Leseprobe (PDF) - Rowohlt
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Die verfälschende Zeit<br />
Ein unlösbares Problem des Erzählers ist die Zeit: Logischer-,<br />
aber doch absurderweise vergeht sie auch in der<br />
Chronik um so rascher, je spannender der Chronist erzählt.<br />
Doch hier – er kann das nicht ändern – beginnt unvermeidbar<br />
die Fälschung. Denn rapportiert er so rasch, faktenreich,<br />
kurz und kurzweilig zum Beispiel das Wegräumen der<br />
Augustus-Nachkommen aus der Erbfolge durch Livia und<br />
ihren Sohn Tiberius: so muß der durchaus irreführende Eindruck<br />
entstehen, Livias nahezu fünfzigjährige Regierungszeit<br />
– mindestens die Familienpolitik unterstand ihr, nicht<br />
ihrem Ehemann Augustus – sei ein einziges dämonisches<br />
Mantel- und Degenstück gewesen, der dramatische Ablauf<br />
einander Jahr auf Jahr folgender Beseitigungen potentieller<br />
Thronanwärter.<br />
Nein – Livia hatte und nahm sich viel Zeit. Nur einmal<br />
nicht: Als die zwei ältesten Söhne Julias, die vom Großvater<br />
Augu stus wie vom römischen Volk vergötterten Enkel Caius<br />
und Lucius, binnen achtzehn Monaten « starben » … Sonst<br />
aber gab es in diesen Jahrzehnten – Livia lebte von 58 v. Chr.<br />
bis 29 n. Chr. – auch innerhalb der Kaiserfamilie lange währende<br />
paradiesische Friedens-Oasen: So pilgerte einst Au-<br />
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