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43 Konfliktfähigkeit und Zivilcourage

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<strong>43</strong> <strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong><br />

GiselaMüller-Fohrbrodt <strong>und</strong> Markus Hangarter<br />

Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie die Fähigkeit zur konstruktiven Konfliktbearbeitung<br />

gefördert werden kann. Dazu werden zunächst aus den Merkmalen<br />

konstruktiver Konfliktbearbeitung allgemeine Lernziele abgeleitet, die für die<br />

Förderung der Fähigkeit zur konstruktiven Konfliktbearbeitung von besonderer<br />

Bedeutung sind. Es folgt ein Überblick über Ansätze zur Förderung der Lernziele.<br />

Abschließend wird der zivilcouragierte Umgang mit Konfliktsituationen daraufhin<br />

betrachtet, inwieweit es sich dabei um einen besonderen Fall von Konfliktbearbeitungsverhalten<br />

handelt,der zusätzlicher Förderung bedarf.<br />

1 Lerninhalte <strong>und</strong> -prozesse<br />

für die konstruktiveKonfliktbearbeitung<br />

Interpersonelle Konflikte treten dort umso häufiger auf, wo alle Personen ihre Interessen<br />

<strong>und</strong> Wertvorstellungen offen artikulieren können (z.B. ineiner Demokratie).<br />

In einem solchen System kann es daher nicht darum gehen, Konflikte zu vermeiden,<br />

sondern zu lernen, sie in gegenseitigem Respekt <strong>und</strong> ohne Gewalt, Zwang oder Manipulation<br />

konstruktiv zu bearbeiten. Insofern leistet die Förderung der Fähigkeit<br />

zur konstruktiven Bearbeitung von Konflikten einen Beitrag zur Friedenserziehung<br />

im interpersonellen Bereich. Im Alltag werden Menschen immer wieder in Konfliktlösungen<br />

verwickelt, die durch Zwang oder Gewalt bestimmt sind, teils als Opfer,<br />

teils als Zeugen. In diesen Situationen ist <strong>Zivilcourage</strong> gefragt, die Menschen veranlasst,<br />

sich solchen unfriedlichen Formen der Konfliktaustragung zu widersetzen.<br />

Dieser Beitrag geht daher auf die Förderung sowohl der Fähigkeit zur konstruktiven<br />

Konfliktbearbeitung als auch auf die der <strong>Zivilcourage</strong> ein. Der Beitrag konzentriert<br />

sichdabei aufausgewählteganzheitliche Förderungskonzepte.<br />

Einleitend soll die Konfliktdefinition angeführt werden, welche diesem Kapitel<br />

zugr<strong>und</strong>eliegt ( → Kap. 16 Konfliktbegriff).<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

DEFINITION<br />

Ein interpersoneller Konflikt liegt dann vor, wenn eine Partei Verhaltenstendenzen<br />

verfolgt, die mit den Verhaltenstendenzen einer anderen Partei nicht zu vereinbaren<br />

sind oder mindestens einer Partei nicht vereinbar erscheinen (Müller-<br />

Fohrbrodt,1999,S.17).<br />

Lerninhalte <strong>und</strong> -prozessefür diekonstruktiveKonfliktbearbeitung 581


Konfliktsituationen lösen bei den beteiligten Parteien in der Regel Ärger oder gar<br />

Empörung darüber aus, dass sie ihre Anliegen nicht durchsetzen können. Sie nehmen<br />

die jeweils andere Partei als störend wahr <strong>und</strong> verlangen von ihr, die Störung<br />

einzustellen. Die Emotion Empörung macht zudem deutlich, dass die andere Partei<br />

für schuldig gehalten wird, weil sie die Störung absichtlich oder zumindest fahrlässig<br />

verursacht habe(Montada&Kals, 2001).Mitdieser Perspektive tendiert einKonflikt<br />

dazu zu eskalieren, die Beziehung zwischen den Parteien zu belasten <strong>und</strong> die Bereitschaft<br />

zu senken, über dieBerechtigung der Anliegender jeweilsanderen Partei auch<br />

nur nachzudenken. Ein Konflikt kann so über viele Stufen eskalieren, wobei es auf<br />

jeder höheren Eskalationsstufe schwieriger wird, der Konfliktbearbeitung eine positive,konstruktiveWende<br />

zu geben. ( → Kap. 17 Eskalationsdynamik.)<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Konstruktive Konfliktbearbeitung. Im Folgenden soll über Lernmöglichkeiten zur<br />

konstruktiven Bearbeitung von Interessenkonflikten gesprochen werden. Dazu muss<br />

zunächst konkretisiert werden, welche Merkmale eine konstruktive Konfliktbearbeitung<br />

kennzeichnen.<br />

Bei Müller-Fohrbrodt (1999,S. 23 ff.) werden folgendeMerkmale einer konstruktiven<br />

Bearbeitung eines Interessenkonflikts aufgeführt:<br />

Lockerung der wechselseitigen Blockade durch die unvereinbar erscheinenden<br />

Anliegen<br />

Möglichst gerechteBefriedigung der Anliegenbzw.Interessen beider Parteien<br />

Gleichmäßige Befriedigung der Anliegen beider Parteien auf höchstmöglichem<br />

Niveau (Gewinner-Gewinner-Ergebnis)<br />

Gestaltung der Suche nachder höchstmöglichen <strong>und</strong> gleichmäßigen Befriedigung<br />

der Anliegen beider Parteien in der Weise, dass sich die Beziehung zwischen den<br />

beiden Parteien nicht verschlechtert, sondernmöglichst verbessert.<br />

Das letzte Kriterium, das den Prozess der Konfliktbearbeitung betrifft, ist sehr allgemein<br />

<strong>und</strong> abstrakt formuliert. Es wird konkreter, wenn man sich Umständen zuwendet,dieden<br />

Bearbeitungsprozess eines Interessenkonfliktesbesonders gefährden.<br />

Eine Konflikteskalation droht vor allem, wenn man zulässt, dass sich andere Konfliktarten<br />

(Wert-, Fakten-, Beziehungskonflikt) inden Interessenkonflikt verweben<br />

<strong>und</strong> diese Konfliktarten ihrerseits unkonstruktiv bearbeitet werden (s. dazu Müller-<br />

Fohrbrodt 1999).Ein Beispiel solldas verdeutlichen (s.Kasten).<br />

BEISPIEL<br />

Eine Mutter möchte, dass die Tochter ihr Zimmer ordentlich aufräumt, damit sie<br />

es beim Saubermachen leichter hat. Die Tochter meint dagegen, sie räume genug<br />

auf, mehr ginge von ihrer ohnehin spärlichen Freizeit ab, zudem fühle sie sich<br />

wohler, wenn nicht alles ganz so ordentlich sei. In diesen Interessenkonflikt, wer<br />

wie viel aufräumt <strong>und</strong> sauber macht, mischt sich leicht ein Wertkonflikt. Die<br />

Mutter besteht u.U. darauf, dass ihre Ordnungsvorstellungen die angemessenen<br />

sind. Umgekehrt verurteilt die Tochter möglicherweise die Ordnungsvorstellungen<br />

der Mutter als spießig. Der Interessenkonflikt verschiebt sich so zu einem<br />

<br />

582<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>


Konflikt um den Wert von Ordnung. Mutter <strong>und</strong> Tochter setzen sich wechselseitig<br />

in ihren Wertvorstellungen herab.Dadurch verschlechtert sichihreBeziehung,<br />

was die gemeinsame Suche nach einer Befriedigung der Interessen beider erheblicherschweren<br />

kann.<br />

Lernziele. Um die Fähigkeit zur konstruktiven Konfliktbearbeitung zu verbessern,<br />

müssen eingeschliffene Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- <strong>und</strong> Verhaltensgewohnheiten<br />

verändert werden. Solche Umlernprozesse sind sehr schwer in Gang zu bringen,<br />

gehen nur langsam voran <strong>und</strong> erfordern eine hohe Veränderungsbereitschaft. Damit<br />

ist bereits gesagt, dass kognitive Kenntnisse allein nicht ausreichen, um nachhaltige<br />

Veränderungen in konstruktive Richtung zustande zu bringen (vgl. z.B. Nolting,<br />

1981).<br />

Die Verbesserung der Konfliktbearbeitung in konstruktive Richtung muss an drei<br />

Komponenten ansetzen:<br />

(1) am Wissen, was konstruktive Konfliktbearbeitung ausmacht <strong>und</strong> wodurch ihre<br />

Verwirklichung gefährdetist<br />

(2) amWollen,d.h. ander Bereitschaft,in Konflikten konstruktiv zu handeln<br />

(3) am Können, d.h. an den Kompetenzen, die zur Umsetzung des Wissens im Prozess<br />

der konstruktiven Konfliktbearbeitung vorhanden seinmüssen.<br />

Die drei Lernbereiche sind nicht unabhängig voneinander, sondern stehen ineiner<br />

Wechselbeziehung: Mit der Förderung bestimmter Einsichten über die Folgen unkonstruktiver<br />

Konfliktbearbeitung lässt sich u.U. die Bereitschaft erhöhen, sich in<br />

Zukunft in Konfliktsituationen konstruktiver zu verhalten. Diese Bereitschaft kann<br />

wiederumden WunschnachVerbesserung der für konstruktives Verhalten erforderlichen<br />

Kompetenzen nach sich ziehen. Der Kreislauf kann aber auch inder anderen<br />

Richtung durchlaufen werden. Der Erwerb von Kompetenzen kann den konstruktiven<br />

Umgang mit Konflikten erfolgreicher machen; das fördert die Bereitschaft zu<br />

weiterer konstruktiver Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> weckt u.U. das Bedürfnis nachmehr<br />

Einsicht, warum inbestimmten Situationen die Konfliktbearbeitung nicht so konstruktiv<br />

verläuft, wie gewünscht.<br />

Aufdie genannten drei Lernbereiche,diein unterschiedlicher Gewichtung in allen<br />

Konzepten zur Förderung der Konfliktbearbeitungsfähigkeit berücksichtigt werden,<br />

sollimFolgenden ausdifferenzierendeingegangen werden.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Wissen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich gehört zu den Kenntnissen <strong>und</strong> Einsichten das Verständnis der Faktoren,<br />

die Konflikte eskalieren lassen, der unerwünschten Folgen, die eine Konflikteskalation<br />

nach sich zieht ( → Kap. 17 Eskalationsdynamik) sowie das Verständnis<br />

der Vorteile der konstruktiven Bearbeitung von Konflikten (Müller-Fohrbrodt,<br />

1999). Auch die Auseinandersetzung mit einzelnen, für die Konfliktbearbeitung<br />

besonders relevanten Werten kann dazu gerechnet werden (z.B. Gerechtigkeit bei<br />

Montada&Kals, 2001).<br />

Lerninhalte <strong>und</strong> -prozessefür diekonstruktiveKonfliktbearbeitung 583


Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Lerninhalte. Eine schwierigeFrage ist hierbei,inwieweit für eine konstruktiveKonfliktbearbeitung<br />

das theoretische Wissen über den Umgang mit Konflikten sowie Verfahrenswissen<br />

z.B. zu kreativen Methoden, um neue Handlungsmöglichkeiten zu finden,<br />

ausreicht. Vermutlich müssen auch spezifische Kenntnisse zu den Konfliktinhalten<br />

vorhanden sein. Da jeder Interessenkonflikt seinen eigenen Inhalt hat, kann allgemein<br />

vermutet werden,dass guteKenntnisse über diefür denKonflikt relevanten Inhaltsbereiche<br />

der Suche nach kreativen neuen Wegen der Interessenbefriedigung dienlich<br />

sind. Die Einsicht, sich soweit möglich auch inhaltlich k<strong>und</strong>ig zu machen, sollte daher<br />

mit vermittelt werden. Neben den angeführten Kenntnisbereichen, die bestimmte<br />

Aspekte der konstruktiven Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> ihre Gefährdung betreffen, wird<br />

von vielen Autoren auchdie Vermittlung eines Ablaufschemas für wichtig erachtet.Ein<br />

solches Schema soll helfen, die ausufernden Kräfte eines Konflikts zu bändigen, <strong>und</strong><br />

dafür sorgen,dass alle wichtigenAspektedes Konflikts bearbeitet werden.<br />

Wollen<br />

Aus den vier Merkmalen der konstruktiven Bearbeitung von Interessenkonflikten<br />

lassen sich eine Reihe von Handlungsbereitschaften ableiten. Wenn diese Bereitschaften<br />

nicht vorhanden sind, wird der konstruktive Konfliktbearbeitungsprozess<br />

vermutlich scheitern.<br />

Blockade lockern. Die Auflösung der Blockade setzt mindestens diefolgendenBereitschaften<br />

voraus:<br />

überhaupt in Betracht zu ziehen, dass man sich auch selbst verändern sollte <strong>und</strong><br />

selbst den ersten Schritt zur Veränderung zu tun, ohne ihn von der Verursachungs-oder<br />

gar Schuldfrage abhängig zu machen<br />

dielängerfristigenFolgen des eigenenVerhaltens nüchtern zu bilanzieren.<br />

Gerechte Lösung. Die möglichst ausgeglichene, also gerechte Befriedigung der Anliegenbeider<br />

Parteien setzt zumindest dieBereitschaften voraus,<br />

der anderen Partei ebenso legitime Anliegen zu unterstellen wie der eigenen, d.h.<br />

die spontane eigene Sichtweise des Konflikts, in der die andere Partei mit illegitimen<br />

Anliegen stört, zu hinterfragen<br />

die Anliegen der anderen Partei verstehen zu wollen, d.h. die Perspektive zu<br />

wechseln; aber auch die eigenen Anliegen der anderen Partei verstehbar zu erklären,d.h.<br />

sichaufgegenseitige Verständigung einzulassen<br />

die Bereitschaft, Gerechtigkeit als bedeutsamen Wert im Konfliktbearbeitungsprozess<br />

zu akzeptieren.<br />

Gewinner-Gewinner-Lösung. Die Befriedigung der Anliegen beider Parteien auf<br />

höchstmöglichem Niveau setzt zumindest dieBereitschaften voraus,<br />

der anderen Partei das gleiche Ausmaß an Erfüllung ihrer Anliegen zuzugestehen<br />

wie der eigenen<br />

sichauf unterschiedliche Definitionen von Gerechtigkeiteinzulassen (Montada &<br />

Kals, 2001)<br />

bei der Suche nach Wegen zur Befriedigung der Anliegen beider Parteien Geduld<br />

<strong>und</strong> Kreativität aufzubringen.<br />

584<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>


Beziehung verbessern. Die Gestaltung der Suche nach Wegen zur höchstmöglichen<br />

Befriedigung der Anliegen beider Parteien in der Weise,dass die Beziehung zwischen<br />

den beiden Parteien sich nicht verschlechtert, sondern möglichst verbessert, setzt<br />

zumindest dieBereitschaften voraus,<br />

auf Macht <strong>und</strong> Manipulation, aber auch auf eine schnelle Harmonisierung der<br />

divergierenden Anliegen durch einseitige beziehungsbelastende Lösungen zu verzichten,<br />

d.h. die Spannungen, die sich durch die unvereinbar erscheinenden Anliegen,Bewertungen,Behauptungen<br />

ergeben,auszuhalten<br />

den Konflikt als kooperativ zu bearbeitendes Problem zu betrachten (s. Müller-<br />

Fohrbrodt,1999,S. 34f.)<br />

die unterschiedlichenKonfliktarten nicht bewusst miteinander zu vermengen.<br />

Können<br />

Mit dem „Können“ sind die Handlungskompetenzen gemeint, die für die erfolgreiche<br />

Umsetzung der Einsichten <strong>und</strong> Bereitschaften erforderlich sind. Bestimmte<br />

Kompetenzbereiche werden von allen Ansätzen thematisiert, wenn auch unterschiedlich<br />

ausdifferenziert. Dazu gehören vor allem die Bereiche der sozialen <strong>und</strong><br />

kommunikativen Kompetenzen (z.B. kooperieren, aktiv zuhören, Feedback geben),<br />

die für das in Konflikten besonders schwierige Interaktionsgeschehen benötigt werden,<br />

sowie „Ich-Kompetenzen“,dieden Umgang mit der eigenen Person <strong>und</strong>Identität<br />

betreffen (z.B. die eigenen Bedürfnisse <strong>und</strong> Emotionen klären können, angemessenes<br />

Vertrauen aufbauen können, Kontrollüberzeugungen <strong>und</strong> Selbstverantwortung<br />

entwickeln). Ergänzend gehört dazu in vielen Ansätzen auch die Kompetenz,<br />

einAblaufschemazur Durcharbeitung eines Konflikts zu nutzen.<br />

2 Lernarrangements zur<br />

Förderung der Konfliktbearbeitungsfähigkeit<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

DEFINITION<br />

Unter einem Lernarrangement wird die komplexe Gesamtsituation mit Aufgabenstellung,<br />

Arbeitsregeln, bereitgestellten Informationen, Medien <strong>und</strong> Rahmenbedingungen<br />

verstanden, die bei den Lernenden die Chance erhöhen soll, solche<br />

Erfahrungen zu machen, die Veränderungen imWissen, Wollen <strong>und</strong> Können in<br />

dieangestrebteRichtung in Gang setzen.<br />

Lernarrangements zur Förderung der konstruktiven Konfliktbearbeitungsfähigkeit<br />

können anhand einiger wichtiger Dimensionen charakterisiert werden. Ein erster<br />

Unterscheidungsgesichtspunkt betrifft die Adressaten des Lernarrangements. Die<br />

Zielgruppen reichen von den betroffenen Konfliktparteien über Vermittler oder<br />

Mediatoren bis hin zu Lehrenden, die ihrerseits Angebote zur Förderung der Kon-<br />

Lernarrangements zur Förderung der Konfliktbearbeitungsfähigkeit 585


fliktbearbeitungsfähigkeit machen. Ebenso treten deutliche Unterschiede inder Gewichtung<br />

der Lernbereiche (Wissen,Wollen,Können) auf.<br />

Lernarrangements sind methodisch betrachtet umso förderlicher für Wissen,<br />

Wollen <strong>und</strong> Können, je mehr der folgenden Kriterien sie berücksichtigen: Ausmaß<br />

<strong>und</strong> Konkretheit von Übungsmöglichkeiten, Personnähe der Übungsgelegenheiten,<br />

Effektivität der eingesetzten Medien, Ausmaß der berücksichtigten Komplexität des<br />

Konfliktgeschehens sowie Ausmaß <strong>und</strong> Qualität der Unterstützung der Lernprozesse.<br />

Variieren kann außerdem dieArt des Einbezugs der Parteien.<br />

Neben Theorieangeboten in Büchern, die primär auf die Verbesserung des Wissens<br />

abzielen (z.B. Palmowski, 2000; Pikas, 1974), gibt es zahlreiche Lernarrangements,<br />

die vor allem Basiskompetenzen im sozialen <strong>und</strong> kommunikativen Bereich<br />

fördern wollen (z.B. das Programm zur Primärprävention (PROPP) inRheinland-<br />

Pfalz von Berg-Noll, 2002; oder auchBraunet al., 2001; Walker,1995).<br />

Als Sonderfall kann man diesem Typus auch das Trainingsangebot von Eckert<br />

<strong>und</strong> Willems (1992) zurechnen. Gedacht ist das Training zur besseren Bearbeitung<br />

gesellschaftlicher Konflikte. Gefördert werden vor allem Kenntnisse <strong>und</strong> Einsichten<br />

sowie Kompetenzen durch Übungen, bei denen in der Mehrzahl ein Aspekt des<br />

Perspektivenwechsels im Zentrumder Aufmerksamkeit steht.Gearbeitet wirdjeweils<br />

mit einer Partei <strong>und</strong> das Training dient als eine Art „Vorbereitung“ für z.B. „Verhandlungen<br />

oder Vermittlungen“ (Eckert &Willems,1992,S. 231).<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Ganzheitlich konfliktbearbeitendeLernarrangements<br />

Im Folgenden soll exemplarisch auf ausgewählte Beispiele ganzheitlicher Lernarrangements<br />

näher eingegangen werden. Ganzheitlich sind sie in mehrerer Hinsicht.<br />

Erstens erheben sie den Anspruch, alle drei Lernkomponenten in gleicher Weise zu<br />

fördern. Darüber hinaus steht im Zentrum des Lernarrangements die vollständige<br />

Durcharbeitung eines Konfliktfalls. Die Bearbeitung wird schrittweise entlang eines<br />

Bearbeitungsschemas vorgenommen, um alle wichtigen Bearbeitungsschritte im<br />

Blick zu behalten. Adressaten können sowohl Kinder <strong>und</strong> Jugendliche als auch Erwachsene<br />

sein. Es gibt Lernarrangements, die nur mit einer Partei, <strong>und</strong> solche, die<br />

mit beiden Parteien arbeiten. Bei Letzteren handelt es sich inder Regel um eine<br />

Form von Mediation, bei der zusätzlich eine neutralen Instanz vermittelnd tätig ist.<br />

In der Regel besitzen diese Lernarrangements eine sehr hohe Komplexität, da sie mit<br />

aktuellen Konflikten arbeiten, die personnah sind <strong>und</strong> daher die hohe Emotionalität<br />

der Konfliktparteien mit berücksichtigen müssen. Als Medium wird inerster Linie<br />

die gesprochene, zur Reflexion anhaltende Sprache eingesetzt, häufig allerdings in<br />

stark ritualisierten Arbeitsformen. Ergänzend arbeiten einzelne Ansätze auch mit<br />

Rollenspielen <strong>und</strong> Videofeedback. Ausmaß <strong>und</strong> Qualität der Unterstützung der<br />

Lernprozesse sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von der nachträglichen Kontrolle<br />

über kollegiale Begleitung bis zu professioneller Betreuung der Lernprozesse.<br />

Zwei Lernarrangements dieses Typs sollen im Folgenden beispielhaft vorgestellt<br />

werden.Das Erstearbeitetmit einer Partei, umdieseaufdie spätereKonfliktbearbeitung<br />

mit der Gegenpartei vorzubereiten. Das zweite Lernarrangement ist ein so ge-<br />

586<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>


nanntes Streitschlichtermodell, bei dem eine neutrale dritte Partei den akuten Konflikt<br />

mit denbeteiligten Parteien bearbeitet.<br />

Lernarrangement mit einerKonfliktpartei<br />

Der Trainingskurs zur konstruktiven Konfliktbearbeitung (TKK) von Müller-<br />

Fohrbrodt (1999, dort Kap. 5) ist als vorbereitendes Lernarrangement konzipiert.<br />

Adressaten des Trainingskurses sind Studierende, die sich auf pädagogische oder<br />

psychologische Berufe vorbereiten. Wie in fast allen Lernarrangements wird der<br />

Trainingskurs durch die Vermittlung ausgewählter Kenntnisse <strong>und</strong> Übungen zu<br />

Basiskompetenzen, insbesondere kommunikativen, vorbereitet. Der Schwerpunkt<br />

der Zielsetzungen liegt im Bereich der Beeinflussung der Bereitschaften zu konstruktivem<br />

Verhalten in Konfliktsituationen. Der Trainingskurs bemüht sich darum, den<br />

Teilnehmenden ineiner geschützten Atmosphäre die Chance zu geben, sich mit den<br />

eigenen Barrieren <strong>und</strong> emotionalenWiderständen gegen konstruktivesVorgehen bei<br />

der Konfliktbearbeitung auseinander zu setzen.<br />

Vorgehen. Nach der Vorbereitungsphase dauert der eigentliche Trainingskurs vier<br />

ganze Tage. Gearbeitet wird inKleingruppen mit je vier Teilnehmern, die durch je<br />

zwei dafür ausgebildete Moderierende betreut werden. Jede teilnehmende Person<br />

bearbeitet schrittweiseeinen eigenen aktuellen Konfliktfall. Jeder Schritt wirderst für<br />

alle vier Personen bearbeitet, bevor der nächste Schritt in Angriff genommen wird.<br />

Die Moderierenden haben die Aufgabe, für ein annehmendes Klima zu sorgen, auf<br />

die Einhaltung der Durchführungsregeln zu achten <strong>und</strong> jeweils den Sinn der einzelnen<br />

Bearbeitungsschritte ins Gedächtnis zu rufen. Durch dieses Arrangement sind<br />

dieTeilnehmenden im Wechsel einmal selbst in der Rolle der beratenen <strong>und</strong> dreimal<br />

in der Rolle der beratenden Person. Die dadurch ausgelösten Lernprozesse unterstützen<br />

sich, wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat. Zugleich schafft dieses Vorgehen<br />

auch Distanzierungsmöglichkeiten, wenn in einem Schritt die Emotionalität<br />

oder der Veränderungsdruck zu belastendgeworden sein sollte.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Ablaufschema. Die Arbeit der Kleingruppen wird von der Kursleitung professionell<br />

begleitet. Die Schrittfolge zur Durcharbeitung des Konflikts ist handlungstheoretisch<br />

orientiert, differenziert aber an solchen Stellen stärker aus, die eine Veränderung<br />

bzw.Weitung der Konfliktdefinition fördern sollen (zur Schrittfolge s.Abb.1).<br />

Falls die Ergebnisbewertung nicht zufrieden stellend ausfällt, muss man zu einem<br />

früheren, möglicherweise nicht genügend gründlich bearbeiteten Schritt zurückkehren.<br />

Die Bearbeitung der einzelnen Schritte geschieht stark ritualisiert. Zu jeder in der<br />

Abbildung aufgeführten Fragen bieten die anderen Gruppenmitglieder (auch die<br />

Moderierenden) der am Konflikt arbeitenden Person Alternativen an, um sie zur<br />

Überprüfung der eigenen Sicht zu bewegen. Das geschieht im Wesentlichen durch<br />

verbale Angebote. Nur der Perspektivenwechsel wird durch Rollenspiel <strong>und</strong> Videofeedback<br />

unterstützt. Im siebten Schritt besteht die Möglichkeit, die erarbeiteten<br />

Maßnahmen mit Hilfe der anderen Gruppenmitglieder zu konkretisieren <strong>und</strong> insbe-<br />

Lernarrangements zur Förderung der Konfliktbearbeitungsfähigkeit 587


(1) Einstiegindie Problembearbeitung<br />

Bin ich so unzufriedenmitder Situation,dass ichetwas ändernmöchte?<br />

(2) Sachliche DefinitiondesProblems<br />

Welche Fragenmöchteich stellen, umdas Problem zu verstehen?<br />

(3)Emotionale DefinitiondesProblems<br />

Wie fühle ichmichinder Situation?<br />

(4)Ursächliche DefinitiondesProblems<br />

Wie erkläreichmir das Zustandekommendes Problems?<br />

(5)Perspektivenwechsel<br />

Wie sieht die emotionale <strong>und</strong> ursächliche Definitiondes Problems aus der Sicht<br />

der anderen Partei aus?<br />

(6) Zielsetzungen<br />

Was willicherreichen–bezogenaufmeine Interessen,Bedürfnisse,Beziehungen<br />

–langfristig <strong>und</strong> kurzfristig?<br />

(7) Maßnahmen<br />

Mit welchem Bündel von Maßnahmen will ichmeine Ziele erreichen?<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

(8)Ergebnisbewertung<br />

a) Werde ichmit dem Ergebnis der Maßnahmen zufrieden sein?<br />

b) Bin ichmit dem Ergebnis der Maßnahmen zufrieden?<br />

Abbildung 1. Modell zur konstruktiven Problembearbeitung (nachMüller-Fohrbrodt,1999,S.88)<br />

sondere solche mit kommunikativen Schwierigkeiten im Rollenspiel zu erproben.<br />

Innerhalb des Trainingskurses ist auch nur eine vorwegnehmende Bewertung möglich.<br />

Die Umsetzung der Maßnahmen kann in der Regel erst nach Abschluss des<br />

Kurses vorgenommen werden.<br />

Evaluation. Die Evaluationsergebnisse von insgesamt 172 Studierenden sprechen<br />

dafür,dass es bei der Mehrzahl der Teilnehmenden tatsächlich zu einer Veränderung<br />

der Bereitschaften kommt.Insbesondere wächst die Bereitschaft,deneigenen Beitrag<br />

zur Eskalationeines Konfliktes zu suchen,diePerspektive zu wechseln <strong>und</strong> der anderen<br />

Partei ebenfalls legitime Bedürfnisse zuzugestehen sowie etwas für die Pflege der<br />

Beziehung zur anderen Partei zu tun. Nicht immer werden die imTrainingskurs<br />

erarbeiteten Maßnahmen umgesetzt, was allerdings den Lerngewinn nicht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

inFrage stellt. Den meisten Kursteilnehmenden ist bewusst, dass sie die<br />

angebahnten Kompetenzen mehr üben müssten (Müller-Fohrbrodt, 2002).<br />

588<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>


Konfliktvermittlungsansätze<br />

Bei Peer-Mediations- oder Streitschlichter-Lernarrangements sollen Kinder oder<br />

Jugendliche lernen, ihre Konflikte selbst zu regeln. Dazu sollen entweder alle Kinder<br />

oder nur ausgewählte <strong>und</strong> dafür besonders ausgebildete Kinder zu „Streitschlichtern“<br />

im Sinne einer konstruktiven Konfliktbearbeitung werden (Diehl,2002).<br />

Vorgehen. Auch indiesem Lernarrangement ist in der Regel zunächst eine Phase<br />

vorgesehen, in der den Kindern unter Berücksichtigung ihres Alters <strong>und</strong> Entwicklungsstandes<br />

Kenntnisse <strong>und</strong> Einsichten in den Sinn <strong>und</strong> die Notwendigkeit von<br />

konstruktivem Umgang mit Konflikten nahe gebracht werden. Zusätzlich werden<br />

gewisse Basiskompetenzen eingeübt, die sie für die Rolle als Streitschlichter benötigen.<br />

Der Schlichtungsprozess orientiert sich an einem Ablaufmodell mit einer begrenzten<br />

Zahl von Schritten <strong>und</strong> ist stark ritualisiert. In den Übungsphasen wird<br />

sowohl mit Papier <strong>und</strong> Bleistift als auch mit Rollenspielen gelernt. In der Durchführungsphase<br />

lernen die Kinder am eigenen akuten Konfliktfall. Die volle Komplexität<br />

realer Konflikteist im Lernprozess enthalten.<br />

Wahrscheinlich ist der Lerngewinn der Kinder in der Rolle der neutralen Streitschlichter<br />

größer als bei den streitenden Parteien. Es erhöhen sich vermutlich sowohl<br />

ihre Einsichten <strong>und</strong> Kompetenzen als auch ihre Bereitschaften zu konstruktiver Konfliktbearbeitung.<br />

Aber auch die Streitenden sammeln eigene Erfahrungen, die für ihr<br />

weiteres Verhalten in Konfliktsituationennicht ohne Folgenbleiben werden. Sie werden<br />

zum Perspektivenwechsel angehalten <strong>und</strong> lernen dabei, die andere Sicht <strong>und</strong> die<br />

Bedürfnisse der anderen Partei zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Der Schlichtungsvorgang<br />

wirdinden meisten Ansätzen von einemoder zwei Kindern durchgeführt,die<br />

ihr Vorgehen inden wesentlichen Punkten schriftlich festhalten. Üblicherweise gibt es<br />

für dieSchlichtendeneine regelmäßige Supervision, um über Probleme <strong>und</strong> Ergebnisse<br />

der Schlichtung unter der Anleitung einer dafür ausgebildeten Lehrperson zu reflektieren.<br />

Streitschlichterprogramm. Als Beispiel für diesen Typ von Lernarrangement soll das<br />

„Streitschlichterprogramm“ von Jefferys-Duden (1999) vorgestellt werden (für Klassen<br />

3 bis 6; für die Sek<strong>und</strong>arstufe s.Jefferys-Duden, 2000). Das Programm sieht dieAusbildung<br />

aller Schüler einer Klasse zur Streitschlichtung vor <strong>und</strong> empfiehlt auchden Einsatz<br />

aller Schüler zur Durchführung von Schlichtungen, wobei sie jeweils zu zweit arbeiten<br />

sollen. In sechs Unterrichtsequenzen, in denen wesentliche Inhalte mehrmals vorkommen,<br />

werdendie Kinder aufdie Schlichtung vorbereitet (s.Tab.1).<br />

Gelernt wird anhand zahlreicher Beispiele, teils schriftlich mit Aufgabenstellungen,<br />

zu denen Jefferys-Duden die Vorlagen liefert, teils im Rollenspiel. Vor allem<br />

wird immer wieder der ritualisierte Schlichtungsablauf geübt. Er enthält mit Rücksicht<br />

aufdas Alter der Kinder nur vier Schritte:<br />

(1) Regeln vereinbaren (ausreden lassen, wiederholen,höflich sein)<br />

(2) Standpunkteaustauschen<br />

(3) Lösungenfinden<br />

(4) Abkommen schließen.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Lernarrangements zur Förderung der Konfliktbearbeitungsfähigkeit 589


Tabelle 1. Unterrichtssequenzen <strong>und</strong> generelle Lerninhalte des Streitschlichterprogramms<br />

(nachJefferys-Duden, 2000)<br />

Unterrichtssequenzen<br />

Lerninhalte<br />

Einführung in dieSchlichtung<br />

Konfliktlösungen<br />

Schlichterkenntnisse <strong>und</strong> -fähigkeiten<br />

Gefühleerkennen,benennen, vergleichen<br />

Schlichtungsablauf<br />

Erfolgskontrolle<br />

Zuhören,Paraphrasieren (ineigenen Worten wiedergeben,<br />

was der anderegesagt hat)<br />

nonverbalausgedrückteGefühle erkennen<br />

Konfliktgegenstände<strong>und</strong> Lösungsmöglichkeiten kennen<br />

den Mediationsablaufbeherrschen,mit einem Partner<br />

im Schlichtungsgesprächkooperieren.<br />

Typisch für ein Verfahren, das sich an jüngere Schüler richtet, ist der didaktische<br />

Einsatz von Symbolen, umden Lernstoff zu verankern (vgl. auch Braun et al., 2001).<br />

Hierzu gehört auch die von Jefferys-Duden verwendete Idee der Friedensbrücke, auf<br />

der dieStreitenden sichbei jedem bewältigten Schritt näher kommen.<br />

Evaluation. Die Protokolle der Streitschlichtung ermöglichen gr<strong>und</strong>sätzlich auch<br />

eine Evaluation dieses Lernarrangements, falls nicht Verschwiegenheit gegenüber<br />

den Lehrpersonen zugesagt wurde. Dennoch fehlen für Deutschland zurzeit kontrollierte<br />

Evaluationsstudien; eine Übersicht über amerikanische Studien zur Peer-<br />

Mediation findet sichbei Rönchen(1999).<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

3 Konfliktkompetenz <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong><br />

Der Begriff der <strong>Zivilcourage</strong> wurde 1864 von Bismarckeingeführt.Er bezeichneteals<br />

„Bürgermut“ imbürgerlichen Bereich die Entsprechung zum Soldatenmut im militärischen<br />

Bereich (bspw. Kapp &Scheele, 1996; Meyer &Herrmann, 1999). Ursprünglich<br />

enthielt der Begriff also eine politische Komponente. Diese wird deutlich,<br />

wenn imZusammenhang mit dem Widerstand gegen die Hitler-Diktatur von <strong>Zivilcourage</strong><br />

gesprochen wird. Heute wirdder Begriff<strong>Zivilcourage</strong> auf sehr unterschiedliche<br />

Konfliktsituationen ausgedehnt, wie z.B.<br />

schützendes Verhalten für Opfer von Gewalt <strong>und</strong> Fremdenfeindlichkeit<br />

Verteidigung der eigenen oder fremden Rechte gegen institutionalisierte Willkür<br />

oder Ungerechtigkeit<br />

öffentliches Eintreten für dieeigenen, wertbezogenen Überzeugungen.<br />

Injedem dieser Fällegeht es darum,dass dieeigenen Handlungen in Konflikt mit denen<br />

einer mächtigen Gegenpartei geraten.Die Gegenpartei verfügt über Sanktionsmittel,die<br />

der eigenenPartei oder Person massiveNachteile zufügen können, von materiellenoder<br />

Ansehensverlusten über berufliche Beeinträchtigungen bis hin zu körperlichen Schädi-<br />

590<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>


gungenoder gar Tod.Zivilcouragiertes Verhalten stellt alsoinjedem Fall eine Formder<br />

Konfliktbearbeitung dar,dieallerdings unter erschwerten Bedingungenerfolgen muss.<br />

ErschwerteBedingungen bei zivilcouragiertem Konfliktverhalten<br />

Zivilcouragiertes Handeln zeichnet sichdadurchaus,<br />

(1) dass es besonderen Mut erfordert, um gegenüber der mächtigen anderen Partei<br />

<strong>und</strong> in vielenFällenauchöffentlich zur eigenen Überzeugung zu stehen <strong>und</strong> von<br />

der Gegenpartei Verhaltensänderungen zu fordern<br />

(2) dass ein ausgeprägtes Wertgefühl das eigene Handeln leitet, wobei sehr unterschiedlicheWertehandlungsleitend<br />

sein können<br />

(3) dass die Hilfehandlung oft sehr schnell erfolgen muss. Dies setzt eine rasche<br />

Klärung der inneren Widerstände voraus. Vor dem Einschreiten müssen häufig<br />

intrapersonale Konflikte entschieden werden, die bspw. inForm von Güterabwägungen<br />

oder inneren Normkonflikten auftreten können.<br />

(4) Außerdem muss die Situation mit ihrem Gefahrenpotential sehr schnell eingeschätzt<br />

werden, um situationsangemessen handeln zu können.<br />

Fördermöglichkeiten zivilcouragierten Handelns<br />

Es stellt sich die Frage, ob die Besonderheiten zivilcouragierten Handelns auch der<br />

besonderen Förderung durch eigens dafür konzipierte Lernarrangements bedürfen.<br />

Gegenwärtige Maßnahmen zur Förderung von <strong>Zivilcourage</strong> versuchen über die<br />

Vermittlung von Kompetenzen indirekt die Persönlichkeit der Helfer zu stärken.<br />

Betrachtet man sogenannte<strong>Zivilcourage</strong>trainings näher, sofällt auf,dass wie bei den<br />

anderen geschilderten Lernarrangements auch hier meist der konstruktive Umgang<br />

mit Gewalt im Mittelpunkt steht.<br />

<strong>Zivilcourage</strong>training. Im Göttinger <strong>Zivilcourage</strong>training (Jonas et al., 2002), das als<br />

eintägiges Seminar konzipiert ist, lernen die Teilnehmer, ihr Handlungsrepertoire in<br />

alltäglichen Situationen mit beobachteter physischer <strong>und</strong> psychischer Gewalt zu<br />

erweitern. Basierendauf sozialpsychologischen Modellen der Hilfeleistung (Latané &<br />

Darley, 1970) wurden Übungen entwickelt, die vor allem die Handlungskompetenzen<br />

der Teilnehmer in Bedrohungssituationen verbessern sollen. Evaluationsstudien<br />

wurden von den Autoren angekündigt.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Tabelle 2. Trainingsinhalte des Göttinger <strong>Zivilcourage</strong>trainings: Selbsterfahrung <strong>und</strong><br />

Kompetenzerweiterung (vgl. Jonas etal., 2002,S. 76)<br />

InvestigativeBefragung<br />

Rollenspiel<br />

Erspüren von Bedrohungen<br />

Stimmübung<br />

Selbstverteidigung<br />

Notrufübung<br />

Gruppenbildung<br />

Selbsterfahrungselemente zur Sensibilisierung für<br />

<strong>Zivilcourage</strong> im Alltag. Verdeutlichung von<br />

Diskrepanzen zwischenEinstellung <strong>und</strong> Verhalten.<br />

Kompetenzerweiterung durchWissensvermittlung<br />

<strong>und</strong> Einübung von Verteidigungsstrategien,<br />

situationsadäquatem Einsatz der eigenen Stimme,<br />

richtiges Absetzen eines Notrufes <strong>und</strong> Aktivierung<br />

weiterer Helfer.<br />

Konfliktkompetenz <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong> 591


Zweifellos können erlernte Handlungsroutinen eine adäquate Hilfeleistung in bestimmten<br />

Situationen entscheidend vereinfachen <strong>und</strong> beschleunigen. Doch um derartige<br />

Kompetenzen anwenden zu können, muss der zivilcouragiert Handelnde bereits<br />

über weiterewichtige Fähigkeiten verfügen.<br />

Der besondere Mut, den zivilcouragiertes Handeln erfordert, setzt vor allem eine<br />

hohe Ich-Kompetenz voraus. Den Mut, auch unter hohem persönlichem Risiko zu<br />

handeln, wird nur eine Person aufbringen, die sich selbst <strong>und</strong> ihre Ziele geklärt hat,<br />

<strong>und</strong> die zudem von der Wirksamkeit ihres Handelns überzeugt ist. Die direkte oder<br />

indirekte Förderung der Ich-Kompetenz gehört zu den Zielsetzungen aller vorgestellten<br />

Ansätze. Immer geht esauchumeine Stärkung der Person.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Zivilcouragiertes Verhalten <strong>und</strong> konstruktiveKonfliktbearbeitung<br />

Die Auflösung intrapsychischer Konflikte wird sowohl durch die Beschäftigung mit<br />

den eigenen Werten als auch durch das Erlernen von Kompetenzen zur Arbeit an<br />

interpersonellen Konflikten gefördert. Hilfreich sind hierzu vor allem Programme,<br />

die den Lernenden strukturierende Ablaufschritte an die Hand geben, die auch zur<br />

Klärung eigener Ziele herangezogen werden können. Die Auseinandersetzung mit<br />

Werten findet in den meisten vorgestellten Lernarrangements statt, <strong>und</strong> zwar umso<br />

mehr, je personnäher <strong>und</strong> je reflexiver die Lernsituationen gestaltet sind. Die<br />

Streitschlichterprogramme, die sich an sehr junge Schüler wenden, sind zwar sehr<br />

personnah, aber weniger reflexiv angelegt, in ihnen vollzieht sich die Beschäftigung<br />

mit Werten eher implizit. Dennoch nimmt Jefferys-Duden (1999) für das Streitschlichterprogramm<br />

in Anspruch, dass es die moralische Entwicklung der Kinder<br />

fördere. Der zentrale Wert, über den auf jeden Fall nachgedacht wird, ist der der<br />

Gerechtigkeit. Insgesamt fördern die Ansätze vermutlich stärker das Verstehen <strong>und</strong><br />

Tolerieren von Werten als das Sich-Einsetzen für dieeigenenWertüberzeugungen.<br />

Die Mehrzahl der Lernarrangements zur Verbesserung der konstruktiven Konfliktbearbeitung<br />

für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche verfolgt ausdrücklich auch das Ziel,<br />

Gewalt als Mittel der Konfliktaustragung zu reduzieren.Inder Regel stellen sie daher<br />

auch Lernerfahrungen bereit, wie auf Gewalt konstruktiv, d.h. nicht mit Gewalt,<br />

sondern deeskalierend reagiert werden kann (explizite Verhaltensempfehlungen s.<br />

Walker,1995,S.155ff.).<br />

Es wurde zu zeigen versucht, dass die Förderung konstruktiver Konfliktbearbeitung<br />

immer zugleich auch zur Förderung zivilcouragierten Verhaltens beiträgt.<br />

Abschließend stellt sich die Frage, ob zivilcouragiertes Verhalten auch immer den<br />

Kriterien der konstruktiven Konfliktbearbeitung entspricht. Um das zu gewährleisten,<br />

reichen die Kriterien des Mutes, gegen eine sanktionsmächtige Partei anzugehen<br />

<strong>und</strong> dabei wichtige Werte zu verteidigen nicht aus. Gewährleistet sein muss<br />

zusätzlich<br />

die Rückbindung der Werte an die Menschenrechte <strong>und</strong> damit auch die Bereitschaft<br />

zu Gewaltverzicht sowie<br />

die Bereitschaft, konstruktiv <strong>und</strong> mit Ausdauer nach der höchstmöglichen Befriedigung<br />

der Anliegen aller beteiligten Parteien zu suchen.<br />

592<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>


4 Ausblick<br />

Die große Nachfrage nach Programmen zur Förderung der Fähigkeit zu konstruktiver<br />

Konfliktbearbeitung hat eine Fülle unterschiedlicher Lernarrangements erzeugt.Kritisch<br />

einschränkende Angaben zu ihrer Wirksamkeit <strong>und</strong> ihren Grenzen findet man eher<br />

selten: zu Lernvoraussetzungen bei Eckert <strong>und</strong> Willems (1992); zur geeigneten Lernumgebung<br />

bei Braun et al. (2001); zu den Grenzen von Streitschlichtung s. Diehl<br />

(2000); zur Evaluation der Wirksamkeit s. auch Eckert <strong>und</strong> Willems (1992), Glattacker<br />

et al. (2002) <strong>und</strong> Noack (1998). Nachzudenken wäre auch über eine Erweiterung des<br />

Methodenrepertoires um kreative Verfahren, die wahrscheinlich eher geeignet sind,<br />

subtileSelbstklärungsprozesseanzuregen, <strong>und</strong> die zudemdie Kreativität fördern,diefür<br />

den konstruktiven Teil der Konfliktbearbeitung ohnehin dringend gebraucht wird. Vor<br />

allem bleibt zu hoffen, dass sich die Förderung der konstruktiven Konfliktbearbeitung<br />

nicht als pädagogische Mode erweist, sondern dass sie wirklich zu einer verbesserten<br />

Konfliktbearbeitungskultur in unserer Gesellschaftbeiträgt.Jemehr diesesgelingt,desto<br />

geringer werdendie Anforderungen an<strong>Zivilcourage</strong> sein.<br />

Literatur<br />

Berg-Noll, T.(2002). Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler stärken –Konflikte klären. Pädagogische<br />

Beiträge.Unterricht <strong>und</strong> Schulleben in Rheinland-Pfalz,1/02, 20–23.<br />

Braun, G., Dietzler-Isenberg, E.&Würbel, A.(2001). Kinder lösen Konflikte selbst! Streitschlichtung<br />

in der Gr<strong>und</strong>schule.Bergisch-Gladbach:Thomas-Morus-AkademieBensberg.<br />

Diehl, F.(2002). Schulmediation –Streitschlichtung in der Schule. Pädagogische Beiträge.<br />

Unterricht <strong>und</strong> Schulleben in Rheinland-Pfalz,1/02,16–18.<br />

Eckert, R.&Willems, H.(1992). Konfliktintervention. Perspektivenübernahme ingesellschaftlichen<br />

Auseinandersetzungen.Opladen:Leske +Budrich.<br />

Glattacker, M., Engel, E.-M., Hilt, F., Gründer, T., &Käppler, C.(2002). Ist Gewaltprävention<br />

an Schulen wirksam? – Eine erste Bilanz über das Präventionsprogramm „Konflikt-<br />

Kultur“. PsychologieinErziehung <strong>und</strong> Unterricht,49,141–150.<br />

Jefferys-Duden, K.(1999). Das Streitschlichterprogramm. Mediatorenausbildung für Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler der Klassen 3bis 6.Weinheim:Beltz.<br />

Jefferys-Duden, K.(2000). Konfliktlösung <strong>und</strong> Streitschlichtung. Das Sek<strong>und</strong>arstufenprogramm.<br />

Weinheim:Beltz.<br />

Jonas, K.J., Boos, M., Backes, S., Büttner, N., Ehrenthal, J.&Prasse, A.(2002). Göttinger<br />

<strong>Zivilcourage</strong>-Training. Polizei &Wissenschaft,1, 72–82.<br />

Kapp, F.&Scheele, B.(1996). „Was verstehen Sie unter <strong>Zivilcourage</strong>?“. Annäherung an eine<br />

Psychologie des aufrechten Gangs mit Hilfe Subjektiver Theorien. Gruppendynamik, 27,<br />

125–144.<br />

Latané, B.&Darley, J.M. (1970). The unresponsive bystander: Why doesn’t he help? New<br />

York:Appleton-Century-Crofts.<br />

Meyer, G.&Herrmann, A.(1999). „. ..normalerweise hätt’ da schon jemand eingreifen müssen“:<br />

<strong>Zivilcourage</strong> im Alltag von BerufsschülerInnen. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-<br />

Verlag.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

Literatur 593


Montada, L.&Kals,E.(2001). Mediation. Lehrbuchfür Psychologen <strong>und</strong> Juristen.Weinheim:<br />

Beltz PVU.<br />

Müller-Fohrbrodt, G.(1999). Konflikte konstruktiv bearbeiten lernen. Zielsetzungen <strong>und</strong><br />

Methodenvorschläge.Opladen:Leske +Budrich.<br />

Müller-Fohrbrodt, G.(2002). Evaluation des Trainings zur konstuktiven Konfliktbearbeitung.<br />

Unveröffentlichter Vortrag auf dem 18. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften<br />

vom 25. –27.3.2002,München.<br />

Noack, U.(1998). Mediation. Das Schulstreitschlichter-Modell inder Bewährung. Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Frieden,16 (2),51–55.<br />

Nolting, H.-P. (1981). Lernschritte zur Gewaltlosigkeit. Ergebnisse psychologischer Friedensforschung.Reinbek:Rowohlt.<br />

Palmowski, W.(2000). Anders handeln. Lehrerverhalten in Konfliktsituationen. Ein Übersichts-<br />

<strong>und</strong> Praxisbuch. Dortm<strong>und</strong>:Borgmann.<br />

Pikas,A.(1974).Rationale Konfliktlösung.Heidelberg:Quelle &Meyer.<br />

Rönchen, B.(1999). Peer-Mediation inSchulen. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Trier: Universität<br />

Trier.<br />

Walker, J.(1995). Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Gr<strong>und</strong>schule. Berlin: Cornelson.<br />

Teil III<br />

Frieden gestalten<br />

594<br />

<strong>Konfliktfähigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Zivilcourage</strong>

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