19.11.2013 Aufrufe

Jürgen Ritsert Dimensionen des Vernunftbegriffs in der „Dialektik ...

Jürgen Ritsert Dimensionen des Vernunftbegriffs in der „Dialektik ...

Jürgen Ritsert Dimensionen des Vernunftbegriffs in der „Dialektik ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

tematischen Theorie <strong>in</strong> die Kunst dasteht. Wie gesagt: Die e<strong>in</strong>zelnen E<strong>in</strong>tragungen<br />

<strong>in</strong> diese Liste stellen auf e<strong>in</strong>e Art performativen Selbstwi<strong>der</strong>spruch <strong>der</strong> Verfasser<br />

ab: Die radikale Vernunftkritik untergrabe eben jene Vernunftpr<strong>in</strong>zipien,<br />

welche sie verteidige, ohne sie jemals genauer zu bestimmen. Damit kaufe sich<br />

die „ältere kritische Theorie“ nicht nur ihr leidiges Maßstabsproblem e<strong>in</strong>.<br />

Um ke<strong>in</strong> Missverständnis zu erzeugen: Ich halte we<strong>der</strong> die <strong>„Dialektik</strong> <strong>der</strong> Aufklärung“<br />

noch irgende<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Schrift <strong>der</strong> beiden Autoren für heilige Texte,<br />

die <strong>der</strong> immanenten Kritik entzogen wären. Die Wahrheit e<strong>in</strong>es vorwitzigen Gedankens<br />

entscheidet sich ohneh<strong>in</strong> nicht mit se<strong>in</strong>er Rückführbarkeit auf heilige<br />

Schriften, egal ob sie blau o<strong>der</strong> sonst wie e<strong>in</strong>gefärbt s<strong>in</strong>d. Ich bestreite schon gar<br />

nicht, dass es für kritische Theoretiker gleich welcher couleur e<strong>in</strong>e Pflichtübung<br />

se<strong>in</strong> müsste, über die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Möglichkeit ihrer Gesellschaftskritik und<br />

<strong>der</strong>en Vernunftmaßstäbe nachzudenken. Adorno hat das ja selbst mit Schriften<br />

wie die „Marg<strong>in</strong>alien“, <strong>in</strong> Vorlesungen wie <strong>der</strong> über „Probleme <strong>der</strong> Moralphilosophie“,<br />

vor allem aber mit <strong>der</strong> Vorlesung „Zur Lehre von <strong>der</strong> Geschichte und<br />

von <strong>der</strong> Freiheit“ ausführlich versucht. So verwun<strong>der</strong>lich dies auch kl<strong>in</strong>gen mag:<br />

Ich bestreite zunächst nicht e<strong>in</strong>mal, dass viele <strong>der</strong> Standardvorbehalte gegenüber<br />

<strong>der</strong> sog. „älteren kritischen Theorie“ e<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>länglich festen Halt <strong>in</strong> den Texten<br />

von Adorno und Horkheimer suchen und f<strong>in</strong>den können – unter <strong>der</strong> Voraussetzung<br />

allerd<strong>in</strong>gs, dass von ihrer <strong>„Dialektik</strong>“ o<strong>der</strong> von Dialektik überhaupt wenig<br />

zu halten ist. Diese Voraussetzung halte ich für völlig falsch! (Teil II). Es geht<br />

also nicht darum, das Bild von Horkheimers und Adornos radikaler Vernunftkritik<br />

mittels irgende<strong>in</strong>er „positiven Hermeneutik o<strong>der</strong> Heuristik“ zurecht- o<strong>der</strong><br />

zul<strong>in</strong>kzurücken, son<strong>der</strong>n um die Frage: Paradoxie o<strong>der</strong> Dialektik? Untergräbt<br />

die radikalisierte Vernunftkritik sich tatsächlich selbst o<strong>der</strong> entsteht <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck<br />

<strong>des</strong> performativen Selbstwi<strong>der</strong>spruchs nur <strong>des</strong>wegen, weil die Er<strong>in</strong>nerung<br />

an das, was Hegel das „Positiv-Vernünftige“ (Enz. § 82) nennt, selbst bei e<strong>in</strong>er<br />

Reihe von Sympathisanten Horkheimers und Adornos immer mehr verblasst?<br />

Das ist hier natürlich e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> rhetorische Frage. Aber mit diesem erschütternden<br />

Befund ist sie noch lange nicht beantwortet. Nur um e<strong>in</strong>en ersten H<strong>in</strong>weis<br />

auf e<strong>in</strong>e mögliche Richtung tiefer schürfen<strong>der</strong> Antworten darauf geht es <strong>in</strong> diesem<br />

Vortrag.<br />

Alle Anläufe zu Richtungsangaben dieser Art hängen mit e<strong>in</strong>er weiteren Fragestellung<br />

zusammen, mit <strong>der</strong> Frage nach den <strong>Dimensionen</strong> <strong>des</strong> <strong>Vernunftbegriffs</strong><br />

von Horkheimer und Adorno: Für das mehrbändige Werk, das erfor<strong>der</strong>lich wäre,<br />

um die erwähnten Streitpunkte und die daraus folgenden Anschlussprobleme mit<br />

e<strong>in</strong>iger Sorgfalt zu behandeln, reicht das Semester nicht aus. Klar! Statt<strong>des</strong>sen<br />

wird <strong>der</strong> Versuch zur gnadenlosen Reduktion von Komplexität gemacht. Um<br />

<strong>der</strong>etwillen setze ich nicht nur e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Akzent auf den Abschnitt<br />

„Aufklärung“ <strong>der</strong> DdA, son<strong>der</strong>n „die Aufklärung“ – trotz aller denkbaren Bedenken<br />

– auch mit e<strong>in</strong>em Prozess zur Durchsetzung „<strong>der</strong> Vernunft“ überhaupt,<br />

also nicht bloß mit les lumières <strong>in</strong> Europa gleich. „Aufklärung“ soll mith<strong>in</strong> ganz<br />

formal als Verbreitung von Vernunftpr<strong>in</strong>zipien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte verstanden<br />

werden. Aber was s<strong>in</strong>d „Vernunftpr<strong>in</strong>zipien“? Im Februar 1944 hält Horkheimer<br />

2

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!