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Ein Streiflicht zum „Tag der deutschen Einheit“.

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Stimmungsoffensive im Osten contra „Nostalgie“ ?<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Streiflicht</strong> <strong>zum</strong> <strong>„Tag</strong> <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Ein</strong>heit“.<br />

Karl Mai Oktober 2007<br />

Die politische Elite begeht den <strong>„Tag</strong> <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Ein</strong>heit“ im Vollgefühl <strong>der</strong> historischen<br />

Leistung <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung und ihres eigenen Erfolges – die Missstimmung in<br />

<strong>der</strong> ost<strong>deutschen</strong> Bevölkerung wird von solchen Botschaften wie z. B. „Die Irrtümer des<br />

Ostens“ von Richard Schrö<strong>der</strong> („Mitteldeutsche Zeitung“ vom 26. September) überspielt. Die<br />

Parole lautet: Stimmungsoffensive gegen Ost-Nostalgie als Ausgleich gegen die Wirkungen<br />

<strong>der</strong> ausbleibenden Ost-West-Angleichung nach 17 Jahren <strong>der</strong> ökonomisch-sozialen und<br />

rechtlichen Anglie<strong>der</strong>ung des Ostens. Dabei wird nicht diese mangelnde Angleichung <strong>der</strong><br />

Lebensverhältnisse selbst hochoffiziell problematisiert, son<strong>der</strong>n die Stimmungsreaktion <strong>der</strong><br />

Ost<strong>deutschen</strong> darauf.<br />

<strong>Ein</strong> Stimmungsbarometer<br />

Soeben ist ein „Monitor für Sachsen-Anhalt“ als Umfrageergebnis veröffentlicht worden, <strong>der</strong><br />

die aktuelle Stimmungslage in einem neuen Bundesland spiegelt, das nach <strong>der</strong> Vereinigung<br />

den großen Rückschlag im industriellen und beschäftigungsbezogenen Niveau sowie im Stand<br />

<strong>der</strong> Wohnbevölkerung zu verkraften hatte. Zitat aus dem „Spiegel-online“ vom 24.9.:<br />

„Es ist eine Nostalgie, die knapp 18 Jahre nach dem Fall <strong>der</strong> Mauer merkwürdig anmutet:<br />

21 Prozent <strong>der</strong> Bewohner Sachsen-Anhalts wünschen sich die DDR zurück. Dies geht aus<br />

dem Sachsen-Anhalt-Monitor hervor, <strong>der</strong> heute in Magdeburg vorgestellt wurde. Obwohl für<br />

82 Prozent <strong>der</strong> Diktaturcharakter des DDR-Regimes außer Frage steht, urteilen 96 Prozent,<br />

dass in <strong>der</strong> DDR ‚nicht alles schlecht’ gewesen sei. 90 Prozent sagen, in <strong>der</strong> DDR habe man<br />

‚privat ganz gut leben können’…<br />

Für 54 Prozent überwiegen die Vorzüge <strong>der</strong> <strong>Ein</strong>igung. 65 Prozent haben nach eigenen<br />

Angaben persönlich überwiegend vorteilhafte Erfahrungen gemacht. Beson<strong>der</strong>s gelobt werden<br />

<strong>der</strong> Zugewinn an persönlicher Freiheit (80 Prozent), die Anhebung des Lebensstandards (65<br />

Prozent) und die Erweiterung individueller Lebenschancen (58 Prozent). Außerdem werden<br />

die Verbesserung <strong>der</strong> Wirtschaftskraft (56 Prozent), die Ablösung eines autoritären Regimes<br />

durch einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat (55 Prozent) und <strong>der</strong> Schutz vor<br />

staatlicher Willkür (54 Prozent) genannt.<br />

Allerdings wird die DDR als eindeutig sozialer als die heutige Bundesrepublik beurteilt. So<br />

hat sich für 84 Prozent <strong>der</strong> Befragten <strong>der</strong> Umgang <strong>der</strong> Menschen miteinan<strong>der</strong> verschlechtert,<br />

und 75 Prozent sehen schlechtere Betreuungsmöglichkeiten für Kin<strong>der</strong>. Für 64 Prozent<br />

verschlechterte sich die soziale Absicherung, für 60 Prozent die soziale Gerechtigkeit, für<br />

jeweils 59 Prozent das Angebot an Bildung und Ausbildung sowie die Gesundheitsversorgung<br />

und für 58 Prozent <strong>der</strong> Schutz vor Kriminalität und Verbrechen.<br />

Wie aus <strong>der</strong> repräsentativen Studie weiter hervorgeht, ist die Zustimmung zur Demokratie als<br />

‚beste aller Staatsideen’ groß: 79 Prozent aller Sachsen-Anhalter stimmen dieser Bewertung<br />

zu. Für die Studie wurden 1000 Bürger befragt.“ Soweit diese „Spiegel“-Darstellung.<br />

Diese und ähnliche frühere Umfrage-Ergebnisse in den NBL sind <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> Mediokratie<br />

schon immer ein „Dorn im Auge“ - worauf vorzugsweise mit einer oft unsachgemäßen<br />

Belehrung über die „Mißwirtschaft in <strong>der</strong> DDR“ und die inzwischen erfolgten<br />

Verbesserungen <strong>der</strong> Lebensverhältnisse reagiert wird.<br />

1


Schrö<strong>der</strong>s „Irrtümer des Ostens“<br />

Gegen den Wi<strong>der</strong>stand jener Bürger, die vergleichende Kritik o<strong>der</strong> Vorbehalte gegen ihr<br />

Leben im vereinigten Deutschland offen bekunden, wird nunmehr in einer gezielten<br />

Stimmungsoffensive die Flucht nach vorn angetreten. Richard Schrö<strong>der</strong> fungiert hier als<br />

offensiver Vorreiter ostdeutscher Herkunft gegen die „DDR-Nostalgie“. Neben dem aktuellen<br />

Artikel in <strong>der</strong> „Mittel<strong>deutschen</strong> Zeitung“ beson<strong>der</strong>s umfassend auch in seinem Buch „Die<br />

wichtigsten Irrtümer über die deutsche <strong>Ein</strong>heit“ (2007), das aber hier nicht rezensiert werden<br />

soll.<br />

(1) Schrö<strong>der</strong> hält in <strong>der</strong> „MZ“ dem Leser vor Augen, dass „die ‚sozialpolitischen<br />

Maßnahmen’“ in <strong>der</strong> DDR „<strong>zum</strong> Teil durch Schulden und Westkredite finanziert“ wurden.<br />

Dies soll die DDR delegitimieren o<strong>der</strong> herabsetzen. Dies traf und trifft aber auf viele Staaten<br />

zu. Zum Vergleich kann man heranziehen, dass den saldierten Schulden <strong>der</strong> DDR in<br />

Westdevisen Ende 1989 in Höhe von 19,9 Mrd. DM (o<strong>der</strong> 10,2 Mrd. Euro) immerhin<br />

staatlich-fiskalische Auslandsschulden <strong>der</strong> BRD Ende 2006 gegenüber privaten Gläubigern in<br />

Höhe von 716,7 Mrd. Euro gegenüberstehen. 1 Während die DDR-Führung noch die<br />

Hoffnung pflegte, ihre West-Verschuldung durch einen späteren staatlichen Exportüberschuss<br />

wie<strong>der</strong> abzubauen, kann <strong>der</strong> privat erreichte Exportüberschuss <strong>der</strong> BRD-Wirtschaft generell<br />

nicht zur Auslandsschuldentilgung des Fiskus in <strong>der</strong> BRD herangezogen werden, son<strong>der</strong>n<br />

muss hauptsächlich aus steuerlicher „Abschöpfung“ getilgt werden – ein fataler Unterschied,<br />

<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> privaten Eigentumsbindung <strong>der</strong> Exportüberschüsse folgt und <strong>der</strong> die gegenwärtige<br />

und spätere Tilgung <strong>der</strong> hohen fiskalischen Staatschulden gegenüber dem Ausland ungemein<br />

erschweren muss. 2<br />

(2) Schrö<strong>der</strong> verweist in <strong>der</strong> „MZ“ darauf, „dass die Infrastruktur, <strong>der</strong> Wohnungsbestand und<br />

<strong>der</strong> Maschinenpark <strong>der</strong> Industrie verschlissen“ waren. Dank <strong>der</strong> hohen fiskalischen<br />

Auslandsverschuldung <strong>der</strong> BRD mit einem Anteil von über 46, 7 % <strong>der</strong> Gesamtschulden des<br />

Staates (2006) war es allerdings finanziell einfach möglich, zu Lasten privater<br />

Auslandsgläubiger die DDR-Infrastruktur weitgehend und den Wohnungsbestand hinreichend<br />

zu erneuern sowie den privaten Maschinenpark <strong>der</strong> Unternehmen (auch durch För<strong>der</strong>mittel)<br />

zu mo<strong>der</strong>nisieren.<br />

Dabei ist zu paradoxer Weise eingetreten, dass inzwischen gerade jene neuesten DDR-<br />

Wohnungen aus dem letzten Baujahrzehnt in Form <strong>der</strong> Platten-Hochhäuser vorzugsweise und<br />

mit hohen Kosten weitgehend abgerissen werden, die von Leerstand infolge Wegzug o<strong>der</strong><br />

Abwan<strong>der</strong>ung in den Städten betroffen sind. Der kreditierte private Wohnungsbau im Osten<br />

seit <strong>der</strong> Vereinigung erzeugt ebenfalls hohe Nachfolgekosten beim Abriss alter<br />

Wohnkomplexe. In diesem städtischen Bereich ist längst <strong>der</strong> „Rückbau Ost“ an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung.<br />

(3) Schrö<strong>der</strong> erinnert „an das wirtschaftliche Desaster, das die SED hinterlassen hat“. Hier<br />

bedient er in undifferenzierter Art verbreitete Klischee-Vorstellungen, denn von einem<br />

generellen o<strong>der</strong> durchgängigen „Desaster“ (auch im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en RGW-<br />

Län<strong>der</strong>n) kann keine Rede sein. Schrö<strong>der</strong> spekuliert hier auf die verbreitete Unkenntnis <strong>der</strong><br />

einfachen ost<strong>deutschen</strong> Bürger über die neueren Ergebnisse <strong>der</strong> kritischen vergleichenden<br />

Wirtschaftsforschung Ost-West, die ein differenzierteres Bild <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> DDR-<br />

Wirtschaft ermöglichte. Ich zitiere hier meinen früheren Text:<br />

>>Die langfristigen DDR-Wachstumsraten brauchen den Vergleich mit Westdeutschland<br />

nicht zu scheuen, wie neuere Untersuchungsergebnisse zeigen: Zwischen 1970 und 1989 stieg<br />

2


das BIP je <strong>Ein</strong>wohner in <strong>der</strong> DDR auf 188,9 % und in <strong>der</strong> alten BRD auf 152,0 %. Ähnliches<br />

gilt für eine Unterteilung dieser Zeitspanne: Von 1970 bis 1980 wuchs das BIP je <strong>Ein</strong>wohner<br />

in <strong>der</strong> DDR auf 147,9 %, in <strong>der</strong> alten BRD auf 129,1 %, also auch schon schneller. Und von<br />

1980 bis 1989 stieg das BIP je <strong>Ein</strong>wohner in <strong>der</strong> DDR auf 127,7 % und in <strong>der</strong> alten BRD auf<br />

117,7 %, also im letzten Jahrzehnt insgesamt ebenfalls schneller.<br />

3<br />

Dies ist das generelle Ergebnis <strong>der</strong> enormen Anstrengungen <strong>der</strong> DDR zur wirtschaftlichen<br />

Entwicklung, das mit durchschnittlich 3,3 % zu höheren jährlichen Wachstumsraten<br />

gegenüber <strong>der</strong> BRD in diesem ganzen zwanzigjährigen Zeitraum führte. 4 Vergleichsweise<br />

stieg nach jüngster Mitteilung des Statistischen Bundesamtes „das Bruttoinlandsprodukt für<br />

das frühere Bundesgebiet in <strong>der</strong> Zeit von 1970 bis 1980 um durchschnittlich 2,9 % pro Jahr<br />

und im Zeitraum 1980 bis 1991 um durchschnittlich 2,6 % pro Jahr.“ 5 “<br />

Dieser statistische Langzeitbefund wird manchen Leser überraschen. Dieser Fakt beim BIP je<br />

<strong>Ein</strong>wohner zeigt ab 1970 eine ungebrochen wachsende Leistungskraft <strong>der</strong> DDR, die das Bild<br />

von <strong>der</strong> „maroden DDR“ deutlich aufhellt.<br />

Für die letzten 5 Jahre DDR-Existenz trat ein Zurückbleiben <strong>der</strong> jährlichen ost<strong>deutschen</strong> BIP-<br />

Wachstumsraten durchschnittlich um 0,3 % gegenüber <strong>der</strong> alten BRD ein. 6 Dies findet seine<br />

Ursache auch im Außenbeitrag <strong>der</strong> DDR-Wirtschaft, <strong>der</strong> z. B. 1985 bei +7,7 Mrd. Euro und<br />

1989 bei +5,8 Mrd. Euro lag und damit die inländische Verwendung des BIP für Investitionen<br />

herabmin<strong>der</strong>te. 7 > Die Netto-Investitionen <strong>der</strong> DDR erreichten 1989 43,7 Mrd. Mark <strong>der</strong> DDR, bei einem<br />

"produzierten Volkseinkommen" von 260,4 Mrd. Mark. 9 Ihre Quote (am VE) für die<br />

gesamte Wirtschaft betrug also zuletzt 16,8 %, darunter ca. 7 % allein für die hohen forcierten<br />

staatlichen Wohnungsinvestitionen. Die westdeutsche Netto-Investitionsquote am VE war<br />

1989 mit 9,8 % (!) sogar noch bedeutend niedriger, 10 was bei den üblichen DDR-<br />

„Katastrophen-Szenarien“ (beim Vergleich BRD-DDR) <strong>zum</strong>eist stillschweigend übergangen<br />

wird. 11<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> 80er Jahre war ein Rückgang <strong>der</strong> Netto-Investitionsquote zu verzeichnen, <strong>der</strong><br />

auch durch den Entzug von produziertem Volkseinkommen durch die Außenwirtschaft von<br />

1981 bis 1988 in Höhe von 81,0 Mrd. Mark <strong>der</strong> DDR begründet war. 12 Hierin<br />

wi<strong>der</strong>spiegelten sich neben den hohen Zins- und Tilgungszahlungen für die Devisenkredite<br />

<strong>der</strong> DDR (auch aus <strong>der</strong> Vorperiode) die extremen Relationen <strong>der</strong> Exportpreise zu den<br />

Produktionskosten in DDR-Mark… 13<br />

Im „produzierenden Bereich“ <strong>der</strong> DDR-Wirtschaft verlief die Netto-Investitionsquote<br />

zwischen 1980 und 1989 wechselhaft: sie sank von 12,4 % (1980) auf 8,1 % (1985) und stieg<br />

danach zuletzt wie<strong>der</strong> an auf 10,1 % (1989). 14 <strong>Ein</strong> Ausgleich erfolgte zur Finanzierung von<br />

investiven Großvorhaben durch zentralisierte Amortisationen zwischen 1981 und 1988 in<br />

Höhe von rd. 50 Mrd. M, 15 d. h. also im Rahmen <strong>der</strong> gesamten Brutto-Investitionen.


elativ bedeutende (geheime) Devisenvorräte verfügt und außerdem hohe nominelle<br />

Außenfor<strong>der</strong>ungen in Devisen gegenüber einigen Län<strong>der</strong>n, die ihrerseits nicht<br />

rückzahlungswillig o<strong>der</strong> -fähig waren., welche aber später von <strong>der</strong> Bundesregierung bei den<br />

DDR-Schuldnerlän<strong>der</strong>n teilweise eingefor<strong>der</strong>t wurden.<br />

(5) Schrö<strong>der</strong>s Argumente zielen darauf ab, bei den Bürgern hinsichtlich <strong>der</strong> DDR-Wirtschaft<br />

einen ausgeprägten psychologischen Min<strong>der</strong>wertigkeitskomplex zu kultivieren. Dies zeigt<br />

auch seine Formulierung von den „angeblich am DDR Volksvermögen“ sich bereichernden<br />

West<strong>deutschen</strong>. Tatsächlich schossen die West-Millionäre in <strong>der</strong> Treuhand-Ära aus dem<br />

Boden, denn es fand eine faktische Übergabe von Volksvermögen in private Hände statt,<br />

selbst wenn dieses Vermögen nach „marktwirtschaftlicher“ Umbewertung oft buchstäblich<br />

verschleu<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> verschenkt („für 1 D Mark“) wurde.<br />

(6) Schrö<strong>der</strong> denunziert die Motive <strong>der</strong> Ostbürger, bevorzugt Westwaren zu kaufen, als<br />

Ursache für den Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> DDR-Industrie. Hier verkürzt er die Kausalkette<br />

demagogisch, in dem er davon ablenkt, dass die Währungsunion dieses Motiv erst entfesselte<br />

und wirksam werden ließ. Das ist die Methode „Haltet den Dieb!“ – eigentlich <strong>der</strong> Intelligenz<br />

eines R. Schrö<strong>der</strong> unwürdig.<br />

(7) Schrö<strong>der</strong> klagt: „Der Kin<strong>der</strong>mangel wird dem Staat ebenso angelastet wie die<br />

Abwan<strong>der</strong>ung“, obwohl dies doch individuelle Entscheidungen im privaten Interesse seien.<br />

Natürlich, aber einem geisteswissenschaftlich geprägten R. Schrö<strong>der</strong> sollte ein solches<br />

Argument im Halse stecken bleiben, da er genau weiß, dass Menschen sich im Rahmen<br />

entstandener gesellschaftlicher Bedingungen und Anreizsysteme orientieren, die eben <strong>der</strong><br />

Staat zu vertreten hat.<br />

Schrö<strong>der</strong> und die Planwirtschaft<br />

(8) Kommen wir <strong>zum</strong> Clou <strong>der</strong> Schrö<strong>der</strong>schen Argumente: „Die <strong>Ein</strong>führung <strong>der</strong><br />

Planwirtschaft ist viel einfacher als <strong>der</strong> Übergang zur Marktwirtschaft.“ Dies offenbar als<br />

Entschuldigung, warum die „Marktwirtschaft Ost“ nicht genügend expandierte und den<br />

Angleichungsprozess längst unterbrochen hat. Tatsächlich ist es umgekehrt, denn die Motive<br />

zur <strong>Ein</strong>führung einer Planwirtschaft (bisherigen Typs) basieren auf <strong>der</strong> Negierung privaten<br />

Eigentums an Produktionsmitteln, Aufbau eines Kommando-Systems <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsbeziehungen und <strong>der</strong> Wirtschaftslenkung, Negierung privater Interessen und<br />

individueller Profitsucht, Blockierung individueller Sachvermögensbildungen in den meisten<br />

Bereichen und Ausblendung <strong>der</strong> triebhaften Bereicherungssucht und Geld-Macht-Gier einer<br />

sozial abgehobenen Spekulanten-, Arbeitsplatz-/Unternehmensvernichter- und<br />

geldkapitalanlegen<strong>der</strong> Rentierschicht. 17 Manche meinten, all dies verstoße in <strong>der</strong><br />

„Planwirtschaft“ gegen die „Freiheit“ o<strong>der</strong> die „menschliche Natur“ und wäre daher <strong>zum</strong><br />

historischen Scheitern verurteilt.<br />

Schrö<strong>der</strong> sieht nicht (o<strong>der</strong> will nicht sehen), dass die Schwächen <strong>der</strong> „ost<strong>deutschen</strong><br />

Marktwirtschaft“ in den ungleichwertigen Wettbewerbsbedingungen im Vergleich mit<br />

Westunternehmen von Anfang an, in <strong>der</strong> Eroberung und Blockierung des Binnenmarktes<br />

durch West-Konzerne, im Wegbrechen des Ostexports, in <strong>der</strong> Konzentration von<br />

Innovationspotenzialen in den West-Konzernen, im Mangel an Eigenkapital originär<br />

ostdeutscher Unternehmen und den von ihnen zu tragenden Kreditbeschränkungen und<br />

Kostennachteilen (u. a. Altzinslasten, Vorleistungspreise, Energiekosten, Losgrößenbildung),<br />

in <strong>der</strong> deformierten bzw. defizitären Wirtschaftsstruktur Ost insgesamt, in <strong>der</strong> Abwan<strong>der</strong>ung<br />

von Humankapital und in <strong>der</strong> zurückbleibenden Kaufkraftentwicklung Ost zu suchen sind.<br />

(9) Schrö<strong>der</strong> findet: „Gerechter wäre ein Vergleich unserer Lebensverhältnisse mit den<br />

an<strong>der</strong>en ehemals sozialistischen Län<strong>der</strong>n, die dieselben Probleme abarbeiten mussten, ohne<br />

4


westliche Hilfe.“ Hier suggeriert Schrö<strong>der</strong> eine relative „Ungerechtigkeit“ gegenüber den<br />

enormen sozialen Transferleistungen West-Ost, die den höheren Lebensstandard Ost <strong>der</strong>zeit<br />

noch garantieren. Damit lenkt er davon ab, dass diese Transferleistungen ebenso in rein<br />

westdeutschem Interesse liegen: sicherer Absatzmarkt Ost für westdeutsche Lieferungen,<br />

gesicherte Profite für westdeutsche Konzerne, Rückfluss von Steuern und Abgaben nach dem<br />

Westen und weiterhin Zustrom von Arbeit suchenden Bürgern von Ost nach West als<br />

Kehrseite <strong>der</strong> Unterentwicklung <strong>der</strong> NBL Der höhere Lebensstandard im Vergleich zu den<br />

an<strong>der</strong>en Transformationslän<strong>der</strong>n hat Konsequenzen für die ost<strong>deutschen</strong> Bürger: er wurde für<br />

eine ökonomisch abhängige, relativ benachteiligte Transferökonomie eingetauscht.<br />

(10) Unglaublich läppisch und absolut „unökonomisch“ nimmt sich daher die Erläuterung<br />

Schrö<strong>der</strong>s <strong>zum</strong> Unterschied von Plan- und Marktwirtschaft aus: „Der Unterschied ist so<br />

ähnlich wie <strong>der</strong> zwischen Allee abholzen und Allee anpflanzen.“ Planwirtschaften bisherigen<br />

Typs haben im Wesentlichen ohne günstige Voraussetzungen eine „nachholende<br />

Entwicklung“ ihrer Wirtschaft einleiten müssen und zu diesem Zwecke nicht nur „Alleen<br />

abgeholzt“, son<strong>der</strong>n riesige wirtschaftliche Aufbauinvestitionen vollbracht. Speziell in <strong>der</strong><br />

späteren DDR sogar nach den enormen Demontagen und Reparationen nach 1945 und in <strong>der</strong><br />

Phase <strong>der</strong> offenen Westgrenze sowie später im Korsett des „Kalten Krieges“. Dagegen<br />

begann das „Alleen aufbauen“ nach <strong>der</strong> Vereinigung wirklich erst nach dem „Abholzen“ <strong>der</strong><br />

bestehenden Industrien durch die Treuhand und unter ungleichen und restriktiven<br />

Bedingungen, bei erneuter Massenabwan<strong>der</strong>ung. Letztere sorgt nebenbei für eine fatale<br />

<strong>Ein</strong>engung des Binnenmarktes, die jedes neue „Anpflanzen“ zusätzlich rein<br />

bevölkerungspolitisch problematisiert und erschwert.<br />

Schrö<strong>der</strong>s Effekt<br />

(11) Schrö<strong>der</strong>s Intervention gegen Rechts gipfelt in einigen simplen Vorschlägen an die<br />

Bürger, wie den Aufmärschen <strong>der</strong> NPD durch menschenleere Straßenzüge mit verhängten<br />

Fenstern zu begegnen, die gefährdeten Jugendlichen in öffentlichen Vereinen zu binden,<br />

Jugendobjekte durch Bürgerkontrollen zu beschützen und die Meinungsfreiheit zu klarem<br />

Wi<strong>der</strong>spruch gegen die „unerträglichen Meinungen“ von Rechts zu nutzen. <strong>Ein</strong> Verbot <strong>der</strong><br />

NPD for<strong>der</strong>t er ebenso wenig wie Schäuble, <strong>der</strong> nicht auf die Unterwan<strong>der</strong>ung und<br />

Agentenbeeinflussung <strong>der</strong> NPD durch den Verfassungsschutz verzichten will.<br />

(12) Schrö<strong>der</strong> kann auch keine rationelle Erklärung für die unterbrochene Anpassung <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsleistung Ost an West seit 1995/1996 entwickeln. Die Zukunft <strong>der</strong> ost<strong>deutschen</strong><br />

Unterentwicklungsregion bleibt nebulös und wird durch eingefor<strong>der</strong>tes privates Engagement<br />

gegen NPD bzw. Rechtsaußen-Politik übertüncht. „Steht auf gegen Rechts und seid glücklich,<br />

mit dem was ihr erreicht habt und was euch zukünftig bleibt!“ – so könnte man die gezeigte<br />

sozialpolitische Indoktrination Schrö<strong>der</strong>s umschreiben. Das Unterentwicklungsgebiet <strong>der</strong><br />

NBL bietet zwar sozialen Sprengstoff, <strong>der</strong> z. Z. politisch nach Rechts kanalisiert wird, aber<br />

die „Krankheit“ Ost wird eher an den Symptomen als an den ökonomischen Wurzeln kuriert.<br />

(13) Schrö<strong>der</strong> ignoriert konsequent die dramatisch negativen langfristigen Projektionen von<br />

Wirtschaftsforschern für die Entwicklungsbedingungen <strong>der</strong> NBL. Seine vorwiegend<br />

vergangenheitsbezogenen Deutungen <strong>der</strong> Ursachen für die „Irrtümer des Ostens“ können<br />

daher nicht signifikant sein für das erwartete Dilemma für die Ostregion aus <strong>der</strong> Sichtweise<br />

dieser Wirtschaftsforscher. Ich verweise hier auf meine diesbezügliche Übersicht in <strong>der</strong><br />

Memo-Homepage. 18<br />

* * *<br />

Abschließend noch aus dem neuen Buch von Norbert Peche zur Lage <strong>der</strong> NBL: „Der<br />

Aufschwung Ost kann objektiv nicht mehrheitsfähig sein bzw. wird es erst sein, wenn die<br />

5


unbefriedigende Lage im Osten die ganze Bundesrepublik wirklich nach unten zieht … Selbst<br />

die Existenz spezifischer Interessen im Osten wird bestritten. Es gibt zurzeit keine politische<br />

Kraft, die diese Interessen gebündelt artikuliert.“ (N. Peche, „Selbst ist das Volk“, 2007, S.<br />

157/158)<br />

Die Memoranden <strong>der</strong> Memo-Gruppe (Bremen) geben Jahr für Jahr eine kritische Analyse <strong>der</strong><br />

ost<strong>deutschen</strong> Lage und <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Politik gegenüber den NBL,<br />

die es verdienen, von <strong>der</strong> Politik im Interesse ganz Deutschlands zur Kenntnis genommen zu<br />

werden.<br />

6


1 Deutsche Bundesbank, Die Zahlungsbilanz <strong>der</strong> ehemaligen DDR 1975 bis 1989“, Son<strong>der</strong>druck August 1999,<br />

S. 60; Deutsche Bundesbank, Statistische Zeitreihen BQ 1715 im Internet.<br />

2 Kein gängiges Hochschullehrbuch <strong>der</strong> Fianzwirtschaft zeigt, wie eine solche vollständige Tilung <strong>der</strong> Auslandskredite<br />

des Fiskus problemlos erfolgen könnte.<br />

3 G. Heske, „Gesamtrechnung Ostdeutschland“, Supplement No. 17 des Zentrums für historische<br />

Sozialforschung (2005), S. 53<br />

4 G. Heske, a.a.O. ,S. 52<br />

5 Stat. Bundesamt, Mitteilung vom 5.9.2006<br />

6 G. Heske, a.a.O., S. 52<br />

7 G. Heske, a.a.O.,S. 58<br />

8 Zitiert nach: Karl Mai, „War die DDR bankrott und total marode?“, Sept. 2006, „www.memo.uni-bremen.de“<br />

9 Vergl. hierzu: Sinn/Sinn, „Kaltstart“, 3. Auflage 1993, S. 270, 277<br />

10 Nach statistischen Angaben betrug das westdeutsche Volkseinkommen 1989 1.892 Mrd. DM, die<br />

Bruttoinvestitionen betrugen 464,5 Mrd. DM und die Abschreibungen 279,5 Mrd. DM. Daraus ergeben sich<br />

Nettoinvestitionen von 185,0 Mrd. DM o<strong>der</strong> eine Netto-Investitionsquote (am VE) von 9,8 %.(Siehe: BMWI,<br />

„Wirtschaft in Zahlen ´95“, S. 25, 41, 46)<br />

11 Niedrigere Abschreibungssätze in <strong>der</strong> DDR (im Vergleich zur BRD) führten statistisch zunächst auch zu<br />

einem niedrigeren BIP, blieben aber ohne <strong>Ein</strong>fluss auf das Volumen des Volkseinkommens.<br />

12 Kusch u. a., „Schlussbilanz DDR“ S. 19<br />

13 Die Relation betrug zuletzt 4 :1 für die Bewertung in Mark <strong>der</strong> DDR zu D-Mark.für Westexpoerte.<br />

14 „Am Ende des realen Sozialismus“, Bd. 2, S. 11, Buchreihe<br />

15 IWH, „Herausfor<strong>der</strong>ung Ostdeutschland“, 1995, S. 42<br />

16 Karl Mai, “War die DDR usw.”, Sept. 2006, „www.memo.uni-bremen.de“<br />

17 Es handelt sich hier um eine einfache Aufzählung nicht nach wissenschaftlicher Systematik und von unterschiedlicher<br />

Wirksamkeit und Qualität.<br />

18 Karl Mai, „Neuere Projektionen für Perspektiven Ostdeutschlands“, Juli 2007 „www.memo-uni-bremen.de“

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