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http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Autorin: Hochreuther, Ina.<br />

Titel: Ein Tag mit Mörike. 3sat-Filmprojekt am Drehort Tübingen.<br />

Quelle: Stuttgart 2004.<br />

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.<br />

Ina Hochreuther<br />

Ein Tag mit Mörike<br />

3sat-Filmprojekt am Drehort Tübingen<br />

Treffpunkt Tübingen, neun Uhr an der Neckarbrücke, mit „Mörike“ und der Filmcrew des<br />

Dokumentarfilms „Ein Poet zwischen Abgrund und Idylle – zum 200. Geburtstag von<br />

Eduard Mörike“. Es ist ein typischer Morgen dieses Sommers: man weiß nicht genau, ob<br />

sich die Sonne durchsetzen wird oder die Regenwolken die Oberhand gewinnen. Das ist<br />

genau der Grund, wie ein Anruf beim Regisseur Christoph Ammon klärt, warum hier weit<br />

und breit keine Kamera zu entdecken ist. Der erste Dreh dieses Tages wird im Tübinger<br />

Stift stattfinden und danach erst – der Wetterbericht verspricht Besserung für den<br />

Nachmittag – sollen die Szenen im Freien gedreht werden. Die erste Begegnung mit<br />

„Mörike„ findet also an anderer historischer Stätte statt, dort wo der Dichter ab 1822 vier<br />

Jahre lang Theologie studiert hat.<br />

Eduard Mörike – Dichter, Pfarrer, Bohemien – gehört zweifellos zu den bedeutendsten<br />

deutschen Lyrikern und Erzählern des 19. Jahrhunderts. Nach dem Besuch der<br />

Lateinschule in Ludwigsburg trat er 1818 ins theologische Seminar in Urach ein. Daran<br />

schloss sich das Theologiestudium in Tübingen an. Es folgten Vikariatsstellen in<br />

Oberboihingen und Ochsenwang. Erst 1834 bekam er eine Pfarrstelle in Cleversulzbach.<br />

Da war der Roman „Maler Nolten“ schon zwei Jahre abgeschlossen. Mörike litt sein<br />

Leben lang unter der biedermeierlichen und pietistischen Enge, die ihm die kirchliche<br />

Amtspflicht während seiner beruflichen Wanderzeit auferlegte. Wegen „dauernder<br />

Krankheitsumstände“ wurde er 1843 auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt. Am<br />

Stuttgarter Katharinenstift gab er – mittlerweile verheiratet – ab 1851 Literaturunterricht.<br />

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Am 8. September 2004 würde der schwäbische Dichterfürst seinen 200. Geburtstag<br />

feiern.<br />

Bernhard Hurm ist schlank und mittelgroß. Zeitlos gekleidet in kragenlosem schwarzen<br />

Hemd, schwarzem Anzug und blanken, schwarzen Boots, verströmt er nicht nur eine<br />

protestantische Aura, sondern seine Brille, die kurzen blonden Locken und das im<br />

schwülen Wetter leicht gerötete Gesicht, erinnern durchaus an Abbildungen des<br />

originären Mörikes – abgesehen vom Körperumfang. Der gefragte Schauspieler des<br />

Regionaltheaters Lindenhof in Melchingen reüssiert momentan gemeinsam mit zwei<br />

Kollegen im Programm „Mörike! Er ist’s!“ an vielen Spielstätten im Land. Im Theater<br />

wollen die drei die verschiedenen Facetten des süddeutschen Dichters verkörpern. Dem<br />

Dokumentarfilm genügt „ein Mörike“, eben Bernhard Hurm mit seinen wachen Augen, um<br />

den Dichter in einigen Szenen zu verkörpern. Chronologisch aufgebaut, geht der Film den<br />

von Unruhe und Sinnsuche begleiteten Lebensstationen des Dichters nach. Der<br />

Schauspieler spricht an authentischen Orten Gedichte und andere Mörike-Texte,<br />

vermittelt so neben den dokumentarischen Bildern und dem Kommentar ein lebendigeres<br />

Bild für den Zuschauer. Doch plant die Produktion nicht, anhand von Spielszenen – im<br />

Filmjargon gerne „Doku-Drama“ genannt – die Zuschauer in frühere Zeiten zu versetzen.<br />

Es ist zu jedem Moment klar, dass wir in der Gegenwart einen Darsteller an authentische<br />

Orte begleiten, auch wenn der Kamera durchaus poetische Bilder gelingen.<br />

Im Tübinger Stift gibt es eine kleine Mörike-Ausstellung – idealer Drehort. „Mörike“ sitzt<br />

am Schreibtisch. Moderne Accessoires wie die Heizung oder Steckdose wurden von der<br />

Crew sorgfältig verbrämt. „Alle Handys aus?“ – fragt Andreas Weber, der Kameramann,<br />

Konzentration - und die Szene beginnt. Mit einer um den Leib geschnallten Steadycam<br />

bewegt sich sein Assistent Frank Wurster behutsam um den aus einem Brief zitierenden<br />

„Mörike“ herum. Über 40 Kilo wiegt dieses Gerät, das den Vorteil hat, viel ruhigere Bilder<br />

zu machen als eine Handkamera, und, sofern man über die nötige Körperkraft verfügt,<br />

Hilfsmittel wie Schienen überflüssig macht. Alexander Ewerhardt, der „Tonmann“, hat<br />

seine Kopfhörer übergestülpt und stemmt die riesige Tonangel, unsichtbar für die Kamera<br />

über den lesenden Schauspieler. Durch das geöffnete Fenster zum Hof dringt plötzlich ein<br />

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Kehrgeräusch. Christoph Ammon stürmt hinunter und bittet um Ruhe. Die Szene wird<br />

wiederholt. Dieses Mal findet die 3sat-Redakteurin, Martina Mattick, dass Bernhard Hurm<br />

seinen Text „nicht keck genug“ prononciert hätte. Wiederholung. Andreas Weber ist mit<br />

dem Bildablauf unzufrieden. „Die Vitrine muss raus. Es ist zu eng“. Gesagt, getan und<br />

weiter geht es. Mal sind die Lichtverhältnisse nicht glücklich, dann ist die Kamera zu<br />

schnell. Schließlich scheint eine Abfolge perfekt zu laufen, in diesem Moment rüttelt hinter<br />

unserem Rücken jemand an der verschlossenen Tür zum Gang. Wir vor der Kulisse<br />

halten förmlich den Atem an. Die Szene wird weitergedreht und es stellt sich heraus, dass<br />

der Lärm weit genug weg war und Alexander Ewerhardt mit dem Ton zufrieden ist. Längst<br />

ist es Mittagszeit. Schnell wird der Ausstellungsraum wieder in seinen ursprünglichen<br />

Zustand zurückverwandelt. Dann kommt eine kurze Sequenz, in der „Mörike“ den Hof des<br />

Stifts betritt und sich neugierig umschaut. Bildnerisch kein Problem, aber von der Küche<br />

her hört man Geschirrklappern. Da Bernhard Hurm hier nichts sagen muss, wird die<br />

Situation gelöst, indem Alexander Ewerhardt „Atmo“-Geräusche aus direkter Nähe<br />

aufnimmt, nämlich die Schritte des Schauspielers auf dem Hof. So wird man später am<br />

Schneidetisch Bild und Ton ohne störende Nebengeräusche kombinieren können.<br />

Seit einiger Zeit scheint tatsächlich die Sonne. Deshalb geht es ohne Pause gleich weiter<br />

an den Neckar zum Stocherkahnfahren – eine Szene, in der Christoph Ammon die Häuser<br />

im Fluss gespiegelt sehen möchte - ohne düstere Regenwolken am Horizont. Zum<br />

Bootsbetreiber hat sich die Mörike-Spezialistin Kristin Rheinwald gesellt, die die<br />

wissenschaftliche Beratung für den Film übernommen hat. Sie und Bernhard Hurm, der<br />

Mörike auf seine Art in- und auswendig kennt, sind sofort in eine lebhafte Diskussion<br />

vertieft, was man am Drehbuch möglicherweise noch ändern könnte. Dafür hat Christoph<br />

Ammon jetzt überhaupt keinen Sinn: ab in den Kahn. „Mörike“, nun ganz Bohemien mit<br />

venezianischem Strohhut, auf der einen Seite, die Crew auf der anderen. Alles läuft<br />

zufrieden stellend und das Stocherkahnfahren erzeugt fast ein wenig Urlaubsstimmung.<br />

Ein kurzer Imbiss nur, denn der sonnige Spätnachmittag will genutzt werden. „Mörike“ sitzt<br />

auf der Neckarmauer und erzählt von Orplid, der imaginären Insel der Poesie. Als ob es<br />

nicht schon schwierig genug wäre, die immerhin meist verständnisvoll reagierenden<br />

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Fußgänger daran zu hindern, vom Hölderlinturm aus den schmalen Weg, den Neckar<br />

entlang zu benutzen, dröhnt, gerade als die Szene „im Kasten“ zu sein scheint, heftiges<br />

Kindergeschrei von der Neckarinsel herüber. Nichts zu machen. Sie muss auf den<br />

nächsten Morgen verschoben werden, wenn noch nicht soviel los ist in der Stadt.<br />

Bernhard Hurm muss ohnehin weg, seinen Theaterverpflichtungen nachgehen. Christoph<br />

Ammon und Andreas Weber beschließen, mit der Handkamera durch Tübingens Gassen<br />

zu ziehen, um noch ein paar Impressionen mit dem schönen Abendlicht einzufangen. Der<br />

Rest der Crew hat Feierabend. Knapp vier Minuten des Films wurden heute gedreht. Die<br />

Drehorte Urach, Ochsenwang und Cleversulzbach liegen hinter ihnen, Stuttgart steht noch<br />

bevor. Aber jetzt muss erst einmal morgen früh an der Neckarbrücke in Tübingen gutes<br />

Wetter sein.<br />

Der Film wird am 6. November um 22.25 Uhr auf 3sat ausgestrahlt. Zuvor gibt es mehrere<br />

öffentliche Vorführungen: 03.10.2004, Melchingen, Theater Lindenhof, 27.10.2004, 19.30 Uhr in<br />

Cleversulzbach, Mörike-Museum, 02.11.2004, 17 Uhr in Mainz, Erbacher Hof, Bildungszentrum<br />

der Diözese, 03.11.2004, 20 Uhr in Stuttgart, Haus des Dokumentarfilms.<br />

Filmdaten: „Ein Poet zwischen Abgrund und Idylle – Zum 200. Geburtstag von Eduard Mörike“:<br />

Buch und Regie: Christoph Ammon. Kamera: Andreas Weber. Mörike-Darsteller: Bernhard<br />

Hurm. Wissenschaftliche Beratung: Dr. Kristin Rheinwald, Universität Stuttgart. Produktion: Loft<br />

music / 3sat, 44 Min., D 2004<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />

außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des<br />

Rechteinhabers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,<br />

Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in<br />

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