BauZeitung - Goetheanum
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wusst zu machen scheinen, dass sie sich in Gefahr begeben,<br />
oder die Bauarbeiten behindern könnten.<br />
Und doch stelle ich mir die Frage, was so verlockend<br />
daran sein mag zu schauen, was sich hinter dem Eingangstor<br />
verbirgt? Zwar konnte man durch die hohen dreiteiligen<br />
Fenster erkennen, dass die alten klobigen Zwischendecken<br />
und verschachtelten Trennwände herrausgenommen wurden,<br />
äusserlich aber stand lange Zeit noch alles unverändert,<br />
wölbten sich die ausgehungerten Holzschindeln der Fassade<br />
mal aschgrau, mal kohlenschwarz auf, decken die patinierten<br />
Schiefer schuppenförmig die Dachkuppeln. Ein recht melancholischer<br />
Anblick im Ganzen.<br />
Aber es ist Bewegung in der Sache. Schon eine Weile<br />
hatte das ohrenbetäubende Getöse des Kompressors, der<br />
das Spitzeisen antrieb, es in der Umgebung angekündigt.<br />
Kein Vogelgezwitscher, aber mich stimmte es fröhlich, wusste<br />
ich doch, dass die Arbeiten mit dem Abbruch, der Sohlenabsenkung,<br />
der Kanalisation und der neuen Raumaufteilung<br />
im Untergeschoss gut vorankamen. Jetzt sollte es etwas leiser<br />
werden. Nachdem wir die Grabarbeiten und die grobe Geländemodellierung<br />
abgeschlossen hatten, wurde das Aussengerüst<br />
gestellt und die Fassadenarbeiten konnten beginnen.<br />
Während des regnerischen Wetters hatten wir die Zeit genutzt,<br />
um die leichte Tragkonstruktion in Stahl für die neuen<br />
Geschossdecken einzubauen. Sehr präzise hat sie die Metallbauerfirma<br />
ausgemessen. Alles musste passen, da es, in der<br />
Werkstatt vorgefertigt, auf die Baustelle kam und zusammengesetzt<br />
wurde. Nicht einfach bei so vielen Rundungen und<br />
bei Sanierungen überhaupt. Aber auch die Holzkonstruktion<br />
der Rundtonnen ist sehr präzise gefertigt. Erstaunlich, wenn<br />
man bedenkt, dass es 1914, im Entstehungjahr, noch keine<br />
Lasermessgeräte gegeben hat. Trotz nur etwa drei Monaten<br />
Bauzeit saubere und gründliche Arbeit. Maximal drei Zentimeter<br />
Abweichung bei den Tonnenradien, trotz Holzverformung,<br />
Sperrschichten gegen aufsteigende Feuchtigkeit im<br />
Kellermauerwerk, fest gestampfter Beton ohne die Hilfe einer<br />
elektrischen Rüttelflasche zur Verdichtung. In vielen Details<br />
zeigen sich umsichtige Planung, ungeheure Willensanstrengung<br />
und Ausführungsdisziplin.<br />
Warum, frage ich mich, so viel Mühe für eine „Bauhütte“?<br />
Warum Dachkuppeln, Tryptichonfenster, Schindelfassade?<br />
Ist es ein Übstück, eine Art Generalprobe für seine<br />
„grosse Schwester“, den fast gleichzeitig entstandenen ersten<br />
Mysterienbau?<br />
Seit mir die Bauleitung für das Glashaus übertragen<br />
wurde, komme ich ihm immer näher. Viele Menschen erzählen<br />
mir von ihren Erinnerungen, die sie mit dem Haus<br />
verbinden. Zum Beispiel von Frau Rutschmann, die an der<br />
Kassentür dort im Obergeschoss den Lohn ausbezahlte und<br />
auch schon mal Schokoladenherzen für die Kinder aus dem<br />
Fenster fallen liess. Aber auch das Gebäude selbst erzählt seine<br />
Geschichte. Eben auf seine Weise - in konstruktiven Details,<br />
Fensteraufteilungen, Bauschäden. Seltsam daran, dass<br />
die Zeitebenen sich überlagern, je mehr man freilegt, um so<br />
weiter gelangt man zurück. Es erzählt von den Schleif-arbeiten<br />
an den Glasfenstern. (Die Aufhängevorrichtungen für die<br />
Arbeitsplattform sind noch vorhanden.) Fast konnte man Rudolf<br />
Steiner von dem erhaltenen der beiden Balkone die Arbeiten<br />
beobachten sehen, sah Assja Turgenjewa in hohen Arbeitsstiefeln<br />
in eine Glasradierung versenkt. Weiter erzählt es<br />
von frierenden Mitarbeitern, den bescheidenen Versuchen,<br />
durch stellenweise Dämmung, den Aussentemperaturen zu<br />
trotzen. Im Winter zu kalt, im Sommer zu heiss. Es berichtet<br />
von der schrittweisen „Eroberung“ durch die Naturwis-<br />
Bild: Blick in die Ostkuppel des Glashauses<br />
senschaftler, wie Paul Eugen Schiller, die in 80 Jahren doch<br />
stets provisorisch blieb. Das Hausen im Übergangszustand,<br />
jetzt wird es, zum Glück, ein Ende finden. Meine Kollegen<br />
von der Naturwissenschaftlichen Sektion und der Sektion für<br />
Landwirtschaft werden endlich ein nach ihren Bedürfnissen<br />
gestaltetes Domizil finden, von dem aus ihre Arbeit ausstrahlen<br />
kann.<br />
Genau an dieser Stelle setzt der Entwurf an. Was lebt<br />
darinnen? Damit ist nicht nur gemeint, dass ein historisches<br />
Gebäude für sein Weiterbestehen dringend einer zeitgemässen<br />
Nutzung bedarf, weil es nur dann gepflegt wird. Vielmehr<br />
geht es darum, dass jede Bauform der Ausdruck eines<br />
Inneren ist, nicht blosser repetierter Formenkanon, sondern<br />
sich an der Grenze zwischen konkretem, inneren Bedürfnis<br />
und umgebenden Bedingungen herrausbildet.<br />
Schon jetzt erlebe ich in diesem Projekt beständig die<br />
Möglichkeit der Begegnung und des gemeinschaftlichen Tätigseins.<br />
Im Baukreis Glashaus, der sich aus Vertretern der<br />
Geschäftsleitung, der beteiligten Hochschulsektionen und<br />
der Bauadministration zusammensetzt, begleiten wir die laufenden<br />
Arbeiten und planen zum Beispiel die rahmengebenden<br />
Anlässe. Den Kontakt mit der Gemeinde Dornach zu<br />
vertiefen, auch hier ist uns das ein wichtiges Anliegen. Ein