Salman Rushdie Die satanischen Verse - Literaturwissenschaft-online
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hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Ringvorlesung im Wintersemester 2003/2004<br />
Romane des 20. Jahrhunderts<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong><br />
<strong>Verse</strong><br />
Christoph Reinfandt<br />
10.02.2004
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong>
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
1. Migration und Religion<br />
2. Es war so, es war nicht so: Zum Aufbau des Romans<br />
3. Wie kommt das Neue in die Welt? Zur Rolle des<br />
Erzählers<br />
4. Literatur, Religion, Politik: <strong>Die</strong> "<strong>Rushdie</strong>-Affäre"
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Haupthandlung:<br />
Gibril Farishta vs. Saladin Chamcha<br />
Kapitel<br />
I<br />
III<br />
V<br />
VII<br />
IX<br />
Titel<br />
Der Engel Gibril<br />
Ellohenn Deeohenn<br />
Eine Stadt:<br />
Sichtbar, aber ungeschaut<br />
Der Engel Asrael<br />
Eine wunderbare Lampe
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
London, Bhai! Wir kommen! <strong>Die</strong>se Ärsche da unten werden<br />
keine Ahnung haben, was sie getroffen hat. Ein Meteor, ein<br />
Blitz, oder die Strafe Gottes. Aus dem Nichts, Herzchen.<br />
Dharrraaammm! Wumm, na? Was für ein Auftritt, yaaar. Ich<br />
schwör's dir – platsch. (13)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
"Um wiedergeboren zu werden", sang Gibril Farishta,<br />
während er vom Himmel stürzte, "mußt du erst sterben. Ho<br />
ji! Ho ji! Um weich zu landen am Busen der Erde, mußt du<br />
erst zum Vogel werden. Tat-Taa! Taka-tan! Um heiter zu<br />
genießen, müssen erst Tränen fließen. Wie willst Du die<br />
Liebe wagen, mein Herr, ohne zu klagen? Baba, willst du<br />
wiedergeboren werden..." An einem Wintermorgen kurz vor<br />
Tagesanbruch, so um den ersten Januar herum, fielen zwei<br />
leibhaftige, ausgewachsene, quicklebendige Männer aus<br />
einer Höhe von achttausendachthundertvierzig Metern in<br />
Richtung Ärmelkanal, und zwar ohne Hilfsmittel wie<br />
Fallschirme oder Flügel, aus heiterem Himmel. (13)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Nebenhandlungen:<br />
Mahound in Jahilia<br />
(Kap. II und VI)<br />
ein Imam im Exil in London/<br />
der Pilgermarsch der Ayescha<br />
(Kap. IV und VIII)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Kapitel<br />
I<br />
II<br />
III<br />
IV<br />
V<br />
VI<br />
VII<br />
VIII<br />
IX<br />
Titel<br />
Der Engel Gibril<br />
Mahound<br />
Ellohenn Deeohenn<br />
Aischa<br />
Eine Stadt:<br />
Sichtbar, aber ungeschaut<br />
Rückkehr nach Jahilia<br />
Der Engel Asrael<br />
<strong>Die</strong> Teilung des Arabischen Meeres<br />
Eine wunderbare Lampe
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Aus dem Nichts: ein Urknall, gefolgt von einem Feuerwerk<br />
von Meteoren. Ein allumfassender Beginn, ein Miniaturecho<br />
der Geburt der Zeit ... Der Jumbo-Jet Bostan, Flug AI-420,<br />
explodierte ohne Vorwarnung hoch über der großen,<br />
verrotteten, wunderschönen, schneeweißen, hellerleuchteten<br />
Stadt, Mahagonny, Babylon, Alphaville. Aber Gibril hat<br />
ihr bereits einen Namen gegeben, ich darf mich nicht<br />
einmischen: Das große London [...] zwinkerte blinzelte<br />
nickte in der Nacht. (13/14, Hervorhebung von mir)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Während Gibril, der unmusikalische Solist, sein<br />
improvisiertes Ghasel sang, schlug er im Mondschein<br />
Kapriolen, schwamm in der Luft, Bruststil, Schmetterlingsstil,<br />
rollte sich zu einer Kugel zusammen, spreizte wie ein Adler<br />
Arme und Beine vor der Beinahe-Unendlichkeit der Beinahe-<br />
Dämmerung, nahm heraldische Posen ein, drohend<br />
aufgerichtet, wie ein Löwe mit erhobenem Kopf liegend,<br />
spielte seine Leichtfertigkeit gegen die Schwerkraft aus. [...]<br />
"Ohé, Salad Baba, du bist es, nicht möglich. Holla, alter<br />
Cham." Worauf der andere, ein pedantischer, kopfüber<br />
fallender Schatten in einem grauen Anzug, alle<br />
Jackettknöpfe zugeknöpft, Arme an die Seiten gepreßt, der<br />
die Unwahrscheinlichkeit der Melone auf seinem Kopf als<br />
selbstverständlich hinnahm, ein spitznahmenfeindliches<br />
Gesicht zog. (13)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Ich kenne die Wahrheit, das liegt auf der Hand. Ich habe alles<br />
gesehen. Auf Allgegenwärtigkeit und -mächtigkeit erhebe ich<br />
im Moment keinen Anspruch, aber soviel läßt sich sagen,<br />
hoffe ich: Chamcha wollte es, und Farishta tat das Gewollte.<br />
Wer wirkte das Wunder?<br />
Welcher Art - engelhaft oder satanisch - war Farishtas Lied?<br />
Wer bin ich?<br />
Sagen wir es so: Wer hat die schönsten Melodien? (20)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
[E]s war genau in diesem Augenblick, im Augenblick seines<br />
größten Zorns, als die Grenzen der Erde einstürzten, daß er<br />
ein Geräusch hörte, als bräche ein Damm, die Geister der<br />
Traumwelt strömten durch den Riß in das Universum des<br />
Alltäglichen, und dann schaute Gibril Farishta Gott.<br />
Für den Blakeschen Jesaja war Gott schlicht eine Immanenz<br />
gewesen, eine immaterielle Entrüstung, aber Gibrils Vision des<br />
Allerhöchsten war alles andere als abstrakt. Er sah, auf dem<br />
Bett sitzend, einen etwa gleichaltrigen Mann, mittelgroß,<br />
ziemlich kräftig gebaut, mit gestutztem, graumeliertem<br />
Backenbart. Am meisten erstaunte ihn, daß die Erscheinung<br />
schütteres Haar hatte, zu Schuppen neigte und eine Brille trug.<br />
So hatte er sich den Allmächtigen nicht vorgestellt. "Wer bist<br />
du?" fragte er neugierig. (320)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong>
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
"Ooparvala", antwortete die Erscheinung. "Der von oben."<br />
"Woher soll ich wissen, daß du nicht der Andere bist?" fragte<br />
Gibril listig. "Neechayvala, der Typ von unten?"<br />
Eine mutige Frage, die eine bissige Antwort herausforderte.<br />
Wenn dieser Gott auch wie ein kurzsichtiger Stadtschreiber<br />
aussah, so konnte Er doch zweifellos den traditionellen<br />
Apparat göttlichen Zorns in Bewegung setzen. Wolken zogen<br />
vor dem Fenster auf, Wind und Donner erschütterten das<br />
Zimmer. Draußen im Park knickten die Bäume um. "Wir<br />
verlieren die Geduld mit dir, Gibril Farishta. Du hast Uns<br />
lange genug in Zweifel gezogen [...] Wir sind nicht<br />
verpflichtet, dir die Natur Unseres Wesens zu erklären [...]<br />
Ob Wir vieles und vielförmig sind, die Vereinigung-durch-<br />
Hybridisierung solcher Extreme wie Oopar und Neechay<br />
verkörpern, oder ob Wir rein sind, stark, unnachgiebig - das<br />
wird hier nicht geklärt werden." (320f.)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Frage: Was ist das Gegenteil von Glaube?<br />
Nicht Unglaube. Zu endgültig, gewiß, hermetisch. Selbst eine<br />
Art Glaube.<br />
Zweifel. (98)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Wie kommt das Neue in die Welt? [...]<br />
Aus welchen Verschmelzungen, Verwandlungen,<br />
Verbindungen besteht es? (18)<br />
Of what fusions, translations, conjoinings is it made?<br />
(8, Hervorhebung von mir)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Ich weiß; hier spricht der Teufel. Schaitan fällt Gibril ins<br />
Wort.<br />
Mir? (98)<br />
I know; devil talk. Shaitan interrupting Gibreel.<br />
Me? (93)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>,<br />
•Grimus (1975)<br />
•Midnight's Children (1981)<br />
•Shame (1983)<br />
•The Satanic <strong>Verse</strong>s (1988)<br />
•Haroun and the Sea of Stories (1990)<br />
•The Moor's Last Sigh (1995)<br />
•The Ground Beneath Her Feet (1999)<br />
•Fury (2001)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
•Imaginary Homelands: Essays and Criticism 1981-1991<br />
(1991)<br />
•Step Across This Line: Collected Non-Fiction 1992-2002<br />
(2002)
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Sollte ich vielleicht doch an etwas Heiliges glauben? Erkläre<br />
nicht auch ich ein Vorstellung für heilig, die Vorstellung von<br />
der absoluten Freiheit der Phantasie – und damit mein<br />
persönliches Weltbild? Führt das zu dem, was Verfechter<br />
eines religiösen Glaubens mittlerweile "Säkularfundamentalismus"<br />
nennen? Und wenn dies so wäre: Muß ich dann<br />
nicht davon ausgehen, daß auch dieser weltliche<br />
Fundamentalismus zu ähnlichen Auswüchsen und Mißbrauch<br />
führen kann wie die Vorschriften und Dogmen eines religiösen<br />
Fundamentalismus? (29)<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>, „Ist denn nichts heilig?“<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.02.1990, S. 29-30.<br />
(<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>, "Is Nothing Sacred?" In: Imaginary<br />
Homelands, 415-429).
hristoph Reinfandt<br />
<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Die</strong> <strong>satanischen</strong> <strong>Verse</strong><br />
Literatur ist ein vorläufiger Bericht von dem Bewußtsein<br />
eines Künstlers. Sie kann niemals "vollendet" sein, niemals<br />
"vollkommen". Literatur entsteht an der Grenze zwischen Ich<br />
und Welt [...] Dermaßen schwer definierbar ist dieser<br />
Vorgang, dermaßen uneindeutig und mißverständlich, daß<br />
ihm der Schutz der Heiligsprechung wahrlich nicht gebührt.<br />
Wir werden ohne solche Weihen auskommen müssen, und<br />
das ist gut so. Wir dürfen nicht zu dem werden, was wir<br />
ablehnen. (29)