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Musterseiten 145-148 - Schattauer

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146<br />

11 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Störungen der Impulskontrolle<br />

den Beziehungen, also positiv erlebten Bezugspersonen im familiären sozialen<br />

Atom, zu kompensieren.<br />

Das Bekanntschaftsvolumen ist in der Regel von distanten Beziehungen gekennzeichnet,<br />

die wenig Verbindlichkeit aufweisen. Innerhalb des sozialen Atoms<br />

bestehen zahlreiche, z. T. auch heftige Konflikte, die zwar einerseits zu einem positiv<br />

erlebten Auto-Tele von Lebendigkeit führen können („Ich spüre mich“),<br />

aber andererseits bei einer der Parteien, also entweder bei den Betroffenen selbst<br />

oder bei den jeweiligen Antagonisten, deutlich negativ-affektive Zustände wie<br />

z. B. Schuld-, Scham- und Angstgefühle sowie Selbstentwertung evozieren. Das<br />

Verhalten im sozialen Atom ist demnach durch ein Pendeln zwischen bedrohlich<br />

erlebter Nähe in Kombination mit einer Verschmelzungsangst und bedrohlich<br />

erlebter Distanz in Kombination mit einer massiven Verlassenheitsangst gekennzeichnet.<br />

Eine Einsicht in die eigene Störung oder Krankheit besteht durch die gestörten<br />

Auto-Tele-Prozesse (Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion, Selbstregulation)<br />

in der Regel lange Zeit nicht. Die eigene Person wird grundsätzlich nicht wertschätzend<br />

wahrgenommen, sondern durch die Augen des „Verfolgers“ bzw. „Aggressors“<br />

gesehen. Es ist, als ob die Betroffenen mit dem (vorgestellten oder realen)<br />

Aggressor einen ständigen Rollenwechsel eingegangen wären: Sie betrachten<br />

sich im aggressiv verzerrten Spiegel. Dazu werden die entwerteten Rollen aus der<br />

eigenen Wahrnehmung ausgegliedert und projektiv an andere Menschen angeheftet<br />

(Spaltung zwischen positiv und negativ besetzten Rollen).<br />

Das Fallbeispiel 38 veranschaulicht den Mechanismus der Spaltung bei Vorliegen<br />

einer Persönlichkeitsstörung.<br />

Fallbeispiel 38<br />

Karin, 47 Jahre, erfuhr in ihrer Kindheit massive Vernachlässigungen mit z. T. traumatisierender<br />

Auswirkung. Sie erlebte, wie ihre Mutter durch den Stiefvater vergewaltigt<br />

wurde, wie beide Eltern über lange Jahre einen exzessiven Alkoholabusus betrieben und<br />

wie einer ihrer Brüder sich in der Adoleszenz das Leben nahm. Die Patientin schrieb sich<br />

selbst Schuld für die Vorkommnisse in Bezug auf die Eltern zu (z. B.: „Wenn ich die Wohnung<br />

besser aufgeräumt hätte, wäre meine Mutter nicht so schlecht behandelt worden“).<br />

Mit dieser Selbstzuschreibung gelang es ihr zunächst, ein Bild aufrechtzuerhalten,<br />

welches die Mutter schützte, sie als zumindest leicht positiv besetzte Rolle in ihrem<br />

sozialen Atom bewahrte („Meine Mutter war ein guter Mensch, die ist nur total verzweifelt<br />

wegen meinem Vater, die musste ja so viel trinken, dass sie das aushalten<br />

konnte“). Der Vater wurde von ihr negativ besetzt („Der misshandelnde Scheißkerl, der<br />

Hurenbock“), ebenso der Bruder („Der hat es sich leicht gemacht, der Feigling“). Die<br />

Patientin zog mit 18 Jahren von zu Hause aus und hatte danach häufig wechselnde<br />

Partner, die alle tranken und sich ihr gegenüber unter Alkoholeinfluss auch sexuell übergriffig<br />

verhielten. Sie hat zwei Berufsausbildungen abgebrochen und wechselte danach

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