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der rabe des elija - DER DRITTE ORDEN DES KARMEL - johannes ...

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<strong>DER</strong> RABE<br />

<strong>DES</strong> ELIJA<br />

10 | 2012<br />

ISSN 1861-4965<br />

Zeitschrift <strong>des</strong> Dritten Orden im Karmel – Johannes Soreth<br />

www.dritterordenimkarmel.de<br />

Neue Antworten auf unsere<br />

Berufung – Der Dritte Orden<br />

im Karmel „Johannes Soreth“<br />

in Deutschland<br />

Vortrag auf dem „5th International<br />

Congress for Lay Carmelites“,<br />

17.-21. September 2012, in Sassone/Italien.<br />

Liebe Brü<strong>der</strong> und Schwestern<br />

im Karmel,<br />

zunächst möchte ich herzlich<br />

für die Möglichkeit danken,<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> internationalen<br />

Karmelfamilie über<br />

unsere Identität und unseren<br />

Dienst für die Welt nachzudenken.<br />

Zur Vorbereitung auf<br />

diesen Internationalen Kongress<br />

<strong>des</strong> Dritten Ordens im<br />

Karmel habe ich die an<strong>der</strong>en<br />

Mitglie<strong>der</strong> meiner Drittordensgemeinschaft<br />

„Johannes<br />

Soreth“ und unseren Provinzdelegaten<br />

gefragt: „Was haltet<br />

Ihr für bedeutsam genug, um<br />

es <strong>der</strong> internationalen karmelitanischen<br />

Familie mitzuteilen?“<br />

Es ist mir eine große<br />

Freude und Ehre, dass ich<br />

nun die Antworten gesammelt<br />

und strukturiert vorstellen<br />

darf. Es sind die Antworten<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> „neuen“<br />

Dritten Ordens in Deutschland,<br />

die sich in beson<strong>der</strong>er<br />

Weise dem sel. Johannes Soreth,<br />

dem Reformer <strong>des</strong> mittelalterlichen<br />

Karmelitenordens,<br />

verbunden fühlen.<br />

Neubeginn hat im Karmel eine<br />

durchaus historische Dimension.<br />

Seit <strong>der</strong> Ankunft <strong>der</strong><br />

ersten Eremiten Unserer Lieben<br />

Frau vom Berg Karmel in<br />

Europa hat <strong>der</strong> Karmelitenorden<br />

immer wie<strong>der</strong> die Kraft zu<br />

seiner Erneuerung bewiesen.<br />

Die Reformen im Karmelitenorden<br />

beziehen sich auf den<br />

einen Ausgangspunkt: die Regel<br />

<strong>des</strong> Patriarchen Albert.<br />

Jede Reform beruft sich auf<br />

die „formula vitae“ und sucht<br />

in ihrer jeweiligen Gegenwart<br />

<strong>der</strong>en unverän<strong>der</strong>liche Wahrheit.<br />

Im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Paul Falke, Marlene Falke-de Hoghe, Peter<br />

Mayer und Edeltraud Klueting rahmen<br />

die Skapuliermadonna in S. Maria in Traspontina<br />

und Generalprior Fernando ein<br />

1<br />

550-Jahr-Feier für die Bulle<br />

„Cum nulla“ entstand in<br />

Deutschland ein neuer Dritter<br />

Karmelitenorden – auch eine<br />

Reformbewegung. Der Neuanfang<br />

wurde am 3. Oktober<br />

2002 in Gel<strong>der</strong>n durch unseren<br />

Generalprior Joseph<br />

Chalmers genehmigt. Die Provinzleitungen<br />

<strong>der</strong> beiden Provinzen<br />

Oberdeutschland und<br />

Nie<strong>der</strong>deutschland approbierten<br />

seine Statuten „Vor deinem<br />

Angesicht“ „ad experimentum“<br />

und bestellten einen<br />

Provinzdelegaten für den<br />

Dritten Orden. Unser „Dritter<br />

Orden im Karmel“ existiert also<br />

seit zehn Jahren zur Bewährung<br />

und als Experiment.<br />

Aber es gibt in Deutschland<br />

ein geflügeltes Wort, das sagt:<br />

Nichts besteht so lange wie<br />

ein Provisorium. So hoffen<br />

auch wir auf ein langes Bestehen!<br />

Der neue Dritte Orden<br />

wurzelt tief in <strong>der</strong> Regel <strong>des</strong><br />

Patriarchen Albert und in dem<br />

spirituellen Reichtum <strong>des</strong><br />

Karmel. Wir sehen uns als Reformbewegung<br />

in <strong>der</strong> Tradition<br />

<strong>des</strong> großen mittelalterlichen<br />

Ordensreformers, <strong>des</strong><br />

sel. Johannes Soreth, und haben<br />

uns <strong>des</strong>halb seinem<br />

Schutz als Patron unterstellt.<br />

Wir sind jedoch nicht im Historischen<br />

verhaftet; wir richten<br />

den Blick nicht zurück,<br />

son<strong>der</strong>n schauen auf das<br />

Jetzt.<br />

Aus dem Inhalt<br />

Unsere Berufung S. 1<br />

Edeltraud Klueting<br />

Der Rabe in <strong>der</strong> Bibel S. 4<br />

Paul Menting<br />

Auf dem Strick <strong>des</strong> Judas S. 6<br />

Ursula Albrecht<br />

Der Kolk<strong>rabe</strong> S. 6<br />

Robert Cimiotti<br />

Paul Thek S. 7<br />

Marc Steinmann<br />

Die Aufnahme <strong>der</strong> CD S. 10<br />

Ursula Albrecht<br />

Erweiterte Kunstbegegnung S. 10<br />

Barbara Schachtner &<br />

Nadja Fernan<strong>des</strong><br />

Praktische Rhetorik S. 11<br />

Barbara Schachtner<br />

Supplement: S. 15<br />

Expert Meeting Maria Petyt<br />

Maria Petyts Aufzeichnungen über<br />

den Holländischen Krieg<br />

Elisabeth Hense<br />

Die Tradition wird so entgrenzt<br />

und transparent auf die


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

Gegenwart hin. Wir arbeiten<br />

als Karmelitinnen und Karmeliten<br />

an dem Ort, an dem wir<br />

stehen: in unserer Familie, an<br />

unserem Arbeitsplatz, an unserem<br />

Schreibtisch, überall in<br />

unseren gesellschaftlichen<br />

und beruflichen Zusammenhängen.<br />

Auf diese Weise antworten<br />

wir auf die Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

unsere karmelitanische<br />

Spiritualität im Alltag zu<br />

leben und zu bezeugen.<br />

Wer sind „wir“? Es handelt<br />

sich um eine kleine Gemeinschaft<br />

von sechs Personen.<br />

Kleine Gemeinschaften sind<br />

in Deutschland die Normalität,<br />

denn mancher Konvent<br />

<strong>des</strong> Ersten Ordens hat hier<br />

sogar weniger Mitglie<strong>der</strong>. Unserem<br />

Dritten Orden gehören<br />

an: eine Universitätsdozentin<br />

für Spiritualität; eine Regisseurin,<br />

die zugleich Lehrbeauftragte<br />

für christliche Mystik<br />

ist; eine Sängerin, die zugleich<br />

am Priesterseminar in<br />

Köln Praktische Rhetorik unterrichtet;<br />

ein Pastoralreferent,<br />

ein Arzt und eine Kulturmanagerin,<br />

die zugleich<br />

Lehrbeauftragte für Geschichte<br />

<strong>des</strong> Mittelalters ist.<br />

In unserer Organisationsform<br />

reagieren wir flexibel auf die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

im allgemeinen und in<br />

den Ordensgemeinschaften<br />

im beson<strong>der</strong>en. Infolge <strong>der</strong><br />

Konzentration <strong>der</strong> Ordensnie<strong>der</strong>lassungen<br />

<strong>der</strong> Karmeliten<br />

auf wenige Zentren besteht<br />

heute nur noch in wenigen<br />

Städten in Deutschland die<br />

Möglichkeit zu einer direkten<br />

Anbindung <strong>der</strong> „säkularen<br />

Karmeliten“ an ein Kloster.<br />

Wenn man in den Fünfziger<br />

Jahren <strong>des</strong> vergangenen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts noch sagen<br />

konnte, „eine Karmelitenkirche<br />

ohne ihren Dritten Orden<br />

ist wie ein Daheim ohne eine<br />

Familie“ (Mark Reuver), so<br />

gilt heute vice versa, dass diese<br />

Familie oft ihr Daheim verloren<br />

hat und dass die Gemeinschaft<br />

<strong>des</strong> Dritten Ordens<br />

ohne ein Karmelitenkloster<br />

auskommen muss. Bedingt<br />

durch berufliche, familiäre<br />

und an<strong>der</strong>e persönliche<br />

Gründe wohnen die Mitglie<strong>der</strong><br />

unseres „Dritten Ordens<br />

Johannes Soreth“ an unterschiedlichen<br />

Orten über die<br />

gesamte Bun<strong>des</strong>republik verstreut.<br />

Wir sind einzeln verortet:<br />

das betont das Eremitische<br />

unserer Existenz. Je<strong>der</strong><br />

einzelne führt an seinem Ort<br />

ein eremitisches Leben. Je<strong>der</strong><br />

einzelne hat seine persönliche<br />

Berufung als Karmelitin und<br />

Karmelit erfahren und auf<br />

diesen Ruf <strong>des</strong> Herrn geantwortet.<br />

Wir erfahren unsere<br />

Gemeinschaft so, dass wir uns<br />

in dieser Antwort auf den Ruf<br />

in den Karmel gegenseitig unterstützen.<br />

Darin sind <strong>der</strong> Erste,<br />

Zweite und Dritte Orden<br />

eingebunden, denn <strong>der</strong> Ruf in<br />

den Karmel und die formula<br />

vitae verbinden uns alle zu einer<br />

großen Familie. Wir haben<br />

alle den Auftrag, die Liebe<br />

Gottes zu leben. Wir unterstützen<br />

uns gegenseitig auf unserem<br />

geistlichen Weg, halten<br />

zur fortwährenden spirituellen<br />

Vertiefung Kontakt untereinan<strong>der</strong><br />

und zu den an<strong>der</strong>en<br />

Brü<strong>der</strong>n und Schwestern im<br />

Orden und treffen uns mehrmals<br />

im Jahr zu Kapiteltagen.<br />

Anhand von Texten aus <strong>der</strong><br />

Bibel und <strong>der</strong> Ordenstradition<br />

wird das eigene Charisma<br />

überdacht, weiterentwickelt<br />

und entfaltet.<br />

Wir haben uns als Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Dritten Ordens – Frauen<br />

und Männer, verheiratete und<br />

unverheiratete – nach einem<br />

einjährigen Noviziat mit einer<br />

gründlichen Ausbildung und<br />

geistlichen Begleitung durch<br />

ein öffentliches Versprechen<br />

an den Karmelitenorden gebunden.<br />

In <strong>der</strong> Zugehörigkeit<br />

zum Dritten Orden <strong>des</strong> Karmel<br />

finden wir die Möglichkeit,<br />

Partnerschaft, Familienleben<br />

und Freundschaften mit<br />

einem intensiven geistlichen<br />

Leben und <strong>der</strong> Zugehörigkeit<br />

zu einer spirituellen Gemeinschaft<br />

zu einem harmonischen<br />

Ganzen zu verbinden. Als bewusste<br />

Gegenbewegung gegen<br />

den Individualismus unserer<br />

mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft bietet<br />

<strong>der</strong> Dritte Orden für uns die<br />

Möglichkeit, „nicht nur in sich<br />

2


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

Auch in den Arbeitsgruppen bleibt ein Stuhl<br />

frei für Elija…<br />

3<br />

selbst, son<strong>der</strong>n ebenso auch in<br />

an<strong>der</strong>en Menschen einen Bezugspunkt<br />

für das eigene Leben<br />

zu finden und zu diesen<br />

an<strong>der</strong>en Menschen ein Band<br />

<strong>der</strong> Liebe und <strong>der</strong> Freundschaft<br />

zu knüpfen“. Kraft gewinnen<br />

wir aus dem Vertrauen,<br />

dass es seinen Mitglie<strong>der</strong>n<br />

gelingen möge, in Nachahmung<br />

<strong>der</strong> Apostel ein Herz<br />

und eine Seele zu werden<br />

(Apg 4,32). (Aus den Konstitutionen<br />

„Vor deinem Angesicht“).<br />

Unsere Aufgaben „inmitten<br />

<strong>der</strong> Welt“ nehmen wir Karmelterziaren<br />

in geschwisterlicher<br />

Verbundenheit mit den<br />

Brü<strong>der</strong>n im Ersten Orden <strong>des</strong><br />

Karmel wahr, in Gegenseitigkeit<br />

im Geben und Empfangen.<br />

Wenn ich nicht auch die<br />

Schwestern im Zweiten Orden<br />

nenne, so liegt das einfach<br />

daran, dass es in Deutschland<br />

nur zwei sehr kleine Schwesternkonvente<br />

mit sehr alten<br />

Mitglie<strong>der</strong>n gibt. Die Einheit<br />

<strong>der</strong> karmelitanischen Familie,<br />

für uns speziell also im Ersten<br />

und im Dritten Orden, macht<br />

<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> füreinan<strong>der</strong><br />

transparent und vereint sie alle<br />

in ihrer Vielfalt. Wir verstehen<br />

uns als Multiplikatoren,<br />

denn je<strong>der</strong> wirkt an dem Ort,<br />

an dem er steht. Unsere Berufung<br />

als Karmeliten sehen wir<br />

als einen Appell, auf den wir<br />

eine freie und verantwortliche<br />

Antwort geben.<br />

Wie sieht das nun aus, dieses<br />

„Wirken an dem Ort, an dem<br />

wir stehen“? Hier wird die<br />

„Berufung als Karmelit/Karmelitin“<br />

konkret. Beispielhaft<br />

möchte ich das an<br />

einzelnen gemeinsamen Projekten<br />

verdeutlichen. Hier<br />

bringt je<strong>der</strong> von uns die Talente<br />

und Fähigkeiten ein, die<br />

ihm geschenkt sind. Unser<br />

Anliegen ist es vor allem, die<br />

mystische Tradition <strong>des</strong> Karmel<br />

im Heute und Jetzt fruchtbar<br />

zu machen. Denn viele<br />

Menschen suchen heute nach<br />

dem Sinn <strong>des</strong> Lebens und finden<br />

in <strong>der</strong> christlichen Botschaft<br />

nicht mehr das, was sie<br />

suchen. Die Mystiker <strong>des</strong><br />

Karmel haben mit ihren Texten<br />

zu allen Zeiten so wun<strong>der</strong>bare<br />

Erfahrungen mitgeteilt,<br />

die vielen Menschen auch<br />

heute einen Ausweg aus ihrer<br />

Existenzangst, aus Nihilismus<br />

und Zynismus zeigen können.<br />

Nur ist die Sprache dieser<br />

Texte heute oft so unverständlich,<br />

dass sie wie eine Fremdsprache<br />

in unsere Gegenwart<br />

übersetzt werden muss. Wie<br />

sehen diese Texte aus <strong>der</strong><br />

Tradition <strong>des</strong> Karmel heute<br />

aus? – das ist unsere Leitfrage.<br />

Wir „übersetzen“ dabei<br />

gleich mehrfach – aus dem<br />

Französischen ins Deutsche,<br />

aus <strong>der</strong> Sprachform vergangener<br />

Jahrhun<strong>der</strong>te ins Heute,<br />

und wir „übersetzen“ in die<br />

Sprache <strong>des</strong> Musiktheaters.<br />

Ein Beispiel dafür sind die<br />

Produktionen <strong>des</strong> „Theaters<br />

<strong>der</strong> Stille“ unserer Regisseurin.<br />

Sie hat u. a. die beiden<br />

Projekte „Die Kammer <strong>der</strong><br />

Andacht“ und „Die Dunkle<br />

Stille“ produziert. Zugrunde<br />

lagen Texte <strong>der</strong> Karmeliten<br />

Franciscus Amelry und Jean<br />

de Saint-Samson aus dem 16.<br />

und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t. Beide<br />

Texte waren nur wenig bekannt<br />

und mussten in ihrer<br />

Bedeutung erst gehoben werden,<br />

es waren Rohdiamanten,<br />

die erst durch einen Schliff in<br />

vollem Glanz erstrahlen. Zwei<br />

Mitglie<strong>der</strong> unserer Gemeinschaft<br />

haben die Texte wissenschaftlich<br />

bearbeitet und<br />

aus <strong>der</strong> jeweiligen Originalsprache,<br />

dem Nie<strong>der</strong>ländischen<br />

<strong>des</strong> 16. und Französischen<br />

<strong>des</strong> 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />

ins Deutsche übersetzt. Und<br />

dann haben wir die Texte<br />

auch so geschmeidig an unsere<br />

heutige Sprache angeglichen,<br />

dass Sänger und Schauspieler<br />

mit ihnen umgehen<br />

können. Das war die Grundlage<br />

für die Produktion, dann<br />

kamen die Regisseurin, Sänger,<br />

Schauspieler und Bühnenbildner<br />

dazu – und hörten<br />

nur auf die Texte, ließen sich<br />

von ihnen berühren und spürten<br />

dem nach, was die Texte<br />

in ihnen bewirkten. Das ist<br />

das Prinzip <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Musiktheaters, dass es keine<br />

„fix und fertige“ Rolle gibt, die<br />

ein Sänger o<strong>der</strong> Schauspieler<br />

auswendig lernt und „spielt“,<br />

son<strong>der</strong>n dass je<strong>der</strong> Mitwirkende<br />

in je<strong>der</strong> Aufführung in<br />

eine individuelle, immer wie<strong>der</strong><br />

neue Beziehung zum Text<br />

und zu seinen Mitspielern<br />

tritt. Dabei ist unverzichtbar<br />

das „Hören“ – das Hören auf<br />

das eigene Berührtsein, auf<br />

die Resonanzen im eigenen<br />

Innern, aber auch das Hören<br />

auf das Gegenüber und sein<br />

Berührtsein. Die Performer<br />

geben dabei viel von ihrem eigenen<br />

Inneren preis und beziehen<br />

das Publikum mit ein –<br />

und das erfor<strong>der</strong>t nach dem<br />

Ende <strong>der</strong> Vorstellung eine intensive<br />

Diskussion aller Beteiligten<br />

mit dem Publikum, die<br />

je<strong>des</strong>mal für alle sehr, sehr<br />

bereichernd ist. Damit lassen<br />

sich auch Menschen erreichen,<br />

die um Antworten auf<br />

die Frage nach dem Sinn <strong>des</strong><br />

Lebens ringen, die sie jedoch<br />

nicht in <strong>der</strong> Kirche suchen.


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

Durch das Berührtsein durch<br />

die mystischen Texte machen<br />

sie jedoch eigene Erfahrungen.<br />

So ist das Theater ein Teil<br />

unseres Kerygma, unserer<br />

Verkündigung. Höhepunkte<br />

unserer Aufführungen waren<br />

z. B. <strong>der</strong> Weltjugendtag in<br />

Köln – dazu wurde unser Text<br />

ins Englische übertragen –<br />

und das Jubiläum <strong>des</strong> Titus-<br />

Brandsma-Instituts in Nijmegen,<br />

aber auch Aufführungen<br />

in Karmelitenkirchen. Um das<br />

Projekt im fachlichen Diskurs<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Wissenschaften<br />

fruchtbar zu machen,<br />

verfassen die beiden Texteditorinnen<br />

und Übersetzerinnen<br />

nach einiger Zeit eine Dokumentation<br />

über jede Theaterproduktion.<br />

Vieles wird aber auch in unserer<br />

eigenen Zeitschrift publiziert,<br />

die den Titel „Der Rabe<br />

<strong>des</strong> Elija“ trägt. Unser „Rabe“<br />

kann in diesem Jahr ein kleines<br />

Jubiläum feiern, weil er<br />

10 Jahre alt wird. Der „Rabe“<br />

wird von vielen Universitätsbibliotheken<br />

abonniert und ist<br />

auch im Internet präsent. Auf<br />

unserer Website gibt es dafür<br />

einen Downloadbereich. Die<br />

Website gestaltet und aktualisiert<br />

unser Webmaster, <strong>der</strong> im<br />

Hauptberuf Arzt ist.<br />

Zum Schluss sei noch ein ganz<br />

an<strong>der</strong>s geartetes Beispiel für<br />

Kooperation erwähnt. Es ist<br />

das Gemeinschaftsprojekt von<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> Ersten und<br />

<strong>des</strong> Dritten Ordens, ein Klosterbuch<br />

<strong>der</strong> Karmelitenklöster<br />

in Deutschland von den Anfängen<br />

bis heute. Es entsteht<br />

unter <strong>der</strong> Protektion <strong>des</strong> Institutum<br />

Carmelitanum mit seinem<br />

Praeses P. Giovanni<br />

Grosso O.Carm. Es wird gemeinsam<br />

konzipiert und herausgegeben<br />

von einem Team<br />

aus zwei Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> Ersten<br />

Ordens und einem Drittordensmitglied,<br />

als Autoren<br />

für einzelne Beiträge sind dabei<br />

u. a. auch Karmeliten und<br />

Karmelitinnen bei<strong>der</strong> Ordenszweige<br />

beteiligt. Auch an diesem<br />

Projekt, das seit 2005<br />

läuft und in diesem Jahr mit<br />

<strong>der</strong> Publikation <strong>des</strong> Werkes<br />

zum Abschluss kommt, zeigt<br />

sich, wie wir heute die Traditionslinien<br />

<strong>des</strong> Karmel weiterführen<br />

können. Der Karmelitenorden<br />

war immer auch ein<br />

gelehrter Orden, er gehörte zu<br />

den Grün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Universität<br />

in Köln und stellte viele Professoren<br />

an berühmten Universitäten.<br />

An diese Tradition<br />

knüpfen wir heute an, wenn<br />

wir in den Bereichen von Wissenschaft<br />

und Kultur arbeiten.<br />

Da ist für uns ein leuchten<strong>des</strong><br />

Vorbild, an dem wir uns ausrichten,<br />

zum Beispiel Titus<br />

Brandsma, <strong>der</strong> als Hochschullehrer<br />

und als Journalist tätig<br />

war. Und Edith Stein, die Philosophin,<br />

die im Kölner Karmel<br />

ihre Studien fortsetzte.<br />

Für unsere Theaterleute ist<br />

auch die „kleine“ Therese von<br />

Lisieux ein Vorbild, schließlich<br />

hat sie doch selbst gern<br />

Theater gespielt und kleine<br />

Stücke geschrieben. Es ist also<br />

nichts Neues und Ungewöhnliches,<br />

was wir machen – neu<br />

ist nur, dass wir es als Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>des</strong> Dritten Ordens machen!<br />

Vizegeneral P. Christian Körner und unser<br />

Delegat P. Matthias Brenken<br />

Unser Delegat P. Matthias<br />

Brenken O.Carm. hat dazu ein<br />

klares Statement abgegeben,<br />

das ich nun als Schlusswort zitieren<br />

möchte: „Im Hinblick<br />

4<br />

auf die Zukunft <strong>des</strong> Karmel in<br />

Deutschland, meine ich, dass<br />

ein guter Kontakt von allen<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Karmel-<br />

Familie dringend zu wünschen<br />

ist. Daraus kann nur eine<br />

Bereicherung für uns alle<br />

entstehen und es kann uns<br />

helfen, unser Charisma bewusst<br />

zu leben und es den<br />

Menschen von heute weiterzugeben.<br />

Angesichts <strong>der</strong><br />

schwindenden Mitglie<strong>der</strong>zahlen<br />

im Ersten und Zweiten<br />

Orden kommt dem Dritten<br />

Orden heute auch große Bedeutung<br />

zu, das gelebte Charisma<br />

<strong>des</strong> Karmel in Deutschland<br />

überhaupt zu erhalten.“<br />

Photos: Johan Bergström-<br />

Allen TOC<br />

Edeltraud Klueting T.OCarm<br />

48165 Münster<br />

Der Rabe in <strong>der</strong> Bibel<br />

Im Jahre 2003 wurde unsere<br />

Zeitschrift unter dem Namen<br />

'Der Rabe <strong>des</strong> Elija' zum ersten<br />

Mal herausgegeben. Für<br />

diejenigen, die den Propheten<br />

Elija aus <strong>der</strong> Bibel kennen, ist<br />

<strong>der</strong> Rabe ein alter Bekannter.<br />

Er kommt nämlich im sogenannten<br />

Elija-Zyklus vor. Dieser<br />

Zyklus spiegelt die Zeit<br />

wie<strong>der</strong>, als Ahab von 874 bis<br />

853 v.Chr. König von Israel<br />

war. Ahab tat, was Gott missfiel<br />

(1 Kön.16,30). Und Gott<br />

sandte seinen Boten Elija zu<br />

König Ahab (1Kön. 17,1-7).<br />

Der Prophet Elija aus Tischbe<br />

in Gilead sprach zu Ahab: „So<br />

wahr <strong>der</strong> Herr, <strong>der</strong> Gott Israels,<br />

lebt, in <strong>des</strong>sen Dienst<br />

ich stehe: in diesen Jahren<br />

sollen we<strong>der</strong> Tau noch Regen<br />

fallen, es sei denn auf mein<br />

Wort hin. Danach erging das<br />

Wort <strong>des</strong> Herrn an Elija: Geh<br />

weg von hier, wende dich<br />

nach Osten und verbirg dich<br />

am Bach Kerit östlich <strong>des</strong> Jor-


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

dan! Aus dem Bach sollst du<br />

trinken und den Raben habe<br />

ich befohlen, dass sie dich<br />

dort ernähren. Elija ging weg<br />

und tat, was <strong>der</strong> Herr befohlen<br />

hatte; er begab sich zum<br />

Bach Kerit östlich <strong>des</strong> Jordan<br />

und ließ sich dort nie<strong>der</strong>. Die<br />

Raben brachten ihm Brot und<br />

Fleisch am Morgen und ebenso<br />

Brot und Fleisch am Abend<br />

und er trank aus dem Bach.<br />

Nach einiger Zeit aber vertrocknete<br />

<strong>der</strong> Bach; denn es<br />

fiel kein Regen im Land.“ Die<br />

Raben versorgen Elija mit<br />

Nahrungsmitteln. Es gibt<br />

Dürre und Hungersnot im<br />

Land, doch Elija bekommt<br />

zweimal am Tag zu essen.<br />

Hier lernen wir die Raben<br />

kennen als freundliche Tiere,<br />

die den Menschen hilfreich<br />

zur Seite stehen.<br />

In <strong>der</strong> Bibel sind die Raben<br />

den Menschen öfter gut gesonnen.<br />

Als Noach wissen<br />

will, ob das Wasser weit genug<br />

zurückgegangen ist, schickt er<br />

einen Raben hinaus. Der Vogel<br />

fliegt hin und her, bis klar<br />

ist, dass das Land allmählich<br />

trocken wird (Gen. 8,1-11).<br />

„Da dachte Gott an Noach und<br />

an alle Tiere und an alles<br />

Vieh, das bei ihm in <strong>der</strong> Arche<br />

war. Gott ließ einen Wind<br />

über die Erde wehen und das<br />

Wasser sank. Die Quellen <strong>der</strong><br />

Urflut und die Schleusen <strong>des</strong><br />

Himmels schlossen sich; <strong>der</strong><br />

Regen vom Himmel ließ nach<br />

und das Wasser verlief sich<br />

allmählich von <strong>der</strong> Erde. So<br />

nahm das Wasser nach hun<strong>der</strong>tfünfzig<br />

Tagen ab. Am<br />

siebzehnten Tag <strong>des</strong> siebten<br />

Monats setzte die Arche im<br />

Gebirge Ararat auf. Das Wasser<br />

nahm immer mehr ab, bis<br />

zum zehnten Monat. Am ersten<br />

Tag <strong>des</strong> zehnten Monats<br />

wurden die Berggipfel sichtbar.<br />

Nach vierzig Tagen öffnete<br />

Noach das Fenster <strong>der</strong><br />

Arche, das er gemacht hatte,<br />

und ließ einen Raben hinaus.<br />

Der flog aus und ein, bis das<br />

Wasser auf <strong>der</strong> Erde vertrocknet<br />

war. Dann ließ er eine<br />

Taube hinaus, um zu sehen,<br />

ob das Wasser auf <strong>der</strong> Erde<br />

abgenommen habe. Die Taube<br />

fand keinen Halt für ihre Füße<br />

und kehrte zu ihm in die<br />

Arche zurück, weil über <strong>der</strong><br />

ganzen Erde noch Wasser<br />

stand. Er streckte seine Hand<br />

aus und nahm die Taube wie<strong>der</strong><br />

zu sich in die Arche. Dann<br />

wartete er noch weitere sieben<br />

Tage und ließ wie<strong>der</strong> die Taube<br />

aus <strong>der</strong> Arche. Gegen<br />

Abend kam die Taube zu ihm<br />

zurück, und siehe da: In ihrem<br />

Schnabel hatte sie einen<br />

frischen Olivenzweig. Jetzt<br />

wusste Noach, dass nur noch<br />

wenig Wasser auf <strong>der</strong> Erde<br />

stand.“ Der Rabe von Noach<br />

hat nicht den Ruhm erlangt,<br />

den die Taube bekommen hat,<br />

obwohl er Noach ständig über<br />

den Rückgang <strong>des</strong> Wassers informiert<br />

hat.<br />

Raben sind manchmal auch<br />

Helfer Gottes. Und wenn Gott<br />

es befielt, werden sie Vollstrecker<br />

seines Urteils (Sprichwörter<br />

30,17). „Ein Auge, das<br />

den Vater verspottet / und die<br />

alte Mutter verachtet, / das<br />

hacken die Raben am Bach<br />

aus, / die jungen Adler fressen<br />

es auf.“ Hier sehen wir den<br />

krassen Gegensatz zu dem,<br />

5<br />

was Elija wi<strong>der</strong>fahren ist. Elija<br />

wurde geholfen. Doch es ist<br />

auch möglich, dass ein<br />

Mensch von den Raben und<br />

Adlern attackiert wird, weil<br />

Gott es so befohlen hat.<br />

Im allgemeinen wird <strong>der</strong> Rabe<br />

nicht für ein gutes Tier gehalten.<br />

Man soll die Raben sogar<br />

als abscheulich betrachten<br />

(vgl. Lev. 11,13-19). Deswegen<br />

darf man Raben auch nicht<br />

essen (Deut. 14,11-20). „Alle<br />

reinen Vögel dürft ihr essen.<br />

Dies sind die Vögel, die ihr<br />

nicht essen dürft: Aasgeier,<br />

Schwarzgeier, Bartgeier, Milan,<br />

die verschiedenen Bussardarten,<br />

alle Arten <strong>des</strong> Raben,<br />

Adlereule, Kurzohreule,<br />

Langohreule und die verschiedenen<br />

Falkenarten,<br />

Kauz, Bienenfresser, Weißeule,<br />

Kleineule, Fischadler,<br />

Fischeule, Storch und die verschiedenen<br />

Reiherarten, Wiedehopf,<br />

Fle<strong>der</strong>maus und alles<br />

fliegende Kleingetier: Sie sollen<br />

euch als unrein gelten und<br />

dürfen nicht gegessen werden.<br />

Alle reinen geflügelten Tiere<br />

dürft ihr essen.“<br />

Alle Arten <strong>des</strong> Raben können<br />

den Menschen erschau<strong>der</strong>n<br />

lassen. Dort, wo sie leben, gibt<br />

es keine Menschen. Wenn Jesaja<br />

das Gericht über Edom<br />

prophezeit, ist die Familie <strong>der</strong><br />

Raben mit von <strong>der</strong> Partie (Jes.<br />

34,8-11). „Denn <strong>der</strong> Herr hat<br />

einen Tag <strong>der</strong> Rache bestimmt,<br />

/ ein Jahr <strong>der</strong> Vergeltung<br />

für den Streit um Zion.<br />

In Edoms Bächen wird das<br />

Wasser zu Pech, / sein Boden<br />

verwandelt sich in Schwefel, /<br />

sein Land wird zu brennendem<br />

Pech. Es erlischt nicht<br />

bei Tag und bei Nacht, / <strong>der</strong><br />

Rauch steigt unaufhörlich<br />

empor. Das Land ist für Generationen<br />

verödet, / nie mehr<br />

zieht jemand hindurch. Dohlen<br />

und Eulen nehmen es in<br />

Besitz, / Käuze und Raben<br />

hausen darin. Der Herr


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

spannt die Messschnur «Öde»<br />

darüber, / er legt das Senkblei<br />

«Leere» an.“<br />

Ob Tiere nun rein o<strong>der</strong> unrein<br />

sind: Gott sorgt für all seine<br />

Geschöpfe. Dabei steht Vieh<br />

für gute (o<strong>der</strong> nützliche) Tiere,<br />

<strong>der</strong> Rabe steht für die unreinen<br />

(unnützen) Tiere (Ps.<br />

147,7). „Er gibt dem Vieh seine<br />

Nahrung, / gibt den jungen<br />

Raben, wonach sie schreien.“<br />

Der Mensch kann nicht alles,<br />

was Gott tut und lenkt, begreifen<br />

o<strong>der</strong> überblicken. Als Gott<br />

dies dem Hiob deutlich<br />

macht, weist Gott als Beispiel<br />

auf den Raben hin (Hiob<br />

38,41). „Wer bereitet dem Raben<br />

seine Nahrung, / wenn<br />

seine Jungen schreien zu Gott<br />

und umherirren ohne Futter?“<br />

Liebevoll umsorgt Gott seine<br />

ganze Schöpfung. Jesus gibt<br />

seinen Jüngern den Mut auf<br />

Gott zu vertrauen (Lk. 12,22-<br />

24). „Jesus sagte zu seinen<br />

Jüngern: Deswegen sage ich<br />

euch: Sorgt euch nicht um<br />

euer Leben und darum, dass<br />

ihr etwas zu essen habt, noch<br />

um euren Leib und darum,<br />

dass ihr etwas anzuziehen<br />

habt. Das Leben ist wichtiger<br />

als die Nahrung und <strong>der</strong> Leib<br />

wichtiger als die Kleidung.<br />

Seht auf die Raben: Sie säen<br />

nicht und ernten nicht, sie<br />

haben keinen Speicher und<br />

keine Scheune; denn Gott ernährt<br />

sie. Wie viel mehr seid<br />

ihr wert als die Vögel!“<br />

Der Rabe taucht nicht so oft in<br />

<strong>der</strong> Bibel auf. Er scheint meistens<br />

nicht allzu wichtig zu<br />

sein. Manchmal erscheint er<br />

sogar als ein abscheuliches<br />

Wesen. Doch Gott lässt auch<br />

solche Geschöpfe nicht verloren<br />

gehen. Überall, wo wir in<br />

<strong>der</strong> Bibel etwas über Gott lesen,<br />

ist das auch mit einer<br />

Botschaft für die Menschen<br />

verbunden. Und <strong>der</strong> Rabe ist<br />

dann manchmal ein Bote Gottes.<br />

Er ist ein „Kollege“ Elijas,<br />

wenn auch in einem völlig an<strong>der</strong>em<br />

Kleid!<br />

Wir freuen uns, dass unsere<br />

Zeitschrift bereits so lange<br />

den Namen ‘Der Rabe <strong>des</strong> Elija’<br />

tragen darf.<br />

Paul Menting T.OCarm<br />

47533 Kleve<br />

Auf dem Strick <strong>des</strong> Judas<br />

sitzt <strong>der</strong> Rabe draußen<br />

Ich habe Deine Liebe nicht<br />

ausgehalten<br />

mein Geliebter<br />

Du <strong>der</strong> Du mich nur liebst und<br />

von Deiner Liebe nicht abweichen<br />

kannst<br />

Dich musste ich verlassen<br />

Deine Liebe zog mich nach<br />

draußen<br />

während ich mir die Schlinge<br />

um den Hals legte war Deine<br />

Liebe da<br />

und während Du an Veronika<br />

vorbei kamst<br />

kam ich an keiner einzigen<br />

Seele vorbei<br />

auf meinem Strick saß allein<br />

<strong>der</strong> Rabe<br />

er legte seinen Kopf schräg<br />

und sein schwarzes Auge<br />

schaute<br />

aus seiner Einsamkeit in meine<br />

völlige Verlassenheit<br />

draußen schauten wir uns an<br />

draußen schrie das Leid<br />

draußen schrie die Liebe<br />

draußen schaute ich in den<br />

Spiegel<br />

und sah wie innen<br />

<strong>der</strong> Rabe seinen Kopf noch<br />

immer schräg hält<br />

von Holz zu Holz sehe ich uns<br />

beide<br />

sehe ich uns vor den Toren<br />

<strong>der</strong> Stadt hängen<br />

mein Geliebter<br />

Hände haben Dich ans Holz<br />

geschlagen<br />

Hände haben mich ans Holz<br />

gehängt<br />

Judas ich liebe dich rufst du<br />

herein<br />

6<br />

Jesus ich kann dich nicht hören<br />

rufe ich hinaus<br />

Draußen hält <strong>der</strong> Rabe den<br />

Kopf schräg<br />

während die Zeit vergeht<br />

ein Einsiedler steht innen auf<br />

und sieht den Raben im Spiegel<br />

draußen auf dem Kirchendach<br />

sitzen.<br />

Ursula Albrecht T.OCarm<br />

79100 Freiburg<br />

Kolk<strong>rabe</strong><br />

Corvus corax<br />

Der Kolk<strong>rabe</strong> auch <strong>der</strong><br />

„Schwarze Geselle“ genannt,<br />

erhielt viele Namen aus <strong>der</strong><br />

Vergangenheit und von den<br />

Dialekten abgeleitet. So z.B.<br />

Edel<strong>rabe</strong>, Galgenvogel, Kohl<strong>rabe</strong>,<br />

Krapp, de Roak, Schaak,<br />

Wotansvogel. Sein Ruf war<br />

immer mit Unheil verbunden<br />

und <strong>des</strong>halb verrufen und gefürchtet.<br />

Bis in die heutige<br />

Zeit (<strong>der</strong> Film – Die Vögel –<br />

von Alfred Hitchcock) verwendet<br />

man den schönen Vogel<br />

als Ungeheuer. Dem Kolk<strong>rabe</strong>n<br />

wird auch nachgesagt,<br />

dass er junge Lämmer tötet<br />

und frisst. All dies hat man<br />

zum Anlass genommen dem<br />

Vogel nachzustellen und fasst


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

auszurotten. Gott sei Dank ist<br />

er nun unter strengen Schutz<br />

gestellt worden, sodass er sich<br />

wie<strong>der</strong> erholt und ausbreitet.<br />

Der Kolk<strong>rabe</strong> zählt zu <strong>der</strong> Familie<br />

<strong>der</strong> Singvögel. Der größte<br />

Singvogel überhaupt. Seine<br />

Gestalt ist Bussard groß, maximal<br />

64 cm (von Schnabel bis<br />

Schwanzspitze) gemessen. Die<br />

Flügelspannweite variiert von<br />

120 – 150 cm bei einem Körpergewicht<br />

von bis zu 1.590 g.<br />

Ein typisches Kennzeichen ist<br />

<strong>der</strong> dicke klobige Schnabel<br />

und <strong>der</strong> keilförmige Schwanz.<br />

Die Stimme <strong>des</strong> Kolk<strong>rabe</strong>n ist<br />

sehr charakteristisch. Es sind<br />

tiefe krächzende „kra“-,<br />

„krok“-, „kroak“- Rufe, welche<br />

sich deutlich von an<strong>der</strong>en Rabenvögel<br />

unterscheiden.<br />

Der Lebensraum ist sehr vielseitig<br />

und weit gestreut. Von<br />

<strong>der</strong> Küste bis ins Hochgebirge,<br />

von <strong>der</strong> Arktis bis in die Steppen<br />

und Wüsten. Er liebt<br />

Wäl<strong>der</strong> mit angrenzendem Offenland.<br />

Der Kolk<strong>rabe</strong> ist in<br />

unseren Breiten ein Standvogel;<br />

d.h. er ist auch im Winter<br />

in seinem angestammten Gebiet<br />

anzutreffen. Weiter nördlich<br />

ist er ein Strichvogel,<br />

auch Teilzieher genannt.<br />

Das Nahrungsspektrum <strong>des</strong><br />

Kolk<strong>rabe</strong>n ist vielseitig. Er ist<br />

ein Allesfresser. Vorwiegend<br />

Aas, sprich Reste von Wirbeltieren,<br />

Fallwild, Totgeburten<br />

und Nachgeburten von Weidetieren<br />

u. a. organische Abfälle<br />

sucht er gerne in Müllkippen<br />

und auf Komposthaufen.<br />

Kleinsäuger, daneben Insekten,<br />

Kleinvögel, Vogeleier,<br />

Reptilien gehören ebenfalls,<br />

wie Samen, Obst und Früchte<br />

zu seiner Nahrungskette.<br />

Seine Nester findet man auf<br />

hohen Bäumen in Felsnischen<br />

o<strong>der</strong> an technischen Anlagen<br />

wie Gebäuden, Brücken, Gittermasten<br />

u.ä.. Im dritten<br />

Jahr sind die Vögel geschlechtsreif.<br />

Der Kolk<strong>rabe</strong><br />

brütet sehr zeitig im Jahr, bereits<br />

ab Februar. Während <strong>der</strong><br />

Balz vollziehen sie imposante<br />

Balzflüge. Das Weibchen legt<br />

3-6, maximal 7 bläulichgrünliche,<br />

kräftig gefleckte<br />

Eier. Nach 18-21 Tagen<br />

schlüpfen die Jungen und<br />

verbleiben ca. 42 Tage auf<br />

dem Nest dann sind die Jungvögel<br />

flugfähig. In <strong>der</strong> Regel<br />

haben die Kolk<strong>rabe</strong>n jährlich<br />

eine Brut, jedoch bei Verlust<br />

<strong>des</strong> Geleges schaffen sie ein<br />

Nachgelege. Sie leben noch bis<br />

zum Spätsommer im Familienverband,<br />

danach sind die<br />

Jungvögel selbstständig und<br />

gehen ihre eigenen Wege.<br />

Kolk<strong>rabe</strong>n können ein sehr<br />

hohes Alter erreichen, bis<br />

über 60 Jahre.<br />

Den Kolk<strong>rabe</strong>n darf man ohne<br />

Zweifel, wie alle Rabenvögel:<br />

Krähe, Dohle, Elster, Eichelhäher<br />

usw., als intelligenten<br />

Vogel bezeichnen. Er hat die<br />

Fähigkeit auf Vorrat verg<strong>rabe</strong>ne<br />

Nahrung wie<strong>der</strong> zu finden.<br />

Kann auch Nüsse o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e harte Früchte zum<br />

Zerbersten bringen, indem er<br />

diese mit in die Höhe nimmt<br />

(15 bis 30 m) und dann auf<br />

einen harten Untergrund fallen<br />

lässt, z.B. Beton- o<strong>der</strong><br />

Pflasterbelag. Auch sind sie in<br />

<strong>der</strong> Lage Geschwindigkeiten<br />

<strong>der</strong> Fahrzeuge auf den Verkehrswegen<br />

abzuschätzen und<br />

noch rechtzeitig wegzufliegen.<br />

Dieses geschieht immer dann,<br />

wenn die Raben auf <strong>der</strong> Fahrbahn<br />

überfahrene tote Tiere<br />

verzehren.<br />

Der Kolk<strong>rabe</strong> ist ein sehr<br />

schöner, imposanter, intelligenter<br />

und nützlicher Vogel.<br />

Es ist wichtig diese Rasse zu<br />

schützen, damit sie uns noch<br />

lange erhalten bleibt und die<br />

Menschen sich an diesem<br />

„Schwarzen Gesellen“ erfreuen<br />

können.<br />

Robert Cimiotti<br />

7<br />

Vogelkundler und Vogelschutzbeauftragter<br />

<strong>der</strong> Stadt<br />

Amöneburg<br />

Ein Rabe<br />

Es war einmal ein Rabe<br />

Ein schlauer alter Knabe<br />

Dem sagte ein Kanari, <strong>der</strong><br />

in seinem Käfig sang: Schau<br />

her<br />

Von Kunst<br />

Hast du keinen Dunst.<br />

Der Rabe sagte ärgerlich:<br />

Wenn du nicht singen könntest<br />

Wärst du so frei wie ich.<br />

Berthold Brecht (1898-1956)<br />

Aus: Tierverse, in: Die Gedichte<br />

von Bertolt Brecht in<br />

einem Band. Suhrkamp.<br />

Frankfurt am Main 2002<br />

Paul Thek und die Raben<br />

Die 6. Jahresausstellung von<br />

Kolumba, dem Kunstmuseum<br />

<strong>des</strong> Erzbistums Köln, steht<br />

unter dem Titel „Art is Liturgy.<br />

Paul Thek und die An<strong>der</strong>en.“<br />

Die Werke <strong>des</strong> amerikanischen<br />

Künstlers Paul Thek<br />

(1933-1988) bilden den roten<br />

Faden dieser Präsentation. Im<br />

Armarium <strong>des</strong> ersten Obergeschosses,<br />

in dem seit Eröffnung<br />

<strong>des</strong> Museums 2007 <strong>der</strong><br />

Kirchenschatz von St. Kolumba<br />

gezeigt wurde, befinden<br />

sich nun Bestandteile <strong>der</strong> Installation<br />

„A Procession in<br />

Honor of Aesthetic Progress.<br />

Objects to Theoretically Wear,<br />

Carry, Pull or Wave“, die 1968<br />

in <strong>der</strong> Essener Galerie M.E.<br />

Thelen zu sehen war. Neben<br />

einem Tragethron, vier sogenannten<br />

Headboxes, einer an<br />

einen langen Holzstab gebundenen<br />

kleinen Holzkiste, die<br />

den Blick auf ein Fleischstück<br />

aus Wachs freigibt, gehört ein<br />

Bugholzstuhl zu den Prozessi-


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

onsutensilien. In o<strong>der</strong> auf allen<br />

Geräten liegen aus gefärbtem<br />

Wachs gefertigte Fleischstücke.<br />

Beson<strong>der</strong>s auffällig<br />

sind zwei präparierte Krähen<br />

auf <strong>der</strong> Lehne <strong>des</strong> Stuhls. Die<br />

ca. 40 cm langen Vögel sind<br />

so übereinan<strong>der</strong> angeordnet,<br />

dass <strong>der</strong> eine auf <strong>der</strong> Schulter<br />

<strong>des</strong> an<strong>der</strong>en steht. Die obere<br />

Krähe hat ein größeres<br />

Wachs-Fleischstück im<br />

Schnabel. Der unteren haftet<br />

ein Fleischklumpen am Unterleib<br />

an, <strong>der</strong> wie ein überdimensionales<br />

weibliches Geschlechtsteil<br />

wirkt. Nach Aussage<br />

<strong>des</strong> damaligen Galeristen<br />

Michael Nickel hat sich Paul<br />

Thek bei <strong>der</strong> Anfertigung <strong>der</strong><br />

Installation in Essen bewusst<br />

für Krähen entschieden. In<br />

zahlreichen an<strong>der</strong>en Installationen<br />

Theks finden sich weitere<br />

Tierpräparate, darunter<br />

auch immer wie<strong>der</strong> Vögel.<br />

Krähen o<strong>der</strong> Raben sind jedoch<br />

nicht darunter. Der<br />

Amerikaner hat eine umfangreiche<br />

Zahl an Notizbüchern<br />

hinterlassen, die aus tagebuchartigen<br />

Einträgen, Zitaten,<br />

eigenen Gedanken und<br />

Zeichnungen bestehen. Aus<br />

diesen lässt sich z.B. entnehmen,<br />

dass <strong>der</strong> Wal für Thek<br />

als Metapher für Tod und<br />

Wie<strong>der</strong>geburt stand. In dem<br />

bisher publizierten Material<br />

fehlen jedoch jegliche Hinweise<br />

auf Raben. Welche Bedeutung<br />

können die Krähen in<br />

<strong>der</strong> Installation aus den späten<br />

60er Jahren haben? Kann<br />

die Verwendung von Raben<br />

o<strong>der</strong> Krähen in <strong>der</strong> Kunstgeschichte<br />

hilfreich für das Verständnis<br />

<strong>der</strong> Thekschen Krähen<br />

sein?<br />

Probleme bereitet schon die<br />

Unterscheidung von Rabe und<br />

Krähe. Bei den von Thek verwendeten<br />

Tieren handelt sich<br />

wohl um Rabenkrähen (Corvus<br />

corone cornix). Da in <strong>der</strong><br />

Malerei die Vögel häufig nicht<br />

detailliert genug dargestellt<br />

werden und im Volksglauben<br />

die Krähe als <strong>des</strong> Raben Frau<br />

gilt, soll im Folgenden vereinfachend<br />

vom Raben die Rede<br />

sein.<br />

Als Aasfresser brachten die<br />

Griechen <strong>der</strong> Antike den Raben<br />

in Verbindung mit Tod<br />

und Ver<strong>der</strong>ben. Ihre Beobachtung,<br />

dass Raben ihre Jungen<br />

zeitig aus dem Nest werfen<br />

und gleichzeitig Artgenossen<br />

auf Futterplätze aufmerksam<br />

machen, ermöglichte es, die<br />

Raben zu Symbolen für die<br />

Kolonisation zu machen. Obwohl<br />

schriftliche Quellen aus<br />

<strong>der</strong> Antike die Bedeutung <strong>des</strong><br />

Rabens als Orakeltier und Begleiter<br />

von Kronos, Apoll und<br />

Athena belegen, sind die überlieferten<br />

Darstellungen selten.<br />

Zum festen Bestandteil wird<br />

<strong>der</strong> Rabe bei Artefakten, die in<br />

Zusammenhang mit dem aus<br />

dem Orient stammende Mithraskult<br />

stehen. Seinen Höhepunkt<br />

erreichte <strong>der</strong> vor allem<br />

bei Soldaten beliebte Kult im<br />

3. Jahrhun<strong>der</strong>t. Mithras, ein<br />

junger auf wun<strong>der</strong>same Weise<br />

aus dem Stein geborener Gott,<br />

besiegt die Sonne im Kampf<br />

und verbündet sich mit ihr.<br />

Ein von ihm in einer Grotte<br />

gefangen gehaltener Stier, <strong>der</strong><br />

das Böse verkörpert, kann<br />

fliehen. Die Sonne lässt Mithras<br />

durch einen Raben den<br />

Aufenthaltsort und den Auftrag<br />

zur Tötung <strong>des</strong> Stieres<br />

übermitteln. Ausgeübt wurde<br />

<strong>der</strong> Mithraskult in natürlichen<br />

o<strong>der</strong> künstlich angelegten<br />

Höhlen und Grotten, den so<br />

genannten Mithräen. Dort<br />

hielten die ausschließlich<br />

männlichen Anhänger Opferund<br />

Kultmahle ab. Über die<br />

dort abgehaltene Liturgie<br />

existieren nur sehr vage Vorstellungen.<br />

Es gab sieben<br />

Einweihungsgrade, welche die<br />

Mysten durchlaufen konnten.<br />

In Ostia haben sich diese als<br />

8<br />

Darstellung in einem Fußbodenmosaik<br />

erhalten. Die niedrigste<br />

Stufe Corax (Rabe)<br />

symbolisieren ein Rabe, ein<br />

Becher und Merkurstab.<br />

Wikinger nahmen Raben mit<br />

auf Reisen in unbekannte Gewässer,<br />

da man ihnen nachsagte,<br />

sie könnten Land wittern.<br />

In <strong>der</strong> germanischen Sagenwelt<br />

gilt <strong>der</strong> Rabe als<br />

Schlachtenvogel und Begleiter<br />

<strong>des</strong> Gottes Odin, auf <strong>des</strong>sen<br />

Schulter er sitzend dargestellt<br />

wird.<br />

Die Eliasgeschichte <strong>des</strong> Alten<br />

Testamentes verhilft dem Raben<br />

zu einer tragenden Rolle<br />

in <strong>der</strong> Kunstgeschichte. Es ist<br />

hierbei weniger die Illustration,<br />

wie Elias auf wun<strong>der</strong>same<br />

Weise von einem Raben ernährt<br />

wird, als vielmehr die<br />

zahlreichen auf diese Geschichte<br />

zurückgreifenden<br />

Heiligenlegenden und ihre<br />

bildliche Umsetzung. Die<br />

prominentesten Raben <strong>der</strong><br />

Kunstgeschichte finden sich –<br />

abgesehen von Vincent van<br />

Goghs „Weizenfeld mit Krähen“<br />

(1890) – auf Bil<strong>der</strong>n von<br />

Matthias Grünewald und Diego<br />

Velasquez. Beide zeigen<br />

entsprechend <strong>der</strong> zwischen<br />

1263 und 1273 entstandenen<br />

„Legenda aurea“ <strong>des</strong> Jacobus<br />

de Voragine, wie die Eremiten<br />

Antonius Abbas und Paulus<br />

bei ihrer Zusammenkunft von<br />

einem im Sturzflug ankommenden<br />

Raben mit Brot versorgt<br />

werden. Die Darstellung<br />

Grünewalds befindet sich auf<br />

dem zwischen 1512 und 1516<br />

entstandenen Isenheimer Altar<br />

in Colmar. In <strong>der</strong> ersten<br />

Hälfte <strong>des</strong> 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

schuf Velasquez sein heute im<br />

Madri<strong>der</strong> Prado befindliches<br />

Bild, das auf einen um 1503<br />

datierten Holzschnitt von Albrecht<br />

Dürer zurückgreift.<br />

Unter den weiteren positiven<br />

Rabendeutung im Zusammenhang<br />

mit Heiligenlegen-


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

den sei nur auf die Vincentiustafel<br />

<strong>des</strong> Basler Münsters aus<br />

dem 11. Jahrhun<strong>der</strong>t verwiesen,<br />

die zeigt, wie zwei Raben<br />

die den wilden Tieren zum<br />

Fraß vorgeworfene Leiche <strong>des</strong><br />

Heiligen verteidigen. Jünger<br />

ist die Darstellung <strong>der</strong> gleichen<br />

Legende auf einem Kapitell<br />

<strong>der</strong> Kathedrale St. Lazare<br />

in Autun.<br />

Ein den Heiligen Benedikt von<br />

Nursia begleiten<strong>der</strong> Rabe<br />

erinnert daran, dass dieser<br />

Vogel den Heiligen vor dem<br />

Verspeisen eines vergifteten<br />

Brotes bewahrt hat. Als sprechen<strong>der</strong><br />

Bote fungiert ein Rabe<br />

in <strong>der</strong> Legende <strong>des</strong> Heiligen<br />

Oswald von Northumbrien.<br />

Auf dem rätselhaften Bild<br />

„Madonna del prato“ von Giovanni<br />

Bellini (um 1505) in <strong>der</strong><br />

Londoner National Gallery<br />

wird <strong>der</strong> schwarz gefie<strong>der</strong>te<br />

Vogel in den unbelaubten<br />

Baumwipfeln zur rechten Seite<br />

<strong>der</strong> Muttergottes gerne als<br />

Rabe und damit als Hinweis<br />

auf den Tod Christi interpretiert.<br />

Der lange schlanke Hals<br />

und <strong>der</strong> deutlich gebogene<br />

helle Schnabel erinnern jedoch<br />

eher an einen Adler. Als<br />

solcher wäre er, wie <strong>der</strong> unter<br />

ihm im Kampf mit einer<br />

Schlange befindliche Storch,<br />

als Christusbild und Sinnbild<br />

für die Auferstehung zu deuten.<br />

Als Begleiter <strong>des</strong> Winters erscheinen<br />

Raben auf Pieter<br />

Brueghels d.Ä. „Vogelfalle“<br />

(1565) o<strong>der</strong> „Der Volkszählung<br />

zu Bethlehem“ (1566).<br />

Schon durch die Themen <strong>der</strong><br />

Bil<strong>der</strong> werden die Raben seiner<br />

„Kreuztragung“ (1564)<br />

und seines „Bethlehemitischen<br />

Kin<strong>der</strong>mor<strong>des</strong>“ (um<br />

1565) mit dem Tod in Verbindung<br />

gebracht.<br />

Jan Steen widmet sich 1673<br />

mit seinem Bild „Ein Dorffest“<br />

den unterschiedlichsten Arten<br />

menschlichen Fehlverhaltens.<br />

Vor einem Gasthof findet ein<br />

buntes Treiben <strong>der</strong> Dorfbevölkerung<br />

statt. An sehr zentraler<br />

Stelle im Vor<strong>der</strong>grund<br />

<strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> verkörpern fünf in<br />

einem Kahn sitzende Personen<br />

verschiedenen Sünden<br />

wie Völlerei, Trunksucht o<strong>der</strong><br />

Zorn. Auf dem Heck <strong>des</strong><br />

Kahns hocken ein Affe und ein<br />

Rabe.<br />

Der Affe als Zerrbild <strong>des</strong> Menschen<br />

und Verkörperung <strong>der</strong><br />

Sündhaftigkeit lässt damit<br />

keinerlei Zweifel über die moralische<br />

Qualität <strong>der</strong> Bootsinsassen<br />

zu. Der so offensichtlich<br />

platzierte Rabe macht in<br />

diesem Zusammenhang nur<br />

Sinn als drohende Mahnung<br />

<strong>des</strong> To<strong>des</strong>.<br />

In <strong>der</strong> seit <strong>der</strong> Renaissance<br />

beliebten und im 16./17. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

auf ihrem Höhepunkt<br />

befindlichen Kunst <strong>der</strong> Emblemata,<br />

die Bil<strong>der</strong> und Texte<br />

zu moralischen, religiösen<br />

o<strong>der</strong> erotischen Sinnbil<strong>der</strong>n<br />

verband, spielt auch <strong>der</strong> Rabe<br />

eine Rolle. Neben dem erleiden<br />

einer (tödlichen) gerechten<br />

Strafe, wird er mit Erfindungsgabe,<br />

übler Nachrede,<br />

ver<strong>der</strong>blicher Schmeichelei,<br />

dem weltlichen Treiben <strong>der</strong><br />

Geistlichen, eitler Anmaßung<br />

und ver<strong>der</strong>blicher Hilfsbereitschaft<br />

und <strong>der</strong> Eintracht im<br />

Allgemeinen, in <strong>der</strong> Ehe sowie<br />

im Staat in Verbindung gebracht.<br />

Caspar David Friedrich malte<br />

1814 das Bild „Der Chasseur<br />

im Walde“. Ein französischer<br />

Kavallerist bewegt sich ohne<br />

Pferd auf einen dunklen Winterwald<br />

zu. Ein Weg durch<br />

den Wald, den <strong>der</strong> im Verhältnis<br />

zu den Bäumen klein<br />

und verloren wirkende<br />

Mensch nutzen könnte, ist<br />

nicht erkennbar. Im Vor<strong>der</strong>grund<br />

hockt ein Rabe auf dem<br />

Stumpf eines gefällten Baumes.<br />

Die ausweglose Lage <strong>der</strong><br />

9<br />

französischen Politik nur wenige<br />

Monate nach <strong>der</strong> für Napoleon<br />

verlorenen Völkerschlacht<br />

bei Leipzig spiegelt<br />

sich auf eindrucksvolle Weise<br />

in dem Bild. Ein ganzer<br />

Schwarm von Raben bevölkert<br />

Friedrichs Bild „Nebelschwaden“<br />

(um 1820). Hier werden<br />

sie als To<strong>des</strong>boten gedeutet.<br />

Die Verwendung von Raben in<br />

<strong>der</strong> Kunstgeschichte lässt sich<br />

mit den Schlagworten <strong>des</strong><br />

Götter- und <strong>des</strong> To<strong>des</strong>boten<br />

beschreiben. Als intelligente<br />

Vögel, denen die Fähigkeit<br />

zum Sprechen zugeschrieben<br />

wird, stigmatisiert sie ihre<br />

vollständig schwarze Erscheinung,<br />

und die ihnen unterstellte<br />

Schwatzhaftigkeit lässt<br />

sie in Verbindung mit Dieben<br />

und Verrätern bringen. Ihr<br />

Erscheinen hat immer etwas<br />

Ambivalentes. In <strong>der</strong> Installation<br />

von Paul Thek sind zwei<br />

Raben verwendet. Es könnte<br />

sich um ein Männchen und –<br />

wie <strong>der</strong> angeheftete Fleischklumpen<br />

suggeriert – ein<br />

Weibchen handeln. Dies würde<br />

sich mit den Bemerkungen<br />

im Physiologus über die Krähe<br />

treffen. Es handelt sich um eine<br />

auf Griechisch (2. bis 4.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t vor Christi) verfasste<br />

Textsammlung mit<br />

wun<strong>der</strong>samen Geschichten<br />

über Tiere, Fabelwesen,<br />

Pflanzen und Steine die eine<br />

allegorische Deutung <strong>des</strong><br />

Heilsgeschehens ermöglichte.<br />

Rabe (Mann) und Krähe<br />

(Frau) bleiben sich nach diesem<br />

Text über den Tod hinaus<br />

treu und gehen keine neue<br />

Beziehung ein. Verstanden<br />

werden die Vögel als Sinnbild<br />

<strong>der</strong> christlichen Kirche, die ihrem<br />

Gatten Christus treu<br />

bleibt. Lei<strong>der</strong> wirkt das traute<br />

Paar bei Thek durch die Position<br />

<strong>des</strong> einen Vogels auf <strong>der</strong><br />

Schulter <strong>des</strong> an<strong>der</strong>en recht instabil.<br />

Fraglich ist auch, ob<br />

man als Betrachter nicht mit


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

jedem Schritt zum Objekt hin<br />

die Vögel vertreibt. Solange<br />

die beiden auf <strong>der</strong> Lehne <strong>des</strong><br />

Stuhls sitzen, erscheint eine<br />

praktische Umsetzung <strong>des</strong><br />

theoretisch möglichen Tragens<br />

ausgeschlossen.<br />

Dr. Marc Steinmann<br />

Mitglied im Leitungsteam von<br />

Kolumba, Kunstmuseum <strong>des</strong><br />

Erzbistums Köln<br />

Die Krähe<br />

Eine Krähe war mit mir<br />

Aus <strong>der</strong> Stadt gezogen,<br />

Ist bis heute für und für<br />

Um mein Haupt geflogen.<br />

Krähe, wun<strong>der</strong>liches Tier,<br />

Willst mich nicht verlassen?<br />

Meinst wohl, bald als Beute<br />

hier<br />

Meinen Leib zu fassen?<br />

Nun, es wird nicht weit mehr<br />

geh'n<br />

An dem Wan<strong>der</strong>stabe.<br />

Krähe, laß mich endlich seh'n<br />

Treue bis zum G<strong>rabe</strong>!<br />

Wilhelm Müller (1794-1827)<br />

Aus dem Lie<strong>der</strong>zyklus die<br />

Winterreise von Franz Schubert.<br />

Siehe: http://gutenberg.<br />

spiegel.de/buch/2577/12<br />

Die Aufnahme kam in vielen<br />

Nächten zustande<br />

In Nächten, weil Stille und<br />

Dunkelheit bei mir sowohl in<br />

<strong>der</strong> Stimme als auch in <strong>der</strong><br />

Aussprache hörbar wurden.<br />

Viele Nächte, weil ich den<br />

Text von Jean de Saint Samson<br />

je<strong>des</strong> Mal neu in seiner<br />

ganzen Länge sprechen musste,<br />

wenn ich unterbrochen<br />

wurde, o<strong>der</strong> selbst unterbrochen<br />

hatte.<br />

Unterbrechungen kamen<br />

durch ein Herausfallen aus<br />

dem Beziehungs-Kreis zu-<br />

10<br />

stande. Dadurch, dass jede<br />

innere Bewegung sofort hörbar<br />

war, wurden die Unterschiede<br />

zwischen den Sprechqualitäten<br />

„fließend“ und<br />

„steinig“ deutlich. Demgemäß<br />

bewegte sich meine Aussprache<br />

in o<strong>der</strong> außerhalb meiner<br />

Stimme. In den vereinten<br />

Momenten <strong>des</strong> Gelingens kamen<br />

also Stimme und Sprache<br />

aus meiner Erfahrung, und<br />

darin aus meiner Hingabe.<br />

Das äußerte sich dann in ornamentaler<br />

Beweglichkeit und<br />

Beziehungsaufnahme zwischen<br />

Sprache und Stimme.<br />

In an<strong>der</strong>en Momenten aber<br />

verschliffen sich die Konsonanten,<br />

und die Vokale bekamen<br />

Ecken, das heißt, die<br />

Klarheit und die Beweglichkeit<br />

war nicht mehr gegeben,<br />

die Beziehung ging verloren,<br />

die Ornamentik war unterbrochen.<br />

Ich konnte im Laufe meines<br />

geistlichen Lebens zunehmend<br />

meine Stimme und<br />

meine Sprache nicht mehr mit<br />

dem eigenen Willen steuern,<br />

es sei denn gewaltsam. Das<br />

aber ging nicht mehr, sonst<br />

wäre ich aus dem Beziehungsgeschehen,<br />

aus <strong>der</strong> Liebe, gefallen.<br />

Ich bin also beim Sprechen<br />

auf das Hineinhören in<br />

die Stimme, die sich mir darbietet,<br />

und auf ein kontemplatives<br />

Hineinhören in den Text<br />

angewiesen. Sowohl mein<br />

Schauspielstudium, als auch<br />

meine jahrzehntelange Tätigkeit<br />

als Sprecherzieherin<br />

konnten nichts Geformtes<br />

ausrichten, wenn es um die<br />

tieferen, sprich höheren Feinheiten<br />

im Stimm-Artikulations-Zusammenhang<br />

ging.<br />

Inhaltlich ließ ich mich auf die<br />

für mich männliche und sehr<br />

schöne abgründige Sprache<br />

von Jean ein. Der Text ist ein<br />

Gebilde, das aus <strong>der</strong> unaussprechlichen<br />

Gewaltigkeit <strong>der</strong><br />

Liebe kommt, tödlich am Individuum<br />

rüttelt und über alles<br />

Ahnbare hinaus führt.<br />

Und, obgleich bräutlich, ist er<br />

deutlich ergreifend und in einem<br />

heiligen Sinn gewalttätig.<br />

Das facht das Liebesfeuer an<br />

und thematisiert den Eros.<br />

Der Aspekt, dass je näher <strong>der</strong><br />

Mensch Gott kommt, umso<br />

erotischer es für den Menschen<br />

wird, war eine wichtige<br />

Erkenntnis. Wir hatten dadurch<br />

das Bedürfnis im Verborgenen<br />

zu lesen. Je<strong>der</strong> für<br />

sich alleine. Zunächst.<br />

Schließlich kamen wir dahin,<br />

dass wir die ersten Sätze<br />

übereinan<strong>der</strong>, beziehungsweise<br />

untereinan<strong>der</strong>, als eine Art<br />

geordnetes Flechtwerk lesen<br />

mussten.<br />

Aus diesem Ineinan<strong>der</strong>-Lesen<br />

kam dann je<strong>der</strong> von uns, also<br />

Braut und Bräutigam, mit<br />

dem Text von Jean, aus unserem<br />

Leben, aus dem Text von<br />

Jean, in unser Leben hervor.<br />

Sich beim Sprechen während<br />

<strong>der</strong> Tonaufnahmen zuzuhören<br />

ist für mich zum zärtlichen<br />

Zwiegespräch geworden.<br />

Die CD mit <strong>der</strong> Aufnahme zur<br />

Aufführung von DIE DUNK-<br />

LE STILLE finden Sie auf <strong>der</strong><br />

letzten Seite in diesem Jubiläumsheft<br />

<strong>des</strong> RABEN. Der<br />

Sprechfassung liegt die<br />

deutsche Übersetzung <strong>des</strong><br />

Epithalamium von Elisabeth<br />

Hense und Edeltraud Klueting<br />

zugrunde (siehe Hense / Klueting,<br />

Die dunkle Stille – Das<br />

Epithalamium von Jean de<br />

Saint-Samson als spirituelles<br />

Dokumentationstheater, St.<br />

Ottilien: EOS 2012, 59-114).<br />

Ursula Albrecht T.OCarm<br />

79100 Freiburg<br />

Kunst | Raum | Klang<br />

eine erweiterte Kunstbegegnung<br />

Seit einem Jahr arbeiten wir,<br />

Nadja Fernan<strong>des</strong> (Grafikerin)<br />

und Barbara Schachtner


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

persönlich kennen, sich wertfrei<br />

auf das, was ist, einzulassen<br />

ist bemerkenswert. Eine<br />

abschließende Gesprächsrunde<br />

zeigt oft, wie anrührend,<br />

sensibilisierend und weiterführend<br />

eine <strong>der</strong>artige Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit sich selbst<br />

und meinem Gegenüber anhand<br />

von - Kunst | Raum |<br />

Klang - sein kann.<br />

(Sängerin), an dem Projekt<br />

einer „erweiterten Kunstbegegnung“<br />

– Kunst | Raum |<br />

Klang – in Kolumba, dem<br />

Kunstmuseum <strong>des</strong> Erzbistum<br />

Köln. Mit diesem Vorhaben<br />

wollen wir anhand <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Architektur von Kolumba<br />

und die in ihr innewohnenden<br />

Ruhe, dazu einladen,<br />

die Kunst im Raum nicht<br />

nur visuell zu entdecken.<br />

Selbst von den Räumlichkeiten<br />

und <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Kunstausstellung<br />

sehr angesprochen,<br />

freuen wir uns über die Bereitschaft<br />

<strong>des</strong> Museum Kolumba,<br />

uns die Räume außerhalb<br />

<strong>der</strong> Öffnungszeiten zur<br />

Verfügung zu stellen. So wird<br />

es uns mit den Gruppen ermöglicht,<br />

in einem geschützten<br />

Rahmen, sich mit den<br />

Kunstwerken und den Räumlichkeiten<br />

<strong>des</strong> Museums auf<br />

spielerisch, künstlerische Art<br />

in Stimme und Bewegung<br />

auseinan<strong>der</strong> zusetzten. Dies<br />

geschieht anhand einer von<br />

uns geführten Begleitung, in<br />

dem wir uns im Vorfeld einen<br />

bestimmten Weg durch das<br />

Museum erarbeiten und zugleich,<br />

im Augenblick <strong>der</strong><br />

Führung selbst, auf die Stimmungen,<br />

Strömungen und<br />

Themen <strong>der</strong> jeweiligen Gruppen<br />

eingehen. Einzige Voraussetzung<br />

<strong>der</strong> Beteiligten hierfür<br />

ist, die Neugierde und die<br />

Lust, die Kunst auf experimentelle<br />

Weise zu ergründen.<br />

Das Sich-Einlassen auf den<br />

Augenblick. Ausgehend von<br />

den einzelnen Räumen und<br />

den sich darin befindenden<br />

Kunstwerken, den vielfältigen<br />

Licht- und Klangverhältnissen,<br />

wird die Kunst durch das<br />

Mittel <strong>der</strong> Stimm- und Bewegungsimprovisation<br />

und das<br />

»darüber Nachdenken und<br />

Sprechen«, einer dem Sehen<br />

zusätzlichen Art und Weise<br />

erschlossen und in entsprechen<strong>der</strong><br />

Form zum Ausdruck<br />

gebracht. Dies kann zu einer<br />

gewinnbringenden Erfahrung<br />

<strong>der</strong> eigenen Wahrnehmung<br />

und <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>des</strong><br />

Gegenübers führen. Kunst als<br />

Mittel für das Beziehungsgeschehen<br />

im Innen und im Außen.<br />

Die einzelnen Kunstbegegnungen<br />

konzentrieren sich auf<br />

den Zusammenhang, das Zusammenspiel<br />

aller oben aufgezählten<br />

Komponenten<br />

(Licht, Akustik, etc.) mit den<br />

im Museum gezeigten Kunstwerken.<br />

Inzwischen durften wir viele<br />

unterschiedliche Gruppen auf<br />

diese Art und Weise durch das<br />

Museum begleiten. Die Bereitschaft<br />

<strong>der</strong> einzelnen Personen,<br />

die sich zum Teil nicht<br />

Barbara Schachtner T.OCarm<br />

50679 Köln und<br />

Nadja Fernan<strong>des</strong> Grafik<strong>des</strong>ignerin<br />

50668 Köln<br />

Praktische Rhetorik<br />

Ein Bericht von Barbara Schachtner<br />

Seit 2009 unterrichte ich im<br />

Erzbischöflichen Priesterseminar<br />

in Köln Praktische Rhetorik.<br />

Bevor ich über den Schwerpunkt<br />

meiner Arbeit mit den<br />

Seminaristen und Diakonen<br />

zu sprechen komme, möchte<br />

ich zwei unterschiedliche<br />

Ausgangspunkte <strong>der</strong> Sprecherziehung<br />

benennen: den Medizinischen<br />

und den Künstlerischen.<br />

Zunächst ein paar Worte zu<br />

dem medizinischen Ansatz:<br />

Hier ist als erstes die Logopädie<br />

zu nennen - wo es Hauptsächlich<br />

um das Beheben von<br />

Sprachstörungen geht, wie<br />

Lispeln, Stottern o<strong>der</strong> organische<br />

Stimmprobleme, die eine<br />

klare Aussprache und Artikulation<br />

verhin<strong>der</strong>n.<br />

Das Zweite ist die reine<br />

Sprecherziehung und Stimmbildung<br />

- hierbei geht es vornehmlich<br />

um das Ausbilden<br />

<strong>des</strong> stimmgebenden und<br />

wortbildenden Werkzeuges.<br />

Das geschieht anhand von<br />

speziellen Artikulationsübungen,<br />

Vokalausgleichsübungen,<br />

Atemübungen, etc.<br />

11


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

Beide dienen <strong>der</strong> Grundlage<br />

für den Künstlerischen Ansatz,<br />

<strong>der</strong> meinen Schwerpunkt<br />

in <strong>der</strong> Arbeit mit den Seminaristen<br />

und Diakonen bildet.<br />

Dieser Ansatz, <strong>der</strong> sich an die<br />

Kunst bindet - die das tiefste<br />

Bedürfnis in sich trägt Verbindung,<br />

Anbindung zu schaffen<br />

- ist es, mit dem ich mich<br />

Hauptsächlich in meinem Unterricht<br />

auseinan<strong>der</strong>setzte. So<br />

wie es die Sprecher, Schauspieler<br />

und Sänger tun.<br />

An dieser Stelle möchte ich<br />

Joseph Beuys zitieren, <strong>der</strong><br />

sagte: „Je<strong>der</strong> Mensch ist ein<br />

Künstler“.<br />

Sie mögen jetzt denken – nun<br />

gut, es geht hier aber nicht<br />

darum Künstler zu sein, son<strong>der</strong>n<br />

um Praktische Rhetorik!<br />

Ja! Doch wenn wir betrachten,<br />

was Künstler-sein bedeutet,<br />

wird <strong>der</strong> Zusammenhang<br />

klar.<br />

Künstler sein heißt, die Fähigkeit<br />

zur hohen Achtsamkeit.<br />

Das bedeutet die Sensibilisierung<br />

<strong>des</strong> Erkennens von<br />

Zusammenhängen. Die Dinge<br />

und Geschehnisse in Beziehung<br />

zu stellen. Das gesprochene<br />

Wort in Beziehung zu<br />

mir zu stellen und <strong>der</strong> dadurch<br />

entstehenden Resonanz<br />

Ausdruck verleihen. Und weil<br />

es also ein Beziehungsgeschehen<br />

ist, ist die Aussage von<br />

Joseph Beuys hier vortrefflich!<br />

Denn <strong>der</strong> Priester befindet<br />

sich immer in Beziehung.<br />

Am Anfang war das WORT.<br />

Das Wort ein Beziehungsgeschehen<br />

zwischen Gott und<br />

mir. Zwischen meinem Innen<br />

und Außen. Ein Beziehungsgeschehen<br />

zwischen mir und<br />

meinem Gegenüber. Dieses<br />

Beziehungsgeschehen kann<br />

ohne Achtsamkeit nicht sein.<br />

Als Pförtnerin bei den unbeschuhten<br />

Karmelitinnen in<br />

Köln erlebe ich oft den Augenblick<br />

<strong>des</strong> „Türöffnens“ als<br />

eine Schule <strong>der</strong> Achtsamkeit.<br />

Die Tür zur Kirche im Priesterseminar<br />

Ohne zu wissen, wer o<strong>der</strong> was<br />

mich erwartet, gehe ich auf<br />

die große schwere Holztür zu.<br />

Es gibt keine Möglichkeit vor<br />

dem Öffnen <strong>der</strong> Tür einen<br />

Blick nach Außen zu tun um<br />

mich im Voraus auf mein Gegenüber<br />

einzustellen. Der<br />

Moment <strong>des</strong> Öffnens ist ein<br />

Augenblick <strong>des</strong> sich Einlassen<br />

auf die Begegnung. Jetzt -<br />

unmittelbar.<br />

Im Grunde verhält es sich<br />

auch so mit dem Wort. Und<br />

die entscheidende Frage stellt<br />

sich immer wie<strong>der</strong> aufs Neue:<br />

Lasse ich mich auf das Wort<br />

ein? Öffnen. Lausche ich <strong>der</strong><br />

Stille im Wort? Begegnung.<br />

Es gibt ein weiteres Beispiel<br />

das ich während meiner Ausbildung<br />

hörte und an das ich<br />

immer wie<strong>der</strong> denken muss.<br />

Und zwar: Das Lesen <strong>der</strong><br />

Worte ist wie ein Weg, bestehend<br />

aus einzelnen Steinen,<br />

<strong>der</strong> über einen Bach führt.<br />

Das bewusste Auftreten auf<br />

die Steine ist von Nöten, um<br />

nicht ins Wasser zu fallen.<br />

Auf das Lesen und Sprechen<br />

bezogen heißt das: Das Bleiben<br />

am Wort, das Voranschreiten<br />

von Wort zu Wort,<br />

ist von Nöten, um am Sinn,<br />

um im Grunde <strong>des</strong> Wortes zu<br />

bleiben.<br />

12<br />

Für einen Priester ist es daher<br />

wichtig am Wort voran-zuschreiten.<br />

Dran zu bleiben.<br />

Sich im Innern dafür offen zu<br />

halten. Es ist ein Sich- Zulassen<br />

im Wort, ein Wirken-<br />

Lassen, ein Sich-davon-<br />

Berührenlassen. Und diese<br />

Be-Rührung dann weiter zu<br />

geben.<br />

Niemand kann berühren, begeistern,<br />

entflammen, wenn<br />

dies nicht auch mit ihm geschieht<br />

o<strong>der</strong> geschehen ist.<br />

Das bedeutet wohl Authentizität.<br />

Solange ich nicht den Mut<br />

aufbringe mich dem Wort<br />

auszusetzen, von meinen Vorstellungen<br />

ablasse und ich<br />

mich folglich nicht einlasse,<br />

wird die Achtsamkeit, die für<br />

die Anbindung an das Wort<br />

Edith-Stein-Denkmal vor dem<br />

Priesterseminar<br />

wichtig ist, sich nicht bilden!<br />

Es mag im Kleinen, im Unscheinbaren,<br />

in <strong>der</strong> Stille beginnen.<br />

Die Stille, das Schweigen,<br />

ein Paradox zum Sprechen?<br />

Nein!<br />

Denn wie wi<strong>der</strong>fuhr es dem<br />

Propheten Elija am Berg Horeb,<br />

als er sich in <strong>der</strong> Höhle<br />

verbarg. Er begegnete Gott,<br />

dem Wort, nicht im Feuer,<br />

nicht im Erdbeben o<strong>der</strong> im


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

Sturm, son<strong>der</strong>n im sanften<br />

leisen Säuseln. Durch diese<br />

stille Berührung wusste er<br />

wie<strong>der</strong> zu handeln, wusste er<br />

wie<strong>der</strong> zu sprechen.<br />

Wenn sich also diese Erfahrung<br />

im Kleinen, im Stillen,<br />

im Unscheinbaren vollzogen<br />

hat, wird das Erlebte durch<br />

seine Resonanz hörbar nach<br />

außen dringen und entsprechend<br />

gestaltet werden. So<br />

findet <strong>der</strong> Sprechende seinen<br />

persönlichen Sprachduktus<br />

und Sprachfluss. Er erfährt<br />

seine kreative Stimmgebung,<br />

Akzentuierung und Pausengestaltung.<br />

Dann ist <strong>der</strong> Priester durchlässig<br />

für das Wort! Dann erreicht<br />

das Wort sein Gegenüber:<br />

Vom Ich zum Du.<br />

Vom Du im Ich zum Ich im<br />

Du.<br />

Ein Beziehungsgeschehen.<br />

Durch meine Tätigkeit als<br />

Sängerin, Regieassistentin<br />

und Sprecherin, durfte ich<br />

meine Ohren und meine Augen<br />

für diese Zusammenhänge<br />

schärfen.<br />

Doch erst die Schule <strong>der</strong> Achtsamkeit,<br />

die mein geistliches<br />

Leben for<strong>der</strong>t, eröffnete mir<br />

den Geschmack <strong>der</strong> Anbindung<br />

zum Wort. Dabei zeigte<br />

sich mir und zeigt sich mir<br />

immer wie<strong>der</strong> aufs Neue eine<br />

unendliche Weite und Tiefe<br />

an Möglichkeiten, die sich als<br />

Lebensaufgabe darstellt. Denn<br />

das Auseinan<strong>der</strong>setzten mit<br />

geistlichen, mystischen Texten<br />

for<strong>der</strong>t ein kompromissloses<br />

Einlassen. Lauheit lässt<br />

mich das Wort nicht erleben<br />

o<strong>der</strong> begreifen. Das Gegenteil<br />

ist es, dass mich in das Beziehungsgeschehen<br />

stellt: Das<br />

Wagnis, die Kühnheit <strong>des</strong> sich<br />

Einlassens.<br />

Abschließend möchte ich noch<br />

einmal das Bild <strong>der</strong> Tür aufgreifen:<br />

Stellen wir uns vor, wir sind<br />

die Angel, die fest im Türrahmen,<br />

im Mauerwerk, verankert<br />

ist und an <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um<br />

die Tür befestigt ist. Es gibt<br />

ein Sich-nach-Innen- und ein<br />

Sich-nach-Außen-Wenden.<br />

Die Größe <strong>der</strong> Tür, im Blick<br />

auf die Möglichkeit <strong>der</strong> Öffnung,<br />

hängt von <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong><br />

Verankerung <strong>der</strong> Türangel ab.<br />

Je tiefer also diese verankert<br />

ist, um so mehr Öffnung kann<br />

geschehen.<br />

Wir dürfen auf diese Tiefe vertrauen,<br />

uns darauf verlassen.<br />

Tagtäglich. Durch das Schärfen<br />

<strong>der</strong> Achtsamkeit im Beziehungsgeschehen.<br />

Von Wort zu<br />

Wort.<br />

Das ist es, was ich den angehenden<br />

Priestern vermitteln<br />

möchte, indem ich versuche,<br />

ihnen einen Weg zu eröffnen,<br />

sich selbst einen Raum zu bereiten,<br />

worin sie sich in diesem<br />

Beziehungsgeschehen erfahren<br />

und kräftigen können.<br />

Das Wort als Glaubenserfahrung!<br />

Von Innen nach Aussen<br />

und von Aussen nach Innen –<br />

Barbara Schachtner T.OCarm<br />

50679 Köln<br />

Die lebendige Liebesflamme<br />

WortMusikKomposition für zwei<br />

Sänger und Clavichord<br />

13<br />

Am 22. Juni 2012 trugen Barbara<br />

Schachtner T.OCarm und<br />

Jörg Golletz in <strong>der</strong> Kirche <strong>des</strong><br />

Kölner Karmelitinnenklosters<br />

Maria vom Frieden einem<br />

begeisterten Publikum ihre<br />

Lebendige Liebesflamme vor<br />

und wurden unmittelbar nach<br />

<strong>der</strong> Aufführung von den<br />

Schwestern eingeladen, diese<br />

Komposition ein zweites Mal<br />

am 16. August 2012 im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Festwoche zum Gedenken<br />

an den 70. To<strong>des</strong>tag<br />

von Edith Stein zu Gehör zu<br />

bringen.<br />

Schwester Ancilla, Priorin <strong>des</strong> Kölner<br />

Karmelitinnenklosters<br />

Die Aufführung begann mit<br />

einer Rezitation <strong>der</strong> Lebendigen<br />

Liebesflamme von Johannes<br />

vom Kreuz, wonach<br />

<strong>der</strong> gregorianische Choral Veni<br />

et ostende und Improvisationen<br />

über bekannte geistliche<br />

Lie<strong>der</strong> folgten. Im weiteren<br />

Verlauf wurden verschiedene<br />

Texte von Edith Stein<br />

sowie Texte aus <strong>der</strong> Klosterchronik<br />

und das Gebet einer<br />

unbekannten Karmelitin gesprochen<br />

und musikalisch<br />

umspielt. Schachtner und Golletz<br />

schöpften für ihre Textauswahl<br />

u.a. aus einem Vortrag<br />

von Sr. Ancilla OCD –<br />

Edith Stein. Der Weg nach<br />

Innen – und aus einer Publi-


Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />

Die Künstler Jörg Golletz uns Barbara Schachtner<br />

kation von Sr. Teresia Renata<br />

de Spiritu Sancto – Unter<br />

dem Zepter <strong>der</strong> Friedenskönigin.<br />

300 Jahre Kölner<br />

Karmel. 1637-1937. Musikalische<br />

Quellen <strong>der</strong> Künstler<br />

waren neben <strong>der</strong> Gregorianik<br />

auch die Biblischen Gesänge<br />

von Antonin Dvorak sowie<br />

Jüdisches Liedgut, ein Andachtsjodler<br />

und das Flos<br />

Carmeli.<br />

Die bewegende Lebensgeschichte<br />

von Edith Stein sowie<br />

berührende Momente aus <strong>der</strong><br />

Geschichte und Spiritualität<br />

<strong>der</strong> Schwestern werden den<br />

Zuhörern schmerzlich aber<br />

zuweilen auch tröstlich und<br />

heiter präsent. Sehr gelungen<br />

sind die Verbindungen von<br />

Wort und Musik, die den Zuhörer<br />

in die Tiefe führen und<br />

ihm einen neuen Geschmack<br />

an <strong>der</strong> Karmelspiritualität<br />

vermitteln. Schachtner und<br />

Golletz stellen mit dieser<br />

Komposition wie<strong>der</strong> einmal<br />

ihr außerwöhnliches Gespür<br />

für die spezifische Atmosphäre<br />

eines Aufführungsortes unter<br />

Beweis.<br />

Die Produktion Lebendige<br />

Liebesflamme wurde u.a. von<br />

ludi divini e.V. finanziell unterstützt.<br />

Elisabeth Hense T.OCarm<br />

47533 Kleve<br />

Impressum<br />

© Dritter Orden im Karmel –<br />

Johannes Soreth. Dieses Werk<br />

ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Die dadurch begründeten<br />

Rechte bleiben, auch bei nur<br />

auszugsweiser Verwertung,<br />

vorbehalten.<br />

ISSN 1861-4965<br />

Redaktion:<br />

Drs. Ing. Paul Menting T.OCarm.<br />

Dr. Elisabeth Hense T.OCarm.<br />

Dr. Edeltraud Klueting T.OCarm.<br />

Anschrift:<br />

Rehweg 15, 47533 Kleve<br />

E-Mail:<br />

paul.menting@tocarm.de<br />

Redaktionsschluss für die elfte<br />

Ausgabe: Juli 2013.<br />

14


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Symposium zu Maria Petyt<br />

11.-12. Oktober 2012 an <strong>der</strong><br />

Radboud Universität Nijmegen<br />

Im vergangenen Jahr hat Veronie<br />

Meeuwsen M.A. das Manuskript<br />

Vita Venerabilis<br />

Matris Mariae a Sta. Theresia,<br />

Arch. Post III 70 (ehemals<br />

Arch. Post III 118), 30r-49v<br />

transkribiert und mit Unterstützung<br />

von Dr. Rijcklof Hofman<br />

und Dr. Miceál O’Neill<br />

O.Carm. ins Englische übersetzt.<br />

1 Diese englische Übersetzung<br />

wurde kürzlich auf einem<br />

internationalen Symposium<br />

über Maria Petyt an <strong>der</strong><br />

Radboud Universität Nijmegen<br />

vorgestellt und mit viel<br />

Interesse im Kreis unserer<br />

Kollegen aus Belgien, den<br />

Nie<strong>der</strong>landen, <strong>der</strong> Schweiz,<br />

Deutschland und Italien diskutiert.<br />

Dass dieses Symposium überhaupt<br />

zustande kommen<br />

konnte, ist vor allem Dra.<br />

Esther van de Vate O.Carm.<br />

und Dr. Giovanni Grosso<br />

O.Carm. zu verdanken. Dra.<br />

Esther van de Vate O.Carm.<br />

hatte vor einigen Jahren den<br />

Vorschlag gemacht, das bislang<br />

unbeachtete Manuskript<br />

einmal genauer zu erforschen<br />

und Dr. Giovanni Grosso<br />

O.Carm., Generalpostulator<br />

unseres Ordens aus Rom, in<br />

<strong>des</strong>sen Archiv sich das Manuskript<br />

befindet, stellte Fotos<br />

<strong>der</strong> betreffenden Seiten<br />

zur Verfügung.<br />

Zwar wurde <strong>der</strong> Codex Vita<br />

Venerabilis Matris Mariae a<br />

Sta. Theresia bereits von Albert<br />

Deblaere in <strong>des</strong>sen Dissertation<br />

(1962) 2 kurz be-<br />

1 Siehe hierzu auch Der Rabe <strong>des</strong><br />

Elija 2011.<br />

2 Albert Deblaere, De mystieke<br />

schrijfster Maria Petyt, Gent 1962,<br />

17-18; siehe auch: Albert Deblaere,<br />

Maria Petyt, Écrivain et mystique<br />

flamande, in: Carmelus<br />

(1979), 13-14.<br />

schrieben, jedoch ging Deblaere<br />

mit keinem Wort auf den<br />

interessanten – vielleicht sogar<br />

brisanten – Inhalt <strong>der</strong> fol.<br />

30r-49v ein. Wer sich nun den<br />

Inhalt eben dieser Seiten einmal<br />

genauer anschaut, muss<br />

zu dem Schluss kommen, dass<br />

wir unser Bild von Maria Petyt<br />

als einer zurückgezogenen<br />

Klausnerin, die sich nur ihrem<br />

inneren Leben mit Gott hingab,<br />

gründlich revidieren<br />

müssen. Maria Petyt erscheint<br />

auf diesen Seiten als eine politisch<br />

bewegte Frau, die sich<br />

intensiv mit dem holländischen<br />

Krieg befasst hat und<br />

einen klaren politischen<br />

Standpunkt einnahm.<br />

Unser Symposium bot folgende<br />

Vorträge:<br />

• einen Vergleich zwischen<br />

Maria Petyt und Antoinette<br />

Bourignon, einer Zeitgenossin<br />

Marias, die teilweise<br />

an denselben Orten lebte wie<br />

Maria und ebenfalls nach<br />

neuen Formen für ihren geistlichen<br />

Weg suchte, wenngleich<br />

nicht im Karmel<br />

• eine Skizze <strong>des</strong> theresianischen<br />

Karmels in Belgien<br />

zur Zeit Maria Petyts, wobei<br />

Vergleiche angestellt wurden<br />

zwischen dem klausurierten<br />

Leben <strong>der</strong> Nonnen und dem<br />

neuen Lebensmodell Maria<br />

Petyts<br />

• eine Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

über die Frage, ob eine<br />

Mystikerin sich im Gebet mit<br />

Kriegsgeschehnissen befassen<br />

darf o<strong>der</strong> ob sie sich im Gebet<br />

von allen kriegerischen Handlungen<br />

zu distanzieren hätte<br />

• einen Einblick ins tägliche<br />

Leben <strong>der</strong> Maria Petyt,<br />

das auf Grund <strong>der</strong> 1999 wie<strong>der</strong>gefundenen<br />

Ordonnantien<br />

<strong>der</strong> Mechelsen Klause, die von<br />

Michael vom hl. Augustinus<br />

erstellt worden waren, rekonstruiert<br />

werden kann<br />

• eine Beschreibung <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>des</strong> Manuskripts<br />

15<br />

• eine eingehende Rekonstruktion<br />

<strong>der</strong> historischen<br />

Quellenlage zu den Fragen,<br />

warum Michael vom hl. Augustinus<br />

diesen Teil <strong>des</strong> lateinischen<br />

Manuskripts nie publiziert<br />

hat und warum dieser<br />

Teil bis heute im Archiv verborgen<br />

blieb<br />

• eine Analyse <strong>der</strong> Art<br />

und Weise, wie Maria Petyt<br />

auf diesen Folios mit <strong>der</strong> Frage<br />

<strong>der</strong> Unterscheidung <strong>der</strong><br />

Geister umgeht<br />

• einen Vergleich zwischen<br />

dem inneren Gebet <strong>der</strong><br />

Teresa von Avila (Seelenburg)<br />

und dem Gebet <strong>der</strong> Maria Petyt<br />

auf diesen Folios, das dem<br />

inneren Gebet in den vierten<br />

bis siebten Wohnungen <strong>der</strong><br />

Seelenburg entspricht.<br />

Alle Vorträge werden nun auf<br />

Grund unserer Diskussionen<br />

weiter ausgearbeitet und im<br />

nächsten Jahr publiziert. Damit<br />

<strong>der</strong> deutsche Leser sich<br />

schon jetzt einen ersten Eindruck<br />

von dem besagten Text<br />

aus dem lateinischen Codex<br />

verschaffen kann, bieten wir<br />

in <strong>der</strong> diesjährigen Ausgabe<br />

<strong>des</strong> RABEN eine deutsche<br />

Übersetzung seiner ersten Seiten<br />

(fol. 30r-37v).<br />

Elisabeth Hense T.OCarm<br />

47533 Kleve


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Das Leben <strong>der</strong> hochgeschätzten Mutter Maria von <strong>der</strong> heiligen Theresia<br />

Rom, Carm. Archiv, Post III 70 (ehemals Post III 118), 30r-37v.<br />

Übersetzung von Dr. Elisabeth Hense, Radboud Universität Nijmegen<br />

Das Manuskript ist an vielen Stellen beschädigt und dadurch nicht immer zu entziffern. Diese Stellen sind mit drei Punkten<br />

(...) markiert.<br />

30r<br />

Auf Gottes Geheiß schreibt sie ihrem geistlichen Vater mit <strong>der</strong> Bitte, dies geheim zu halten,<br />

solange sie lebt. Sie beginnt am siebten November 1672.<br />

Der Name <strong>des</strong> Herrn sei gepriesen von nun an bis in Ewigkeit. Soweit ich den Auftrag meines göttlichen<br />

Geliebten verstehen und beurteilen kann, habe ich meinen Stift zur Hand genommen, um das Folgende<br />

aufzuzeichnen. Es soll geheim und verborgen bleiben und ist nur für meinen geistlichen Vater bestimmt<br />

und nichts davon darf einem an<strong>der</strong>en direkt o<strong>der</strong> indirekt bekannt gemacht werden, solange ich lebe,<br />

damit kein schlechter Geist ein Mittel hierin findet, womit er mich in einer Zeit <strong>der</strong> Prüfung angreifen<br />

kann.<br />

Nachdem <strong>der</strong> Geist sie einen Monat lang im Innern verlassen hatte, kehrt er zurück. Sie wird<br />

zur innigsten Ruhe hingezogen, vom Geliebten in Besitz genommen und sie besitzt Ihn. Der<br />

Geist <strong>des</strong> Betens für den König von Frankreich und ihre mütterliche Liebe wird in ihr erneuert,<br />

wobei das Vorherige bestätigt wird.<br />

Als die innere Verlassenheit und Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, die ich Euer Ehrwürden in den Briefen vom<br />

sechzehnten und siebzehnten Oktober mitgeteilt habe und die etwa einen Monat gedauert hatten, aufhörten,<br />

ist in mir ein neuer Geist erwacht und aufs Neue angefacht, ein Geist, <strong>der</strong> sozusagen einige Monate<br />

in mir geschlafen hatte und verschwunden war und ohne Wirkung o<strong>der</strong> eine Wahrnehmung <strong>der</strong>selben<br />

war, nämlich von <strong>der</strong> Zeit an, als <strong>der</strong> König in sein Vaterland zurückkehrte.<br />

Zu Beginn hat <strong>der</strong> Geliebte mich in sich aufgenommen mit einer wahrnehmbaren und angenehmen<br />

Verdunklung <strong>des</strong> Lichtes und Glanzes seiner Göttlichkeit, eines Lichtes, das alle Kräfte meiner Seele erleuchtete<br />

und durchdrang. Einige Tage lang wurde ich zu einer tiefen innigen Ruhe im Geliebten hingezogen<br />

wie in einen Liebesschlaf, in dem alle Dinge vergehen, die Er nicht ist, und ich nichts an<strong>der</strong>es<br />

wahrnehme als seine Gegenwart. Einmal wurde ich sozusagen ganz von Ihm in Besitz genommen. Er<br />

besaß mich und ich besaß Ihn. Da drang <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens für den König von Frankreich wie<strong>der</strong> in<br />

mich ein wie zuvor, <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> sehr lebendig und kräftig zu wirken begann, um ihm beizustehen und<br />

ihn zu unterstützen. Und all die vorausgegangenen innerlichen .... Erleuchtungen, liebevolle Zuneigung<br />

zu diesem König, <strong>der</strong> mütterliche Geist etc. wurden mir wie<strong>der</strong>um ... mit einer erneuten Bestätigung ihrer<br />

Wahrheit gewährt.<br />

Der Geliebte stellt sie an die Seite jenes Königs, damit sie ihm hilft und ihn und sein Heer<br />

segnet. Sie wun<strong>der</strong>t sich über die Anweisung ... hinsichtlich <strong>des</strong> Königs, <strong>des</strong>sen Absicht – wie<br />

sie versteht – gottförmig ist.<br />

Ich bemerkte, dass <strong>der</strong> Geliebte mich an die Seite dieses Königs stellte und dass <strong>der</strong> Geliebte mich ihm<br />

zuneigte, als ob es meine Pflicht wäre, mit diesem König zusammen zu wirken: den Segen, den ich ihm<br />

auf Geheiß <strong>des</strong> Geliebten zuvor gegeben hatte, schenkte ich ihm und seinem Heer mit starker und lebendiger<br />

Liebe erneut. Seit dieser Zeit bleibt <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens für ihn beständig und ununterbrochen<br />

in mir. Was <strong>der</strong> Geliebte von mir zu verlangen scheint, tue ich freiwillig und biete ich aus mir<br />

selbst heraus an. In <strong>der</strong> innersten Tiefe wird es durch den Geist befohlen und aufgetragen … mit lebendigem<br />

Glauben, festem Vertrauen und starker Frömmigkeit ... was ich darbringen soll .... schöpfte ich<br />

alles aus dem geliebten Jesus, meinem Gott ... möge er die Kraft und Gnade erlangen, um seine Feinde<br />

zu überwinden.<br />

Ich verstehe nämlich innerlich, wozu seine Seele entschlossen ist und was seine Überzeugung ist, und<br />

dass <strong>der</strong> Eifer in Bezug auf Holland deutlich gottförmig ist. Er hat damit nichts an<strong>der</strong>es im Sinn als die<br />

Ehre und Herrlichkeit Gottes und die Bekehrung <strong>der</strong> Herzen. Viele beschuldigen ihn fälschlich und ....<br />

verbreiten ein gegenteiliges Urteil: wahrlich, die Urteile Gottes sind an<strong>der</strong>s, an<strong>der</strong>s als die <strong>der</strong> Men-<br />

16


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

schen. Eines Tages wird die Wahrheit enthüllt, weil Gott mit ihm sein wird und mit ihm ist und wir<br />

werden sehen, dass Gottes Kraft in ihm ist und mit ihm wirkt.<br />

30v<br />

Sie versteht, dass Jesus diesen König liebt und sie selbst liebt ihn wie ihr Kind. Sie liebt auch<br />

all seine Soldaten wie ihre Kin<strong>der</strong> und kümmert sich wie eine Mutter um sie. Sie liebt das<br />

Heer und sendet Engel etc.<br />

Ich habe gesehen und verstanden, dass dieser König von Jesus geliebt wird. Durch dieselbe Liebe wird<br />

er auch von mir geliebt wie ... ein Kind, das Jesus liebt. Darum sage ich, wenn ich für ihn bete, zu Jesus:<br />

Mein Geliebter, hilf Du Deinem und meinem Kind mit Deiner Kraft, Weisheit und Liebe. Und hieraus<br />

geht eine weitere Liebe hervor, die zu all seinen Untergebenen und Soldaten hinfließt, als ob sie alle<br />

meine Kin<strong>der</strong> wären.<br />

Mein mütterliches Herz ist sehr ergriffen und mein Mitgefühl für sie ist überaus stark, vor allem für die<br />

Schwachen ... so dass ich sie meinem Geliebten ans Herz lege, dass Er sie heilen und beruhigen möge<br />

etc., damit sie gewappnet sind und zum Kampf bereit. Ein an<strong>der</strong>er, wie vom Feuer <strong>der</strong> Liebe entzündeter<br />

Geist gibt dem König und seinen Soldaten den Mut, ihre Feinde nicht zu fürchten, so dass sie in<br />

Christi Namen und aus Liebe zu Ihm großmütig auf sie losgehen und ihnen den Sieg Jesu ansagen. Der<br />

Geist <strong>der</strong> Liebe bleibt mit meinem ganzen Herzen und meiner Zuneigung standhaft an <strong>der</strong> Seite <strong>des</strong> Königs<br />

von Frankreich und scheint die Armee gleichsam zu umringen und zu umfassen wie mit einer zugeteilten<br />

Kraft, die aus meinem Herzen und meiner innigen Liebe herrührt und hervorfließt. Der Geist <strong>der</strong><br />

Liebe trägt dem Geliebten auch die Bitte vor, ihnen sozusagen eine Schar von Engeln zu Hilfe zu senden<br />

und sie zu unterstützen.<br />

Aus dem göttlichen Herzen kommt eine Kraft, die aus ihr hervorfließt, um dem König von<br />

Frankreich zu helfen, von dem sie sagt, dass er wahrlich bekehrt ist. Der Geist <strong>des</strong> Betens für<br />

ihn dauert fort, während sie wahrnimmt, dass die göttliche Majestät sie hierzu ermutigt und<br />

ihr einen guten Ausgang versichert.<br />

Als ich etwa zwei o<strong>der</strong> drei Tage im Gebet war, sah ich, dass eine göttliche Kraft und Gnade aus dem<br />

göttlichen Herzen hervorströmte, die weiter zu fließen schien, um dem König von Frankreich zu helfen.<br />

... manche sagen, dass <strong>der</strong> König von Frankreich nicht wirklich bekehrt ist und dass er selbst die Türken<br />

ermutigt, um den König ... <strong>der</strong> Christen anzugreifen. Wenn dies wahr wäre, wie könnte Jesus den König<br />

dann so wahrhaft lieben, wie ich erkenne, dass ... Jesus ihn liebt.<br />

... November 1672 dauert <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens fort, wie ich oben bereits beschrieben habe, und mit<br />

unaufhörlicher ... und lebendiger, während ich die süße göttliche Majestät in mir wahrnehme, die mich<br />

... lockt und mir sehr großes Vertrauen, Hoffnung und Sicherheit bezüglich <strong>des</strong> guten Ausgangs gibt.<br />

Diese süße Majestät sehe und trage ich unaufhörlich im Gebet o<strong>der</strong> außerhalb <strong>des</strong> Gebetes in mir.<br />

Nichts kann mich daran hin<strong>der</strong>n, dass ich Sie wahrnehme, unablässig betrachte und mich an Ihr festhalte<br />

und voller Vertrauen und freundschaftlich mit Ihr umgehe und mit Ihr spreche. Denn <strong>der</strong> Geist,<br />

<strong>der</strong> ungebunden und frei von allem ist und sich von an<strong>der</strong>en Dingen losgelöst hat, kann sich im Innern<br />

<strong>der</strong> Seelenburg aufhalten: ganz so als wäre er abgeschieden von an<strong>der</strong>en Dingen, die vielfältig ... sind ...<br />

körperliche und sinnliche Dinge, die nicht vom Geist akzeptiert werden o<strong>der</strong> erlaubt sind. Denn alles<br />

zuvor Gesagte ... Geist <strong>der</strong> Liebe hervorgegangen und von <strong>der</strong> Einheit Gottes durchdrungen und daher<br />

ohne ... eins und dem göttlichen Geist gleich, <strong>der</strong> all die verschiedenen Auswirkungen zustande bringt.<br />

Entgegen ihrer natürlichen Neigung wird sie von Gott dazu bewegt, um für den Erfolg <strong>des</strong><br />

Königs von Frankreich zu beten, wobei ihr versichert wird, dass Gott ihm günstig gesinnt ist<br />

und dass er siegen wird. Sie betrachtet die feindlichen Heere als Fliegen. Mit ihrem Geist umfasst<br />

sie das Heer <strong>der</strong> Franzosen, so wie <strong>der</strong> Geist das vermag.<br />

Ich erfahre und bemerke, dass diese Auswirkungen in mir übernatürlich und sogar gegen meine natürliche<br />

Neigung geschehen. Denn <strong>der</strong> Natur nach neige ich mehr dazu, dem König <strong>der</strong> Spanier zu helfen, so<br />

dass ich seinen Waffen Erfolg wünschen möchte und hiernach verlange, weil er unser König und auch<br />

katholisch ist.<br />

17


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

31r<br />

Darum denke ich, dass Gott beschlossen hat, den König von Frankreich zu ehren und sein Reich auszubreiten<br />

und darum lässt er mich gegen mein natürliches Gefühl zu diesem König hinneigen und ich<br />

stehe an seiner Seite, um ihm zu helfen. Der Geist <strong>der</strong> Liebe und <strong>des</strong> Gebets setzt sich fort, wie ich hier<br />

oben beschrieben habe, jedoch wird mir mit größerer Ruhe und Intimität <strong>des</strong> Geistes auch gesagt und<br />

versichert, dass Gott sich an <strong>der</strong> Seite <strong>des</strong> Königs von Frankreich befindet und dass er darum über seine<br />

Feinde siegen wird. Hieran gibt es keinen Zweifel. Dies ist sicher und steht fest, sogar wenn es äußerlich<br />

an<strong>der</strong>s erscheint, nämlich wenn sich zwei o<strong>der</strong> drei starke Heere kräftiger, robuster und im Krieg erfahrener<br />

Soldaten gegen ihn aufstellen. In meinem Geist und meinem Herzen sind sie wie ein Schwarm<br />

Fliegen: ohne Kraft, ohne Stärke und ohne Macht, die sich mit Gottes Kraft und Seiner Autorität vergleichen<br />

ließe, die sich zum König von Frankreich und seinem Heer hinneigt und ihm wohlgesinnt ist.<br />

Der Geist verteilt sich und streckt sich aus über dieses Heer, indem er es sozusagen rundherum ergreift.<br />

Mein menschlicher Geist bewirkt dies nicht in mir, son<strong>der</strong>n es ist <strong>der</strong> Geist Gottes vereinigt mit meinem<br />

Geist, <strong>der</strong> dies in mir und durch mich und mit mir bewirkt. Dies geschieht in einem Zustand sehr<br />

gleichmütiger Ruhe und inniger Verbindung o<strong>der</strong> Vereinigung meines Geistes mit dem göttlichen Geist,<br />

ohne Worte, ohne Gedanken und beinahe ohne Vorstellung von etwas Körperlichem. Dieser Zustand ist<br />

zu edel und zu innig, als dass er irgendeine imaginative o<strong>der</strong> körperliche Vorstellung o<strong>der</strong> ein in Gott<br />

erkanntes o<strong>der</strong> erinnertes Bild zulassen o<strong>der</strong> vertragen würde. Als ob intellektuelle Visionen o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

(wie mir scheint) das höchste sind, was hier gestattet wird. Doch wenn ich etwas – ganz gleich wie viel<br />

und wo – von mir selbst dahinein mischen wollte, würde <strong>der</strong> Geist sogleich völlig verfliegen und würde<br />

umhüllt und ich würde in meine Natur zurückkehren. Ich brauche nichts an<strong>der</strong>es zu tun als in <strong>der</strong> Einheit<br />

mit dem göttlichen Geist zu bleiben und die göttliche Auswirkung zu erfahren. Es ist <strong>der</strong>selbe Geist,<br />

<strong>der</strong> seit so vielen Monaten in einer Weise betet, die nicht darzustellen ist. Wenn ich diese Dinge jedoch<br />

so deutlich in mir wahrnehme und erfahre, habe ich keinen Grund, warum ich nicht einen siegreichen<br />

Erfolg erwarten sollte und einen guten Ausgang im Vorteil <strong>der</strong> Franzosen. Da we<strong>der</strong> ein schlechter Geist<br />

noch eine solche Natur dies alles bewirken könnte, weiß ich das sicher.<br />

Sie wird sich <strong>des</strong> siegreichen Erfolges gewisser je länger sie in <strong>der</strong> Einheit ihrer Seele mit<br />

Gott verweilt. Und gegen den Anschein wird ihr aufs Neue <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> Franzosen zugesichert.<br />

Am zwölften <strong>des</strong> genannten Monats wird diese Sicherheit weiterhin in mir genährt wie zuvor: mit neuer<br />

... und Erleuchtung. Wenn <strong>der</strong> Geist in seiner Reinheit abnimmt und in tätiger Liebe verwelkt und ...<br />

Geliebten, dann verschwindet auch das Licht, die Sicherheit und <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens und ... aus Angst,<br />

dass sich von all diesen Visionen nichts erfüllen wird und sie in Rauch aufgehen werden, was ich durch<br />

... befürchtete, weil mir von <strong>der</strong> großen Macht und den sehr starken Heeren erzählt wurde ... die zusammengezogen<br />

wurden, um den König von Frankreich gemeinsam anzugreifen und ihn zu überwältigen.<br />

Darum sagte ich ... ohne jede Hoffnung, dass er entkommen könnte und in diesem Konflikt den<br />

Sieg erringen könnte.<br />

Nachdem ich meinen Willen gleichförmig und einförmig gemacht hatte mit dem Willen meines Geliebten,<br />

damit ich die Erniedrigung mit Gleichmut und Freude im Geist ertragen könnte, kehrte <strong>der</strong> Geist<br />

plötzlich zurück und verstärkte alles zuvor Gesagte ... und <strong>der</strong> Geist konnte nicht zurückgehalten werden,<br />

da er im Innern rief: <strong>der</strong> Sieg für die Franzosen, Sieg ... weil <strong>der</strong> Geist mehr o<strong>der</strong> weniger in Gott<br />

ist, ist er auch entsprechend größer o<strong>der</strong> weniger ...<br />

Wenn ihr Geist mit Gott vereint ist, ist ... größer... Das Erkenntnisvermögen, das mit dem<br />

göttlichen Erkenntnisvermögen vereint ist, sieht wie... Der Wille ist eins mit dem göttlichen<br />

Willen, wodurch sie auch ... will ...<br />

Wenn <strong>der</strong> menschliche Geist mit Gott o<strong>der</strong> mit dem göttlichen Geist vereinigt ist ...<br />

31v<br />

die Seele nichts weniger als Gott ersehnt o<strong>der</strong> will: wohin Gott sich wendet, dahin muss sich auch meine<br />

Seele wenden. Was Gott liebt, das liebt auch meine Seele. Wovon Gott sich abwendet, davon wendet<br />

sich auch meine Seele ab. Das ist auch nicht an<strong>der</strong>s möglich, weil Gott sie besitzt, bewegt, ausrichtet<br />

und mit ihr vereint ist. Mit Gott ist sie ein Sein, ein Wirken, ein Verstehen und ein Wollen.<br />

18


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Sie wird zu verschiedenen Weisen <strong>des</strong> Gebets für an<strong>der</strong>e bewegt: zum Fürbittgebet, zum Beten<br />

mit drängen<strong>der</strong> Liebe, zum vertrauensvollen Gebet <strong>der</strong> Braut, die vor dem Angesicht Gottes<br />

steht. Manchmal ist sie als Königin beim Geliebten, ausgestattet mit einer gleichwertigen<br />

Autorität, und sie schickt dem König von Frankreich den Erzengel Michael mit den Seinen zu<br />

Hilfe.<br />

Wie zuvor überkommen mich verschiedene Gebetsweisen: einmal ist es ein intimes Fürbittgebet im<br />

Geist, dann wie<strong>der</strong> ... und starke Liebe, dann wie<strong>der</strong> ein Beten in liebevoller Intimität und Freundschaft,<br />

wie sie innerlich einer Braut im Geist gegeben wird. Einmal wurde eine noch tiefer hineingezogen ...<br />

Der Geist befindet sich sozusagen vor dem Angesicht Gottes, eindringlich mit liebevollen Fürbitten betend,<br />

jedoch ohne bestimmte Worte zu bilden, ohne Gedanken. Dies Gebet geschieht im Geist durch<br />

den Geist ohne Mitwirkung an<strong>der</strong>er Kräfte. Dies Gebet könnte leicht studenlang dauern ohne zu ermüden,<br />

denn nach allem, was hiervon wahrgenommen wird, ist es <strong>der</strong> Geist Gottes selbst, <strong>der</strong> in mir und<br />

durch mich betet.<br />

Dass ich sage, dass mein Geist vor dem Angesicht Gottes steht, muss Euer Ehrwürden nicht verwun<strong>der</strong>n.<br />

Möge es Ihnen gefallen zu wissen, dass mein Inneres wie <strong>der</strong> Himmel ist, in dem Gott herrscht<br />

und in dem Er wahrnehmbar und erkennbar Seine Wohnung hat. Das ist so gewiss, als ob ich Ihn mit<br />

meinen eigenen Augen gesehen hätte, wenngleich ich dieser Himmel bin (<strong>der</strong> sich im Augenblick und<br />

bis jetzt mit so großer Reinheit und Herrlichkeit wie ein Gebiet manifestiert, dass ich es nicht in Worte<br />

fassen kann). Oft verdunkle ich diesen Himmel durch ungeschickte Aktivität o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Unvollkommenheiten.<br />

Da sieht <strong>der</strong> Geist seinen geliebten Gott sozusagen von Angesicht zu Angesicht, da wird sozusagen mit<br />

meinem Mund zu seinem Mund gesprochen, von Herz zu Herz, da wird es sozusagen gestattet, im Herzen<br />

Gottes – in etwas Göttlichem, das die Seele nicht erklären kann – zu ruhen und dorthin meine Zuflucht<br />

zu nehmen. Manchmal ist <strong>der</strong> Geist vor diesem göttlichen Angesicht wie ein entflammter und<br />

brennen<strong>der</strong> Funke ruhig und stark ... Liebe Gottes.<br />

Manchmal fühlt sich die Seele bei ihrem Liebsten mehr wie eine Braut o<strong>der</strong> auch wie eine Königin<br />

gleichsam … gestellt ... um Ehre zu erweisen, Ihn mit gleicher Macht und Autorität ... bittend ... ob es<br />

Ihm gefällt, den Erzengel Michael zum Heer <strong>der</strong> Franzosen zu senden ... und ihn ... sozusagen als General<br />

dieses Heeres mit <strong>der</strong> Menge zu dem an<strong>der</strong>en ... mit ihm ... <strong>der</strong> Feind schien mir innerlich zu antworten,<br />

wie viel ich musste ... damit Königin ...<br />

...<br />

Sie versteht, wie wichtig es ist, dass die Franzosen in dem drohenden Konflikt in Charleroi<br />

den Sieg davontragen und wie die Hollän<strong>der</strong> beabsichtigen … die Spanier ... beten, dass Belgien<br />

den Franzosen zufällt.<br />

32r<br />

Aufs Neue wird sie in ihrem Geist durch Gottes Geist zum Beten für den König von Frankreich<br />

bewegt, wobei sie sich passiv verhält, während Gott mit nachdrücklicher Fürbitte in ihr<br />

betete.<br />

Am vierzehnten November 1672 wurde mir zur Zeit <strong>der</strong> Vesper aufs Neue <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens für den<br />

König von Frankreich gewährt. Es war wie zuvor, das Gebet geschah nämlich in meinem Geist durch<br />

Seinen Geist, das heißt nicht durch meine eigene Aktivität o<strong>der</strong> Mitwirkung, son<strong>der</strong>n durch das, was<br />

Gott im Grunde meiner Seele bewirkt, während meine Seele sich passiv verhielt. Das Gebet geschieht<br />

sehr lebendig, nachdrücklich und unaufhörlich, und doch sehr ruhig, einfach und intim (soweit ich<br />

mich erinnern kann). Dies Gebet floss sehr edel und stark aus Gott hervor, sozusagen aus seiner Quelle<br />

o<strong>der</strong> seinem Ursprung, und floss wie<strong>der</strong> in Gott zurück, sozusagen zu seinem Ziel hin mit <strong>der</strong>selben Ruhe,<br />

dem Frieden und <strong>der</strong> Intimität und ohne die Vorstellung eines körperlichen Gegenstan<strong>des</strong>, ohne eine<br />

Form <strong>der</strong> Worte und Sinne, wobei ich nichts an<strong>der</strong>es unterscheiden konnte als Gott, zu Dem ich aufschaute<br />

und Den ich mit brennendem Geist und brennen<strong>der</strong> Sehnsucht liebte und um Erhörung bat.<br />

Der brennende Geist und die feurigen Sehnsüchte standen sozusagen offen vor Gott mit nachdrückli-<br />

19


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

chem und feurigem Fürbittgebet, fortwährend zu Gott hin fließend in einer ungeformten und innigen<br />

Weise, die ich mit Worten nicht an<strong>der</strong>s beschreiben kann.<br />

Ich sage, dass ich Gott und die an<strong>der</strong>en Einwirkungen unterschieden wahrnehmen konnte und mit einem<br />

an<strong>der</strong>en Sinn geschah das ununterschieden und ohne ein erkennen<strong>des</strong> Verstehen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong><br />

Intimität, im Weggezogensein von Bil<strong>der</strong>n und Formen, und ohne das Verschlucktwerden, in dem <strong>der</strong><br />

Geist stand und in das er aufgenommen war.<br />

Ihr Geist, <strong>der</strong> sozusagen ausgestreckt ist vor dem Angesicht Gottes, enthüllt anschließend mit<br />

großer Ehrfurcht ihre Sehnsüchte vor Gott, sozusagen das Herz Gottes dazu drängend, erhört<br />

zu werden.<br />

Einmal war <strong>der</strong> Geist mit großer liebevoller Lebendigkeit sozusagen extrem ausgespannt o<strong>der</strong> ausgestreckt<br />

vor dem göttlichen Angesicht. Und ehrfurchtsvolle Sehnsüchte <strong>der</strong> Seele stehen sozusagen offen<br />

vor Gott mit drängen<strong>der</strong> und liebevoller Zuneigung und mit einem Hindrängen zu Gottes Herzen, damit<br />

sie erhört werden, wie es dem Willen Gottes entspricht. Sie versteht, dass Gott die Dinge erhört, die Ihm<br />

von <strong>der</strong> Sehnsucht stillschweigend vorgelegt werden. Sie versteht ..., dass Gott in Seiner Macht auf diese<br />

Weise ans Werk geht, und dass die Sehnsucht aus Ihm hervorgeht und durch diese ... werden ... so dass<br />

sie auf diese göttliche Weise durch Gott zu Gott betet.<br />

Wie zuvor versteht sie auch, dass Gott sich keine Mühe machen würde, diese Dinge zu gewähren, wenn<br />

Er nicht auf diese Weise darum gebeten würde ... selbst Seinen Geist zu uns zu senden, damit wir mit<br />

unbeschreiblichen Seufzern bitten und fragen ...<br />

Der Geist, <strong>der</strong> so vor dem Angesicht Gottes ausgestreckt ist, erfährt verschiedene Einwirkungen<br />

im Denken und Lieben, ohne mit … zu kommunizieren ... Unmittelbar danach schien er<br />

dort zu schmelzen etc., doch geschieht dies auf verborgene Weise. Sie betet.<br />

Wenn <strong>der</strong> Geist nach innen gewandt sozusagen offen und ausgestreckt vor dem Angesicht Gottes steht,<br />

erfährt er doch verschiedene Einwirkungen im Denken und Lieben, womit er sich in Gott und durch<br />

Gott beschäftigt. Danach .. mit glühen<strong>der</strong> und ... Liebe, die sich nur in den höchsten Kräften regt, funkelt<br />

und strömt ... diese Einwirkung strömt nicht hinunter ... tief, so dass die unteren Kräfte damit ...<br />

haben ... außer sozusagen über einen langen Abstand etwas ergründen können von dem, was geschieht,<br />

und ... in einer Art Morgenröte.<br />

Manchmal scheint <strong>der</strong> Geist vor dem göttlichen Angesicht sozusagen zu schmelzen, zu verschwinden ...<br />

sich selbst; danach scheint er sich zu entgleiten in eine Art Tiefe hinein, sozusagen in eine Art ... von wesentlicher<br />

Nichtigkeit und Unwürdigkeit, sozusagen unwürdig zu erscheinen ... indem sie sich dem Gebet<br />

hingibt und von Ihm erhört wird. In dieser Hingabe und schweigenden Stille streckt sich <strong>der</strong> Geist<br />

also aus o<strong>der</strong> ... vor dem göttlichen Angesicht, als ob er es nicht wagt, vor dem Angesicht zu stehen und<br />

... so wie wir sagen aus großer Ehrfurcht sich fürchtend, Ihn anzuschauen ...<br />

32v<br />

... eine verborgene Weise, die ich nicht in Worte fassen kann, wie <strong>der</strong> Geist Fürbitten spricht und betet,<br />

zum Beispiel für den Erfolg <strong>des</strong> Königs, für die Bekehrung <strong>der</strong> Ketzer zum wahren Glauben etc. Und all<br />

diese Dinge bewirkt <strong>der</strong> Geist durch sich selbst, bewirkt er und sendet er durch übernatürliche Einströmungen<br />

und Erleuchtungen, die mir jetzt über alle Erwartungen hinaus in den Geist fließen wie zuvor<br />

im Zusammenwirken mit dem Geliebten, so dass Euer Ehrwürden die Unterscheidung <strong>der</strong> Geister auf<br />

all diese Dinge besser anwenden und handhaben kann.<br />

Sie wird von einem Geist <strong>der</strong> Liebe zu Jesus als ihrem Bräutigam bewegt und voll Vertrauen<br />

und Eifer setzt sie sich – beinahe in <strong>der</strong> Rolle einer Mutter – ein für die Bekehrung Hollands.<br />

Und in ihr wird ihr mütterliches Gefühl erneuert, die Hollän<strong>der</strong> zu bekehren.<br />

Am fünfzehnten <strong>des</strong> genannten Monats November 1672 begann <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Liebe sich nachmittags<br />

sehr angenehm und spürbar für Jesus, meinen Geliebten, und für den König von Frankreich und seine<br />

Untertanen zu regen. Zunächst regte er sich voller Vertrauen für Jesus, meinen Geliebten, als wäre ich<br />

Seine auserkorene und sehr geliebte Braut und könnte in vielen Gesprächen so mit Ihm umgehen, gestützt<br />

auf eine eifrige, eifersüchtige, törichte und beinahe wahnsinnige Liebe, mit <strong>der</strong> ich durch die Be-<br />

20


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

kehrung <strong>der</strong> Seelen von Holland Sein Ansehen und Seine Herrlichkeit verstärken wollte. Hierbei frischte<br />

sich die Erinnerung wie<strong>der</strong> auf, dass <strong>der</strong> Geliebte mich schon eher sozusagen zu ihrer Mutter gemacht<br />

hatte. Dadurch erneuerte sich in mir mein mütterliches Herz und meine Liebe für sie so wie zuvor.<br />

Viele Dinge kamen mir in den Sinn: dass ich meinen Geliebten bitten sollte, um für ihr Heil zu sorgen<br />

und dieses abzusichern, auch im Blick auf die französischen Soldaten. Sie waren mir alle so angenehm<br />

und ich liebte sie im Geist und Herzen, als wären sie alle gleichermaßen meine Söhne und ich ihre natürliche<br />

Mutter. Darum empfand ich zärtliches Mitleid mit ihnen, ganz als fühlte ich selbst ihre Unannehmlichkeiten,<br />

die Kälte, Entbehrungen, eben wie eine natürliche Mutter merkt, dass sie mitleidet …<br />

und die Unannehmlichkeiten, Schmerzen und den Mangel an Nahrungsmitteln ihrer Söhne wahrnimmt.<br />

... dem Geliebten viele liebevolle Klagen, dass meine Söhne all diese Unannehmlichkeiten, dieses<br />

Unrecht … Krankheiten etc. aus Liebe zu Ihm ertragen, um Ihm zu helfen und ... das Reich, die sie<br />

darum trösten muss und erneut mit innerlicher … Erquicken und erwärmen …<br />

Das Vertrauen und <strong>der</strong> Geist einer Königin kehren in sie zurück und entsprechend redet sie<br />

mit dem Geliebten und den Engeln. Sie bittet, dass Utrecht nicht eingenommen wird. Danach<br />

erschlafft <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens und <strong>des</strong> mütterlichen Handelns.<br />

Das Vertrauen und <strong>der</strong> Geist einer Königin kommen in mir auf, kräftig und lebendig … von so viel … Mit<br />

einem <strong>der</strong>artigen Geist sprach ich voller Vertrauen mit meinem Geliebten und mit den heiligen Engeln,<br />

ihnen sozusagen wie<strong>der</strong>um auftragend, dass sie eines <strong>der</strong> Reiche meines Geliebten in Holland gut bewahren<br />

und beschützen sollten und großherzig … gegen alle, die meinen Geliebten dort von Seinem<br />

Thron stürzen wollten und aus Seinem Reich...<br />

33r<br />

In <strong>der</strong> Intimität ihres Geistes hat sie den Eindruck, dass <strong>der</strong> Geliebte sich beklagt über das<br />

Vergießen unschuldigen Blutes in Holland und über das Unrecht, das Ihm von den Spaniern<br />

angetan wurde, die die Königsherrschaft in Holland behin<strong>der</strong>ten.<br />

Schon seit einigen Tagen bemerkte ich in meinem Innersten plötzliche Erleuchtungen und Eindrücke so<br />

wie ich sie bereits erklärt habe, als ich von einigen subtilen und verzehrenden Funken sprach, die im<br />

Grunde meiner Seele hervorgerufen wurden. Diese Funken und Eindrücke schienen mich zu erleuchten<br />

und mir seitens <strong>des</strong> Geliebten zu verdeutlichen, wie sehr Er Sich über das unschuldige Blut beklagte,<br />

das zu Unrecht auf beiden Seiten in Holland vergossen wurde, und über das Unrecht, das Ihm seitens<br />

<strong>der</strong> Spanier angetan wurde, die all ihre Kraft zu gebrauchen schienen und all ihre Macht einsetzten, um<br />

Jesus aus Seinem neuem Reich zu vertreiben. So sehr sie nur können schienen sie die Frieden stiftende<br />

Besitzergreifung Seines ersehnten Reiches und die Stärkung <strong>des</strong> katholischen Glaubens verhin<strong>der</strong>n zu<br />

wollen … Nicht dass die Spanier ausdrücklich diese Absicht haben, aber sie liefern den Ketzern ihre<br />

Waffen, um den französischen König zu vertreiben, und sie glauben den Versprechungen, die diese gottlose<br />

Nation ihnen gemacht hat, und hoffen, dass sie selbst Holland allmählich besetzen und schließlich<br />

ihrer Vorherrschaft ganz unterwerfen können. Wirklich, auf Grund <strong>der</strong> Dinge, die ich damals sah und<br />

erkannte, ist diese Hoffnung eitel und nichtig … durch die Wirkung, die folgen wird. Ich verstand auch,<br />

dass die Versprechungen <strong>der</strong> Ketzer und die Vorschläge, die sie <strong>der</strong> Königin machten, gegenstandslos<br />

sind, voller Listen und Irreführungen. Irgendwann wird die Königin viele ihrer Städte besetzen und darin<br />

walten. O<strong>der</strong>, wenn Gott es zulässt (was er verhüten möge), dass <strong>der</strong> König von Frankreich besiegt<br />

wird und aufgeben muss und ihm die eingenommenen Städte mit Waffengewalt entrissen werden, wird<br />

auch die spanische Besatzung nicht standhalten und ebenso wenig die Einheit, die die Hollän<strong>der</strong> und<br />

Spanier untereinan<strong>der</strong> vereinbart haben. Die Ketzer jedoch, die von ihren Feinden befreit und in ihrer<br />

früheren Kraft erstarkt sind, werden sich mit einigen an<strong>der</strong>en Feinden verbünden, um die Spanier und<br />

die katholische Religion zu vertreiben: bei welcher Gelegenheit und zu welchem Zeitpunkt <strong>der</strong> König<br />

von Frankreich … die Königin von Spanien wird auch in all ihrer Hoffnung, Erwartung und in den Versprechungen,<br />

die ihr gemacht wurden, enttäuscht werden …<br />

33v<br />

… und in dieser lobenswerten und gottförmigen Absicht Wi<strong>der</strong>stand geleistet gegen den König: und ihre<br />

vermeintliche gute Absicht wird sie bei Gott nicht entschuldigen, weil sie die Gewissheit <strong>der</strong> Gnade Got-<br />

21


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

tes und das Seelenheil Tausen<strong>der</strong> zu Gunsten <strong>der</strong> Ungewissheit zerstören und damit aufgeben, was jetzt<br />

stabil ist und seinen Platz hat. Sie vermengen ihren eigenen Gewinn mit <strong>der</strong> Ehre Gottes, die ihnen vorgehalten<br />

wird, so wie sie es erwarten, die aber auf Sand gebaut ist o<strong>der</strong> im Wind, die sie ergreifen wollen,<br />

ihnen jedoch zu ihrem großen Bedauern später, wenn es zu spät sein wird, aus den Händen weht.<br />

Ach, hätten die Ratgeber <strong>der</strong> Königin doch einen Blick dafür, <strong>der</strong> reinen und nackten Herrlichkeit Gottes<br />

und dem Seelenheil zur Seite zu stehen, doch wie mir schien, verwarf und verurteilte das göttliche<br />

Licht ihre Konzepte, Pläne und die Vereinbarung o<strong>der</strong> den beschlossenen Pakt mit den Hollän<strong>der</strong>n.<br />

Ich verstand auch, dass die Königin besser und geschickter für sich und wohlgefälliger für Gott gehandelt<br />

hätte, wenn sie das Angebot <strong>des</strong> Königs von Frankreich angenommen hätte. Dann hätte sie ihre<br />

Königsherrschaft zum Teil behalten und hätte mehr Nutzen davon gehabt als nun (irgendwann später)<br />

und <strong>der</strong> König hätte mit mäßigem Blutvergießen einen günstigen Ausgang erlangt und wäre mit seinem<br />

gottförmigen Plan und seinen Absichten vorangekommen. Hinzu kommt, dass zwischen den katholischen<br />

Königen eine größere Einheit, Friede und Eintracht bewahrt geblieben wäre, während nun offenkundig<br />

ein gewaltiger Hass, Uneinigkeit und Feindschaft zwischen ihnen zum Vorschein kommt, wodurch<br />

das ganze Vaterland verwüstet wird.<br />

Sie erklärt, welcher Art die hiervor genannten Einsichten waren, welche übernatürlich sind<br />

und welche nicht. Sie fürchtet die Spanier und schreibt hierüber gegen ihren Willen.<br />

Ich sage nicht, dass all diese Einsichten übernatürlich waren, doch von dem Zeitpunkt an, als die genannten<br />

Eindrücke in mir aufkamen, blieben alle verkosteten Einsichten beständig meinem Grund eingeprägt.<br />

Und wenn <strong>der</strong> Geist in mir wirkte, wurden sie in mir erneuert und als wahr bestätigt. Und sie<br />

bleiben … und fest in mir verwurzelt, dass ich sie nicht verwerfen o<strong>der</strong> leugnen kann.<br />

…<br />

Sie kehrt zurück.<br />

34r<br />

Am vierten Juli verstand ich, dass die Stadt Utrecht sich dem König von Frankreich ergeben hatte. Am<br />

selben Tag wurde mir ein Zeichen gegeben, dass <strong>der</strong> König die Hilfe und den Beistand <strong>der</strong> heiligen Engel<br />

erhalten hatte, nämlich am dreißigsten Juni. Darum sei Gott gepriesen in Ewigkeit.<br />

Für die Sünden <strong>des</strong> Königs von Frankreich erleidet sie sozusagen eine höllische Folter. Diese<br />

Folter beschreibt sie so gut es geht. Sie erleidet die Folter lange Zeit ohne eine Erleichterung.<br />

Nachdem mein Angebot, Buße zu tun für den König von Frankreich, angenommen war, gebrauchte <strong>der</strong><br />

Geliebte mich bis zum achten Juli, wie es scheint, damit ich für <strong>des</strong>sen Vergehen büßen und sogar höllische<br />

Strafen erleiden möge. Dies wurde mir ausnahmsweise auf eine gewisse Art gestattet und ich<br />

musste in meiner Seele eine bislang nicht gespürte Folter erleiden und sie erschien mir als eine höllische<br />

Strafe. Mir schien, dass unter meinem Herzen sozusagen ein Feuer entfacht wurde, wodurch mein<br />

Herz auf unaussprechliche Weise gequält und gefoltert wurde, ferner schien alles, was durch die Sinne,<br />

durch Hören, Sehen, Fühlen und Schmecken eindringen konnte und ebenfalls dasjenige, was durch die<br />

Vorstellung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sinnenhafte Vermögen eintrat, all dies, was ich hinter mir gelassen hatte,<br />

schien sich zu meinem Herzen zu neigen und es auf unaussprechliche Weise zu quälen. Außerdem<br />

schienen sich alle Geschöpfe gegen mich zu erheben, als ob sie von Gott wie Werkzeuge gebraucht wurden,<br />

um mich zu quälen. In allen Dingen und Geschehnissen fühlte ich einen extremen Wi<strong>der</strong>stand und<br />

Wi<strong>der</strong>streit. Mein höherer Teil war sozusagen bedeckt und beg<strong>rabe</strong>n in <strong>der</strong> Sinnenwelt <strong>der</strong> Natur und<br />

sozusagen untergetaucht im Meer <strong>der</strong> Bitterkeit. Manchmal war ich wegen <strong>der</strong> Heftigkeit <strong>der</strong> Strafen<br />

sozusagen außer mir und mein Verstehen war verdunkelt und durch die übermäßige Dauer litt ich wie<br />

ein Verbrecher. Meine Kräfte wurden jedenfalls von dem sehr großen Leiden im Geist und in <strong>der</strong> Natur<br />

verzehrt, ohne dass mir Erleichterung gewährt wurde.<br />

Danach wurde ich plötzlich durch eine angenehme und innige Begegnung und den Genuss <strong>der</strong> Gegenwart<br />

meines Geliebten ein wenig getröstet und gestärkt. Meistens befinde ich mich aber in qualvollen<br />

Zuständen, vor allem dadurch dass ich mein natürliches Leiden wahrnehme, das sozusagen wie<strong>der</strong> auflebt,<br />

ja es scheint sogar noch stärker zu sein als zuvor, vor allem bekomme ich den Eindruck, dass in mir<br />

plötzlich die Cholera aufflammen könnte. Und obwohl ich durch die Gnade Gottes diese Krankheit nicht<br />

bekomme, ist es für mich ein großes Kreuz, sie so lebensecht wahrzunehmen.<br />

22


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Sie wird von heftigen Leidensattacken ergriffen. Sozusagen sich selbst überlassen und betrübt<br />

bis in den Tod etc. hören die Qualen endlich auf, die sie teilweise für den König und<br />

teilweise als eine Übung <strong>der</strong> Demut auf sich genommen hat.<br />

Das Leiden, das ich fühle, ist wie eine Folter o<strong>der</strong> grausame Geißelung, die mich um so mehr quält, als<br />

ich es unterdrücken muss und seinen Attacken unaufhörlich Wi<strong>der</strong>stand bieten muss. Und weil ich ja<br />

eine schlechte o<strong>der</strong> unerwünschte Vorstellung wahrnehme, fürchte ich unmittelbar danach, dass ich<br />

mich in einer schlechten Lage befinde, denn diese sinnenhaften und heftigen Leiden sind sehr merkwürdig<br />

und ungewöhnlich. Darum weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Ob es nicht ein deutliches<br />

Zeichen <strong>der</strong> Schwäche ist auf dem Weg <strong>der</strong> Vollkommenheit, von dem ich meinte, dass ich bereits über<br />

... und dass ich mich <strong>der</strong> Vollkommenheit sehr näherte. Manchmal fürchte ich, dass ich jemandem ...<br />

ein großes Ärgernis. Darum fürchte ich mich sozusagen vor mir selbst und misstraue mir selbst ganz<br />

und gar.<br />

Das Leiden durch Traurigkeit ist nicht weniger heftig und ich kann es nicht abwenden. Meine Seele ist<br />

sozusagen ganz verwirrt und von innerer Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, Traurigkeit und Bedrückung durchdrungen.<br />

Ich scheine in gewisser Weise die Traurigkeit und Bedrückung zu erfahren, die Jesus im Garten<br />

aushielt, als er sagte: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. O, wie sehr …<br />

34v<br />

...! Wie weit bin ich von je<strong>der</strong> eitlen Einbildung entfernt! Was auch an Gutem in mir gewesen sein mag,<br />

es verfliegt hier, als wäre es nie dagewesen. Sogar das, was ich zuvor über den König von Frankreich geschrieben<br />

habe, kann mich nicht mehr trösten.<br />

Am elften Tag <strong>des</strong> genannten Monats hörte <strong>der</strong> leidvolle Zustand in <strong>der</strong> Sinnenwelt auf und ich fühle<br />

mich wie<strong>der</strong> wie zuvor: vollkommen angenehm und friedlich, vollkommen frei von den leidvollen Attacken<br />

und den Angriffen <strong>des</strong> unteren Teil. Und wenngleich ich es angestrengt versuchte, konnte ich <strong>der</strong>gleichen<br />

Empfindlichkeiten <strong>der</strong> Natur nicht verursachen. Diese schien sich bereits in einen an<strong>der</strong>en<br />

Menschen umgewandelt zu haben, wobei ich mir innerlich sicher war, dass ich die qualvollen Zustände<br />

wegen einer beson<strong>der</strong>en Anordnung und mit Zustimmung <strong>des</strong> Geliebten erlitten hatte, teilweise damit<br />

ich Buße tue für den König von Frankreich und teilweise, damit ich mich so besser in Demut bewahre.<br />

So wusste <strong>der</strong> Geliebte klug mit mir umzugehen, damit ich mich nicht eitel wegen Seiner Gaben erheben<br />

möge. Er stellt mich in mein Nichts und lässt mich mein Unvermögen erfahren.<br />

Nach einigem Wi<strong>der</strong>streben in ihrer Seele schreibt sie aus Gehorsam etwas über ihre innere<br />

Verfassung. Obwohl ihr befohlen war gegen die Franzosen in Holland zu beten, wird sie von<br />

einem göttlichen Geist dazu bewegt, zu <strong>der</strong>en Gunsten zu beten.<br />

Am sechsten Januar 1674, zur Ehre <strong>der</strong> allerheiligsten Dreifaltigkeit. Wenn Euer Ehrwürden das Verlangen<br />

haben, dass ich etwas schreibe von den Dingen, die mir innerlich zustoßen, werde ich tun, was<br />

ich kann und die Dinge aufschreiben, die mir einfallen. Ich fühlte diesbezüglich ein Wi<strong>der</strong>streben <strong>der</strong><br />

Seele, doch fühle ich mich jetzt schon sanft hierzu neigend, weil ich die Hoffnung habe, dass ich hierdurch<br />

die Gelegenheit bekomme, mich in Demut zu üben. Durch all diese Erbärmlichkeiten werden<br />

auch die an<strong>der</strong>en Dinge, die als meine Vollkommenheiten erscheinen und als Auswirkungen <strong>des</strong> Geistes,<br />

klein sein und nicht anerkannt werden. Diese Hoffnung lockt und reizt mich, um all meine Erbärmlichkeiten<br />

resolut zu verkünden.<br />

Als auf die Bitte Seiner Exzellenz, <strong>des</strong> Führers unseres Vaterlan<strong>des</strong>, ein allgemeiner Tag <strong>des</strong> Betens in<br />

allen Kirchen dieser Stadt angeordnet wurde, nämlich am Weihnachtsabend und am ersten und zweiten<br />

Weihnachtstag, damit auf dieses Gebet hin <strong>der</strong> Angriff gegen die Franzosen in Holland gelingen möge,<br />

bemühte ich mich, meine Gebete mit den an<strong>der</strong>en Gebeten zu verbinden und in dieser Intention zu beten.<br />

Aber mein Geist wollte sich nicht anpassen und mitwirken. Ich strengte mich an mit meinem Willen<br />

und meinem menschlichen Geist, so sehr ich konnte, um dem Auftrag <strong>der</strong> Oberen zu entsprechen.<br />

Am dreißigsten Dezember, nämlich am Fest <strong>des</strong> heiligen Johannes, schien <strong>der</strong> göttliche Geist in mir zu<br />

beten und mit unaussprechlichen Seufzern zu bitten und in mir auf ungewöhnliche und unerwartete<br />

Weise ganz im Gegensatz zum Auftrag und zur Intention unseres Prinzeps zu wirken. Zunächst wurde<br />

ich in diese außergewöhnliche und sehr große Einheit mit <strong>der</strong> Gottheit nach innen gekehrt und nach innen<br />

gezogen, wie ich diese bereits das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Jahr lang genossen hatte. In diese Einheit wurde<br />

23


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

ich unmittelbar mit einiger Kraft hineingestoßen, wobei ich mich selbst wahrnahm, wenngleich nicht<br />

auf grobe Weise, son<strong>der</strong>n auf sehr erhabene, spirituelle und edle Weise, nämlich in <strong>der</strong> Gestalt einer<br />

sehr zärtlichen und liebenden Braut, <strong>der</strong> erlaubt wird o<strong>der</strong> besser noch, die durch den göttlichen Geist<br />

auf solche Weise angeleitet wird, dass sie voller Vertrauen und in Freundschaft mit ihrem göttlichen Geliebten<br />

spricht und mit ihm Dinge behandelt, die ihn betreffen:<br />

35r<br />

Ich sah jedoch nicht die Menschheit Christi, son<strong>der</strong>n diese war umfasst und verborgen unter jenem<br />

höchsten Gut o<strong>der</strong> dem göttlichen Wesen, das sich mir zeigte und mir erlaubte, Es zu genießen, denn<br />

tausen<strong>der</strong>lei Visionen wurden in mir zugelassen, wenngleich nur intellektuelle.<br />

Die sehr zärtliche bräutliche Liebe gab mir das Vertrauen, meinen Geliebten zu bitten und zu Ihm zu<br />

beten, dass – weil Ihm selbst bekannt war, durch wen Seine Ehre und Herrlichkeit offenbart und das<br />

Gut <strong>der</strong> heiligen Kirche und das Heil <strong>der</strong> Seelen geför<strong>der</strong>t und unterstützt werden sollte, nämlich entwe<strong>der</strong><br />

durch das kaiserliche Heer o<strong>der</strong> durch das Heer <strong>der</strong> Spanier o<strong>der</strong> durch das Heer <strong>der</strong> Franzosen<br />

– dass Er selbst denen Seinen Segen erteilen möge, durch die das größte Heil geschehen sollte, und zudem<br />

dass Er gemäß Seiner göttlichen Vorsehung und Seinem liebsten Willen diesen helfen möge und<br />

ihnen den Sieg gewähren möge.<br />

Ich schien wahrzunehmen, dass Gott Sich dem Heer <strong>der</strong> Franzosen zuneigte, Sich ihm zuwandte und<br />

Sich von den an<strong>der</strong>en abwandte. Auf diese Weise suggerierte Er mir und gab mir die Hoffnung, dass Er<br />

den Franzosen Seinen Segen und Seine helfende Hand geben würde, damit so <strong>der</strong> Plan <strong>der</strong> göttlichen<br />

Vorsehung energisch bekräftigt würde, auch wenn dies nach menschlichem Ermessen gar nicht den Anschein<br />

hatte und es ganz so aussah, als würden die Franzosen unterliegen und von den außerordentlich<br />

starken Heeren <strong>des</strong> Kaisers und <strong>des</strong> spanischen Königs, die zum Anfall bereitstanden, nie<strong>der</strong>gemetzelt.<br />

Außerdem schien <strong>der</strong> Geliebte von mir zu verlangen, den Franzosen Seinen Segen zu übermitteln. Das<br />

tat ich auch dementsprechend und an<strong>der</strong>erseits schien ich unserem Heer einen Fluch zu übermitteln<br />

und zwar indem ich den unsrigen jede Einsicht, jeden Mut und jede Tapferkeit entzog. Ich tat dies nicht<br />

aus mir selbst heraus, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> göttliche Geist schien dies in mir und durch mich zu bewirken, ohne<br />

dass ich es verhin<strong>der</strong>n konnte.<br />

Sie bittet die Engel freundschaftlich um Hilfe für die Franzosen, ihr Erkenntnisvermögen<br />

wird mit dem göttlichen Erkenntnisvermögen vereint, wobei ihr die göttliche Mitwirkung für<br />

die Franzosen zugesichert wird.<br />

In dieser Zeit sprach ich auch sehr freundschaftlich mit den heiligen Engeln wie mit hilfreichen Geistern<br />

meines Geliebten, indem ich ihnen all meine Sorgen über die Umsetzung, die Ausweitung und die<br />

Beständigung <strong>der</strong> Königsherrschaft meines Geliebten anvertraute und sie zu diesem Ziel bat, persönlich<br />

da zu sein und denen in den Auseinan<strong>der</strong>setzungen zu helfen, die Gott hierzu auserkoren hatte. Dies tat<br />

ich mit soviel Vertrauen, Glauben und Freiheit <strong>des</strong> Geistes, dass ich über die Wahrheit all dieser Dinge<br />

nicht im Geringsten zweifeln konnte.<br />

Nach dem freundschaftlichen Gespräch und Austausch mit den Engeln wurde ich unaufhörlich nach innen<br />

gekehrt und gezogen in die zuvor erwähnte ... Einheit, nicht nur in eine Einheit meines Geistes mit<br />

dem Geist Gottes, son<strong>der</strong>n ... Einheit <strong>der</strong> höchsten Seelenvermögen, nämlich <strong>des</strong> Erkenntnisvermögens<br />

mit dem göttlichen Erkenntnisvermögen, <strong>des</strong> Erinnerungsvermögens mit dem göttlichen Erinnerungsvermögen<br />

und <strong>des</strong> Willens mit dem göttlichen Willen. Dies ist etwas an<strong>der</strong>es als was normalerweise als<br />

Einheit mit Gott verstanden und so bezeichnet wird. Um diese Einheit zu erklären, müsste Vieles gesagt<br />

werden von dem, was geschieht, was die Zeit jedoch nicht erlaubt ...<br />

In dieser Zeit wurde mir wie<strong>der</strong> ganz stark versichert, dass all diese Auswirkungen<br />

35v<br />

und Erleuchtungen und Gebetsweisen <strong>des</strong> Geistes etc., die sich bezüglich <strong>des</strong> Königs von Frankreich seit<br />

zwei Jahren in mir ereignen, in mir durch den göttlichen Geist hervorgerufen und geschehen sind. Für<br />

diese Wahrheit würde ich wohl so viel Tode erleiden wollen, wie ich Gliedmaßen an meinem Körper habe.<br />

24


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Der ganz und gar göttliche Geist betet weiterhin in ihr. Sie sieht in Gott, wofür Er möchte,<br />

dass gebetet wird: für die Kirche, gegen die Jansenisten, gegen die drohenden Ketzereien.<br />

Über die Art und Weise, wie sie betet.<br />

Der bewährte Geist <strong>des</strong> Betens dauerte viele Stunden ohne Unterbrechung o<strong>der</strong> Erschlaffung in mir an<br />

und ohne dass mich irgendetwas hin<strong>der</strong>te, mag sein dass ich mit den an<strong>der</strong>en das Offizium betete, mag<br />

sein dass ich von dort hierher durchs Haus zurücklief. Das Gebet geschieht nämlich ganz im Geist und<br />

durch den Geist und ist, wie mir scheint, ganz und gar übernatürlich. Alle Kräfte scheinen nämlich in<br />

ihrer natürlichen Wirkung aufgehoben zu sein, solange das Gebet dauert. Sie befinden sich in einem Zustand<br />

<strong>der</strong> Ruhe und Hingabe.<br />

Dieses Gebet ist ungewöhnlich, eindringlich und lebendig auf Gott ausgerichtet und in Übereinstimmung<br />

mit dem Gefühl <strong>der</strong> Liebe zu ihm. Da spricht die Seele nicht, sie fleht nicht, entschuldigt sich<br />

nicht höflich, drückt nichts aus und bittet im einzelnen auch für nichts als ob dies weit weg wäre, son<strong>der</strong>n<br />

sie sieht in Gott wie in einem Spiegel das, wofür Gott möchte, dass sie betet. Und Gott sieht auf<br />

gleiche Weise in <strong>der</strong> Seele die Dinge, nach denen sie verlangt o<strong>der</strong> verlangen möchte, ohne dass die Seele<br />

ausdrücklich vorträgt, was o<strong>der</strong> wie das sein könnte. Das ist ganz verborgen und implizit o<strong>der</strong> verschwiegen<br />

und eingeschlossen in diesen göttlichen Anblick und diese gleichförmige göttliche Liebe.<br />

Doch ist die Seele sich klar darüber, mit welchem Ziel <strong>der</strong> Geist so betet und bittet. Das war in diesem<br />

Fall für den Erhalt und für die Ausdehnung <strong>der</strong> Kirche. In diese Betrachtung o<strong>der</strong> diesen Liebesblick<br />

Gottes wird auch eine heftige und dringende Fürbitte hineingenommen, die sozusagen das göttliche<br />

Herz durchbohren will und darum nenne ich diesen Blick eindringlich und lebendig.<br />

Die Not <strong>der</strong> Heiligen Kirche, die mir vor Augen geführt wurde, war teilweise durch den Tumult und die<br />

Aufregung entstanden, die die Jansenisten in <strong>der</strong> Heiligen Kirche verursachten, indem sie ihre Lehren<br />

als große Beleidigungen, Beschimpfungen und Lästerungen gegen die Heilige Magd vorbrachten und<br />

den Gläubigen viele Irrungen aufdrängten. Teilweise war die Not auch durch den Anfall <strong>der</strong> Türken entstanden<br />

und teilweise durch den beginnenden Untergang <strong>des</strong> Glaubens in Holland: auch in diesem Vaterland<br />

war er in Gefahr. Denn wenige Tage zuvor, als ich zur heiligen Kommunion ging, wurde mir<br />

beim Wein <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>sturm gezeigt und die Gewalttaten in den Kirchen und gegen die heiligen Bil<strong>der</strong>,<br />

die anscheinend von Ketzern und solchen, die vom Glauben abgefallen waren, in diesen Gegenden begangen<br />

wurden. Nach diesen Eindrücken kam <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens in mich,<br />

36r<br />

um dieses höchste Unglück abzuwenden und hierfür durch das Opfer <strong>des</strong> kostbaren Blutes Christi beim<br />

ewigen Vater Abbitte zu tun. Dasselbe Opfer wurde mir auch in dem zuvor genannten Gebet aufgetragen,<br />

zusammen mit allerlei an<strong>der</strong>en Liebesäußerungen und liebevollen Worten für Jesus und den Ewigen<br />

Vater, die ich nicht mehr deutlich in Erinnerung habe.<br />

Als Braut spricht sie mit ihrem Geliebten und in Freundschaft mit den Engeln. Dabei betet<br />

sie für die Kirche und bittet darum, dass sich die Kaiserlichen und die Spanier zurückziehen<br />

mögen. Sie sieht, dass diese nichts erreichen.<br />

Als ich dann am dritten Weihnachtstag allmählich aus dieser überwältigenden Einheit entlassen und in<br />

die Verfassung und den Zustand einer sehr liebevollen Braut gestellt wurde, die vertrauensvoll und intim<br />

mit ihrem Geliebten umgeht, wie ich gesagt habe, da blieb ich über mich selbst hinausgehoben, jedoch<br />

nicht außerhalb meiner selbst. Damit meine ich: ich konnte mich selbst in Gott noch einigermaßen<br />

wahrnehmen und die Dinge unterscheiden und deutlich erkennen, die <strong>der</strong> Geliebte in mir und durch<br />

mich bewirkte und wollte, dass ich sie bewirkte: nämlich die sehr andächtige und liebevolle Betrachtung<br />

<strong>der</strong> göttlichen Gegenwart selbst, das Gebet für die heilige Kirche und das Opfer <strong>des</strong> kostbaren Blutes<br />

Christi, den Umgang und die freundschaftlichen Gespräche mit den heiligen Engeln, vergleichbar mit<br />

<strong>der</strong> königlichen Braut, die mit den Höflingen und Edlen ihres göttlichen Bräutigams vorzugsweise über<br />

die Dinge spricht, die das Glück und Gedeihen <strong>des</strong> Reiches ihres Geliebten betreffen.<br />

Als ich daher von meinem Geliebten vernommen hatte, dass die Spanier und die Kaiserlichen gegen Ihn<br />

und Seine Ehre und Seinen Ruhm agierten, gab <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Liebe den Engeln den Befehl, die Heere<br />

nie<strong>der</strong>zuschlagen und zu entkräften, indem sie ihnen die Kraft und den Mut nahmen, damit sie ihren<br />

Plan und ihr Vorhaben gegen das Reich meines Geliebten und gegen die heilige Kirche nicht umsetzen<br />

konnten. Ich fühlte, dass dies so geschah und unsere Führer nichts vermochten wie vor Charleroi. Seit<br />

25


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

jener Zeit erschien mir unser Heer im Geiste wie ein Schwarm Fliegen ohne Macht, ohne Kraft, weil<br />

Gott nicht bei ihm war. Dasselbe geschah wie<strong>der</strong>um am folgenden Tag <strong>des</strong> Betens, nämlich, dass unsere<br />

Führer mit all den Gebeten keinerlei Hilfe von Gott empfingen.<br />

Dies schrieb sie am sechsten Januar 1674, nachdem sich dieses an den Weihnachtstagen von 1673 zugetragen<br />

hatte.<br />

Sie sagt, dass <strong>der</strong> Kaiser und die Spanier Unrecht tun, indem sie den Hollän<strong>der</strong>n gegen die<br />

Franzosen helfen, und dass Gott sie strafen wird, weil sie die Franzosen in Holland behin<strong>der</strong>n.<br />

Euer Ehrwürden versichert mir, dass unser Führer so gute Absichten hat und dass <strong>der</strong> Kaiser ein frommer<br />

Mann ist. Doch wie es mir erscheint, verrichten sie keine frommen Taten, wie es sich für eifrige und<br />

katholische Führer gehört, die ihre Waffen gebrauchen müssten zur ... <strong>der</strong> heiligen Kirche und zur Ausrottung<br />

<strong>der</strong> Ketzer etc. Das Gegenteil <strong>des</strong>sen tun die Unsrigen, indem sie, soviel sie nur können, allen<br />

Erfolg und alle Ausbreitung unseres heiligen Glaubens in Holland verhin<strong>der</strong>n. Sie wollten nicht akzeptieren,<br />

dass die Hollän<strong>der</strong> mit dem König von Frankreich einen Rechtsanspruch und die Bedingungen<br />

aushandelten, unter denen katholische Kirchen in all ihren Städten erlaubt wären. Wie gesagt wird und<br />

anscheinend auch zutreffend ist, geschah dies aus Neid und Boshaftigkeit, damit dem König von Frankreich<br />

nicht die Ehre zukam, dass er die heilige Kirche in diesen Gebieten verstärkt hätte. Sie verhin<strong>der</strong>n,<br />

dass dieser König das ketzerische Volk etc. verwüstet und das Reich<br />

36v<br />

Jesu dort errichtet und verstärkt. Und inzwischen ist es nicht ihre Absicht, wenngleich es innerhalb ihrer<br />

Macht läge, viele Städte <strong>der</strong> Ketzer für sich einzunehmen o<strong>der</strong> bei den Staaten die Freiheit <strong>des</strong> katholischen<br />

Glaubens einzufor<strong>der</strong>n als Kompensation für die Unterstützung <strong>der</strong> Hollän<strong>der</strong>. Das hätte ihnen<br />

doch kaum verweigert werden können.<br />

Möge Euer Ehrwürden wissen, dass die Unsrigen das, was sie gesät haben, auch ernten werden. Gott,<br />

<strong>der</strong> die Herzen aller kennt, wird alle gemäß ihrer Werke belohnen und nicht nach dem Urteil <strong>der</strong> Menschen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Kaiser und unser Führer gemeinsam mit dem König von Frankreich Holland angegriffen<br />

hätten, o<strong>der</strong> sich zumin<strong>des</strong>t in <strong>der</strong> Unterstützung Hollands zurückgehalten hätten, wäre Holland in<br />

einem halben Jahr erobert und wäre alles in bester Ordnung und im Frieden und sehr christlich verlaufen,<br />

so wie <strong>der</strong> König von Frankreich ursprünglich mit Eifer, Frömmigkeit und lobenswerter Führungskraft<br />

über sein Volk vorhatte. Unsere bereits genannten Führer haben ihn allerdings wahrlich im höchsten<br />

Maße verbittert und erzürnt. Und daraus ist so viel Böses entstanden und wird auch noch so viel<br />

Böses in diesem Land folgen, wie jetzt ja bereits begonnen hat.<br />

Alles menschliche Zusammenwirken ist nichts wert, wenn Gott nicht mitwirken will. Und Gott wird<br />

nicht mitwirken und will in <strong>der</strong>gleichen Dingen nicht gegen seinen göttlichen Heilsplan und seine Verheißung<br />

mitwirken. Im Geist habe ich jenes Wort oft verstanden – „Himmel und Erde werden vergehen,<br />

aber mein Wort wird nicht vergehen“ – wenn ich den gegenteiligen Anschein eines guten En<strong>des</strong> etc.<br />

wahrnahm und gegen den König von Frankreich viele Gebetstage für einen guten Ausgang ihres Vorhabens<br />

und ihrer Ziele angesetzt wurden.<br />

Doch sehe ich seit einigen Monaten nicht, dass <strong>der</strong> König von Frankreich die Gunst Gottes und seinen<br />

Segen so sehr verdient wie zuvor. Denn Gott gibt mir nun diesbezüglich kein einziges Zeichen, er hält<br />

dies vor mir verborgen. Sogleich danach erreicht mich verbunden mit einem Geist <strong>der</strong> Kleinheit und<br />

Demut das intime Wissen und <strong>der</strong> süße Eindruck im Grunde meiner Seele, dass <strong>der</strong> Geliebte ihn als Instrument<br />

benutzt, damit er vollbringe, was Seine Majestät mir angekündet hat. Wie ich Euer Ehrwürden<br />

geschrieben habe, deute ich es: trotz <strong>der</strong> Tatsache, dass viele sehr schlecht über den König von Frankreich<br />

sprechen und Andeutungen über ihn machen, bleibt doch etwas Göttliches in meinem Grunde<br />

funkeln, dass jener mit <strong>der</strong> Zeit noch viel Gutes tun wird und Gott angenehm ist. Sie schrieb diese Dinge<br />

am fünfzehnten Januar 1674.<br />

Sie wird vom Geist <strong>des</strong> Betens dazu bewegt, dass Utrecht nicht von den Ketzern besetzt werden<br />

möge, und als Braut Christi befiehlt sie den Engeln. Und am Fest <strong>des</strong> heiligen Ludwigs<br />

wird sie dazu gezwungen, für den Sieg <strong>der</strong> Franzosen zu beten, dass dieser erfolgen möge.<br />

Eine Abmachung mit den Ketzern weckt den Zorn Gottes, wie sie vorhergesagt hat.<br />

26


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Ehrwürdiger und sehr geliebter Vater, mir ist noch etwas eingefallen, nämlich dass mein Geist … bewegt<br />

und gezogen wird, um stark und liebevoll darauf hinzuarbeiten, die Stadt Utrecht für die Heilige Kirche<br />

zu bewahren, wozu mir ein lebendiger und starker Geist <strong>des</strong> Betens eingegossen wurde, <strong>der</strong> schon beinahe<br />

vier Wochen den ganzen Tag über andauert ohne aufzuhören.<br />

Diese Art <strong>des</strong> Betens ereignet sich auf eine beson<strong>der</strong>e Weise. Es war mir nicht möglich, diese Weise, in<br />

<strong>der</strong> ich zum Gebet hingezogen wurde, zunichte zu machen, abzuweisen o<strong>der</strong> loszulassen. Denn aller Erfahrung<br />

nach ist dieses Gebet deutlich übernatürlich und außerhalb meines eigenen Gebets. Darum bete<br />

ich zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit einer wun<strong>der</strong>baren, demütigen<br />

37r<br />

liebevollen und dringenden Bitte. Dieses Gebet geschieht auf verschiedene Weise, aber am liebsten betet<br />

und bittet <strong>der</strong> Geist mit demütiger Zerknirschung, sich <strong>der</strong> göttlichen Majestät gegenüber sozusagen<br />

zunichtemachend mit unaussprechlichen Seufzern, mit wun<strong>der</strong>barem, lebendigem Glauben und starker<br />

Hoffnung auf Erhörung, mit brennen<strong>der</strong> Liebe, ohne viel Worte, nur mit einfacher Vergegenwärtigung<br />

Gottes und seiner Betrachtung, auf wesenhafte Weise, die göttliche Kraft und Allmacht anrufend und<br />

zugleich die Hilfe <strong>der</strong> heiligen Engel, manchmal in <strong>der</strong> Art und Weise, wie man einen Auftrag gibt, o<strong>der</strong><br />

wie eine Braut den Dienern ihres Geliebten einen Auftrag gibt, damit sie die Feinde <strong>der</strong> Kirche vertreiben,<br />

vernichten und besiegen. Dies geschieht mit großer Zuversicht, mit dem Vertrauen und <strong>der</strong><br />

Freundschaft einer Braut und zugleich mit großem Eifer und Einsatz, um für die Sache <strong>des</strong> Geliebten zu<br />

sorgen und sie zu verbreiten, für die er [<strong>der</strong> Geist] gerade einzig gelebt hat.<br />

Manchmal ist mein Geist in Gegenwart <strong>des</strong> Allerheiligsten Sakraments in einer außergewöhnlichen und<br />

beson<strong>der</strong>en Verfassung ( ich weiß nicht, wie ich dies nennen soll o<strong>der</strong> mit welchen Worten ich es erklären<br />

soll): er ist gleichsam ausgestreckt und über sein eigenes Wirken hinausgehoben – dorthin, wo <strong>der</strong><br />

göttliche Geist Jesu diesen sehr reinen, verzückten und über sich selbst hinausgestiegenen Geist in Besitz<br />

nimmt und in ihm wirksam ist mit dem Ziel, dass er beten und bitten möge, dass diese Stadt bei <strong>der</strong><br />

heiligen Kirche bleiben könne.<br />

Am Fest <strong>des</strong> heiligen König Ludwig, am 25. August 1676, und am vorausgegangenen Tag wurde ich oftmals<br />

innerlich bewegt und wurde bewegt auf diese Weise zu beten: „eile und widme dich dem Gebet,<br />

denn es ist Zeit.“ Als ob bereits ein Konflikt o<strong>der</strong> ein Ansturm unmittelbar bevorstand o<strong>der</strong> drohte.<br />

Mein Geist schien so lange im Gebet zu verweilen, wie <strong>der</strong> Konflikt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ansturm dauerte. Und danach<br />

verstand ich, dass unser Heer den Konflikt verloren hatte, bei dem viele Soldaten und berühmte<br />

Männer, wie ich glaube, in <strong>der</strong>selben Zeit, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Geist so eindringlich innerlich bewegt und zum Beten<br />

gedrängt wurde, den Tod fanden.<br />

Euer Ehrwürden meinte, dass die Stadt, wenn sie eingenommen wäre, zu den Spaniern gehen würde,<br />

doch mir schien deutlich das Entgegengesetzte. In meinem Grund gab es nämlich eine Aussage, dass<br />

dies ein Gerücht und unwahr war. Sehr liebhaben<strong>der</strong> Vater, ist es ein Wun<strong>der</strong>, dass <strong>der</strong> Geliebte die<br />

Nie<strong>der</strong>lage auf unserer Seite duldet? Denn wie lange hängen die Unsrigen schon an dem unfrommen<br />

Land und helfen ihm und provozieren sie den Zorn und die Empörung Gottes und rufen diese auf sich<br />

und auf das Vaterland herab?<br />

Schon seit vielen Jahren sehe ich im Geist, dass Gott den Bund und den Pakt mit den Hollän<strong>der</strong>n auf<br />

wun<strong>der</strong>bare Weise zurückweist und mit Wi<strong>der</strong>willen betrachtet. Und darum müssen sie, obgleich unschuldig,<br />

hierfür büßen, insbeson<strong>der</strong>e dafür, wie die Verhandlungen mit dem Grafen von Montus zum<br />

Erfolg führten, an den auch eine sehr große Drohung erging, weil er zu diesem Bund und Pakt sehr viel<br />

beigetragen hat und den Hollän<strong>der</strong>n geholfen hat, zusammen mit sehr vielen an<strong>der</strong>en, die nicht ungestraft<br />

davonkommen werden.<br />

Möge Gott Sorge tragen, dass die Strafe nur zeitlicher Art ist und dass ihre Seelen bewahrt bleiben.<br />

37v<br />

Gott zeigt seine Macht in <strong>der</strong> Besetzung Utrechts, dass er nicht vor den Ketzern weicht, während<br />

die Engel auf <strong>der</strong> Seite Frankreichs mitwirken.<br />

Danach brachte Herr Lucas, Kommissar <strong>des</strong> Königs in unserem Heer, uns die Nachricht, dass unser<br />

Heer sich aus Utrecht zurückgezogen hat und die Stadt mit Schande verlassen musste. O wie wun<strong>der</strong>bar<br />

zeigte Gott seine Allmacht in dieser Besatzung und was vermochten diejenigen, <strong>der</strong>en Hilfe bei Gott ist.<br />

Wun<strong>der</strong>bare Dinge wurden über sie erzählt, die doch zu Unrecht mehr dem Edelmut und dem Gespür<br />

<strong>der</strong> Franzosen zugeschrieben werden als <strong>der</strong> Mitwirkung und Hilfe <strong>des</strong> Allmächtigen.<br />

27


Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />

Unter an<strong>der</strong>em wird erzählt, dass die Laufgräben, die von den Unsrigen gemacht wurden, um die Festung<br />

<strong>der</strong> Stadt zu zerstören, zum Nachteil unseres Heeres explodierten, weil das Schießpulver zu früh<br />

angezündet und dabei eine große Verwüstung angerichtet wurde und sie viele abschlachteten, ohne dass<br />

die Festung <strong>der</strong> Stadt o<strong>der</strong> die Franzosen Schaden erlitten. Bei den Ausfällen aus <strong>der</strong> Stadt gegen die<br />

Belagerer von unserer Seite wurden tausende aus unserem Heer getötet und nur wenige <strong>der</strong> Franzosen.<br />

Auch wurde die Festung, die am Tage durch die Explosion <strong>der</strong> Kanonen verwüstet wurde, nachts wie<strong>der</strong>hergestellt.<br />

Im Ansturm <strong>der</strong> Ketzer, die die Stadt angriffen, um sie einzunehmen, schienen mit bestimmten<br />

Instrumenten die Hälse aller abgeschnitten zu werden. Auf diese Weise, so wurde erzählt, sei<br />

etwas <strong>der</strong>artiges noch nie geschehen. Ich meine, dass die heiligen Engel hier am Werk gewesen sind und<br />

als treue Diener Jesu diese ungewöhnlichen und wun<strong>der</strong>lichen Dinge bewirkt und dem großen und beängstigenden<br />

Ansturm eines so starken Heeres Wi<strong>der</strong>stand geboten haben.<br />

Ich erfahre bereits und sehe, dass dies wahr gewesen ist, was mir Ende April im Geist offenbart wurde:<br />

wie Gott Sich auf die Seite <strong>des</strong> französischen Heeres stellte und dass <strong>der</strong> König von Frankreich darum in<br />

all seinen Bemühungen siegreich war, obwohl unser Heer sicherlich dreimal so groß war wie sein Heer.<br />

Doch erschienen mir all die Truppen wie ein Schwarm schwacher Fliegen, die überall nie<strong>der</strong>fielen.<br />

Die Wahrheit dieser Offenbarung o<strong>der</strong> Vision blieb mir immer ohne jeden Zweifel gegenwärtig, ganz<br />

gleich welchen Anschein ... und was die Menschen sagten. ... Euer Ehrwürden ... suchte mich daran zu<br />

hin<strong>der</strong>n, dass ich betete. Doch vergeblich ist das menschliche Hin<strong>der</strong>nis, wenn Gott befiehlt und Er<br />

selbst Seine Befehle in <strong>der</strong> Seele und mit <strong>der</strong> Seele bewirkt und ausführt. Die Geheimnisse, die Pläne<br />

und die Urteile Gottes sind wun<strong>der</strong>bar und vor dem menschlichen Verstand verborgen. Darum müssen<br />

sie verehrt und angebetet werden. Dies schrieb sie am ... August 1676.<br />

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