Die Ausbildung der Gesundheitsschwester - kann sie sich ...
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Ergebnisse <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung<br />
Recherches sur la formation professionnelle<br />
<strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong> <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong> -<br />
<strong>kann</strong> <strong>sie</strong> <strong>sich</strong> durchsetzen?<br />
Eine neue <strong>Ausbildung</strong> entsteht - aber wie werden ihre Absolventinnen von <strong>der</strong> Praxis aufgenommen?<br />
Was braucht es, dass eine neue <strong>Ausbildung</strong> akzeptiert wird? <strong>Die</strong> vorliegende Studie, eine Zusammenfassung<br />
<strong>der</strong> Dissertation von Susanne Rothlin, diente dazu, <strong>Ausbildung</strong> und Beruf <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong> - einer<br />
Zusatzausbildung fär Krankenschwestern AKP/PsyKP - zu überprüfen und zu bewerten.<br />
Dabei kristalli<strong>sie</strong>rte <strong>sich</strong> heraus, dass die Absolventen zwar auf beruflicher und vor allem auch auf persönlicher<br />
Ebene von <strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> sehr profitieren, dass jedoch <strong>der</strong> eigentliche Beruf <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
nicht klar genug definiert ist, um <strong>sich</strong> von den angrenzenden Berufen im Gesundheitswesen abzugrenzen.<br />
<strong>Die</strong>se fehlende Definition führt zu Spannungen und zu einem mangelnden beruflichen Identitätsgefühl bei<br />
den Kursteilnehmerinnen.<br />
^<br />
Einleitung<br />
Der etwas ungewöhnliche<br />
Name «<strong>Gesundheitsschwester</strong>»<br />
bezeichnet einen neuen Beruf<br />
im Gesundheitswesen, <strong>der</strong> <strong>sich</strong><br />
erst allmählich und zaghaft zu<br />
etablieren beginnt. Eine <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
ist eine<br />
diplomierte Krankenschwester<br />
AKP/PsyKP*, die an einer <strong>der</strong><br />
aner<strong>kann</strong>ten <strong>Ausbildung</strong>sstätten<br />
in Zürich, Bern, Lausanne, Genf<br />
o<strong>der</strong> Bellinzona die Zusatzausbildung<br />
zur <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
absolviert hat.<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Studie hat <strong>sich</strong><br />
mit <strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> in Zürich<br />
befasst. <strong>Die</strong>se ist berufsbegleitend<br />
und erstreckt <strong>sich</strong> über ca.<br />
20 Monate. Von den Auszubildenden<br />
wird - neben den schulspezifischen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen -<br />
verlangt, dass <strong>sie</strong> während <strong>der</strong><br />
<strong>Ausbildung</strong>szeit mindestens<br />
40% im spitalexternen Bereich<br />
beruflich tätig sind.<br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong>n arbeiten<br />
im Bereich <strong>der</strong> spitalexternen<br />
Kranken- und Gesundheitspflege.<br />
<strong>Die</strong> Zusatzausbildung soll<br />
<strong>sie</strong> dazu befähigen, diese beson<strong>der</strong>en<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen in den<br />
verschiedenen Bereichen <strong>der</strong><br />
spitalexternen Kranken- und<br />
Gesundheitspflege zu erfüllen.<br />
<strong>Die</strong> Untersuchung wurde im<br />
Auftrag <strong>der</strong> Schule für spitalexterne<br />
Krankenpflege in Zürich<br />
durchgeführt.<br />
Definition<br />
Der Tätigkeitsbereich <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong> liegt<br />
ausserhalb des Spitals, in <strong>der</strong><br />
spitalexternen Kranken- und<br />
Gesundheitspflege.<br />
SPESCHA (1985, 528) beschreibt<br />
die <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
mit folgenden Worten:<br />
«Kennzeichnend für eine<br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong> ist eine<br />
Arbeitsweise, die <strong>sich</strong> etwa<br />
durch folgende Grundsätze charakteri<strong>sie</strong>ren<br />
lässt:<br />
• aktivierende, ganzheitliche, individuelle<br />
und angepasste Pflege<br />
des Kranken zu Hause<br />
• För<strong>der</strong>ung des Selbständigen<br />
und des Gesunden<br />
• aktive Unterstützung und Mitarbeit<br />
bei gesundheitserzieherischen<br />
und präventivmedizinischen<br />
Massnahmen<br />
• fachlich und menschlich<br />
kompetentes Vorgehen<br />
• Bemühen um Zusammenarbeit<br />
und angepasste Weiterentwicklung<br />
<strong>der</strong> spitalexternen Versorgung<br />
<strong>der</strong> eigenen Region.»<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> ihr anvertrauten<br />
Tätigkeit soll die <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
sowohl gesundheitsför<strong>der</strong>nd<br />
als auch präventiv<br />
tätig sein. D.h.<br />
• die primäre Prävention, die<br />
daraufhinzielt, die Entstehung<br />
von Gesundheitsstörungen zu<br />
verhin<strong>der</strong>n,<br />
• die sekundäre Prävention, die<br />
zur Früherkennung von Krankheiten<br />
dient, und<br />
• die tertiäre Prävention, die<br />
alle Massnahmen umfasst, welche<br />
eine Verschlimmerung von<br />
Leiden, sowie ein Fortschreiten<br />
von Krankheit verhin<strong>der</strong>t,<br />
sollen von <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
aktiv ausgeübt und<br />
gefor<strong>der</strong>t werden.<br />
Das Kernanliegen <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
- das ganzheitliche<br />
Verständnis von Gesundheit<br />
und Krankheit - bringt eine weitere<br />
Palette von Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
mit <strong>sich</strong>:<br />
• die Fähigkeit, einzelne und<br />
Gruppen zu fuhren und zu beraten<br />
• die Fähigkeit zur Zusammenarbeit<br />
(Teamfähigkeit)<br />
• das Verständnis/Wissen über<br />
das Gesundheitswesen und das<br />
damit verbundene eigene Rollenverständnis.<br />
SGAB<br />
SRFP Panorama<br />
Nr. 3/September/Septembre 1988
Ergebnisse <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung<br />
Recherches sur la formation professionnelle<br />
Fragestellung und<br />
Befragtenmuster<br />
Das wichtigste Anliegen <strong>der</strong><br />
durchgeführten Studie bestand<br />
darin, abzuklären, wie <strong>sich</strong> die<br />
berufsbegleitende <strong>Ausbildung</strong><br />
zur <strong>Gesundheitsschwester</strong> in<br />
<strong>der</strong> Praxis bewährt. Gleichzeitig<br />
interes<strong>sie</strong>rte die Frage, welche<br />
Bedeutung dabei den einzelnen<br />
<strong>Ausbildung</strong>szielen in <strong>der</strong> Praxis<br />
zukommt. Hinzu kamen eine<br />
Reihe von weiteren Fragen, die<br />
<strong>sich</strong> auf die Vollständigkeit und<br />
auf eventuelle Einseitigkeiten<br />
<strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> bezogen, sowie<br />
Fragen zur Umsetzbarkeit des<br />
Gelernten, zur Erwünschtheit<br />
<strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong> und<br />
zu Erfahrungen, die mit <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
gemacht<br />
wurden.<br />
Um das Problem aus möglichst<br />
vielen Seiten zu beleuchten,<br />
wurden als Adressaten <strong>der</strong> Evaluation<br />
folgende relevante Informantengruppen<br />
bestimmt:<br />
(1) Absolventinnen <strong>der</strong> Kurse<br />
1-6 <strong>der</strong> Schule für spitalexterne<br />
Krankenpflege in Zürich<br />
(2) Arbeitgeber, d.h. Behördenmitglie<strong>der</strong><br />
und Vorstände von<br />
privaten Vereinen, die mit <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong> beruflich<br />
zu tun haben<br />
(3) Dozenten und Supervisoren<br />
<strong>der</strong> Schule für spitalexterne<br />
Krankenpflege in Zürich.<br />
Um <strong>der</strong> Studie einen sinnvollen,<br />
aber auch realistischen Rahmen<br />
zu geben, wurde <strong>sie</strong> regional auf<br />
den Kanton Zürich beschränkt.<br />
Da es <strong>sich</strong> bei <strong>der</strong> Evaluation<br />
<strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> zur <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
um eine erste<br />
Bestandesaufnahme handelt,<br />
wurde beschlossen, eine qualitative<br />
Befragung durchzuführen.<br />
In qualitativen Tests wird zugunsten<br />
eines differenzierten<br />
Gesprächs nur eine kleine<br />
Gruppe von Personen befragt.<br />
Solche Untersuchungen dienen<br />
dazu, zu einem bestimmten<br />
Problemkreis eine möglichst<br />
breite Palette von Meinungen<br />
zu sammeln.<br />
Wichtigste Ergebnisse<br />
Um eine Evaluation <strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong><br />
vornehmen zu können,<br />
war es unabdingbar, <strong>sich</strong> mit<br />
dem Stellenwert des eigentlichen<br />
Berufs <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />
Es zeigte <strong>sich</strong> dabei, dass Theorie<br />
und Praxis - also Berufsbild<br />
<strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong> zur <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
baut auf <strong>der</strong><br />
dreijährigen Grundausbildung<br />
für Krankenschwestern auf,<br />
die fast ausschliesslich auf die<br />
Spitaltätigkeit ausgerichtet ist.<br />
Sie vermittelt diejenigen Fähigkeiten,<br />
die für die beson<strong>der</strong>en<br />
Aufgaben <strong>der</strong> spitalexternen<br />
Tätigkeit nötig sind. <strong>Die</strong><br />
Themenbereiche heissen:<br />
• <strong>Die</strong> Pflege des Kranken zu<br />
Hause.<br />
• Gesun<strong>der</strong>haltung und<br />
Krankheitsverhütung<br />
• Führung und Beratung von<br />
Einzelnen und Gruppen<br />
• Zusammenarbeit<br />
• <strong>Die</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
und ihre Rolle im öffentlichen<br />
Gesundheitswesen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong> an <strong>der</strong> «Schule<br />
für spitalexterne Krankenpflege»<br />
ist berufsbegleitend<br />
organi<strong>sie</strong>rt (125 Tage in Blockkursen<br />
und einzelnen Kurstagen)<br />
und dauert rund 20 Monate.<br />
<strong>Die</strong> Zürcher Schule ist<br />
eine Abteilung <strong>der</strong> Schwesternschule<br />
vom Roten Kreuz<br />
in Zürich-Fluntern. Leiterin ist<br />
Frau J. Lächler<br />
<strong>Ausbildung</strong>sstätten für <strong>Gesundheitsschwester</strong>n<br />
gibt es in<br />
den Kantonen Bern, Genève,<br />
Ticino, Valais, Zürich. <strong>Die</strong> ersten<br />
Diplome wurden 1980<br />
ausgestellt. Bis und mit 1986<br />
wurden gesamtschweizerisch<br />
573 <strong>Gesundheitsschwester</strong>n<br />
und 5 -pfleger diplomiert.<br />
und Wirklichkeit - bei <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
auseinan<strong>der</strong>klaffen.<br />
Das hat zur Folge, dass keine<br />
<strong>der</strong> drei befragten Zielgruppen<br />
über ein anwendbares und konkretes<br />
Bild vom Beruf <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
verfügt. Jede<br />
<strong>der</strong> drei Gruppen besitzt ihre<br />
eigenen (z.T. diffusen) Vorstellungen<br />
darüber, was eine <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
ist. Dabei<br />
zeigt <strong>sich</strong> deutlich, dass ein konkretes<br />
Berufsbild vor allem bei<br />
den Absolventinnen und bei<br />
den Behördenmitglie<strong>der</strong>n fehlt.<br />
<strong>Die</strong> ersteren, die Absolventinnen,<br />
reagieren auf das fehlende<br />
Berufsbild mit einer mangelhaften<br />
und instabilen Rollenidentität,<br />
besser, <strong>sie</strong> können kaum<br />
eine Rollenidentität entwickeln,<br />
und das führt teilweise zu einer<br />
grossen Verun<strong>sich</strong>erung.<br />
Bei <strong>der</strong> zweiten Gruppe, den<br />
Behörden, führt es dazu, dass<br />
Unklarheiten im Berufsbild mit<br />
Vorurteilen überbrückt und ergänzt<br />
werden, und dass dadurch<br />
teilweise nur noch sehr wenig<br />
Goodwill für den Beruf <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
übrigbleibt.<br />
(«<strong>Die</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong> ist<br />
überqualifiziert und elitär»/<br />
Zitat)<br />
<strong>Die</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong> ist<br />
gewissermassen ein «Zwitterwesen»:<br />
Der Beruf ist gekennzeichnet<br />
durch in <strong>sich</strong> divergierende<br />
Rollenmerkmale, ja sogar durch<br />
kontradiktorische Anfor<strong>der</strong>ungen.<br />
Das führt allgemein zu inkonsistenten<br />
Rollenerwartungen,<br />
und bei den Absolventinnen<br />
zu einer recht grossen Rollenun<strong>sich</strong>erheit.<br />
<strong>Die</strong>se inkonsistenten und teils<br />
kontradiktorischen Anfor<strong>der</strong>ungsmerkmale<br />
wi<strong>der</strong>spiegeln<br />
<strong>sich</strong> vor allem in folgenden<br />
Punkten:<br />
Eine <strong>Gesundheitsschwester</strong> soll<br />
- etwas karikiert ausgedrückt -<br />
• kompetent sein, ohne weiterreichende<br />
Verantwortung zu<br />
übernehmen;<br />
SGAB<br />
SRFP Panorama! Nr. 3/September/Septembre 1988
Ergebnisse <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung<br />
Recherches sur la formation professionnelle<br />
• eine Ka<strong>der</strong>position einnehmen,<br />
ohne die sonst damit verbundene<br />
Macht ausüben zu<br />
dürfen;<br />
• angepasst sein, ohne passiv zu<br />
werden;<br />
• aktiv sein, ohne allzuviel<br />
Initiative zu entwickeln;<br />
• Wissen haben, ohne es anzuwenden;<br />
• devot sein, ohne unselbständig<br />
zu werden;<br />
• selbständig sein, ohne allzu<br />
selbstbewusst zu werden.<br />
"DAS DILEMMA DER GESUNDHEITSSCHWESTER"<br />
ROLLENERWARTUNG VON AUFTRAGGEBERSEIT<br />
- Kompetenz ohne Verantwortung<br />
- Ka<strong>der</strong>position ohne Macht<br />
- Anpassung ohne Passivität<br />
- Aktivität ohne Initiative<br />
- Wissen ohne es anzuwenden<br />
- Devotheit ohne Unselbständigkeit<br />
- Selbständigkeit ohne<br />
Selbstbewusstsein<br />
SELBSTBILD DER SCHUELERINNEN<br />
IST GEKENNZEICHNET DURCH<br />
VERWIRRUNG UEBER:<br />
- Berufsbezeichnung<br />
- Auftrag<br />
- Möglichkeiten<br />
- Fähigkeiten<br />
- Rolle<br />
VERUNSICHERUNG DER<br />
SCHUELERINNEN AUF DER<br />
AUSBILDUNGSEBENE<br />
WEGEN:<br />
- Zeitmangel des<br />
Schulteams<br />
- Demokratischer<br />
Führungsstil des Schulteams<br />
<strong>Die</strong>se grundsätzliche Problematik<br />
wi<strong>der</strong>spiegelt <strong>sich</strong> auch im<br />
grösseren berufsspezifischen<br />
Kontext: Ein grosser Teil <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong>n gibt an,<br />
<strong>der</strong> Hauptgrund für den Besuch<br />
<strong>der</strong> Schule für spitalexterne<br />
Krankenpflege sei die Unzufriedenheit<br />
mit <strong>der</strong> Arbeit im Spital<br />
gewesen. <strong>Die</strong> Spitalschwester ist<br />
in sehr enge Hierarchien eingebunden,<br />
<strong>sie</strong> ist eine Ausführende<br />
von Befehlen und ihre Möglichkeit,<br />
Initiative und Selbstän-<br />
INKONSISTENTE<br />
ANFORDERUNGSMERKMALE<br />
DIE ROLLE DER<br />
GESUNDHEITSSCHWESTER<br />
IST NICHT DEFINIERT<br />
DIE ROLLE DER<br />
GESUNDHEITSSCHWESTER<br />
IST NICHT DEFINIERT<br />
ROLLENUNSICHERHEIT<br />
ZUWENIG KLAR DEFINIERTE<br />
AUSBILDUNGSZIELE<br />
ZUWENIG KLAR DEFINIERTES<br />
BERUFSBILD<br />
digkeit zu entwickeln, ist sehr<br />
beschränkt.<br />
Mit diesen Umständen unzufrieden<br />
zu werden, bedeutet in<br />
gewissem Sinn, <strong>sich</strong> «emanzipieren»<br />
zu wollen. Das heisst in<br />
diesem Zusammenhang - genau<br />
übersetzt - <strong>sich</strong> «verselbständigen»<br />
zu wollen. Denn genau<br />
darin unterscheidet <strong>sich</strong> die Arbeit<br />
im spitalexternen Bereich<br />
von <strong>der</strong> Arbeit im spitalinternen<br />
Bereich: es wird mehr Initiative,<br />
Aktivität und Selbständigkeit<br />
verlangt.<br />
Gleichzeitig sind die Berufsausübenden<br />
aber immer noch<br />
Krankenschwestern, also Angehörige<br />
eines extrem «weiblichen<br />
und dienenden» Berufsstandes.<br />
An diesem Punkt beginnen<br />
denn auch die Probleme:<br />
<strong>Die</strong> Gemeindeschwester muss in<br />
vieler Hin<strong>sich</strong>t aktiver und selbständiger<br />
arbeiten als die Spitalschwester,<br />
sollte aber gleichzeitig<br />
nach wie vor die «Urwerte <strong>der</strong><br />
Krankenschwester» verkörpern.<br />
Das war über lange Jahre <strong>der</strong><br />
Fall, indem die aufopfernde und<br />
rund-um-die- Uhr-beanspruchbare<br />
Gemeindeschwester die berufliche<br />
Szene prägte.<br />
Von einer Gemeindeschwester<br />
alter Schule wurde verlangt,<br />
dass <strong>sie</strong> Leistung ohne spezielle<br />
<strong>Ausbildung</strong>, Einsatz ohne grossen<br />
Lohn erbrachte und dass <strong>sie</strong><br />
ein ganzheitliches Verständnis<br />
(«gesun<strong>der</strong> Menschenverstand»)<br />
und überhaupt eine breiteste<br />
Palette menschlicher Qualitäten<br />
zur Verfügung hatte.<br />
<strong>Die</strong> von <strong>der</strong> Gemeindeschwester<br />
verlangten karitativen Basisqualitäten<br />
hatten aus ihrem<br />
Charakter hervorzugehen - was<br />
gratis war und keiner <strong>Ausbildung</strong><br />
bedurfte.<br />
In <strong>der</strong> Konsequenz liesse <strong>sich</strong><br />
das Fazit aus <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong><br />
Absolventinnen folgendennassen<br />
umschreiben:<br />
Auf <strong>der</strong> persönlichen Ebene bringt<br />
die <strong>Ausbildung</strong> viel. ABER: Eine<br />
SGAB<br />
SRFP Panorama Nr. 3/September/Septembre 1988
Ergebnisse <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung<br />
Recherches sur la formation professionnelle<br />
Krankenschwester nimmt sehr viel<br />
Mühe und Belastung auf <strong>sich</strong>, um<br />
am Schluss mit einem Abschluss<br />
dazustehen, den wenige kennen,<br />
den nicht viele wollen und von<br />
dem <strong>sie</strong> selber nicht so genau<br />
weiss, wozu er <strong>sie</strong> qualifiziert und<br />
befähigt. Sie ist zwar in <strong>der</strong> Lage<br />
zu sagen, <strong>sie</strong> habe <strong>sich</strong> positiv<br />
verän<strong>der</strong>t. Welche beruflichen<br />
Qualifikationen das mit <strong>sich</strong><br />
bringt, ist nicht vollumfänglich<br />
ein<strong>sich</strong>tig.<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Studie hat gezeigt,<br />
dass sowohl Beruf als<br />
auch <strong>Ausbildung</strong> zur <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
zum Teil umstritten<br />
sind. Dabei stellte <strong>sich</strong> heraus,<br />
dass <strong>sich</strong> die Probleme um<br />
die <strong>Gesundheitsschwester</strong> auf<br />
drei verschiedenen Ebenen kristalli<strong>sie</strong>ren:<br />
(1) auf <strong>der</strong> öffentlichen und beruflichen<br />
Ebene<br />
(2) auf <strong>der</strong> persönlichen Ebene<br />
<strong>der</strong> Schülerinnen<br />
(3) auf <strong>der</strong> ausbildungsspezifischen<br />
Ebene.<br />
<strong>Die</strong>se drei verschiedenen Ebenen<br />
wirken zusammen und<br />
beeinflussen <strong>sich</strong> gegenseitig.<br />
Ausformuliert bedeutet dies,<br />
dass die <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
<strong>sich</strong> auf <strong>der</strong> öffentlichen Ebene<br />
noch kein eigenes Territorium<br />
schaffen konnte. Sie ist gesellschaftlich<br />
auch innerhalb ihres<br />
Berufsfeldes wenig akzeptiert<br />
und noch sehr umstritten. Das<br />
hängt nicht zuletzt davon ab,<br />
dass nicht genau genug definiert<br />
wurde, welche speziellen Aufgabenbereiche<br />
die Tätigkeit <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong> umfasst.<br />
Vielmehr wurde das Aufgabenspektrum,<br />
dem <strong>sie</strong> nachzukommen<br />
hat, so weit gesteckt, dass<br />
<strong>sich</strong> alle angrenzenden Berufe -<br />
vor allem Arzt, Sozialarbeiter<br />
und Hauspflege - zwangsläufig<br />
bedroht fühlen müssen.<br />
<strong>Die</strong>ser Fehler, <strong>der</strong> offenbar auf<br />
<strong>der</strong> definitorischen Ebene gemacht<br />
wurde, wirkte <strong>sich</strong> nicht<br />
nur auf das Fremdbild son<strong>der</strong>n<br />
auch auf das Selbstbild <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
aus: <strong>sie</strong><br />
konnte keine eigene Identität<br />
finden, musste sogar am Schluss<br />
<strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> <strong>sich</strong> eingestehen,<br />
<strong>sie</strong> wisse eigentlich nicht,<br />
was eine <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
sei.<br />
<strong>Die</strong>ser definitorische Fehler<br />
lässt aber keineswegs negative<br />
Schlüsse auf die eigentlichen<br />
Qualitäten <strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> zu:<br />
wie wir gesehen haben, werden<br />
ein grosser Teil <strong>der</strong> Befragten<br />
selbst<strong>sich</strong>erer, selbständiger und<br />
werden mit sehr viel mehr berufsspezifischem<br />
Know How<br />
aus <strong>der</strong> <strong>Ausbildung</strong> entlassen.<br />
<strong>Die</strong> mangelnde Abgrenzung<br />
und Definition des Berufs <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong> führt jedoch<br />
auf allen oben erwähnten<br />
Ebenen - auf <strong>der</strong> politischen,<br />
<strong>der</strong> persönlichen und <strong>der</strong> ausbildungsspezifischen<br />
- zu Verun<strong>sich</strong>erungen<br />
und dadurch zu<br />
Missverständnissen und zu<br />
Spannungen.<br />
<strong>Die</strong> Quintessenz <strong>der</strong> ermittelten<br />
Erkenntnisse lässt <strong>sich</strong> in folgenden<br />
drei Punkten zusammenfassen:<br />
DIE VORHANDENEN<br />
WIDERSPRÜCHE MÜSSEN<br />
BEWUSST GEMACHT<br />
WERDEN<br />
• auf <strong>der</strong> beruflichen Ebene<br />
• auf <strong>der</strong> persönlichen Ebene<br />
• auf <strong>der</strong> ausbildungsspezifischen<br />
Ebene<br />
DIE BEGRIFFE MÜSSEN<br />
GEKLÄRT WERDEN<br />
• Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
muss neu definiert<br />
werden.<br />
• Das <strong>Ausbildung</strong>sangebot<br />
muss entsprechend ausformuliert<br />
werden.<br />
• <strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong>sziele müssen<br />
analog überarbeitet werden.<br />
Heute entstehen öfters neue<br />
Berufs- und Fachschulen. Ich<br />
erinnere an Technikerschulen,<br />
Höhere Fachschulen für Gestaltung<br />
und Touristik usw. Mit viel<br />
Engagement entsteht ein Konzept,<br />
mit viel Aufwand die entsprechende<br />
Schule. Und dann<br />
beginnt die <strong>Ausbildung</strong>, einige<br />
Jahre später verlassen nach<br />
einer erhebenden Diplomfeier<br />
die ersten Absolventen die<br />
Schule. Wohin ? Was erwartet<br />
<strong>sie</strong>? Sind <strong>sie</strong> und ihre neuen<br />
Fähigkeiten erwünscht? Kenntnisse<br />
sind immer erwünscht,<br />
aber wenn <strong>sie</strong> ein neues Selbstverständnis<br />
mitbringen ? An<strong>sich</strong>ten,<br />
wie man etwas machen<br />
sollte, besser machen könnte?<br />
Selbstbewusstsein, etwas zu<br />
können, mehr als Leute ohne<br />
die neue <strong>Ausbildung</strong>?<br />
Da können Schwierigkeiten auftreten.<br />
Das wissen wir alle. Der<br />
«Gesunde Menschenverstand»<br />
genügt, um das zu erkennen.<br />
Aber auf welchem Hintergrund<br />
entstehen nun die Schwierigkeiten<br />
eigentlich?Das sollte man<br />
ja wissen, wenn man Gegensteuer<br />
geben will. Und das will<br />
man ja (wenn man daran<br />
denkt). Denn sonst wäre ja die<br />
neue <strong>Ausbildung</strong> ein Verlust, für<br />
die Volkswirtschaft als ganzes<br />
und noch viel mehr für den einzelnen<br />
Absolventen, <strong>der</strong> Zeit<br />
und Geld investiert hat.<br />
Ich traue mir zu, über «Gesunden<br />
Menschenverstand» zu verjugen<br />
(wer tut das nicht?). Aber<br />
ich habe einiges gelernt aus <strong>der</strong><br />
Arbeit von Frau Rothlin. Ich<br />
werde einiges beachten, das ich<br />
bisher übersehen habe.<br />
Und übrigens - ich finde es<br />
nicht selbstverständlich, dass<br />
eine Schulleitung dazu steht,<br />
dass nicht alles nach Wunsch<br />
läuft, dass neben allen Erfolgen<br />
auch ernste Schwierigkeiten auftreten.<br />
Ich denke, manchmal<br />
haben Frauen mehr Mut als<br />
Männer, z.B. als Politikerinnen<br />
und als Schulleiterinnen.<br />
Emil Wettstein<br />
S GAB<br />
SRFP Panorama Nr. 3/September/Septembre 1988
Ergebnisse <strong>der</strong> Berufsbildungsforschung<br />
Recherches sur la formation professionnelle<br />
FÜR DIE GESUNDHEITS-<br />
SCHWESTER MUSS EINE<br />
SOZIAL SANKTIONIERTE<br />
ROLLE GESCHAFFEN<br />
WERDEN<br />
• Es muss Öffentlichkeitsarbeit<br />
geleistet werden, um Informationen<br />
zu vermitteln und um<br />
Vorurteile abzubauen.<br />
<strong>Die</strong> Beachtung und Ausführung<br />
<strong>der</strong> oben genannten Punkte soll<br />
mithelfen, das Berufsbild <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong> zu klären,<br />
um mögliche Konfliktstellen<br />
auszuschalten, um so <strong>der</strong><br />
<strong>Ausbildung</strong> und den Auszubildenden<br />
eine grösstmögliche<br />
Chance zu geben.<br />
Es zeichnet <strong>sich</strong> ab, dass die<br />
heutige Entwicklung im Gesundheitswesen<br />
<strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
bedarf. Allerdings<br />
wird es von <strong>der</strong> Definition<br />
des Berufs und von den entsprechenden<br />
Umsetzungen seiner<br />
Vertreterinnen abhängen, ob<br />
<strong>sich</strong> dieser Beruf etablieren wird<br />
und ob er in <strong>der</strong> Lage sein wird,<br />
die Schweizer Gesundheitslandschaft<br />
aktiv und sinnvoll zu bereichern.<br />
SCHÄR, M.: Leitfaden <strong>der</strong> Sozialund<br />
Präventivmedizin. Bern: Huber,<br />
1984, 3. überarbeitete Auflage.<br />
SCHWEIZERISCHES ROTES<br />
KREUZ: Statistik 1986, Bereich<br />
Berufsbildung. Bern 1987.<br />
SCHULE FÜR SPITALEXTERNE<br />
KRANKENPFLEGE, ZÜRICH:<br />
<strong>Ausbildung</strong>sprogramm. <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
AKP und PsyKP,<br />
Zürich, 1984.<br />
SPESCHA, R: Der Beruf <strong>der</strong> <strong>Gesundheitsschwester</strong><br />
in <strong>der</strong> deutschsprachigen<br />
Schweiz. In: <strong>Die</strong><br />
Schwester/Der Pfleger, 24. Jahrg.,<br />
7,1985, 528-533.<br />
SPITEX-BERICHT. SPITALEX-<br />
TERNE KRANKENPFLEGE<br />
UND GESUNDHEITSPFLEGE<br />
IM KANTON ZÜRICH. SPITEX<br />
1980. Direktion des Gesundheitswesens<br />
des Kantons Zürich, 1984.<br />
SPITEX-ERGÄNZUNGSBE-<br />
RICHT. ERHEBUNG ÜBER DAS<br />
DIENSTLEISTUNGSANGEBOT,<br />
DAS PERSONAL UND DIE<br />
PATIENTEN DER GEMEINDE-<br />
KRANKENPFLEGE, HAUS-<br />
PFLEGE UND DES HAUS-<br />
HILFEDIENSTES.<br />
Direktion des Gesundheitswesens<br />
des Kantons Zürich, Zürich 1984.<br />
Résumé<br />
Une nouvelle profession existe -<br />
mais, comment la vie pratique<br />
va-t-elle absorber les nouvelles<br />
diplômées et que faire pour<br />
qu'une nouvelle profession soit<br />
reconnue? L'article nous rend<br />
compte d'une étude menée<br />
dans le but de déterminer la<br />
valeur d'une formation et profession<br />
d'infirmière de la santé<br />
publique, formation complémentaire<br />
destinée aux infirmières.<br />
Il en ressort que les élèves diplômés<br />
bénéficient largement<br />
de cette formation, sur le plan<br />
professionnel et plus encore, sur<br />
le plan personnel, mais que la<br />
profession d'infirmière de la<br />
santé publique n'est pas assez<br />
clairement définie pour pouvoir<br />
se démarquer de celles, parallèles<br />
de la santé publique. Et ce<br />
manque de définition crée des<br />
tensions et fait que le sentiment<br />
d'une identité professionnelle<br />
est peu ressentie par les participantes<br />
aux cours déformation.<br />
Literaturliste<br />
LÄCHLER, J.: <strong>Ausbildung</strong> in spitalexternen<br />
Kranken- und Gesundheitspflege.<br />
Eine Projektarbeit.<br />
Diplomarbeit am Seminar für angewandte<br />
Psychologie des IAP in<br />
Zürich, 1977.<br />
ORIENTIERUNGSBLATT DER<br />
SCHULE FÜR SPITALEXTERNE<br />
KRANKENPFLEGE ZÜRICH,<br />
November 1982.<br />
ROTHLIN S.: <strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong> zur<br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong>. Bestandesaufnahme<br />
und Bewertung. Dissertation,<br />
196 S. und Anhang Zürich:<br />
ADAG 1987.<br />
ROTHLIN S.: <strong>Die</strong> <strong>Ausbildung</strong> zur<br />
<strong>Gesundheitsschwester</strong>.<br />
Bestandesaufnahme und Bewertung.<br />
Zusammenfassung und Überblick.<br />
58 S. o.O. 1987.<br />
Zur Autorin<br />
Susanne Rothlin hat an <strong>der</strong> Universität<br />
Zürich Anthropologische Psychologie,<br />
Angewandte Psychologie,<br />
Sozialpsychologie und Germanistik<br />
studiert, 1983 mit dem Lizentiat<br />
und 1987 mit dem Doktorat abgeschlossen.<br />
Ihre Dissertation wurde<br />
von Prof. Dr. G. Schmidtchen betreut.<br />
Sie arbeitet heute als Sozialwissenschaftlerin<br />
an <strong>der</strong> Abteilung<br />
für Psychosoziale Medizin <strong>der</strong> Psychiatrischen<br />
Poliklinik des Universitätsspitals<br />
Zürich.<br />
* AKP = Allgemeine Krankenpflege<br />
PsyKP = Psychiatrische Krankenpflege<br />
SGAB<br />
SRFP Panorama Nr. 3/September/Septembre 1988