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in der Rechtssache E-2/01 betreffend einen ANTRAG ... - EFTA Court

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Übersetzung des Dokuments Nr. E-2/<strong>01</strong>/26<br />

SITZUNGSBERICHT<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtssache</strong> E-2/<strong>01</strong><br />

<strong>betreffend</strong> e<strong>in</strong>en <strong>ANTRAG</strong> <strong>der</strong> Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz des Fürstentums<br />

Liechtenste<strong>in</strong> an den Gerichtshof gemäss Artikel 34 des Abkommens <strong>der</strong> <strong>EFTA</strong>-<br />

Staaten über die Errichtung e<strong>in</strong>er <strong>EFTA</strong>-Überwachungsbehörde und e<strong>in</strong>es <strong>EFTA</strong>-<br />

Gerichtshofs auf Erlass e<strong>in</strong>er Vorlageentscheidung im Verfahren über die gegen<br />

die Entscheidung <strong>der</strong> Regierung des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong> gerichtete<br />

Beschwerde von<br />

Dr. Mart<strong>in</strong> Franz Pucher<br />

über die Auslegung <strong>der</strong> Artikel 4,31 und 33 des EWR-Abkommens.<br />

I. E<strong>in</strong>leitung<br />

1. Mit Beschluss vom 12. März 20<strong>01</strong>, beim Gerichtshof e<strong>in</strong>gegangen am 14.<br />

März 20<strong>01</strong>, hat die Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz des Fürstentums<br />

Liechtenste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Antrag auf Erlass e<strong>in</strong>er Vorlageentscheidung im Verfahren<br />

über die gegen die Entscheidung <strong>der</strong> Regierung des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong><br />

gerichtete Beschwerde des Dr. Mart<strong>in</strong> Franz Pucher (nachstehend:<br />

Beschwerdeführer) gestellt.<br />

2. Der Rechtsstreit vor <strong>der</strong> Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz betrifft die Frage,<br />

ob e<strong>in</strong>e liechtenste<strong>in</strong>ische Rechtsvorschrift, nach <strong>der</strong> wenigstens e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong><br />

Verwaltung e<strong>in</strong>er Verbandsperson dauernd <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> wohnhaft se<strong>in</strong> muss,<br />

mit dem EWR-Abkommen vere<strong>in</strong>bar ist.<br />

II.<br />

Rechtlicher H<strong>in</strong>tergrund<br />

EWR-Recht<br />

3. Die Fragen des nationalen Gerichts betreffen die Auslegung <strong>der</strong> Artikel<br />

4,31 und 33 des EWR-Abkommens (EWRA).<br />

4. Artikel 4 EWRA lautet:


– 2 –<br />

“Unbeschadet beson<strong>der</strong>er Bestimmungen dieses Abkommens ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Anwendungsbereich jede Diskrim<strong>in</strong>ierung aus Gründen <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit<br />

verboten.”<br />

5. Artikel 31 EWRA lautet:<br />

“(1) Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt die freie Nie<strong>der</strong>lassung von<br />

Staatsangehörigen e<strong>in</strong>es EG-Mitgliedstaats o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es <strong>EFTA</strong>-Staates im<br />

Hoheitsgebiet e<strong>in</strong>es dieser Staaten ke<strong>in</strong>en Beschränkungen. Das gilt<br />

gleichermassen für die Gründung von Agenturen, Zweignie<strong>der</strong>lassungen o<strong>der</strong><br />

Tochtergesellschaften durch Angehörige e<strong>in</strong>es EG-Mitgliedstaats o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />

<strong>EFTA</strong>-Staates, die im Hoheitsgebiet e<strong>in</strong>es dieser Staaten ansässig s<strong>in</strong>d.<br />

Vorbehaltlich des Kapitels 4 umfasst die Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit die Aufnahme<br />

und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und<br />

Leitung von Unternehmen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e von Gesellschaften im S<strong>in</strong>ne des<br />

Artikels 34 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für se<strong>in</strong>e<br />

eigenen Angehörigen.<br />

(2) Die beson<strong>der</strong>en Bestimmungen über das Nie<strong>der</strong>lassungsrecht s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den<br />

Anhängen VIII bis XI enthalten.”<br />

6. Artikel 33 EWRA lautet:<br />

“Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen<br />

bee<strong>in</strong>trächtigen nicht die Anwendbarkeit <strong>der</strong> Rechts- und<br />

Verwaltungsvorschriften, die e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Regelung für Auslän<strong>der</strong> vorsehen<br />

und aus Gründen <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung, Sicherheit o<strong>der</strong> Gesundheit<br />

gerechtfertigt s<strong>in</strong>d.”<br />

Nationales Recht<br />

7. Das vor <strong>der</strong> Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz beanstandete nationale Recht<br />

ist das Personen- und Gesellschaftsrecht vom 20. Jänner 1926 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

geän<strong>der</strong>ten Fassung (nachstehend: PGR).<br />

8. Artikel 180a PGR lautet:<br />

“(1)Wenigstens e<strong>in</strong> zur Geschäftsführung und Vertretung befugtes Mitglied <strong>der</strong><br />

Verwaltung e<strong>in</strong>er Verbandsperson muss e<strong>in</strong> dauernd im Inland wohnhafter<br />

Staatsangehöriger e<strong>in</strong>es EWR-Mitgliedstaats se<strong>in</strong> und die <strong>in</strong>ländische<br />

Berufszulassung als Rechtsanwalt, Rechtsagent, Treuhän<strong>der</strong> o<strong>der</strong><br />

Wirtschaftsprüfer besitzen.<br />

(2) Gleichgestellt s<strong>in</strong>d im Inland wohnhafte Personen, die e<strong>in</strong>en den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen von Abs. 1 entsprechenden, von <strong>der</strong> Regierung durch Gesetz<br />

o<strong>der</strong> Staatsvertrag anerkannten Ausbildungsnachweis besitzen, zu e<strong>in</strong>em<br />

Rechtsanwalt, Rechtsagenten, Treuhän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Wirtschaftsprüfer, zu e<strong>in</strong>er<br />

Treuhandgesellschaft o<strong>der</strong> Revisionsgesellschaft o<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er Bank <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

hauptberuflichen Dienstverhältnis stehen und ihre Tätigkeit im S<strong>in</strong>ne von Abs. 1<br />

im Rahmen dieses Dienstverhältnisses ausüben. Für Auslän<strong>der</strong>, die nicht


– 3 –<br />

Staatsangehörige e<strong>in</strong>es EWR-Mitgliedstaats s<strong>in</strong>d, ist die<br />

Nie<strong>der</strong>lassungsbewilligung erfor<strong>der</strong>lich.<br />

(3) Von <strong>der</strong> Verpflichtung gemäss Abs. 1 s<strong>in</strong>d Verbandspersonen ausgenommen,<br />

die aufgrund des Gewerbegesetzes o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en Spezialgesetzes e<strong>in</strong>en<br />

befähigten Geschäftsführer besitzen müssen.” 1<br />

III.<br />

Sachverhalt und Verfahren<br />

9. Der Beschwerdeführer, Dr. Mart<strong>in</strong> Franz Pucher, ist e<strong>in</strong> österreichischer<br />

Staatsbürger mit Wohnsitz <strong>in</strong> Feldkirch, Österreich. Wie aus dem Antrag <strong>der</strong><br />

Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz auf Vorlageentscheidung hervorgeht, besitzt <strong>der</strong><br />

Beschwerdeführer <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> die Berufszulassung als Treuhän<strong>der</strong> und ist<br />

Geschäftsführer e<strong>in</strong>er liechtenste<strong>in</strong>ischen Treuhandgesellschaft mit Sitz <strong>in</strong><br />

Liechtenste<strong>in</strong>. Die liechtenste<strong>in</strong>ischen Behörden haben es abgelehnt, ihm e<strong>in</strong>e<br />

dauerhafte Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.<br />

10. Am 29. September 1999 beantragte <strong>der</strong> Beschwerdeführer beim Amt für<br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungen des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong> die Erteilung e<strong>in</strong>er<br />

Bewilligung gemäss Artikel 180a PGR. Das Amt für F<strong>in</strong>anzdienstleistungen<br />

lehnte die Erteilung <strong>der</strong> beantragten Bewilligung im Wesentlichen mit <strong>der</strong><br />

Begründung ab, <strong>der</strong> Beschwerdeführer habe zu dieser Zeit <strong>in</strong> Österreich gewohnt<br />

und daher nicht das Erfor<strong>der</strong>nis des dauerhaften Wohnsitzes <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong><br />

nach Artikel 180a erfüllt.<br />

11. Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde an die Regierung des<br />

Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong> mit dem Antrag, die Entscheidung des Amtes für<br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungen aufzuheben und ihm die Bewilligung zu erteilen. Die<br />

Regierung des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong> wies die Beschwerde mit Entscheidung<br />

vom 19. September 2000 ab.<br />

12. Gegen diese Entscheidung erhob <strong>der</strong> Beschwerdeführer Beschwerde an<br />

die Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz. Im Verfahren vor <strong>der</strong><br />

Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz macht er geltend, das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis des<br />

Artikels 180a PGR sei unvere<strong>in</strong>bar mit dem EWR-Abkommen.<br />

13. Die Verwaltungsbeschwerde<strong>in</strong>stanz hat beschlossen, e<strong>in</strong>en Antrag auf<br />

Vorlageentscheidung an den <strong>EFTA</strong>-Gerichtshof zu richten.<br />

IV.<br />

Fragen<br />

14. Folgende Fragen s<strong>in</strong>d dem <strong>EFTA</strong>-Gerichtshof vorgelegt worden:<br />

1<br />

Der Text <strong>der</strong> Fussnote im englischen Text ist nicht relevant für die deutsche Übersetzung.


– 4 –<br />

Stellt das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis von Artikel 180a Absatz 1 PGR e<strong>in</strong>e<br />

offene o<strong>der</strong> versteckte Diskrim<strong>in</strong>ierung aus Gründen <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit gemäss Artikel 4 EWR-Abkommen dar, o<strong>der</strong><br />

stellt dieses Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis e<strong>in</strong>e Beschränkung des Rechts auf<br />

freie Nie<strong>der</strong>lassung gemäss Artikel 31 EWR-Abkommen dar? 2<br />

Wenn die Frage 1 bejaht wird: Ist die Diskrim<strong>in</strong>ierung bzw.<br />

Beschränkung aus Gründen des Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresses, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> öffentlichen Ordnung und Sicherheit (siehe Artikel 33 EWR-<br />

Abkommen), gerechtfertigt?<br />

V. Schriftliche Erklärungen<br />

15. Gemäss Artikel 20 <strong>der</strong> Satzung des <strong>EFTA</strong>-Gerichtshofs und Artikel 97 <strong>der</strong><br />

Verfahrensordnung haben schriftliche Erklärungen abgegeben:<br />

- <strong>der</strong> Beschwerdeführer, Dr. Mart<strong>in</strong> Franz Pucher, <strong>in</strong> eigener Person;<br />

- die Regierung des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong>, vertreten durch Beatrice<br />

Hill, Stellvertretende Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stabsstelle EWR-Abkommen <strong>der</strong><br />

Regierung des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong>;<br />

- die Regierung von Island, vertreten durch Anna Jóhannsdóttir, Beamt<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Rechtsabteilung des M<strong>in</strong>isteriums für auswärtige Angelegenheiten, als<br />

Bevollmächtigte;<br />

- die Regierung von Norwegen, vertreten durch Helge Seland,<br />

Stellvertreten<strong>der</strong> Generaldirektor, M<strong>in</strong>isterium für auswärtige<br />

Angelegenheiten, als Bevollmächtigten;<br />

- die <strong>EFTA</strong>-Überwachungsbehörde, vertreten durch Michael Sánchez<br />

Rydelski und Elisabethann Wright, Beamte <strong>der</strong> Abteilung Rechtliche und<br />

exekutive Angelegenheiten, als Bevollmächtigte;<br />

- die Kommission <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaften, vertreten durch John<br />

Forman und Maria Patakia, Rechtsberater, Juristischer Dienst, als<br />

Bevollmächtigte.<br />

Dr. Mart<strong>in</strong> Franz Pucher<br />

16. Der Beschwerdeführer, Dr. Mart<strong>in</strong> Franz Pucher, leitet se<strong>in</strong>e Erörterung<br />

<strong>der</strong> Frage, ob das beanstandete Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis gegen Artikel 31 EWR-<br />

Abkommen verstösst, mit <strong>der</strong> Feststellung e<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Gerichtshof <strong>der</strong> Europäischen<br />

2<br />

Der Text <strong>der</strong> Fussnote im englischen Text ist nicht relevant für die deutsche Übersetzung.


– 5 –<br />

Geme<strong>in</strong>schaften <strong>in</strong>terpretiere die entsprechende Bestimmung des EG-Vertrags<br />

als allgeme<strong>in</strong>es Verbot <strong>der</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierung und von Beschränkungen <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit.<br />

17. Das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis bewirke e<strong>in</strong>e versteckte Diskrim<strong>in</strong>ierung im<br />

S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Urteile Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann von Wien 3 und<br />

Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g 4 . Das Erfor<strong>der</strong>nis sei e<strong>in</strong>e nationale Massnahme, die die<br />

Ausübung <strong>der</strong> durch das EWR-Abkommen garantierten grundlegenden Freiheit<br />

<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassung beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong> weniger attraktiv machen könne, aber ke<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>zige <strong>der</strong> im Urteil Gebhard./.Consiglio dell’Ord<strong>in</strong>e degli Avvocati e<br />

Procuratori di Milano 5 aufgestellten Voraussetzungen für ihren Bestand erfülle.<br />

18. Die beanstandete nationale Bestimmung sei durch ke<strong>in</strong>en <strong>der</strong> <strong>in</strong> Artikel 33<br />

EWR-Abkommen genannten Gründe des Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresses gerechtfertigt.<br />

Entgegen <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong> liechtenste<strong>in</strong>ischen Regierung sei das<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis nicht geeignet, dem angeblich verfolgten Zweck zu dienen,<br />

dass wenigstens e<strong>in</strong> verantwortliches Mitglied <strong>der</strong> Verwaltung je<strong>der</strong>zeit<br />

ansprechbar und notfalls auch greifbar se<strong>in</strong> müsse.<br />

19. Das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis sei re<strong>in</strong> formalrechtlicher Natur und gewährleiste<br />

nicht, dass e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Verwaltung erreichbar o<strong>der</strong> greifbar sei, da es dieses<br />

nicht zu ständiger Anwesenheit <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> verpflichte.<br />

20. Auch e<strong>in</strong>e allenfalls entstandene Haftung <strong>der</strong> juristischen Person werde<br />

durch das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis nicht leichter exekutierbar. Zur effektiven<br />

Durchsetzbarkeit e<strong>in</strong>er solchen Haftung fehle es dem Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis an<br />

Zusatzkriterien, wie etwa Massnahmen zur Sicherstellung <strong>der</strong> tatsächlichen<br />

Anwesenheit des Mitglieds <strong>der</strong> Verwaltung o<strong>der</strong> dem Vorhandense<strong>in</strong> greifbarer<br />

Vermögenswerte.<br />

21. Der Verweis <strong>der</strong> liechtenste<strong>in</strong>ischen Regierung darauf, dass Liechtenste<strong>in</strong><br />

dem Übere<strong>in</strong>kommen von Lugano 6 nicht beigetreten sei, gehe fehl. Die<br />

Durchsetzung e<strong>in</strong>er gerichtlichen Entscheidung gegen e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong><br />

Verwaltung, das sich dem durch Flucht entziehen wolle, sei gleich schwierig, ob<br />

dieses nun das formale Erfor<strong>der</strong>nis e<strong>in</strong>es Wohnsitzes <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> erfülle o<strong>der</strong><br />

nicht.<br />

22. Auch das Argument <strong>der</strong> liechtenste<strong>in</strong>ischen Regierung, e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong><br />

Verwaltung mit Wohnsitz <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> könne sich zw<strong>in</strong>genden<br />

Rechtsvorschriften schwerer entziehen als e<strong>in</strong> solches mit Wohnsitz im Ausland,<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

EuGH C-350/96 Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann von Wien, Slg.1998, I-2521.<br />

E-3/98 Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g [1998] <strong>EFTA</strong> <strong>Court</strong> Report 205.<br />

EuGH C-55/94 Gebhard./.Consiglio dell’Ord<strong>in</strong>e degli Avvocati e Procuratori di Milano,<br />

Slg.1995, I-4165.<br />

Übere<strong>in</strong>kommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die<br />

Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen <strong>in</strong> Zivil- und Handelssachen (ABl.1988 L 319, S. 9).


– 6 –<br />

sei zurückzuweisen, da <strong>der</strong>artige Rechtsvorschriften die gleiche zw<strong>in</strong>gende<br />

Geltung für Personen mit Wohnsitz im Ausland hätten.<br />

23. Überdies sei – entgegen <strong>der</strong> von <strong>der</strong> liechtenste<strong>in</strong>ischen Regierung<br />

vertretenen Ansicht – das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis zur Stärkung des Ansehens des<br />

F<strong>in</strong>anzplatzes Liechtenste<strong>in</strong> nicht geeignet. Aus den bereits genannten Gründen<br />

sei e<strong>in</strong> solches formales Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis e<strong>in</strong> für den Gläubigerschutz<br />

ungeeignetes Mittel.<br />

24. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die beanstandete nationale<br />

Bestimmung geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, se<strong>in</strong>en Beruf als Treuhän<strong>der</strong> frei und ohne Beschränkung<br />

auszuüben. Um als Mitglied <strong>der</strong> Verwaltung e<strong>in</strong>er liechtenste<strong>in</strong>ischen<br />

Verbandsperson agieren zu können, müsse er e<strong>in</strong>en dafür zu entlohnenden<br />

Berufskollegen mit Wohnsitz <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> beiziehen. Dies beh<strong>in</strong><strong>der</strong>e ihn <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ausübung se<strong>in</strong>es Berufs.<br />

25. Nach Geme<strong>in</strong>schaftsrecht sei e<strong>in</strong>e Person dort wohnhaft, wo sie dauernd<br />

Räumlichkeiten <strong>in</strong>nehabe mit <strong>der</strong> Absicht, regelmässig dorth<strong>in</strong> wie<strong>der</strong>zukehren.<br />

Er, <strong>der</strong> Beschwerdeführer, erfülle diese Voraussetzungen und sei daher für die<br />

Zwecke <strong>der</strong> beanstandeten Bestimmung auch als dauernd <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong><br />

wohnhaft anzusehen. Er sei geprüfter und e<strong>in</strong>getragener liechtenste<strong>in</strong>ischer<br />

Treuhän<strong>der</strong>. Er habe e<strong>in</strong>e Kanzlei <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong>, die die Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

e<strong>in</strong>e Wohnung erfülle, und verfüge über e<strong>in</strong>e Bewilligung zur Ausübung se<strong>in</strong>es<br />

Berufs <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> und zum durchgehenden Aufenthalt dort an m<strong>in</strong>destens<br />

fünf Tagen pro Woche.<br />

Die Regierung des Fürstentums Liechtenste<strong>in</strong><br />

26. Die liechtenste<strong>in</strong>ische Regierung trägt vor, die Frage <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>barkeit<br />

des Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nisses des Artikels 180a PGR mit Artikel 31 EWRA müsse<br />

unter Berücksichtigung des rechtlichen und tatsächlichen Kontexts dieser<br />

Bestimmung <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> geprüft werden, namentlich <strong>der</strong> Bedeutung des<br />

Funktionierens des Sektors <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungen für die liechtenste<strong>in</strong>ische<br />

Wirtschaft und <strong>der</strong> liberalen Haltung Liechtenste<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Bezug auf die Regelung<br />

dieses Sektors, durch die günstige Bed<strong>in</strong>gungen für dessen Tätigkeit geschaffen<br />

werden sollten.<br />

27. Liechtenste<strong>in</strong> folge dabei <strong>der</strong> Inkorporationstheorie, wonach für die<br />

Anwendung des PGR <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> E<strong>in</strong>tragung e<strong>in</strong>er Gesellschaft entscheidend sei<br />

und nicht <strong>der</strong> Ort des Sitzes <strong>der</strong> zentralen Verwaltung o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Hauptgeschäftsort. Die liberalen Regeln des PGR gälten für alle <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>getragenen juristischen Personen.<br />

28. Die meisten <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getragenen Gesellschaften seien solche,<br />

die ke<strong>in</strong>e Geschäftstätigkeit <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> ausübten (Sitzgesellschaften). Das<br />

PGR unterscheide zwischen solchen Gesellschaften und Gesellschaften, die <strong>in</strong>


– 7 –<br />

Liechtenste<strong>in</strong> tätig seien (aktive Gesellschaften), <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weise, dass nur die<br />

erstgenannten dem Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis unterlägen.<br />

29. Das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis für Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung von <strong>in</strong><br />

Liechtenste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getragenen Gesellschaften müsse im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Bestimmung gesehen werden, wonach alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung e<strong>in</strong>er<br />

solchen Gesellschaft zur Geschäftsführung befugt seien.<br />

30. Bestimmte M<strong>in</strong>desterfor<strong>der</strong>nisse, darunter das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis nach<br />

dem PGR, seien notwendig, um den Missbrauch <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Gesetz<br />

vorgesehenen liberalen Regeln zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Zweck des beanstandeten<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nisses sei es, das Funktionieren und den guten Ruf des<br />

liechtenste<strong>in</strong>ischen Sektors <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungen zu gewährleisten, unter<br />

an<strong>der</strong>em durch die Sicherstellung <strong>der</strong> Durchsetzung des geltenden Rechts.<br />

31. Das PGR bewirke ke<strong>in</strong>e Beschränkung des Zugangs zum Beruf des<br />

Treuhän<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ausübung dieses Berufes. Es stelle nur die<br />

M<strong>in</strong>destanfor<strong>der</strong>ungen auf, denen e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Verwaltung e<strong>in</strong>er<br />

Sitzgesellschaft genügen müsse. Zur Stützung dieses Vorbr<strong>in</strong>gens weist die<br />

liechtenste<strong>in</strong>ische Regierung darauf h<strong>in</strong>, dass die liechtenste<strong>in</strong>ischen Behörden<br />

dem Beschwerdeführer die Bewilligung erteilt hätten, als Treuhän<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Liechtenste<strong>in</strong> tätig zu se<strong>in</strong>. Der Zugang zum Beruf des Treuhän<strong>der</strong>s und dessen<br />

Ausübung seien im Treuhän<strong>der</strong>sgesetz geregelt.<br />

32. Die beanstandete nationale Bestimmung gelte für liechtenste<strong>in</strong>ische<br />

Staatsangehörige und Angehörige an<strong>der</strong>er EWR-Mitgliedstaaten gleichermassen,<br />

es gebe ke<strong>in</strong>e offene Diskrim<strong>in</strong>ierung aus Gründen <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit, die<br />

zu e<strong>in</strong>er Artikel 31 EWRA zuwi<strong>der</strong>laufenden Beschränkung führte. Zudem stehe<br />

die Verweigerung <strong>der</strong> Aufenthaltsbewilligung an den Beschwerdeführer im<br />

E<strong>in</strong>klang mit dem Beschluss des Geme<strong>in</strong>samen EWR-Ausschusses Nr.<br />

191/1999 7 , nach dem Liechtenste<strong>in</strong> jährlich nur e<strong>in</strong>e begrenzte Zahl von<br />

Aufenthaltsbewilligungen zu erteilen brauche.<br />

33. Zwar folge aus <strong>der</strong> Rechtsprechung 8 des Gerichtshofs <strong>der</strong> Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaften und des <strong>EFTA</strong>-Gerichtshofs, das nationale Bestimmungen, die<br />

e<strong>in</strong>e Unterscheidung nach dem Wohnsitz träfen, geeignet seien, vor allem zum<br />

Nachteil von Angehörigen an<strong>der</strong>er <strong>EFTA</strong>-Staaten zu wirken, da Personen ohne<br />

Wohnsitz im Inland <strong>in</strong> ihrer Mehrheit Auslän<strong>der</strong> seien. Nach <strong>der</strong><br />

7<br />

8<br />

Beschluss des Geme<strong>in</strong>samen EWR-Ausschusses Nr. 191/1999 über die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Anhänge<br />

VIII (Nie<strong>der</strong>lassungsrecht) und V (Freizügigkeit <strong>der</strong> Arbeitnehmer) des EWR-Abkommens<br />

(ABl.20<strong>01</strong> L 74, S. 29).<br />

EuGH C-279/93 Schumacker, Slg.1995, I-225; EuGH C-221/89 Factortame u. a., Slg. 1991, I-<br />

3905; E-3/98 Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g [1998] <strong>EFTA</strong> <strong>Court</strong> Report 205.


– 8 –<br />

Rechtsprechung 9 des Gerichtshofes <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaften sei das<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis jedoch objektiv gerechtfertigt.<br />

34. Die Wirtschaft Liechtenste<strong>in</strong>s hänge <strong>in</strong> erheblichem Masse vom Sektor<br />

<strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungen ab. Bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Bedeutung dieses Sektors<br />

für Liechtenste<strong>in</strong> müsse die beson<strong>der</strong>e Situation des Landes im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

berücksichtigt werden, wie sie vom EWR-Rat 10 und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtsprechung des<br />

<strong>EFTA</strong>-Gerichtshofs 11 anerkannt worden sei. Zudem unterscheide sich <strong>der</strong><br />

liechtenste<strong>in</strong>ische Sektor <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungen von an<strong>der</strong>en<br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungssektoren dadurch, dass er auf e<strong>in</strong>en sehr engen Bereich von<br />

Spezialdienstleistungen beschränkt sei.<br />

35. Massnahmen zum Schutz gegen Missbrauch des Sektors <strong>der</strong><br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungen müssten vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Bedeutung<br />

dieses Sektors <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> gesehen werden. Das Land habe e<strong>in</strong>en Ruf als<br />

führendes F<strong>in</strong>anzzentrum. Wenn <strong>der</strong> Sektor <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungen <strong>in</strong> Verruf<br />

gerate, werde dadurch das Ansehen des Landes <strong>in</strong>sgesamt geschädigt. Im<br />

Rahmen <strong>der</strong> liberalen Regeln des liechtenste<strong>in</strong>ischen<br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungssektors sei die Beachtung <strong>der</strong> M<strong>in</strong>desterfor<strong>der</strong>nisse<br />

wesentlich, um Missbräuche des Systems zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

36. Der Hauptzweck des Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nisses sei es, die ständige Präsenz<br />

m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung juristischer Personen <strong>in</strong><br />

Liechtenste<strong>in</strong> sicherzustellen. E<strong>in</strong>e solche ständige Verb<strong>in</strong>dung mit Liechtenste<strong>in</strong><br />

sei unerlässlich für die Durchsetzung des geltenden Rechts. Der<br />

liechtenste<strong>in</strong>ische Gesetzgeber habe das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis aufgestellt, um die<br />

effektive Kontrolle <strong>der</strong> Tätigkeit des F<strong>in</strong>anzsektors sicherzustellen, die Gefahr<br />

des Missbrauchs von Sitzgesellschaften zum Nachteil <strong>der</strong> Investoren zu<br />

m<strong>in</strong>imieren und die Verletzung an<strong>der</strong>er Rechtsvorschriften, darunter solcher des<br />

Straf- und des Steuerrechts, zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Unter den <strong>in</strong> Betracht kommenden<br />

Massnahmen sei das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis als die am wenigstens restriktive<br />

angesehen worden.<br />

37. Wie sich aus dem Urteil Bachmann 12 ergebe, könne die Notwendigkeit,<br />

die effektive Durchsetzung des geltenden Rechts zu sichern, Beschränkungen <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit rechtfertigen. Die von Liechtenste<strong>in</strong> mit dem Erlass des<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nisses verfolgten Ziele seien auch vom Generalanwalt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

EuGH C-237/94 O’Flynn./.Adjucation Officer, Slg.1996, I-2617; EuGH C-204/90 Bachmann,<br />

Slg.1992, I-249; EuGH C-111/91 Kommission./.Luxemburg, Slg.1993, I-817; EuGH C-259/91,<br />

C-331/91 und C-332/91 Allué u. a., Slg.1993, I-4309.<br />

Erklärung über die Freizügigkeit (ABl.1995 L 86, S. 80).<br />

E-4/00 Brändle, Urteil vom 14. Juni 20<strong>01</strong>, noch nicht veröffentlicht; E-3/98 Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g<br />

[1998] <strong>EFTA</strong> <strong>Court</strong> Report 205.<br />

EuGH C-204/90 Bachmann, Slg.1992, I-249.


– 9 –<br />

Schlussanträgen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtssache</strong> Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann<br />

von Wien 13 anerkannt worden.<br />

38. Im Urteil Centros 14 sche<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Gerichtshof <strong>der</strong> Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaften <strong>der</strong> von Liechtenste<strong>in</strong> im PGR umgesetzten<br />

Inkorporationstheorie den Vorzug zu geben. Wenn man aber diesem liberalen<br />

Ansatz folge, sei es erfor<strong>der</strong>lich, Massnahmen zur Beobachtung <strong>der</strong><br />

Gechäftstätigkeit zu erlassen, Korrekturmassnahmen zu ergreifen und im<br />

Bedarfsfall e<strong>in</strong>zuschreiten.<br />

39. Im Urteil Alp<strong>in</strong>e Investments 15 habe <strong>der</strong> Gerichtshof <strong>der</strong> Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaften ausgeführt, dass <strong>der</strong> gute Ruf des nationalen Sektors <strong>der</strong><br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungen e<strong>in</strong> zw<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Grund des Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresses se<strong>in</strong><br />

könne, <strong>der</strong> Beschränkungen <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen<br />

vermöge. Da das beanstandete Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis auf den gleichen objektiven<br />

Erwägungen beruhe, sei es gerechtfertigt. Insoweit sei auch auf das Urteil<br />

Pastoors und Trans-Cap 16 zu verweisen.<br />

40. Das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis sei e<strong>in</strong> geeignetes, erfor<strong>der</strong>liches und<br />

angemessenes Mittel zum Schutz des guten Rufes des Sektors <strong>der</strong><br />

F<strong>in</strong>anzdienstleistungen.<br />

41. Die Wahrung des guten Rufes des nationalen F<strong>in</strong>anzdienstleistungssektors<br />

möge e<strong>in</strong> allen Staaten geme<strong>in</strong>sames Ziel se<strong>in</strong>, doch könnten je nach den<br />

beson<strong>der</strong>en, systembed<strong>in</strong>gten Umständen unterschiedliche Mittel zur Erreichung<br />

dieses Zieles geeignet und erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong>.<br />

42. In Liechtenste<strong>in</strong> seien die meisten Gesellschaften Sitzgesellschaften, <strong>der</strong>en<br />

Geschäftstätigkeit im Ausland liege, wo die liechtenste<strong>in</strong>ischen Behörden nur<br />

begrenzten E<strong>in</strong>fluss und begrenzte Kontrollmöglichkeiten hätten. Abgesehen von<br />

dem gefor<strong>der</strong>ten Wohnsitz e<strong>in</strong>es Mitglieds <strong>der</strong> Verwaltung <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong><br />

könne die e<strong>in</strong>zige Verb<strong>in</strong>dung zwischen e<strong>in</strong>er Sitzgesellschaft und Liechtenste<strong>in</strong><br />

die E<strong>in</strong>tragung se<strong>in</strong>.<br />

43. Es bestünden wesentliche rechtliche und tatsächliche Unterschiede<br />

zwischen <strong>der</strong> vorliegenden <strong>Rechtssache</strong> und den <strong>Rechtssache</strong>n Ra<strong>in</strong>ford-<br />

Town<strong>in</strong>g 17 und Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann von Wien 18 . Die<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nisse, um die es <strong>in</strong> jenen <strong>Rechtssache</strong>n gegangen sei, hätten für<br />

im Inland aktive Gesellschaften gegolten, während das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis im<br />

vorliegenden Fall nur für Sitzgesellschaften gelte. Sitzgesellschaften bedürften<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

Vgl. FN 3.<br />

EuGH C-212/97 Centros, Slg.1999, I-1459.<br />

EuGH C-384/93 Alp<strong>in</strong>e Investments, Slg.1995, I-1141.<br />

EuGH C-29/95 Pastoors und Trans-Cap, Slg.1997, I-285.<br />

Vgl. FN 4.<br />

Vgl. FN 3.


– 10 –<br />

e<strong>in</strong>er strengeren Kontrolle. Insoweit sei auf das Urteil Arblade u. a. 19<br />

verweisen.<br />

zu<br />

44. Nach liechtenste<strong>in</strong>ischem Recht hafteten Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung<br />

grundsätzlich für alle Schäden, die aus ihrem vorsätzlichen o<strong>der</strong> fahrlässigen<br />

Handeln o<strong>der</strong> Unterlassen entstünden. Um das ordnungsgemässe Funktionieren<br />

des Sektors <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzdienstleistungen sicherzustellen, genüge es nicht, die<br />

Haftung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung theoretisch vorzusehen.<br />

Haftungsansprüche müssten auch wirksam durchgesetzt werden können. Die<br />

Durchsetzung setze e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende Verb<strong>in</strong>dung zwischen <strong>der</strong> betroffenen<br />

Gesellschaft und Liechtenste<strong>in</strong> voraus.<br />

45. Das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis sei zum Schutz <strong>der</strong> Investoren und Verbraucher<br />

notwendig. Auf dem Gebiet des Zivilrechts sei die Vollstreckung von Urteilen<br />

schwierig, da Liechtenste<strong>in</strong> dem Brüsseler Übere<strong>in</strong>kommen 20 und dem<br />

Übere<strong>in</strong>kommen von Lugano 21 nicht beigetreten sei. Die Anerkennung von<br />

Haftungsansprüchen gegen e<strong>in</strong> nicht <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> wohnhaftes Mitglied <strong>der</strong><br />

Verwaltung sei nicht gewährleistet. Auf dem Gebiet des Strafrechts könne e<strong>in</strong><br />

Urteil nur auf dem Wege <strong>der</strong> Rechtshilfe im Rahmen des Europäischen<br />

Übere<strong>in</strong>kommens über Rechtshilfe <strong>in</strong> Strafsachen vollstreckt werden, was e<strong>in</strong><br />

kompliziertes und zeitaufwendiges Verfahren bedeute. Das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis<br />

stelle sicher, dass wenigstens e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung das Risiko<br />

persönlicher Haftung o<strong>der</strong> strafrechtlicher Verantwortlichkeit bewusst sei, und<br />

för<strong>der</strong>e so <strong>der</strong>en qualitatives Engagement <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschäftsführung von <strong>in</strong><br />

Liechtenste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getragenen Gesellschaften.<br />

46. E<strong>in</strong>e wirksame Überwachung setze voraus, wie <strong>der</strong> Generalanwalt <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en Schlussanträgen <strong>in</strong> Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann von Wien 22<br />

anerkannt habe, dass alle Unterlagen <strong>betreffend</strong> e<strong>in</strong>e Sitzgesellschaft den<br />

liechtenste<strong>in</strong>ischen Verwaltungsbehörden zugänglich se<strong>in</strong> müssten. Insoweit sei<br />

auch auf das Urteil Arblade u. a. 23 zu verweisen.<br />

47. An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtssache</strong> Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann<br />

von Wien 24 stelle im vorliegenden Fall die Möglichkeit <strong>der</strong> Zustellung e<strong>in</strong>es<br />

Strafbescheids am Ort <strong>der</strong> Sitzgesellschaft ke<strong>in</strong>e gangbare Alternative dar. Nur<br />

das <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> wohnhafte Mitglied <strong>der</strong> Verwaltung sei für die<br />

liechtenste<strong>in</strong>ischen Behörden greifbar.<br />

19<br />

20<br />

21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

EuGH C-369/96 und C-376/96 Arblade u. a., Slg.1999, I-8453.<br />

Übere<strong>in</strong>kommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die<br />

Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen <strong>in</strong> Zivil- und Handelssachen (ABl.1972 L 299, S.<br />

32).<br />

Vgl. FN 6.<br />

Vgl. FN 3.<br />

Vgl. FN 19.<br />

Vgl. FN 3.


– 11 –<br />

48. Der vorliegende Fall unterscheide sich auch <strong>in</strong>sofern vom Sachverhalt <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Rechtssache</strong> Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann von Wien 25 , als das<br />

Erfor<strong>der</strong>nis e<strong>in</strong>er Sicherheitsleistung, um die Vollstreckung von<br />

Haftungsansprüchen o<strong>der</strong> Geldstrafen gegen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung zu<br />

sichern, <strong>in</strong> <strong>der</strong> hier <strong>in</strong> Rede stehenden Situation höchst problematisch sei, da die<br />

möglichen Ansprüche die h<strong>in</strong>terlegte Sicherheit um e<strong>in</strong> Vielfaches übersteigen<br />

könnten.<br />

49. Auch e<strong>in</strong>e Haftpflichtversicherung sei ke<strong>in</strong> geeignetes Mittel, um die<br />

Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegen Verwaltungsräte sicherzustellen,<br />

da e<strong>in</strong>e solche Versicherung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel grob fahrlässiges o<strong>der</strong> vorsätzliches<br />

Handeln nicht decke und direkte Ansprüche Dritter ausschliesse.<br />

50. Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen kommt die liechtenste<strong>in</strong>ische<br />

Regierung zu dem Schluss, dass das im Ausgangsverfahren streitige<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis objektiv gerechtfertigt sei und deshalb nicht <strong>der</strong> <strong>in</strong> Artikel<br />

31 EWRA normierten Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit zuwi<strong>der</strong>laufe.<br />

Die isländische Regierung<br />

51. Die isländische Regierung trägt vor, die beanstandete nationale<br />

Bestimmung laufe Artikel 31 EWRA über die Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit <strong>in</strong>sofern<br />

zuwi<strong>der</strong>, als sie verlange, dass e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Verwaltung e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />

se<strong>in</strong>en bisherigen Wohnsitz aufgeben und e<strong>in</strong>en Wohnsitz im fraglichen Land<br />

begründen müsse, nur um dort e<strong>in</strong>e Gesellschaft gründen zu können.<br />

52. Unter H<strong>in</strong>weis auf die Urteile Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann<br />

von Wien 26 und Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g 27 macht die isländische Regierung geltend,<br />

das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis stelle e<strong>in</strong>e mittelbare Diskrim<strong>in</strong>ierung dar, da es auch<br />

Beschränkungen des Rechts auf Erlangung e<strong>in</strong>er Aufenthaltsbewilligung gebe.<br />

Insoweit sei auch auf die Urteile Mer<strong>in</strong>o García./.Bundesanstalt für Arbeit 28 ,<br />

Schumacker 29 und Kommission ./. Belgien 30 zu verweisen.<br />

53. Die streitige nationale Bestimmung könne auch nicht aus Gründen <strong>der</strong><br />

öffentlichen Ordnung o<strong>der</strong> Sicherheit nach Artikel 33 EWRA gerechtfertigt<br />

werden, wie die Urteile Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g 31 , Clean Car<br />

25<br />

26<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

Vgl. FN 3.<br />

Vgl. FN 3.<br />

Vgl. FN 4.<br />

EuGH C-266/95 Mer<strong>in</strong>o García./.Bundesanstalt für Arbeit, Slg.1997, I-3279.<br />

EuGH C-279/93 Schumacker, Slg.1995, I-225.<br />

EuGH C-203/98 Kommission./.Belgien, Slg.1999, I-4899.<br />

Vgl. FN 4.


– 12 –<br />

Autoservice./.Landeshauptmann von Wien 32 und Reg<strong>in</strong>a./.Bouchereau 33 zeigten.<br />

Die hier vorliegenden Angaben liessen nicht erkennen, dass ohne e<strong>in</strong> solches<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis grundlegende gesellschaftliche Belange ernsthaft gefährdet<br />

wären.<br />

Die norwegische Regierung<br />

54. Die norwegische Regierung ist <strong>der</strong> Ansicht, dass das streitige Erfor<strong>der</strong>nis<br />

des dauernden Wohnsitzes mit <strong>der</strong> <strong>in</strong> Artikel 31 EWRA normierten<br />

Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit unvere<strong>in</strong>bar sei. Das Erfor<strong>der</strong>nis gelte zwar für<br />

liechtenste<strong>in</strong>ische Staatsbürger und Staatsangehörige an<strong>der</strong>er <strong>EFTA</strong>-Staaten<br />

gleichermassen, doch laufe es auf e<strong>in</strong>e versteckte Diskrim<strong>in</strong>ierung h<strong>in</strong>aus. Dies<br />

ergebe sich aus <strong>der</strong> Rechtsprechung 34 des Gerichtshofs <strong>der</strong> Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaften und des <strong>EFTA</strong>-Gerichtshofs. Zur Rechtfertigung <strong>der</strong><br />

beanstandeten nationalen Bestimmung seien ke<strong>in</strong>e objektiven, von <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen vorgetragen worden.<br />

55. Unter Bezugnahme auf das Urteil Bond van Advertee<strong>der</strong>s<br />

u.a../.Nie<strong>der</strong>ländischer Staat 35 macht die norwegische Regierung geltend, die<br />

möglichen Gründe für die Rechtfertigung e<strong>in</strong>er diskrim<strong>in</strong>ierenden nationalen<br />

Massnahme seien <strong>in</strong> Artikel 33 EWRA abschliessend aufgeführt. Diese Gründe<br />

müssten eng ausgelegt werden.<br />

56. Der Sachverhalt biete ke<strong>in</strong>en Anhaltspunkt dafür, dass irgende<strong>in</strong><br />

grundlegendes öffentliches Interesse bee<strong>in</strong>trächtigt wäre, wenn nicht wenigstens<br />

e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong>Verwaltung e<strong>in</strong>er Gesellschaft dauernd <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong><br />

wohnhaft wäre. Zur Substantiierung des Vorbr<strong>in</strong>gens, die Qualität <strong>der</strong><br />

liechtenste<strong>in</strong>ischen Gesellschaften müsse verbessert werden, seien ke<strong>in</strong>e<br />

überzeugenden Argumente vorgetragen worden.<br />

57. Die norwegische Regierung kommt zu dem Ergebnis, dass die<br />

beanstandete nationale Bestimmung nicht durch Gründe <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Ordnung, Sicherheit o<strong>der</strong> Gesundheit im S<strong>in</strong>ne des Artikels 33 EWRA<br />

gerechtfertigt werden könne.<br />

32<br />

33<br />

34<br />

35<br />

Vgl. FN 3.<br />

EuGH 30/77 Reg<strong>in</strong>a./.Bouchereau ,Slg.1977, 1999.<br />

EuGH 152/73 Sotgiu./.Deutsche Bundespost, Slg. 1974, 153; EuGH C-3/88<br />

Kommission./.Italien, Slg.1989, 4035; EuGH C-266/95 Mer<strong>in</strong>o García./.Bundesanstalt für<br />

Arbeit, Slg.1997, I-3279; EuGH C-350/96 Clean Car Autoservice./.Landeshauptmann von Wien,<br />

Slg.1998, I-2521; E-3/98 Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g [1998] <strong>EFTA</strong> <strong>Court</strong> Report 205.<br />

EuGH 352/85 Bond van Advertee<strong>der</strong>s u.a../.Nie<strong>der</strong>ländischer Staat, Slg.1988, 2085


– 13 –<br />

Die <strong>EFTA</strong>-Überwachungsbehörde<br />

58. Ihre Erörterung <strong>der</strong> Frage, ob die beanstandete nationale Bestimmung<br />

Artikel zuwi<strong>der</strong>laufe, leitet die <strong>EFTA</strong>-Überwachungsbehörde mit <strong>der</strong> Bemerkung<br />

e<strong>in</strong>, dass das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis ke<strong>in</strong>e unmittelbare Diskrim<strong>in</strong>ierung bewirke.<br />

Die Erteilung e<strong>in</strong>er Bewilligung hänge nicht davon ab, dass <strong>der</strong> Antragsteller die<br />

liechtenste<strong>in</strong>ische Staatsangehörigkeit besitze. In Ermangelung von<br />

Anhaltspunkten für das Gegenteil bewirke das Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis aber e<strong>in</strong>e<br />

mittelbare Diskrim<strong>in</strong>ierung ähnlich <strong>der</strong>jenigen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtssache</strong> Ra<strong>in</strong>ford-<br />

Town<strong>in</strong>g 36 . Die Beweislast dafür, dass die nationale Bestimmung auf objektiven<br />

Erwägungen beruhe, die nichts mit <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit zu tun hätten, trage<br />

die Partei, die dies geltend mache.<br />

59. Die hier vorliegenden Angaben liessen nicht erkennen, dass das<br />

Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis aus Gründen <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung im S<strong>in</strong>ne von Artikel<br />

33 EWRA gerechtfertigt wäre. Der Begriff <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung setze das<br />

Bestehen e<strong>in</strong>er wirklichen, h<strong>in</strong>reichend schwerwiegenden Gefährdung e<strong>in</strong>es<br />

grundlegenden gesellschaftlichen Interesses voraus. Die e<strong>in</strong>zige Erwägung, die<br />

zur Begründung des Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nisses vorgetragen worden sei, sei die<br />

Notwendigkeit, die Qualität <strong>der</strong> liechtenste<strong>in</strong>ischen Hold<strong>in</strong>g-Gesellschaften und<br />

Hauptverwaltungen zu verbessern. In Ermangelung an<strong>der</strong>er Argumente für das<br />

beanstandete Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis und von Angaben, aus denen hervorg<strong>in</strong>ge,<br />

dass zwischen Geschäftsführern und Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Verwaltung entscheidende<br />

Unterschiede bestünden, könne <strong>der</strong> <strong>EFTA</strong>-Gerichtshof die Rechtfertigung durch<br />

schlichte Bezugnahme auf das Urteil Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g 37 verne<strong>in</strong>en. Wenn es<br />

an<strong>der</strong>e, legitime Belange als diejenigen gebe, die <strong>in</strong> jener <strong>Rechtssache</strong> verworfen<br />

worden seien, so könne ihnen mit e<strong>in</strong>em weniger restriktiven Erfor<strong>der</strong>nis<br />

beruflicher Anwesenheit <strong>in</strong> Liechtenste<strong>in</strong> Rechnung getragen werden, e<strong>in</strong>em<br />

Erfor<strong>der</strong>nis, das <strong>der</strong> Beschwerdeführer bereits erfülle.<br />

60. Zur weiteren Stützung ihrer Auffassung beruft sich die <strong>EFTA</strong>-<br />

Überwachungsbehörde auf die Urteile des Gerichtshofs <strong>der</strong> Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaften <strong>in</strong> den <strong>Rechtssache</strong>n Factortame 38 und Ramrath./.M<strong>in</strong>istre de la<br />

Justice 39 .<br />

Die Kommission <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaften<br />

61. Die <strong>der</strong> Kommission <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaften sieht <strong>in</strong> dem<br />

streitigen Wohnsitzerfor<strong>der</strong>nis e<strong>in</strong>e Beschränkung <strong>der</strong> <strong>in</strong> Artikel 31 EWRA<br />

normierten Nie<strong>der</strong>lassungsfreiheit. Die Ausführungen des <strong>EFTA</strong>-Gerichtshofs im<br />

36<br />

37<br />

38<br />

39<br />

Vgl. FN 4.<br />

Vgl. FN 4.<br />

EuGH C-221/89 Factortame u. a., Slg.1991, I-3905.<br />

EuGH C-106/91 Ramrath./.M<strong>in</strong>istre de la Justice, Slg.1992, I-3351.


– 14 –<br />

Urteil Ra<strong>in</strong>ford-Town<strong>in</strong>g 40 hätten auch für den vorliegenden Fall Geltung. Über<br />

die vom <strong>EFTA</strong>-Gerichtshof <strong>in</strong> jener <strong>Rechtssache</strong> angezogenen Urteile des<br />

Gerichtshofs <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaften h<strong>in</strong>aus verweist die Kommission<br />

auf die kürzlich ergangenen Urteile Kommission./.Italien 41 und<br />

Kommission./.Italien 42 .<br />

62. Nach Ansicht <strong>der</strong> Kommission ist e<strong>in</strong>e solche Beschränkung nicht aus<br />

Gründen des Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teresses im S<strong>in</strong>ne von Artikel 33 EWRA gerechtfertigt.<br />

Insoweit genüge <strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis auf die Begründung des Urteils Ra<strong>in</strong>ford-<br />

Town<strong>in</strong>g 43 .<br />

Per Tresselt<br />

Berichterstatter<br />

40<br />

41<br />

42<br />

43<br />

Vgl. FN 4.<br />

EuGH C-162/99 Kommission./.Italien, Urteil vom 18. Januar 20<strong>01</strong> (noch nicht veröffentlicht).<br />

EuGH C-263/99 Kommission./.Italien, Urteil vom 29. Mai 20<strong>01</strong> (noch nicht veröffentlicht).<br />

Vgl. FN 4.

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