wann dann?“ - Gottes Liebe weltweit
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mutig handeln<br />
Helfen<br />
Helga Volkenborn mit zwei Pygmäen-Frauen in Nebobongo<br />
„Wenn nicht jetzt,<br />
<strong>wann</strong> <strong>dann</strong>?<strong>“</strong><br />
Im Ruhestand angekommen, beginnt Helga Volkenborn<br />
ein Freiwilliges Soziales Jahr im Kongo<br />
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Obwohl ich am Ende meiner Arbeitszeit ausgebrannt<br />
war, erwachten alte Lebensträume neu. Endlich war ich im<br />
Ruhestand, endlich frei: Ich bin Erzieherin – in den vergangenen<br />
zehn Jahren arbeitete ich als Therapeutin im Christlich-<br />
Psychologischen Beratungsdienst Gifhorn, seit meinem<br />
62. Geburtstag aber nur noch 15 Stunden in der Woche.<br />
Außerdem begleitete ich lange Zeit meine kranke Mutter.<br />
Im Juli 2008 starb sie – mit 93 Jahren.<br />
Ich war nun 64 Jahre alt – und wollte so gerne noch<br />
einmal einen Einsatz in Afrika wagen. Von 1972 bis 1980<br />
war ich in Togo und habe dort Erzieherinnen ausgebildet.<br />
Aber war ich heute noch dazu in der Lage? „Wenn nicht<br />
jetzt, <strong>wann</strong> <strong>dann</strong>?<strong>“</strong> Diese Frage ließ mich nicht mehr los.<br />
Ich schickte eine Mail an die christliche Organisation Co-<br />
Workers International (CWI) in Stuttgart – und landete als<br />
erste „Alte<strong>“</strong> unter vielen jungen Mitarbeitern dieser Organisation<br />
in Bunia, im Nordosten der Demokratischen Republik<br />
Kongo. Vier Monate nach meinem 65. Geburtstag startete<br />
ich für ein Jahr nach Afrika, begleitet von dem Gebet meiner<br />
Freunde. Das Wort, das mir CWI auf meinen Weg mitgab,<br />
lautete: „Fürchte dich nicht, ich helfe dir<strong>“</strong> (Jesaja 41,13). Dass<br />
ich diesen Vers im Kongo wirklich brauchte, wurde mir sehr<br />
schnell deutlich.<br />
Traumatisierte Menschen<br />
Als ich heute die zerfurchten und schmutzigen Straßen<br />
zur Schule ging, in der ich seit zehn Monaten Erzieherinnen<br />
ausbilde, dachte ich darüber nach, was es für mich bedeutet,<br />
hier zu leben. Die Straßen sind ein Spiegelbild der Armut<br />
dieser Stadt. Kinder – überall wo ich hinschaue. Die einen<br />
gehen zur Schule, die anderen spielen auf dem Boden vor<br />
den Lehmhäusern, die mit Wellblech gedeckt sind. Der<br />
Lehmboden verwandelt sich allerdings bei Regen in eine<br />
Rutschbahn. Überall sehe ich Hunde, ein paar Ziegen – und<br />
Frauen, die schwere Lasten auf ihren Köpfen tragen, Männer,<br />
die mit ihren Mopeds, den Pikipikis, Taxidienste anbieten<br />
oder schwer beladene Fahrräder den Berg hochschieben.<br />
Gleich wird mir zugerufen: „Rafiki yangu, unalamuka?<strong>“</strong>:<br />
„Meine Freundin, bist du gut aufgestanden?<strong>“</strong> Eine kleine<br />
Unterhaltung mit „Mama Muzee<strong>“</strong> beginnt. Sie begleitet mich<br />
noch ein Stück des Weges. Sie ist alt und hat im Kongokrieg<br />
(1996-2003) Mann und Kinder verloren. Vielen hier erging<br />
es ähnlich. Sie sind teilweise traumatisiert. Meine Kollegin, die<br />
schon während des Kriegs im Kongo lebte, erzählt mir, dass<br />
sie oftmals schreiend aufwacht. Ich denke daran, dass meine<br />
Mutter manchmal mit einem Aufschrei wach wurde. Als<br />
Kind war ich <strong>dann</strong> immer sehr erschrocken.<br />
Wo ist der Unterschied?<br />
Wieso tue ich mir das an: dieses Leid, diese Armut, diese<br />
Not? Könnte ich jetzt nicht bequem in Gifhorn hocken,<br />
Freunde besuchen, das Leben und den Ruhestand genießen?<br />
In meine Überlegungen hinein ruft mir eine Zuckerrohrverkäuferin<br />
am Straßenrand ihr freundliches „Jambo<strong>“</strong> („Grüß<br />
dich<strong>“</strong>) zu. „Jambo sana<strong>“</strong> („Grüß dich sehr<strong>“</strong>) erwidere ich. Wie<br />
unermesslich groß erscheint mir plötzlich mein Vorrecht,<br />
noch einmal hineinzutauchen in dieses wunderschöne Land.<br />
Meine Gedanken schweifen wieder ab, ich spüre wie<br />
Dankbarkeit mein Herz offen macht. Offen auch für die Not<br />
der Menschen. Wieso stöhne ich, wenn mir das kleine Kind<br />
zuruft: „Muzungu, leta Bisquit<strong>“</strong> („Weiße, gib Kekse<strong>“</strong>). Wenn<br />
der vierjährige Nachbarsjunge<br />
Maki vor der Türe<br />
Wieso tue ich<br />
mir das an:<br />
dieses Leid,<br />
diese Armut,<br />
diese Not?<br />
steht und bettelt: „Ballon<strong>“</strong>.<br />
Ich erinnere mich, wie<br />
ich als Kind von Geschäft<br />
zu Geschäft rannte und<br />
um Ballon und Reklame<br />
bettelte. Wo ist da der<br />
Unterschied?<br />
Fröhlich winke ich<br />
den bettelnden Kindern<br />
zu, selbstverständlich habe ich keine Plätzchen in der Tasche.<br />
Hätte ich, so wäre ich bald von einer großen Kinderschar<br />
umgeben. Aber die Kinder freuen sich, wenn ich ihnen<br />
freundlich zuwinke. Wie war das eigentlich nach dem Krieg,<br />
als die Engländer bei uns zu Hause Kaugummis verteilten?<br />
Oder von Amerika kleine Schokotäfelchen ankamen oder<br />
ich einige Erdnüsse bekam?<br />
Gut versorgt<br />
Ich bin Anfang 1944 im Krieg geboren, mein Vater kam<br />
nicht zurück und Mutter war mit meinen Bruder und mir zu<br />
den Großeltern gezogen. Wir waren, wie alle, arm. Meine<br />
Mutter erhamsterte genug, um uns durchzubringen. Sie<br />
arbeitete hart. Aber ich habe nie wirklich so arm gelebt, wie<br />
viele Kinder hier im Kongo. Auch hier ist Nachkriegssituation.<br />
Aber der Aufschwung, den wir in Deutschland erlebten, ist<br />
nicht in Sicht. Kein soziales Netz fängt die Menschen hier auf.<br />
Kinder, die auf der Straße leben, haben kaum Chancen auf<br />
Hilfe, Schulbildung und Kleidung. Sie schlafen draußen und<br />
ernähren sich von Abfällen, betteln, klauen. Fast schäme ich<br />
mich dafür, dass ich alles hatte, und dass Schulbesuch und<br />
Ausbildung so selbstverständlich waren.<br />
Ich schaue mich um. Wie schön es hier ist! Rundherum<br />
die Bergkette, die eher wie eine Kette von Hügeln anmuten,<br />
etwa so wie die Voralpen bei uns. Es ist immer Grün. Hier,<br />
unmittelbar in der Nähe des Äquators, bei einer Höhenlage<br />
von 1200 Metern, weht meist ein leichter Wind und es wird<br />
selten wärmer als 30 Grad und selten kühler als 24 Grad.<br />
Wenn es mal längere Zeit nicht regnet, macht uns aber allen<br />
der Staub zu schaffen.<br />
Wenige Autos beleben das Straßenbild, dafür umso<br />
mehr Mopeds und noch viel mehr Menschen, darunter viele,<br />
viele Kinder. Kinder, die so wichtig werden, wenn Menschen<br />
alt geworden sind. Wer alt ist, bekommt keine Rente; er<br />
muss weiterarbeiten. Wer sehr alt wird, braucht Kinder.<br />
Wieder stelle ich fest, dass es mir gut geht. Ich bin ledig und<br />
habe keine leiblichen Kinder, „nur<strong>“</strong> geistliche. Aber ich bin<br />
gut versorgt.<br />
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mutig handeln<br />
Helfen<br />
Pastor Dzadri und Helga Volkenborn wollen den Menschen in Bunia eine Zukunftsperspektive geben.<br />
Kinder ohne Perspektive<br />
Welches Kind bei uns macht sich Sorgen, ob es zur<br />
Schule gehen kann? Was es essen wird? Wer hat nur eine<br />
einzige Hose, ein einziges Hemd und ein paar Gummischuhe?<br />
Wer wäscht sich mit Kernseife, wer hat kein einziges<br />
Schulbuch? Höchstens einige dünne Hefte und einen<br />
billigen Kugelschreiber?<br />
Erschreckend, dass in einer Stadt des Kongos mit vielen<br />
Großfamilien Kinder auf der Straße leben! Kinder, die in<br />
keinem sozialen Gefüge aufgefangen werden. Viele hat der<br />
Krieg zu Waisen gemacht. Manche haben ihre Eltern verlassen.<br />
Eltern, die am Krieg zerbrochen sind, die anfingen zu<br />
trinken und ihre Kinder zu schlagen.<br />
Die Perspektive dieser Kinder ist gleich Null. Ich habe sie<br />
auf dem Markt gesehen, wie sie herumlungern, manchmal<br />
an ihren Benzinfläschchen schnüffeln und unter den Pappkartons<br />
schlafen. Viele sind auf der Müllkippe der Monuc<br />
(UN-Schutztruppe), denn dort finden sie etwas zu Essen.<br />
Wie gut, dass es hier nicht sehr kalt wird. Was aber, wenn<br />
die großen Tropenregen einsetzen und die Erde sich in eine<br />
matschige Lehmmasse verwandelt?<br />
Kleine Schritte<br />
„Mwalimu<strong>“</strong>, Lehrer, nennen die Kinder Pastor Dzadri,<br />
Pastor einer einheimischen Kirche. Eines Tages sagten<br />
einige: „Mwalimu bring uns das Lesen bei<strong>“</strong>. Daraus entstand<br />
schließlich ein Zentrum für Straßenkinder, welches<br />
direkt auf meinem Schulweg liegt: Ein einfaches Haus, eine<br />
Kochhütte und vor ein paar Wochen konnten auch Latrinen<br />
und Duschen aus den Spenden des Hilfswerks „Hilfe für<br />
Brüder<strong>“</strong> gebaut werden. Pastor Dzadri schickt die Kinder<br />
inzwischen zur Schule. Immer muss er für die Kinder „betteln<strong>“</strong>,<br />
damit das möglich wird. Auch die Verpflegung ist<br />
nicht sicher. Es kann vorkommen, dass die Jungs zwei Tage<br />
ohne Essen sind.<br />
Vier der vierzig Jungen, die Pastor Dzadri betreut, waren<br />
Kindersoldaten. Jonas konnte schon früh mit der Kalaschnikow<br />
hantieren. Als er von den Kindersoldaten wegging,<br />
haben seine Eltern ihn nicht mehr zu Hause akzeptiert, sie<br />
hatten Angst vor ihm. Manche Leute behaupten, diese Kinder<br />
wären von bösen Geistern besessen. Aber es sind einfach<br />
normale Jungs. Ich liebe sie! Müsste das Zentrum schließen,<br />
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weil das Geld dafür fehlt, würden die Jungen wieder auf der<br />
Straße leben.<br />
Oft erzähle ich den Jungs biblische Geschichten und<br />
freue mich, dass viele ihr Herz für Jesus geöffnet haben. Sie<br />
nennen mich „Mama Helga<strong>“</strong>. Mein Haupttätigkeitsbereich ist<br />
aber die Ausbildung der Erzieherinnen. Auch hier fehlt es an<br />
allen Enden. In unserer Schule lernen 18 Schülerinnen. Im<br />
Kindergarten sind zwischen 45 und 60 Kinder in einer Gruppe.<br />
Die Räume sind kahl, der Boden wird jeden Freitag mit<br />
Lehm glatt gestrichen. Die Kinder sitzen auf kleinen Bänken,<br />
außerdem gibt es einen einzigen Tisch, an dem vier Kinder<br />
malen, basteln und üben können. Ein wenig bedauere ich,<br />
dass von dem, was ich für die Schule und den Kindergarten<br />
plante, so wenig in der kurzen Zeit realisierbar war. Gerne<br />
hätte ich mehr Material hergestellt! Aber ich will mich freuen,<br />
dass etwas in Bewegung gekommen ist. Nur kleine Schritte<br />
waren möglich. Aber sie waren möglich.<br />
Mitten im „Tatort<strong>“</strong><br />
Ich will mich<br />
freuen, dass<br />
etwas in<br />
Bewegung<br />
gekommen ist.<br />
„Fürchte dich nicht, ich helfe dir.<strong>“</strong> Dieses Wort begleitete<br />
mich schon viele Jahre bevor ich nach Bunia ging. Es wurde<br />
für mich in diesem Jahr besonders wichtig: Am Anfang<br />
spielten in der Küche Ratten mit einer Avocado Fußball, in<br />
der dritten Woche hatten wir ein starkes Erdbeben, sechs<br />
Monate lang hörte ich nachts sehr viel Schießerei und<br />
fühlte mich wie mitten im „Tatort<strong>“</strong>. Einbrüche waren an der<br />
Tagesordnung, Ruhe kehrte<br />
erst ein, als der Gouverneur<br />
aus Kisangani kam<br />
und durch eine Gruppe<br />
von UN-Soldaten, Militär<br />
und Polizei die Sicherheit<br />
wiederherstellte. Es knallt<br />
aber immer noch oft.<br />
Häufig habe ich betend<br />
in meinem Bett gelegen<br />
und nur gedacht: „Fürchte<br />
dich nicht, ich helfe dir.<strong>“</strong> Das Moskitonetz, unter dem ich<br />
schlafe, stelle ich mir <strong>dann</strong> immer wieder als die schützende<br />
Hand <strong>Gottes</strong> über mir vor. Das ist sehr beruhigend!<br />
Es ist nicht ratsam, nach 19 Uhr nach draußen zu gehen.<br />
Das wäre viel zu gefährlich. Also bin ich in meinem Haus<br />
eingeschlossen, dass ich für acht Monate von einem Ehepaar,
das im Heimaturlaub ist, überlassen bekam. Inzwischen genieße<br />
ich die stillen Abendstunden. Ich lese viel, habe viel<br />
Zeit zum Gebet und gehe relativ früh ins Bett, stehe <strong>dann</strong><br />
aber auch früh auf. Ein gesunder Lebensrhythmus.<br />
Fest eingebunden<br />
Das Haus liegt neben der Radiostation der Kirche, mitten<br />
im Ort. Einfach ideal! Ich habe einige afrikanische Freunde<br />
gefunden. So bin ich, obwohl ich allein lebe, nicht allein,<br />
sondern in die afrikanische Kultur eingebunden. Außerdem<br />
habe ich Gemeinschaft mit anderen Missionaren – von der<br />
Afrika-Inland-Mission oder von der Organisation SIL, die die<br />
Bibel in die lokale Sprache übersetzt. Im Kongo gibt es über<br />
240 Sprachen! Wir treffen uns jeden Dienstagabend zum<br />
Bibelstudium: Engländer, Amerikaner, Kanadier, Deutsche.<br />
In Deutschland kamen immer viele Menschen zu mir, hier ist<br />
das inzwischen ähnlich. Da bleibt nicht mehr allzu viel Zeit<br />
für andere Hobbys. Ich bin dabei glücklich.<br />
Natürlich bin ich froh, dass ich auch ins „Netz<strong>“</strong> (Internet)<br />
kann und freue mich an den Nachrichten von zu Hause. Eine<br />
Post gibt es nicht im Osten des Kongo. Briefe werden von<br />
Uganda aus mit dem humanitären Flugdienst MAF (Mission<br />
Aviation Fellowship) mitgebracht. Bisher sind drei Briefe und<br />
eine Karte bei mir gelandet. Und meine Freundin Bettina<br />
aus Deutschland, mit einem Koffer voller Überraschungen:<br />
Schokolade, Marzipan, Putztücher, Antifaltencreme – letztere,<br />
weil ich beim Anblick meines immer faltiger werdenden<br />
Gesichts am Telefon gestöhnt habe. Ich habe viel abgespeckt<br />
und leider ist das nur im Bauchbereich von Vorteil. Mein Arzt<br />
wird vielleicht wohlwollend nicken, denn er hatte es mir ja<br />
ohnehin empfohlen.<br />
Abenteuer pur<br />
Der <strong>Gottes</strong>dienst ist für mich immer noch gewöhnungsbedürftig.<br />
Er dauert etwa zweieinhalb Stunden. Alle singen<br />
laut, fröhlich und kräftig. Häufig wird getanzt. Mindestes drei<br />
Chöre singen – mit viel Schwung und Rhythmus, begleitet<br />
von Schlagzeug, Gitarren, Keyboard und mit Lautsprecher<br />
verstärkt. Unsere Jugend wäre begeistert! Jetzt freue ich mich<br />
auf den ruhigeren <strong>Gottes</strong>dienst in meiner Baptistengemeinde<br />
in Gifhorn. Aber wahrscheinlich werde ich mich ebenso<br />
freuen, wenn ich ab Oktober wieder hier zwischen all den<br />
fröhlichen Menschen stehen kann.<br />
Am 24. Juni war mein Jahr zu Ende. Am 6. Oktober werde<br />
ich für ein weiteres Jahr in den Nord-Ost-Kongo zurückkehren<br />
und ich bin gespannt wie es weitergeht. Abenteuer<br />
pur, auch noch im Alter!<br />
Helga Volkenborn<br />
bereitet sich gerade auf ihren zweiten<br />
Einsatz im Kongo vor.<br />
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