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Die Unerbittliche<br />
Die Generation Elfriede Jelineks hat die nationalsozialistischen Ideen der Eltern als<br />
einen Inkubus erfahren. Sie hatten die Eltern geliebt und mussten feststellen, dass die<br />
sie infiziert hatten mit dem NS-Virus und dass sie ihn durch die Liebe übertragen<br />
hatten. Diese Erfahrung hat Elfriede Jelinek zu einer der kältesten Beobachterinnen<br />
des menschlichen Liebeslebens gemacht.<br />
Liebeserklärung an eine Unerbittliche von Arno Widmann<br />
Sie sei in einem Zustand, der es ihr unmöglich machen werde, nach Stockholm zu fahren,<br />
um den Nobelpreis persönlich entgegen zu nehmen, erklärte Elfriede Jelinek in einer ersten<br />
Reaktion. Wer sie dabei sah, mit dem wirren grauen Haar und Augen, die wie auf der Flucht<br />
schienen, wer beobachtete, wie sie die Hände um die Oberarme spannte, um sich<br />
zusammen zu nehmen, der glaubte ihr.<br />
Das war nicht immer so. Elfriede Jelinek war lange Jahre die schönste Frau der<br />
deutschsprachigen Literatur. Hohe Wangenknochen, große Augen, eine feste Schlankheit<br />
waren die Grundlagen, auf denen sie aus besten Stoffen und deren raffinierter Verarbeitung<br />
einen cordon sanitaire schuf, dessen damenhafte Eleganz ihr ein wenig von jener Sicherheit<br />
bot, auf die sie so sehr angewiesen war. Wann immer sie damals die Labilität ihres<br />
Zustandes ansprach, winkte die vorwiegend männliche Öffentlichkeit ab und sprach je nach<br />
Bildungsgrad von "Attituden" oder "Zickereien". Elfriede Jelinek war schließlich nicht<br />
zimperlich im Umgang mit ihren zahllosen Gegnern. Ihre Intelligenz war von einer Schärfe,<br />
die selbst bei den leichtesten Streichen schon verletzte.<br />
Wären ihre Gegner nur die alten Nazis gewesen, es hätten sich Koalitionen schmieden<br />
lassen, aber Elfriede Jelinek war nicht nur politisch kompromisslos, sie war es auch<br />
ästhetisch. Sie war darum - und ist es wohl noch immer - allein. Daran änderte auch nichts,<br />
dass schon früh sich ein Kreis der Jelinek-Verehrer bildete, der Verehrerinnen vor allem. Es<br />
waren Freundinnen, die Elfriede Jelinek auf ihren Gängen in die Öffentlichkeit begleiteten,<br />
Bewunderinnen, die schon aus Eifersucht einen zweiten Schutzwall um die gefährdete<br />
Künstlerin zogen. Es sind Autorinnen darunter und Musikerinnen. Sie sind nicht alle der<br />
Jelinek und einander treu geblieben, aber sie haben es Elfriede Jelinek möglich gemacht,<br />
über Jahrzehnte hinweg eine der produktivsten Schriftstellerinnen deutscher Sprache zu<br />
werden, zu sein und zu bleiben. Jeder Jelinekleser ist auch ihnen zu Dank verpflichtet.<br />
Von Anfang an haben Kritik und Öffentlichkeit Elfriede Jelinek einen unermüdlichen<br />
Oppositionsgeist attestiert. Sie sei besessen von der Lust am Widerspruch, nichts habe vor<br />
ihr Bestand und die humansten Empfindungen würden in den Dreck gezogen. Ihrem Roman<br />
"Lust" warf man vor, dieselbe nicht zu wecken, sondern zu töten. Abgesehen davon, dass<br />
man nicht recht versteht, warum das ein Vorwurf sein soll, versteht man schon nicht, wie<br />
geübte Leser sich in eine solche Dichotomie treiben lassen können.<br />
Vor Elfriede Jelineks Texten hat die Kritik sich immer wieder blamiert. Das hat einen<br />
einfachen Grund. Jelineks Prosa ist durch und durch konstruiert, sie ist in jedem Wort, in<br />
jedem syntaktischen Gelenk artifiziell. Sie überlässt sich einem Schwung nur, um ihn zu<br />
widerlegen. Sie zitiert und montiert. Sie schafft keinen Fluss, in dem der Leser baden kann.<br />
Ihre Texte sind hochmusikalisch, aber es ist die Schönheit der freien Atonalität, nicht die von<br />
Dur und Moll, und wo sie an die Strenge einer Zwölftonkomposition erinnern, da wird einem<br />
auch dieses Vergnügen bald genommen, weil sie deren Zwangscharakter offen legt.<br />
In den Texten der Jelinek gibt es keine Gemütlichkeiten. So sehr aber der Kritiker sich durch<br />
"avantgardistische" Texte in seiner professionellen Ehre angesprochen, ja geschmeichelt<br />
fühlt, so wenig Zeit hat er doch, sich ihrer fremden Schönheit zu überlassen. Der nächste<br />
Updike wartet. Also lobt er die Avantgarde, er liest sie aber selten ohne Widerwillen und<br />
lieben tut er sie fast nie. Der Leser dagegen muss nicht lesen. Wenn er also an einen<br />
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Roman, eine Erzählung, ein Theaterstück von Elfriede Jelinek gerät, wird er es beiseite<br />
legen oder lesen, und wenn es ihm gefällt, wird er mehr lesen von ihr, und er weiß schon, er<br />
wird Zeit brauchen und jeden Satz zwei Mal lesen müssen, nicht, weil die Sätze schwierig<br />
sind, sondern weil so viel in ihnen passiert. Elfriede Jelineks Prosa ist niemals nur Elfriede<br />
Jelineks Prosa. Sie fängt Wörter und Melodien ein, mit denen wir aufgewachsen sind, die<br />
uns so vertraut sind, die so sehr zu unserer Ausstattung gehören, dass wir sie nicht sehen.<br />
Melodien ist das falsche Wort. Es sind Tonfälle. Elfriede Jelinek hört sehr gut und ihre wache<br />
Intelligenz schärft dieses Gehör noch einmal. Niemand hat so früh die Plastiksprache der<br />
Jugendkultur vorgeführt wie Elfriede Jelinek und niemand hat sich so intensiv mit der<br />
falschen Gefühligkeit unserer Umgangssprache und der der großen deutschen Philosophie<br />
des zwanzigsten Jahrhunderts auseinandergesetzt wie Elfriede Jelinek.<br />
Elfriede Jelinek wird wahrgenommen als Kritikerin, als oppositionelle Intellektuelle, als<br />
Einklägerin politischer Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit. Das ist alles richtig.<br />
Das ist so richtig, dass sogar Elfriede Jelinek selbst immer wieder an diese Rolle glaubte. Sie<br />
war - oder ist sie es noch? - Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. Das hatte<br />
einen kuriosen Charme als sie als Klimtsche Schönheit die Wiener Öffentlichkeit verwirrte.<br />
Sie wurde von der österreichischen Rechten angefeindet wie niemand sonst. Aber es ging<br />
dabei weniger um ihre politischen Auffassungen. Haider und seine Kameraden hassten und<br />
hassen die Frau. Sie hassen die Wachheit, die gespannte Aufmerksamkeit, mit der Elfriede<br />
Jelinek den Aufstieg der vulgär-charmierenden Niedertracht Haiders beobachtete. Sie<br />
würden Elfriede Jelinek weniger hassen, wenn sie ihnen nicht auch das Spiegelbild ihrer<br />
Mannsrolle entgegen hielte. Kein Quadratzentimeter dieser Spezies, der von Elfriede Jelinek<br />
nicht bis hinein ins Knochenmark seziert und der Öffentlichkeit vorgeführt wurde.<br />
Sie ist unerbittlich. Sie lässt sich nicht erweichen. Ihre großen, schön bewimperten Augen<br />
blicken das Schreckliche an und verfolgen jede seiner Bewegungen. Sie schließt ihre Augen,<br />
um sich in Erinnerung zu rufen, um sich vorzustellen, was sie gesehen hat. Sie lässt nicht<br />
nach. Ihr Griff lockert sich nicht. Sie verbeißt sich. Sie tut das, obwohl sie weiß, dass das<br />
selbst ihren Freundinnen oft zuviel wird, dass sie ihr mehr Lockerheit wünschen, etwas<br />
Entspannung, Lässigkeit. Aber nichts ist Elfriede Jelinek ferner als Lässigkeit. Sie hat Witz<br />
und sie lacht gerne, aber das Lässige liebt sie nicht.<br />
Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren.<br />
Man muss daran erinnern, um sie zu begreifen. Es gab keinen Nationalsozialismus mehr, als<br />
sie geboren wurde. Aber sie wuchs unter Nazis auf. Diese Generation erfuhr, als sie der<br />
Kindheit entwuchsen, dass ihre lieben Eltern, dass der Lieblingsonkel, dass die geliebte<br />
Tante begeisterte Anhänger der Idee gewesen waren, Juden, Nicht-Arier, alles "unwerte<br />
Leben" auszurotten, um Platz zu schaffen für die eigene Art. Es waren einem - dank der<br />
Reeducation - andere Ideale nahe gebracht worden, aber im intimen Familienleben, da, wo<br />
das Gemüt sich heranbildet, da galten bei der Mehrheit der Bevölkerung noch die<br />
Vorstellungen der Nazis. Sie umstanden einen mit elterlicher Autorität. Sie wiesen einen ins<br />
Leben ein. Sie sagten, was richtig war und was falsch. Sie taten es mit kräftigstem<br />
Selbstbewusstsein. Ihr Glaube an die eigene Urteilskraft schien ungebrochen. Sie<br />
signalisierten ihren Kindern, dass "man es zwar nicht sagen dürfe, aber was wahr ist, bleibt<br />
wahr", die Nazis immerhin Arbeitsplätze geschaffen und die Kriminalität abgeschafft hätten.<br />
Man versteht diese Generation nicht, wenn man ihren Konflikt mit den Eltern nur als<br />
Generationenkonflikt begreift. Es ging um etwas ganz anderes. Jeder Text von Elfriede<br />
Jelinek macht das deutlich. Es geht nicht um uns und die Nazis. Es geht um den Nazi in<br />
uns. Diese Generation hat die nationalsozialistischen Ideen der Eltern als einen Inkubus<br />
erfahren. Sie hatten die Eltern geliebt und mussten feststellen, dass die sie infiziert hatten<br />
mit dem NS-Virus und dass sie ihn durch die Liebe übertragen hatten. Es ist diese Erfahrung<br />
und nicht soziologische Schulung, die Elfriede Jelinek zu einer der kältesten<br />
Beobachterinnen des menschlichen Liebeslebens gemacht hat.<br />
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In Wahrheit gilt die Unerbittlichkeit, mit der Elfriede Jelinek ihre Gegner verfolgt, nicht diesen,<br />
sondern sich selbst. Darum ist sie so schutzbedürftig. Nicht vor ihren Gegnern muss sie sich<br />
schützen, sondern vor der Schärfe des eigenen Verstandes, vor dem eigenen Genie.<br />
Elfriede Jelinek entlarvt immer auch sich selbst. Ihre Texte ziehen auch ihr die Haut ab. Das<br />
gibt ihnen ihre Kraft. Aber, wenn es wahr ist, dass der Mensch seine Stärke in früher<br />
Kindheit, aus der Erfahrung von Liebe und Geliebtwerden bezieht, dann ist die Autorin<br />
Elfriede Jelinek damit beschäftigt, diesen Vorrat zu zerstören. Nicht aus Mutwillen, nicht aus<br />
kindischem Trotz heraus, sondern weil sie es nicht erträgt, sich auserwählt zu fühlen, seit sie<br />
weiß, dass damit die Vernichtung der anderen mit gemeint war. Aber sie ist auserwählt,<br />
diese Geschichte von der Einheit von Liebe und Vernichtung und von Selbstliebe und<br />
Selbstvernichtung nicht nur zu erzählen, sondern zu leben. Wir, ihre Leser, lieben - auch wir<br />
können nicht anders - sie dafür.<br />
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