleitung für die<br />

Ausbildung in der Schule; der Schüler ist selbst für sein Lernen verantwortlich.<br />

Das Lernen wird individualisiert, Schüler und Schülerinnen lernen nach ihrem<br />

eigenen Tempo individuell und bekommen die dazu nötige Hilfe. Die Kommune<br />

- 9 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

muss eine angenehme Lernumgebung bereitstellen. So hat jeder seinen Verantwortungsbereich.<br />

Jeder soll mitwirken. Die Curricula (Lpo 94 und Lpf 94) setzen<br />

fest:<br />

„Die Unverletzlichkeit des Menschenlebens, die Freiheit und die Integrität des Individuums,<br />

gleicher Wert aller Menschen, Gleichstellung von Frauen und Männern, ebenso die Solidarität mit<br />

den Schwachen und Ausgegrenzten sind die Werte, die die Schule gestalten und vermitteln soll.“<br />

A. R.: Wenn jeder individuell lernt, gibt es dann überhaupt vergleichbare Standards<br />

in den Schulen?<br />

M. S.: Die Vergleichbarkeit wird durch nationale Tests hergestellt. In der<br />

Grundschule können die Lehrer sie einsetzen, müssen das bis jetzt aber nicht. Sie<br />

dienen nicht zur Notenfindung und schon gar nicht zum Vergleich der Schulen<br />

untereinander. Den Lehrern/Innen geben sie Sicherheit, dass ihre Schüler auf<br />

dem nationalen Stand sind. Es ist nicht immer nachzuvollziehen, welche Ziele<br />

die Testhersteller haben. Es gibt da Unzufriedenheit, weil zu viele durchfallen.<br />

Den Abschluss kann man nur in den drei Fächern Schwedisch, Englisch und<br />

Mathematik machen, das sind zu wenige, meinen viele. Seit ein paar Jahren<br />

müssen die Schüler die Fächer Schwedisch/ Schwedisch als Zweitsprache, Englisch<br />

und Mathematik mit „bestanden“ - Godkänd - abschließen um an ein Programm<br />

der Oberschule zugelassen zu werden.<br />

A. R.: Wo siehst du Veränderungsbedarf?<br />

M. S.: Vor allem in der Oberstufe bei der Gewichtung der Fächer und Noten<br />

durch Punkte, die man für den Abschluss einbringen muss. Schüler und Schülerinnen<br />

sollen wählen, was sie studieren wollen, nicht Kurse und Fächer aus taktischen<br />

Gründen. In die beruflichen Programme sollte eine weitere Fremdsprache<br />

aufgenommen werden. Auch der Austausch mit anderen Ländern über berufsbildende<br />

Programme mit Praktika im Ausland tut SchülerInnen gut.<br />

A. R.: Marianne, ich danke dir für das Gespräch!<br />

Anne Ratzki:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion, Edu<strong>ca</strong>tion and Edu<strong>ca</strong>tion<br />

Wie England Schule in den Mittelpunkt der Politik rückt 3<br />

Vor einem Jahr erregte das Green Paper der englischen Labour-Regierung Aufsehen: „England<br />

schafft die <strong>Gesamtschule</strong>n ab“, titelte die Welt. Der Jubel war verfrüht: England hat ein umfassendes<br />

und aufwändiges Programm zur Modernisierung seiner Schulen – und das sind für 90 %<br />

seiner Kinder und Jugendlichen <strong>Gesamtschule</strong>n – vorgelegt. Kernaussage ist:<br />

Raising achievement for all - Die Leistungen für alle verbessern.<br />

Dazu sollten eine größere Vielfalt in Schulen (diversity) und spezielle Programme für benachteiligte<br />

Regionen und Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen dienen. Weil wir mehr über die<br />

3<br />

Aus: <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen I/2002<br />

- 10 -


Anne Ratzki:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion, Edu<strong>ca</strong>tion and Edu<strong>ca</strong>tion<br />

Praxis an englischen Schulen und die Umsetzung des Regierungsprogramms wissen wollten,<br />

besuchten wir im Oktober mehrere Schulen in den Industriestädten Leicester und Birmingham,<br />

sprachen mit LehrerInnen, Schulleitungen und Vertretern der Schulbehörden und verfolgten die<br />

Berichterstattung über Edu<strong>ca</strong>tion in der englischen Presse.<br />

Priorität für Bildung<br />

Als Tony Blair nach dem Wahlsieg von Labour gefragt wurde, welches die drei<br />

wichtigsten Aufgaben der neuen Legislaturperiode seien, soll er gesagt haben:<br />

„Edu<strong>ca</strong>tion, edu<strong>ca</strong>tion and edu<strong>ca</strong>tion.“ Dieser hohe Stellenwert der Bildung ist<br />

auch in der Presse erkennbar. Täglich berichten überregionale Zeitungen wie der<br />

Guardian über Bildungsfragen, und einmal pro Woche gibt es eine Sonderbeilage<br />

über Edu<strong>ca</strong>tion. Ebenso bringt die Times ein wöchentliches „Times Edu<strong>ca</strong>tional<br />

Supplement“ heraus. Die Presse stellt hervorragende Schulen vor, berichtet über<br />

personelle Veränderungen auf lokaler und staatlicher Ebene, über das Verhältnis<br />

von Schulen und Behörden, über neue Sprachprogramme, aber auch über Probleme<br />

mit Religionsschulen, Testbetrügereien und Boykott von Ranking Listen.<br />

Wenn das Green Paper als erster Entwurf eines Schulkonzepts der Regierung im<br />

November 2000 und das White Paper als zweiter, weiterentwickelter Entwurf<br />

vom September 2001 davon sprechen, dass alle Kinder eine vorzügliche Ausbildung<br />

erhalten sollen, dann ist das sehr ernst gemeint. Chancengleichheit hat in<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> und in der Bildungspolitik Englands einen hohen Stellenwert.<br />

Dabei spielen die beiden Pole support (Unterstützung) und challenge (Herausforderung)<br />

eine wichtige Rolle. Entsprechend ihrer Ausgangslage erhalten SchülerInnen<br />

persönliche Hilfe beim Lernen, zugleich aber wird von ihnen permanente<br />

Leistungsverbesserung erwartet.<br />

Das Schulsystem<br />

In England kommen die Kinder bereits mit 5 Jahren, in manchen Gegenden sogar<br />

mit 4 Jahren in die Grundschule (Primary School, Junior School), nach 6<br />

Jahren beginnt die Sekundarschule, die bis zum Alter von 16 Jahren obligatorisch<br />

ist und dann in einer zweijährigen Oberstufe (sixth form) zur Hochschulreife<br />

führt. Die englische Sekundarschule hat sich ab den 50er Jahren nach und<br />

nach zu einem Gesamtschulsystem entwickelt. Vorher gab es Grammar Schools<br />

(Gymnasien) und Modern Techni<strong>ca</strong>l Schools (Hauptschulen). Die Bezirke (counties)<br />

mussten der Regierung in London einen Plan zur Umwandlung ihrer Schulen<br />

in ein integriertes System vorlegen. Bis auf einige Reste des gegliederten<br />

Systems in Devon sind heute alle Schulen „comprehensive“, d.h. sie wählen<br />

nicht nach Leistung aus. Allerdings gibt es neben den koedukativ gemischten<br />

Schulen noch immer Mädchenschulen und Jungenschulen. Der Anteil der Privatschulen<br />

liegt nur bei 5 % der SchülerInnen.<br />

Programme und ihre Finanzierung<br />

Die Schulen erhalten erhebliche finanzielle Unterstützung: So hat die Schulbehörde<br />

von Tameside (105 Schulen) zusätzlich zur Standardausstattung 6 Millio-<br />

- 11 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

nen Pfund (etwa 18 Millionen DM) zur Verfügung um Kinder von ethnischen<br />

Minoritäten und Kinder mit besonderem Förderbedarf zu unterstützen. Die Regierung<br />

hat verschiedene Programme aufgelegt, die alle diesem Ziel dienen, und<br />

die örtlichen Schulbehörden (Lo<strong>ca</strong>l School Authorities, LEAs) gehen kreativ mit<br />

diesem Geld um: So werden aus dem Programm für Stadterneuerung auch Bildungsangebote<br />

für Eltern finanziert, damit diese den schulischen Erfolg ihrer<br />

Kinder unterstützen können. Hoch dotiert ist auch das Netzwerk-Programm<br />

„Excellence in Cities“, das Schulen in innerstädtischen Gebieten miteinander<br />

verbindet und zusätzliche zentrale Einrichtungen vorsieht, die den Schulen dienen.<br />

Excellence in Cities startete 1999. Die Lokale Schulbehörde sucht die Schulen<br />

aus, die in besonders benachteiligten Stadtteilen arbeiten. Ziel ist es, die Leistungen<br />

und Examensergebnisse dieser Schulen zu steigern. Wir haben in Birmingham<br />

Grundschulen und Sekundarschulen im Netzwerk besucht und uns von der<br />

hervorragenden Arbeit, aber auch von der fast unglaublich guten Ausstattung<br />

dieser Schulen überzeugt. Ruth Harker, Schulleiterin einer als Beacon School<br />

(Leuchtturmschule) ausgezeichneten <strong>Gesamtschule</strong>, erläutert uns das Programm.<br />

In Birmingham mit 1 ¼ Millionen Einwohnern gibt es 6 Netzwerke (strands), die<br />

wieder in kleinere Einheiten (Clusters) unterteilt sind. Auch hier gelten die beiden<br />

Pole challenge und support. 5-10% der SchülerInnen sind hochbegabt. Sie<br />

erhalten ein erweitertes Lernprogramm, sowohl im Klassenunterricht wie zusätzlich,<br />

auch mit Kunst, Sport etc. Bournville fördert die Hochbegabten vor allem<br />

im Klassenunterricht, denn so kann das erweiterte Lernprogramm allen angeboten<br />

werden. Das Geld für diese Gruppe der SchülerInnen wird genutzt, um<br />

Künstler oder Wissenschaftler zu gewinnen, Bücher zu kaufen etc. Eigentlich<br />

muss man schon gar nicht mehr erwähnen, dass die Ausstattung mit Computern,<br />

interaktiven Whiteboards, Geräten für Videokonferenzen vorzüglich ist, denn das<br />

ist sie an allen englischen Schulen, die wir sahen. Diese technischen Möglichkeiten<br />

werden auch für zusätzliche Angebote genutzt, z.B. für Videokonferenzen<br />

mit besonders bekannten Wissenschaftlern. Strands erhalten pro Jahr 50 000<br />

Pfund zusätzlich, 50 000 weitere Pfund erhält jedes Cluster.<br />

Das support-Programm in Excellence in Cities ist mit 150 000 Pfund für benachteiligte<br />

SchülerInnen noch besser ausgestattet. Davon kann eine Schule ein Lernzentrum<br />

(Learning support base) einrichten, wo eigens eingestellte Mentoren mit<br />

Erfahrung in Jugendarbeit vor allem Präventionsarbeit leisten. Alison Smith,<br />

Learning Mentor in Bournville, erläuterte uns das Programm in ihrem Zentrum,<br />

einer Art kleiner Wohnung in einem Türmchen, von wo aus man fast das ganze<br />

Schulgelände überblicken kann. Es geht darum, Aggressivität oder Schuleschwänzen<br />

in einem sehr frühen Stadium in den Griff zu bekommen. Methoden<br />

sind Gruppenarbeit, ein Workshop zum Umgang mit Wut, Training sozialer<br />

Fähigkeiten, Entwicklung von Selbstachtung, Konfliktmanagement. 40 SchülerInnen<br />

werden an dieser Schule mit einer Gesamtschülerzahl von 1200 hier be-<br />

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Anne Ratzki:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion, Edu<strong>ca</strong>tion and Edu<strong>ca</strong>tion<br />

treut. Ihre Kollegin Tracy Peters ist sogar Mitglied in der Schulleitung, so hoch<br />

wird diese Arbeit in der Schule geschätzt. Die Ziele dieser Arbeit sind nicht nur<br />

Abbau von Schulmüdigkeit und Aggression, sondern auch SchülerInnen länger<br />

in der Schule zu halten, über die Pflichtschulzeit hinaus, und damit die Zahl der<br />

OberstufenschülerInnen zu erweitern. Dazu gehört auch eine Beratung der LehrerInnen,<br />

wie sie besser mit diesen schwierigen SchülerInnen umgehen, und die<br />

Arbeit mit Eltern, auch mit schwierigen Familien. Hier werden dann auch städtische<br />

SozialarbeiterInnen eingeschaltet. Für die Kooperation mit dem Jugendzentrum<br />

und der Polizei stehen weitere 250 000 Pfund zur Verfügung. Alle SchülerInnen,<br />

auch die schwierigsten, sollen an der Schule bleiben können, keiner soll<br />

von der Schule verwiesen werden. Bournville hat damit großen Erfolg. Für alle<br />

Programme zusammen, für ihre 1200 SchülerInnen, erhält die Schule 300 000<br />

Pfund im Jahr über die Grundausstattung hinaus.<br />

Das Excellence in Cities Programm ist auch mit der Einrichtung eines City Learning<br />

Centre verbunden. 500 000 Pfund werden in Birmingham in diesem benachteiligten<br />

Stadtteil Frankley für ein solches High Tech Zentrum investiert,<br />

und es soll an eine besonders benachteiligte Schule angegliedert werden. Die<br />

reizvolle Lernumgebung und die gut ausgebildeten Techniker sollen den SchülerInnen<br />

Lernanreize bieten.<br />

Multiethnische Bildung<br />

Wie steht es mit der Förderung von Kindern aus Einwandererfamilien, von ethnischen<br />

Minoritäten? Diese Minoritäten werden in manchen Städten schon fast<br />

zu Majoritäten. In Leicester z.B. ist fast die Hälfte der Einwohner zugewandert.<br />

Auch das Shireland Language College in Birmingham wird von über 60 %<br />

Migrantenkindern besucht, in ihrer Mehrzahl Pakistani, aber auch aus Indien, der<br />

Karibik, China/Hongkong und Afrika. In beiden Städten gab es in diesem Sommer<br />

keine Rassenunruhen, im Unterschied zu Bradford. Als wir mit Jugendlichen<br />

darüber diskutierten, erzählten sie uns, dass Bradford eine Apartheitspolitik<br />

betreibe, getrennte Stadtviertel und getrennte Schulen für Weiße und Farbige. Im<br />

Shireland Language College ist eine multiethnische Schülergruppe von etwa 30<br />

Mitgliedern aktiv, die sich „Shireland Voices“ nennt, 14 bis 16 Jahre alt ist und<br />

sich für das Zusammenleben der Kulturen einsetzt. Sie sprechen im Radio und<br />

Fernsehen, machen Pressearbeit und haben auch mit uns Besuchern mit großem<br />

Engagement diskutiert.<br />

England mit seinen weltweiten Kolonien hat lange Erfahrung im Umgang mit<br />

Einwanderern. Schon in den 80er Jahren, als man in Deutschland noch vom<br />

„Türkenproblem“ sprach, hörte ich an englischen Schulen immer wieder, die<br />

Kinder aus anderen Kulturen bereicherten die englische Kultur. Und England<br />

beschäftigte damals schon Lehrkräfte aus den Herkunftsländern, die nicht nur<br />

Muttersprachunterricht gaben. Inzwischen haben wir viele Lehrkräfte aus Indien,<br />

Pakistan, Afrika, der Karibik, Hongkong und anderen Ländern in den Schulen<br />

angetroffen; die Vielfalt der Kulturen erweitert den Blick, wie z. B. im Shireland<br />

- 13 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Language College, wenn dort die Geschichte der Zahlen im Wandrelief dargestellt<br />

wird, angefangen von Ägypten, über arabische Zahlen zu unserer<br />

Mathematik. Oder in der Verbindung von orientalischer und europäischer Kunst.<br />

Am Projekttag schreibt eine multiethnische Schülergruppe ein Gedicht und stellt<br />

es mit karibischer Trommelbegleitung vor. Andere lernen ihren Namen auf japanisch<br />

schreiben oder chinesische Neujahrsbräuche verstehen. Im Sprachenangebot<br />

hat die Schule neben Deutsch, Spanisch und Französisch auch Hindi und<br />

Mandarin Chinesisch, was ihr das Wohlwollen und einige Sponsorengelder der<br />

Bank von Hongkong eingetragen hat. Was an englischen Schulen fasziniert, ist<br />

die Selbstverständlichkeit der multiethnischen Inhalte und des Umgangs miteinander<br />

– man könnte mit einer aktuellen Vokabel vom Dialog der Kulturen sprechen<br />

Spezialschulen und Chancengleichheit<br />

Welche Auswirkung haben Spezialschulen auf Chancengleichheit und die Förderung<br />

ethnischer Minoritäten? Labour hat sie ins Zentrum seiner Schulpolitik<br />

gerückt: Diversity und Excellence heißen die Programmpunkte, die sie besonders<br />

repräsentieren sollen. Die Philosophie der Specialist Colleges heißt, dass Jugendlichen<br />

im Alter von 14 bis 16 Jahren, die oft schulmüde sind, besondere Anreize<br />

geboten werden müssen, um sie zum Lernen zu motivieren und dadurch ihre<br />

Leistungen in allen Fächern zu steigern. Spezialschule wird man durch ein mehrstufiges<br />

Antragsverfahren: Die Schule muss ihr beabsichtigtes Programm genau<br />

beschreiben, dann von Sponsoren 50 000 Pfund einwerben; wird ihr Antrag<br />

genehmigt, erhält sie vom Staat direkt nochmals 100 000 Pfund und für jeden<br />

Schüler pro Jahr 123 Pfund. Zur Seite stehen ihr die BeraterInnen des Technology<br />

Colleges Trust. Nach vier Jahren muss sie nachweisen, dass ihre Leistungen<br />

deutlich gestiegen sind, sonst wird ihr der Status wieder aberkannt und sie verliert<br />

auch die besondere finanzielle Förderung. Spezialschulen sind in England<br />

sehr umstritten. Die einflussreiche Schulleitungsvereinigung lehnt sie ab, weil sie<br />

eine Zweiteilung der Schullandschaft befürchtet, wobei besser situierte Eltern die<br />

besser ausgestatteten Spezialschulen wählen würden und dadurch eine ungleiche<br />

Schulsituation für die sozial schwächeren SchülerInnen entstehen würde. Die<br />

Regierung hat auf Grund dieser Kritik die Zahl der Spezialschulen deutlich erhöht.<br />

Zur Zeit gibt es 653 Spe<strong>ca</strong>list Schools, bis 2005 soll es 1500 geben, und<br />

der letzte Stand heißt, die Ergebnisse seien so gut, dass alle Schulen sich ein<br />

solches Spezialprogramm geben sollten. Ob dann die Gelder reichen werden?<br />

Wir haben einige dieser Schulen besucht und fanden sehr zufriedene und geradezu<br />

glückliche LehrerInnen dort vor: „Es war das Beste, was wir machen konnten“,<br />

„Der Traum meines Lebens hat sich erfüllt“ waren nur zwei von vielen<br />

positiven Äußerungen. Der Grund ist deutlich sichtbar: Für das Spezialgebiet, sei<br />

es Sprachen, Kunst/Musik/Drama, Technologie und Design oder Sport, gibt es<br />

eine wirklich gute räumliche, sächliche und personelle Ausstattung. So verfügt<br />

das Guthlaxton Arts College über einen Ballettsaal. Eine Wand wird vollkom-<br />

- 14 -


Anne Ratzki:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion, Edu<strong>ca</strong>tion and Edu<strong>ca</strong>tion<br />

men von einem Spiegel eingenommen. SchülerInnen und Lehrerin erarbeiten<br />

gerade die Choreographie einer Tanzaufführung. Nebenan finden wir einen geräumigen<br />

Probenraum für Theater. In Dreiergruppen erproben die SchülerInnen<br />

in einer kleinen Szene mimische Ausdruckmittel und Körperhaltung, um Dominanz<br />

und Unterwerfung darzustellen. Auf der Bühne übt eine Gruppe junger<br />

Erwachsener – mit der Schule ist auch ein Community College, die englische<br />

Volkshochschule verbunden - für eine Aufführung. Überwältigt hat uns die Musikabteilung:<br />

Es gibt nicht nur ein voll ausgebautes professionelles Aufnahmestudio,<br />

sondern auch einen großen Raum mit Synthesizern und Computern, wo<br />

SchülerInnen lernen selbst zu komponieren.<br />

Die Mühen der Ebene erläuterte uns Ted Blount, Leiter des Lan<strong>ca</strong>ster Boys<br />

Sports College: Es kostete ihn über ein Jahr Arbeit, Sponsoren für 50 000 Pfund<br />

zu gewinnen. Der Antrag mit allen Unterlagen füllt eine dicke Akte. Die Zeit, die<br />

dafür erforderlich war, hätte er lieber in pädagogische Arbeit investiert.<br />

Selbständigkeit und Rechenschaft<br />

Englische Schulen, ob Specialist College oder nicht, sind seit langer Zeit erheblich<br />

selbständiger als deutsche Schulen. Rechenschaftslegung hat deshalb auch<br />

eine Tradition. In der Vergangenheit geschah dies durch Abschlussprüfungen<br />

(A-Level und O-Level), die durch ein unabhängiges Prüfungsinstitut landesweit<br />

durchgeführt wurden; seit mehreren Jahren gibt es das Inspektorat durch<br />

OFSTED, auch dies eine unabhängige Institution, die vom Staat mit der Überprüfung<br />

der Schulen beauftragt wird. Wenn diese Inspektion ansteht, und dies<br />

geschieht alle 5 Jahre, dann ist die Vorbereitung und die Überprüfung selbst eine<br />

harte und aufwändige Angelegenheit. Je nach Größe der Schule untersuchen 5<br />

bis 10 Inspektoren zwei Wochen lang sowohl Unterricht wie Management und<br />

Kooperation mit den Eltern und die Verwendung der Gelder. Der Bericht wird<br />

mit der Schule rückgekoppelt und dann veröffentlicht. Das Ergebnis kann bedeuten,<br />

dass Schulen ihre Leistungen verbessern müssen und besondere Hilfen durch<br />

Beratung, Zusammenarbeit mit anderen Schulen und finanzielle Zuwendungen<br />

bekommen. Wenn dies nichts bringt, können Schulen geschlossen werden.<br />

Unabhängig von der Überprüfung durch OFSTED wird eine Vielzahl von Tests<br />

in mehreren Jahrgängen durchgeführt und die Ergebnisse werden den Schulen<br />

zugerechnet. Allerdings wird vor allem bewertet, wie die Schulen die Leistungen<br />

ihrer SchülerInnen steigern können, und zwar im Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit<br />

der Schülerschaft, die sie aufgenommen haben. Hier spielen mehrere<br />

Indikatoren eine Rolle, u,a. die Zahl der Freitische beim Mittagessen oder die<br />

Schulgeschichte einzelner Jugendlicher. So wird verhindert, dass Schulen versuchen,<br />

leistungsschwächere SchülerInnen abzuweisen. In der Praxis fanden wir<br />

sogar bei allen besuchten Schulen eine sehr bewusste Bereitschaft, gerade solche<br />

benachteiligte Jugendliche aufzunehmen, sie intensiv zu fördern und für diese<br />

Schülerschaft eine Leistungsverbesserung zu erreichen. Die großzügige finanzielle<br />

Unterstützung nach dem Regierungsmotto „the money goes with the stu-<br />

- 15 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

dent“ erleichtert den Schulen diese Bereitschaft. Unter Margret Thatcher wurden<br />

Schulen dafür belohnt, nur bessere SchülerInnen aufzunehmen, so dass sozial<br />

benachteiligte Jugendliche sich konzentriert in schlecht ausgestatteten innerstädtischen<br />

Schulen zusammenfanden – mit dem zu erwartenden Ergebnis zahlreicher<br />

Disziplinprobleme und Schulabbrüche. Hier steuert Labour energisch um.<br />

Die Erwartung, dass auch diese Jugendlichen die bestmögliche Schulausbildung<br />

erhalten, begründet das Bestehen auf ständiger Leistungsverbesserung.<br />

Die Philosophie hinter dieser exzessiven Testarbeit besagt, dass Schulen für den<br />

Lernfortschritt ihre SchülerInnen verantwortlich sind und dafür zu sorgen haben,<br />

dass eine kontinuierliche Verbesserung stattfindet. Im Guthlaxton Arts College<br />

wird über die Leistungsentwicklung jedes Schülers genau Buch geführt. Der<br />

Tutor bespricht gezeigte Leistungen und mögliche Ziele mit jedem einzelnen<br />

Schüler und trifft Vereinbarungen, wie und wo der Schüler seine Leistungen<br />

steigern kann. Während eine so intensive Beratung SchülerInnen sicher auch<br />

beim Lernen weiterhilft, weil sie den Lernenden ernst nimmt, hören wir allerdings<br />

auch von großem Stress und psychischen Problemen, die Schulpsychologen<br />

und Sozialpädagogen bei Schülern und Schülerinnen feststellen, die zu ihnen<br />

in die Beratung kommen. Druck wird durch dieses Testsystem allerdings vor<br />

allem auf die Lehrkräfte und die Schule als Ganzes ausgeübt. In sog. League<br />

tables (Ranking-Listen) werden die Leistungen der einzelnen Schulen veröffentlich.<br />

Eltern suchen für ihre Kinder oft die Schule mit den besten Ergebnissen aus.<br />

Da auch die Ergebnisse einzelner Fächer veröffentlicht werden, können die<br />

Fachlehrkräfte leicht identifiziert werden, die mit den Leistungen ihrer Klassen<br />

unter dem Durchschnitt bleiben oder keine Verbesserung erreichen.<br />

Die Wirkung dieser strengen Rechenschaftslegung ist zwiespältig. Einerseits ist<br />

der Gedanke nicht falsch, Schulen für die Lernergebnisse ihrer SchülerInnen<br />

verantwortlich zu machen. Andererseits empfinden viele LehrerInnen das umfängliche<br />

externe Überprüfungssystem als Ausdruck amtlichen Misstrauens.<br />

Auch besteht die Gefahr, dass der ängstliche Blick auf Tests und League tables<br />

die Unterrichtsarbeit auf Testvorbereitung verengt. Nach Meinung einiger LehrerInnen<br />

ist das Testsystem auch einer der Hauptgründe für den Lehrermangel in<br />

England, denn LehrerInnen beklagten, dass sie keine kreative pädagogische<br />

Arbeit mehr machen könnten. Etwa ein Viertel verlassen in den ersten fünf Jahren<br />

den Beruf. Schottland hat die Testlast reduziert, stellt die Selbstevaluation in<br />

den Mittelpunkt und spottet über England: „They are assessing themselves to<br />

death“.<br />

Lernen mit dem Computer<br />

Eindrucksvoll ist die Ausstattung mit Computern, die wir in allen Schulen, auch<br />

in der Grundschule, sehen konnten. Überall, in eigenen Computerräumen, in<br />

Fachräumen, der Bibliothek, haben SchülerInnen unproblematisch Zugang zu<br />

Computern und zum Internet. Der Computer wird genutzt wie Bücher, Hefte und<br />

Stifte, er ist ein selbstverständliches Werkzeug. Oft werden Arbeiten in Gruppen<br />

- 16 -


Anne Ratzki:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion, Edu<strong>ca</strong>tion and Edu<strong>ca</strong>tion<br />

am Tisch vorbereitet und dann am Computer die Präsentation entwickelt. Interaktive<br />

weiße Tafeln verdrängen die herkömmlichen schwarzen Tafeln. Durch<br />

Berühren mit einem Stift oder auch nur mit der Hand lassen sich Veränderungen,<br />

Berichtigungen und Ergänzungen an Computertexten vornehmen; der Computer<br />

wird hier zum kommunikativen Medium. Vor allem im Fremdsprachenunterricht<br />

wird das Whiteboard viel genutzt.<br />

Computer spielen auch eine große Rolle in der Community Edu<strong>ca</strong>tion. Seit den<br />

80er Jahren haben sich viele englische Comprehensive Schools zu Community<br />

Colleges erweitert, einer Art Volkshochschule mit integrierter Kinderkrippe und<br />

Kindergarten, die eine eigene Abteilung in der Schule darstellt. So sahen wir im<br />

Beauchamps Technology College parallel zum Schulunterricht Kurse für Senioren<br />

im Umgang mit Computern. Besonders originell war hier ein „Raumschiff“<br />

für die Kleinsten, die in einer geheimnnisvollen und spannenden Umgebung<br />

spielerisch den Computer kennen lernen. Aber auch später, in der Schule, gibt es<br />

ausgezeichnetes Einführungsmaterial in die Computerprogramme für SchülerInnen<br />

in der Form von Workbooks. Grundlage der exzellenten Computerarbeit ist<br />

aber nicht nur die moderne Hardware: Noch entscheidender sind die Techniker,<br />

die in allen Schulen Computer warten, LehrerInnen und SchülerInnen im Umgang<br />

mit dem Computer beraten, mit in die Klassen gehen und jederzeit verfügbar<br />

sind. Eine große Schule wie Beauchamps mit 1800 SchülerInnen hat 7 Techniker.<br />

Im Schnitt kann man für 300 SchülerInnen einen Techniker rechnen.<br />

Die LehrerInnen<br />

Lehrer sind Mangelware, die Wirtschaft zahlt besser, und besonders Führungspersönlichkeiten<br />

werden von „headhunters“ abgeworben. Kein Wunder, brachte<br />

doch eben eine Vergleichsstudie das überraschende Ergebnis, dass SchulleiterInnen<br />

mehr von Management verstehen als Wirtschaftsbosse, besonders im kommunikativen<br />

Bereich. Wir groß der Mangel ist, lässt sich auch am „Golden<br />

Handshake“ ermessen: Junge Akademiker, die sich bereit erklären, für mindestens<br />

drei Jahre in die Schule zu gehen, erhalten 5000 Pfund Prämie. Der Lehrermangel<br />

im Zusammenhang mit der Priorität für Bildung hat auch den LehrerInnen<br />

eine bessere gesellschaftliche Anerkennung gebracht, die durch staatliche<br />

Anreize noch gesteigert wird. So gibt es die neue Beförderung als „Advanced<br />

Skills Teacher“, der für seine vorbildlichen Leistungen im Unterricht eine erhebliche<br />

Gehaltserhöhung bis zum Gehalt eines stellvertretenden Schulleiters erhält;<br />

er soll so im Lehrberuf gehalten werden, vor allem auch JunglehrerInnen ausbilden,<br />

und nicht in die Schulleitung abwandern. Und jedes Jahr gibt es Preise für<br />

besonders gute LehrerInnen und SchulleiterInnen, die von Persönlichkeiten des<br />

öffentlichen Lebens in einer Fernsehshow überreicht werden; vorgeschlagen<br />

werden die PreisträgerInnen von Eltern und SchülerInnen. Andererseits kennt<br />

das englische Schulsystem auch die Entlassung unfähiger Lehrpersonen: Auf<br />

Veranlassung des Schulleiters oder des Schoolboard begutachtet ein unabhängiger<br />

Berater den Lehrer und berät ihn über Fortbildung, wenn Kompetenzen feh-<br />

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GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

len (lack of competencies) oder Verhaltensänderung, wenn sein Verhalten gegenüber<br />

den SchülerInnen nicht akzeptabel ist (lack of <strong>ca</strong>pacity) und macht eine<br />

verbindliche Zeitvorgabe. Sind die Probleme bis zu diesem Datum nicht behoben,<br />

wird der Lehrer entlassen. „Schüler haben ein Recht auf gute Lehrer“ –<br />

diese Maxime wird auch von der Gewerkschaft akzeptiert, die sich nicht hinter<br />

schlechte Lehrer stellt. Allerdings kann ein Lehrer nur einmal diesem Verfahren<br />

ausgesetzt werden.<br />

In den englischen Schulen fällt die insgesamt große Zahl von nicht-lehrendem<br />

Personal auf, das die Lehrkräfte unterstützt. Neben Hausmeistern, Sekretärinnen<br />

und ICT-Technikern gibt es z.B. im Guthlaxton Arts College für jeden Jahrgang<br />

eine Hilfskraft, die Unterrichtsmaterial aufbereitet, z.B. für eine Computerpräsentation,<br />

die Arbeitsblätter und Unterrichtsfilme, Disketten und CDs einsortiert,<br />

archiviert und verfügbar hält – eine enorme Hilfe für Lehrkräfte! Die Schule<br />

kann Mentoren einstellen, die sich um gefährdete SchülerInnen, um ihren Lernfortschritt,<br />

um Elternkontakte kümmern.<br />

Resümee und Ausblick<br />

Das englische Schulsystem unter Labour ist eine faszinierende Mischung aus<br />

Tradition und Erneuerung, konsequenter Integration und Differenzierung. Brüche,<br />

oder wie die Engländer sagen, „conflicting elements“, sind vorprogrammiert.<br />

Einerseits heißt das Staatsziel „inclusion“, also Einbeziehung aller Kinder<br />

in die Schule, Vermeiden von Scheitern; andererseits fördert das rigorose Testsystem<br />

setting, eine Art Fachleistungsdifferenzierung, also die Bildung von homogeneren<br />

Schülergruppen innerhalb der comprehensive schools, weil Kurse auf<br />

einem geringeren Niveau auch leichtere Testfragen bekommen und dadurch die<br />

Schule besser abschneiden kann. Und das Specialist Schools Programm schafft -<br />

jedenfalls in der gegenwärtigen Ausgestaltung - Schulen verschiedener Wertschätzung<br />

– was die Regierung vehement bestreitet. Eine weitere Ausdifferenzierung<br />

innerhalb der Schullandschaft könnte durch faith schools, Schulen religiöser<br />

Glaubensgemeinschaften, geschehen, die von der Regierung wegen ihres<br />

angeblich höheren Ethos und ihrer besseren Leistungen unterstützt werden. Allerdings<br />

mehren sich die Stimmen, die von einer ethnischen Desintegration durch<br />

solche Schulen, vor allem muslimische Schulen, warnen; eine Evaluationsuntersuchung<br />

hat inzwischen bestätigt, dass Glaubensschulen keineswegs bessere<br />

Ergebnisse haben, sondern von Eltern eher wegen ihrer monoethnischen Schülerschaft<br />

geschätzt werden.<br />

England und Deutschland – ein Vergleich<br />

Wenn wir aus der Perspektive der deutschen Schullandschaft auf das englische<br />

Schulsystem schauen, dann fällt sofort auf, dass die Grundlage der Modernisierungen<br />

von New Labour sowohl die Staatlichkeit der Bildung wie die Einheitlichkeit<br />

des Schulsystems ist. Auf dieser Grundlage, die immer wieder betont<br />

wird, bemüht sich New Labour um Gestaltungsvielfalt, um neue Anreize, um<br />

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Werner Kerski:<br />

Schulen in Norwegen<br />

Verbesserung der Leistungen und um Verantwortlichkeit der Schulen. Alle diese<br />

Bemühungen zielen nie auf Selektion, sondern immer auf Inclusion, Einbeziehung<br />

aller Kinder und Jugendlicher. Manches deutet darauf hin, dass wir in<br />

Deutschland dabei sind, Formen der Rechenschaftslegung von England zu übernehmen,<br />

externe Evaluation, verstärkte Tests, die aber im deutschen selektiven<br />

Schulsystem nur zu immer mehr Selektion führen müssen – die ersten Maßnahmen<br />

zur Qualitätssicherung in NRW haben bereits zu einem erheblichen Ansteigen<br />

der Sitzenbleiber geführt. Es wäre also wenig hilfreich, ein Element herauszulösen,<br />

ohne den Kontext zu beachten – die Wirkung könnte in die falsche<br />

Richtung gehen. Statt mehr Abiturienten und Studenten erhielten wir mehr<br />

schlecht ausgebildete Jugendliche aus Sonderschulen, Schulabbrecher und Jugendliche<br />

ohne Ausbildung.<br />

Eindrucksvoll ist die Sorge der englischen Regierung um die Ausbildung der<br />

schwächsten SchülerInnen. Und hier hat Deutschland einen enormen Nachholbedarf.<br />

In England dienen Programme, Geldmittel, kreative Netzwerke dem<br />

einen Ziel: Raising achievement for all. Um die Leistungen aller zu verbessern,<br />

dürfen aber nicht länger SchülerInnen mit Lern- und Verhaltensproblemen in<br />

bestimmten Schulformen unter sich bleiben; sie brauchen support und challenge,<br />

und gerade die Herausforderung, mehr zu lernen, ist in den deutschen Hauptschulen<br />

und Förderschulen zu gering. Der englische Weg heißt Integration dieser<br />

Jugendlichen in der Gemeinsamen Schule und dort individuelle Förderung. Oder,<br />

wie Mark Grundy, Schulleiter von Shireland, die Verantwortung der Schule<br />

zusammenfasst, durch die Herausforderung dieser SchülerInnen zu immer besseren<br />

Leistungen den Kreis von Arbeitslosigkeit und Armut zu durchbrechen:<br />

„Pushing breaks the circle“.<br />

Werner Kerski:<br />

Schulen in Norwegen<br />

Gemeinsames Lernen und individuelle Förderung 4<br />

PISA und TIMSS bescheinigen der norwegischen Schule gute bis sehr gute Ergebnisse.<br />

Was ist die Ursache für die erheblich bessere Leistungsfähigkeit gegenüber<br />

den deutschen Schulen? Drei Merkmale für die Qualität des norwegischen<br />

Schulsystems sind besonders erwähnenswert:<br />

• die geringe Kopplung des individuellen Bildungserfolgs und des sozioökonomischen<br />

Hintergrundes (Chancengleichheit),<br />

• die hohe Bildungsbeteiligung in der Sekundarstufe II, verbunden mit einer<br />

großen Durchlässigkeit der Bildungsgänge,<br />

4<br />

Aus: <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen II/2002<br />

- 19 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

• die deutlich besseren Ergebnisse der internationalen Untersuchungen.<br />

Vor dem Hintergrund der deutschen PISA-Ergebnisse sind diese Merkmale besonders<br />

interessant. Deutschland zeichnet sich nämlich gerade in diesen Bereichen<br />

durch schlechte Resultate aus.<br />

• Deutschland verzeichnet im Bereich Lesefähigkeit die größte Kopplung<br />

zwischen Bildungserfolg und sozioökonomischen Hintergrund aller an<br />

PISA beteiligten Länder.<br />

• Die Bildungsbeteiligung in der gymnasialen. Oberstufe ist mit 25 % international<br />

deutlich unter dem Standard.<br />

• Die geringe Bildungsbeteiligung wird häufig als Preis für eine besonders<br />

gute Förderung der Spitzenleistungen in Kauf genommen. Das überraschende<br />

Ergebnis: Unsere Spitze ist im internationalen Vergleich keineswegs<br />

Spitze, der Mittelwert liegt unter dem OECD-Durchschnitt. Alarmieren<br />

muss uns der viel zu hohe Anteil der schlechten Leser, die über Grundkenntnisse<br />

nicht hinauskommen.<br />

Es stellt sich die Frage: Was machen<br />

die Norweger besser? In der Kleinstadt<br />

Halden in Südnorwegen haben<br />

wir Schulen besucht, mit Lehrerinnen<br />

und Lehrern gesprochen, Schulleiter<br />

interviewt, die örtliche Schulverwaltung<br />

kennen gelernt und die Ausbilder<br />

an der Hochschule für Lehrerausbildung<br />

befragt. Vielfältige Eindrücke<br />

legen nahe: Strukturelle und kulturelle<br />

Merkmale machen den Erfolg der<br />

Norweger aus.<br />

Zielvorgaben<br />

Klare Zielvorgaben prägen die Vorgehensweise des norwegischen Staates. Einige<br />

wichtige Voraussetzungen wurden zu Beginn der 60-er Jahre getroffen. Norwegen<br />

verwandelte sein bis dahin 2-gliedriges Schulsystem in ein Gesamtschulsystem<br />

für die Jahrgänge 1 bis 10, dies ohne jede Fachleistungsdifferenzierung.<br />

Zu Beginn der 90er Jahre fand eine Kommunalisierung der Schuladministration<br />

statt. Das Land setzt nur wenige bildungspolitische und erzieherische Ziele für<br />

das Schulsystem. Diese allerdings sind bindend und werden von allen Beteiligten<br />

auch entsprechend ernst genommen. Ein zentrales Curriculuminstitut in Oslo<br />

erarbeitet Lehrpläne, entwickelt Unterrichtsmaterialien und leistet erhebliche<br />

praktische Hilfestellung für die Lehrerinnen und Lehrer. Mit großem Stolz wurde<br />

uns an allen Schulen das norwegische Curriculum gezeigt. Auf rund 200 Seiten<br />

wurde ein Leitfaden für den Unterricht in allen Fächern vom Primarbereich bis<br />

zur Erwachsenenbildung entwickelt, der gut illustriert ist, ausgesprochen lesbar<br />

- 20 -


Werner Kerski:<br />

Schulen in Norwegen<br />

erscheint und ganz offensichtlich als hilfreich von den Schulen akzeptiert wird.<br />

Die konkrete Organisation der Schule wird vor Ort in der Kommune oder im<br />

Kreis geregelt. Auch die Kommune lässt den Schulen erhebliche Handlungsspielräume.<br />

Klare Zielvorgaben sind eine entscheidende Bedingung, damit die notwendigen<br />

Veränderungsprozesse langfristig geplant werden können, ohne die Schulen zu<br />

überfordern. Wenn man nur die wichtigsten Strukturveränderungen betrachtet:<br />

1960: Gesamtschulsystem<br />

1980: Neuordnung der Sekundarstufe II<br />

1995: Auflösung der Sonderschule<br />

so erkennt man die Zielstrebigkeit aber auch die Beachtung des Zeitfaktors in<br />

dem Prozess der Schulentwicklung. Ein weiteres Beispiel für das zielgerichtete<br />

und langfristige Vorgehen haben wir im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung<br />

des Curriculums kennen gelernt. Das Curriculuminstitut in Oslo hat den<br />

Auftrag, in den nächsten zehn Jahren den gesamten Lehrplan zu überarbeiten,<br />

den veränderten Bedingungen anzupassen, aber auch aus den Erfahrungen der<br />

Lehrerinnen und Lehrer die Konsequenzen zu ziehen. Das bringt Sicherheit und<br />

Transparenz in das Schulsystem und fördert gleichzeitig die Evaluation und die<br />

Veränderung des Bestehenden unter Beteiligung der Schule.<br />

Kommunikation<br />

Kommunikation aller Beteiligten wird in Norwegen gepflegt, das Bestreben<br />

einen gesellschaftlichen Konsens in Grundsatzfrage zu erreichen, ist tief verankert.<br />

Das Denken lässt sich am besten mit dem Begriff „Vertrauenskultur“ beschreiben.<br />

Das Land vertraut der Kommune und der Schule, dass sie verantwortlich<br />

handeln. Die Schulleitungen setzen Vertrauen in ihre Kolleginnen und Kollegen.<br />

Die Lehrerinnen und Lehrer sehen es als zentrale Aufgabe an, die Schülerinnen<br />

und Schüler selbst verantwortlich für ihr eigenes Lernen zu machen.<br />

Norwegen ist ein Land, das konsequent auf jede administrative Schulaufsicht<br />

verzichtet. Das bedeutet zweierlei: Eine administrative und häufig auch wirkungslose<br />

Schulaufsicht findet nicht statt. Auf der anderen Seite kann die Verantwortlichkeit<br />

für schulisches<br />

Handeln auch nicht nach oben<br />

delegiert werden. Hier liegt sicher<br />

ein wichtiger Grund für die Leistungsfähigkeit<br />

der Norweger: Vertrauenskultur<br />

erscheint erfolgsversprechender<br />

zu sein als unsere<br />

Misstrauenskultur. Die Grundvoraussetzung<br />

für diese norwegische<br />

Kultur darf dabei nicht vergessen<br />

werden. Ein einheitliches Schul-<br />

- 21 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

system und damit gleiche Bedingungen für alle Schulen – zumindest im kommunalen<br />

Vergleich. Natürlich verzichtet Norwegen nicht auf Steuerungselemente.<br />

Staatliche Vorgaben wie das zentrale Curriculum wurden genannt. Die Kommunen<br />

selbst erhalten vom Staat ein Gesamtbudget für alle Aufgaben vor Ort. Sie<br />

haben unter anderem die Aufgabe,<br />

den durch den Staat<br />

gesetzlich gesicherten Verpflichtungen<br />

nachzukommen.<br />

Die Kommune muss:<br />

• eine hinreichende Anzahl<br />

an schulischen<br />

Ausbildungsplätzen entsprechend<br />

dem örtlichen<br />

Bedarf vorhalten,<br />

• die dafür notwendigen<br />

Lehrerstellen für den<br />

Unterricht sichern, einschließlich<br />

der Lehrerstellen für die Durchführung der individuellen Programme,<br />

• die Schule mit Lehr- und Lernmitteln ausreichend ausstatten.<br />

Die Verteilung der Ressourcen ist Aufgabe des Kommunalparlaments. Die Entscheidung<br />

wird von der Schulverwaltung in Zusammenarbeit mit den örtlichen<br />

Schulleitungen vorbereitet. Wie werden in einem solchen Zusammenhang die<br />

Stellen für Lehrerinnen und Lehrer den Schulen zugeordnet?<br />

Die in Halden verantwortliche Leiterin des Schulamtes erklärte, dass sie für die<br />

Verteilung dieser Stellen, besonders der Stellen für den individuellen und damit<br />

zusätzlichen Bedarf, verantwortlich<br />

ist. Diese Verteilung wird auf einem<br />

Konvent aller Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter besprochen. Die soziale<br />

Kontrolle, die Ernsthaftigkeit der<br />

Diskussion und die gemeinsame<br />

Verantwortung ist offensichtlich<br />

groß.<br />

Sicher: Das Eintreten für die Interessen<br />

der eigenen Schule gehört<br />

zum Geschäft jeder Schulleitung.<br />

Aber dem Durchsetzen der eigenen<br />

schulischen Interessen sind durch<br />

die große gegenseitige Kenntnis der<br />

schulischen Bedingungen in einer<br />

Gemeinde offensichtlich Grenzen gesetzt.<br />

- 22 -


Werner Kerski:<br />

Schulen in Norwegen<br />

Eine Schule für alle<br />

Die entscheidende Strukturmaßnahme, welche die beschriebene Vertrauenskultur<br />

möglich macht - natürlich nicht erzwingt - ist die Einführung eines einheitlichen<br />

Schulsystems zu Beginn der 60er Jahre. Es gibt eine gegliederte und undifferenzierte<br />

Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse. Die Norweger entschieden<br />

sich für die Förderung jedes einzelnen Kindes und verzichten auf jeglichen Vergleich<br />

und Wettbewerb. Bei größeren Lernschwierigkeiten einzelner Schülerinnen<br />

und Schüler entwickeln die Lehrerteams ein individuelles Programm, um die<br />

gesteckten Ziele zu erreichen. Noten machen bei einem solchen Denken keinen<br />

Sinn. Norwegen verzichtet auf jegliche Benotung bis zum 8. Schuljahr. Es gibt<br />

ebenso keine Klassenarbeiten, stattdessen jedoch diagnostische Tests. Sitzenbleiben<br />

gibt es folglich auch nicht. Ein zentraler Test am Ende des<br />

10. Schuljahrs entscheidet über den erreichten Abschluss. Auch dieses Zertifikat<br />

ist nicht bindend. Wenn sich Eltern und das Kind trotz eines schlechten Abschlusses<br />

in der Sekundarstufe I anschließend für einen Lehrgang entscheiden,<br />

der zum Abitur führt, so besteht dazu das Recht. Ein Ausbildungsplatz ist entsprechend<br />

dem Schulgesetz zu sichern.<br />

Angesichts dieser pädagogischen Kultur sind deutsche Gepflogenheiten kaum zu<br />

vermitteln.<br />

Die Möglichkeit des Sitzenbleibens erschien unseren norwegischen Gesprächspartnern<br />

völlig unverständlich. Als weiteres Beispiel mag der Drittel-Erlass in<br />

NRW dienen: höchstens ? einer Klasse darf schlechtere als ausreichende Leistungen<br />

aufweisen. Dies wird bei uns als reglementierende Maßnahme empfunden<br />

und häufig kritisiert. Wenn in einer norwegischen Klasse einem Drittel der<br />

Kinder ein derartiger Misserfolg bescheinigt werden müsste, wäre das die „Katastrophe<br />

an sich“ und völlig undenkbar.<br />

In den 90er Jahren ging Norwegen einen entscheidenden Schritt weiter: Sämtliche<br />

Sonderschulen wurden aufgelöst,<br />

mit Ausnahme der Schulen für<br />

psychisch gestörte Kinder. Das<br />

führt zu einer Integration der behinderten<br />

Kinder in die normale<br />

Schule. Es erfordert von den Schulen,<br />

die individuelle Förderung<br />

weiter zu entwickeln und die Anzahl<br />

der individuellen Programme<br />

zu vergrößern. Das Ergebnis: Weniger<br />

als 0,5 % der norwegischen<br />

Kinder besuchen eine Sonderschule,<br />

bei uns sind es zehnmal mehr!<br />

Sicher: Die Klassen sind mit rund<br />

20 Kindern erheblich kleiner als bei uns. Auf der anderen Seite werden andere<br />

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GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Kosten vermieden: Folgekosten für das Sitzenbleiben, Fahrtkosten durch lange<br />

Wege zu unterschiedlichen Schulformen und ebenso die Beförderungskosten für<br />

die Sonderschüler.<br />

Lehrerausbildung<br />

In der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer an den Hochschulen werden die<br />

zukünftigen Pädagogen auf ihre anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet, später in<br />

völlig heterogenen Lerngruppen unter Einsatz von individuellen Lernprogrammen<br />

zu unterrichten. Auf die Frage, wie es der Hochschule gelingt, den Blick des<br />

Lehrers auf das einzelne Kind zu richten, wie wir es immer wieder an der Schule<br />

beobachtet haben, antwortete Björn Kvifte vom Ostfold University College in<br />

Halden. „Das ist nicht nötig. Die Studenten haben genau diese Unterrichtskultur<br />

erlebt, sie ist allgemein und selbstverständlich. Aber natürlich müssen wir unsere<br />

Studenten fachlich, didaktisch und methodisch für ihren Beruf fit machen.“ An<br />

einer Hochschule wie dem Ostfold College erhalten alle Lehramtsstudenten die<br />

gleiche Grundausbildung, gleich ob sie später in der vorschulischen Erziehung,<br />

der Primarstufe oder einer der Sekundarstufen arbeiten werden. Daraus folgt<br />

auch, dass alle Lehrerinnen und Lehrer vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe<br />

II gleich viel verdienen. Der Lohn entspricht dem mittleren in Deutschland.<br />

„Wenn wir zum Ziel haben, dass alle Lehrerinnen und Lehrer teamfähig sein<br />

sollen, dann müssen wir das auch an der Hochschule praktizieren,“ erklärt uns<br />

Odd Eriksen die Arbeitsweise der Hochschule. Durch zweierlei zeichnet sich die<br />

Arbeitsweise der Lehrerhochschule aus:<br />

• Die Studenten treffen sich in kleinen Teams zum regelmäßigen Austausch.<br />

In diesen Kleingruppen werden theoretische Fragestellungen des Lehrerstudiums<br />

diskutiert und ebenso über praktische Erfahrungen in den Schulen<br />

berichtet.<br />

Denn das ist die zweite Besonderheit der Lehrerausbildung in Norwegen:<br />

• Vom ersten Semester an werden alle Lehrerstudenten für einen Wochentag<br />

an einer Schule und hier einer bestimmten Klasse zugewiesen.<br />

Die Studenten erfahren deshalb recht bald, ob sie für den Lehrerberuf geeignet<br />

sind und können rechtzeitig die Konsequenzen ziehen. Um die Kommunikation<br />

in den Studententeams auch am Praxistag zu ermöglichen, erhält jeder Student<br />

einen Laptop. Die Kommunikation und Informationsbeschaffung ist problemlos<br />

über Internet möglich. Nebenbei, aber durchaus mit Absicht, werden die zukünftigen<br />

Lehrerinnen und Lehrer gezielt in die Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten<br />

der neuen Medien eingeführt.<br />

Resümee<br />

Haben wir eine Antwort auf unsere Anfangsfrage erhalten, was Norwegen so<br />

erfolgreich macht? Ganz sicher liegt der Erfolg in einem Bündel von Strukturen,<br />

Einstellungen und Maßnahmen, die miteinander verknüpft sind und die einzeln<br />

kaum übertragbar sind. Entscheidend ist jedoch das Ziel, durch alle Maßnahmen<br />

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Brigitte Schumann:<br />

Interview mit Marianne Stokke<br />

den Gedanken der integrativen Schule zu stärken, einer Schule, in der sich alle<br />

Kinder wiederfinden und in der jedes Kind individuell möglichst optimal gefördert<br />

wird. Diese bestmögliche Ausbildung aller Kinder wird als eine gezielte und<br />

notwendige Investition für die Zukunft Norwegens verstanden.<br />

Brigitte Schumann:<br />

Interview mit Marianne Stokke<br />

Schulleiterin an der Risum Comprehensive School in Halden (Norwegen)<br />

Brigitte Schumann: Im Gegensatz zu Deutschland hat Norwegen recht gut im<br />

internationalen Leistungsvergleich bei PISA im Hinblick auf Qualität und Chancengleichheit<br />

abgeschnitten. Welches sind die Schlüsselfaktoren für diese Ergebnisse?<br />

Marianne Stokke: Ich möchte zunächst einmal herausstellen, dass die norwegischen<br />

Schulbehörden alles andere als glücklich sind über die norwegischen Ergebnisse.<br />

Unsere neue Bildungsministerin hat einen Brief an alle Schulen geschrieben.<br />

Darin appelliert sie an größere Anstrengungsbereitschaft. Sie misst<br />

uns an Finnland und scheint ziemlich pikiert darüber zu sein, dass die Finnen so<br />

viel besser sind in Mathematik als wir.<br />

Nun, warum haben wir gut abgeschnitten? Da sind zunächst einmal die kleinen<br />

Klassen zu nennen, die wir im Vergleich zu anderen Ländern haben. Höchstens<br />

30 Schüler in den Sekundarschulen und 26 in den Grundschulen. Dann haben wir<br />

z.B. hier in Halden 3 Lehrer pro Klasse aufgrund des Anspruchs, dass Kinder<br />

und Jugendliche mit Lernproblemen und mit Behinderungen innerhalb des Klassenverbandes<br />

bleiben oder wenigstens - je<br />

nach ihrer Behinderung - teilweise integriert<br />

werden. Es gibt also mehr Erwachsene, die<br />

während des Unterrichts unterstützend<br />

wirken und es möglich machen, die Klassen<br />

in den Fächern Mathematik, Englisch und<br />

Norwegisch zu verkleinern.<br />

Außerdem liegt unser Hauptaugenmerk auf<br />

den Fortschritten der SchülerInnen. Wir<br />

hacken also nicht drei Jahre lang auf dem<br />

herum, was sie schon in der Vergangenheit<br />

nicht lernen konnten. Wir verzichten auf das<br />

abstrakte Training von Multiplikationsoperationen<br />

und auf endlose unproduktive<br />

Rechtschreibübungen. Die Schüler dürfen<br />

auch Wörterbücher in ihren Prüfungen benutzen.<br />

- 25 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Das ist unser Gesamtschulsystem, kein Streaming, aber kleine Gruppen. Auch in<br />

den praktischen Fächern wie Kunst, Hauswirtschaft, Musik und Naturwissenschaften<br />

werden die Klassen geteilt, damit jeder die nötige Unterstützung bekommen<br />

kann. Das macht in meiner Schule ungefähr einen zusätzlichen Unterrichtsbedarf<br />

von 70 Extra-Unterrichtsstunden pro Woche aus.<br />

Es wird von unseren Lehrern erwartet, dass sie die individuellen Bedürfnisse der<br />

einzelnen Schüler berücksichtigen, wenn sie ihren Unterricht planen. Das bedeutet<br />

auch eine Menge an Lehrerkooperation in Teams. Von den Lehrern wird auch<br />

erwartet, dass sie möglichst viele Fächer in einer Klasse unterrichten. Unser<br />

Credo ist, dass die Schüler nur dann lernen, wenn sie sich sicher fühlen. Lernen<br />

kann nicht wirklich stattfinden, wenn Kinder und Jugendliche Angst oder Sorgen<br />

haben. Wir müssen uns also um die sozialen Bedürfnisse unserer Schüler und<br />

Schülerinnen kümmern, mit den Eltern kooperieren, die Schüler in ihren Lebenszusammenhängen<br />

sehen. Also, es geht um eine ganzheitliche Perspektive.<br />

B. S.: Auf welche Weise hat die politische Entscheidung für Inklusion die<br />

norwegischen Schulen und die Unterrichtspraxis verändert?<br />

M. S.: Am Anfang stand der Beschluss der Regierung, dass alle Sonderinstitutionen<br />

für Schüler mit Behinderungen geschlossen und sie stattdessen im Regelschulsystem<br />

gefördert werden sollten. Um den Schulen kompetenten Rat und<br />

wirkliche Unterstützung zu geben, wurden „Kompetenzzentren“ aufgebaut. Das<br />

erklärt auch, warum wir mehr Lehrer und Lehrerinnen pro Klasse haben. Ich<br />

musste meine Unterrichtspraxis erheblich umstellen. Ich musste mir klarmachen,<br />

dass ich ganz heterogene Gruppen vor mir habe mit den unterschiedlichsten<br />

Fähigkeiten. Man muss Pläne für alle machen. Für die Intelligenten und Schnellen,<br />

die Herausforderungen brauchen, und für die langsam Lernenden, die vielleicht<br />

nur die Hälfte der Übungen bewältigen können. Ein Lehrer, der nur Frontalunterricht<br />

macht und dann die Kinder mit ihren Hausaufgaben am Abend<br />

alleine lässt, das ist ein hoffnungsloser Fall. Lehrer mit den herkömmlichen Methoden<br />

kämpfen, aber sie müssen sich ändern. Es ist ein ernsthaftes Interesse an<br />

ganzheitlichen Lernkonzepten entstanden. Lehrer kooperieren miteinander bei<br />

den Unterrichtsvorbereitungen, bei der Individualisierung, Differenzierung und<br />

bei der Evaluation des Unterrichts und der Lernprozesse.<br />

B. S.: Eine der größten Herausforderungen in der Zukunft für norwegische<br />

Schulen wird die Schulautonomie sein. Ist Schulautonomie ein Beitrag zu mehr<br />

Qualität und Chancengleichheit? Oder gibt es da auch Risiken?<br />

M. S.: Wenn ich die korrekte Summe für die Lehrergehälter bekomme, die ich<br />

brauche, dann ist Autonomie in Ordnung. Was ich auf keinen Fall will, ist ein<br />

Gesamtbudget, das die Zahl der Schüler und ihre Bedürfnisse völlig unberücksichtigt<br />

lässt. Toll, wenn ich das eingesparte Geld für Energiekosten als Schule<br />

für etwas anderes verausgaben darf! Aber ob das mehr Qualität bringt? Ich weiß<br />

es nicht. Es gibt eben die Risiken. Den Schulen Geld zu geben für die Gehälter<br />

ohne Rücksicht auf die lokalen Gegebenheiten, ist ein großes Risiko. Die Zahl<br />

- 26 -


Anne Ratzki:<br />

Finnland - High Quality and High Equality<br />

der Lehrer, die die Schule den Schülern geben kann, ist für mich ein Qualitätsindikator.<br />

Man muss den Politikern ganz deutlich sagen, welche Aktivitäten eingeschränkt<br />

oder gestrichen werden müssen, wenn sie die Mittel kürzen. Die Einführung<br />

des Personalbudgets ist derzeit der heißeste Streitpunkt. Wenn die<br />

Schulleiter die Zuständigkeit für alles bekommen und ökonomisch verantworten<br />

müssen, dann ist mein Job kein pädagogischer mehr. Das ist schon jetzt mein<br />

Problem. Ich wende mehr Zeit auf für ökonomische Fragen als für meine Schüler.<br />

Das kann nicht richtig sein.<br />

Das Gespräch mit Marianne Stokke führte Brigitte Schumann am 14. Februar<br />

2002 in Halden.<br />

Anne Ratzki:<br />

Finnland - High Quality and High Equality<br />

„PISA hat gezeigt, dass Gleichheit und Qualität gleichzeitig möglich sind. Es<br />

gibt kein Entweder-Oder, nur ein Sowohl als Auch“. Professorin Pirjo Linnakylä,<br />

die finnische PISA-Koordinatorin sagt das sehr nachdrücklich. Wir sitzen in der<br />

Cafeteria des Konservatoriums in Jyväskylä, einer Universitätsstadt in Mittelfinnland.<br />

Draußen scheint die Sonne vom stahlblauen Himmel, unter den Bäumen<br />

tauen die letzten Schneehäufen vor sich hin und die ersten Blattspitzen<br />

wagen sich aus den Knospen. Pirjo Linnakylä war im PISA Team für den Literacy<br />

Teil zuständig. Das gute Abschneiden Finnlands führt sie auf die traditionelle<br />

Lesekultur und die ausgezeichneten Bibliotheken, auf das gemeinsame Lernen<br />

in der <strong>Gesamtschule</strong> und die hohe Qualität der LehrerInnen zurück, die alle einen<br />

Masters Degree haben. Die Probleme der deutschen Schulen sieht sie im Zusammenwirken<br />

von sozio-ökonomischem Status und gegliedertem Schulsystem,<br />

wodurch die Schülerleistungen weiter auseinander drifteten als in jedem anderen<br />

Land und die große Gruppe der Leistungsschwachen entstehe. „I deeply believe<br />

in comprehensive edu<strong>ca</strong>tion and the respect of the child“, sagt sie.<br />

Das Gespräch mit Pirjo Linnakylä bildete den Abschluss einer Woche, in der wir<br />

mit einem vorzüglichen Programm das gesamte Bildungssystem von der vorgeburtlichen<br />

Schwangerenberatung bis zur Universität kennen lernen konnten. Von<br />

Tag zu Tag wurde deutlicher: In Finnland gibt es eine ganzheitliche Auffassung<br />

von Bildung, ein Gesamtkonzept, in dem die Teile ineinander greifen.<br />

Das Finnische Bildungskonzept<br />

Vor der Schule<br />

Es beginnt mit NEUVULA, was nichts anderes heißt als: Beratung. In freundlich<br />

gestalteten Räumen werden schwangere Frauen beraten und auf die Geburt vorbereitet,<br />

auch ärztlich betreut, seit einiger Zeit kommen die Väter mit. Nach der<br />

Geburt gibt es weitere 7 bis 9 Treffen in Gruppen, wo gesundheitliche und erzie-<br />

- 27 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

herische Fragen behandelt werden. Bis zum Schuleinritt stellen die Mütter ihre<br />

Kinder einmal im Jahr in NEUVULA vor. Entwicklungsstörungen oder Behinderungen<br />

werden auf diese Weise frühzeitig erkannt und die Kinder können bei<br />

Bedarf gleich an Ärzte oder Therapeuten weitergeleitet werden. NEUVELA ist<br />

flächendeckend, die Teilnahme ist freiwillig und kostenlos. Die Teilnehmerquote<br />

ist 100 %.<br />

NEUVULA arbeitet mit dem Kindergarten und den Grundschulen zusammen,<br />

und die Krankenschwestern und TherapeutInnen der Beratungsstellen treffen<br />

sich auch mit den LehrerInnen der Grundschulen und der Sekundarschulen. Sie<br />

kennen alle Kinder von Geburt an und können Kindergärtnerinnen und LehrerInnen<br />

Hilfen geben.<br />

Kinder können je nach Wunsch der Eltern schon ab dem Alter von 6 Monaten<br />

betreut werden. Die KindergärtnerInnen werden zusammen mit den GrundschullehrerInnen<br />

an der Universität ausgebildet. Die Gruppengröße ist gering: bei<br />

Kindern unter drei Jahren kommen 4 Kinder auf einen Erwachsenen, im Alter<br />

von 3 bis 6 Jahren 7 Kinder auf einen Erwachsenen. In diesen kleinen Gruppen<br />

wird schon recht anspruchsvoll gearbeitet. So sahen wir schön gebundene kleine<br />

Bücher, in denen Kinder sich Geschichten ausgedacht und ein Bild dazu gemalt<br />

hatte. Die LehrerInnen hatten die Geschichten aufgeschrieben und mit Bild und<br />

Schrift ein Buch hergestellt.<br />

Die Schule<br />

Auf den Kindergarten folgt<br />

die Vorschule, die Kinder<br />

mit 6 Jahren aufnimmt und<br />

von fast allen Kindern<br />

besucht wird. Die Pflichtschule<br />

beginnt mit 7 Jahren.<br />

Seit den 60er Jahren ist<br />

sie eine 9-jährige <strong>Gesamtschule</strong>,<br />

die sich in eine 6-<br />

jährige Grundschule und<br />

eine 3-jährige integrierte<br />

Sekundarschule teilt. Auch<br />

in Finnland gab es Diskussionen<br />

um einen früheren<br />

Beginn der Grundschule,<br />

die aber schon länger verstummt sind. In der Grundschule wird der Unterricht<br />

von KlassenlehrerInnen erteilt, vom 7. bis 9. Schuljahr unterrichten FachlehrerInnen<br />

in Kursen und mit Fachraumsystem. Privatschulen gibt es praktisch keine.<br />

Die Sekundarschule schließt mit einer Abschlussprüfung ab, die von den LehrerInnen<br />

gestellt und korrigiert wird und auch die Noten der drei Jahre einschließt.<br />

- 28 -


Anne Ratzki:<br />

Finnland - High Quality and High Equality<br />

Mit dem Abschluss- Zeugnis bewerben sich die SchülerInnen bei den Oberstufenschulen,<br />

die freie Auswahl haben. 55 % bis 60 % besuchen die gymnasiale<br />

Oberstufe, aber auch die berufliche Oberstufe wird immer attraktiver, besonders<br />

durch ihre IT-Angebote. Aus beiden Oberstufen kann man die volle Hochschulreife<br />

erwerben, eine Sackgasse gibt es nicht. Das Abitur wird zentral von Helsinki<br />

in vier Fächern gestellt, in Helsinki werden auch die Arbeiten korrigiert. Da<br />

das Abitur zweimal im Jahr stattfindet, können die SchülerInnen sich auch nacheinander<br />

in verschiedenen Fächern prüfen lassen.<br />

Schulkultur<br />

1. Die SchülerInnen beim Lernen unterstützen<br />

„Drei Lehrer hat ein Kind: Der erste Lehrer sind die anderen Kinder. Der zweite<br />

Lehrer sind die Lehrer. Der dritte Lehrer ist der Raum.“ (NN)<br />

In der Nenäinniemen koulu in einem Vorort von Jyväskylä sind Kindergarten,<br />

Vorschule und 1. und 2. Klasse der Grundschule auf einem Gelände, aber in<br />

unterschiedlichen Gebäuden untergebracht. Asko Parkkinnen leitet Kindergarten<br />

und Vorschule, Risto Rönnberg leitet die Grundschule. Die beiden jungen Männer<br />

arbeiten eng zusammen. Einmal im Monat teilen sie die Vorschule und die<br />

beiden ersten Klassen in viele kleine jahrgangsübergreifende Gruppen auf, die<br />

alle ein gemeinsames Thema verfolgen. So sahen wir einen Projekttag, an dem<br />

gemessen und gewogen wurde. Jeweils drei Kinder aus verschiedenen Jahrgängen<br />

hatten zwei Plastiktütchen und einen Kleiderbügel mit seitlichen Haken. Mit<br />

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GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Kuscheltieren und kleinen Klötzchen versuchten sie, die Tüten ins Gleichgewicht<br />

zu bringen, nahmen hier etwas heraus, füllten dort etwas nach. In einem<br />

anderen Raum hatten die Kinder mit Maßbändern aus Büroklammern die Länge<br />

ihrer Füße gemessen und<br />

die ausgeschnittenen Fußabdrücke<br />

hingen der Reihe<br />

nach an der Wand, mit<br />

Angabe der Zahl der Büroklammern,<br />

die größten<br />

Füße zuerst und die kleinsten<br />

zuletzt. Hier ging es<br />

nicht um Gramm und Zentimeter,<br />

sondern um ein<br />

grundlegendes Verständnis<br />

von Gewicht und Größe,<br />

auch von Mengen, wenn<br />

die Kinder dieselbe Menge<br />

blauer Flüssigkeit in immer<br />

neue anders gestaltete Gefäße umfüllten. Die LehrerInnen waren für diese Kinder<br />

nur BeraterInnen, sie lehrten nicht, sie machten Lernen möglich. Nenäinnienmen<br />

ist eine innovative Schule mit vielen kreativen Ideen.<br />

In der Regel ist der Unterricht in Finnland nicht eine Frage besonders ausgefeilter<br />

Methoden. Partnerarbeit sahen wir häufig, aber meist standen die Tische in<br />

Einer- oder Zweier-Reihen, die LehrerInnen unterrichteten frontal. Gruppenarbeit<br />

war eher in Fördergruppen<br />

die Regel. Moderationsmethoden<br />

wie bei<br />

Klippert konnten wir nirgendwo<br />

beobachten. Wenn<br />

nicht besondere Methoden<br />

- was macht die Qualität<br />

des finnischen Unterrichts<br />

aus?<br />

In Finnland ist die Klassengröße<br />

je nach Alter sehr<br />

unterschiedlich. In den<br />

beiden ersten Klassen<br />

sollen nicht mehr als 25<br />

SchülerInnen zu einer<br />

Klasse gehören. Wir sahen auch kleinere Klassen von nur 15 SchülerInnen, die<br />

auch noch in Finnisch und Mathematik zeitweise geteilt wurden. Ab 3. bis zur 6.<br />

Klasse beträgt die Messzahl 30, allerdings auch mit Teilungsstunden, jetzt in<br />

- 30 -


Anne Ratzki:<br />

Finnland - High Quality and High Equality<br />

Englisch und Mathematik, teilweise auch in anderen Fächern. Wenn die Kinder<br />

die Schule wechseln und in den Pubertätsjahren in die Sekundarschule gehen,<br />

sinkt die Kursgröße wieder auf nicht mehr als 20 SchülerInnen. Dafür wird es in<br />

der Oberstufe voll: Kurse können bis über 40 SchülerInnen stark sein. Zu Beginn<br />

der Schulzeit und in den schwierigen Jahren der Pubertät, die zugleich die Jahre<br />

vor dem Abschluss der Pflichtschulzeit sind, können die Lehrkräfte in kleinen<br />

Klassen und Kursen ganz besonders auf die SchülerInnen achten.<br />

In den ersten 4 Schuljahren (mit der Vorschule sind es sogar 5 Jahre) werden<br />

keine Noten erteilt, sondern verbale Rückmeldungen. Sitzenbleiben gibt es nicht,<br />

Konkurrenz unter den SchülerInnen wird vermieden. Erst ab der 5. Klasse setzen<br />

Noten ein, die beste Note ist 10, die schlechteste 4. Um den Abschluss nach der<br />

9. Klasse zu bestehen, darf man keine 4 haben – bei Gefahr gibt es Warnbriefe<br />

nach Hause. Ein Schüler kann jederzeit durch eine mündliche Prüfung seine<br />

Note verbessern, und die Schule ist auch frei, ihm trotz einer 4 den Abschluss<br />

zuzuerkennen, wenn sie es für richtig hält. Mit Ausnahme des Abiturs werden<br />

keine landesweiten Abschlusstests eingesetzt und die Schule entscheidet selbst,<br />

wie sie zu den Noten kommt. Es gibt allerdings im 9. Schuljahr landesweite<br />

Tests in Mathematik, Finnisch und Englisch, manchmal auch Geschichte. Die<br />

Ergebnisse können eine Note erhöhen, aber nicht herabsetzen. Diese Tests haben<br />

nach Auskunft der finnischen KollegInnen keine größere Bedeutung für den<br />

einzelnen Schüler, sondern geben dem Lehrer eine freiwillige Hilfe, um einen<br />

vergleichenden Maßstab zu bekommen.<br />

Förderung ist in der finnischen <strong>Gesamtschule</strong> von Anfang an selbstverständlich.<br />

Zu jeder Schule gehören Assistenten und SonderschullehrerInnen, die jederzeit<br />

bei fachlichen oder Verhaltensschwierigkeiten Hilfe leisten können. Die Methoden<br />

der Förderung sind dabei von Schule zu Schule unterschiedlich. Meist bilden<br />

die Schulen vorübergehend kleine Gruppen, wo SchülerInnen stundenweise oder<br />

auch über mehrere Wochen in Fächern gefördert werden oder lernen mit ihren<br />

emotionalen Problemen umzugehen. Lehrer treffen sich mit Schulleitung, Psychologen,<br />

dem Schularzt oder der Schulkrankenschwester und den SonderschullehrerInnen<br />

regelmäßig, um über Schüler zu beraten. Diese Netzwerktreffen sind<br />

heute noch freiwillig, ab 2004 aber an jeder Schule vorgeschrieben. In der Sekundarschule<br />

gibt es ein doppeltes Stützsystem: Da die SchülerInnen in Fachkursen<br />

und Fachräumen unterrichtet werden, nehmen StützlehrerInnen die Funktion<br />

von KlassenlehrerInnen wahr. So ist sichergestellt, dass auch im Fachkurssystem<br />

SchülerInnen mit Problemen nicht übersehen werden. Das zweite Stützsystem<br />

kommt von den SchülerInnen selbst. SchülerInnen der neunten Klassen übernehmen<br />

Mentorenaufgaben für die neuen 7. Klassen. Sonderschulen bestehen<br />

nur für schwere Verhaltensstörungen, nicht für Lernbehinderte. Die volle Integration<br />

von Geistig Behinderten und Sinnesbehinderten ist noch nicht erfolgt, zur<br />

Zeit gibt es in den Schulen Sondergruppen.<br />

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GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Fremdsprachen spielen eine<br />

große Rolle. Ab der<br />

3. Klasse lernen alle Kinder<br />

Englisch, und die Möglichkeit,<br />

englische Filme mit<br />

finnischen Untertiteln zu<br />

sehen, schult sowohl im<br />

Sprechen der Fremdsprache<br />

wie im schnellen Lesen von<br />

Finnisch. Wie auch in den<br />

anderen skandinavischen<br />

Ländern fällt der fast akzentfreie<br />

Gebrauch von<br />

Englisch auf, und Englisch<br />

war auch die Sprache, in<br />

der wir uns mit Schülern unterhalten konnten. Allerdings wirkt sich das Abitur,<br />

in dem Englisch nur schriftlich geprüft wird, auf das Lernen aus: Dem Schriftlichen<br />

wird Vorrang eingeräumt, mündlich sind viele SchülerInnen eher zurückhaltend,<br />

auch in der Oberstufe. In der 5. Klasse können die SchülerInnen zwischen<br />

Deutsch, Russisch und Französisch oder einer anderen europäischen Sprache<br />

wählen. Deutsch ist sehr populär, aber die Sprachkompetenz reicht nicht<br />

annähernd an das Englische heran. In der 7. Klasse folgt Schwedisch, das traditionell<br />

Pflichtsprache ist für alle.<br />

2. Qualität entwickeln – flächendeckend<br />

Finnland kennt keine Schulaufsicht, Hierarchien sind sehr flach. Als wir im Lyseon<br />

Lukio, dem ältesten Gymnasium Finnlands – heute eine Oberstufenschule –<br />

ins Zimmer des Direktors geführt werden, kommt uns manches bekannt vor: Ein<br />

großer Raum mit dunkler Täfelung, schwere Möbel, Ölgemälde mit den Vorgängern<br />

an der Wand, alles würdige Herren, dunkelbraunes geschnitztes Gestühl, ein<br />

großer dunkler Tisch – alles atmet den Geist alterwürdiger vergangener Gymnasialzeiten.<br />

Doch in der Pause ist dieser Raum das Pausenzimmer der LehrerInnen,<br />

der Direktor arbeitet in einem kleinen, mit Akten und Computern vollgestopften<br />

Raum nebenan. Es gibt keine furchteinflößenden Direktorate, alles ist<br />

offen und für alle zugänglich. Diese Schule hat eine große Oberstufe und viele<br />

Kurse, was sie für viele SchülerInnen attraktiv macht – sie hat immer mehr Anmeldungen<br />

als sie aufnehmen kann.<br />

- 32 -


Anne Ratzki:<br />

Finnland - High Quality and High Equality<br />

Aber auch die Leistung der anderen Schulen kann sich sehen lassen. Beeindruckend<br />

fanden wir die Sekundarschule und gymnasiale Oberstufe in Laukaa, einer<br />

weit verstreuten Gemeinde mit 16 000 Einwohnern, 25 km von Jyväskylä entfernt.<br />

Dort lernten wir drei Lehrkräfte kennen, die als Lehrbuchautoren nicht nur<br />

sehr moderne und ansprechende Bücher in Englisch, Erdkunde und Geschichte<br />

herausgegeben hatten, sondern sahen auch anspruchsvolles selbständiges Lernen<br />

der SchülerInnen am Computer in Deutsch und in einem Geschichtskurs der<br />

Oberstufe. Mit der Schülervertretung konnten wir ausführlich in Englisch über<br />

ihre Schule sprechen. Die SchülerInnen wünschten sich Verbesserungen im<br />

Raum- und Kursangebot, waren aber insgesamt sehr mit der Ausbildung an ihrer<br />

Schule zufrieden.<br />

In Finnland sind die Unterschiede zwischen den Schulen sehr gering, was auch<br />

PISA bestätigte. Aus unserer Sicht ist dies erstaunlich, denn das Abitur ist praktisch<br />

die einzige Möglichkeit, wo Standards einheitlich festgelegt sind. Die Abituraufgaben<br />

werden in<br />

Helsinki gestellt und dort<br />

auch korrigiert, doch ein<br />

Ranking der Schulen gibt<br />

es nicht. Die Schulen erhalten<br />

ihre Noten zurück. Falls<br />

sie es für nötig halten,<br />

können sie abrufen, wo im<br />

Landesdurchschnitt sie<br />

stehen. Keine Schulaufsicht<br />

greift ein, wenn Noten<br />

schlecht sind.<br />

Finnlands Schulen sind<br />

keine Ganztagsschulen, die<br />

SchülerInnen gehen um 14<br />

Uhr nach Hause, die Größeren auch mal um 15 Uhr. Danach gibt es Freizeitangebote<br />

in Theater, Sport, Musik, die aber nicht zur Schule gehören. Allerdings<br />

bekommen alle SchülerInnen der Pflichtschule ein kostenloses warmes Mittagessen<br />

zwischen 11 und 12 Uhr. Dieses Mittagessen wird von den Jugendlichen sehr<br />

positiv eingeschätzt. Auch die Bücher sind frei, aber im Unterschied zu Deutschland<br />

sind die Bücher neu und auf dem letzten Stand.<br />

Die schönste Schule, die wir sahen, war die Kuokkalan koulu, eine Mittelstufenschule,<br />

die für ihre Architektur berühmt ist. Viele Besucher kommen deshalb<br />

hierher. Im Zentrum ist ein großer Wintergarten, feuchtwarm mit Dschungelpflanzen.<br />

Aber in allen Schulen sahen wir helle und freundliche Klassenräume,<br />

neue Möbel, Schülerarbeiten an den Wänden. Computer drängen sich nicht auf,<br />

halten sich eher im Hintergrund, sie sind Werkzeuge, nicht Statussymbole. Alle<br />

Kinder lernen mit Computern umzugehen und sie werden auch für den Unter-<br />

- 33 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

richt genutzt, aber man spricht nicht mehr über sie, und die Finnen kämen nicht<br />

von selbst auf die Idee, Besuchern ihren Computerraum zu zeigen. Statt dessen<br />

waren wir in einem Filmraum, in dem Filmgeschichte gelehrt wird, und einem<br />

neuartigen Sprachlabor ohne Trennwände. Im Hauswirtschaftsraum lernten Jungen<br />

bügeln und alle lernten Krapfen backen für den finnischen Karneval am 1.<br />

Mai.<br />

In allen Schulen fällt der freundliche und respektvolle Umgang miteinander auf,<br />

niemand stürmt in den Pausen aus den Räumen, alles ist recht gelassen und ohne<br />

Aggression. Nach jeder 45-Minutenstunde gibt es eine Viertelstunde Pause, das<br />

nimmt Hektik aus dem Schultag. Die SchülerInnen duzen ihre LehrerInnen und<br />

finden das sehr schön, besonders wenn sie einmal in anderen Ländern zur Schule<br />

gingen und das deutsche „Sie“ kennen lernten. „Das ist so distanziert, das fand<br />

ich nicht gut. Wir verstehen uns besser mit unseren LehrerInnen hier“ hörten wir<br />

von SchülerInnen. „Die Schule sorgt gut für uns“ war ein anderer Ausspruch, als<br />

wir nach ihren Erfahrungen mit der Schule fragen. „Es ist gut, dass wir alle zusammen<br />

sind“. Auch die Kurswahlen werden positiv gewertet und die Qualifikation<br />

der Lehrkräfte gelobt.<br />

Das finnische Geheimnis<br />

Was ist das finnische Geheimnis? Ich glaube schon, dass wir es gefunden haben<br />

– das Geheimnis ist, dass an der finnischen Schule eigentlich nicht viel Geheimnisvolles<br />

ist, dass sie eine ganz normale Schule ist, außer einigen entscheidenden<br />

Besonderheiten. Die erste und wichtigste: Sie ist eine <strong>Gesamtschule</strong>. Und ein<br />

zweites: In den ganz frühen Jahren in Kindergarten, Vorschule und Grundschule<br />

arbeiten Lehrkräfte meist sogar zu zweit mit sehr kleinen Gruppen. Und ein<br />

drittes: Es gibt ein selbstverständliches Netzwerk von Förderung. Es geht nie um<br />

Auslese, Kinder werden nicht beschämt, sie werden nicht zurückgesetzt, wenn<br />

sie Lernprobleme haben, Noten setzen erst spät ein, Prüfungen sind keine Sackgassen.<br />

Den Rahmen bilden eine recht selbständige Schule, ansprechende Gebäude,<br />

aktuelle Unterrichtsmittel und vor allem kompetente, gut ausgebildete<br />

LehrerInnen. Auf dieser Grundlage kann sich Lernfreude und Leistungsfähigkeit<br />

entwickeln.<br />

Wie sagten doch die SchülerInnen? „Die Schule sorgt gut für uns.“<br />

Anne Ratzki:<br />

Kanada - Vertrauen war gut, ist Kontrolle besser?<br />

Standardisierte Leistungstests und Ranking<br />

gefährden ein erfolgreiches Schulsystem<br />

Auf der Liste der PISA-Sieger hat Kanada einen hervorragenden 2. Platz eingenommen.<br />

15-jährige kanadische SchülerInnen schnitten im Literacy–Test nach<br />

- 34 -


Anne Ratzki:<br />

Kanada - Vertrauen war gut, ist Kontrolle besser?<br />

Finnland am besten ab. Überraschend ist: In Kanada ist dies bei LehrerInnen,<br />

SchülerInnen und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.<br />

Was ist der Grund? Bei einem Besuch im Bundesland Ontario, dem bevölkerungsreichsten<br />

Kanadas, versuchten wir nicht nur dem Erfolgsgeheimnis auf die<br />

Spur zu kommen, sondern auch dieses Rätsel zu lösen.<br />

Ontarios Schulen sind im Umbruch.<br />

Seit 1995 hat eine rechtskonservative<br />

Regierung eine konsequente<br />

„Schulreform“ in Gang gesetzt,<br />

die ein System des Vertrauens,<br />

der Zugewandtheit zu den<br />

SchülerInnen, der Integration Behinderter<br />

und der Unterstützung bei<br />

Lernproblemen radikal verändert:<br />

Ein neues Curriculum für die Sekundarschule<br />

mit überhöhten Anforderungen<br />

ist von vielen Jugendlichen<br />

nicht mehr zu bewältigen,<br />

Gespräch mit Regierungsvertretern in Toronto<br />

zahlreiche Tests und Rankings setzen SchülerInnen und LehrerInnen unter<br />

Druck, gleichzeitig fällt Förderung durch die Kürzung von Mitteln weitgehend<br />

aus. Die Regierung ist dabei, ein erfolgreiches Schulsystem auf der Basis von<br />

Vertrauen in ein Misstrauenssystem mit zahlreichen Verlierern zu verwandeln.<br />

Um dies legitimieren zu können, musste das Ministerium von einem Defizit-<br />

Modell ausgehen und konnte Erfolgsmeldungen aus internationalen Untersuchungen,<br />

die den Erfolg des bisherigen Systems belegten, nicht brauchen. Auch<br />

bei TIMSS hat Kanada, ähnlich wie Norwegen und Schweden, in Mathematik<br />

und Naturwissenschaften sowohl bei der Bildungsbeteiligung wie bei den Spitzenleistungen<br />

sehr gut abgeschnitten. Ein Versuch der Regierung, dies den 1997<br />

eingeleiteten „Reformen“ zuzuschreiben, war wenig glaubhaft, da die in TIMSS<br />

(1996) und PISA (2000) getesteten SchülerInnen den größten Teil ihrer Schulzeit<br />

vor 1997 verbracht hatten. So nutzte die Regierung lieber Klagen von Firmen<br />

und Universitäten über mangelnde Englischkenntnisse als Begründung für die<br />

Verschärfung der Anforderungen und der Kontrolle. Außerdem wertete sie einen<br />

inner-kanadischen Test, ähnlich wie PISA-E in Deutschland, so aus, dass der<br />

Vorsprung einiger konservativ regierter Provinzen die eigene konservative Bildungspolitik<br />

legitimierte.<br />

Um zu verstehen, was vor diesen Veränderungen zum Erfolg bei PISA beigetragen<br />

hatte, versuchten wir in Gesprächen mit LehrerInnen, SchulleiterInnen und<br />

der Lehrergewerkschaft Ontario Teachers´ Federation die systemischen Elemente<br />

für den PISA-Erfolg aufzuspüren und unsere Beobachtungen in den Schulen<br />

damit zu vergleichen. Es war deutlich zu erkennen, wie die Regierung, statt er-<br />

- 35 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

folgreiche Systemwirkungen zu identifizieren und fort zu entwickeln, systemfremde<br />

Elemente implantiert, die das gesamte System gefährden.<br />

Dem Erfolg auf der Spur I: Struktur des kanadischen Schulsystems<br />

Kennzeichnend für das Schulsystem in Ontario ist die frühe vorschulische Förderung.<br />

Fast alle Kinder besuchen ab 31/2 Jahren den Kindergarten, der mit der<br />

Grundschule räumlich verbunden ist. Die Kindergarten-LehrerInnen werden mit<br />

den GrundschullehrerInnen zusammen an der Universität ausgebildet, und ihre<br />

Bezahlung entspricht der der anderen LehrerInnen. Bereits im Kindergarten<br />

beginnt ein spielerischer Erst-Lese-Unterricht. Der Kindergarten ist kostenlos.<br />

Kindergarten und Schule sind Ganztagseinrichtungen, für das Mittagessen brauchen<br />

SchülerInnen nichts zu bezahlen.<br />

Die Schulpflicht beginnt mit 6 Jahren. Wenn die Kinder in die Grundschule<br />

(elementary school) kommen, bleiben sie 8 Jahre zusammen. Dort unterrichten<br />

KlassenlehrerInnen. Zusammen mit der Zeit im Kindergarten haben also die<br />

SchülerInnen eine mehr als zehnjährige gemeinsame Schulzeit, in der Lernprobleme<br />

diagnostiziert und bearbeitet werden können. Sonderschulen gibt es nicht,<br />

behinderte SchülerInnen sind entweder in die Klassen integriert oder besuchen<br />

besondere Gruppen in der Schule. Meist gibt es Mischsysteme – behinderte<br />

SchülerInnen kommen zeitweise zu den SonderschullehrerInnen für spezifische<br />

Förderung, oder die SonderschullehrerInnen gehen in die Klassen. Eine Abschlussprüfung<br />

für die 8-jährige Grundschule findet nicht statt.<br />

Auf die Grundschule folgte eine 5-jährige Sekundarschule ( Secondary School<br />

oder Highschool), die inzwischen auf 4 Jahre verkürzt wurde. Obwohl die<br />

Schulpflicht mit 16 Jahren – nach der 10. Klasse - endet, gehen die meisten<br />

SchülerInnen bis zur 13. bzw. jetzt 12. Klasse weiter. Diese Schulstufe ist im<br />

Fachkurssystem organisiert. Die SchülerInnen wählen Fachkurse unterschiedlichen<br />

Inhalts und unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade, in ihrer Wahl sind sie<br />

frei. Die Kurse zählen je nach Schwierigkeitsgrad für ein Universitäts- oder<br />

College(Fachhochschul)-Studium, man kann nach der Highschool auch in einen<br />

Betrieb gehen. Eine Reihe von Kursen sind berufsvorbereitend, z.B. Computer-<br />

Hardware, Automechanik, Metallbearbeitung usw. Auch wenn die Kurse je nach<br />

Anspruch unterschiedlich gewichtet werden, so gibt es doch für alle, die Kurse in<br />

der Highschool besucht haben, auch für Behinderte, ein einheitliches Diplom,<br />

und die Graduierung von der Highschool ist immer ein großes Fest. 1995 graduierten<br />

78 % eines Jahrgangs nach der 13. Klasse mit dem Highschool Diplom.<br />

35 % besuchten 1996/1997 eine Universität, eine der höchsten Quoten in der<br />

OECD. Die Highschool vermeidet Bewertung und Hierarchisierung der SchülerInnen<br />

nach Leistung und fördert den Willen aller, auf einem ihnen angemessenen<br />

Level das Diplom zu erreichen.<br />

- 36 -


Anne Ratzki:<br />

Kanada - Vertrauen war gut, ist Kontrolle besser?<br />

Die Sekundarschule zeichnet gerade<br />

dieses aus: Allen SchülerInnen wird<br />

die Möglichkeit geboten, in einer<br />

gemeinsamen Schule den Schulabschluss<br />

zu erreichen. Sie besuchen<br />

zwar unterschiedliche Kurs-<br />

Niveaus, aber sie entscheiden selbst,<br />

wie und was sie lernen wollen. Sie<br />

sind selbst verantwortlich, erhalten Klasse der Highschool (Jge. 9.-12)<br />

aber immer Hilfe, wenn erforderlich.<br />

Beim Besuch in einer solchen Highschool – wir waren in Cameron Heights<br />

in Waterloo, einer Schule mit 1800 SchülerInnen - fällt die Ernsthaftigkeit und<br />

Disziplin auf , mit der sich SchülerInnen in der Schule bewegen, sei es im Unterricht,<br />

in den Fluren oder in der riesigen Mensa.<br />

Dem Erfolg auf der Spur II: Integration und Inklusion vom Kindergarten<br />

bis zum Highschool-Diplom<br />

Jeden Morgen fahre ich eine Stunde mit Jean-Ann von Alma durch das<br />

Mennoniten-Farmland zur Schule nach Waterloo. Es ist stimmungsvoll, wie sich<br />

der Morgennebel im Tal des Grand River allmählich hebt und die Sonne die<br />

Herbstfarben zum Leuchten bringt. Nach einer halben Stunde greift Jean-Ann<br />

zum Handy, das hier Cellphone heißt, und ruft den Großonkel von Matts an.<br />

„Bitte wecken sie Matts. In 20 Minuten hole ich ihn ab.“ Als wir vor dem Haus<br />

halten, schlurft ein hochgewachsener junger Mann müde auf das Auto zu. Von<br />

Jean-Ann weiß ich , er ist einer ihrer Schüler, für den ein individuelles<br />

Förderprogramm erstellt wurde. Er ist 19, sollte eigentlich schon graduiert<br />

haben, aber es fällt ihm schwer, in die Schule zu gehen. Er hat eine lange<br />

Odyssee über Pflegefamilien hinter sich, hat geschwänzt, ist ein guter Sportler<br />

und Musiker und intelligent. Jean-Ann hat ihn als Sonderschullehrerin während<br />

seiner Highschool-Zeit betreut . Zur Zeit hat er kein Geld für den Bus. Ihr<br />

besonderer Abhol-Service soll sicherstellen, dass er jetzt auch die Kurse besucht,<br />

die er für seine Graduierung braucht.<br />

Jede Grundschule und Sekundarschule hat mehrere Sonderpädagogen. SchülerInnen<br />

mit besonderem Förderbedarf gelten als „exceptional student“ - das gilt<br />

für Behinderte ebenso wie für Hochbegabte. Räumlich gibt es in jeder Schule ein<br />

oder mehrere „Ressource-Centres“, in denen die SonderschullehrerInnen einzelnen<br />

oder Gruppen zur Verfügung stehen.<br />

Bereits in der Grundschule beginnt die Förderung. Nachdem der Förderbedarf<br />

durch Tests und einen Förder-Ausschuss (IPRC-Assessment) festgestellt wurde,<br />

erhält der Schüler einen Individual Edu<strong>ca</strong>tion Plan, in dem seine Stärken und<br />

Schwächen aufgeführt sind und in den alle Fördermaßnahmen eingetragen werden.<br />

Diese Förderpläne werden mit den Eltern besprochen, und sie müssen unter-<br />

- 37 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

schreiben. Der Individual Edu<strong>ca</strong>tion Plan begleitet die SchülerInnen während<br />

ihrer Schulzeit und wird jedes Jahr überprüft.<br />

Kanada verzichtet auf eigene Schulen für Behinderte und integriert alle „exceptional<br />

students“ in die allgemeine Schule, wobei die Integration sehr unterschiedlich<br />

sein kann. Die Regel ist die Integration. Nur 13,5 % der behinderten Jugendlichen<br />

besuchen feste Förderklassen innerhalb der Highschool. 30 % sind integriert<br />

und erhalten ständig Hilfe in den Klasse; sie haben auch einen eigenen<br />

Rückzugsbereich in einer kleinen Gruppe. Stephen z.B., der spastisch gelähmt<br />

ist, hat einen Platz in der Gruppe der Körperbehinderten, besucht aber in der<br />

Regel verschiedene Kurse. Ich traf ihn im Deutsch-Kurs wieder, mit seiner persönlichen<br />

Hilfe, wir konnten uns auf deutsch unterhalten. 56,5 % der SchülerInnen<br />

mit sonderpädagogischem Förderbedarf erhalten Hilfe, wenn sie sie brauchen<br />

– sie gehen entweder ins Ressource Center oder die Sonderpädagogen<br />

kommen in die Klasse. Für den Besuch aller Kurse gibt es Punkte, Credits, die<br />

für den Abschluss zählen. So konnten bisher auch die SchülerInnen, die auf<br />

unterschiedliche Weise im Lernen behindert sind – sei es durch körperliche oder<br />

Sinnesbehinderung, sei es durch geistige Behinderung oder Entwicklungsverzögerung<br />

- einen Highschool Abschluss erwerben. Das Kurssystem der Highschool<br />

mit seinen Credits erwies sich als sehr flexibel.<br />

„Exceptional student“ – das ist ein schöner Ausdruck für SchülerInnen, die besondere<br />

Aufmerksamkeit brauchen. Er gilt auch für die Hochbegabten. Die Cameron<br />

Heights High School hat für sie einige Kurse in „International Studies”<br />

eingerichtet, die allerdings auch allen anderen offen stehen. Fünf Jungen und<br />

Mädchen waren eigens an diese Schule gekommen, weil sie an den International<br />

Studies teilnehmen wollten. Ich traf sie im Ressource Center, wo eben einige<br />

SchülerInnen mit Lernproblemen Hilfe erhielten und bis zur 13. Klasse auch<br />

Schülern mit kurzfristigen Verständnisproblemen, z.B. in Mathematik, geholfen<br />

wird. Die hochbegabten Jugendlichen berieten sich hier mit der Sonderschullehrerin<br />

über ihre Studien, die sie teilweise selbständig durchführen. Beeindruckend<br />

in diesem System ist die Selbstverständlichkeit einer Unterstützung beim Lernen,<br />

die nicht selektiert und hierarchisiert. Wenn Hochbegabte ebenso „exceptional<br />

students“ sind wie geistig Behinderte, wenn sie ebenso Anspruch auf Unterstützung<br />

haben, dann entsteht keine Wertung.<br />

Dem Erfolg auf der Spur III: Multikulturalismus<br />

Kanada ist ein klassisches Einwanderungsland, immer noch. 72 Sprachen würden<br />

an einer Schule gesprochen, berichtet uns stolz der Schulleiter von Cameron<br />

Heights. Die Verschiedenheit wird positiv gewertet: „We celebrate difference“.<br />

Es geht ausdrücklich nicht um Toleranz, sondern um die Wertschätzung anderer<br />

Kulturen. Die Offenheit der kanadischen <strong>Gesellschaft</strong>, die sich als multikulturell<br />

versteht, spiegelt sich in der Schule wider. In den Fächern werden kulturell verschiedene<br />

Wege dargestellt. Wie haben andere Kulturen z.B. das pi in Mathematik<br />

gefunden? Englische Literatur aus aller Welt wird gelesen. Die Schule veran-<br />

- 38 -


Anne Ratzki:<br />

Kanada - Vertrauen war gut, ist Kontrolle besser?<br />

staltet einen Anti-Rassismus-Tag mit Ansprachen und Filmen, sie feiert ein ostasiatisches<br />

Fest, einen Kultur-Tag. Diese Schule vergibt auch das internationale<br />

Bac<strong>ca</strong>laureat.<br />

Der Umgang mit den eingewanderten SchülerInnen richtet sich nach deren<br />

Sprachkenntnissen. Soweit als möglich werden die SchülerInnen von Anfang an<br />

in eine kanadische Klasse integriert (emerged). Sie gehören jedoch zu einer eigenen<br />

Abteilung, ESL (English as a second language), die bis zum Diplom ihr<br />

Ansprechpartner bleibt und die Hand über sie hält. Von dieser Abteilung erhalten<br />

sie Sprachunterricht in Englisch. Auch wenn sie sonst besondere Förderung<br />

brauchen, ist immer ESL für sie zuständig, sie könnten z.B. nie wegen ihrer<br />

Sprachprobleme zu den Lernbehinderten überwiesen werden.<br />

Nur kurz will ich auf die Sprachenvielfalt<br />

und kulturelle Vielfalt in<br />

Ontarios Schulen eingehen. Durch<br />

die Nähe zur Französischsprachigen<br />

Provinz Quebec spielt<br />

Französisch eine große Rolle. Schon<br />

in der Grundschule gibt es bilinguale<br />

Klassen, in denen ein Teil des<br />

Unterrichts in französischer Sprache<br />

erteilt wird. Im Indianer-Reservat<br />

der Six Nations im Grand River<br />

Französisch-Unterricht (zweite Landessprache!)<br />

in der ersten Klasse<br />

Valley besuchten wir eine Schule<br />

der Ureinwohner, in der die Muttersprache<br />

mündlich unterrichtet wird<br />

und Englisch Schriftsprache ist. Auch die deutschsprachigen Mennoniten haben<br />

ihre eigenen Schulen. Neben einem allgemeinen staatlichen Grundcurriculum<br />

wird den kulturellen Traditionen verschiedener Gruppen viel Raum gegeben.<br />

Ebenso den religiösen Traditionen, denn etwas ein Drittel der Schulen ist katholisch,<br />

mit eigener Verwaltung, aber staatlicher Finanzierung.<br />

Die neue Bildungspolitik greift die Erfolgsstrukturen an<br />

In diese erfolgreichen Strukturen und Traditionen nun greifen die Veränderungen<br />

der neuen Bildungspolitik gravierend ein: Es begann damit, dass die Regierung<br />

den Schoolboards, den lokalen Schulbehörden, verbot, wie bisher selbst Steuern<br />

zu erheben. Damit hängen die Schoolboards vollständig von der Mittelzuweisung<br />

der Landesregierung ab. Diese teilt im Namen der „gerechten Mittelverteilung“<br />

pro Schüler eine bestimmte Summe zu und berücksichtigt keine besonderen<br />

Unterstützungsnotwendigkeiten, auch nicht in Großstädten oder Brennpunkten.<br />

Dies hat zu einer drastischen Reduzierung der Sonderschullehrkräfte an den<br />

Schulen geführt. Viele Kinder, die Förderung bräuchten, bekommen sie nicht<br />

mehr. Fördergruppen sind viel größer geworden, so sah ich eine Lernbehindertengruppe<br />

mit 16 Jugendlichen.<br />

- 39 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Reiseberichte und Interviews<br />

Der Jahresbericht 2001 des Waterloo Region District School Board beklagt „the<br />

underfunding of public edu<strong>ca</strong>tion“, die zum Abbau von 113 Lehrerstellen geführt<br />

habe. Die Schulbehörde kämpft um den Erhalt der Standards bei der Förderung<br />

von Behinderten und Einwanderer-Kindern und hat Schulden in Höhe von 4,2<br />

Millionen Dollar gemacht. Solchen Schoolboards droht die Landesregierung<br />

Maßnahmen an.<br />

Seit letztem Jahr führt die Landesregierung einen Literacy-Test im 10. Schuljahr<br />

durch, der auf dem neuen Curriculum aufbaut, das nach Aussage der LehrerInnen<br />

für viele SchülerInnen zu anspruchsvoll ist. Das Bestehen dieses Tests ist<br />

Voraussetzung für das High School Diplom. Das Ergebnis des Tests vom letzten<br />

Oktober, das jetzt im September, ein Jahr später, bekannt gegeben wurde, wertete<br />

die Regierung als einen Erfolg: 75 % haben den Test bestanden. Doch die<br />

Zeitungen und die Schulen fragten zurecht: Was ist mit den 25 % , die den Test<br />

nicht bestanden haben? Zwar kann man den Test einmal wiederholen, aber die<br />

Tests werden nicht zurückgegeben, niemand erfährt, welche Fehler er gemacht<br />

hat, und die Übungszeit von weniger als einem Monat bis zum nächsten Test in<br />

diesem Oktober ist äußerst kurz. Werden zukünftig 25 % der SchülerInnen die<br />

Schule ohne Abschluss verlassen? Und wenn dies im 10. Schuljahr schon klar<br />

ist, welchen Sinn soll es für diese Schüler haben, noch weitere zwei Jahre zur<br />

Schule zu gehen? Manche vermuten, dass die Regierung dadurch die Zahl der<br />

Schüler an der High School senken will um Kosten zu sparen.<br />

Bisher waren die Schullaufbahnen an der High School offen. Es gab Kurse, die<br />

für ein Hochschulstudium qualifizierten und solche, die auf eine Fachhochschule<br />

(College) vorbereiteten. Manche Kurse galten für beide Richtungen. Man konnte<br />

Kurse aus beiden Niveaus in den Abschluss einbringen und sich dann bei einer<br />

Uni oder einem College bewerben. Jetzt hat das Kultusministerium festgelegt,<br />

dass es ab dem 9. Schuljahr drei streams geben soll: a<strong>ca</strong>demic (für Universität) ,<br />

applied (für college/Fachhochschule) und workplace (für die Arbeitswelt).<br />

Zugleich ist im Gespräch, dafür getrennte Schulen einzurichten. Damit wird die<br />

Offenheit der Schullaufbahnen erheblich reduziert, im wesentlichen liegen sie ab<br />

dem 9. Schuljahr fest. Gerade die Breitenförderung auch in der Sekundarstufe<br />

hat jedoch in der Vergangenheit zu Spitzenleistungen geführt, wie TIMSS festgestellt<br />

hat.<br />

Im 3. und 6. Schuljahr in der Grundschule werden seit zwei Jahren Tests in Englisch<br />

und Mathematik durchgeführt, die zentral ausgewertet werden. Danach<br />

erfolgt ein benchmarking der Schulen und es kommt zu einem öffentliche Ranking,<br />

obwohl das Ministerium die Absicht bestreitet, doch die Presse kommt<br />

regelmäßig an die Daten. Die Folge ist, dass individuelles Lernen der SchülerInnen<br />

nicht mehr möglich ist, nicht mehr zugelassen werden kann, weil alle zur<br />

gleichen Zeit im Test dasselbe können müssen. Die LehrerInnen erleben dies als<br />

Gleichschaltung. Heterogenität wird unter diesen Umständen zur Belastung. Die<br />

Lehrkräfte geraten unter einen enormen Druck, niemand will mehr in diesen<br />

- 40 -


Anne Ratzki:<br />

Kanada - Vertrauen war gut, ist Kontrolle besser?<br />

Klassenstufen unterrichten. Dabei wissen alle, dass Lernen nach individuellem<br />

Tempo erfolgversprechender ist als unter dem Druck der Vergleichbarkeit. Geradezu<br />

absurd mutet den Besucher an, dass für die Lehrkräfte völlig unklar bleibt,<br />

welche Qualitäts-Kriterien für die „four levels of achievements“ gelten: Das<br />

Ministerium legt erst im nachhinein fest, welche Schüler z.B. die höchste der 4<br />

Stufen erreicht haben, es sollen immer etwas 20 % sein. Die Anforderungen<br />

können also von Jahr zu Jahr schwanken.<br />

Zugleich verschärft das Ministerium seinen Zugriff auf die LehrerInnen. Ein<br />

„College of Teachers“ wurde eingerichtet, eine Art Lehrerkammer, in der Lehrkräfte,<br />

Bürger und Ministeriale sitzen. Seine Aufgabe ist es LehrerInnen zu zertifizieren.<br />

Nach der Lehrerausbildung an der Universität müssen sich die LehrerInnen<br />

einem Eignungstest des College stellen, und in der Folgezeit müssen sie<br />

über Fortbildungen (meist selbst bezahlt) und weitere Tests immer wieder ihre<br />

Eignung nachweisen.<br />

Die Stimmung an den Schulen ist schlecht. Die LehrerInnen erleben die Verschlechterung<br />

ihrer Arbeitsbedingungen durch weniger Personal und größere<br />

Klassen, sie spüren starken Druck durch Tests und die Notwendigkeit auf den<br />

Test hinzuarbeiten. „Früher wurde viel gelacht an den Schulen, das hat aufgehört“<br />

sagte uns eine Gewerkschaftsvertreterin. Vor allem aber empfinden sich<br />

die LehrerInnen als gegängelt, nicht mehr ernstgenommen als professionelle und<br />

verantwortliche Erzieher. „Es ist kein Vertrauen mehr da“ hörten wir immer<br />

wieder. Zertifizierung, Kontrolle, Tests, Benchmarking führen dazu, dass viele<br />

überlegen, wie man das Eine oder Andere unterlaufen kann. Dies kostet Motivation<br />

und Sachorientierung. Die Orientierung an den SchülerInnen ist noch da, das<br />

macht auch gewerkschaftliche Maßnahmen wie Dienst nach Vorschrift, die Verweigerung<br />

außerschulischer Aktivitäten in Sportclubs u.ä. schwierig, denn die<br />

LehrerInnen wollen ja nicht SchülerInnen für die Politik des Ministeriums bestrafen.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen: die kanadische Provinz Ontario ersetzt zur<br />

Zeit ein erfolgreiches Vertrauenssystem mit hohem Verantwortungsbewusstsein<br />

der Lehrkräfte durch ein Misstrauenssystem der ständigen Kontrolle, das demotiviert<br />

und frustriert. Die ersten Ergebnisse – 25 % der SchülerInnen bestehen<br />

den Literacy-Test nicht und bekommen keinen Abschluss – sind niederschmetternd.<br />

- 41 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Pressemitteilungen und Stellungnahmen<br />

PRESSEMITTEILUNGEN UND STELLUNGNAHMEN<br />

Pressemitteilung der GGG NRW zu »PISA international«<br />

PISA: Integrierte Schulsysteme im Ausland sind erfolgreicher als das selektive<br />

deutsche Schulwesen<br />

Die vorliegenden Ergebnisse der internationalen Vergleichs-Studie PISA belegen<br />

für die GGG erneut, dass deutsche Schulen bei vergleichsweise hohen<br />

Bildungsausgaben nur sehr magere Ergebnisse bringen. An der Spitze des<br />

Leistungsvergleichs liegen mit Finnland, Großbritannien, Irland, Belgien,<br />

Norwegen und Schweden Länder, die die Jugendlichen erst spät auf unterschiedliche<br />

Schulformen aufteilen.<br />

Manfred Jaeger, Vorsitzender des GGG-Landesverbandes NRW: „Deutschland<br />

dagegen hält nur den Spitzenplatz bei der sozialen Auslese.“ Im Einzelnen<br />

sei hier festzustellen:<br />

‣ Die Leistungen in deutschen Schulen sind einerseits im Vergleich zu denen<br />

in anderen OECD-Staaten insgesamt deutlich unterdurchschnittlich,<br />

andererseits wird in keinem anderen Land ein so starkes Auseinanderdriften<br />

von „guten“ und „schlechten“ Schülerinnen und Schülern festgestellt.<br />

‣ Frühe Schulformfestlegung und Bevorzugung „höherer Bildung“ im deutschen<br />

Schulwesen bringen im internationalen Wettbewerb keinen Gewinn:<br />

die Leistungsspitze wird qualitativ nicht besser, wohl aber quantitativ<br />

ausgedünnt.<br />

‣ Volkswirtschaftlich noch bedenklicher ist, dass in keinem anderen Land<br />

die Abhängigkeit des Schulerfolgs von sozialer Herkunft so groß und die<br />

Förderung benachteiligter Kinder so erfolglos ist wie in Deutschland.<br />

Manfred Jaeger:<br />

„Diese Ergebnisse erzwingen ein Umdenken in der Bildungspolitik:<br />

• Bildungsausgaben müssen in erheblichem Umfange in den Bereich vorschulischer<br />

Erziehung und in den Primarbereich verlagert werden: Senkung<br />

der Lerngruppengröße in der Grundschule, Ausbau des Ganztagsbetriebs,<br />

Verbesserung der Ausbildung und Bezahlung der Lehrerinnen und<br />

Lehrer für die Primarstufe.<br />

• Die frühe Festlegung der Schullaufbahn muss abgebaut werden; die<br />

„Schule für ALLE Kinder“ – die <strong>Gesamtschule</strong> - ist über die bisherige<br />

Primarstufe hinaus auszubauen.<br />

• Minderheiten (Kinder von Migranten, Kinder mit Lernschwächen usw.)<br />

sind in den gemeinsamen Unterricht einzubeziehen und dort zu fördern.<br />

• Die Maßnahmen zur Verringerung der Zahl der Schulversager sind zu intensivieren<br />

und zu verbessern.“<br />

- 42 -


Schreiben der GGG NRW an den SPD-Landesvorstand<br />

PISA und die Notwendigkeit zu reagieren<br />

Schreiben der GGG NRW an den SPD-Landesvorstand<br />

PISA und die Notwendigkeit zu reagieren<br />

Überlegungen zu einer künftigen Schulstruktur in Nordrhein-Westfalen<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

die kürzlich erfolgte Veröffentlichung der<br />

„Eckpunkte für einen Bildungspolitischen Orientierungsrahmen“ 5<br />

durch den Vorstand der NRWSPD veranlasst uns zur folgenden Stellungnahme,<br />

beginnend mit einer Erinnerung an<br />

Die Ergebnisse von PISA<br />

Für das deutsche Schulsystem weist PISA folgende zentrale Ergebnisse aus:<br />

1. In den drei untersuchten Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften<br />

liegen die deutschen 15-Jährigen im unteren Mittelfeld.<br />

2. Deutschland weist von allen OECD Staaten die größte Streuung der Schülerleistungen<br />

auf. Dieses Ergebnis kann man mit unserem Schulsystem und<br />

seiner im internationalen Vergleich sehr frühen Aufteilung der Schüler in<br />

die drei Schultypen Hauptschule, Realschule und Gymnasium in Verbindung<br />

bringen.<br />

3. Die Streuung der Leistungen wird nicht durch besondere Leistungen<br />

im Spitzenbereich verursacht. Sie ist vielmehr auf die unteren Leistungsbereiche<br />

zurückzuführen. Beispielsweise zeigte sich, dass hierzulande 23<br />

Prozent der Fünfzehnjährigen das Lesen auf nur elementarem Niveau beherrschen.<br />

4. Die Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb ist<br />

nirgends so groß wie in Deutschland.<br />

5. In Deutschland gelingt es den Schulen schlechter als in anderen Ländern,<br />

Kinder aus Migrationsfamilien im Hinblick auf Sprache, Mathematik und<br />

Naturwissenschaften auf ein akzeptables Niveau zu bringen.<br />

Zudem haben andere Untersuchungen (z.B. TIMSS) die viel zu geringe Bildungsbeteiligung<br />

in der gymnasialen Oberstufe nachgewiesen.<br />

Ursachen der Problemlage<br />

Festzustellen ist: Die acht Staaten mit den besten Testergebnissen haben ausschließlich<br />

integrierte Schulsysteme und lassen ihre Schülerinnen und Schüler<br />

darin wesentlich länger gemeinsam lernen, als das in Deutschland mit der in der<br />

Regel vierjährigen Grundschule der Fall ist.. Die Ursache der beschriebenen<br />

Misere liegt offenbar wesentlich in der Tatsache, dass in Deutschland das ge-<br />

5<br />

Text der „Eckpunkte“ unter www.ggg-nrw.de/Aktuell<br />

- 43 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Pressemitteilungen und Stellungnahmen<br />

gliederte Schulsystem (Hauptschule, Realschule und Gymnasium, ergänzt noch<br />

um die Sonderschule und neuerdings um die besonderen Gymnasialklassen zum<br />

schnelleren Erwerb des Abiturs) die vorherrschende Form ist, auch wenn - nur in<br />

einigen Bundesländern wie in NRW - die <strong>Gesamtschule</strong> als integrierte Form<br />

(zusätzlich) angeboten wird. Aus unserer Sicht ist aber nicht nur die<br />

(Zer-)Gliederung des deutschen Schulwesens das alleinige Problem, sondern<br />

noch viel mehr, dass dieses System<br />

• einseitig auf Selektion angelegt ist,<br />

• eine im internationalen Vergleich außerordentlich hohe Zahl von Klassen-<br />

Wiederholungen erzeugt,<br />

• das Weiterreichen von Schülerinnen und Schülern an eine jeweils rangniedrigere<br />

Schulform nahe legt, wenn nicht erzwingt,<br />

• damit eine wirkungsvolle individuelle Förderung verhindert<br />

• und zudem eine exorbitant große „Risikogruppe“ als Restgruppe (bei PISA<br />

23 %) erzeugt, die völlig unzureichend auf die Anforderungen einer beruflichen<br />

Ausbildung vorbereitet sind.<br />

Es ist nach den Ergebnissen der Pisa-Untersuchung unmittelbar einleuchtend,<br />

dass die Vielzahl der miteinander konkurrierenden Schulformen und damit auch<br />

der Druck zur Selektion in der Sekundarstufe 1 abzubauen ist. Die gerade bekannt<br />

gewordenen ersten Ergebnisse der IGLU-Studie, nach der die Viertklässler<br />

in Deutschland nach vierjährigem gemeinsamem Schulbesuch (noch) deutlich<br />

besser abschneiden als in der PISA-Studie die 15jährigen nach (weiteren) 5 Jahren<br />

im gegliederten selektiven System, stützen diese Position.<br />

Ein Lösungsversuch<br />

Die NRW-SPD hat nun ein Zwei-Säulen-Modell in die Diskussion gebracht. Im<br />

Kern handelt es sich um ein Schulsystem nach österreichischem Vorbild: Eine<br />

Volksschule (ohne gymnasiale Oberstufe) wird einem Gymnasium gegenübergestellt.<br />

Dieser Lösungsansatz kommt selbst in dem „Eckpunkte“-Papier sehr überraschend,<br />

verweisen doch die vorhergehenden Absätze ausdrücklich auf die (frühere<br />

und nun nicht mehr vorhandene?) Überzeugung der SPD, dass „die integrative<br />

der selektiven Unterrichtung zumindest in einer längeren Phase der Schulzeit für<br />

alle Schüler überlegen ist“, und darauf, dass die PISA-Studie den Wert des integrativen<br />

Unterrichts besonders hervorhebt (S. 9). Überraschend ist auch, dass<br />

offensichtlich das österreichische Modell zum Vorbild genommen wird, obwohl<br />

Österreich in der PISA-Studie zwar besser als Deutschland, aber deutlich<br />

schlechter als die führenden Länder abgeschnitten hat.<br />

Dieser Lösungsansatz kann unserer Auffassung nach aber vor allem deshalb<br />

nicht dazu beitragen, die oben angesprochenen Mängel abzubauen, weil er auch<br />

mit einer Zweigliedrigkeit eine Hierarchisierung von Schulformen fortschreibt<br />

und den selektiven Charakter des Schulwesens erhält.<br />

- 44 -


Schreiben der GGG NRW an den SPD-Landesvorstand<br />

PISA und die Notwendigkeit zu reagieren<br />

Aus unserer Sicht bedenklich ist darüber hinaus, dass die einzige Schulform, die<br />

zumindest von ihrer Konzeption her integrativ ist, die <strong>Gesamtschule</strong>, offensichtlich<br />

einem solchen „zweisäuligen Schulsystem“ geopfert werden soll. Auch<br />

wenn ihre diesbezüglichen Möglichkeiten als in die selektiven Zwänge des gegliederten<br />

Schulwesens einbezogene vierte Schulform, oftmals in sozialen<br />

Brennpunkten errichtet, objektiv begrenzt sind, ist die <strong>Gesamtschule</strong> nicht nur<br />

nach dem gültigen Parteiprogramm der SPD „am besten geeignet, unsere bildungspolitischen<br />

Ziele umzusetzen“ (Berliner Programm von 1989), sondern für<br />

viele engagierte Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Bildungspolitikerinnen<br />

und Bildungspolitiker eine reale und gelebte Alternative zu<br />

den Schulformen des gegliederten Systems, in der im gegebenen Rahmen ein<br />

deutliches Mehr an Förderung praktiziert wurde und wird. Sie fühlen sich von<br />

der SPD fallengelassen und für ihr jahrelanges Engagement bestraft.<br />

Fragen zum zweisäuligen Schulsystem und Alternativen<br />

Wir fragen uns:<br />

• Welche Kinder werden die Sekundarschule und welche das Gymnasium besuchen?<br />

Warum sollte die soziale Auslese durch ein zweigliedriges System<br />

zu vermeiden sein? Weist nicht auch Österreich große Defizite im Bereich<br />

der Chancengleichheit auf?!<br />

• Wie soll das Problem der zu geringen Bildungsbeteiligung in der gymnasialen<br />

Oberstufe gelöst werden, wenn man die Gesamtschuloberstufen abschafft?<br />

• Die größten finanziellen Ressourcen werden derzeit für die gymnasiale O-<br />

berstufe benötigt. Die Grundschule und die Sekundarstufe 1 sind im Vergleich<br />

zu den anderen OECD-Ländern unterfinanziert. Warum setzt man<br />

die Reform nicht in der Sekundarstufe 2 an, also dort, wo das deutsche<br />

Schulsystem offensichtlich teurer ist als in anderen Ländern (mit höherer<br />

Bildungsbeteiligung in der Sekundarstufe 2)?<br />

Wir schlagen deshalb vor:<br />

‣ Als Ziel einer umfassenden und konsequenten Schulreform ist die beste Lösung<br />

eine Schule für alle, eine Schule, die alle Kinder bis zum Abschluss<br />

der Sekundarstufe 1 gemeinsam besuchen. Nur dadurch wird der Druck<br />

zur Selektion und zum „Abschulen“ aufgehoben und die Blickrichtung auf<br />

eine größtmögliche Förderung gelenkt. Daran schließen sich getrennte<br />

Schulen der Sekundarstufe 2 an, die zu beruflichen und studienbezogenen<br />

Abschlüssen führen. Dass dieser Weg äußerst erfolgreich ist, zeigen insbesondere<br />

die nordeuropäischen Länder mit ihren hervorragenden PISA-<br />

Ergebnissen.<br />

‣ Es sollte auf dem Weg dorthin der Grundsatz gelten: Jedes Kind hat das<br />

Recht, an der Schule, an der es aufgenommen wurde, erfolgreich zu sein.<br />

Daraus folgt, dass ein Schulformwechsel nur im Ausnahmefall zulässig sein<br />

- 45 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Pressemitteilungen und Stellungnahmen<br />

darf. Wir halten es weiter für pädagogisch und ökonomisch sinnvoll, das<br />

Instrument des Sitzenbleibens stark einzuschränken.<br />

‣ Auf dem Weg zu einer Realisierung dieser Reform ist ebenfalls denkbar,<br />

dass zunächst Oberstufenzentren eingerichtet werden und dass die beiden<br />

bisher in „Langform“ ausgebildeten Schultypen Gymnasium und <strong>Gesamtschule</strong><br />

mit dem Abschluss der Sekundarstufe 1 enden. Dies ermöglicht eine<br />

gesonderte Weiterentwicklung sowohl der Sekundarstufe 1 als auch der Sekundarstufe<br />

2. Nach unserer Auffassung ist nur so zu erreichen, dass die<br />

Forderung „Kleine Klassen für kleine Kinder“ für Primarstufe und Sekundarstufe<br />

1 Wirklichkeit werden und die deutsche Schieflage in der Bildungsfinanzierung<br />

gelöst werden kann.<br />

Wir hoffen, dass Sie unsere Kritik und unsere Vorschläge in der weiteren Vorbereitung<br />

Ihres Parteitages berücksichtigen, und stehen als Gesprächspartner jederzeit<br />

zur Verfügung.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Manfred Jaeger<br />

Vorsitzender<br />

Werner Kerski<br />

stellvertr. Vorsitzender<br />

Jürgen Theis<br />

stellvertr. Vorsitzender<br />

- 46 -


Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

INFORMATIONEN UND MEINUNGEN<br />

Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

Deutschland ist Spitze – in der Ungleichverteilung von Bildungschancen 6<br />

Spätestens im Dezember 2001 konnte Jede und Jeder in den Medien erfahren,<br />

dass Deutschland bei »PISA international« miserabel abgeschnitten hat. Für die<br />

Autoren der PISA-Studie (und andere Experten) ist diese Tatsache nach TIMSS<br />

weit weniger überraschend als drei andere Ergebnisse ihrer Untersuchung:<br />

• In keinem Land ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die keine<br />

Lust auf Lesen haben, so groß wie in Deutschland.<br />

• Der Unterschied zwischen den schlechtesten und den besten Leistungen<br />

ist in keinem Land so groß wie in Deutschland.<br />

• Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb stehen in keinem anderen Land<br />

in so engem Zusammenhang wie in Deutschland.<br />

In den folgenden Abschnitten sollen diese drei Gesichtspunkte erläutert werden.<br />

Zum Schluss folgt ein Blick auf bildungspolitische Äußerungen, Bewertungen,<br />

Fragen und Anregungen.<br />

Einstellung zum Lesen<br />

Deutsche Schülerinnen und Schüler lesen weniger gern als Jugendliche in den<br />

anderen OECD-Ländern (Diagramm Seite 53 oben 7 ), allerdings ...<br />

‣ „Warum die Schülerinnen und Schüler eines Landes gute oder weniger gute<br />

Leistungen im Lesen erzielen, ist nicht monokausal zu erklären, sondern<br />

hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. ...<br />

‣ Während beispielsweise in Deutschland eine Korrelation mittlerer Höhe<br />

zwischen der Zeit, die 15-Jährige täglich mit Lesen verbringen, und ihren<br />

Leistungen zu verzeichnen ist, ist der Zusammenhang in anderen Ländern<br />

schwächer. Daher konzentriert sich der folgende Vergleich des Ausmaßes<br />

freiwilliger Leseaktivitäten auf Länder, bei denen die Bedeutung dieses Faktors<br />

vergleichbar ist.<br />

‣ Beim Vergleich dieser Länder zeigt sich, dass der Anteil der 15-Jährigen,<br />

die angeben, überhaupt nicht zum Vergnügen zu lesen, in Deutschland bei<br />

42 % liegt und von keinem anderen Land übertroffen wird.“ 8<br />

6 Aus: <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen I/2002<br />

7 Aus technischen Gründen sind alle Diagramme auf den Seiten 53 bis 54 zusammengefasst.<br />

8<br />

Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 17<br />

- 47 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

Extreme Streuung der Leistung<br />

Der Unterschied zwischen gut und schlecht ist in deutschen Schulen besonders<br />

hoch (Diagramm Seite 51):<br />

‣ „... ein Vergleich der Standardabweichungen bestätigt, dass die Streuung<br />

der Schülerleistungen in Deutschland besonders ausgeprägt ist. Auf der Gesamtskala<br />

im Lesen ist dieser Wert mit 111 Punkten für die 15-Jährigen in<br />

Deutschland am größten.“ 9<br />

Besonders Besorgnis erregend ist in diesem Zusammenhang, dass extrem schwache<br />

Leistungen unter deutschen Jugendlichen besonders häufig auftreten:<br />

‣ „Der Anteil der Jugendlichen, deren Leistungen unterhalb der Kompetenzstufe<br />

I liegen, ist in Deutschland vergleichsweise groß. Während im Durchschnitt<br />

aller OECD-Mitgliedsstaaten 6 % der Schülerinnen und Schüler den<br />

Anforderungen der Kompetenzstufe I nicht gewachsen sind, liegt der Anteil<br />

in Deutschland bei fast 10 %. Höhere Anteile finden sich nur in Brasilien,<br />

Mexiko, Lettland und Luxemburg. In Ländern wie zum Beispiel Australien,<br />

Finnland, dem Vereinigten Königreich, Japan, Kanada und Schweden liegt<br />

der Anteil dagegen deutlich niedriger, nämlich bei unter 5 %.. ...<br />

‣ Weitere 13 % der in Deutschland erfassten Schülerinnen und Schüler befinden<br />

sich auf Kompetenzstufe I. Damit sind insgesamt fast 23 % der Jugendlichen<br />

nur fähig, auf einem elementaren Niveau zu lesen. Im Hinblick auf<br />

selbstständiges Lesen und Weiterlernen ist diese Gruppe insgesamt als potenzielle<br />

Risikogruppe zu betrachten.“ 10<br />

Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb<br />

Die Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse enthält deutliche Hinweise auf den<br />

Zusammenhang zwischen dem früh selektierenden Schulsystem in Deutschland<br />

und der starken Abhängigkeit der Schulleistung von der sozialen Herkunft. Auch<br />

hierzu ein Zitat (Diagramm Seite 52):<br />

‣ „Deutschland und die Schweiz gehören zu den Ländern mit den größten<br />

Unterschieden in der Lesekompetenz von Jugendlichen aus höheren und<br />

niedrigeren Sozialschichten. Die Differenz beträgt in Deutschland mehr als<br />

eineinhalb Kompetenzstufen.<br />

‣ Selbst die Vereinigten Staaten, die immer wieder als Beispiel für große soziale<br />

Disparitäten in den Bildungschancen angeführt werden, weisen zwar<br />

immer noch beträchtliche, aber signifikant niedrigere sozial bedingte Leistungsunterschiede<br />

auf.<br />

‣ Wie groß der Spielraum für die Entkopplung von sozialer Herkunft und dem<br />

Erwerb zentraler Basisqualifikationen ist zeigt ein Blick auf das andere Ende<br />

der Verteilung, an dem sich zwei europäische und zwei südostasiatische<br />

9 Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 14<br />

10 Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 16<br />

- 48 -


Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

Staaten befinden. In Finnland und Island – zwei Staaten mit überragenden<br />

bzw. guten Leistungsergebnissen – betragen die sozialen Disparitäten ... etwa<br />

50 Punkte oder eine halbe Standardabweichung – also weniger als die<br />

Hälfte des deutschen Wertes. In Korea sinken die Disparitätswerte auf 36<br />

Punkte und in Japan auf 27 Punkte, wohlgemerkt bei gleich großer sozialer<br />

Heterogenität der Elternhäuser.“ 11<br />

Soziale Herkunft und Schulform<br />

Ebenso spiegelt sich in der Bildungsbeteiligung in Deutschland die soziale<br />

Schichtung wieder (Diagramm Seite 53 unten):<br />

‣ „Bildungssoziologische Studien haben gezeigt, dass das Grundmuster herkunftsbedingter<br />

Bildungsungleichheiten relativ stabil, aber nicht unveränderbar<br />

ist. …<br />

‣ Unübersehbar ist, dass der Gymnasialbesuch, der bei 15-Jährigen aus Familien<br />

der oberen Dienstklasse 50 % beträgt, mit niedriger werdender Sozialschicht<br />

auf 10 % in Familien von ungelernten und angelernten Arbeitern<br />

sinkt. ...“ 12<br />

PISA und die Schulstruktur<br />

Frühe Selektion<br />

In den vielen Berichten seit Anfang Dezember wurde selten hervorgehoben und<br />

beachtet, dass an der Spitze der Ranglisten Länder stehen, in denen es kein Sitzenbleiben<br />

gibt und in denen alle Kinder bis zum 14. oder gar 16. Lebensjahr die<br />

gleiche Schule besuchen (Diagramm Seite 54).<br />

‣ „In vielen Ländern gibt es im Pflichtschulbereich – im Unterschied zur<br />

freiwilligen Sekundarstufe II – keine selektiven Schulen. In anderen gibt es<br />

sie, aber die Schulpflichtigen werden in der Regel erst ab der 7., 8. oder 9.<br />

Klasse auf Schulen mit unterschiedlichem Anspruchsniveau verteilt.“ 13<br />

Im Gegensatz dazu werden Kinder in Deutschland in der Regel bereits nach dem<br />

vierten Grundschuljahr auf verschiedene Schulformen verteilt.<br />

Es gibt daher gute Gründe, die Diskussion über die tabuisierten Themen „Dauer<br />

der gemeinsamen Schulzeit“ und „Schulstruktur“ neu zu eröffnen. Hier noch ein<br />

Zitat aus der Zusammenfassung der PISA-Ergebnisse des MPI (Diagramm Seite<br />

50):<br />

‣ „Hinsichtlich der mittleren Leistungen der 15-Jährigen im Leseverständnistest<br />

gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Bildungsgängen.<br />

In Gymnasien liegt die mittlere Leistung naheliegenderweise mit<br />

582 Punkten erheblich über dem OECD-Durchschnitt und in Realschulen<br />

11 Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 41<br />

12 Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 35<br />

13 Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 43<br />

- 49 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

mit 494 Punkten geringfügig darunter. In Integrierten <strong>Gesamtschule</strong>n und in<br />

Hauptschulen werden Mittelwerte von 459 bzw. 394 Punkten erreicht. Die<br />

Differenzen zwischen den Bildungsgängen zeigen sich in allen Fähigkeitsbereichen.<br />

‣ Diese Unterschiede sind zu einem erheblichen Teil Ergebnis der auf Leistung<br />

beruhenden Verteilung auf die Schulformen.<br />

‣ Dennoch gibt es in allen drei Leistungsbereichen, die in PISA untersucht<br />

werden, Überlappungen zwischen den Leistungsverteilungen der 15-Jährigen,<br />

die verschiedene Bildungsgänge besuchen. Die Überlappungen sind<br />

nicht nur im Falle der Integrierten <strong>Gesamtschule</strong> beträchtlich 14 . Dies ist<br />

kein Fehler des Systems, sondern folgt aus der Tatsache, dass es - schon<br />

aufgrund der Plastizität der menschlichen Entwicklung - keine wirklich<br />

zuverlässige Übergangsdiagnostik geben kann.<br />

‣ Die Überlappungen der Leistungsverteilungen weisen darauf hin, wie wichtig<br />

es ist, Schullaufbahnen im Hinblick auf Abschlüsse offen zu halten.“ 15<br />

- Fortsetzung Seite 55! -<br />

14 Wie man in der Grafik erkennen kann, sind sie dort aber deutlich am größten! J. Th.<br />

15 Artelt, Baumert u.a., PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, MPI Berlin 2001, S. 44<br />

(Hervorhebung durch mich – J. Th.)<br />

- 50 -


Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

- 51 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

- 52 -


Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

- 53 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

Dauer der für alle Kinder und Jugendlichen eines Landes gemeinsamen Schulzeit<br />

Nach: SCHMITT, R. u.a.: Grundlegende Bildung in und für Europa. Frankfurt/M. 2001, S. 17<br />

- 54 -


Jürgen Theis:<br />

PISA und die <strong>Gesamtschule</strong>n<br />

Die Reaktion der Politik auf die PISA-Studie<br />

Angesichts dieser Ergebnisse der PISA-Studie müsste sich eigentlich den Bildungspolitikerinnen<br />

und Bildungspolitikern die Frage nach der Schulstruktur in<br />

Deutschland unmittelbar aufdrängen. Umso mehr wundert es, wenn z.B. in der<br />

Frankfurter Rundschau am 03.01.2002 die vormalige (grüne) Berliner Schulsenatorin<br />

Sibylle Volkholz titelt: „Bloß keine Debatte über die Schulstruktur“.<br />

Ähnlich hat sich ihre derzeit amtierende (sozialdemokratische) Kollegin Gabriele<br />

Behler in Düsseldorf vorsorglich bereits einige Tage vor der offiziellen Bekanntgabe<br />

der PISA-Ergebnisse geäußert:<br />

„Die Qualitätsuntersuchungen zeigen: Es gibt gute und schlechte Ergebnisse in integrierten<br />

wie in differenzierten Systemen. Also liegt es nicht am System, wie Qualität<br />

und wie Selektivität entwickelt wird.“ 16<br />

Hat sie inzwischen ihre Meinung geändert? Dem Vernehmen nach soll sie bei<br />

der Festveranstaltung zum 50-jährigen Bestehen der Stadtschulpflegschaft Bonn<br />

im Friedrich-Ebert-Gymnasium Bonn-Tannenbusch am 25.01.2002 geäußert<br />

haben, dass man in Deutschland ernstlich über den Unterricht in heterogenen<br />

Lerngruppen nachdenken müsse. Die bisherige Praxis, möglichst leistungshomogene<br />

Klassen und Kurse (und Schulen) zu bilden, habe – wie PISA zeige – im<br />

Vergleich zu den Ländern mit heterogenen (d.h. integrierenden) Schulen letztlich<br />

keinen besonderen Erfolg gebracht. Vielleicht spiegelt sich in solchen Äußerungen<br />

aber auch die vor Jahren als „Zwei-Säulen-Modell“ bekannt gewordene<br />

Denkweise wieder, die auch bei der derzeitigen LABG-Novellierung Pate gestanden<br />

hat: die Einteilung des Sekundarschulwesens in erstens Gymnasien und<br />

zweitens andere Schulen, wobei die letzteren dann – nicht zuletzt aus Kostengründen<br />

angesichts sinkender Schülerzahlen – miteinander verschmolzen werden<br />

könnten.<br />

Das Thema Schulstruktur wird in der derzeitigen Bildungspolitik allerdings weiterhin<br />

totgeschwiegen. Die wenigen bundesweit verbreiteten Stimmen, die offen<br />

zur Wiederaufnahme einer Debatte über die deutsche Schulstruktur auffordern,<br />

kann man an einer Hand abzählen. Karl-Heinz Heinemann nennt in der Frankfurter<br />

Rundschau vom 24.01.2002 zwei Namen: Klaus Klemm 17 und Brigitte Schumann<br />

18 .<br />

16 Gabriele Behler in einem Interview mit Karl-Heinz Heinemann, E&W 11/2001<br />

17 u.a. im Interview mit Steffen Welzel, E&W 12/2001<br />

18 Warum sollten wir uns Scheuklappen aufsetzen? Frankfurter Rundschau am 24.01.2002;<br />

Die etwas erweiterte Fassung des Artikels von Brigitte Schumann steht unter dem Titel<br />

„Warum es fatal ist, die Strukturfrage jetzt mit einem politischen Denkverbot zu belegen“ in<br />

GGG aktuell im Internet mit Datum vom 10.01.2002 (www.ggg-nrw.de/Aktuell)<br />

- 55 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

Was tut die GGG?<br />

In einer gemeinsamen Erklärung von Grundschulverband (GSV) und Gesamtschulverband<br />

(GGG), die am 17.02.2001 in Kassel beschlossen und am<br />

06.04.2001 in Frankfurt/M. der Presse vorgestellt wurde, heißt es:<br />

„Erforderlich ist ... eine gemeinsame Schule für alle,<br />

und dies für die Dauer der Pflichtschulzeit.“<br />

Der Vorstand des Landesverbandes hat unmittelbar nach Veröffentlichung der<br />

PISA-Ergebnisse eine Stellungnahme für die Presse verfasst, die am 05.12.2001<br />

in einer Pressekonferenz im Landtag verteilt wurde. (Sie ist in diesem Heft auf<br />

Seite 42 abgedruckt.) Dort wird u.a. gefordert, den integrierten Unterricht der<br />

Grundschule über das vierte Schuljahr hinaus fortzusetzen.<br />

Im gleichen Sinne wurde mit überraschend guter Resonanz argumentiert in Interviews<br />

mit der Lokalpresse (u.a. am 12.01.2001 in Kierspe/Meinerzhagen 19 ,<br />

am 15.01.2002 in Bergkamen und am 22.01.2001 in Dortmund). Diese und sämtliche<br />

anderen in diesem Artikel erwähnten Texte sind auch auf den Internet-<br />

Seiten der GGG publiziert.<br />

19 In diesem Heft abgedruckt ab Seite<br />

- 56 -


Werner Kerski:<br />

Bei einem Waldbrand hilft keine Feuerpatsche<br />

Werner Kerski:<br />

Bei einem Waldbrand hilft keine Feuerpatsche<br />

Über unzureichende Antworten auf PISA<br />

PISA attestiert dem deutschen Schulsystem erschreckend schlechte Ergebnisse.<br />

Der Handlungsbedarf ist unübersehbar. Unübersehbar ist auch, dass es tiefgreifender<br />

Veränderungen bedarf, will man auf Dauer bessere Resultate erzielen. Die<br />

verantwortlichen Politiker – ob in der Kultusministerkonferenz oder in den Parteien<br />

und Parlamenten – vermeiden aber ganz offensichtlich diese Grundsatzdiskussion.<br />

Ersatzhandeln statt der notwendigen Maßnahmen ist angesagt. Zwei<br />

Tabus werden aus unterschiedlicher Motivation vermieden: Fragen der Schulstruktur<br />

und Fragen der Lehrerausbildung. Diese beiden Fragen sind nicht nur<br />

nach meiner Überzeugung der entscheidende Schlüssel zu einem erfolgversprechenden<br />

Weg in Richtung auf eine Verbesserung unseres deutschen Schulsystems.<br />

Um es am Beispiel zu verdeutlichen: Die Förderung von Kindern im Vorschulalter<br />

ist sicher wichtig. Die Wirkung wird aber gering sein, wenn es nicht<br />

gelingt, dem Hauptproblem der deutschen Schulen zu begegnen: Der Unfähigkeit<br />

mit individuellen Unterschieden konstruktiv umzugehen, wie es Wolfgang<br />

Edelstein in einem Beitrag in der ZEIT formulierte. Oder um es polemischer zu<br />

formulieren: Man muss entweder ein Meister der Verdrängung oder ein ganz<br />

weitsichtiger Mensch sein, wenn man die Lernergebnisse von 15-jährigen misst<br />

und die wichtigsten Maßnahmen der Veränderung in der vorschulischen Erziehung<br />

ansiedelt.<br />

Ergebnisse von PISA und TIMSS<br />

In aller Kürze werde ich im folgenden die wichtigsten Ergebnisse von PISA und<br />

zum Teil auch von TIMSS zusammenfassen.<br />

• Deutschland erreicht im internationalen Vergleich der OECD den 22. Platz.<br />

Der Mittelwert liegt mit 484 knapp unter dem internationalen Mittelwert<br />

von 500 und deutlich unter dem Mittelwert der „Spitzenländer“ (z.B. Finnland<br />

546).<br />

Dass die führenden Staaten alle Länder mit einem integrierten Schulsystem<br />

sind, ist bemerkenswert und sicher kein Zufall. Es ist zu kurz gegriffen,<br />

wollte man alleine die Schulstrukturfrage als Erklärung heranziehen. Aber<br />

offensichtlich gelingt es diesen Ländern in den Schulen eine Kultur zu entwickeln,<br />

welche die Förderungen aller Begabungen zum Ziel hat und dabei<br />

nachweisbar höchst effektiv Schülerinnen und Schüler zu sehr guten Ergebnissen<br />

führt. Der Blick auf das einzelne Kind, die Förderung jedes Einzelnen,<br />

individualisiertes Lernen: Diese Lernkultur zeichnet die führenden<br />

Länder aus. Sie ist eng verbunden mit der Schulstruktur. Diese Lernkultur<br />

bedarf einer Organisation, die sie unterstützt.<br />

• Nun muss Deutschland nicht immer Weltmeister sein. Vielleicht<br />

könnten wir uns sogar mit dem 22. Platz zufrieden geben. Wirklich a-<br />

- 57 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

larmierend ist die hohe Zahl der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler,<br />

deren Leistung im Lesen noch nicht einmal Grundschulkenntnisse<br />

erreicht. Die Quote beträgt bei uns ungefähr 10%, international ist diese<br />

Quote nur in Lettland, Luxemburg, Mexiko und Brasilien größer.<br />

Dieses Resultat ist ein Problem für die betroffenen Schülerinnen und<br />

Schüler: Wie können sie sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten? Dies<br />

ist aber auch ein Problem für unsere wirtschaftliche Entwicklung. Wir<br />

können uns als Industrienation ein solches Ergebnis nicht leisten.<br />

• Die geringen Kenntnisse dieser Risikogruppe werden häufig als Preis<br />

für eine besonders gute Förderung der Spitzengruppe in Kauf genommen.<br />

Das überraschende Ergebnis: Unsere Spitze ist im internationalen<br />

Vergleich keineswegs Spitze, der Mittelwert der leistungsstärksten<br />

Schülergruppe liegt unter dem OECD-Durchschnitt. Die Länder der<br />

Spitzengruppe haben deutlich bessere Ergebnisse.<br />

• In einem Bereich ist Deutschland Weltmeister: Deutschland verzeichnet<br />

im Bereich Lesefähigkeit die größte Kopplung zwischen Bildungserfolg<br />

und sozioökonomischen Hintergrund aller an PISA beteiligter<br />

Länder. Damit sind wir im internationalen Vergleich das Land,<br />

das den größten Aufholbedarf beim Thema Chancengleichheit hat.<br />

• Die Bildungsbeteiligung in der gymnasialen. Oberstufe ist mit 25% international<br />

deutlich unter dem Standard. Auch dies können wir uns<br />

ökonomisch nicht leisten. Schon in TIMSS III wurde nachgewiesen,<br />

dass Deutschland hier einen erheblichen Nachholbedarf hat. Dabei<br />

gibt es überraschende Ergebnisse.<br />

In der folgenden Tabelle werden Bildungsbeteiligung und Ergebnisse des<br />

Mathematiktests im 12. Schuljahr zwischen Schweden und Deutschland<br />

verglichen:<br />

Bildungsbeteiligung<br />

in der S2<br />

(voruniversitäre<br />

Bildungsgänge)<br />

Mathematik<br />

(erreichte Punktzahl)<br />

Durchschnitt<br />

Durchschnitt<br />

der besten 5 %<br />

Schweden 47 512 608<br />

Deutschland 25 455 575<br />

Es überrascht dabei, dass bei einer fast doppelt so großen Bildungsbeteiligung<br />

sowohl der Mittelwert der erreichten Punktzahl als auch die mittlere<br />

Punktzahl der besten 5 % deutlich höher liegt als in Deutschland. Baumert<br />

stellte dazu im Abschlussbericht zu TIMSS III ergänzend fest: „Schweden<br />

und Norwegen sind gute Beispiele für die Tatsache, dass man in einem Gesamtschulsystem<br />

mit differenzierter Oberstufe, in dem für inhaltliche Kon-<br />

- 58 -


Werner Kerski:<br />

Bei einem Waldbrand hilft keine Feuerpatsche<br />

sistenz und Kontinuität des Lernens gesorgt wird, Spitzenleistungen erreichen<br />

kann, die weit über dem Niveau gymnasialer Leistungskurse liegen.“<br />

Ergebnisse von PISA-E<br />

Im Juni wurde mit PISA-E der innerdeutsche Vergleich der Bundesländer veröffentlicht.<br />

Die Befunde der internationalen PISA-Studie wurden durch PISA-E im<br />

Grundsatz bestätigt – mit zusätzlichen Daten und differenzierten Informationen<br />

im Vergleich der Bundesländer.<br />

Die wichtigsten Ergebnisse:<br />

• Auch die besten Bundesländer sind im internationalen Vergleich bestenfalls<br />

Mittelklasse. Deutschland spielt in der 2. Liga, auch das beste Bundesland<br />

ist weit davon entfernt, sich international mit den besten Ländern messen zu<br />

können.<br />

• Die beunruhigenden Ergebnisse der internationalen Studie hinsichtlich der<br />

Größe der Risikogruppe, der mangelhaften Bildungsbeteiligung und der<br />

großen sozialen Selektivität des deutschen Bildungssystems zeigen sich in<br />

gleicher Schärfe bei PISA-E.<br />

Nur für einen kurze Zeitraum bestand die Gefahr, dass die Ergebnisse von PISA-<br />

E für den Bundestagswahlkampf instrumentalisiert würden. Dies konnte abgewendet<br />

werden, wahrscheinlich auch deswegen, weil kein Bundesland behaupten<br />

kann, international akzeptable Ergebnisse präsentieren zu können. Dagegen setzt<br />

sich immer deutlicher die Position durch, dass eine entscheidende Ursache für<br />

das schlechte deutsche Ergebnis, in unserem Hang zur Homogenität zu suchen<br />

ist. Die These „In homogenen Gruppen lernt man erfolgreicher als in heterogenen<br />

Gruppen“ bestimmt unser Schulsystem, es bestimmt aber auch die Kultur<br />

und das Klima in den Schulen, die dort praktizierte Pädagogik und Methodik,<br />

und dies unabhängig von der Schulform und ebenfalls unabhängig vom Bundesland.<br />

Problem nicht erkannt – Problem nicht gelöst<br />

Allen ist inzwischen deutlich geworden: Das „bewährte deutsche (gegliederte)<br />

Schulsystem“ hat sich im PISA-Test nicht bewährt. Dies ist insbesondere ein<br />

Problem für bildungspolitisch Konservative. Der Befund lässt sich nicht mit der<br />

These der großen Leistungsfähigkeit unseres Schulsystems vereinbaren. Veränderungen<br />

sind notwendig, aber sie dürfen nicht die Grundfesten deutscher Schulpolitik<br />

in Frage stellen.<br />

In der Diskussion sind drei Grundhaltungen erkennbar:<br />

• Das Vermeiden der Systemfrage<br />

• Das Ablenken auf Ersatzhandeln<br />

• Die Uminterpretation der PISA-Ergebnisse<br />

Das Vermeiden der Systemfrage ist dabei ein Konsens, der weit über das Spektrum<br />

der Konservativen hinausgeht. Die Motive mögen unterschiedlich sein, das<br />

- 59 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

Ergebnis ist eben dieser Konsens. Eine große Rolle spielt dabei sicher auch die<br />

Angst, mit grundsätzlichen schulpolitischen Fragen auf eine unvorbereitete Öffentlichkeit<br />

zu stoßen. Hier ist es die Aufgabe der GEW, die Diskussion zu eröffnen<br />

und das Klima für Veränderungen vorzubereiten.<br />

Das Ablenkungsmanöver auf Ersatzhandeln wird in dem Beschluss der Kultusministerkonferenz<br />

vom 23./24. Mai 2002 in Eisenach deutlich. Unter dem Titel<br />

„Weitergehende Folgerungen aus PISA 2000“ werden die Handlungsmaßnahmen<br />

der Bundesländer zusammengefasst. Sind die Maßnahmen in den vorschulischen<br />

Einrichtungen vergleichsweise konkret formuliert, findet sich für die Sekundarstufe<br />

1 dort lediglich: „Zur Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit<br />

in der Grundschule und Sekundarstufe I werden die Lehrpläne mit Blick auf die<br />

in PISA definierten Kompetenzbereiche überprüft. Sie sollen sich an Basiskompetenzen<br />

orientieren, ... Verbindliche Standards werden deutlicher als bisher<br />

formuliert. Viele Länder verpflichten ihre Schulen zu interner und externer Evaluation.<br />

Vergleichsarbeiten sind hierbei wichtige Instrumente zur Feststellung<br />

der Leistungen in bestimmten Jahrgangsstufen innerhalb einer Schule oder zwischen<br />

mehreren Schulen.“ Dem kann man zweierlei entgegenhalten: Erstens gilt<br />

der Satz „Man kann eine Sau noch so oft wiegen, sie wird dadurch nicht fetter.“<br />

Und zweitens haben sich die Maßnahmen der Qualitätssicherung im Hinblick auf<br />

die in PISA festgestellten Defizite als teilweise kontraproduktiv herausgestellt:<br />

Die Selektionsinstrumente werden schärfer genutzt, die Zahl der Sitzenbleiber ist<br />

landesweit gestiegen, die Bildungsbeteiligung in der gymnasialen Oberstufe geht<br />

zurück, wie man an vielen <strong>Gesamtschule</strong>n leicht feststellen kann. Dass dies besonders<br />

bildungsferne, sozial schwache Schichten trifft, ist sehr wahrscheinlich.<br />

Da hilft auch kein allgemeiner Hinweis auf die Förderung von Kindern mit<br />

Migrationshintergrund und den Ausbau von Ganztagsschulen in der Erklärung<br />

der KMK. Festzustellen ist leider auch, dass die Position der KMK sich in den<br />

Grundsätzen mit der Position des nordrhein-westfälischen Schulministeriums<br />

deckt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir bei einem derart „mutigen und gezielten“<br />

Vorgehen in den folgenden PISA-Untersuchungen das gleiche schlechte<br />

Ergebnis zu erwarten haben. Die Bildungspolitiker sollten sich jedenfalls darauf<br />

einstellen.<br />

„Also schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Nach<br />

diesem Rezept werden die PISA-Ergebnisse uminterpretiert entsprechend dem<br />

Motto: Was ich immer schon einmal sagen wollte, das verbinde ich jetzt mit<br />

PISA. Beispielhaft soll eine besondere Leistung der FDP-Landtagsfraktion beschrieben<br />

werden. Diese forderte in einer Landtagssitzung im April 2002 als<br />

Antwort auf PISA die Durchführung von zentralen Lernstandardtests ein. Dies<br />

mit zwei Zielen: Sie zu benoten, „damit Schüler wie Erziehungsberechtigte ein<br />

Leistungsfeedback erhalten“, und mit den Ergebnissen ein Schulranking einzuführen.<br />

„So ermöglichen wir ein Schulranking mit wertvollen Anhaltspunkten<br />

für Schulformentscheidungen.“ Wie dies mit den Ergebnissen der PISA-<br />

- 60 -


Werner Kerski:<br />

Bei einem Waldbrand hilft keine Feuerpatsche<br />

Untersuchung in Einklang zu bringen ist, bleibt das Geheimnis der FDP-<br />

Fraktion. Die vordringlichen Probleme bleiben ungelöst: Chancengleichheit, eine<br />

höhere Bildungsbeteiligung, eine Förderung der oben beschriebenen Risikogruppe.<br />

Aber die Wähler der FDP sind in dieser Gruppe auch nicht zu vermuten.<br />

Gezielte Maßnahmen statt Ersatzhandeln<br />

„There is no favourable wind for the one who doesn`t know where to go“<br />

Deutschland hat im PISA-Test die rote Laterne im Bereich Chancengleichheit<br />

erhalten. Es gibt kein Land im OECD-Vergleich, in dem die Leseleistung derart<br />

eng mit dem sozialen Hintergrund verknüpft ist. Das hängt sicher eng mit der<br />

miserablen Bildungsbeteiligung in den voruniversitären Bildungsgängen zusammen.<br />

Beides können wir uns gesellschaftlich und ökonomisch auf Dauer<br />

nicht leisten. Erfahrungen bei Besuchen in anderen Ländern lassen mich vermuten,<br />

dass nur eine andere Schulkultur, ein anderer Umgang mit heterogenen<br />

Gruppen, eine Veränderung der Sichtweise weg von der Gruppe oder der Klasse<br />

auf das einzelne Kind, langfristig eine positive Veränderung zur Folge haben<br />

wird. Hier ist das zentrale Ziel der Schulentwicklung zu formulieren: Die Erhöhung<br />

der Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler durch Fördern statt<br />

durch Aussortieren. Möglichst langes gemeinsames Lernen in heterogenen Lerngruppen<br />

muss das Ziel sein. Dass man dabei ausgesprochen erfolgreich sein<br />

kann, machen uns die skandinavischen Länder vor. Es ist sicher hilfreich, wenn<br />

wir uns mit dem Denken, der Kultur und der Organisation von Schule in diesen<br />

Ländern befassen. Chancengleichheit und Individualisierung sind die formulierten<br />

Ziele der skandinavischen Schulen. Allen Ländern ist folgendes gemeinsam:<br />

• Bis zum Abschluss der allgemeinen Schulpflicht (Jahrgang 9 oder 10) gibt<br />

es eine ungegliederte und undifferenzierte Schule. Dem schließt sich ein<br />

Kollegschulsystem für die Sekundarstufe II an.<br />

• Nur wenige Schülerinnen und Schüler besuchen Sonderschulen. Den Typus<br />

der Sonderschule für Lernbehinderte gibt es nicht.<br />

• Das einzelne Kind und seine individuelle Förderung steht im Mittelpunkt<br />

allen schulischen Handelns.<br />

• Auf das Erteilen von Noten wird bis zum Jahrgang 7 oder 8 vollständig<br />

verzichtet.<br />

• Es gibt kein Sitzenbleiben.<br />

• In der Skola (Klasse 1 bis 10) sind kleine Klassen die Regel (ungefähr 20<br />

Schüler/-innen pro Klasse). In der Sekundarstufe II findet man vermehrt<br />

große Klassen vor (30 und mehr).<br />

• Es gibt eine praxisorientierte Lehrerausbildung, in der nicht nach Schulformen<br />

oder Schulstufen unterschieden wird. Das schließt die Ausbildung<br />

der Lehrerinnen und Lehrer für Kindergärten ein.<br />

- 61 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

• Wie eng sich Schulorganisation und Schulkultur gegenseitig beeinflussen,<br />

möchte ich an einem Beispiel erläutern. In den deutschen Schulen wird oft<br />

darüber geklagt, dass die „falschen“ Schülerinnen und Schüler die Schule<br />

besuchen. Diese Sichtweise kommt in den skandinavischen Ländern nicht<br />

vor, sie ist undenkbar. Eine skandinavische Skola besuchen die Kinder, die<br />

im Umfeld der Schule wohnen. Ein Übergang zu einer anderen Schule, ein<br />

Abschieben in eine andere Schulform ist nicht möglich. Der Blick ist auf<br />

die Förderung des einzelnen Kindes gerichtet, auf das produktive Umgehen<br />

mit dessen Stärken.<br />

• In Deutschland herrscht der selektive und defizitäre Blick vor. Das System<br />

erzwingt die Selektion. Das Abschieben von Schülerinnen und Schülern in<br />

Schulen „minderer Anforderung“ ist möglich, ja sogar gewollt. So bleibt es<br />

nicht aus, dass sich der Blick in den Schulen stärker auf die Defizite von<br />

Schülerinnen und Schülern richtet, denen man dadurch begegnet, dass man<br />

das Instrument des Sitzenbleibens oder des Schulformwechsels einsetzt.<br />

Die deutsche Schule reagiert systemkonform – wie die schwedische Schule<br />

auch, nur in ganz anderer Weise. In Deutschland ergibt sich so der Eindruck,<br />

dass man an den Schulen mehrheitlich auf die falschen Schülerinnen<br />

und Schüler trifft.<br />

• Was ist zu tun? Mit dem Ziel, langfristig „eine Schule für Alle“ zu erreichen,<br />

liegen einige Möglichkeiten auf der Hand. Die weitestgehende Lösung:<br />

• Es wird eine grundsätzliche Schulreform durchgeführt mit folgenden zwei<br />

Schulstufen: Einer ungegliederten Schule bis zum Jahrgang 9 und einer Sekundarstufe<br />

II, in der berufsorientierende und studienorientierende Studiengänge<br />

integriert sind.<br />

• Es gibt aber auch eine Reihe von Möglichkeiten unterhalb dieser grundsätzlichen<br />

Lösung. Hier nur einige Vorschläge:<br />

• Das Sitzenbleiben wird auf wenige Ausnahmefälle reduziert. Viele Studien<br />

- und nicht nur PISA - haben nachgewiesen: Diese deutsche Form der<br />

ganzheitlichen Förderung eines Kindes ist wenig erfolgversprechend und<br />

zudem äußerst teuer. Durch das Sitzenbleiben wird die Schulzeit künstlich<br />

verlängert. Angesichts dieser Ausgangslage erscheint die Diskussion um<br />

die Reduzierung der Schulzeit auf 12 Jahre absurd. Es wäre schon viel gewonnen,<br />

wenn die Regelschulzeit eingehalten würde, und dies geht nur<br />

durch das Zurückdrängen des Sitzenbleibens. Die eingesparten Mittel wären<br />

in Fördermaßnahmen sicher besser investiert.<br />

• Die Finanzierung der Schule muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden.<br />

Kleine Klassen für kleine Schüler: das erscheint vordringlich. Dies betrifft<br />

alle Jahrgänge bis zum Ende der Sekundarstufe I. Die bei uns vorherrschende<br />

Bevorzugung der Sekundarstufe II ist nicht hinzunehmen. Dieser<br />

- 62 -


Werner Kerski:<br />

Bei einem Waldbrand hilft keine Feuerpatsche<br />

Anspruch erzwingt auch eine andere Struktur der Oberstufen, d.h. Oberstufenzentren<br />

losgelöst von der Sekundarstufe I.<br />

• Das Bilden kleiner Klassen hat wenig Effekt, wenn sich der Blick der Lehrerinnen<br />

und Lehrer nicht ändert, wenn diese nicht produktiv mit der Chance<br />

der kleineren Lerngruppe umgehen. Eine grundsätzliche Reform der<br />

Lehrerausbildung ist hier notwendig. Eine gemeinsame und praxisnahe pädagogische<br />

Grundausbildung aller zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer und<br />

eine anschließende Spezialisierung auf die unterschiedlichen Schulstufen<br />

(Primar- und Sekundarstufen) sollten kennzeichnende Strukturmerkmale<br />

sein.<br />

PISA hat uns die Chance gegeben, wieder grundsätzlich Bildungspolitik zu diskutieren.<br />

Die jahrelange „Schweigeverordnung“ ist durchbrochen. Fragen der<br />

Schulstruktur können wieder diskutiert werden, ohne sofort in die Schublade des<br />

Träumers zu geraten, der die Zeichen der Zeit hin zu Selektivität und Wettbewerb<br />

nicht versteht. Dabei scheinen mir zwei Dinge vordringlich zu sein:<br />

• Wir müssen klarer die Ziele der Bildungspolitik formulieren und dies zur<br />

Leitlinie der Maßnahmen machen.<br />

• Wir müssen bei allem Reformstau geduldig sein. Hektische und nicht zu<br />

Ende überlegte Maßnahmen schaden nur. Schulische Entwicklung braucht<br />

Zeit und wir alle, die wir an Schulen arbeiten, brauchen Zeit um uns auf die<br />

notwendigen Veränderungen einzustellen.<br />

- 63 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

Jürgen Theis:<br />

PISA - Alarm längst verklungen?<br />

Zum OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ 20<br />

Der Ende September 2002 vorgestellte OECD-Bericht „Edu<strong>ca</strong>tion at a Glance”<br />

bestätigt und verstärkt die alarmierenden Aussagen von PISA international über<br />

das Bildungswesen in Deutschland. Gegenüber den im Jahre 2000 publizierten<br />

PISA-Daten scheint sich kaum etwas verändert zu haben. Mancherorts scheint<br />

der Alarm längst verklungen zu sein.<br />

An dieser Stelle sollen beispielhaft drei besonders gravierende Teilaspekte des<br />

OECD-Berichts umrissen werden; anschließend wird eine Liste von Internet-<br />

Adressen mit Quellen und Berichten zum Thema abgedruckt.<br />

Bildungsbeteiligung<br />

Die Bildungsbeteiligung in der Sekundarstufe II kann in Deutschland nur dann<br />

positiv dargestellt werden, wenn hier die Beteiligung an beruflichen Ausbildungsgängen<br />

(u.a. im „Dualen System“) in vollem Umfange angerechnet wird.<br />

„Die Zugänge zum Tertiärbereich werden vor allem durch die starke berufliche<br />

Ausrichtung des Sekundarbereichs II in Deutschland beeinflusst.“ 21<br />

Deutlich unter dem Durchschnitt liegt die Beteiligung im Bereich der Hochschulausbildung:<br />

„Im Tertiärbereich A (Fachhochschulen [ohne Verwaltungsfachhochschulen] und<br />

Universitäten) nahmen im Jahr 2000 in Deutschland 30,2 % eines Altersjahrgangs<br />

ein Studium auf, während es im Durchschnitt aller OECD-Mitgliedstaaten 45 %<br />

waren. Vergleichbare oder noch niedrigere Studienanfängerquoten als in Deutschland<br />

finden sich lediglich in Belgien, der Tschechischen Republik, Dänemark, Irland,<br />

Mexiko, der Schweiz und der Türkei. Alle anderen OECD-Staaten verfügen<br />

über teilweise beträchtlich höhere Studienanfängerquoten von bis zu zwei Drittel<br />

der gleichaltrigen Bevölkerung in Finnland, Ungarn, Island, Neuseeland, Polen und<br />

Schweden.“ 22<br />

Bildungsfinanzierung<br />

In Deutschland ist der Anteil der Ausgaben für Bildung am Bruttoinlandsprodukt<br />

rückläufig und liegt derzeit im OECD-Mittel.<br />

„Die OECD-Mitgliedsstaaten wenden durchschnittlich 5,5 % des BIP für ihre Bildungssysteme<br />

auf. Deutschland liegt mit 5,6 % im Bereich des OECD-Mittels und<br />

wird von einigen Vergleichsländern (z.B. Österreich 6,3 %, Kanada 6,6 %, Däne-<br />

20 Aus: <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen IV/2002<br />

21 Bundesministerium für Bildung und Forschung / Kultusministerkonferenz:<br />

Pressemitteilung am 29.10.2002<br />

OECD-Veröffentlichung „Bildung auf einen Blick“<br />

Wesentliche Aussagen der OECD zur Ausgabe 2002, S. 5<br />

22 a.a.O., S. 5<br />

- 64 -


Jürgen Theis:<br />

PISA - Alarm längst verklungen?<br />

mark 6,7 %, Frankreich 6,2 %, Korea 6,8 %, Norwegen 6,6 %, Schweden 6,7 %,<br />

Vereinigte Staaten 6,5 %) deutlich übertroffen.<br />

Gegenüber 1995 ergibt sich für eine Reihe von Ländern ein rückläufiger Wert. [...]<br />

In Deutschland ist ein Rückgang von 5,8 % auf 5,6 % zu verzeichnen. Steigerungen<br />

sind allerdings in Australien, Portugal, Spanien, Schweden, der Türkei und den<br />

Vereinigten Staaten zu beobachten.“ 23<br />

Der Anteil der öffentlichen Haushalte an den Bildungsausgaben ist in Deutschland<br />

mit 9,7 % deutlich unterdurchschnittlich (OECD-Mittelwert 12,7 %; Mexiko<br />

22,6 %, Korea 17,4 %, Norwegen 15,6 %, Schweiz 15,2 %).<br />

„Der private Anteil an den Bildungsausgaben liegt in Deutschland deutlich über<br />

dem OECD-Mittel und entlastet die öffentlichen Haushalte, da die Unternehmen<br />

durch die Finanzierung der Dualen Ausbildung einen wesentlichen Beitrag zur<br />

Erstausbildung leisten.“ 24<br />

Gravierender ist allerdings, dass die deutschen Bildungsausgaben vor allem im<br />

Primarbereich und - etwas weniger - in der Sekundarstufe I unter dem Durchschnitt<br />

der OECD-Länder liegen, während sie für die Sekundarstufe II deutlich<br />

darüber liegen:<br />

Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 25<br />

Land Primarstufe Sekundarstufe I Sekundarstufe II<br />

Deutschland 16 % 20 % 27 %<br />

(Deutschland 1995) (16 %) (22 %) (29 %)<br />

OECD-Mittel 19 % 22 % 25 %<br />

Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Vergleich der Schüler-Lehrer-Relation. Während<br />

im Primarbereich die Relation deutlich schlechter ist als im OECD-Mittel,<br />

ist sie in der Sekundarstufe II sogar etwas besser. 26<br />

Schulklima: eher kinderfeindlich als bildungsförderlich<br />

Schule als Lernumgebung und Lebensraum wird von Schülerinnen und Schülern<br />

in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern recht negativ beurteilt.<br />

„In Deutschland erhalten Schüler nach ihrer eigenen Einschätzung zu wenig Unterstützung<br />

von ihren Lehrern. [...] Die Schüler geben an, zu wenig Hilfestellung beim<br />

Lernen zu erhalten sowie zu wenig Interesse am Lernfortschritt jedes Einzelnen“<br />

vorzufinden. [...] „In den meisten Ländern korreliert ein negatives Schulklima mit<br />

einem schwachen Abschneiden bei den PISA-Ergebnissen.“ 27<br />

Die Einschätzung der Schülerinnen und Schüler wird durch objektive Zahlen<br />

bestätigt: nur 14 % besuchen eine Schule, die ihnen individuelle Hilfestellungen<br />

23 a.a.O., S. 16f<br />

24 a.a.O., S. 17<br />

25 a.a.O., S. 18<br />

26 a.a.O., S. 25<br />

27 a.a.O., S. 31<br />

- 65 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Informationen und Meinungen<br />

anbietet. Der OECD-Durchschnitt liegt hier bei 72 %, in einigen Länder ist der<br />

Anteil über 90 %.<br />

Auf dem Hintergrund einer in Deutschland besonders großen Abhängigkeit der<br />

Schülerleistung von soziökonomischen Faktoren ist das Fehlen ausreichender<br />

Hilfestellung kaum anders als skandalös zu bezeichnen.<br />

Quellen und Adressen<br />

Quelltexte, Pressemitteilungen, Stellungnahmen und viele Zeitungsberichte<br />

OECD:<br />

Edu<strong>ca</strong>tion at a Glance<br />

OECD Indi<strong>ca</strong>tors 2002<br />

http://www.sourceoecd.org/data/cm/00008680/9602031E.pdf<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung / Kultusministerkonferenz:<br />

Pressemitteilung am 29.10.2002<br />

OECD-Veröffentlichung „Bildung auf einen Blick“<br />

Wesentliche Aussagen der OECD zur Ausgabe 2002<br />

http://www.bmbf.de/pub/20021029_EAG_Langfassung.pdf<br />

Internet-Seiten der GGG-NRW:<br />

Bildungsforschung und Bildungsstatistik, Daten zur Bildungspolitik<br />

http://www.ggg-nrw.de/BildStat<br />

Diskussion über Bildungsreform und Schulstruktur<br />

http://www.ggg-nrw.de/Struktur<br />

GGG aktuell<br />

http://www.ggg-nrw.de/Aktuell<br />

- 66 -


GGG-Druckschriften<br />

DRUCKSCHRIFTEN<br />

GGG-Druckschriften<br />

Die folgenden Veröffentlichungen sind gegen Rechnung bei der Geschäftsstelle<br />

des GGG-Landesverbandes (Huckarder Str. 12, 44147 Dortmund) zu beziehen<br />

(Preise ohne Versandkosten).<br />

Bestellung auch im Internet: http://www.ggg-nrw.de/Druck<br />

GGG konkret Nr. 3 Was ist <strong>Gesamtschule</strong>?<br />

0,25 €<br />

Ein Ratgeber beim Übergang in das 5. Schuljahr<br />

(16. Auflage Oktober 2003)<br />

GGG konkret Nr. 4 Eltern in der <strong>Gesamtschule</strong> – Unterricht in der 1,00 €<br />

<strong>Gesamtschule</strong> – Mitwirkung in der <strong>Gesamtschule</strong><br />

(7. Auflage April 2000)<br />

GGG aktuell Nr. 5 Solidarität – Integration – Öffnung<br />

(vergriffen)<br />

Materialien zur inneren Reform der <strong>Gesamtschule</strong><br />

GGG aktuell Nr. 6 Schulreform – Schulstruktur – Schulrecht<br />

(vergriffen)<br />

Materialien zur Strukturreform des Schulwesens<br />

GGG aktuell Nr. 7 Die Diskussion um die Schulstruktur<br />

1,00 €<br />

Materialien zur aktuellen bildungspolitischen Diskussion<br />

(1. Auflage Mai 1992)<br />

GGG aktuell Nr. 8 Berichte aus der pädagogischen Praxis<br />

1,00 €<br />

Autonomie – Integration – Schulkultur<br />

(1. Auflage März 1995)<br />

GGG aktuell Nr. 9 Schule der Vielfalt<br />

2,00 €<br />

25 Jahre <strong>Gesamtschule</strong> in Nordrhein-Westfalen<br />

(1. Auflage Dezember 1995)<br />

GGG aktuell Nr. 10 Zukunft der Bildung – Zukunft der Schule – 2,00 €<br />

Zukunft der <strong>Gesamtschule</strong><br />

(1. Auflage Februar 1997)<br />

GGG konkret Nr. 11 Texte und Thesen<br />

2,00 €<br />

zum Thema »Chancengleichheit«<br />

(1. Auflage Mai 2000)<br />

GGG konkret Nr. 12 Reisen nach PISA<br />

2,00 €<br />

(1. Auflage Oktober 2003)<br />

Verzeichnis der <strong>Gesamtschule</strong>n in NRW<br />

(Neuauflage Juli 2003)<br />

10,50 €<br />

Anne Ratzki u.a.<br />

Jürgen Theis,<br />

Sabine Pohl<br />

Team-Kleingruppen-Modell Köln-Holweide<br />

Theorie und Praxis<br />

Studien zur Bildungsreform, Band 28<br />

Die Anfänge der <strong>Gesamtschule</strong><br />

in Nordrhein-Westfalen<br />

für -Mitglieder:<br />

10,40 €<br />

für -Mitglieder:<br />

15,00 €<br />

Studien zur Bildungsreform, Band 29<br />

Baumwolltaschen 1,00 €<br />

Aufkleber (7,5 x 5 cm) 0,25 €<br />

- 67 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Druckschriften<br />

Folgende Hefte sind bei der<br />

GGG-Bundesgeschäftsstelle (Postfach 1303, 26583 Aurich) zu beziehen:<br />

Die Blaue Reihe der GGG<br />

Nr./Jahr<br />

Preis<br />

(ohne Versandkosten)<br />

Schulsozialarbeit an <strong>Gesamtschule</strong>n 24/1980 kostenlos<br />

Binnendifferenzierung * 29/1982 3,00 €<br />

Eltern in Schule und Unterricht * 32/1983 2,00 €<br />

Schulinterne Lehrerfortbildung für <strong>Gesamtschule</strong>n * 37/1985 2,00 €<br />

Pädagogisches Profil der <strong>Gesamtschule</strong> * 40/1987 2,00 €<br />

<strong>Gesamtschule</strong> und Grundschule kooperieren * 41/1988 2,00 €<br />

Integration von behinderten und nichtbehinderten Kindern * 45/1989 3,00 €<br />

an der <strong>Gesamtschule</strong><br />

Die Oberstufe neu gestalten * 48/1995 3,00 €<br />

LehrerInnenbildung für <strong>Gesamtschule</strong>n -<br />

* 51/1999 9,00 €<br />

Dokumente, Informationen, Arbeitsmaterialien<br />

Prinzip Zweifel -<br />

* 52/2000 2,00 €<br />

ein pädagogischer Grundwert<br />

Fachleistung, Schulstruktur, Verteilung von Chancen * 53/2001 3,00 €<br />

Ergebnisse neuerer Schulleistungsuntersuchungen<br />

PISA International<br />

54/2002 5,00 €<br />

Informationen und Analysen, Stellungnahmen, Berichte<br />

aus Ländern mit integrierten Schulsystemen<br />

(auch bei der GGG-NRW zu bestellen! Anschrift S. 67)<br />

Länger gemeinsam lernen<br />

Positionen – Forschungsergebnis - Beispiele<br />

für GGG-Mitglieder:<br />

55/2003<br />

13,00 €<br />

(auch bei der GGG-NRW zu bestellen! Anschrift S. 67)<br />

Weitere Veröffentlichungen<br />

Preis<br />

(ohne<br />

Versandkosten)<br />

Gruppentraining (Köln-Holweide und Sulzbach)<br />

3,00 €<br />

Unveränderte Neuauflage 2001<br />

<strong>Gesamtschule</strong> – Erinnerungen an die Zukunft 5,00 €<br />

25 Jahre <strong>Gesamtschule</strong> in der Bundesrepublik Deutschland<br />

16,50 €<br />

Eine bildungspolitische und pädagogische Bilanz<br />

Mitglieder erhalten auf Anforderung je ein Exemplar<br />

der mit * gekennzeichneten Broschüren kostenlos. Bitte Mitgliedsnummer angeben!<br />

- 68 -


Forum-Materialien<br />

Forum-Materialien<br />

Veröffentlichungen dieser Reihe sind - Preise ohne Versandkosten - bei der<br />

GGG-Geschäftsstelle (Huckarder Str. 12, 44147 Dortmund) zu beziehen.<br />

Bestellung auch im Internet: http://www.ggg-nrw.de/Druck<br />

Frauen und Management<br />

Preis<br />

Als Frau erfolgreich führen oder Die Macht der kleinen Schritte 7,80 €<br />

Überarbeitete Neuauflage<br />

Gesagt – getan<br />

7,80 €<br />

Sprachliche Durchsetzung (nicht nur) für Frauen<br />

Frauen lernen Gruppen leiten 7,80 €<br />

Frauen und Schule<br />

Preis<br />

Matriarchatsforschung 5,20 €<br />

Hexen und Hexenverfolgung - gestern und heute 10,40 €<br />

Die Königin von Saba oder Frauen schreiben ihre Geschichte(n) 5,20 €<br />

Mädcheninformationstage in Klasse 9/10 7,80 €<br />

Berufs- und Lebensplanung gehören zusammen<br />

7,80 €<br />

Projekte von Mädchen für Mädchen<br />

Mädchenprojekte im und ums Internet 5,20 €<br />

Schulmanagement<br />

Preis<br />

Konfliktlösungstraining und<br />

7,80 €<br />

Umgang mit schwierigen Gesprächspartnern<br />

Effektive Konferenzen - vorbereiten, durchführen, auswerten 7,80 €<br />

Zeitmanagement und Arbeitsorganisation – allein und im Team 7,80 €<br />

Gruppen leiten – moderieren - präsentieren 7,80 €<br />

Frauen und Kunst<br />

Preis<br />

Eine Reise durch die Zeit<br />

8,00 €<br />

Zur Europäischen Geschichte der Malerei (Neuauflage)<br />

Farbrausch - Farbenlehre und Kontraste (Neuauflage) 5,50 €<br />

Zeichenkohle, Aquarell, Gouachen, Ölmalerei, Holzschnitt 5,50 €<br />

Eine Einführung in die Techniken (Neuauflage)<br />

Der menschliche Körper - Aktmalerei<br />

8,00 €<br />

Einführung in die Techniken und ein historischer Abriss<br />

- 69 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Druckschriften<br />

Handreichungen für den<br />

fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht<br />

Alle Handreichungen (DIN A4) enthalten eine Fülle von Kopiervorlagen, Arbeitsblättern,<br />

Unterrichtshinweisen usw. Sie sind gegen Rechnung (Preise ohne<br />

Versandkosten) bei der GGG-Geschäftsstelle (Huckarder Str. 12, 44147 Dortmund)<br />

zu beziehen.<br />

Bestellung auch im Internet: http://www.ggg-nrw.de/Natur<br />

Jahrgänge 5 und 6<br />

Rahmenthema<br />

Jg.<br />

des NW-Lehrplans 1999<br />

Titel<br />

... der Einstieg: Naturwissenschaft<br />

5/6<br />

von Anfang an<br />

72 Seiten<br />

5/6<br />

Sinne und Wahrnehmung<br />

108 Seiten<br />

Von allen Sinnen<br />

5/6<br />

Entdeckungen im Auf Spurensuche<br />

Mikrokosmos 97 Seiten<br />

5/6<br />

Tiere und Pflanzen Ein Heim für Tiere<br />

in ihrer Umwelt 89 Seiten<br />

5/6 Körper und Leistung<br />

Fit – fitter – Fitness<br />

167 Seiten<br />

Woraus die Dinge<br />

5/6 Stoffe im Alltag gemacht sind<br />

127 Seiten<br />

5/6<br />

5/6<br />

5/6<br />

Wetter und Jahresrhythmik<br />

Wetter und Jahresrhythmik<br />

Neu:<br />

Schülerarbeitshefte<br />

Winter – find ich cool<br />

104 Seiten<br />

Überleben in Eiseskälte<br />

139 Seiten<br />

Naturwissenschaft von Anfang an<br />

22 Seiten<br />

Ein Heim für Tiere<br />

18 Seiten<br />

Winter – find ich cool<br />

32 Seiten<br />

Alle drei Hefte in einem Band<br />

72 Seiten<br />

Preis<br />

5,20 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

1,00 €<br />

1,00 €<br />

1,50 €<br />

3,00 €<br />

http://www.ggg-nrw.de/Natur<br />

- 70 -


Handreichungen für den<br />

fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht<br />

Jahrgänge 7 und 8<br />

Jg.<br />

7/8<br />

7/8<br />

7/8<br />

7/8<br />

7/8<br />

Rahmenthema<br />

des NW-Lehrplans 1999<br />

Lebensgrundlage<br />

Wasser<br />

Lebensgrundlage<br />

Wasser<br />

Fortbewegung in<br />

Natur und Technik<br />

Fortbewegung in<br />

Natur und Technik<br />

Die Geschichte der<br />

Erde<br />

Titel<br />

Wasser - Natur pur!?<br />

Teil I - Frischwasser<br />

85 Seiten<br />

Wasser - Natur pur!?<br />

Teil II - Abwasser<br />

79 Seiten<br />

Fortbewegung in<br />

Natur und Technik<br />

260 Seiten<br />

Fliegen und Flugmodelle<br />

142 Seiten<br />

Menschen in Raum und Zeit<br />

109 Seiten<br />

Preis<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

10,40 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

Jahrgänge 9 und 10<br />

Jg.<br />

9/10<br />

9/10<br />

Rahmenthema<br />

des NW-Lehrplans 1999<br />

Gesundheit und<br />

Krankheit<br />

Gesundheit und<br />

Krankheit<br />

9/10 Energie und Umwelt<br />

9/10 Energie und Umwelt<br />

9/10<br />

9/10<br />

Landwirtschaft und<br />

Nahrungsmittelproduktion<br />

Evolution und<br />

Vererbung<br />

Titel<br />

Konservierung von Lebensmitteln<br />

mit und ohne Chemie<br />

115 Seiten<br />

Stress – Stress – Stress ...<br />

121 Seiten<br />

Mollig warm<br />

85 Seiten<br />

Wenn Menschen was bewegen<br />

294 Seiten<br />

Landwirtschaft und<br />

Nahrungsmittelproduktion<br />

343 Seiten<br />

Evolution und Vererbung<br />

160 Seiten<br />

http://www.ggg-nrw.de/Natur<br />

Preis<br />

7,80 €<br />

5,20 €<br />

7,80 €<br />

10,40 €<br />

10,40 €<br />

7,80 €<br />

- 71 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Druckschriften<br />

9/10<br />

9/10<br />

9/10<br />

9/10<br />

9/10<br />

Naturwissenschaft<br />

und <strong>Gesellschaft</strong><br />

Naturwissenschaft<br />

und <strong>Gesellschaft</strong><br />

Naturwissenschaft<br />

und <strong>Gesellschaft</strong><br />

Naturwissenschaft<br />

und <strong>Gesellschaft</strong><br />

Naturwissenschaft<br />

und <strong>Gesellschaft</strong><br />

Weltmacht Drogen<br />

134 Seiten<br />

Biozide: Chemische Waffen<br />

und Pflanzenschutzmittel<br />

102 Seiten<br />

Das Ozonloch<br />

76 Seiten<br />

Hausmüll<br />

69 Seiten<br />

Müll am Beispiel Verpackung<br />

88 Seiten<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

5,20 €<br />

5,20 €<br />

5,20 €<br />

Weitere Themenhefte<br />

Jg. Titel Preis<br />

S I<br />

5/6<br />

5/6<br />

ab 8<br />

ab 8<br />

ab 9<br />

ab 11<br />

Energiesparen in der Schule<br />

184 Seiten<br />

Umweltlabor<br />

69 Seiten<br />

Naturwerkstatt I: Wolle, Pflanzenfarben, Färben<br />

79 Seiten<br />

Stadtökologie<br />

108 Seiten<br />

Lebensraum Meer<br />

96 Seiten<br />

Vom Bernstein zur Volta-Säule<br />

126 Seiten<br />

Ein Wattenmeerprojekt<br />

78 Seiten<br />

http://www.ggg-nrw.de/Natur<br />

7,80 €<br />

5,20 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

7,80 €<br />

- 72 -


Bestellung von Druckschriften<br />

FORMULARE<br />

Bestellung von Druckschriften<br />

Ich bestelle/Wir bestellen (zzgl. Versandkosten):<br />

Anzahl Gegenstand Einzelpreis<br />

Gesamtschulverzeichnis 2003/2004, Buchform<br />

für Schulen, die korporative Mitglieder der GGG<br />

sind oder gleichzeitig werden (maximal 1 Ex.)<br />

Mitglied Nr.: Beitrittserkl. liegt bei kostenlos<br />

Gesamtschulverzeichnis 2003/2004, Buchform<br />

regulärer Preis 10,50 €<br />

Gesamtschulverzeichnis 2003/2004,<br />

<strong>PDF</strong>-<strong>Datei</strong> auf Diskette 2,50 €<br />

Gesamtpreis<br />

Summe:<br />

Name:<br />

Anschrift:<br />

Telefon:<br />

Datum/Unterschrift:<br />

- 73 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Formulare<br />

(Anschrift passt für Fensterumschlag DIN lang)<br />

⇐ Hier knicken!<br />

GGG<br />

Landesverband NRW<br />

Huckarder Str. 12<br />

44147 Dortmund<br />

- 74 -


Beitrittserklärung<br />

Beitrittserklärung<br />

Ich erkläre meinen Beitritt/Wir erklären unseren Beitritt zur<br />

<strong>Gemeinnützige</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Gesamtschule</strong> e.V. - Gesamtschulverband<br />

Ich/Wir zahle(n) als einen Jahresbeitrag von<br />

Einzelmitglied<br />

70 € (normaler Beitrag)<br />

Einzelmitglied<br />

Einzelmitglied<br />

35 € (reduzierter Beitrag)<br />

10 €<br />

korporatives Mitglied 120 €<br />

Vor- und Zuname:<br />

(Auszubildende, Schülerinnen, Schüler,<br />

Studentinnen, Studenten, Arbeitslose)<br />

Anschrift:<br />

Telefon:<br />

Geburtsdatum:<br />

Beruf:<br />

<strong>Gesamtschule</strong> (falls dort tätig):<br />

Ort, Datum:<br />

Unterschrift:<br />

Einzugsermächtigung<br />

Hiermit ermächtige ich Sie widerruflich, die von mir zu entrichtenden Beiträge von meinem<br />

Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein Konto die erforderliche Deckung<br />

nicht aufweist, besteht seitens der kontoführenden Bank keine Verpflichtung zur Einlösung.<br />

Aufgrund eines Austritts zu viel gezahlte Beiträge sind mir auf Anforderung zurückzuzahlen.<br />

Name des Kontoinhabers:<br />

Wohnort:<br />

Kontonummer:<br />

Bankleitzahl:<br />

Bank:<br />

Ort, Datum:<br />

Unterschrift:<br />

- 75 -


GGG konkret Nr. 12<br />

Formulare<br />

Bitte ausgefüllt an die Geschäftsstelle senden!<br />

(Anschrift passt für Fensterumschlag DIN lang)<br />

⇐ Hier knicken!<br />

GGG<br />

Landesverband NRW<br />

Huckarder Str. 12<br />

44147 Dortmund<br />

- 76 -

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