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GEBROCHENE NEGATIVIT GEBROCHENE NEGATIVITÄT - Krisis

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NORBERT TRENKLE<br />

tät verliehen wird. Zugleich verschwimmen seine Konturen im grauen Nebel einer<br />

dunklen Vorgeschichte.<br />

Gerade diese im Kern transhistorische und letztlich anthropologisierende Sichtweise<br />

teilen Horkheimer und Adorno mit dem Aufklärungsdenken, das ja bekanntlich<br />

die bürgerliche Gesellschaft zu „Gesellschaft überhaupt“ hypostasiert und einem<br />

imaginierten Naturzustand entgegenstellt. Nicht-kapitalistische Kulturen und<br />

Gesellschaften erscheinen demgegenüber bestenfalls als logische Vorläufer der<br />

Moderne, als Zwischenschritte auf dem Weg zur höchsten Stufe der Menschheitsentwicklung<br />

und als mehr oder weniger „zurückgeblieben“ (wie es etwa die zwischen<br />

Rassismus und Exotismus schwankende Bezeichnung „Naturvolk“ ausdrückt).<br />

Alle negativen Momente und Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft<br />

gelten demnach als Erbe des Naturzustandes, der in unverkennbarer Projektion<br />

der gnadenlosen kapitalistischen Konkurrenz als grausamer Kampf Aller gegen<br />

Alle phantasiert wird. Und da die Zivilisation angeblich immer nur ein dünner<br />

Firnis ist, der über diesem gewalttätigen Naturzustand liegt, bedarf es beständiger<br />

Anstrengung den „alten Adam“ im Zaum zu halten. Jeder Ausbruch von Gewalt<br />

und Irrationalismus kann auf diese Weise ideologisch externalisiert werden, als<br />

Einbruch der „Barbarei“, einer angeblich vorzivilisatorischen Natur oder prämodernen<br />

Halbkultur, und rechtfertig jede nur denkbare „zivilisatorische Anstrengung“<br />

– notfalls auch mit Bomben und Raketen.<br />

Nun greifen Horkheimer und Adorno zwar diese plump-dreiste Selbstrechtfertigung<br />

der Moderne vehement an, indem sie zeigen, dass der Irrationalismus nur die<br />

Rückseite der Aufklärungsvernunft und diese also ohne jenen nicht zu haben ist.<br />

Da sie jedoch selbst bürgerliche Vernunft und Herrschaft in die Geschichte zurückprojizieren,<br />

reproduzieren auch sie letztlich das abendländische Zerrbild der<br />

„Barbarei“ – wenn auch in reflektierterer Gestalt:<br />

„Die verhasste übermächtige Lockung, in die Natur zurückzufallen, ganz auszurotten,<br />

das ist die Grausamkeit, die der misslungenen Zivilisation entspringt, Barbarei,<br />

die andere Seite der Kultur“ (DdA, S. 101).<br />

„Barbarei“, in welche Zivilisation beständig umzukippen droht, ist bei Horkheimer<br />

und Adorno zwar nicht unmittelbar erste Natur, gründet aber, wie die Vernunft<br />

selbst, in der misslungenen Ablösung von ihr. Über Kant und die Aufklärung gehen<br />

sie insofern hinaus, als sie im Rückgriff auf die Freudsche Kulturtheorie das<br />

Verhältnis zwischen Kultur und Natur als ein dialektisches entwickeln. Die „innere<br />

Natur“ wird im Prozess der Verdrängung durch „Kultur“ selbst verwandelt, bleibt<br />

also nicht das was sie mal war oder gewesen sein könnte; sie ist also keinesfalls<br />

„ursprünglich“:<br />

„Die urgeschichtlichen Verhaltensweisen, auf welche Zivilisation ein Tabu gelegt,<br />

hatten unter dem Stigma der Bestialität in destruktive transformiert, ein unterirdisches<br />

Dasein geführt. Juliette (de Sades „Juliette“; N.T.) betätigt sie nicht mehr<br />

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