Inklusive Grundschule: ein starkes Glied in der „Kommunalen ...
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© 24.01.2012 Dr. Brigitte Schumann<br />
<strong>Inklusive</strong> <strong>Grundschule</strong>: <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>starkes</strong> <strong>Glied</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>„Kommunalen</strong> Präventionskette“ gegen K<strong>in</strong><strong>der</strong>armut<br />
Deutschland tut zu wenig für die frühk<strong>in</strong>dliche Bildung und vernachlässigt<br />
geradezu sträflich die präventive För<strong>der</strong>ung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> Armutslagen. Aus<br />
dem Mangel an frühzeitiger öffentlicher Verantwortungsübernahme für das<br />
Wohlergehen aller K<strong>in</strong><strong>der</strong> erwachsen den Kommunen, den Län<strong>der</strong>n und dem<br />
Bund tendenziell steigende Kosten wegen teurer und <strong>in</strong>effektiver<br />
nachsorgen<strong>der</strong> Unterstützungsmaßnahmen für unzureichend qualifizierte und<br />
<strong>in</strong>tegrierte Jugendliche.<br />
Deshalb haben sich AWO, DGB, GEW, K<strong>in</strong><strong>der</strong>schutzbund und <strong>der</strong> Paritätische<br />
Wohlfahrtsverband <strong>in</strong> Nordrh<strong>e<strong>in</strong></strong>-Westfalen 2009 zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em landesweiten<br />
Bündnis gegen K<strong>in</strong><strong>der</strong>armut zusammengeschlossen: Sie for<strong>der</strong>n die staatliche<br />
Pflicht zur Prävention. Der politische Appell des Bündnisses „Zum Auf- und<br />
Ausbau kommunaler Präventionsketten“ ist nicht ungehört geblieben. Die<br />
Landesregierung von NRW hat am 9. November 2011 <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Auftaktveranstaltung das Modellvorhaben „Kommunale Präventionsketten“ <strong>in</strong>s<br />
Leben gerufen.<br />
In dem folgenden Beitrag geht es darum, die Funktionsweise <strong>der</strong><br />
Präventionskette zu skizzieren, das Verhältnis von Prävention und Inklusion zu<br />
bestimmen und die <strong>in</strong>klusive <strong>Grundschule</strong> als unverzichtbares <strong>Glied</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />
<strong>der</strong> Präventionskette bildungspolitisch <strong>e<strong>in</strong></strong>zufor<strong>der</strong>n.<br />
Die Idee <strong>der</strong> Präventionskette<br />
Sie orientiert sich an dem erfolgreichen Projekt „Mo.Ki - Monheim für K<strong>in</strong><strong>der</strong>“, das<br />
2002 startete. Die Kommune am Rh<strong>e<strong>in</strong></strong> hat zusammen mit <strong>der</strong> AWO Nie<strong>der</strong>rh<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
beispielhaft <strong>e<strong>in</strong></strong>e k<strong>in</strong>d-/jugendbezogene durchgängige (Armuts-)Präventionskette<br />
entwickelt. Diese will von Geburt an bis zum Übergang Schule-Beruf Begleitung und<br />
Unterstützung für beson<strong>der</strong>s gefährdete K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche und <strong>der</strong>en Familien<br />
sicherstellen. Das Motto lautet: frühe För<strong>der</strong>ung und Partizipation anstelle von später<br />
Krisen<strong>in</strong>tervention. Das Konzept zielt auf die Vermeidung von Armutsfolgen - wie<br />
z.B. hohe Gesundheitsrisiken, soziale und emotionale Entwicklungsprobleme,<br />
ger<strong>in</strong>ge Bildung - und auf die Gewährleistung gleichberechtigter gesellschaftlicher<br />
Teilhabe.<br />
Heute arbeiten mehr als 50 Netzwerkpartner mit <strong>der</strong> Stadt Monheim und <strong>der</strong> AWO<br />
zusammen. Sie werden wissenschaftlich begleitet und unterstützt von dem Institut<br />
für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS - Frankfurt a. M.). In Kooperation von<br />
öffentlichen und freien Trägern <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendhilfe, <strong>der</strong> Familienhilfe, des<br />
Gesundheitswesens und des Bildungssystems werden praxisnahe und<br />
bedarfsgerechte Maßnahmen im Rahmen <strong>e<strong>in</strong></strong>es abgestimmten Gesamtkonzeptes für<br />
den E<strong>in</strong>zelfall entwickelt, das die Situation des K<strong>in</strong>des bzw. des Jugendlichen und die<br />
Stärken und Schwächen <strong>der</strong> zugehörigen Familie berücksichtigt. Die<br />
Netzwerksteuerung liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand <strong>der</strong> Kommune, die per Gesetz für die K<strong>in</strong><strong>der</strong>und<br />
Jugendhilfe verantwortlich ist. Die Steuerung basiert auf Verhandlung und
Abstimmung mit den Kooperationspartnern und entwickelt sich an den Aufträgen, die<br />
sich die Partner geben.<br />
Gerda Holz, die Verantwortliche für die wissenschaftliche Begleitung durch das ISS,<br />
betont: „Präventionsnetzwerke s<strong>in</strong>d Produktionsnetzwerke.“ Präventionsorientierte<br />
Produkte s<strong>in</strong>d z.B. <strong>der</strong> Begrüßungsbesuch bei Geburt <strong>e<strong>in</strong></strong>es K<strong>in</strong>des mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
verlässlichen bedarfsgerechten Angebot für die „Neueltern“, die systematische frühe<br />
För<strong>der</strong>ung ab Geburt <strong>in</strong> Gruppen, Krippen, KiTas als Grundlage für Bildungsteilhabe<br />
von Anfang an und <strong>e<strong>in</strong></strong>en erfolgreichen Schulverlauf sowie die beson<strong>der</strong>e<br />
Unterstützung an den Übergängen des Bildungssystems KiTa - <strong>Grundschule</strong>,<br />
<strong>Grundschule</strong> - weiterführende Schule, Schule - Beruf.<br />
Das Monheimer Projekt versteht sich als <strong>e<strong>in</strong></strong> Erfolgsmodell. Die Sprachkenntnisse<br />
und die Gesundheitsdaten armer K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben sich verbessert. Die Zahl <strong>der</strong><br />
Schulabbrecher ist gesunken, immer mehr jungen Menschen gel<strong>in</strong>gt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong><br />
das Berufsleben.<br />
Das Modellvorhaben <strong>der</strong> Landesregierung, das auch wissenschaftlich begleitet und<br />
ausgewertet werden soll, will bis zu 15 Kommunen <strong>in</strong> NRW dar<strong>in</strong> unterstützen,<br />
ebenfalls ressort- und <strong>in</strong>stitutionsübergreifende Netzwerkstrukturen für präventive<br />
sozialräumliche Konzepte zur Unterstützung und Begleitung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen sowie <strong>der</strong>en Familien aufzubauen. Die Landesregierung hat beim Start<br />
den Willen bekundet, nach Auswertung des Modellvorhabens das Projekt <strong>in</strong> die<br />
Fläche br<strong>in</strong>gen zu wollen.<br />
Die Landesregierung von NRW hat sich zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er sozialen Präventionspolitik und<br />
damit zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Paradigmenwechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sozial-, K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Bildungspolitik<br />
bekannt. Sie setzt <strong>e<strong>in</strong></strong> wichtiges Signal für an<strong>der</strong>e Bundeslän<strong>der</strong>. Angesichts <strong>der</strong><br />
Tatsache, dass nach Angaben des Bildungsberichts Ruhr, dem ersten regionalen<br />
Bildungsbericht <strong>in</strong> Deutschland, all<strong>e<strong>in</strong></strong> 30 % <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Metropole Ruhr zwei<br />
Jahre vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulung <strong>e<strong>in</strong></strong>en erheblichen Sprachför<strong>der</strong>bedarf haben, ist<br />
offensichtlich, dass die neue Landes<strong>in</strong>itiative für sich all<strong>e<strong>in</strong></strong> nicht greifen kann. Sie<br />
muss unterfüttert werden mit abgestimmten ressortübergreifenden Maßnahmen des<br />
Landes und <strong>der</strong> Kommunen. Das kostet zusätzliches Geld. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />
kommunaler Nothaushalte und begrenzter Möglichkeiten des Landeshaushalts muss<br />
auch <strong>der</strong> Bund mit <strong>in</strong>s Boot geholt werden.<br />
Zum Zusammenhang von Prävention und Inklusion<br />
Soziale Inklusion ist <strong>e<strong>in</strong></strong> allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>es Menschenrecht und m<strong>e<strong>in</strong></strong>t das Recht auf <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
selbstverständliches Zusammenleben und <strong>e<strong>in</strong></strong>e gleichberechtigte Teilhabe <strong>in</strong> allen<br />
gesellschaftlichen Bereichen, unabhängig von sozialer Herkunft, ethnischer<br />
Zugehörigkeit, Sprache, Religion, Geschlecht, Fähigkeiten und Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen. Die<br />
UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention macht dieses Recht aus gutem Grund explizit<br />
geltend für die beson<strong>der</strong>s stark von sozialem Ausschluss betroffene Gruppe <strong>der</strong><br />
Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen. Es aber auf diese Zielgruppe zu verkürzen, wie dies<br />
<strong>der</strong>zeit im Diskurs <strong>der</strong> deutschen Bildungspolitik üblich ist, ist unzulässig.<br />
Da Prävention auf die Vermeidung und Abwehr von Benachteiligung, Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
und sozialer Exklusion abzielt, ist sie <strong>e<strong>in</strong></strong> unverzichtbarer Bestandteil <strong>e<strong>in</strong></strong>es jeden<br />
Inklusionskonzeptes. Sie ist - positiv gesprochen - „vorsorgende Inklusion“ und muss<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> lernsensiblen Phase <strong>der</strong> frühk<strong>in</strong>dlichen Bildung und <strong>der</strong> sich<br />
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anschließenden Phase <strong>der</strong> Grundschulbildung stark gemacht werden. Wegen <strong>der</strong><br />
untrennbaren Verb<strong>in</strong>dung zu Inklusion besteht auch <strong>e<strong>in</strong></strong> menschenrechtlicher<br />
Anspruch auf Prävention. Der Staat ist dazu verpflichtet, ihn so auszugestalten, dass<br />
er <strong>in</strong>dividuell <strong>e<strong>in</strong></strong>klagbar ist und von k<strong>e<strong>in</strong></strong>em Kämmerer mehr kassiert werden kann.<br />
Die UNESCO hat <strong>in</strong> ihrer Veröffentlichung „Inklusion- Leitl<strong>in</strong>ien für die Bildungspolitik“<br />
(2009) diesen Zusammenhang po<strong>in</strong>tiert herausgehoben, wenn sie dort betont: „Das<br />
Fundament für Inklusion wird durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en frühen Bildungsbeg<strong>in</strong>n gelegt, denn die<br />
frühe K<strong>in</strong>dheit ist - wie die kognitiven Neurowissenschaften belegen - <strong>e<strong>in</strong></strong>e wichtige<br />
Phase für das Erlernen kognitiver Fähigkeiten. Gut konzipierte Programme zu<br />
frühk<strong>in</strong>dlicher För<strong>der</strong>ung s<strong>in</strong>d also zw<strong>in</strong>gend erfor<strong>der</strong>lich. Insbeson<strong>der</strong>e für die am<br />
stärksten benachteiligten K<strong>in</strong><strong>der</strong>.“<br />
Natürlich werden auch emotionale und soziale Kompetenzen <strong>in</strong> dieser Phase<br />
angebahnt.<br />
Um dem Präventionsgedanken auf allen politischen Handlungsebenen - Bund,<br />
Län<strong>der</strong>, Kommunen - endlich zum Durchbruch zu verhelfen, ist unbed<strong>in</strong>gt auf die<br />
menschenrechtliche Begründung für <strong>e<strong>in</strong></strong>e staatlich verpflichtende Prävention zu<br />
verweisen.<br />
Die <strong>Grundschule</strong> heute – <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schule für fast alle K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Der <strong>Grundschule</strong> kommt <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Präventionskette <strong>e<strong>in</strong></strong>e beson<strong>der</strong>s wichtige<br />
Bedeutung zu. Mit ihr beg<strong>in</strong>nt das verpflichtende formale Lernen. Sie hat nicht nur<br />
die Grundbildungskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln,<br />
son<strong>der</strong>n auch grundlegende soziale, personale Kompetenzen und <strong>e<strong>in</strong></strong>e positive<br />
E<strong>in</strong>stellung zum Lernen zu för<strong>der</strong>n.<br />
Zu Recht darf die deutsche <strong>Grundschule</strong> für sich <strong>in</strong> Anspruch nehmen, dass sie<br />
an<strong>der</strong>s als die weiterführenden Schulen im geglie<strong>der</strong>ten Schulsystem erfolgreiche<br />
pädagogische Konzepte im Umgang mit <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
entwickelt hat. Dennoch muss <strong>e<strong>in</strong></strong>schränkend konstatiert werden, dass bis heute<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen k<strong>e<strong>in</strong></strong>en selbstverständlichen Zugang zu ihr haben und sie<br />
<strong>der</strong>zeit noch nicht allen Grundschulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>e<strong>in</strong></strong>e solide Grundlage für <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
erfolgreiche Schulbiografie sichert.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus sozial benachteiligten Milieus scheitern <strong>in</strong> und an <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>, weil<br />
es an Vorsorge für sie fehlt. Sie werden aufgrund verpasster „Zeitfenster <strong>der</strong><br />
Entwicklung“ im Elementarbereich häufiger als an<strong>der</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit umfangreichem<br />
För<strong>der</strong>bedarf <strong>e<strong>in</strong></strong>geschult. Unter den bestehenden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen kann die<br />
<strong>Grundschule</strong> diesen Bedarf nicht adäquat abdecken. Das frühe Scheitern von<br />
Grundschulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n bedeutet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel, dass sie lebenslang <strong>in</strong> ihren<br />
Teilhabemöglichkeiten <strong>e<strong>in</strong></strong>geschränkt. bleiben.<br />
Die jüngste Literalitätsstudie LEO 2011 <strong>der</strong> Universität Hamburg im Auftrag des<br />
Bundesbildungsm<strong>in</strong>isteriums hat ergeben, dass von den 18 - 29-Jährigen etwa 13 %<br />
zu den funktionalen Analphabeten gehören. Ihre begrenzten schriftsprachlichen<br />
Kompetenzen reichen nicht aus für <strong>e<strong>in</strong></strong>e erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
und beruflichen Leben. Im Rückschluss heißt das: E<strong>in</strong> relativ großer Teil hat als K<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> k<strong>e<strong>in</strong></strong>e h<strong>in</strong>reichenden Kenntnisse im Lesen und Schreiben<br />
erworben und die nachfolgenden Schulen haben <strong>e<strong>in</strong></strong> nachholendes Lernen nicht<br />
ermöglicht.<br />
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Aufschlussreich ist auch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Langzeitstudie über Armutsfolgen bei<br />
Grundschulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die das ISS im Auftrag des AWO- Bundesverbandes<br />
durchgeführt hat. Es ist die erste Studie dieser Art <strong>in</strong> Deutschland. Der Endbericht<br />
wurde im Dezember 2005 vorgelegt.. Danach unterscheiden sich die<br />
Bildungsverläufe von armen und nicht- armen Grundschulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n erheblich.<br />
Armen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n bleiben erfolgreiche Bildungswege weitgehend verschlossen. Jedes<br />
dritte <strong>in</strong> Armut lebende K<strong>in</strong>d bleibt schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> sitzen und nur 4 % <strong>der</strong><br />
armen K<strong>in</strong><strong>der</strong> erreichen das Gymnasium. Das Risiko von armen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, während<br />
o<strong>der</strong> am Ende ihrer Grundschulzeit <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e För<strong>der</strong>schule für Lernen, emotionale und<br />
soziale Entwicklung o<strong>der</strong> Sprache überwiesen zu werden, ist dagegen drei<strong>e<strong>in</strong></strong>halb<br />
mal so groß wie das von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die nicht <strong>in</strong> Armut leben. E<strong>in</strong>e zuverlässige<br />
wissenschaftliche Def<strong>in</strong>ition von „Lernbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung“ liegt dabei nicht vor. Sie wird<br />
ausschließlich relational als negative Abweichung von den Durchschnittsleistungen<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> betreffenden Klasse, Schule o<strong>der</strong> des betreffenden Altersjahrgangs<br />
bestimmt.<br />
In <strong>der</strong> För<strong>der</strong>schule bleiben K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Leistungsschwächen und<br />
Verhaltensproblemen unter sich und lernen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em sozial entmischten, relativ<br />
anregungsarmen und mit vielen sozialen Problemen belasteten Lernmilieu. Sie s<strong>in</strong>d,<br />
wie <strong>in</strong> wissenschaftlichen Untersuchungen immer wie<strong>der</strong> nachgewiesen, <strong>in</strong> ihrem<br />
Kompetenzerwerb dadurch extrem benachteiligt und, wie die Statistiken <strong>der</strong><br />
Schulabschlüsse ausweisen, zur Erfolglosigkeit verurteilt. In <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Wissensgesellschaft stellen För<strong>der</strong>schulabsolventen als ger<strong>in</strong>g Qualifizierte <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
normabweichende M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit dar und s<strong>in</strong>d stärker als <strong>in</strong> früheren Zeiten von<br />
Stigmatisierung und sozialem Ausschluss bedroht.<br />
2008 waren nach <strong>e<strong>in</strong></strong>er Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm mehr als die<br />
Hälfte <strong>der</strong> Jugendlichen ohne Abschluss För<strong>der</strong>schüler, rund <strong>e<strong>in</strong></strong> Viertel <strong>der</strong><br />
Schulverlierer g<strong>in</strong>gen auf <strong>e<strong>in</strong></strong>e Hauptschule. Klemm fand <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Studie auch<br />
heraus, dass rund die Hälfte <strong>der</strong> Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss<br />
verlassen, diesen später nachholen. Dies gel<strong>in</strong>gt ihnen vor allem im<br />
Übergangssystem, das für schwer vermittelbare Jugendliche geschaffen wurde, um<br />
<strong>der</strong>en Ausbildungsreife zu för<strong>der</strong>n. Das sei <strong>e<strong>in</strong></strong>erseits <strong>e<strong>in</strong></strong> Erfolg, schreibt Klemm, er<br />
werde jedoch teuer erkauft. Der Experte schätzt die zusätzlichen Kosten auf über<br />
200 Millionen Euro pro Altersjahrgang. „Würden diese Ressourcen im<br />
allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>bildenden Schulwesen präventiv <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt, könnte vielen Schülern das<br />
Erlebnis des Scheiterns und die Vergeudung von Lebenszeit erspart bleiben."<br />
Die <strong>in</strong>klusive <strong>Grundschule</strong> – <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schule für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
Die <strong>in</strong>klusive Schule <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>in</strong>klusiven Schulsystem ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e völkerrechtliche<br />
Verpflichtung, zu <strong>der</strong> sich die Bundesregierung und mit ihr die Län<strong>der</strong> durch die<br />
Ratifizierung <strong>der</strong> UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention bekannt haben. Das Fundament<br />
dafür muss <strong>in</strong> <strong>der</strong> Primarstufe mit <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong> gelegt werden.<br />
Die <strong>in</strong>klusive <strong>Grundschule</strong> ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schule für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>. K<strong>e<strong>in</strong></strong> K<strong>in</strong>d wird wegen<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Lernprobleme, s<strong>e<strong>in</strong></strong>er emotionalen und sozialen Entwicklung, s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Hochbegabung, s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung auf <strong>e<strong>in</strong></strong>e För<strong>der</strong>schule überwiesen. K<strong>e<strong>in</strong></strong> K<strong>in</strong>d<br />
wird kategorisiert. Jedes K<strong>in</strong>d ist unabhängig von s<strong>e<strong>in</strong></strong>er sozialen Herkunft, s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
ethnischen und kulturellen Zugehörigkeit willkommen und wird <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>in</strong>dividuellen<br />
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Lernentwicklung im gem<strong>e<strong>in</strong></strong>samen Unterricht geför<strong>der</strong>t. Die <strong>Grundschule</strong> passt sich<br />
den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n an und arbeitet mit den KiTas ihres E<strong>in</strong>zugsbereichs eng zusammen,<br />
um den Übergang für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Eltern vorzubereiten. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden im<br />
wahrsten S<strong>in</strong>ne da abgeholt, wo sie stehen.<br />
Wie muss man sich Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen und Arbeitsweise <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven<br />
<strong>Grundschule</strong> im Vergleich zu <strong>der</strong> heutigen <strong>Grundschule</strong> vorstellen?<br />
Die <strong>in</strong>klusive <strong>Grundschule</strong> verfügt über die notwendigen son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
Ressourcen, um alle K<strong>in</strong><strong>der</strong>, auch K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit sozialen Entwicklungsproblemen,<br />
bestmöglich zu för<strong>der</strong>n. Die Mittelzuweisung erfolgt pauschal und ist nicht mehr an<br />
das <strong>e<strong>in</strong></strong>zelne K<strong>in</strong>d gebunden. Die stigmatisierende Feststellungsüberprüfung auf<br />
son<strong>der</strong>pädagogischen För<strong>der</strong>bedarf entfällt. Arme K<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen nicht als<br />
„beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t“ etikettiert werden, damit die Schule zusätzliche För<strong>der</strong>mittel bekommt.<br />
Der Ressourcentransfer von den För<strong>der</strong>schulen zu den <strong>Grundschule</strong>n geht <strong>e<strong>in</strong></strong>her mit<br />
dem jahrgangsweisen Auslaufen <strong>der</strong> För<strong>der</strong>schulen für die För<strong>der</strong>schwerpunkte<br />
Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache.<br />
Dazu schreiben die Bildungsforscher Klaus Klemm und Ulf Preuss-Lausitz <strong>in</strong> ihrem<br />
Gutachten für das nordrh<strong>e<strong>in</strong></strong>-westfälische Schulm<strong>in</strong>isterium (2011): „Um die<br />
schulische Abson<strong>der</strong>ung von Armutsk<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu vermeiden, die sich zudem sowohl<br />
kognitiv als auch für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung negativ auswirkt, kann<br />
nur das generelle Auslaufen <strong>der</strong> För<strong>der</strong>schulen mit den För<strong>der</strong>schwerpunkten<br />
Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache die Anhebung <strong>der</strong><br />
Schulabschlüsse und damit das Erreichen normaler Ausbildungsgänge wie auch die<br />
Stärkung sozialer Partizipation erreicht werden. Die Kompetenz <strong>der</strong><br />
Son<strong>der</strong>pädagogen kommt unter den strukturellen Bed<strong>in</strong>gungen des gem<strong>e<strong>in</strong></strong>samen<br />
Unterrichts wirksamer zur Geltung.“<br />
In prekären E<strong>in</strong>zugbereichen mit vielen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> benachteiligten Lebenslagen ist<br />
<strong>der</strong> Unterstützungsbedarf beson<strong>der</strong>s groß. Dem muss personell, sächlich und<br />
konzeptionell Rechnung getragen werden. Die Zuweisung <strong>der</strong> son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
Ressourcen erfolgt daher differenziert nach Sozial<strong>in</strong>dex des E<strong>in</strong>zugsbereichs und<br />
nach <strong>der</strong> konkreten Zusammensetzung <strong>der</strong> Schülerschaft <strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>Grundschule</strong>. Auch<br />
die Klassengrößen müssen darauf abgestimmt werden. Die Priorisierung folgt dem<br />
Grundsatz, dass Ungleiche nicht gleich behandelt werden dürfen.<br />
Die dauerhafte Beschäftigung von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern an<br />
<strong>Grundschule</strong>n <strong>in</strong> schwierigen sozialräumlichen Kontexten ist notwendig. Diese<br />
<strong>Grundschule</strong>n müssen sich wie die KiTas, mit denen sie im Quartier eng<br />
zusammenarbeiten, zu Familienzentren entwickeln und Eltern- und K<strong>in</strong>dberatung <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Präventionskette weiterführen. Nie<strong>der</strong>schwellige Angebote wie Elterncafes,<br />
Anlaufstellen für Elternberatung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule sowie Hausbesuche bei Eltern s<strong>in</strong>d<br />
wichtige präventive Baust<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong>.<br />
Die befristete F<strong>in</strong>anzierung <strong>der</strong> Schulsozialarbeit im Rahmen des Bildungs- und<br />
Teilhabepakets bis 2013 durch den Bund muss verstetigt werden. Das <strong>der</strong>zeitige<br />
Konzept muss allerd<strong>in</strong>gs radikal umgestellt werden. Die f<strong>in</strong>anziellen Leistungen, die<br />
jetzt an die Bedürftigkeit des <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen K<strong>in</strong>des gebunden s<strong>in</strong>d und damit über<br />
bürokratische Umwege von den Eltern <strong>e<strong>in</strong></strong>zeln abgerufen werden müssen, müssen<br />
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direkt den Bildungs<strong>e<strong>in</strong></strong>richtungen zur Verfügung gestellt werden, damit diese<br />
<strong>in</strong>klusionsfähig s<strong>in</strong>d.<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit nicht-deutscher Herkunftssprache s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s häufig von frühem<br />
Scheitern <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> bedroht, wenn ihre Eltern <strong>e<strong>in</strong></strong>en niedrigen<br />
Bildungsstatus haben und <strong>in</strong> sozial prekären Verhältnissen leben. Für die<br />
spezifischen Lern- und Sprachbedürfnisse dieser K<strong>in</strong><strong>der</strong> gibt es durchgängig<br />
verankerte <strong>in</strong>terkulturelle Sprachför<strong>der</strong>konzepte. Entsprechend ausgebildete<br />
Lehrkräfte verstärken das Kollegium <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong>. Lehrkräfte mit<br />
Migrationsh<strong>in</strong>tergrund gehören dazu. Die <strong>in</strong>klusive <strong>Grundschule</strong> sieht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
natürlichen Mehrsprachigkeit <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>en Schatz, <strong>der</strong> gehoben werden muss.<br />
Sie lässt sich grundsätzlich von <strong>der</strong> Überzeugung leiten, dass jedes K<strong>in</strong>d Potentiale<br />
hat. Es ist Aufgabe <strong>der</strong> Pädagogen, gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam die Talente <strong>e<strong>in</strong></strong>es jeden K<strong>in</strong>des zu<br />
erkennen und zu för<strong>der</strong>n.<br />
Durch die Inklusion von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die heute den För<strong>der</strong>schwerpunkten geistige<br />
Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Hören und Sehen zugeordnet<br />
werden, werden die <strong>Grundschule</strong>n mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet. Diese<br />
orientieren sich an den angemessenen Vorkehrungen, die für das <strong>e<strong>in</strong></strong>zelne K<strong>in</strong>d mit<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>in</strong>dividuellen För<strong>der</strong>bedarf bereit gestellt werden müssen. Neben den<br />
Son<strong>der</strong>pädagogen und Sozialpädagogen werden auch Integrationshelfer und<br />
Assistenten Bestandteile des Kollegiums. Therapeuten und Spezialkräfte besuchen<br />
bei Bedarf die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong>. Auch die Gebäude und die<br />
räumliche Ausstattung werden bedarfsgerecht angepasst.<br />
<strong>Inklusive</strong> <strong>Grundschule</strong>n br<strong>in</strong>gen die Vorzüge ihres multiprofessionellen Personals<br />
zum optimalen E<strong>in</strong>satz durch die Organisation verb<strong>in</strong>dlicher multiprofessioneller<br />
Teamarbeit. Dafür muss das pädagogische Personal aus- und fortgebildet geben.<br />
Schulleiter/<strong>in</strong>nen werden im Rahmen von Fortbildungen dar<strong>in</strong> unterstützt,<br />
Teamstrukturen aufzubauen. Die Gutachter Klemm und Preuss-Lausitz empfehlen<br />
die E<strong>in</strong>richtung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Zentrums für unterstützende Pädagogik (ZuP) an je<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>klusiven Schule als organisatorische Lösung. Die Arbeit im Team ermöglicht <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
<strong>in</strong>tensiven Austausch über die <strong>in</strong>dividuelle Entwicklung <strong>der</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen K<strong>in</strong><strong>der</strong>. E<strong>in</strong><br />
För<strong>der</strong>plan für jedes K<strong>in</strong>d dokumentiert die jeweilige Lernentwicklung und ist<br />
Grundlage für Gespräche mit Eltern und K<strong>in</strong>d. Durch die Vernetzung mit<br />
außerschulischen Netzwerkpartnern wird es möglich, bei Problemen, die nicht all<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
schulisch gelöst werden können, bedarfsgerechte Hilfe und Unterstützung zu<br />
organisieren. Die Kooperationszeit wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeitszeit des Personals<br />
berücksichtigt.<br />
Die E<strong>in</strong>führung des gebundenen Ganztags ist <strong>e<strong>in</strong></strong> weiteres zentrales Element zur<br />
Stärkung <strong>der</strong> präventiven und <strong>in</strong>klusiven Arbeit <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong>. In <strong>e<strong>in</strong></strong>em allerersten<br />
Schritt ist er für <strong>Grundschule</strong>n <strong>in</strong> sozial belasteten E<strong>in</strong>zugsbereichen <strong>e<strong>in</strong></strong>zurichten.<br />
Der offene Ganztag <strong>der</strong> <strong>Grundschule</strong> gleicht <strong>der</strong>zeit <strong>e<strong>in</strong></strong>em bunten Flickenteppich an<br />
Angeboten, den die <strong>Grundschule</strong> <strong>in</strong> Eigenregie zusammenstellen und organisieren<br />
muss. E<strong>in</strong>e gezielte pädagogische Lernför<strong>der</strong>ung ist über den E<strong>in</strong>satz von<br />
wechselnden Honorarkräften <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em vom schulischen Vormittag abgetrennten<br />
Nachmittagsbereich nicht gewährleistet.<br />
Der gebundene Ganztag h<strong>in</strong>gegen schafft Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die<br />
lernför<strong>der</strong>liche Individualisierung im Unterricht und gibt Raum für forschendes,<br />
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handlungsorientiertes Lernen. Er passt sich den biologischen Bedürfnissen <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> an durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e rhythmisierte Struktur von Phasen <strong>der</strong> Konzentration und<br />
Entspannung. Er sichert allen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>e<strong>in</strong></strong> gesundes Mittagessen und ermöglicht <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
ganzheitliche Ausgestaltung des erweiterten Bildungs-, Freizeit- und Kulturangebots<br />
durch die Beteiligung <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer an den <strong>in</strong>dividuellen<br />
För<strong>der</strong>maßnahmen im Nachmittagsbereich. Kulturelle Bildung muss groß<br />
geschrieben werden. Aktive Teilhabe an kulturellen Angeboten wie Tanz, Theater,<br />
Musik und Chor regt die kreativen Kräfte <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> an, stärkt ihr Selbstwertgefühl<br />
und erschließt ihnen Welten, die sie durch ihre Familien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht<br />
kennenlernen.<br />
Das Jahrgangspr<strong>in</strong>zip für die Zusammenstellung von Klassen bzw. Lerngruppen wird<br />
ersetzt durch die Jahrgangsmischung. Die Mischung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus den<br />
Jahrgängen 1-4 hat sich pädagogisch bewährt und sorgt dafür, dass auch <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
vorwiegend sozial benachteiligte Schülerschaft <strong>in</strong> anregungsreichen Lerngruppen<br />
mit- und von<strong>e<strong>in</strong></strong>an<strong>der</strong> lernen kann. Lerneffektive Verfahren <strong>der</strong> Individualisierung<br />
und des kooperativen Lernens sichern angesichts <strong>der</strong> großen Leistungsunterschiede<br />
<strong>in</strong>dividuelle Lernerfolge für alle.<br />
Altergemischte Gruppen s<strong>in</strong>d hervorragend geeignet für das Erlernen und Leben<br />
von Verantwortung für sich und an<strong>der</strong>e. Gerade K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Verhaltensauffälligkeiten<br />
brauchen die Erfahrung, dass ihnen verantwortungsvolle Aufgaben für die<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft übertragen werden. Altersgemischte Gruppen s<strong>in</strong>d hilfreich für die<br />
Entwicklung <strong>e<strong>in</strong></strong>er demokratischen partizipativen Schulkultur. In <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven<br />
<strong>Grundschule</strong> s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und ihre Eltern aktiv beteiligt an <strong>der</strong> Gestaltung des<br />
Schullebens und des Unterrichts. Konflikte im Schulalltag werden gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam mit<br />
den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n reflektiert und bearbeitet.<br />
Die <strong>in</strong>klusive <strong>Grundschule</strong> kennt nicht die undifferenzierte und entmutigende,<br />
defizitorientierte Leistungsbewertung mit Ziffernnoten. Sie gibt den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
sichere, anregungsreiche und anspruchsvolle Lernumgebung und dazu <strong>in</strong>dividuelle<br />
prozess- und kompetenzorientierte Leistungsrückmeldungen. Diese werden ergänzt<br />
durch unterschiedliche Formen <strong>der</strong> Selbstevaluation.<br />
Elemente <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven Lernkultur gehören heute schon zu den Baust<strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>der</strong><br />
guten Grundschulpädagogik. Sie müssen nicht erst erfunden werden. In <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>klusiven <strong>Grundschule</strong> s<strong>in</strong>d sie jedoch systemisch verankert und werden von allen<br />
Lehrkräften auch angewendet, weil Aus- und Fortbildung <strong>in</strong> Qualität und Umfang<br />
darauf abgestellt s<strong>in</strong>d.<br />
Zusammen mit <strong>der</strong> präventiven frühk<strong>in</strong>dlichen För<strong>der</strong>ung kann die <strong>in</strong>klusive<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e stabile und belastbare För<strong>der</strong>kette von 0-10 bilden. Sie kann<br />
Lernfreude, Lernmotivation und Anstrengungsbereitschaft wecken bzw.<br />
erhalten, zur Vermeidung von frühem Scheitern und späterem Schulabbruch<br />
beitragen und <strong>der</strong> Entstehung <strong>e<strong>in</strong></strong>es umfangreichen langfristigen<br />
För<strong>der</strong>bedarfs entgegenwirken. Fragt man f<strong>in</strong>nische Experten nach dem<br />
Geheimnis ihres Schulerfolgs, dann verweisen sie auf ihr Credo: Auf den<br />
Anfang kommt es an!<br />
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Es ist <strong>e<strong>in</strong></strong> Gebot <strong>der</strong> Vernunft und <strong>der</strong> Menschenrechte, die <strong>Grundschule</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er Schule für alle zu machen. Die Politik ist aufgefor<strong>der</strong>t, das zu<br />
realisieren.<br />
<strong>Inklusive</strong> <strong>Grundschule</strong> - und danach?<br />
Bislang wird die <strong>Grundschule</strong> von vielen hierzulande immer noch als bloßer<br />
„Zubr<strong>in</strong>ger“ zu den weiterführenden Schulen betrachtet. Sie hat sich - je nach<br />
Bundesland - über mehr o<strong>der</strong> weniger verb<strong>in</strong>dlich geltende <strong>Grundschule</strong>mpfehlungen<br />
an <strong>der</strong> Selektion zu beteiligen. Obwohl die Aufteilung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf unterschiedlich<br />
anspruchsvolle Bildungsgänge dem Inklusionsgebot wi<strong>der</strong>spricht und zur Entstehung<br />
und Reproduktion sozialer Ungleichheit beiträgt, ist man <strong>in</strong> Deutschland noch weit<br />
von <strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>e<strong>in</strong></strong>heitlichen <strong>in</strong>klusiven Schulsystem entfernt. Die <strong>in</strong>tegrierte<br />
Gesamtschule und neue Schularten des längeren gem<strong>e<strong>in</strong></strong>samen Lernens können<br />
sich bis auf Weiteres nur <strong>in</strong> Konkurrenz zu den selektiven Schulformen als Schulen<br />
für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> anbieten und weiterentwickeln.<br />
Der bildungspolitische Fortschritt <strong>in</strong> Deutschland ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schnecke!<br />
In NRW können sich demnächst im Rahmen <strong>e<strong>in</strong></strong>es Modellvorhabens bis zu 15<br />
<strong>Grundschule</strong>n mit Schulen <strong>der</strong> Sekundarstufe I und II auf Antrag des Schulträgers<br />
zusammenschließen. Zu diesem im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Prävention und Inklusion<br />
unterstützenswerten bildungspolitischen Vorstoß liegen u. a. Initiativen von<br />
<strong>Grundschule</strong>n mit durchgängigen Lernkonzeptionen von 1-10 bzw. 1-13 vor. Diese<br />
Variante hat gegenüber dem Zusammenschluss von bestehenden Schulen des<br />
Primar- und Sekundarbereichs den pädagogischen Charme, dass Geist und<br />
Konzept <strong>der</strong> <strong>in</strong>klusiven Grundschularbeit naht- und bruchlos fortgeführt und für die<br />
nachfolgenden Jahrgänge altersgemäß ausgestaltet werden können. Wie wäre es,<br />
wenn auch <strong>der</strong> Vorschulbereich mit <strong>e<strong>in</strong></strong>bezogen werden dürfte?<br />
Literatur:<br />
BMBF - Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung: Bund und Län<strong>der</strong> planen<br />
Grundbildungspakt für Alphabetisierung. Pressemitteilung 025/2011<br />
Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Inklusion: Leitl<strong>in</strong>ien für die Bildungspolitik.<br />
Bonn 2009<br />
ISS- Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (Hrsg.): Fachliche Maßstäbe zum<br />
Auf- und Ausbau von Präventionsketten <strong>in</strong> Kommunen. Abzurufen unter: www.issffm.de/veröffentlichungen/publikationen.html<br />
Holz, G. et al. : Zukunftschancen für K<strong>in</strong><strong>der</strong>!? Wirkung von Armut bis zum Ende <strong>der</strong><br />
Grundschulzeit. Zusammenfassung des Endberichts <strong>der</strong> 3. AWO- ISS- Studie. Im<br />
Auftrag <strong>der</strong> AWO Bundesverband e.V. Bonn/Berl<strong>in</strong>/Frankfurt 2005<br />
Klemm, K./Preuss-Lausitz, U.: Auf dem Weg zur schulischen Inklusion <strong>in</strong> NRW. Juni<br />
2011. Abzurufen unter:<br />
http://www.schulm<strong>in</strong>isterium.nrw.de/BP/Inklusion_Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sames_Lernen/Gutachten_<br />
_Auf_dem_Weg_zur_Inklusion_/NRW_Inklusionskonzept_2011__-<br />
_neue_Version_08_07_11.pdf<br />
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Klemm, K.: Son<strong>der</strong>weg För<strong>der</strong>schulen. Hoher E<strong>in</strong>satz, wenig Perspektiven. E<strong>in</strong>e<br />
Studie zu den Ausgaben und zur Wirksamkeit <strong>der</strong> För<strong>der</strong>schulen <strong>in</strong> Deutschland. Im<br />
Auftrag <strong>der</strong> Bertelsmann Stiftung 2011<br />
RVR – Regionalverband Ruhr (Hrsg.): Bildungsbericht Ruhr. Münster 2012<br />
Schumann, B.: „Ich schäme mich ja so!“ Die Son<strong>der</strong>schule für Lernbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te als<br />
Schonraumfalle. Bad Heilbrunn 2007<br />
Stähl<strong>in</strong>g, R.: „Du gehörst zu uns“. <strong>Inklusive</strong> <strong>Grundschule</strong>. E<strong>in</strong> Praxisbuch für den<br />
Umbau <strong>der</strong> Schule. Hohengehren 2006<br />
Dr. Brigitte Schumann<br />
ifenici@aol.com<br />
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