Tschechen: Mehr als Knödel und Kolatschen … „Ein bisserl Ironie ...
Tschechen: Mehr als Knödel und Kolatschen … „Ein bisserl Ironie ...
Tschechen: Mehr als Knödel und Kolatschen … „Ein bisserl Ironie ...
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<strong>Tschechen</strong>: <strong>Mehr</strong> <strong>als</strong> <strong>Knödel</strong> <strong>und</strong> <strong>Kolatschen</strong> <strong>…</strong><br />
<strong>„Ein</strong> <strong>bisserl</strong> <strong>Ironie</strong>, ein <strong>bisserl</strong> Trauer, ein <strong>bisserl</strong> Distanz, ein <strong>bisserl</strong> morbid <strong>und</strong><br />
ein <strong>bisserl</strong> lustig.“ Besser <strong>als</strong> Präsident der Diplomatischen Akademie<br />
in Wien, kann man die Verwandtschaft der tschechischen <strong>und</strong> österreichischen<br />
Mentalität nicht auf den Punkt bringen. Denn die Jahrh<strong>und</strong>erte gemeinsamer<br />
Geschichte verbinden die beiden Länder weit mehr <strong>als</strong> <strong>Knödel</strong> <strong>und</strong> <strong>Kolatschen</strong>.<br />
Seit 1526 bis Ende des 1. Weltkrieges waren die Länder der Böhmischen Krone,<br />
Böhmen, Mähren <strong>und</strong> Schlesien, ein Teil der Habsburger-Monarchie.Die Bande<br />
waren eng: so bestieg Kaiser Franz Joseph den Thron im Bischofspalast in<br />
Olmütz (heute Olomouc) <strong>und</strong> Prag nannte man das „zweite Wien“.<br />
1910 zählte Wien <strong>als</strong> Hauptstadt der k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn r<strong>und</strong><br />
zwei Millionen Einwohner, ein großer Teil waren Zuwanderer aus dem heutigen<br />
Tschechien, wovon die Hatscheks <strong>und</strong> Akzente über den Namen in den<br />
Telefonbüchern noch heute zeugen. Die Wiener hatten für das bunte<br />
Völkergemisch freilich bald ihren eigenen, charmanten <strong>und</strong> keinesfalls<br />
böswilligen Kommentar parat: <strong>„Ein</strong> Wiener is’ a Raunzer. Zwei Wiener san a<br />
Heurigenpartie. Drei Wiener – des gibt’s net. Weil jeder dritte is a Böhm’.“<br />
In vielen böhmischen <strong>und</strong> mährischen Städten wurde verbreitet Deutsch<br />
gesprochen: ein Kaffeehausbesucher in Mährisch-Ostrau konnte zur Melange die<br />
deutschsprachige „Neue Freie Presse“, in Wien das „Prager Tagblatt“ erwarten.<br />
Damit hatte es in den 1940er Jahre ein Ende, <strong>als</strong> die Amtshandlungen<br />
verpflichtend zweisprachig eingeführt wurden. So mussten auch Prager<br />
Straßenbahnschaffner die Haltestationen sowohl in Deutsch <strong>als</strong> auch<br />
Tschechisch durchsagen, was das fahrende Personal pflichtbewusst – mit „a<br />
<strong>bisserl</strong> <strong>Ironie</strong>“ – erfüllte: „Museum – Museum. Das erste Museum war Deitsch.“
Geboren in Böhmen <strong>…</strong><br />
Wenn von „großen Österreichern“ die Rede ist, muss wurden ergänzt werden,<br />
dass viele von ihnen in Böhmen oder Mähren geboren wurden: Sigm<strong>und</strong> Freud<br />
in Freiberg (), Bertha von Suttner, Rainer Maria Rilke <strong>und</strong> Franz Werfel in<br />
Prag, Gustav Mahler in Kalischt (, Alfred Kubin in <br />
Adalbert Stifter in Oberplan (Horní Planá) <strong>und</strong> viele<br />
mehr <strong>…</strong><br />
Nicht viel anders verhält es sich mit jener Familie, deren Mitglieder gemeinhin <strong>als</strong><br />
„Kristallerben“ bekannt sind. Mit den funkelnden Steinchen, einer guten Portion<br />
Geschäftstüchtigkeit <strong>und</strong> Fleiß <strong>und</strong> festen Familienbanden gelang es der Familie<br />
des Glasschleifers Daniel Swarovski nach der Auswanderung 1895 aus Böhmen<br />
nach Wattens in Tirol, ein weltumspannendes Kristallunternehmen aufzubauen.<br />
Und eine ernsthafte „Konkurrenz“ zu den Habsburgern darzustellen, zumindest in<br />
der Popularität für Touristen. Die „Kristallwelten“ in Wattens in Tirol nach den<br />
Ideen des Künstlers André Heller sind neben Schloss Schönbrunn die<br />
meistbesuchte Sehenswürdigkeit Österreichs.<br />
Dem Glas verdankt auch Familie Riedel ihren fabulösen Aufstieg in die Crèmede-la-crème<br />
der österreichischen Wirtschaftselite: Riedelgläser sind für<br />
Weingenießer eine geschmackliche Offenbarung. Seit 1756 schleift Familie<br />
Riedel Gläser, nach 1945 verließ sie ihre Heimat Böhmen <strong>und</strong> baute in Kufstein<br />
in Tirol ihr Handwerk zu einem der größten Glasunternehmen der Welt aus.<br />
Dem soliden Handwerk eines böhmischen Fachmanns verdankt Österreich ein<br />
weiteres beliebtes Postkartenmotiv: Hans Brachatitz, Baumeister aus Böhmen,<br />
vollendete 1433 den Südturm des Wiener Stephansdoms <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
höchstem Kirchenturm Österreichs. Die älteste Skulptur auf der Prager<br />
Karlsbrücke – der Heilige Johannes Nepomuk – geht wiederum auf eine<br />
Zeichnung des Wiener Bildhauers Matthias Rauchmüller aus dem Jahr 1683
zurück. Die erste Pferdeeisenbahn von Wien nach Krakau verlegte 1825 der<br />
Prager Franz Anton von Gerstner.<br />
„Mein Orchester ist in Prag“<br />
Kulturexport Nummer eins aus Wien war Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts Wolfgang<br />
Amadeus Mozart: der Genius liebte sein Prager Publikum, vor allem nachdem er<br />
mit Figaro in Wien nicht reüssieren konnte: „Mein Orchester ist in Prag“ streute er<br />
ihm Rosen. Mit den umjubelten Premieren von Don Giovanni <strong>und</strong> der Prager<br />
Sinfonie feierte Mozart einige seiner größten Erfolge – für die der Maestro<br />
handgreiflich nachgeholfen haben soll: der Sängerin Bandini wollte bei den<br />
Proben zu „Don Giovanni“ ein Leidensschrei in besonders hoher Tonlage nicht<br />
<strong>und</strong> nicht gelingen. Mozart stieß sie letztendlich so heftig in die Rippen, dass der<br />
Ton doch noch die erwünschte Nuance erhielt. Mit der Premiere von La<br />
Clemenza di Tito 1791 konnte der Komponist an die großen Erfolge in den<br />
Jahren zuvor jedoch nicht mehr anschließen <strong>und</strong> kehrte zurück nach Wien.<br />
Etwa zur gleichen Zeit brach ein junger Wissenschaftler aus Wien nach Spanien<br />
auf, um die Welt zu entdecken. Unzählige neue Erkenntnisse in Medizin,<br />
Chemie, Physik <strong>und</strong> Botanik verdankt die Menschheit einem gewissen Thaddäus<br />
Haenke, der 1761 in geboren wurde <strong>und</strong> in Prag <strong>und</strong> Wien<br />
Naturwissenschaften studierte.<br />
Im Auftrag des Wiener <strong>und</strong> Madrider Hofes bereiste er vor allem den<br />
südamerikanischen Kontinent <strong>und</strong> führte dort Untersuchungen zur Heilkraft von<br />
Thermalbädern <strong>und</strong> selbst hergestellten Pharmazeutika durch. In Peru, Bolivien<br />
<strong>und</strong> Chile führte er erfolgreich die Pockenschutzimpfung <strong>und</strong> eröffnete mehrere<br />
Apotheken. Thaddäus Haenke gilt deshalb <strong>als</strong> österreichischer Vorläufer von<br />
Alexander von Humboldt, jedoch bei weitem nicht so viel öffentliche<br />
Aufmerksamkeit ernten konnte.
In gewisser Weise war Haenke auch ein Vorläufer der „Bohéme“, einem Lifestyle<br />
von Künstlern, Freigeistern <strong>und</strong> Intellektuellen am Fin de Siècle, die sich von den<br />
Konventionen der Bürgerlichkeit lossagten. Als Vorlage diente den Bohémiens<br />
die Lebensphilosophie des fahrenden Volkes, die Nachfahren der „bohemi“, die<br />
böhmische Zigeuner im Mittelalter waren.<br />
Kaiserkur in Karlsbad<br />
Trotz der zunehmenden nationalistischen Tendenzen von Seiten Böhmens <strong>und</strong><br />
Mährens gegen das Habsburger Kaiserreich blühte das das gesellschaftliche<br />
Leben jenseits der Leitha auch noch in den letzten Jahrzehnten der Monarchie.<br />
So waren Karlsbad (Karlovy Vary) <strong>und</strong> Marienbad (Mariánské ) lange Zeit<br />
erste Adresse für den adelig, kulturell oder intellektuell verpflichteten<br />
Kururlauber. Hier gab sich der europäische Hochadel sein Stelldichein, bis auch<br />
immer mehr Künstler von Goethe über Beethoven bis Richard Wagner nach<br />
Karlsbad strömten.<br />
Auch der Dirigent <strong>und</strong> Komponist Gustav Mahler war Gast in Marienbad. Was ihn<br />
aber nicht daran hinderte, über den Fall der Fälle zu sinnieren: „Wenn die Welt<br />
einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre<br />
später“. Ein <strong>bisserl</strong> morbide, ein <strong>bisserl</strong> lustig, ein <strong>bisserl</strong> <strong>Ironie</strong> <strong>…</strong><br />
(Von Gabriele Schöngruber)