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Uschi Backes-Gelln - Rainer Hampp Verlag

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<strong>Uschi</strong> <strong>Backes</strong>-<strong>Gelln</strong>er*<br />

Personalwirtschaftslehre - eine ökonomische Disziplin?!<br />

Diskussionsbeitrag zur Personalwirtschaftslehre im deutschsprachigen<br />

Raum**<br />

1. Ist Personalwirtschaftslehre eine ökonomische Disziplin?<br />

2. Sollte Personalwirtschaftslehre als ökonomische Disziplin betrieben<br />

werden?<br />

2.1 Personalökonomie - Konzept und Interpretationsmuster<br />

2.2 Erkenntnisse personalökonomischer Forschung<br />

2.3 Vorzüge von Personalökonomie für die Lehre<br />

3. Personalwirtschaftslehre sollte auch eine ökonomische Disziplin<br />

sein!<br />

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit<br />

Personalwirtschaftslehre an deutschen Hochschulen als ökonomische<br />

Disziplin (Personalökonomie) betrieben wird und werden sollte. Er stellt<br />

das Grundkonzept einer Personalökonomie vor und skizziert daraus<br />

resultierende theoretische Interpretationsmuster des Arbeitsverhältnisses<br />

und der Personalpolitik in Unternehmen. In einem zweiten Schritt wird<br />

anhand publizierter Forschungsergebnisse gezeigt, wie diese<br />

Interpretationsmuster für die Analyse betrieblicher Personalpolitik<br />

fruchtbar gemacht und welche empirisch untermauerten Forschungsergebnisse<br />

zur Personalpolitik in Deutschland gewonnen wurden. Der Beitrag wird<br />

abgerundet durch wissenschaftstheoretische und hochschuldidaktische<br />

Überlegungen. Er endet mit einem Plädoyer, die Personalwirtschaftslehre<br />

zumindest auch als ökonomische Disziplin zu betreiben.<br />

1. Ist Personalwirtschaftslehre eine ökonomische Disziplin?<br />

Da die Antwort allzu eindeutig ist, sei sie ohne weitere Vorarbeiten zu<br />

Beginn vorweggenommen: Personalwirtschaftslehre, wie sie sich heute in<br />

deutschsprachigen Lehrbüchern und der überwiegenden Mehrzahl publizierter<br />

Forschungsergebnisse darstellt, wird bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht<br />

als ökonomische Disziplin betrieben - darin sind sich Fachvertreter aller<br />

Provenienzen einig (vgl. etwa Wunderer/ Mittmann 1983, Sadowski 1991a,<br />

Wächter 1990, Hax 1991). Selbst die in anderen Disziplinen entwickelten<br />

ökonomischen Theorien betrieblicher Personalentscheidungen werden i.d.R.<br />

von der Personalwirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum nicht zur<br />

Kenntnis genommen (Wächter 1990, Hax 1991).<br />

Die Charakterisierung dessen, was die Personalwirtschaftslehre heute<br />

darstellt, ist im Gegensatz dazu alles andere als eindeutig. Das Spektrum<br />

der Einschätzungen und das Ausmaß der Kontroverse seien zunächst<br />

beispielhaft mithilfe ausgewählter Zitate veranschaulicht. Es reicht von<br />

Charakterisierungen wie "praxisorientierte Darstellungen, instrumentelle<br />

Zusammenstellungen und umfassende Darstellung (...) nach einem<br />

erkenntnisleitenden Paradigma" (Wunderer/Mittmann 1983, 624), über "die<br />

Problemorientierung der wenigen Lehrbücher (ist) so bunt wie die<br />

wissenschaftliche Herkunft ihrer Autoren" und "die<br />

Personalwirtschaftslehre (...ist) im Kern ihrer normativen Wurzel treu<br />

geblieben und mehr eine Kunstlehre denn ein von tragenden Theorien<br />

durchflutetes Fach" (Drumm 1993, 680f) bis hin zu "in der Personalwirtschaftslehre<br />

folgt die Theorieentwicklung den praxisbezogenen<br />

Gestaltungsaussagen", "die Personalwirtschaftslehre ist ein<br />

differenziertes System praxeologischer Aussagen", "die<br />

Personalwirtschaftslehre ist eine eklektische Zusammenstellung von vor<br />

allem aus verhaltenswissenschaftlichen Disziplinen übernommenen<br />

Theoriefragmenten" (Marr 1987) und "die Personalwirtschaftslehre führt<br />

ein Jäger- und Sammlerdasein" (Wunderer/Mittmann 1983, 625).<br />

Auch ideengeschichtliche Überblicke der - selbst im Vergleich zur<br />

Betriebswirtschaftslehre - noch sehr jungen Personalwirtschaftslehre<br />

bestätigen den Eindruck großer Heterogenität. Seit dem Entstehen der


Personalwirtschaftslehre gibt es konkurrierende Ansichten über das, was<br />

der Gegenstand, die Methoden, die zugrundeliegenden Wertvorstellungen und<br />

die wissenschaftstheoretische Ausrichtung einer Personalwirtschaftslehre,<br />

auch genannt Personalwesen, Personalmanagement oder Personalpolitik ,<br />

sind und sein sollten (vgl. hierzu etwa Wunderer/Mittmann 1983, Bisani<br />

1983, Marr 1987, Wächter 1992, Wunderer 1983, Sadowski 1991, Ackermann<br />

1981). Arbeiten, die versuchen, den Inhalt der Disziplin zu<br />

systematisieren, kommen jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen<br />

hinsichtlich der Zahl der aufgezeigten theoretischen Ansatzpunkte, der<br />

Benennung und Abgrenzung der Ansätze, der Verwendung und Bedeutung<br />

empirischer Aussagen, des Ausmaßes der Praxisorientierung und der<br />

theoretischen Durchdringung des Faches. Abgrenzungen des Faches, Einschätzungen<br />

und Beurteilungen sind jeweils abhängig von definitorischen<br />

Vorentscheidungen und diese wiederum vom jeweiligen Standpunkt eines<br />

Forschers und Lehrers. Ob diese Offenheit und der Pluralismus produktiv<br />

sind oder ein möglicherweise existierendes optimales Maß an<br />

Vielfältigkeit überschritten ist, soll an dieser Stelle nicht erörtert,<br />

im abschließenden Kapitel jedoch aufgegriffen werden.<br />

Theorie- und Methodenpluralismus als Charakteristikum der Personalwirtschaftslehre<br />

stellen also den Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag<br />

dar, der zunächst einen weiteren Standpunkt, den der Autorin, hinzufügt.<br />

Im Mittelpunkt der Ausarbeitung steht die Frage, ob und warum<br />

Personalwirtschaftslehre als ökonomische Disziplin betrieben werden<br />

sollte. Eine Antwort wird versucht auf der Basis von drei<br />

unterschiedlichen Aspekten. Zuerst wird skizziert, welche Grundelemente<br />

eine Personalökonomie aus der Sicht der Autorin umfassen sollte. Dabei<br />

wird vorgestellt, mit welchen Konzepten, Wertvorstellungen und Methoden<br />

Personalökonomie welche Probleme zu lösen sucht. Darauf aufbauend wird<br />

beispielhaft gezeigt, welche empirisch fundierten Erkenntnisse zur<br />

Personalpolitik in deutschen Unternehmen mithilfe dieser theoretischen<br />

Zugangsweise gewonnen werden können. Dem schließen sich einige<br />

wissenschaftstheoretische und didaktische Überlegungen zu den Vorteilen<br />

einer ökonomisch orientierten Personalwirtschaftslehre an, die abschließend<br />

nochmals in eine erweiterte Perspektive gestellt werden, um zu<br />

einer vorläufigen Beantwortung der aufgeworfenen Frage zu gelangen.


2. Sollte Personalwirtschaftslehre als ökonomische Disziplin betrieben<br />

werden?<br />

2.1 Personalökonomie - Konzept und Interpretationsmuster<br />

Gegenstand einer Personalökonomie ist einerseits die Betrachtung von<br />

Beschäftigungsentscheidungen unter Marktbedingungen, d.h.<br />

Personalökonomie versucht, Beschäftigungsentscheidungen vor dem<br />

Hintergrund von Unsicherheit auf Produkt- und Absatzmärkten zu erklären. <br />

Andererseits ist der Spielraum betrieblicher Personalpolitik auch durch<br />

rechtliche, tarifvertragliche und sonstige normenstiftende Regelungen<br />

vorgezeichnet. Personalökonomie wird also auch Beschäftigungsentscheidungen<br />

vor dem Hintergrund der Wirkung institutioneller Rahmenbedingungen<br />

betrachten und versuchen, alternative Arbeitsmarktinstitutionen i.w.S.<br />

ökonomisch zu analysieren. Eine so verstandene Personalwirtschaftslehre<br />

reiht sich nahtlos ein in eine allgemeine Betriebswirtschaftslehre im<br />

Sinne Gutenbergs.<br />

Personalökonomie wird nicht verstanden in einem verkürzt monistischen<br />

Sinne (Personal reduziert auf einen Kostenfaktor) oder ausschließlich im<br />

Sinne traditioneller Mikroökonomie. Vielmehr hat sie ihre Quellen bzw.<br />

sucht Anleihen in Forschungsansätzen der Arbeitsökonomie angelsächsischer<br />

Prägung, der Informationsökonomie, der Neuen Institutionenökonomie in<br />

unterschiedlichen Varianten, der Vertrags- oder der<br />

Transaktionskostentheorie und der Verhandlungs- bzw. Spieltheorie. Gerade<br />

die Erweiterungen neuer ökonomischer Ansätze gegenüber der klassischen<br />

Mikroökonomie machen ökonomische Erklärungsansätze so geeignet zur<br />

Behandlung der besonderen Probleme von Arbeit als Produktionsfaktor. <br />

Welche personalwirtschaftlich relevanten Fragen lassen sich also mithilfe<br />

ökonomischer Denkmodelle aufdecken, erklären und möglicherweise lösen?<br />

Zunächst werden unterschiedliche Interpretationsmuster vorgestellt, um<br />

darauf aufbauend fruchtbare Implikationen aufzeigen zu können.<br />

1. Personal als Arbeitsangebot und -nachfrage<br />

Die Nachfrage nach Arbeitskräften ergibt sich als abgeleitete Nachfrage<br />

aus der Produktnachfrage. Zur Erklärung von Nachfrageschwankungen und<br />

eines bestimmten Beschäftigungsniveaus können die mikroökonomischen<br />

Metaphern Preise (Löhne), Wertgrenzprodukte, Marktformen auf Produkt- und<br />

Absatzmärkten und Substitutionseffekte zwischen Arbeit verschiedener<br />

Qualfikationsniveaus sowie Substitution von Arbeit durch Kapital zum<br />

Einsatz kommen (vgl. hierzu ausführlicher etwa die klassischen Werke von<br />

Ehrenberg/Smith 1985, insbesondere 1-90, 149-193 und Flanagan et.al.<br />

1989, 1-148).<br />

2. Personal als Investitionsgut<br />

Soweit rekrutiertes Personal eingearbeitet werden muß und<br />

Qualifikationsanstrengungen unternommen werden, wird eine Trennung in<br />

Investitions- und laufende Kosten der Nutzung des Faktors Arbeit<br />

notwendig. Investitionen in Qualifikationen haben einen Ertragswert, mit<br />

dessen besonderen Problemen sich ausführlich die Humankapitaltheorie<br />

beschäftigt hat. Sie hat insbesondere auf die Probleme von allgemeinen im<br />

Vergleich zu betriebsspezifischen Bildungsinvestitionen hingewiesen (vgl.<br />

ausführlicher etwa das klassische Werk von Becker 1964 oder<br />

Ehrenberg/Smith 1985, 253-297).<br />

3. Der Arbeitsvertrag als nichtjustitiables Dauerschuldverhältnis<br />

Arbeitsverhältnisse weisen eine Vielzahl von Besonderheiten auf, die den<br />

Arbeitsmarkt vom Produktmarkt und den Arbeitsvertrag vom Kaufvertrag<br />

unterscheiden. So kann etwa die Bereitschaft von Arbeitnehmern,<br />

Arbeitsleistungen zu erbringen, sich fortzubilden, sich umsetzen zu<br />

lassen und allgemein Entscheidungen im Sinne des Unternehmens zu treffen,<br />

nicht vertraglich geregelt und erzwungen werden, was neuere<br />

organisationsökonomische Arbeiten à la Williamson ausführlich begründet<br />

und belegt haben. Funktionierende Arbeitsverhältnisse setzen vielmehr Kooperationsbereitschaft<br />

voraus, für deren Entstehung und Aufrechterhaltung<br />

die Unternehmen Sorge tragen müssen. Die Bedingungen für das


Funktionieren solcher unbestimmten Arbeitsverhältnisse, die auf<br />

Langfristigkeit angelegt sind und selbsterfüllend (self-enforcing) sein<br />

müssen, da sie exogen nicht erzwingbar sind, haben Organisationsökonomen<br />

ausführlich unter dem Stichwort "relational contracting" behandelt (vgl.<br />

einführend Milgrom/Roberts 1992, 326-357; Williamson 1985, 206-240). Die<br />

aus den o.g. besonderen Umständen resultierenden organisatorischen<br />

Lösungen und Beschäftigungsstrategien sind unter dem Stichwort "interne<br />

Arbeitsmärkte" von Ökonomen, Industrie- und Betriebssoziologen aufgedeckt<br />

und empirisch umfassend belegt worden. Es zeigt sich, daß<br />

organisationsökonomisch effiziente Lösungen nicht vordergründig<br />

kostenminimierend sein dürfen, sondern immer auch das Problem der<br />

sozialen Akzeptanz einer Beschäftigungsstrategie lösen müssen (Sadwoski<br />

1991a).<br />

Solche organisatorischen Strukturen und Beschäftigungsmuster haben<br />

demnach ebenfalls einen Ertragswert und können in Analogie zu<br />

Humankapital mit dem Begriff Organisationskapital (Sadowski 1991a und<br />

ursprünglich Tomer 1987) treffend gekennzeichnet werden. Freiwillige<br />

Vereinbarungen und Regeln, die auf die Berechenbarkeit und<br />

Zuverlässigkeit der Arbeitsbeziehungen gerichtet sind, die der Beilegung<br />

von Konflikten, der Verteilung von Informationen und der Förderung von<br />

Kooperation dienen, sind demnach als Investitionen und sehr viel weniger<br />

als selbstlose, soziale Gesten der Unternehmen zu interpretieren. Im<br />

Gegensatz zu Sachinvestititonen wird Organisationskapital nicht durch<br />

einmalige, isolierte Anlageentscheidungen gebildet, sondern im<br />

alltäglichen Unternehmensablauf aufgebaut - und auch verspielt.<br />

4. Das Arbeitsverhältnis als Aushandlungsprozeß<br />

In dem Maße, in dem Arbeitsverhältnisse offen sein müssen, um auf<br />

unsichere Entwicklungen flexibel reagieren zu können, sind ständig neue<br />

Aushandlungen von Lohn und Leistung nicht nur nicht vermeidbar, sondern<br />

notwendig. Um die Aushandlung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen<br />

zu verstehen, können neben organisationsökonomischen Konzepten (vgl.<br />

einführend etwa Milgrom/Roberts 1992, 326-57) auch spieltheoretische<br />

Überlegungen zur Anwendung kommen. Dort werden die Wirkungen von<br />

Informationsasymmetrien, Kontroll- und Bestrafungsregeln und die<br />

Bedingungen für stabile Koalitionen untersucht.<br />

Tauschverhältnisse am Arbeitsmarkt finden aber nicht notwendigerweise<br />

zwischen gleichberechtigten Parteien statt, sondern können auch in<br />

zwanghafte Herrschaft umschlagen. Hier setzen Arbeitnehmerschutzrechte<br />

ein, von denen man gleichzeitig zeigen kann, daß sie zur<br />

Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes beitragen<br />

können (Sadowski/Kurth 1991).


5. Die Einbettung der Arbeitsbeziehungen in staatliche Regulierung und<br />

industrielle Beziehungen<br />

Das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien ist in unterschiedlichem Maße<br />

von staatlichen Regulierungen, wie Arbeitsrecht oder Berufsbildungsrecht<br />

beeinflußt und durch die Struktur und die Verhandlungsergebnisse der<br />

Tarifparteien vorstrukturiert. So können etwa die Verfügungsrechte der<br />

Arbeitgeber durch zwingende Mitbestimmungsrechte, den Vorrang der<br />

Tarifverträge, das Verbot der Diskriminierung, Kündigungsschutz oder<br />

ähnliches eingeschränkt sein. Dabei gilt es zu analysieren, ob solche<br />

Beschränkungen der Verfügungsrechte nur eine Einschränkung der Unternehmensfreiheiten<br />

und damit einen negativen Tatbestand darstellen, oder ob<br />

diese sogar produktive Folgen haben können, indem sie den unvermeidbaren,<br />

spezifischen Problemen von Arbeitsverhältnissen besser gerecht werden als<br />

unternehmensinterne Lösungen (vgl. etwa Sadowski 1988). Um diese Frage zu<br />

untersuchen, bieten sich insbesondere auch internationale Vergleiche an,<br />

da sie erlauben, unterschiedliche Konsequenzen alternativer<br />

institutioneller Lösungen nicht nur zu vermuten oder zu behaupten,<br />

sondern empirisch aufzuzeigen (vgl. etwa Sadowski 1988).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß für die Personalökonomie<br />

das Beschäftigungsverhältnis ein Tausch zwischen Arbeitnehmer und<br />

Arbeitgeber ist, d.h. Funktionalität und Instrumentalität der Arbeit für<br />

den Beschäftiger und die Beschäftigten ist die grundlegende<br />

Wertvorstellung ökonomischer Personalwirtschaftslehre. Weiterhin wird der<br />

Mensch als ein (begrenzt) rational handelndes Individuum gesehen, und<br />

ganz im Sinne Neubergers gilt für die Personalökonomie "Der Mensch ist<br />

Mittel" und nicht Mittelpunkt (Neuberger 1990). Davon ausgehend muß<br />

Personalökonomie Interessen- und Verteilungskonflikte aufdecken und die<br />

Wirkung von alternativen Lösungsmöglichkeiten, d.h. unternehmerischen<br />

Personal- und Organisationsstrategien sowie staatlicher und verbandlicher<br />

Regulierung analysieren.<br />

Personalökonomie schließt also nicht automatisch jede Arbeit ein, die<br />

Kosten-, Leistungs- oder Nutzenkategorien verwendet, dabei aber eher<br />

buchhalterisch vorgeht, Beispiele aus der Praxis aufzählt oder<br />

Optimierungsmöglichkeiten (auch anhand von OR-Modellen) aufzeigt. Damit<br />

eine Arbeit der Personalökonomie im hier verstandenen Sinne zugeordnet<br />

werden kann, müßte sie aufbauend auf den oben genannten Grundannahmen und<br />

mithilfe theoretischer Modelle, die den oben genannten Theorietraditionen<br />

entstammen, zu Erklärungen beobachtbarer betrieblicher Personalpolitik<br />

gelangen. Grundsätzlich sollten die Aussagen empirisch überprüfbar sein<br />

und soweit möglich auch systematischen empirischen Tests unterzogen<br />

werden. Personalökonomie ist in diesem Sinne eine positive Wissenschaft,<br />

deren Ziel es ist, betriebliche Personalprobleme und -politiken<br />

aufzudecken, Zusammenhänge zu erklären und die Vorteilhaftigkeit<br />

alternativer personalwirtschaftlicher Instrumente aufzuzeigen. Sie ist<br />

keine Kunstlehre, die eine Vielzahl von Instrumenten an die Hand gibt,<br />

und keine angewandte Wissenschaft, deren Probleme von der Praxis definiert<br />

werden.<br />

2.2 Erkenntnisse personalökonomischer Forschung<br />

Nachdem bisher abstrakt gezeigt wurde, wie ökonomische Denkmuster auf<br />

personalwirtschaftlich relevante Fragen angewendet werden können, soll im<br />

folgenden anhand von Beispielen veranschaulicht werden, welche<br />

Erkenntnisse Personalwirtschaftslehre, betrieben als ökonomische<br />

Disziplin, den Personalwirt lehren kann. Da die Befunde und<br />

personalpolitischen Verhaltensmuster wie oben angedeutet sehr stark von<br />

institutionellen Rahmenbedingungen ("institutions do matter") abhängig<br />

sind, beschränken sich die Beispiele auf Untersuchungen zur<br />

Bundesrepublik Deutschland ; obwohl es im angelsächsischen Sprachbereich<br />

sehr viel mehr Forschung auf diesem Gebiet gibt, soll diese hier<br />

vernachlässigt werden, da nicht ausreichend geklärt ist, inwieweit<br />

institutionelle Differenzen einer Übertragung der Befunde entgegenstehen.


Neben der Anwendung und Weiterentwicklung der oben vorgestellten, eher<br />

ungewohnten Interpretationsmuster und Fragestellungen, sollen insbesondere<br />

daraus resultierende, häufig überraschende personalpolitische<br />

Implikationen berichtet werden. <br />

1. Nichtjustitiable Beschäftigungsverhältnisse und betriebliche<br />

Lösungsstrategien: Muster betrieblicher Personalpolitik in Deutschland<br />

Frick (1992a) geht davon aus, daß jüngere und neu in einen Betrieb<br />

eintretende Arbeitnehmer den Umgang mit Älteren und Behinderten als Indiz<br />

dafür werten, was sie selbst erwarten können. Daraus läßt sich ableiten,<br />

daß Arbeitgeber in ihren personalpolitischen Verhaltensweisen auf solche<br />

Instrumente beschränkt sind, die auch von den Jüngeren und<br />

Abwanderungsfähigen als "gerecht" und "fair" empfunden werden. So<br />

entstehen z.B. auch in der BRD senioritätsorientierte Kündigungsregeln<br />

(last in - first out) und senioritätsorientierte vs. beispielsweise<br />

leistungsorientierte Lohn- und Aufstiegsmuster.<br />

Sadowski/Frick (1989) wenden diese generelle Erkenntnis auf die<br />

Beschäftigung Schwerbehinderter an. Sie können erstens zeigen, daß die<br />

Beschäftigung Schwerbehinderter keinesfalls durch Bestandsschutzregeln<br />

(Kündigungsschutz etc.) erzwungen werden kann, sondern ökonomisch<br />

kalkuliert ist. Unternehmen wägen die Kosten einer Erfüllung der<br />

Pflichtquote für Schwerbehinderte gegen die Kosten einer Umgehung dieser<br />

rechtlichen Bestimmung im Einzelfall ökonomisch ab. Mithilfe des Konzeptes<br />

der "internen Arbeitsmärkte" können sie zweitens herausarbeiten,<br />

daß die Beschäftigung Schwerbehinderter im Interesse von Unternehmen<br />

liegt, wenn eine langfristige Bindung der Belegschaft an das Unternehmen<br />

produktiv und erwünscht ist. In diesen Fällen sind die besonderen Kosten<br />

der Beschäftigung Schwerbehinderter als eine Investition in<br />

Organisationskapital zu sehen, die sich langfristig amortisiert.<br />

Mithilfe des gleichen Interpretationsmuster können <strong>Backes</strong>-<strong>Gelln</strong>er/Frick/<br />

Timmesfeld (1992) zeigen, daß im Gegensatz zur Beschäftigung Schwerbehinderter<br />

die Beschäftigung von Frauen zumindest bisher keine<br />

besonderen organisatorischen Vorteile mit sich zu bringen scheint und<br />

deshalb Frauen sehr viel eher der Gefahr unterliegen, diskriminiert zu<br />

werden, als Schwerbehinderte. Gesetzliche Regelungen, das zeigen wiederum<br />

Analysen der Schwerbehindertengesetzgebung (siehe unten), müssen kein<br />

hinreichendes Mittel sein, dies zu unterbinden.<br />

2. Nichtjustitiable Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen: Der<br />

Ersatz expliziter Kontrakte durch professionelle Selbststeuerung<br />

<strong>Backes</strong>-<strong>Gelln</strong>er unternimmt eine organisationsökonomische Analyse der<br />

Personalpolitik an Hochschulen. Verfügungsrechtliche Analysen zeigen<br />

zwar, daß das Personal an Hochschulen extreme Handlungsspielräume hat,<br />

und der naive Ökonom vermutet, daß dies zu Drückebergerei und<br />

Trittbrettfahrertum genutzt wird. Es zeigt sich aber, daß professionelle<br />

Selbststeuerung eine Alternative zu marktlichen oder expliziten<br />

bürokratischen Leistungsanreizen und expliziten Verträgen darstellen<br />

kann. In einem deutsch-amerikanischen Vergleich zeigt sich, daß in einer<br />

gezielten Kombination der beiden Instrumente (z.B. intensive<br />

wissenschaftliche Sozialisation und fest vereinbarte jährliche Peer-<br />

Reviews) die optimale Strategie zu liegen scheint (vgl. exemplarisch<br />

<strong>Backes</strong>-<strong>Gelln</strong>er 1989 und 1992).<br />

3. Das Arbeitsverhältnis als Tausch und Aushandlungsprozeß<br />

Eckardstein (1992) analysiert anhand von Fallstudien das Netz von<br />

Verträgen zwischen Management, Arbeitsgruppen und Betriebsrat. Er<br />

interpretiert die Einführung und Funktionsweise von Gruppenarbeit<br />

mithilfe transaktionskostentheoretischer Überlegungen. Er kommt zu dem<br />

durchaus überraschenden Befund, daß die beobachteten Strukturen nahezu<br />

eine "Paradoxie" darstellen: Während die präzise Kodifizierung von<br />

Verträgen auf der einen Seite zur Entstehung von Vertrauen beiträgt, kann<br />

sie auf der anderen Seite durch die Festschreibung von Regelungen in<br />

unsicheren Umwelten auch zur Verunsicherung der Parteien beitragen, indem


sie sich nämlich in der Zukunft als Belastung herausstellen könnte. In<br />

einer solchen Situation könnte Vertrauen zur Herausbildung eines<br />

dynamischen Gleichgewichts beitragen. Insbesondere implizite Verträge<br />

erweisen sich dann wegen ihrer Unvollkommenheiten als<br />

kooperationsförderlich. Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist allerdings,<br />

daß sie im Bewußtsein der Beteiligten lebendig bleiben. Hier ist<br />

also permanentes personal- bzw. organisationspolitisches Handeln wie z.B.<br />

wechselseitige Information, Verzicht auf den vollen Einsatz der eigenen<br />

Macht und Zulassen einer Machtposition der Gegenpartei notwendig.<br />

Sadowski (1984) interpretiert die Bereitstellung betrieblicher<br />

Sozialleistungen als Tausch "Sozialleistung gegen Lohn". Arbeitnehmer und<br />

Arbeitgeber lassen sich auf dieses Arrangement ein, da es Vorteile<br />

basierend auf Steuersubventionen und durch Kuppelproduktion bringt. Er<br />

kann zeigen, daß für die Akzeptanz dieses Tausches organisatorische<br />

Regelungen, die Aushandlungs- und Mitbestimmungsrechte garantieren,<br />

notwendig sind. Die Metapher "Tausch" macht weiterhin darauf aufmerksam,<br />

daß Änderungen der Rahmenbedingungen, wie z.B. der Steuergesetzgebung<br />

oder von Mitbestimmungsregeln, zur Zurücknahme von Sozialleistungen oder<br />

Umschichtungen führen, da sie das Kostenkalkül der Beteiligten umkehren<br />

können. Herkömmliche Deutungen im Sinne uneigennütziger Hilfsbereitschaft<br />

etwa legen solche Schlüsse nicht unbedingt nahe und würden<br />

dementsprechend andere, möglicherweise unrealistischere<br />

Gestaltungsempfehlungen nach sich ziehen.<br />

Frick (1992b) untersucht die Frage, ob Betriebsräte - wie traditionelle<br />

Ökonomen vermuten - wohlfahrtsmindernde Kartelle oder im Sinne des<br />

Arbeitsverhältnisses als ständigem Aushandlungsprozeß eine<br />

produktivitätssteigernde betriebliche Institution darstellen. Er<br />

analysiert diese Frage anhand des Einflusses betrieblicher Interessenvertretungen<br />

auf arbeitnehmer- und arbeitgeberseitige Kündigungen<br />

und kann zeigen, daß das Vorhandensein eines Betriebsrates die<br />

Fluktuation deutlich reduziert. Die Existenz einer Interessenvertretung<br />

hat also über die Reduktion der Fluktuationskosten hinaus kostensenkende<br />

bzw. produktivitätssteigernde Effekte.<br />

Pull (1992) analysiert die konkrete Ausgestaltung von Tauschverhältnissen<br />

anhand von Arbeitsverträgen und zeigt die daraus resultierenden<br />

impliziten Risikozuweisungen auf die beteiligten Parteien auf. Sie<br />

interpretiert Arbeitsverträge als Institutionen zur Allokation<br />

unterschiedlichster Risiken. Sie kann zeigen, daß z.B. durch<br />

unterschiedliche Entlohnungs- und Beschäftigungsstrategien auch das<br />

Konjunkturrisiko, das Risiko mangelnder Arbeitsleistung und das der<br />

Verhüllung des Unternehmensergebnisses zugeteilt werden. Sie fragt auch,<br />

unter welchen Bedingungen welche Konstellationen effizienter sein<br />

könnten.


4. Externe Regulierung und betriebliche Personalpolitik<br />

a) Die Einbettung interner Lösungen in externe Regulierung<br />

Wächter (1989) untersucht die Personalpolitik in Atomkraftwerken vor dem<br />

Hintergrund der ökonomischen Theorie interner Arbeitsmärkte. Er zeigt,<br />

daß die verschiedenen personalpolitischen Maßnahmen nicht beliebig<br />

wählbar sind, sondern nur in ganz bestimmten Mustern existieren können.<br />

Als ein hervorstechendes Merkmal arbeitet er eine für<br />

bundesrepublikanische Verhältnisse ungewöhnlich stark ausgeprägte<br />

Spaltung der Beschäftigten in Stammpersonal und peripheres Personal heraus.<br />

Diese läßt sich vor dem Hintergrund geltender rechtlicher<br />

Sonderregelungen für Atomkraftwerke organisationsökonomisch plausibel<br />

erklären. Er möchte diese Arbeit damit auch als einen Beitrag "to a<br />

theoretical foundation of personnel policy" verstanden wissen (Wächter<br />

1989, 765).<br />

Langemeyer (1988) untersucht den Einfluß gesetzlicher<br />

Sozialplanregelungen auf betriebliche Beschäftigungsstrategien vor dem<br />

Hintergrund der Theorie interner Arbeitsmärkte. Er kann zeigen, daß die<br />

in den 70er Jahren beobachtbare Politik betrieblicher<br />

Personalbestandsstabilisiserung nicht ursächlich auf finanzielle Kündigungsbeschränkungen<br />

(darunter auch das Sozialplanrecht des<br />

Betriebsverfassungsgesetzes) zurückzuführen ist, sondern als das Ergebnis<br />

einer ökonomisch effizienten Herausbildung betriebsinterner Arbeitsmärkte<br />

interpretiert werden kann. Er zeigt allerdings auch, daß dieses Ergebnis<br />

nicht auf Betriebe zutrifft, die kein ökonomisches Interesse an einer<br />

Politik der Stabilisierung der Beschäftigung haben. Hier verhindern<br />

Sozialplankosten Personalfreisetzungen bei überschüssigem Arbeitsvolumen.<br />

Vor allem in solchen Fällen ist nach Einschätzungen Langemeyers davon<br />

auszugehen, daß eine verringerte Bereitschaft zu Neueinstellungen<br />

sozialpolitische Opportunitätskosten des gesetzlichen<br />

Besitzstandsschutzes darstellen.<br />

b) Grenzen der Funktionsfähigkeit externer Regulierung: die<br />

Abhängigkeit rechtlicher Regelungen von innerbetrieblichen<br />

Durchsetzungsinstanzen<br />

Sadowski/Frick (1990) decken auf, daß in der betrieblichen Realität die<br />

generellen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes und die<br />

spezifischen Regeln des Schwerbehindertengesetzes nicht automatisch<br />

durchgesetzt werden, sondern auf der Basis von Interessenkonstellationen<br />

und Situationsdeutungen ausgehandelt werden. Es wird herausgearbeitet,<br />

daß Arbeitgeber nicht aufgrund der Scheu vor Arbeitsgerichtsprozessen<br />

ihre Pflichtquote für Schwerbehinderte zu erfüllen suchen, sondern<br />

aufgrund der organisationspolitischen Kosten eines Verstoßes gegen<br />

unternehmensinterne Bräuche und Sitten. Soweit Betriebsräte über diese<br />

Bräuche und Sitten wachen und damit Verstöße teuer werden lassen, muß in<br />

Betrieben mit Betriebsrat mit höheren Schwerbehindertenquoten gerechnet<br />

werden, was empirisch auch belegt werden konnte. Gesetzesregelungen und<br />

die autonome Instanz Betriebsrat mit ihren Mitbestimmungs- und<br />

Mitwirkungsrechten sind demnach nicht alternative Formen der rechtlichen<br />

Steuerung, sondern aufeinander angewiesen und komplementär in dem Sinne,<br />

daß der Betriebsrat als Vollzugsorgan arbeitsrechtlicher Interventionen<br />

anzusehen ist.<br />

Diese Beispiele sollten verdeutlichen, daß Erklärungen, Zusammenhänge und<br />

Schlußfolgerungen, die mithilfe einer Personalökonomie im hier<br />

definierten Sinne gewonnen werden, keinesfalls trivial, sondern häufig<br />

unerwartet oder überraschend und auf "traditionellen Pfaden" der<br />

Personalwirtschaftslehre so nicht zu gewinnen sind.<br />

2.3 Vorzüge einer Personalökonomie für die Lehre<br />

Analysen der Vorteile von Personalökonomie können keine generellen und<br />

endgültigen Antworten liefern, vielmehr hängen diese ab von dem<br />

zugrundeliegenden Wissenschaftsverständnis bzw. den der<br />

sozialwissenschaftlichen Forschung unterstellten Aufgaben. Würde man


Personalwirtschaftslehre als eine engagierte Sozialwissenschaft (Nowotny<br />

1982) bzw. eine Krisenwissenschaft (Offe 1982) verstehen, die auf eine<br />

Veränderung sozialer Verhältnisse abzielt, sich leidenschaftlich engagiert<br />

für Betroffene einsetzt und als politische Kraft agiert, würde man<br />

sie sicher nicht als ökonomische Disziplin betreiben wollen. Kann man<br />

allerdings gut leben mit den Ansprüchen "etablierter Sozialwissenschaft",<br />

die methodisch und analytisch distanziert und damit stärker retrospektiv<br />

und rekonstruktiv angelegt ist, lassen sich gute Gründe für eine<br />

(ökonomische) "Disziplinierung" der Personalwirtschaftslehre anführen.<br />

Im Gegensatz zu angewandter Entscheidungstheorie, zu rein beschreibender<br />

oder primär empirischer Forschung zeichnet sich Personalwirtschaftslehre<br />

als ökonomische Disziplin durch ihren konzeptionellen, abstrakten,<br />

modellhaften und auch spekulativen Charakter aus, wodurch sich<br />

spezifische Vorteile ergeben. Ökonomische Theorie bewährt sich zunächst<br />

als Sprachsystem und macht logische Implikationen sichtbar, die sonst<br />

übersehen würden. Außerdem führen modellorientierte Analysen, wie sie für<br />

die Ökonomie typisch sind, zu empirisch gehaltvollen und überprüfbaren<br />

Aussagen. Hax (1991, 66) vermutet dementsprechend, daß sich einer ökonomisch<br />

orientierten Personalwirtschaftslehre, die die Grenzen zur<br />

Mikroökonomie überwindet und Methoden der Neuen Institutionenökonomik zur<br />

Analyse von Marktbeziehungen aufgreift, weite Perspektiven öffnen werden.<br />

Auch wenn oder gerade weil ökonomische (wie alle rigorosen) Modelle die<br />

Realität nicht vollständig abbilden, sondern eher reduzierte Bilder der<br />

Realität darstellen, können sie einen besonderen Beitrag zum Verständnis<br />

der Realität und für die personalpolitische Praxis leisten. Erst durch<br />

eine systematische Reduktion der Komplexität werden Vermutungen über die<br />

Realität kommunizierbar und diskutierbar (vgl. hierzu allgemein<br />

Schmidt/Schor 1987). Gerade der Versuch, Theorien nicht als Abbilder,<br />

sondern als kühne Entwürfe der Realität zu entwickeln (Popper), erlaubt<br />

es Sozialwissenschaftlern, ihre Probleme nicht nur von der Praxis zu<br />

übernehmen, sondern selbst an deren Konstitution mitzuwirken. Wenn<br />

nämlich gilt, was wissenschaftssoziologische Analysen ausführlich belegt<br />

haben, daß das bloße Vorhandensein von Zuständen und Mißständen nicht<br />

ausschlaggebend für die Wahrnehmung bzw. Konstitution eines Problems ist,<br />

kann Wissenschaft insofern einen Beitrag zum Fortschritt leisten, als sie<br />

die Praxis auf Probleme aufmerksam macht, die diese (noch) nicht erkannt<br />

hat (Nowotny 1982). Personalwirtschaftslehre als ökonomische Disziplin<br />

entwirft also auch Bilder möglicher Welten und stellt in diesem Sinne<br />

eine Definitionsinstanz dar. Auch wenn man die erdachten Weltbilder oder<br />

konstruierten Realitäten nicht teilen mag, sind sie doch zumindest<br />

insoweit hilfreich, als sie mögliche und plausible Interpretationen der<br />

Realität anbieten, die dann gegen alternative Interpretationen abgewogen<br />

werden können und müssen. Die Verwendung von (ökonomischen) Denkmodellen<br />

erlaubt also nicht nur, komplexe Zusammenhänge und das Zusammenspiel<br />

zwischen unterschiedlichen Annahmen und Implikationen klarzumachen, sie<br />

hat nicht nur heuristische und didaktische Funktionen, sondern trägt auch<br />

wesentlich zur "Konstruktion" von Realität bei. In diesem Sinne können<br />

sogar fiktionale Modelle, die nicht dem Kriterium der Abbildungstreue<br />

genügen, hilfreich sein. Sie stellen eine Orientierungsleistung dar,<br />

anhand derer Hypothesen aufgestellt werden können und die es erlauben,<br />

gezielte Fragen an die Realität zu stellen.<br />

Personalwirtschaftslehre als ökonomische Disziplin kann und soll also<br />

keine enzyklopädische Aufarbeitung von Problemen und Stoffen liefern,<br />

sondern eine Perspektive darstellen, die theoretische Einsichten und<br />

ungewohnte Forschungsfragen produziert.<br />

Neben diesen eher wissenschaftssoziologischen und theoretischen<br />

Begründungen kann man aber auch Praktiker sprechen lassen. Wenn Fiege,<br />

Personalleiter der IBM Deutschland, fordert, daß "das Fach<br />

Personalwirtschaftslehre so zu gestalten sei, daß es ein Angebot für alle<br />

künftigen Führungskräfte bereitstellt und daß die akademische Ausbildung


explizit von der Vermittlung von Fachwissen für Personalspezialisten<br />

abzugrenzen sei", deutet dies m.E. auf eine theoretisch und disziplinär<br />

ausgerichtete Personalwirtschaftslehre hin. Daß diese Ansprüche von<br />

einer methodologisch strengen und modelltheoretisch orientierten<br />

Wissenschaft wie der Ökonomie in besonderer Weise gewährleistet werden<br />

kann, wurde oben zu zeigen versucht. Eine Personalökonomie, deren Ziel es<br />

ist, originäre Fragestellungen zu produzieren, überraschende<br />

Zusammenhänge aufzudecken und damit möglicherweise neue Lösungswege<br />

aufzuzeigen, dürfte auch der Forderung von Fiege entsprechen, daß "Personalwirtschaftslehre<br />

an der Universität kein Nischenlehrfach für<br />

angehende Personalspezialisten sein dürfe, betriebliche Personalpolitik<br />

keine Sache von Spezialisten zu sein habe, sondern Personalverantwortung<br />

untrennbar mit der Verantwortung für das Unternehmen verbunden sein<br />

müsse" (Fiege 1992, 271). Eine ökonomisch disziplinierte<br />

Personalwirtschaftslehre sollte demnach auch den Vorstellungen der Praxis<br />

in besonderer Weise genügen.<br />

Daß eine stärkere Ökonomisierung nicht alleine eine Frage der<br />

Personalwirte ist, zeigen die Beiträge der Frankfurter Tagung der<br />

Hochschullehrer für BWL, auf der auch für die Allgemeine<br />

Betriebswirtschaftslehre eine stärkere ökonomische Ausrichtung gefordert<br />

und Vorschläge unterbreitet wurden (vgl. den Sammelband von<br />

Ordelheide/Rudolph/Büsselmann 1991). Wenn statt noch mehr "computerunterstüzter<br />

Nachahmung der Praxis" die Betriebswirtschaftslehre im<br />

allgemeinen und die Personalwirtschaftslehre im besonderen auch eine<br />

aktive Rolle bei der Weiterentwicklung ökonomischer Theorien übernehmen<br />

würden und dazu beitrügen, die Forschungsdefizite in der ökonomischen<br />

Theorie zu beseitigen (Albach 1991, 5) wäre dies schließlich auch ein<br />

Beitrag gegen eine immer stärkere Ausdifferenzierung und Spezialisierung<br />

der Wirtschaftswissenschaften. Gleichzeitig würde eine Einbettung der<br />

Personalwirtschaftslehre in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre<br />

gewährleistet.<br />

3. Personalwirtschaftslehre sollte auch eine ökonomische Disziplin<br />

sein!<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß es eine Vielzahl an guten<br />

Argumenten für eine Personalwirtschaftslehre als ökonomische Disziplin<br />

gibt. Statt diese zu wiederholen, soll zum Abschluß die Frage<br />

aufgegriffen werden, welche Kosten eine "ökonomische Disziplinierung" der<br />

Personalwirtschaftslehre mit sich bringt. Die Kosten rigoroser Modelle<br />

sind Abstraktion, Vereinfachung und Verfremdung, darauf wurde oben<br />

bereits hingedeutet. Die Kosten bzw. Gefahren des zugrundeliegenden<br />

Menschenbildes, das von eigennützigen, rational handelnden und kalkulierenden<br />

Individuen ausgeht, reichen weiter. Pessimisten fürchten<br />

ökonomischen Imperialismus und Indoktrination, der in einer<br />

Kommerzialisierung der Welt und Entfremdung des Menschen mündet. Soweit<br />

aber disziplinäre Spezialisierung - für die es, wie oben gezeigt, eine<br />

Vielzahl an guten Gründen gibt - immer nur mit Einäugigkeit zu erreichen<br />

ist, sollte diese Befürchtung nicht in einer Ablehnung ökonomischer<br />

Ansätze enden, sondern ein fruchtbares Nebeneinander verschiedenartiger,<br />

disziplinärer Ansätze in der Personalwirtschaftslehre induzieren.<br />

Methoden- und Theorienpluralismus als Programm wäre demnach nicht die<br />

schlechteste Lösung, sondern legitimer Ausdruck der Vielfalt des<br />

Problemfelds "betriebliches Personalwesen". Allerdings sollte innerhalb<br />

dieses Geflechts den disziplinär orientierten, theoretisch stringenteren<br />

Ansätzen im allgemeinen und den ökonomischen Ansätzen im besonderen in<br />

Zukunft eine sehr viel bedeutendere Position als bisher zukommen.<br />

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* Dr. <strong>Uschi</strong> <strong>Backes</strong>-<strong>Gelln</strong>er, geb. 1959, ist Akademische Rätin am<br />

Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen<br />

Gemeinschaft und Habilitandin in Betriebswirtschaftslehre an der<br />

Universität Trier.<br />

Arbeitsgebiete: Organisationsökonomie von Hochschulen; Betriebliche<br />

Personalökonomie, insbesondere betriebliche Qualifizierungsstrategien im<br />

internationalen Vergleich. Veröffentlichungen u.a.: Ökonomie der<br />

Hochschulforschung. Wiesbaden: Gabler 1989.<br />

** Artikel eingegangen: 27.5.93 / Art. akzeptiert: 15.9.93 /<br />

revidierte Fassung eingegangen: 1.10.93.<br />

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag für den 2. Gummersbacher<br />

Workshop "PersonalwirtschaftsLEHRE" (18.-20.Februar 1993) und soll hier<br />

einer breiteren Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden.<br />

Ich danke Constanze Müller für die Unterstützung bei der<br />

Literaturarbeit und die kompetenten Diskussionen über die<br />

Personalwirtschaftslehre im Spiegel der deutschen Literatur. Für<br />

kritische Kommentare danke ich den Diskussionsteilnehmern des 2.<br />

Gummersbacher Workshops. Wertvolle Hinweise bei der Überarbeitung des<br />

Manuskripts haben die Professoren Dr. Dieter Sadowski, Dr. Hartmut<br />

Wächter und Dr. Dudo von Eckardstein beigesteuert. Die Verantwortung für<br />

den Inhalt und verbleibende Fehler liegt allerdings allein bei der<br />

Verfasserin.<br />

Ein Versuch, die verschiedenen Ausprägungen der "Personal-<br />

Bindestrich-Disziplinen" sauber auseinanderzuhalten, scheitert an einem<br />

nicht zu lösenden Begriffswirrwarr bei der Verwendung der<br />

unterschiedlichen Termini. Ein identischer Begriff kann bei verschiedenen<br />

Autoren verschiedene Bedeutungen haben und ein identischer Inhalt kann<br />

bei verschiedenen Autoren hinter unterschiedlichen Begriffen versteckt<br />

sein.<br />

Obwohl heute häufig eine stärkere Integration in die<br />

Betriebswirtschaftslehre gefordert wird (vgl. beispielhaft Hax 1991,<br />

Steinmann/Kühlmann 1991), reicht dies als einigendes Band nicht aus, da<br />

die Vorstellungen davon, was die Betriebswirtschaftslehre oder<br />

Managementlehre ist, ebenfalls weit auseinandergehen.<br />

Diese ist geprägt durch das Forschungsprogramm der<br />

wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung des Instituts für Arbeitsrecht<br />

und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Gemeinschaft an der<br />

Universität Trier. Vgl. programmatisch vor allem Sadowski (1988),<br />

Sadowski (1989) und Sadowski (1991a).<br />

Auf die besondere Bedeutung der Berücksichtigung von Unsicherheiten<br />

für die ökonomische Theoriebildung in der Betriebswirtschaftslehre hat<br />

auch Albach (1991) hingewiesen. Als Probleme, mit denen sich die Theorien<br />

zu beschäftigen haben, kristallisiert er dementsprechend<br />

Verhaltensänderungen von Kunden und Wettbewerbern, Entdeckung neuer<br />

Produkte und langfristige Überlebenssicherung gegen unbekannte Risiken<br />

heraus. In diesem Zusammenhang müsse die Betriebswirtschaftslehre eine<br />

aktive Rolle bei der Weiterentwicklung ökonomischer Theorien übernehmen,<br />

was unmittelbar auf die Personalwirtschaftslehre übertragen werden kann.<br />

Eine monistische Vorstellung von Personalökonomie scheint der<br />

Kritik Kießlers (1990) an einer Ökonomisierung der<br />

Personalwirtschaftslehre zugrunde zu liegen (Kießler 1990, 210).<br />

Siehe hierzu auch die Kritik von Steinmann/Hennemann (1993) an<br />

einer von ihnen so benannten "Human-Ressourcen-Ökonomik", die sich<br />

allerdings weitgehend gegen eine klassische mikroökonomische Fundierung<br />

von Personalwirtschaftslehre richtet und generell den Wert von<br />

mikroökonomischer Theorie für die Betriebswirtschaftslehre in Frage<br />

stellt. Gerade die Erweiterungen neuer ökonomischer Ansätze gegenüber<br />

traditioneller Mikroökonomie machen aber eine Vielzahl der Kritikpunkte<br />

hinfällig (vgl. hierzu auch die Beiträge in dem Sammelband von<br />

Ordelheide/Rudolph/Büsselmann 1991). March (1992) plädiert dafür, alte


Fehden mit der Mikroökonomie zu begraben, da sie durch die vielfältigen<br />

Weiterentwicklungen derselben heute nicht mehr angemessen seien: "So, I<br />

am happy to make a simple plea: It is a plea not to reject economics, but<br />

to read it." (March 1992, 266).<br />

Gleichzeitig - dies sei hier nicht verschwiegen - ist mit diesen<br />

Erweiterungen auch die "Schönheit der Neoklassik" dahin (Richter 1991,<br />

397). March (1992) faßt dies in dem prägnanten Satz "The war is over, the<br />

victors have lost" zusammen. Von logischer Geschlossenheit der<br />

ökonomischen Ansätze kann nicht mehr die Rede sein; stattdessen gibt es<br />

neue Metaphern, neue Sprachformen und möglicherweise auch neuen<br />

Begriffswirrwarr, der aber - so die Hoffnung der Personalökonomen - durch<br />

originelle und fruchtbare Erklärungsbeiträge zu rechtfertigen ist.<br />

Außerdem beschränkt sich die referierte Literatur in diesem ersten<br />

Schritt auf Forschung, die aus der personalwirtschaftlichen Profession<br />

heraus entstanden ist. Darüber hinaus gibt es insbesondere in der<br />

Organisationsökonomie und auch innerhalb der Volkswirtschaftslehre arbeitsökonomische<br />

Forschung, die sich mit den oben zitierten<br />

Interpretationsmustern auch betrieblichen Aspekten des<br />

Beschäftigungsverhältnisses widmet. Einen ersten Überblick über die in<br />

der Volkswirtschaftslehre gewonnenen Einsichten gewährt etwa die<br />

Sammelrezension von Gerlach und Hübler (1992) zu neueren Lehrbüchern zur<br />

ökonomischen Analyse des Arbeitsmarktes. Ein Ausbau<br />

betriebswirtschaftlicher Personalökonomie kann also auf einen Fundus an<br />

Ergebnissen und Erkenntnissen aufbauen, den es nur für genuin<br />

personalpolitische Fragen fruchtbar zu machen gilt.<br />

Die zitierten Studien erheben nicht unbedingt den Anspruch der<br />

Vollständigkeit, sondern dienen vielmehr dazu, das Spektrum an Aussagen<br />

aufzuzeigen, das sich aus personalökonomischen Betrachtungsweisen<br />

ableiten läßt.<br />

Zurückführen läßt sich diese Frage auf die Grundfrage, was die<br />

Bedeutung stringenter Modelle und Erklärungen für die<br />

wirtschaftswissenschaftliche Disziplin allgemein ist bzw. sein kann. Von<br />

diesen stellen die Betriebswirtschaftslehre und die<br />

Personalwirtschaftslehre eine Teilmenge dar.<br />

Zu diesen Gegensatzpaaren vgl. genauer Schmidt/Schor (1987)<br />

Diese Überlegungen treffen natürlich auch auf andere<br />

sozialwissenschaftliche Disziplinen, wie z.B. die Psychologie zu, die in<br />

diesem Sinne der Personalwirtschaftslehre ebenfalls wertvolle Befruchtung<br />

liefern können. Vgl. beispielhaft die gelungene Arbeit von Neuberger<br />

1991.<br />

Hyperrealismus ist nicht nur nicht möglich, sondern auch nicht<br />

erkenntnisfördernd.<br />

Sadowski (1991b) verweist etwa auf die Bedeutungslosigkeit der<br />

heutigen personalwirtschaftlichen Theorie für die Praxis und schließt<br />

daraus auf die Notwendigkeit einer theoretischen Neuerung.

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