bürgerschaftliches engagement in ländlichen kommunen
bürgerschaftliches engagement in ländlichen kommunen
bürgerschaftliches engagement in ländlichen kommunen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bürgerschaftliches Engagement auf kommunaler Ebene – Auf dem Weg zu kommunaler Governance?<br />
Protest gegen Infrastrukturprojekte: Konsequenzen für die Kommunikation von Vorhabenträgern<br />
Thomas Röbke<br />
– Vorhabenträger und Verwaltung müssen ihr<br />
Verhalten und ihre Entscheidungen immer<br />
wieder erklären. Dies gilt für jede Phase des<br />
Projektes. Dazu gehört auch die Diskussion von<br />
Alternativen und das Erläutern, warum welche<br />
Alternativen verworfen wurden.<br />
– Vorhabenträger und Verwaltung müssen ihre<br />
Aussagen klar und verständlich formulieren.<br />
Dafür muss Fachsprache <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e für die Allgeme<strong>in</strong>heit<br />
verständliche Sprache übersetzt<br />
werden.<br />
– Der Vorhabenträger muss ehrlich und wahrhaftig<br />
kommunizieren.<br />
und dass man sich fair, sachgerecht und konstruktiv<br />
mit ihnen ause<strong>in</strong>andergesetzt hat – und dass<br />
man gegebenenfalls gute Gründe hatte, anders zu<br />
entscheiden.<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
als Allheilmittel <strong>in</strong> Kommunen –<br />
Chancen und Grenzen<br />
Fazit<br />
Auch wenn man die Grundregeln beachtet, werden<br />
Infrastrukturprojekte auch <strong>in</strong> Zukunft mit Protesten<br />
leben müssen, denn sie berühren vielfältige<br />
Interessen. Sehr wahrsche<strong>in</strong>lich stehen lokale<br />
Bürger<strong>in</strong>itiativen auch künftig Großprojekten<br />
vor der eigenen Haustür skeptisch gegenüber. In<br />
der Frühphase e<strong>in</strong>es Projektes s<strong>in</strong>d sie aber selten<br />
unversöhnliche Gegner des Vorhabens. Oft suchen<br />
Bürger<strong>in</strong>itiativen zunächst das Gespräch, um ihre<br />
Bedenken und Interessen geltend zu machen. Sie<br />
br<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>wände vor, stellen Fragen und formulieren<br />
Bedenken. Das kann auch helfen, Projekte zu<br />
verbessern und sollte daher nicht von vornhere<strong>in</strong><br />
als „störend“ abgetan werden. E<strong>in</strong> transparenter<br />
Fakten-Check zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Projektes kann die<br />
Basis für konstruktive Gespräche schaffen.<br />
Ferner muss über die Ziele diskutiert werden,<br />
denen e<strong>in</strong> Infrastrukturprojekt dient. Wichtig ist<br />
dabei der Bezug der Ziele des Vorhabenträgers zum<br />
gesellschaftlichen Nutzen des Projektes (ökonomisch,<br />
ökologisch, soziokulturell). Nur so können<br />
den im Protest geltend gemachten Individual<strong>in</strong>teressen<br />
(NIMBY) Geme<strong>in</strong>wohl<strong>in</strong>teressen gegenübergestellt<br />
werden. Im Fall der Energiewende ist dies<br />
beispielsweise die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren<br />
Energien am Energiemix oder e<strong>in</strong>e Verr<strong>in</strong>gerung<br />
der Abhängigkeit von Importen. Im Fall der<br />
Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur ist dies beispielsweise die<br />
Erhöhung der Mobilität von Menschen und Gütern.<br />
Nicht immer wird der Interessenausgleich <strong>in</strong> solchen<br />
Gesprächen gel<strong>in</strong>gen. Aber von dem ernsthaften<br />
und ehrlichen Versuch wird es abhängen,<br />
ob das Ergebnis von möglichst vielen Menschen<br />
akzeptiert wird. Am Ende muss nicht e<strong>in</strong>e allumfassende<br />
E<strong>in</strong>igkeit stehen, aber es muss glaubhaft<br />
erkennbar se<strong>in</strong>, dass alle E<strong>in</strong>wände gehört wurden<br />
58<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
und kommunale Dase<strong>in</strong>svorsorge –<br />
E<strong>in</strong>e erste Erkundung<br />
Wenn <strong>in</strong> kommunalpolitischen Runden derzeit über<br />
das „Bürgerschaftliche Engagement“ diskutiert<br />
wird, dann drehen sich die Gespräche vor allem um<br />
Menschen, die mitreden wollen. Mal s<strong>in</strong>d das die<br />
Wut-, mal die Mut- oder „Gestaltungsbürger“ (so<br />
Bayerns Innenm<strong>in</strong>ister Joachim Hermann), die sich ja<br />
nicht nur <strong>in</strong> Stuttgart für oder gegen e<strong>in</strong>en Bahnhofumbau,<br />
sondern auch bei Umgehungsstraßen,<br />
W<strong>in</strong>dkrafträdern oder Biogasanlagen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eren<br />
Geme<strong>in</strong>den zu Wort melden. 1<br />
Es gibt aber noch e<strong>in</strong>en anderen Diskurs, dessen<br />
Lautstärke <strong>in</strong> den letzten Jahren e<strong>in</strong>en höheren<br />
Pegel erreicht hat. Se<strong>in</strong>e Ausgangsfrage lautet:<br />
Brauchen wir <strong>in</strong> Zukunft mehr <strong>bürgerschaftliches</strong><br />
Engagement, um unseren Wohlstand und unsere<br />
Lebensqualität zu erhalten? Kommunen sollen<br />
sparen, der Sozialstaat ist, so sagt man, am Ende<br />
se<strong>in</strong>er F<strong>in</strong>anzkraft. Nun müssen wir uns auch<br />
noch auf e<strong>in</strong>en demographischen Wandel gefasst<br />
machen, der die professionellen sozialen Dienste,<br />
die Infrastrukturen der Nahversorgung, die<br />
Bildungs<strong>in</strong>stitutionen oder Kulture<strong>in</strong>richtungen<br />
zuweilen schon heute <strong>in</strong> Existenznöte br<strong>in</strong>gt. H<strong>in</strong>zu<br />
kommt die nun im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“.<br />
Brauchen wir also mehr <strong>bürgerschaftliches</strong><br />
Engagement zur Sicherung der kommunalen<br />
Dase<strong>in</strong>svorsorge, weil wir sie uns sonst nicht mehr<br />
leisten können?<br />
Auffällig ist, dass sich die beiden Diskurse selten<br />
überschneiden. Man könnte annehmen, es gäbe<br />
zwei Gruppen von Menschen: E<strong>in</strong>e, die ihr Heil im<br />
Protest sucht, entweder staatsbürgerlich demokratisch<br />
oder nur die eigenen Interessen im Blick, während<br />
e<strong>in</strong>e stille Mehrheit ihren unspektakulären<br />
Beitrag zum Geme<strong>in</strong>wohl leistet. Und man hat den<br />
E<strong>in</strong>druck, dass gewählte Politiker von der e<strong>in</strong>en<br />
Sorte gerne mehr, von der anderen gerne weniger<br />
hätten.<br />
Die Perspektive, die ich e<strong>in</strong>nehmen möchte, will<br />
beide Seiten zusammen sehen. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d sie<br />
auf e<strong>in</strong>e vielschichtige Art mite<strong>in</strong>ander verbunden.<br />
Auf der e<strong>in</strong>en Seite will sich nicht jeder Mensch,<br />
der e<strong>in</strong>er Sportart oder der Taubenzucht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Vere<strong>in</strong> nachgeht, politisch engagieren oder gar<br />
protestieren. Aber die Tendenz ist unabsehbar, dass<br />
Mitgestaltung und die Erfahrung der Selbstwirksamkeit<br />
wichtige Motive s<strong>in</strong>d, weswegen heute e<strong>in</strong><br />
Ehrenamt angestrebt wird. Der Freiwilligensurvey<br />
2009, die verlässlichste Datenquelle, die über das<br />
bürgerschaftliche Engagement <strong>in</strong> Deutschland<br />
Auskunft gibt, stellt fest, dass die Erwartung, <strong>in</strong><br />
unserer Gesellschaft wenigstens im Kle<strong>in</strong>en etwas<br />
zu bewegen, das stärkste Motiv für die Aufnahme<br />
e<strong>in</strong>er ehrenamtlichen Tätigkeit darstellt. 2<br />
Auf der anderen Seite ist nicht jede Intervention<br />
unzufriedener Bürger auch e<strong>in</strong> vernünftiger Beitrag<br />
zur Gestaltung des Geme<strong>in</strong>wesens. Zweifellos gibt<br />
es die sprichwörtlich gewordenen „Nimbys“ (Not <strong>in</strong><br />
my Backyard), die sich zwar e<strong>in</strong>e Umgehungsstraße<br />
wünschen, aber alles dafür tun, dass sie ihren<br />
Grundstücksgrenzen nicht zu nahe kommt. Dennoch:<br />
Auch diese Ause<strong>in</strong>andersetzungen gehören<br />
zum zuweilen zeitraubenden und nervtötenden<br />
Geschäft lokaler Demokratie. Wissenschaftliche<br />
Untersuchungen zeigen, dass selbst dort, wo egoistische<br />
Interessen der Ausgangspunkt s<strong>in</strong>d, die<br />
Vitalität demokratischer Beteiligung nicht Schaden<br />
nimmt, sondern eher wächst und nachhaltiger<br />
wird. Viel schlimmer wäre es, die Bürger<strong>in</strong>nen und<br />
Bürger wendeten sich vom politischen Geschehen<br />
ab und artikulierten ihre Me<strong>in</strong>ung nur noch h<strong>in</strong>ter<br />
vorgehaltener Hand. Diese grummelnde Politikverdrossenheit<br />
ist der eigentliche Fe<strong>in</strong>d lokaler Demokratie.<br />
3<br />
59