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Bilder oder Chiffren? - Wolfram Fleischhauer

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La Femme dans l´art Français. Offenbar verfolgte jener Herr Bolle ähnliche Interessen wie<br />

ich. Aber was hatte er da mit Bleistift an den Rand geschrieben? Ich drehte die Karte um<br />

und versuchte die handschriftliche Notiz zu entziffern. Und als mir das gelungen war, blieb<br />

ich einige Sekunden völlig reglos sitzen. Ich glaubte zu träumen:<br />

Fiig 10: Eintrittskarte - Detail<br />

2 Décembre<br />

Ce n´est pas la dernière depêche! -<br />

J´en ai retrouvé 200 autres! Chiffrées et<br />

presque illisibles -<br />

. Dezember<br />

Dies ist nicht die letzte Depesche! -<br />

Ich habe noch 200 weitere gefunden! Chiffriert und<br />

kaum lesbar -<br />

Man wird leicht nachvollziehen können, was in diesem Augenblick in mir vorging. Ich erinnere<br />

mich, daß die triumphale Aussicht, diese Depeschen demnächst in der Hand halten und<br />

lesen zu dürfen, mir nach dem ersten Schock einen kleinen Jubelschrei entlockte, der von<br />

der Saalaufsicht mit einem strengen Blick geahndet wurde! Ich würde Jacques Bolle ausfindig<br />

machen, seinen Fund studieren. Und ich würde meinen Roman endlich zu Ende schreiben<br />

können, denn in diesen Depeschen mußten alle noch offene Fragen beantwortet sein.<br />

Anhand meiner Aufzeichnungen stellte ich fest, daß ich Jacques Bolle bei meinen Recherchen<br />

in Paris drei Jahre zuvor schon einmal begegnet war. Pourquoi tuer Gabrielle d´Estrées hieß<br />

die kleine Schrift, die er 1954 in Florenz herausgebracht hatte. Ein alter Leihschein belegte,<br />

daß die Studie mit vielen anderen Büchern in der Bibliothèque Nationale durch meine Hände<br />

gegangen sein mußte. Ich erinnerte mich nicht an das Buch, hatte es vermutlich aus Neugier<br />

bestellt und offenbar nur angelesen und dann ignoriert, da es ja eine wie mir schien falsche<br />

These zu beweisen suchte. Ich war mir damals schon recht sicher gewesen, daß Heinrich<br />

Gabrielle genauso getäuscht hatte wie Henriette d´Entragues, und so hatte auch keine<br />

Notwendigkeit bestanden, sie zu ermorden, wie Jacques Bolles Buchtitel mit Bestimmtheit<br />

verkündete. Hatte ich deshalb das Buch nur kurz angeschaut und dann zur Seite gelegt?<br />

Die Brüsseler Bibliothek verfügte über ein Exemplar der Studie, und ich las jetzt mit Staunen,<br />

daß der belgische Historiker zu Beginn der 50´er Jahre das Medici-Archiv in Florenz durchsucht<br />

und die fehlenden Depeschen zu Tage gefördert hatte. Eine Erklärung, warum diese Briefe<br />

in der Désjardins-Canestrini Ausgabe fehlten, stand im Nachwort: nach dem 2. Dezember<br />

1598 begannen Bonciani und die anderen Agenten Ferdinands damit, ihre Depeschen zu<br />

verschlüsseln. Die Herausgeber, welche die Korrespondenz fast dreihundert Jahre später<br />

sichteten, wußten das offenbar nicht, so daß die verschlüsselten Depeschen nicht erfaßt<br />

wurden und unveröffentlicht geblieben waren. Jacques Bolle hatte sowohl diese Depeschen<br />

als auch den Code des Großherzogs Ferdinand gefunden. Doch selbst in Kenntnis des<br />

Codes schien es eine gewaltige Aufgabe zu sein, die Depeschen zu transkribieren. Jedenfalls<br />

entschlüsselte der belgische Historiker nur eine kleine Zahl der Depeschen und verfaßte<br />

dann eine recht unorthodoxe Studie, die dazu dienen sollte, das Forschungsinteresse für<br />

diesen Fall zu wecken. Warum wurde Gabrielle d´Estrées ermordet?<br />

Ja, warum eigentlich? Wieso versuchte Jacques Bolle ausgerechnet diese These zu beweisen,<br />

wo doch sein grandioser Quellenfund nahelegte, daß Gabrielle in Heinrichs wirklichen<br />

Heiratsplänen überhaupt keine Rolle spielte?<br />

Die entschlüsselten Briefe belegten nämlich, daß Heinrich während des Frühjahrs 1599<br />

geheime Heiratsverhandlungen mit Florenz geführt hatte. Jacques Bolle hatte sich offensichtlich

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