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Oktober 2005 - Aktion Humane Schule e.V.

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entspricht. Plötzlich kommt Unruhe auf. „Ich hab meine<br />

Ampel schon so lange auf Rot und keiner kommt zu<br />

mir!!" Verdattert stellt man fest, dass man sich bei der<br />

Unterstützung eines Kindes festgebissen hat und<br />

versäumt hat, regelmäßig von Tisch zu Tisch zu<br />

wandern, um zu schauen, ob ein Kind mit seiner roten<br />

Ampel Hilfebedarf signalisiert. So springt man zwischen<br />

Deichbau und Zehnerübergang hin und her und stellt<br />

plötzlich fest, dass es zu dem einen Ranzen gar kein<br />

Kind gibt. Aha, da hat sich wieder jemand still und ieise<br />

aus dem Staub gemacht und sitzt jetzt genüsslich auf<br />

der Schakel. Manchmal reichen unsere<br />

Überredungskünste dann nicht aus und er geht ohne<br />

Hausaufgaben nach Hause. Was macht eigentlich die<br />

zweite Frau im Raum? Ach ja, die steht bei Sascha und<br />

hält die Hand auf seiner Schulter, weil er dann ganz<br />

schnei! seine Aufgaben erledigt hat und nach Hause<br />

kann. Ist diese Hilfestellung nicht möglich, mischt er in<br />

kürzester Zeit den ganzen Laden auf und fliegt ohne<br />

erledigte Aufgaben raus. Wieso ist Özlem heute<br />

eigentlich so still? Sie hat in der Mathearbeit eine Fünf,<br />

obwohl sie mit uns fleißig geübt hat. Jetzt ist sie<br />

enttäuscht und traut sich nicht nach Hause, weil sie<br />

Ärger befürchtet. Wir bieten ein Gespräch mit ihrer<br />

Mutter an, falls die nicht glaubt, dass sie wirklich fleißig<br />

war. Schließlich sind die Tränen getrocknet, aber es<br />

warten schon wieder viele rote Ampeln. Und kaum sind<br />

einige Kinder fertig, ist es Zeit für die Hauptschüler,<br />

Einige kommen sehr bewusst immer dann, wenn sie in<br />

der <strong>Schule</strong> etwas nicht verstanden haben oder wenn<br />

sie vor einer Arbeit noch etwas abklären wollen. Andere<br />

werden von den Lehrern geschickt, müssen sich<br />

gegenzeichnen lassen, dass sie da waren und was sie<br />

erledigt haben. Der Umgangston ist machmal sehr<br />

gewöhnungsbedürftig, aber dank all-seitiger Erfahrung<br />

mit eigenen pubertierenden Kindern kriegen wir das<br />

meiste schon hingebogen. Wenn es gar zu schlimm<br />

wird, gibt es die schriftliche Bestätigung, dass der<br />

Schüler nach Hause gehen „durfte", bevor alle<br />

Aufgaben erledigt waren. Über der Erklärung, wie ein<br />

Bügeleisen funktioniert und der Berechnung der<br />

Jahreszinsen für einen Bankkredit ist es plötzlich 14:30<br />

Uhr geworden und wir haben eigentlich längst<br />

geschlossen.<br />

Letzte Frage des Tages: „Krieg ich denn ein Bonsche?"<br />

Na klar, jeder, der seine Arbeit erledigt hat und keinen<br />

Streit hatte, bekommt für den Heimweg ein Bonsche<br />

(hochdeutsch: Bonbon) von uns. Es ist immer wieder<br />

erstaunlich, wie brav kleine Rabauken werden, wenn<br />

der Entzug des ßonsche droht. Einige Experten<br />

kommen sogar gelegentlich einfach mal rein um sich<br />

ein Bonsche zu erarbeiten.<br />

Und wir brauchen jetzt erst mal Ruhe und einen Kaffee!<br />

Wieso tun wir uns eigentlich diesen Stress täglich an?<br />

Die Arbeit ist anstrengend, macht aber eben sehr viel<br />

Spaß, weil unmittelbar zu erkennen ist, dass die Hilfe<br />

dringend erforderlich ist und den Kindern über Klippen<br />

hilft, die sie sonst nicht überwinden könnten. Es ist<br />

schön zu beobachten, wie Kinder, die zunächst sehr<br />

ungern gekommen sind, nach und nach begreifen, dass<br />

wir keine Strafmaßnahme, sondern eine Hilfestellung<br />

sind. Für einzelne Kinder sind wir außer der Lehrerin<br />

die einzigen Erwachsenen, die sich wirklich mit ihrer<br />

Arbeit in der <strong>Schule</strong> auseinander setzen. Manche<br />

Kinder kommen sogar von der angrenzenden<br />

Realschule noch gelegentlich herüber, wenn sie eine<br />

ganz besonders schwierige Aufgabe zu bewältigen<br />

haben. Also, so könnte man denken, eine rundum<br />

gelungene Veranstaltung. Dennoch sind wir am Ende<br />

des Schuljahres oft doch unzufrieden.<br />

Allzu deutlich fällt auf, dass wir mit viel Kraftaufwand an<br />

einem System herumschustern, das eigentlich dringend<br />

reformiert gehörte. Für einige Kinder sind die nicht<br />

erledigten Hausfaufgaben das kleinste Problem ihres<br />

Lebens. Bei anderen wird deutlich, unter welchem<br />

Erwartungsdruck der Eltern sie schon in der ersten<br />

Klasse stehen. Mit unerhörtem Kraftaufwand streben<br />

sie der ersehnten Realschul- oder<br />

Gymnasialempfehlung zu. In der vagen Hoffnung, dass<br />

danach erst mal alles erreicht ist und das Leben leichter<br />

wird.<br />

Hausaufgaben = Lernen ist doof?<br />

(Der Verfasser dieses Briefes ist der Redaktion<br />

bekannt, die Namen der Kinder wurden geändert.)<br />

Guten Tag,<br />

unsere Familie, das sind: Thea, 1. Klasse GS, Christa,<br />

3. Klasse GS, Karl, 7. Klasse RS und Marthel, 8.<br />

Klasse HS in Bayern. Meine Frau „arbeitet" unbezahlt<br />

als Hausfrau und ich bin „noch" Konrektor an einer<br />

„noch" Teilhauptschule und unterrichte derzeit eine 2.<br />

Klasse.<br />

Meine Erfahrung als Vater zeigt, dass der Umgang mit<br />

Hausaufgaben im Wesentlichen von den einzelnen<br />

Lehrern abhängig ist. Meine Tochter Thea hat derzeit<br />

eine Lehrerin, die die Hausaufgaben sinnvoll plant und<br />

die auch versucht individuelle Hausaufgaben zu<br />

erteilen. Besonderen Spaß machen Thea die<br />

Hausaufgaben, die handlungsorientiert sind oder zur<br />

Vorbereitung der nächsten Unterrichtseinheit beitragen.<br />

Ihre HA ist immer zeitlich begrenzt und in maximal 45<br />

Minuten erledigt. Bei einer Klassenstärke von 29<br />

Schülerinnen und Schülern ist das optimal.<br />

Christa geht es in einer dritten Klasse mit 28 Kindern<br />

nicht so gut. Sie sitzt in der Rege! bis zu zwei Stunden<br />

an Aufgaben, die in der <strong>Schule</strong> nicht mehr bewältigt<br />

werden konnten. Ihre Lehrerin verlegt Übungsarbeit,<br />

die eigentlich in die <strong>Schule</strong> gehört, gern auf den<br />

Nachmittag. Ohne die Hufe meiner Frau und ihrer<br />

Mütter könnten Christa und viele ihrer Mitschüler die<br />

Hausaufgaben nie schaffen. Als Begründung gibt die<br />

Lehrerin Zwänge des Lehrplans an, der zu erfüllen sei.<br />

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