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Marcion als Zeuge für ein vorkatholisches Christentum - Radikalkritik

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liberalen Harnack: die Apostelgeschichte k<strong>ein</strong> Produkt der Großkirche, sondern <strong>ein</strong>e<br />

Geschichtsquelle allerersten Ranges; die Paulusbriefe datieren aus der Mitte des ersten<br />

Jahrhunderts (S. 207 Anm.). Bei vorurteilsloserer Betrachtung müßte es doch<br />

Staunen erregen, dass die bedeutenden Briefe des Apostels erst <strong>ein</strong> gutes Jahrhundert<br />

|26 später zum ersten Mal das Licht der Öffentlichkeit erblicken, dazu noch aus der<br />

Hand <strong>ein</strong>es Ketzers stammend, der sich darauf <strong>als</strong> s<strong>ein</strong>e spezielle Heilige Schrift beruft,<br />

während die Großkirche diese dann von ihm übernimmt und ihn am Ende<br />

auch noch beschuldigt, er hätte sie verfälscht.<br />

Ungeachtet dessen, dass Blackman bestreitet (S. 32), man könne von <strong>Marcion</strong>s<br />

Einfluss auf die kirchliche Kanonbildung sprechen, so wie dies Harnack tat, bleibt es<br />

trotzdem <strong>ein</strong>e Tatsache, dass der Ketzer <strong>ein</strong>e abgeschlossene Sammlung von Heiligen<br />

Schriften besaß, und zwar noch vor der Kirche, die ihrerseits erst auf der Synode<br />

von Karthago (397 und 419) mit dem heute geltenden Kanon nachzog (auch wenn<br />

Irenäus bereits <strong>ein</strong> paar Teile daraus kannte). Die Kanonbildung war zur Zeit des<br />

Irenäus und danach <strong>als</strong>o noch im Fluss. BLACKMAN steht mit s<strong>ein</strong>em Urteil über<br />

<strong>Marcion</strong>s Bedeutung näher bei ZAHN <strong>als</strong> HARNACK. Zahn behauptete nämlich, dass<br />

<strong>Marcion</strong> s<strong>ein</strong>e Bibel in ausdrücklicher Opposition zur Heiligen Schrift der Kirche<br />

gebildet hätte, von der er sich getrennt hatte; die Kirche sei sich im Widerstand<br />

gegen s<strong>ein</strong>e Kritik ihrerseits erst ihres Erbes an apostolischen Schriften bewusst geworden.<br />

[31] Dergleichen Untersucher wollen letztlich etwas anderes <strong>als</strong> r<strong>ein</strong>e wissenschaftliche<br />

Untersuchung; eigentlich versuchen sie nur, mit <strong>ein</strong>em großen Aufwand<br />

an Gelehrsamkeit die Richtigkeit der kirchlichen Tradition zu beweisen. In <strong>ein</strong>er<br />

Rezension des Buches von JOHN KNOX [32], der mit Harnack darin über<strong>ein</strong>stimmt,<br />

dass die Kirche durch <strong>Marcion</strong>s Kanon zu ihrem eigenen Kanon angeregt wurde,<br />

und im folgenden, gemessen an den Maßstab der heutigen Theologie, große wissenschaftliche<br />

Ketzereien verkündet, sch<strong>ein</strong>t Blackmann [33] etwas konservativer. Knox<br />

erklärt unter anderem, dass die Paulusbriefe ihren Ehrenplatz vor den übrigen neutestamentlichen<br />

Briefen <strong>Marcion</strong>s Schätzung des Paulus <strong>als</strong> des <strong>ein</strong>zigen Apostels zu<br />

verdanken haben, während vor 150 die allgem<strong>ein</strong>e Anerkennung des Paulus kaum<br />

so groß war, dass man dessen Schriften <strong>ein</strong>en derart hohen Platz zuerkannt hätte.<br />

Orthodoxe Christen hätten an die Seite des Apostels die anderen Aposteln gestellt<br />

(die katholischen Briefe) sowie die Apostelgeschichte, womit sie zeigen wollten, dass<br />

Paulus k<strong>ein</strong>eswegs der |27 <strong>ein</strong>zige Apostel war und auch nicht von den anderen Aposteln<br />

abwich, die nach <strong>Marcion</strong> f<strong>als</strong>che, judaisierende Apostel waren, sondern mit<br />

den Zwölfen zusammenarbeitete. Die katholische Ausgabe des Lukasevangeliums<br />

und der Apostelgeschichte war <strong>ein</strong> Stück Reaktion der Kirche auf <strong>Marcion</strong>, 150 ±<br />

erschienen; sie versuchte das Evangelium und den Paulus das <strong>Marcion</strong> durch Erweiterungen<br />

und Einschübe zu korrigieren. [34]<br />

Wenn Blackman mit diesem kurzen Exposé des Buches von Knox gemäß s<strong>ein</strong>en eigenen<br />

Worten „does less justice to the detailed reasoning of this book“, dann sage ich<br />

lieber: er macht es sich sehr <strong>ein</strong>fach. Er weiß nichts von Van Manens obengenannten<br />

Arbeiten, obgleich ihm diese in der englischen Sprache zugänglich waren. [35] S<strong>ein</strong>e<br />

Selbstsicherheit ist mit Blick auf die schon lange vorliegenden Erkenntnisse der niederländischen<br />

radikalen Kritik nicht zu entschuldigen. Freilich kommt Knox bei<br />

Blackman am Ende besser weg <strong>als</strong> Couchoud, und es wird Knox zur Ehre anerkannt,<br />

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