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Die Macht des Einkaufswagens - Lehrer.at

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My Gener<strong>at</strong>ion?<br />

DIE MACHT DES EINKAUFSWAGENS<br />

Ausbeutung, Umweltzerstörung, Kinderarbeit - viel zu viele Unternehmen<br />

erwirtschaften Gewinne mit Unmoral. Zeit, dass die Konsumenten dies<br />

ändern.<br />

Niemand will Gammelfleisch im Döner oder<br />

Genreis im Risotto. Niemand will, dass Textilarbeiterinnen,<br />

während sie uns eine Hose<br />

nähen, von einstürzenden Fabrikteilen erschlagen<br />

werden wie im April 2005 in Bangla<strong>des</strong>ch oder dass<br />

kolumbianische Arbeiterinnen, während sie Rosen<br />

für unsere Sträuße pflücken, mit Gift überschüttet<br />

werden. Niemand will, dass je<strong>des</strong> Jahr Zehntausende<br />

von Bauern an Pestizidvergiftungen sterben beim<br />

Anbau der Baumwolle für unsere Kleider. Auch keine<br />

Mobiltelefone, an denen das Blut von Kindersold<strong>at</strong>en<br />

klebt, Taschentücher aus Urwaldholz oder Teppiche,<br />

die von Achtjährigen geknüpft wurden (246 Millionen<br />

Kinder arbeiten weltweit für ihren Lebensunterhalt).<br />

Niemand will das alles, und trotzdem werden diese<br />

Waren gekauft.<br />

Wer in Deutschland würde es wagen, einem Gärtner<br />

nach einem Nachmittag Rasenmähen, Laubfegen und<br />

Ästeschneiden 20 Cent in die Hand zu drücken und zu<br />

sagen: Stimmt so? Mit Baumwolle, Kaffee oder Kakao<br />

aber machen wir das so, ebenso wie mit den Näherinnen<br />

in den Swe<strong>at</strong>shops der Billiglohnländer. Wir<br />

nehmen ihnen dankbar Rohstoffe und Waren aus der<br />

Hand und sehen großzügig über ihren Anspruch auf<br />

eine halbwegs angemessene Bezahlung hinweg. Und<br />

weil sie am Anfang der Produktionskette stehen und<br />

darum für uns unsichtbar sind, vergessen wir gern, wie<br />

sehr wir sie ausnutzen.<br />

Bei der Herstellung unserer Waren geht es nicht immer<br />

rechtens und schon gar nicht moralisch zu, Missstände<br />

sind Normalität, und wir, die Konsumenten in den reichen<br />

Ländern, wissen das mehr oder weniger. Der Einkauf<br />

h<strong>at</strong> seine Unschuld verloren, bloß lassen wir uns<br />

davon gern ablenken.<br />

29 Milliarden Euro geben Unternehmen allein in<br />

Deutschland aus, damit wir genau das sehen, was sie<br />

uns zeigen wollen: dass Autos erotisch sind, Kaffeedüfte<br />

familienstiftend und französische Zigaretten<br />

Garanten immerwährender Freiheit. Davon haben<br />

wir uns einlullen lassen und darüber vergessen, dass<br />

es einen Zusammenhang gibt zwischen dem, was wir<br />

konsumieren, und den Umständen, unter denen diese<br />

Güter hergestellt wurden. Wir handeln, als hätten wir<br />

vergessen, dass unsere Nachfrage diese Umstände<br />

beeinflusst. [...]<br />

Ungefähr kennen wir die Zusammenhänge: Benzinverbrauch<br />

und Weltklima, Einkaufsverhalten und<br />

Ressourcen im Regenwald, Welthandel und Hunger<br />

in Afrika und so weiter. Als Teilnehmer der globalen<br />

Wissens- und Inform<strong>at</strong>ionsgesellschaft sehen wir<br />

unsere eigene Verwicklung in ein globales Geflecht<br />

von Ursachen und Wirkungen, in dem sich jeder Einzelne<br />

als Mitursache und Teil der Wirkung erkennen<br />

kann, irgendwie ungefragt mitschuldig. Egal, ob es um<br />

ein günstiges T-Shirt made in Bangla<strong>des</strong>h geht oder<br />

um Zuckerschoten aus Tansania: Der Einkauf ist, ab<br />

und zu jedenfalls, mit einem leichten Unbehagen verbunden.<br />

Doch sogleich stellt sich ein Gefühl der Ohnmacht<br />

ein, weil man das alles scheinbar ohnehin nicht<br />

ändern kann. Das stimmt aber nicht. <strong>Die</strong> Konsumenten<br />

sind nur so lange ohnmächtig, wie sie an diese Ohnmacht<br />

glauben und danach handeln.<br />

Der Wirtschaftswissenschaftler Birger Pridd<strong>at</strong> h<strong>at</strong><br />

das so beschrieben: Der Normalfall der individuellen<br />

moralischen Markierung von Gütern tritt so heterogen<br />

auf, dass er im Markt nicht signifikant wird. Individuelle<br />

moralische Bewertungen begleiten ständig den<br />

Konsum, aber weil sie so verschieden sind, heben sie<br />

einander auf und werden nicht bemerkt. Sie bleiben<br />

vor allem <strong>des</strong>halb st<strong>at</strong>istisch unauffällig, weil st<strong>at</strong>istisch<br />

kaum danach gefragt wird. Politischen Konsum<br />

gibt es längst, er wirkt nur nicht, weil die politischen<br />

Konsumenten nicht recht an ihre <strong>Macht</strong> glauben und<br />

<strong>des</strong>halb nicht konsequent nach ihren Vorstellungen<br />

handeln. Verstünden wir aber Einkaufen wie Wählen,<br />

wäre das anders. Bei einer politischen Wahl weiß<br />

jeder, dass die eigene Stimme nicht wahlentscheidend<br />

ist, trotzdem glauben wir an ihr Gewicht. Würden wir<br />

unsere Entscheidungen beim Einkaufen ähnlich ernst<br />

nehmen, könnten wir nicht länger leichtfertig Waren<br />

kaufen, deren Art der Herstellung wir nicht billigen.<br />

Geiz ist geil ist vorbei, sagen die Trendforscher<br />

Der Soziologe Ulrich Beck h<strong>at</strong> den politischen Konsumenten<br />

als den verkannten <strong>Macht</strong>faktor einer globalen<br />

Zivilgesellschaft bezeichnet, die bislang kaum entfal-<br />

arbeitsbl<strong>at</strong>t<br />

OS - 3/1<br />

© 2009 haushalt aktiv


arbeitsbl<strong>at</strong>t<br />

OS -3/2<br />

My Gener<strong>at</strong>ion?<br />

tet sei. Er glaubt, der schlafende Riese Konsument<br />

könne richtig organisiert erwachen und den Kaufakt<br />

in eine Abstimmung über die weltpolitische Rolle<br />

der Konzerne verwandeln.<br />

Es gibt Anzeichen dafür, dass dies endlich geschieht,<br />

dass der schlafende Riese aufwacht: Das Marktsegment<br />

von ökologischen und fair gehandelten Produkten<br />

wächst kontinuierlich, sogar die Discounter<br />

haben Bio- und Fair-Trade-Produkte ins Sortiment<br />

genommen, und immer mehr Deutsche investieren<br />

in nachhaltige Geldanlagen. Geiz ist geil ist<br />

vorbei, sagen die Trendforscher, und Frauen- und<br />

Modemagazine wie Elle und Vanity Fair propagieren<br />

den neuen Promi-Lifestyle Lohas, den Lifestyle<br />

of Health and Sustainability, nach dem nur gekauft<br />

wird, was gesund und nachhaltig ist. Und manche<br />

Unternehmen ziehen mit: Das Handelshaus Otto<br />

etwa fördert in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungshilfeministerium,<br />

der Deutschen Welthungerhilfe<br />

und dem WWF den Anbau von Biobaumwolle<br />

in Afrika, wovon 180000 Baumwollbauern profitieren.<br />

„Das sei das Ergebnis eines Bewusstseinswandels<br />

in den Unternehmen“, sagt Johannes Merck, der<br />

Direktor für Umwelt- und Gesellschaftspolitik der<br />

Otto Group. „Als wir Anfang der neunziger Jahre<br />

mit dem Vorwurf unzulänglicher Sozialstandards<br />

bei unseren Lieferanten konfrontiert wurden, war<br />

ich noch der Meinung, das sei vielmehr die Aufgabe<br />

der UN.“<br />

Noch vor sieben, acht Jahren hätten die Textilunternehmen<br />

ihre Arbeit belächelt, sagt Christiane<br />

Schnura, die den Konsumentenprotest der Kampagne<br />

für Saubere Kleidung (CCC) organisiert. „Heute<br />

treten sie mit uns in den öffentlichen Dialog. <strong>Die</strong><br />

Unternehmen wissen ganz genau, dass jede Arbeitsrechtsverletzung<br />

in ihren Zulieferbetrieben, die uns<br />

zur Kenntnis kommt, ihr Image verletzen kann.“<br />

[...]<br />

Ordentliche Bezahlung und soziale Min<strong>des</strong>tstandards<br />

in Billiglohnländern würden sich nur minimal<br />

auf den Preis auswirken: Der Anteil der Lohnkosten<br />

einer Näherin am Preis eines Marken-T-Shirts ist so<br />

gering, dass es dem Käufer kaum auffallen würde,<br />

selbst wenn sie das Dreifache bekäme. Das Gleiche<br />

gilt für die Baumwollbauern. Zum Beginn <strong>des</strong> Welthandelsgipfels<br />

in Hongkong im Dezember 2005 h<strong>at</strong><br />

die Tageszeitung taz ausgerechnet, was 10-Euro-<br />

Hemden kosten müssten, damit Afrikas Baumwollbauern<br />

von ihrem Anteil am Ertrag existieren könnten.<br />

Ganze drei Cent mehr.<br />

Faire Erzeugerpreise wirken sich auf den Preis im<br />

Laden kaum aus, bestätigt Rolf Heimann vom N<strong>at</strong>urtextilienhersteller<br />

Hess N<strong>at</strong>ur, der seinen Baumwollproduzenten<br />

20 Prozent Biozuschlag und 20 Prozent<br />

Fair-Trade-Zuschlag zusätzlich zu den regionalen<br />

Preisen zahlt. Warum aber tun das nicht alle? Es gibt<br />

dafür keinen vernünftigen Grund außer der Marktlogik:<br />

Auch kleine Unterschiede zählen. <strong>Die</strong>ser Logik<br />

folgen die Unternehmen, solange die Konsumenten<br />

keinen Druck machen, und zahlen Weltmarktpreise<br />

auch dann, wenn sie unter den Produktionskosten<br />

liegen, und Löhne, die unter den Lebenshaltungskosten<br />

liegen. Solange es der Politik nicht gelingt,<br />

soziale Min<strong>des</strong>tstandards durchzusetzen, etwa die<br />

der Weltarbeitsorganis<strong>at</strong>ion ILO, die ja theoretisch<br />

verbindlich sind, müssen die Konsumenten das tun.<br />

Viele Aktivisten aus den NGOs halten nicht viel von<br />

Aufrufen zur Abstimmung mit dem Einkaufswagen.<br />

Sie fürchten, solche Appelle könnten von der Verantwortung<br />

der Politik ablenken. Doch das ist ein<br />

Irrtum: Der politische Konsument braucht Gesetze,<br />

die ihm den Zugang zu Inform<strong>at</strong>ionen garantieren<br />

und so verantwortungsvolles Einkaufen vereinfachen,<br />

wenn nicht erst ermöglichen. Er braucht<br />

ein Gesetz, das ihm grundsätzlich Zugang zu den<br />

Ergebnissen von Lebensmittelkontrollen garantiert<br />

[...], eine Deklar<strong>at</strong>ionspflicht für sämtliche Inhaltsund<br />

Zus<strong>at</strong>zstoffe von Lebensmitteln, Textilien,<br />

Spielzeug. Was bislang angeblich aus 100% Baumwolle<br />

besteht, kann in Wirklichkeit bis zu 7000<br />

zum Teil ungetestete Chemikalien enthalten. Und er<br />

braucht genaue Angaben zur Herstellung. Es kostet<br />

ziemlich wenig, Verbrauchermacht zur Förderung<br />

von Gerechtigkeit zu nutzen, zur Verhinderung von<br />

Umweltk<strong>at</strong>astrophen und zum Schutz der eigenen<br />

Gesundheit. Noch gleicht der politische Konsument<br />

einem Stier, der sich von einem L<strong>at</strong>tenzaun bremsen<br />

lässt, weil er nicht weiß, wie stark er ist.<br />

Tanja Busse<br />

1. Fassen Sie die Kernaussage dieses<br />

Artikels in maximal 300 Zeichen<br />

zusammen.<br />

2. Welche persönliche Einstellung vertritt<br />

die Autorin <strong>des</strong> Artikels und welche<br />

sprachlichen Mittel setzt sie ein, um<br />

diese persönliche Einstellung zu verdeutlichen?<br />

3. Was halten Sie von den Möglichkeiten<br />

<strong>des</strong> schlafenden Riesen „Konsument“?<br />

Wie groß schätzen Sie <strong>des</strong>sen<br />

Einfl ussmöglichkeiten auf Industrie<br />

und Wirtschaft ein?<br />

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