Beziehungsstörungen - Blaues Kreuz
Beziehungsstörungen - Blaues Kreuz
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Beziehungssucht ?<br />
Problematische<br />
Beziehungsmuster?<br />
<strong>Blaues</strong> <strong>Kreuz</strong> in der Ev. Kirche<br />
Tagesworkshop in Lehrte<br />
17.09.2011<br />
Dipl.Psych. Julia Iwen (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)
Fahrplan für heute<br />
� Was soll das heißen „Beziehungssucht“?<br />
� Was sagt die Psychologie/Medizin dazu?<br />
�Stoffgebundene Süchte / Stoffungebundene<br />
Süchte (Verhaltenssucht)<br />
�Persönlichkeitsstörungen /<br />
<strong>Beziehungsstörungen</strong><br />
� Funktionen von Partner und Beziehung<br />
� Was kann man tun?
Was soll das heißen „Beziehungssucht“?<br />
� „Beziehungssucht“ findet sich als Schlagwort<br />
häufig im Sprachgebrauch und in populären<br />
Medien bzw. im Internet<br />
� In der Psychologie/Psychiatrie gibt es den<br />
Begriff so NICHT!<br />
� Es gibt keine Störung namens „Beziehungssucht“<br />
� Trotzdem: Menschen fühlen sich davon<br />
betroffen und leiden darunter<br />
� Über was reden wir also?
Was verstehen Sie unter Beziehungssucht?<br />
Kleingruppenarbeit<br />
� Tun Sie sich zu 4-5 zusammen<br />
� Überlegen Sie gemeinsam:<br />
� Was sind Merkmale von Beziehungssucht?<br />
� Worunter genau leiden die Betroffenen?<br />
� Zeitrahmen: 20 min<br />
� Notieren Sie die wichtigsten Stichpunkte auf<br />
dem Flipchartpapier<br />
� Stellen Sie dann in der Großgruppe ihre<br />
Überlegungen vor
Merkmale von „Beziehungssucht“<br />
� Betroffene können sich überhaupt nicht vorstellen, ohne ihren<br />
Partner zu leben � Verzweiflung beim bloßen Gedanken<br />
� Extreme Eifersucht<br />
� Gefühl der Leere, wenn Partner nicht anwesend ist<br />
� Nur in der Nähe des Partners Gefühl der Geborgenheit<br />
� Extrem niedriges Selbstwertgefühl � brauchen immer wieder die<br />
Bestätigung von außen, die Aufmerksamkeit und Zuneigung vom<br />
Partner<br />
� Eigene Gefühle sind abhängig vom Verhalten des Partners<br />
� Aufmerksamkeit � gutes Gefühl<br />
� Kritik oder Abwendung � Gefühlsabsturz<br />
� Gedanken kreisen nur um den Partner (= Lebenssinn).<br />
� ausschließliche Beschäftigung mit Partner wird als Liebesbeweis<br />
angesehen
Merkmale von „Beziehungssucht“<br />
� Partner wird als Lösung der eigenen Probleme<br />
empfunden (z.B. sich durch ihn liebenswert und nicht<br />
mehr einsam fühlen)<br />
� Eigene Bedürfnisse werden hinter die Bedürfnisse des<br />
Partners gestellt<br />
� Freunde und Interessen werden vernachlässigt / aufgegeben<br />
� Selbstaufgabe und Verzicht auf eigene Wünsche werden als<br />
Beweis für tiefe Liebe gesehen<br />
� Enorme Erwartungen werden an den Partner gestellt<br />
� Angst vorm Verlassenwerden<br />
� Klammern, Wunsch nach noch engerer Bindung<br />
� Inkaufnehmen von Konflikten oder Demütigungen und Gewalt
Merkmale „gesunder“ Partnerschaften<br />
� Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen<br />
� Vertrauen zwischen beiden Partnern<br />
� Beide Partner besitzen ein starkes Selbstwertgefühl und<br />
wissen, dass sie auch ohne ihren Partner weiterleben<br />
können<br />
� können beide Partner zulassen, dass ihr Partner sich<br />
weiterentwickelt, seinen Interessen nachgeht und auch<br />
alleine oder mit seinen Freunden etwas unternimmt<br />
� Kontakte zum anderen Geschlecht werden akzeptiert<br />
� Partner haben gemeinsame Interessen und Ziele<br />
� Achtung voreinander<br />
� Akzeptieren der Grenzen des Anderen<br />
� sind beide Partner ehrlich und offen zueinander, aber<br />
auch zu sich selbst
Was sagt die Psychologie dazu?<br />
� „Beziehungssucht“ legt nahe, dass es sich<br />
um eine Suchterkrankung handelt<br />
� Generell Unterscheidung zwischen<br />
stoffgebundenen und nichtstoffgebundenen<br />
Süchten<br />
(� Abhängigkeitssyndrom)
Merkmale von SUCHT (stoffgebunden)<br />
Diagnose des Abhängigkeitssyndroms (nach ICD-10)<br />
� mindestens 3 der folgenden Kriterien müssen während des<br />
letzten Jahres gemeinsam erfüllt gewesen sein:<br />
� Starkes, oft unüberwindbares Verlangen, die Substanz einzunehmen<br />
� Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren (was den Beginn, die<br />
Beendigung und die Menge des Konsums betrifft)<br />
� Körperliche Entzugssymptome<br />
� Benötigen immer größerer Mengen, damit die gewünschte Wirkung<br />
eintritt (Toleranz)<br />
� Fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen,<br />
Aktivitäten, Vergnügen oder Interessen<br />
� Fortdauernder Gebrauch der Substanz(en) wider besseres Wissen<br />
und trotz eintretender schädlicher Folgen.
Verhaltenssucht<br />
Verhaltenssucht = Exzessive belohnende<br />
Verhaltensweisen, die die Kriterien einer<br />
Abhängigkeit erfüllen<br />
� In Klassifikationssystemen keinen Eingang als<br />
eigenständiges Störungsbild<br />
� Ausnahme: Pathologisches Glücksspiel als Störungen der<br />
Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert (DSM IV-<br />
TR, 2003)<br />
� Pathologisches Glücksspiel wird als erste<br />
„Verhaltenssucht“ im DSM-V unter den Suchtstörungen<br />
aufgenommen werden<br />
� Internetsucht, Kaufsucht, Sexsucht etc. finden sich nicht<br />
in den Klassifikationssystemen
Vorschlag für Kriterien „Verhaltenssucht“<br />
Kriterien:<br />
� Unwiderstehliches Verlangen, das Verhalten ausüben zu<br />
wollen<br />
� Verhalten wird länger, häufiger und intensiver<br />
durchgeführt, um den gewünschten Effekt zu erhalten,<br />
wenn nicht, bleibt die gewünschte Wirkung aus<br />
� Psychische und physische Entzugserscheinungen<br />
� Kontrollverlust bezüglich Dauer, Häufigkeit, Risiko und<br />
Intensität bei der Verhaltensdurchführung<br />
� Fortsetzung des exzessiven Verhaltens trotz schädlicher<br />
Folgen (Beruflich, gesundheitlich, sozial)<br />
Nach Grüsser et al , 2007
Beziehungssucht als „Sucht“?<br />
� Passt nicht wirklich:<br />
� Keine Toleranz/Intensitätssteigerung<br />
� Keine körperlichen Entzugserscheinungen<br />
� Kein Vertuschen<br />
� Keine wiederholten Versuche die „Sucht“ zu beenden,<br />
da eigentlich der Partner und die Beziehung als<br />
erstrebenswert angesehen werden<br />
� Leiden eigentlich nur unter Folgeproblemen (Gewalt,<br />
Demütigungen, Streit, psychosomatische<br />
Erkrankungen)
„Beziehungssucht“ als Persönlichkeitsstörung?<br />
� Persönlichkeitsstörungen sind keine<br />
Persönlichkeitsstörungen<br />
� Also keine Störungen der „Gesamtpersönlichkeit“<br />
� Sondern im Kern <strong>Beziehungsstörungen</strong><br />
� Lösungen für ein frustrierendes und schwieriges<br />
soziales Umfeld in Kindheit und Jugend � waren<br />
notwendig, sind JETZT aber nicht mehr sinnvoll<br />
� Beinhalten ungünstige Beziehungsmotive und<br />
ein ungünstiges Verhalten in<br />
zwischenmenschlichen Situationen/Beziehungen
„Beziehungssucht“ als Persönlichkeitsstörung?<br />
Welche Persönlichkeitsakzentuierungen gibt es, die<br />
ähnliche Beziehungsmuster beinhalten?<br />
� Narzisstische Persönlichkeitsstörung (braucht<br />
andere um sich durch Abwertung dieser selbst<br />
aufzuwerten)<br />
� Dependente (abhängige) Persönlichkeitsstörung<br />
(hohe Abhängigkeit, Unterwerfung,<br />
Entscheidungsschwäche)
Beziehungssucht als Persönlichkeitsstörung?<br />
Dependente Persönlichkeitsakzentuierung:<br />
� Schwierigkeiten im Treffen von Alltagsentscheidungen<br />
� Überträgt anderen Entscheidungen<br />
� Schwierigkeiten anderen zu widersprechen, aus Angst,<br />
Unterstützung und Zustimmung zu verlieren<br />
� hat Schwierigkeiten, Unternehmungen selbst zu beginnen oder<br />
Dinge unabhängig durchzuführen<br />
� tut alles Erdenkliche, um die Versorgung und Zuwendung anderer zu<br />
erhalten bis hin zur freiwilligen Übernahme unangenehmer<br />
Tätigkeiten<br />
� Fühlt sich allein unwohl, glaubt nicht allein klarzukommen<br />
� sucht dringend eine andere Beziehung als Quelle der Fürsorge und<br />
Unterstützung, wenn eine enge Beziehung endet<br />
� Unrealistische Angst, verlassen zu werden
Dependente Persönlichkeitsakzentuierung<br />
Problematische Grundüberzeugungen:<br />
� Alleine bin ich hilflos und schwach<br />
� Ich muss immer jemanden in meiner Nähe haben, der<br />
mich unterstützt<br />
� Wenn ich mich nicht einer stärkeren Person anschließen<br />
kann, fühle ich mich alleine<br />
� Die größte Katastrophe, die ich mir vorstellen kann, ist<br />
von meinem geliebten Partner verlassen zu werden<br />
� Nicht geliebt zu werden, bedeutet für mich, immer<br />
unglücklich zu sein<br />
� Ich darf meinem Unterstützer und Helfer nicht<br />
widersprechen
Dependente Persönlichkeitsakzentuierung<br />
Problematische Grundüberzeugungen:<br />
� Ich muss mich anpassen, um den guten Willen des<br />
Partners nicht zu verlieren<br />
� Ich sollte Beziehungen so nah und eng wie möglich<br />
gestalten<br />
� Ich brauche Hilfe von jemand anderem, um mir sicher<br />
bei meinen Entscheidungen zu sein<br />
� Andere Menschen können ihr Leben besser bewältigen<br />
� Ich würde es nicht überleben, von meinem Partner im<br />
Stich gelassen zu werden<br />
� Wenn ich mich wehre, werde ich mit Sicherheit<br />
abgelehnt und verlassen
Dependente Persönlichkeitsakzentuierung<br />
Zentrale Beziehungsannahmen:<br />
� „Beziehungen sind nicht verlässlich“<br />
� Ich kann ohne Warnung und aus heiterem Himmel<br />
verlassen werden<br />
� Beziehungen sind nicht belastbar<br />
� Beziehungen sind nicht solidarisch<br />
�Mache Beziehungen verlässlich, indem du dich unentbehrlich<br />
machst, indem du dich unterordnest, indem du<br />
Auseinandersetzungen meidest<br />
� „Ich kann nicht alleine leben“<br />
� Vermeide Alleinsein um jeden Preis
Dependente Persönlichkeitsakzentuierung<br />
Probleme:<br />
� Man steht sich selbst im Weg: kann nicht Nein<br />
sagen (� Überlastung)<br />
� Partner fühlen sich eingeengt, empfinden<br />
Verhalten als grenzüberschreitend<br />
� Beziehungsprobleme<br />
� Oder: Partner verhält sich komplementär: nutzt<br />
Verhalten aus (auch Neigung sich solche Partner<br />
zu suchen!) � Ertragen von Gewalt<br />
� Führt oft zu anderen Problemen, wie<br />
psychosomatischen Erkrankungen,<br />
Depressionen, Schlafstörungen � Leidensdruck!
Dependente Persönlichkeitsakzentuierung<br />
� Leichte Ausprägung von dependenter<br />
Persönlichkeitsakzentuierung passt evtl. zum<br />
Konzept „Beziehungssucht“<br />
� Beziehungsmotive ähnlich<br />
� Selbstwertgefühl niedrig<br />
� Eigene Gefühle abhängig vom Verhalten anderer<br />
� Verantwortungsübergabe<br />
� Angst vorm<br />
Verlassenwerden/Alleinsein/Ablehnung
FAZIT:<br />
Die HINTERGRÜNDE bzw. MOTIVE für ein<br />
„beziehungssüchtiges“ Verhalten sind<br />
wichtig!<br />
� Ansatzpunkt um etwas zu verändern
Fragen, die man sich stellen sollte<br />
Welche Funktion hat der Partner? Welche<br />
Funktion hat die Beziehung?
Fragen, die man sich stellen sollte<br />
Welche Funktion hat der Partner? Welche Funktion<br />
hat die Beziehung?<br />
� Nicht alleine sein zu müssen<br />
� Anerkennung/Liebe vom Partner „erkaufen“<br />
� Aufwertung der eigenen Person/Anerkennung<br />
von anderen („Sie kümmert sich so<br />
aufopferungsvoll!“, „So eine selbstlose Person!“)<br />
� …?
Fragen, die man sich stellen sollte<br />
Was würde passieren, wenn die Beziehung<br />
beendet wäre?<br />
Was befürchtet man, was dann passiert?
Was also tun?<br />
Gehen Sie wieder mit ihrer Kleingruppe zusammen!<br />
Überlegen sie gemeinsam, was Sie jemanden empfehlen<br />
würden zu tun, der Ihnen geschildert hat, dass er unter<br />
genau den Problemen und Verhaltensweisen leidet, die<br />
wir vorhin als charakteristisch für „Beziehungssucht“<br />
genannt haben. (Zeitrahmen 20 min)<br />
� Sammeln Sie 2-3 konkrete Vorschläge<br />
� Stellen Sie diese danach kurz in der Großgruppe vor!
Was also tun?<br />
� Sich seiner eigenen problematischen<br />
Verhaltensweisen bewusst werden<br />
� was möchte ich erreichen?<br />
� Selbstwert stärken<br />
� Übungen zur Selbstwertstärkung:<br />
Siehe z.B. Selbsthilferatgeber:<br />
„Von der Freude den Selbstwert zu stärken“<br />
von Friederike Potreck-Rose
Was also tun?<br />
� Aktiv werden – bewusst ohne den Partner!<br />
�Überlegen, welche Aktivitäten Spaß machen würden, was man<br />
schon immer einmal ausprobieren wollte, was man aufgegeben<br />
hat (Hobbys…)<br />
� In kleinen Schritten anfangen!<br />
� Soziale Kontakte außerhalb der Beziehung<br />
bewusst suchen und fördern<br />
� Mit dem Partner über die eigenen Bedürfnisse<br />
sprechen, auch über die Ängste<br />
� Versuchen, dem Partner schrittweise mehr Luft<br />
zu lassen, mehr Vertrauen aufzubauen
Was also tun?<br />
� Selbsthilfegruppe besuchen<br />
� Sich psychotherapeutische Hilfe suchen<br />
� Ängste vorm Alleinsein und Verlassenwerden<br />
bearbeiten<br />
� Herausfinden welche Erfahrungen man früher<br />
gemacht hat, die heute dazu führen, dass man<br />
sich so verhält<br />
� Neue Bewältigungsstrategien erlernen<br />
� Sich selbst liebevoll behandeln, sich für<br />
kleine Erfolge schon loben, sich etwas<br />
Gutes tun
Vielen Dank!<br />
…für ihre Aufmerksamkeit und<br />
Mitarbeit!<br />
Bei Fragen: jiwen@uke.de