der rabe des elija - DER DRITTE ORDEN DES KARMEL - johannes ...
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<strong>DER</strong> RABE<br />
<strong>DES</strong> ELIJA<br />
10 | 2012<br />
ISSN 1861-4965<br />
Zeitschrift <strong>des</strong> Dritten Orden im Karmel – Johannes Soreth<br />
www.dritterordenimkarmel.de<br />
Neue Antworten auf unsere<br />
Berufung – Der Dritte Orden<br />
im Karmel „Johannes Soreth“<br />
in Deutschland<br />
Vortrag auf dem „5th International<br />
Congress for Lay Carmelites“,<br />
17.-21. September 2012, in Sassone/Italien.<br />
Liebe Brü<strong>der</strong> und Schwestern<br />
im Karmel,<br />
zunächst möchte ich herzlich<br />
für die Möglichkeit danken,<br />
gemeinsam mit <strong>der</strong> internationalen<br />
Karmelfamilie über<br />
unsere Identität und unseren<br />
Dienst für die Welt nachzudenken.<br />
Zur Vorbereitung auf<br />
diesen Internationalen Kongress<br />
<strong>des</strong> Dritten Ordens im<br />
Karmel habe ich die an<strong>der</strong>en<br />
Mitglie<strong>der</strong> meiner Drittordensgemeinschaft<br />
„Johannes<br />
Soreth“ und unseren Provinzdelegaten<br />
gefragt: „Was haltet<br />
Ihr für bedeutsam genug, um<br />
es <strong>der</strong> internationalen karmelitanischen<br />
Familie mitzuteilen?“<br />
Es ist mir eine große<br />
Freude und Ehre, dass ich<br />
nun die Antworten gesammelt<br />
und strukturiert vorstellen<br />
darf. Es sind die Antworten<br />
<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> „neuen“<br />
Dritten Ordens in Deutschland,<br />
die sich in beson<strong>der</strong>er<br />
Weise dem sel. Johannes Soreth,<br />
dem Reformer <strong>des</strong> mittelalterlichen<br />
Karmelitenordens,<br />
verbunden fühlen.<br />
Neubeginn hat im Karmel eine<br />
durchaus historische Dimension.<br />
Seit <strong>der</strong> Ankunft <strong>der</strong><br />
ersten Eremiten Unserer Lieben<br />
Frau vom Berg Karmel in<br />
Europa hat <strong>der</strong> Karmelitenorden<br />
immer wie<strong>der</strong> die Kraft zu<br />
seiner Erneuerung bewiesen.<br />
Die Reformen im Karmelitenorden<br />
beziehen sich auf den<br />
einen Ausgangspunkt: die Regel<br />
<strong>des</strong> Patriarchen Albert.<br />
Jede Reform beruft sich auf<br />
die „formula vitae“ und sucht<br />
in ihrer jeweiligen Gegenwart<br />
<strong>der</strong>en unverän<strong>der</strong>liche Wahrheit.<br />
Im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />
Paul Falke, Marlene Falke-de Hoghe, Peter<br />
Mayer und Edeltraud Klueting rahmen<br />
die Skapuliermadonna in S. Maria in Traspontina<br />
und Generalprior Fernando ein<br />
1<br />
550-Jahr-Feier für die Bulle<br />
„Cum nulla“ entstand in<br />
Deutschland ein neuer Dritter<br />
Karmelitenorden – auch eine<br />
Reformbewegung. Der Neuanfang<br />
wurde am 3. Oktober<br />
2002 in Gel<strong>der</strong>n durch unseren<br />
Generalprior Joseph<br />
Chalmers genehmigt. Die Provinzleitungen<br />
<strong>der</strong> beiden Provinzen<br />
Oberdeutschland und<br />
Nie<strong>der</strong>deutschland approbierten<br />
seine Statuten „Vor deinem<br />
Angesicht“ „ad experimentum“<br />
und bestellten einen<br />
Provinzdelegaten für den<br />
Dritten Orden. Unser „Dritter<br />
Orden im Karmel“ existiert also<br />
seit zehn Jahren zur Bewährung<br />
und als Experiment.<br />
Aber es gibt in Deutschland<br />
ein geflügeltes Wort, das sagt:<br />
Nichts besteht so lange wie<br />
ein Provisorium. So hoffen<br />
auch wir auf ein langes Bestehen!<br />
Der neue Dritte Orden<br />
wurzelt tief in <strong>der</strong> Regel <strong>des</strong><br />
Patriarchen Albert und in dem<br />
spirituellen Reichtum <strong>des</strong><br />
Karmel. Wir sehen uns als Reformbewegung<br />
in <strong>der</strong> Tradition<br />
<strong>des</strong> großen mittelalterlichen<br />
Ordensreformers, <strong>des</strong><br />
sel. Johannes Soreth, und haben<br />
uns <strong>des</strong>halb seinem<br />
Schutz als Patron unterstellt.<br />
Wir sind jedoch nicht im Historischen<br />
verhaftet; wir richten<br />
den Blick nicht zurück,<br />
son<strong>der</strong>n schauen auf das<br />
Jetzt.<br />
Aus dem Inhalt<br />
Unsere Berufung S. 1<br />
Edeltraud Klueting<br />
Der Rabe in <strong>der</strong> Bibel S. 4<br />
Paul Menting<br />
Auf dem Strick <strong>des</strong> Judas S. 6<br />
Ursula Albrecht<br />
Der Kolk<strong>rabe</strong> S. 6<br />
Robert Cimiotti<br />
Paul Thek S. 7<br />
Marc Steinmann<br />
Die Aufnahme <strong>der</strong> CD S. 10<br />
Ursula Albrecht<br />
Erweiterte Kunstbegegnung S. 10<br />
Barbara Schachtner &<br />
Nadja Fernan<strong>des</strong><br />
Praktische Rhetorik S. 11<br />
Barbara Schachtner<br />
Supplement: S. 15<br />
Expert Meeting Maria Petyt<br />
Maria Petyts Aufzeichnungen über<br />
den Holländischen Krieg<br />
Elisabeth Hense<br />
Die Tradition wird so entgrenzt<br />
und transparent auf die
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
Gegenwart hin. Wir arbeiten<br />
als Karmelitinnen und Karmeliten<br />
an dem Ort, an dem wir<br />
stehen: in unserer Familie, an<br />
unserem Arbeitsplatz, an unserem<br />
Schreibtisch, überall in<br />
unseren gesellschaftlichen<br />
und beruflichen Zusammenhängen.<br />
Auf diese Weise antworten<br />
wir auf die Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
unsere karmelitanische<br />
Spiritualität im Alltag zu<br />
leben und zu bezeugen.<br />
Wer sind „wir“? Es handelt<br />
sich um eine kleine Gemeinschaft<br />
von sechs Personen.<br />
Kleine Gemeinschaften sind<br />
in Deutschland die Normalität,<br />
denn mancher Konvent<br />
<strong>des</strong> Ersten Ordens hat hier<br />
sogar weniger Mitglie<strong>der</strong>. Unserem<br />
Dritten Orden gehören<br />
an: eine Universitätsdozentin<br />
für Spiritualität; eine Regisseurin,<br />
die zugleich Lehrbeauftragte<br />
für christliche Mystik<br />
ist; eine Sängerin, die zugleich<br />
am Priesterseminar in<br />
Köln Praktische Rhetorik unterrichtet;<br />
ein Pastoralreferent,<br />
ein Arzt und eine Kulturmanagerin,<br />
die zugleich<br />
Lehrbeauftragte für Geschichte<br />
<strong>des</strong> Mittelalters ist.<br />
In unserer Organisationsform<br />
reagieren wir flexibel auf die<br />
Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
im allgemeinen und in<br />
den Ordensgemeinschaften<br />
im beson<strong>der</strong>en. Infolge <strong>der</strong><br />
Konzentration <strong>der</strong> Ordensnie<strong>der</strong>lassungen<br />
<strong>der</strong> Karmeliten<br />
auf wenige Zentren besteht<br />
heute nur noch in wenigen<br />
Städten in Deutschland die<br />
Möglichkeit zu einer direkten<br />
Anbindung <strong>der</strong> „säkularen<br />
Karmeliten“ an ein Kloster.<br />
Wenn man in den Fünfziger<br />
Jahren <strong>des</strong> vergangenen<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts noch sagen<br />
konnte, „eine Karmelitenkirche<br />
ohne ihren Dritten Orden<br />
ist wie ein Daheim ohne eine<br />
Familie“ (Mark Reuver), so<br />
gilt heute vice versa, dass diese<br />
Familie oft ihr Daheim verloren<br />
hat und dass die Gemeinschaft<br />
<strong>des</strong> Dritten Ordens<br />
ohne ein Karmelitenkloster<br />
auskommen muss. Bedingt<br />
durch berufliche, familiäre<br />
und an<strong>der</strong>e persönliche<br />
Gründe wohnen die Mitglie<strong>der</strong><br />
unseres „Dritten Ordens<br />
Johannes Soreth“ an unterschiedlichen<br />
Orten über die<br />
gesamte Bun<strong>des</strong>republik verstreut.<br />
Wir sind einzeln verortet:<br />
das betont das Eremitische<br />
unserer Existenz. Je<strong>der</strong><br />
einzelne führt an seinem Ort<br />
ein eremitisches Leben. Je<strong>der</strong><br />
einzelne hat seine persönliche<br />
Berufung als Karmelitin und<br />
Karmelit erfahren und auf<br />
diesen Ruf <strong>des</strong> Herrn geantwortet.<br />
Wir erfahren unsere<br />
Gemeinschaft so, dass wir uns<br />
in dieser Antwort auf den Ruf<br />
in den Karmel gegenseitig unterstützen.<br />
Darin sind <strong>der</strong> Erste,<br />
Zweite und Dritte Orden<br />
eingebunden, denn <strong>der</strong> Ruf in<br />
den Karmel und die formula<br />
vitae verbinden uns alle zu einer<br />
großen Familie. Wir haben<br />
alle den Auftrag, die Liebe<br />
Gottes zu leben. Wir unterstützen<br />
uns gegenseitig auf unserem<br />
geistlichen Weg, halten<br />
zur fortwährenden spirituellen<br />
Vertiefung Kontakt untereinan<strong>der</strong><br />
und zu den an<strong>der</strong>en<br />
Brü<strong>der</strong>n und Schwestern im<br />
Orden und treffen uns mehrmals<br />
im Jahr zu Kapiteltagen.<br />
Anhand von Texten aus <strong>der</strong><br />
Bibel und <strong>der</strong> Ordenstradition<br />
wird das eigene Charisma<br />
überdacht, weiterentwickelt<br />
und entfaltet.<br />
Wir haben uns als Mitglie<strong>der</strong><br />
<strong>des</strong> Dritten Ordens – Frauen<br />
und Männer, verheiratete und<br />
unverheiratete – nach einem<br />
einjährigen Noviziat mit einer<br />
gründlichen Ausbildung und<br />
geistlichen Begleitung durch<br />
ein öffentliches Versprechen<br />
an den Karmelitenorden gebunden.<br />
In <strong>der</strong> Zugehörigkeit<br />
zum Dritten Orden <strong>des</strong> Karmel<br />
finden wir die Möglichkeit,<br />
Partnerschaft, Familienleben<br />
und Freundschaften mit<br />
einem intensiven geistlichen<br />
Leben und <strong>der</strong> Zugehörigkeit<br />
zu einer spirituellen Gemeinschaft<br />
zu einem harmonischen<br />
Ganzen zu verbinden. Als bewusste<br />
Gegenbewegung gegen<br />
den Individualismus unserer<br />
mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft bietet<br />
<strong>der</strong> Dritte Orden für uns die<br />
Möglichkeit, „nicht nur in sich<br />
2
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
Auch in den Arbeitsgruppen bleibt ein Stuhl<br />
frei für Elija…<br />
3<br />
selbst, son<strong>der</strong>n ebenso auch in<br />
an<strong>der</strong>en Menschen einen Bezugspunkt<br />
für das eigene Leben<br />
zu finden und zu diesen<br />
an<strong>der</strong>en Menschen ein Band<br />
<strong>der</strong> Liebe und <strong>der</strong> Freundschaft<br />
zu knüpfen“. Kraft gewinnen<br />
wir aus dem Vertrauen,<br />
dass es seinen Mitglie<strong>der</strong>n<br />
gelingen möge, in Nachahmung<br />
<strong>der</strong> Apostel ein Herz<br />
und eine Seele zu werden<br />
(Apg 4,32). (Aus den Konstitutionen<br />
„Vor deinem Angesicht“).<br />
Unsere Aufgaben „inmitten<br />
<strong>der</strong> Welt“ nehmen wir Karmelterziaren<br />
in geschwisterlicher<br />
Verbundenheit mit den<br />
Brü<strong>der</strong>n im Ersten Orden <strong>des</strong><br />
Karmel wahr, in Gegenseitigkeit<br />
im Geben und Empfangen.<br />
Wenn ich nicht auch die<br />
Schwestern im Zweiten Orden<br />
nenne, so liegt das einfach<br />
daran, dass es in Deutschland<br />
nur zwei sehr kleine Schwesternkonvente<br />
mit sehr alten<br />
Mitglie<strong>der</strong>n gibt. Die Einheit<br />
<strong>der</strong> karmelitanischen Familie,<br />
für uns speziell also im Ersten<br />
und im Dritten Orden, macht<br />
<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> füreinan<strong>der</strong><br />
transparent und vereint sie alle<br />
in ihrer Vielfalt. Wir verstehen<br />
uns als Multiplikatoren,<br />
denn je<strong>der</strong> wirkt an dem Ort,<br />
an dem er steht. Unsere Berufung<br />
als Karmeliten sehen wir<br />
als einen Appell, auf den wir<br />
eine freie und verantwortliche<br />
Antwort geben.<br />
Wie sieht das nun aus, dieses<br />
„Wirken an dem Ort, an dem<br />
wir stehen“? Hier wird die<br />
„Berufung als Karmelit/Karmelitin“<br />
konkret. Beispielhaft<br />
möchte ich das an<br />
einzelnen gemeinsamen Projekten<br />
verdeutlichen. Hier<br />
bringt je<strong>der</strong> von uns die Talente<br />
und Fähigkeiten ein, die<br />
ihm geschenkt sind. Unser<br />
Anliegen ist es vor allem, die<br />
mystische Tradition <strong>des</strong> Karmel<br />
im Heute und Jetzt fruchtbar<br />
zu machen. Denn viele<br />
Menschen suchen heute nach<br />
dem Sinn <strong>des</strong> Lebens und finden<br />
in <strong>der</strong> christlichen Botschaft<br />
nicht mehr das, was sie<br />
suchen. Die Mystiker <strong>des</strong><br />
Karmel haben mit ihren Texten<br />
zu allen Zeiten so wun<strong>der</strong>bare<br />
Erfahrungen mitgeteilt,<br />
die vielen Menschen auch<br />
heute einen Ausweg aus ihrer<br />
Existenzangst, aus Nihilismus<br />
und Zynismus zeigen können.<br />
Nur ist die Sprache dieser<br />
Texte heute oft so unverständlich,<br />
dass sie wie eine Fremdsprache<br />
in unsere Gegenwart<br />
übersetzt werden muss. Wie<br />
sehen diese Texte aus <strong>der</strong><br />
Tradition <strong>des</strong> Karmel heute<br />
aus? – das ist unsere Leitfrage.<br />
Wir „übersetzen“ dabei<br />
gleich mehrfach – aus dem<br />
Französischen ins Deutsche,<br />
aus <strong>der</strong> Sprachform vergangener<br />
Jahrhun<strong>der</strong>te ins Heute,<br />
und wir „übersetzen“ in die<br />
Sprache <strong>des</strong> Musiktheaters.<br />
Ein Beispiel dafür sind die<br />
Produktionen <strong>des</strong> „Theaters<br />
<strong>der</strong> Stille“ unserer Regisseurin.<br />
Sie hat u. a. die beiden<br />
Projekte „Die Kammer <strong>der</strong><br />
Andacht“ und „Die Dunkle<br />
Stille“ produziert. Zugrunde<br />
lagen Texte <strong>der</strong> Karmeliten<br />
Franciscus Amelry und Jean<br />
de Saint-Samson aus dem 16.<br />
und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t. Beide<br />
Texte waren nur wenig bekannt<br />
und mussten in ihrer<br />
Bedeutung erst gehoben werden,<br />
es waren Rohdiamanten,<br />
die erst durch einen Schliff in<br />
vollem Glanz erstrahlen. Zwei<br />
Mitglie<strong>der</strong> unserer Gemeinschaft<br />
haben die Texte wissenschaftlich<br />
bearbeitet und<br />
aus <strong>der</strong> jeweiligen Originalsprache,<br />
dem Nie<strong>der</strong>ländischen<br />
<strong>des</strong> 16. und Französischen<br />
<strong>des</strong> 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
ins Deutsche übersetzt. Und<br />
dann haben wir die Texte<br />
auch so geschmeidig an unsere<br />
heutige Sprache angeglichen,<br />
dass Sänger und Schauspieler<br />
mit ihnen umgehen<br />
können. Das war die Grundlage<br />
für die Produktion, dann<br />
kamen die Regisseurin, Sänger,<br />
Schauspieler und Bühnenbildner<br />
dazu – und hörten<br />
nur auf die Texte, ließen sich<br />
von ihnen berühren und spürten<br />
dem nach, was die Texte<br />
in ihnen bewirkten. Das ist<br />
das Prinzip <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Musiktheaters, dass es keine<br />
„fix und fertige“ Rolle gibt, die<br />
ein Sänger o<strong>der</strong> Schauspieler<br />
auswendig lernt und „spielt“,<br />
son<strong>der</strong>n dass je<strong>der</strong> Mitwirkende<br />
in je<strong>der</strong> Aufführung in<br />
eine individuelle, immer wie<strong>der</strong><br />
neue Beziehung zum Text<br />
und zu seinen Mitspielern<br />
tritt. Dabei ist unverzichtbar<br />
das „Hören“ – das Hören auf<br />
das eigene Berührtsein, auf<br />
die Resonanzen im eigenen<br />
Innern, aber auch das Hören<br />
auf das Gegenüber und sein<br />
Berührtsein. Die Performer<br />
geben dabei viel von ihrem eigenen<br />
Inneren preis und beziehen<br />
das Publikum mit ein –<br />
und das erfor<strong>der</strong>t nach dem<br />
Ende <strong>der</strong> Vorstellung eine intensive<br />
Diskussion aller Beteiligten<br />
mit dem Publikum, die<br />
je<strong>des</strong>mal für alle sehr, sehr<br />
bereichernd ist. Damit lassen<br />
sich auch Menschen erreichen,<br />
die um Antworten auf<br />
die Frage nach dem Sinn <strong>des</strong><br />
Lebens ringen, die sie jedoch<br />
nicht in <strong>der</strong> Kirche suchen.
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
Durch das Berührtsein durch<br />
die mystischen Texte machen<br />
sie jedoch eigene Erfahrungen.<br />
So ist das Theater ein Teil<br />
unseres Kerygma, unserer<br />
Verkündigung. Höhepunkte<br />
unserer Aufführungen waren<br />
z. B. <strong>der</strong> Weltjugendtag in<br />
Köln – dazu wurde unser Text<br />
ins Englische übertragen –<br />
und das Jubiläum <strong>des</strong> Titus-<br />
Brandsma-Instituts in Nijmegen,<br />
aber auch Aufführungen<br />
in Karmelitenkirchen. Um das<br />
Projekt im fachlichen Diskurs<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Wissenschaften<br />
fruchtbar zu machen,<br />
verfassen die beiden Texteditorinnen<br />
und Übersetzerinnen<br />
nach einiger Zeit eine Dokumentation<br />
über jede Theaterproduktion.<br />
Vieles wird aber auch in unserer<br />
eigenen Zeitschrift publiziert,<br />
die den Titel „Der Rabe<br />
<strong>des</strong> Elija“ trägt. Unser „Rabe“<br />
kann in diesem Jahr ein kleines<br />
Jubiläum feiern, weil er<br />
10 Jahre alt wird. Der „Rabe“<br />
wird von vielen Universitätsbibliotheken<br />
abonniert und ist<br />
auch im Internet präsent. Auf<br />
unserer Website gibt es dafür<br />
einen Downloadbereich. Die<br />
Website gestaltet und aktualisiert<br />
unser Webmaster, <strong>der</strong> im<br />
Hauptberuf Arzt ist.<br />
Zum Schluss sei noch ein ganz<br />
an<strong>der</strong>s geartetes Beispiel für<br />
Kooperation erwähnt. Es ist<br />
das Gemeinschaftsprojekt von<br />
Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> Ersten und<br />
<strong>des</strong> Dritten Ordens, ein Klosterbuch<br />
<strong>der</strong> Karmelitenklöster<br />
in Deutschland von den Anfängen<br />
bis heute. Es entsteht<br />
unter <strong>der</strong> Protektion <strong>des</strong> Institutum<br />
Carmelitanum mit seinem<br />
Praeses P. Giovanni<br />
Grosso O.Carm. Es wird gemeinsam<br />
konzipiert und herausgegeben<br />
von einem Team<br />
aus zwei Mitglie<strong>der</strong>n <strong>des</strong> Ersten<br />
Ordens und einem Drittordensmitglied,<br />
als Autoren<br />
für einzelne Beiträge sind dabei<br />
u. a. auch Karmeliten und<br />
Karmelitinnen bei<strong>der</strong> Ordenszweige<br />
beteiligt. Auch an diesem<br />
Projekt, das seit 2005<br />
läuft und in diesem Jahr mit<br />
<strong>der</strong> Publikation <strong>des</strong> Werkes<br />
zum Abschluss kommt, zeigt<br />
sich, wie wir heute die Traditionslinien<br />
<strong>des</strong> Karmel weiterführen<br />
können. Der Karmelitenorden<br />
war immer auch ein<br />
gelehrter Orden, er gehörte zu<br />
den Grün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Universität<br />
in Köln und stellte viele Professoren<br />
an berühmten Universitäten.<br />
An diese Tradition<br />
knüpfen wir heute an, wenn<br />
wir in den Bereichen von Wissenschaft<br />
und Kultur arbeiten.<br />
Da ist für uns ein leuchten<strong>des</strong><br />
Vorbild, an dem wir uns ausrichten,<br />
zum Beispiel Titus<br />
Brandsma, <strong>der</strong> als Hochschullehrer<br />
und als Journalist tätig<br />
war. Und Edith Stein, die Philosophin,<br />
die im Kölner Karmel<br />
ihre Studien fortsetzte.<br />
Für unsere Theaterleute ist<br />
auch die „kleine“ Therese von<br />
Lisieux ein Vorbild, schließlich<br />
hat sie doch selbst gern<br />
Theater gespielt und kleine<br />
Stücke geschrieben. Es ist also<br />
nichts Neues und Ungewöhnliches,<br />
was wir machen – neu<br />
ist nur, dass wir es als Mitglie<strong>der</strong><br />
<strong>des</strong> Dritten Ordens machen!<br />
Vizegeneral P. Christian Körner und unser<br />
Delegat P. Matthias Brenken<br />
Unser Delegat P. Matthias<br />
Brenken O.Carm. hat dazu ein<br />
klares Statement abgegeben,<br />
das ich nun als Schlusswort zitieren<br />
möchte: „Im Hinblick<br />
4<br />
auf die Zukunft <strong>des</strong> Karmel in<br />
Deutschland, meine ich, dass<br />
ein guter Kontakt von allen<br />
Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Karmel-<br />
Familie dringend zu wünschen<br />
ist. Daraus kann nur eine<br />
Bereicherung für uns alle<br />
entstehen und es kann uns<br />
helfen, unser Charisma bewusst<br />
zu leben und es den<br />
Menschen von heute weiterzugeben.<br />
Angesichts <strong>der</strong><br />
schwindenden Mitglie<strong>der</strong>zahlen<br />
im Ersten und Zweiten<br />
Orden kommt dem Dritten<br />
Orden heute auch große Bedeutung<br />
zu, das gelebte Charisma<br />
<strong>des</strong> Karmel in Deutschland<br />
überhaupt zu erhalten.“<br />
Photos: Johan Bergström-<br />
Allen TOC<br />
Edeltraud Klueting T.OCarm<br />
48165 Münster<br />
Der Rabe in <strong>der</strong> Bibel<br />
Im Jahre 2003 wurde unsere<br />
Zeitschrift unter dem Namen<br />
'Der Rabe <strong>des</strong> Elija' zum ersten<br />
Mal herausgegeben. Für<br />
diejenigen, die den Propheten<br />
Elija aus <strong>der</strong> Bibel kennen, ist<br />
<strong>der</strong> Rabe ein alter Bekannter.<br />
Er kommt nämlich im sogenannten<br />
Elija-Zyklus vor. Dieser<br />
Zyklus spiegelt die Zeit<br />
wie<strong>der</strong>, als Ahab von 874 bis<br />
853 v.Chr. König von Israel<br />
war. Ahab tat, was Gott missfiel<br />
(1 Kön.16,30). Und Gott<br />
sandte seinen Boten Elija zu<br />
König Ahab (1Kön. 17,1-7).<br />
Der Prophet Elija aus Tischbe<br />
in Gilead sprach zu Ahab: „So<br />
wahr <strong>der</strong> Herr, <strong>der</strong> Gott Israels,<br />
lebt, in <strong>des</strong>sen Dienst<br />
ich stehe: in diesen Jahren<br />
sollen we<strong>der</strong> Tau noch Regen<br />
fallen, es sei denn auf mein<br />
Wort hin. Danach erging das<br />
Wort <strong>des</strong> Herrn an Elija: Geh<br />
weg von hier, wende dich<br />
nach Osten und verbirg dich<br />
am Bach Kerit östlich <strong>des</strong> Jor-
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
dan! Aus dem Bach sollst du<br />
trinken und den Raben habe<br />
ich befohlen, dass sie dich<br />
dort ernähren. Elija ging weg<br />
und tat, was <strong>der</strong> Herr befohlen<br />
hatte; er begab sich zum<br />
Bach Kerit östlich <strong>des</strong> Jordan<br />
und ließ sich dort nie<strong>der</strong>. Die<br />
Raben brachten ihm Brot und<br />
Fleisch am Morgen und ebenso<br />
Brot und Fleisch am Abend<br />
und er trank aus dem Bach.<br />
Nach einiger Zeit aber vertrocknete<br />
<strong>der</strong> Bach; denn es<br />
fiel kein Regen im Land.“ Die<br />
Raben versorgen Elija mit<br />
Nahrungsmitteln. Es gibt<br />
Dürre und Hungersnot im<br />
Land, doch Elija bekommt<br />
zweimal am Tag zu essen.<br />
Hier lernen wir die Raben<br />
kennen als freundliche Tiere,<br />
die den Menschen hilfreich<br />
zur Seite stehen.<br />
In <strong>der</strong> Bibel sind die Raben<br />
den Menschen öfter gut gesonnen.<br />
Als Noach wissen<br />
will, ob das Wasser weit genug<br />
zurückgegangen ist, schickt er<br />
einen Raben hinaus. Der Vogel<br />
fliegt hin und her, bis klar<br />
ist, dass das Land allmählich<br />
trocken wird (Gen. 8,1-11).<br />
„Da dachte Gott an Noach und<br />
an alle Tiere und an alles<br />
Vieh, das bei ihm in <strong>der</strong> Arche<br />
war. Gott ließ einen Wind<br />
über die Erde wehen und das<br />
Wasser sank. Die Quellen <strong>der</strong><br />
Urflut und die Schleusen <strong>des</strong><br />
Himmels schlossen sich; <strong>der</strong><br />
Regen vom Himmel ließ nach<br />
und das Wasser verlief sich<br />
allmählich von <strong>der</strong> Erde. So<br />
nahm das Wasser nach hun<strong>der</strong>tfünfzig<br />
Tagen ab. Am<br />
siebzehnten Tag <strong>des</strong> siebten<br />
Monats setzte die Arche im<br />
Gebirge Ararat auf. Das Wasser<br />
nahm immer mehr ab, bis<br />
zum zehnten Monat. Am ersten<br />
Tag <strong>des</strong> zehnten Monats<br />
wurden die Berggipfel sichtbar.<br />
Nach vierzig Tagen öffnete<br />
Noach das Fenster <strong>der</strong><br />
Arche, das er gemacht hatte,<br />
und ließ einen Raben hinaus.<br />
Der flog aus und ein, bis das<br />
Wasser auf <strong>der</strong> Erde vertrocknet<br />
war. Dann ließ er eine<br />
Taube hinaus, um zu sehen,<br />
ob das Wasser auf <strong>der</strong> Erde<br />
abgenommen habe. Die Taube<br />
fand keinen Halt für ihre Füße<br />
und kehrte zu ihm in die<br />
Arche zurück, weil über <strong>der</strong><br />
ganzen Erde noch Wasser<br />
stand. Er streckte seine Hand<br />
aus und nahm die Taube wie<strong>der</strong><br />
zu sich in die Arche. Dann<br />
wartete er noch weitere sieben<br />
Tage und ließ wie<strong>der</strong> die Taube<br />
aus <strong>der</strong> Arche. Gegen<br />
Abend kam die Taube zu ihm<br />
zurück, und siehe da: In ihrem<br />
Schnabel hatte sie einen<br />
frischen Olivenzweig. Jetzt<br />
wusste Noach, dass nur noch<br />
wenig Wasser auf <strong>der</strong> Erde<br />
stand.“ Der Rabe von Noach<br />
hat nicht den Ruhm erlangt,<br />
den die Taube bekommen hat,<br />
obwohl er Noach ständig über<br />
den Rückgang <strong>des</strong> Wassers informiert<br />
hat.<br />
Raben sind manchmal auch<br />
Helfer Gottes. Und wenn Gott<br />
es befielt, werden sie Vollstrecker<br />
seines Urteils (Sprichwörter<br />
30,17). „Ein Auge, das<br />
den Vater verspottet / und die<br />
alte Mutter verachtet, / das<br />
hacken die Raben am Bach<br />
aus, / die jungen Adler fressen<br />
es auf.“ Hier sehen wir den<br />
krassen Gegensatz zu dem,<br />
5<br />
was Elija wi<strong>der</strong>fahren ist. Elija<br />
wurde geholfen. Doch es ist<br />
auch möglich, dass ein<br />
Mensch von den Raben und<br />
Adlern attackiert wird, weil<br />
Gott es so befohlen hat.<br />
Im allgemeinen wird <strong>der</strong> Rabe<br />
nicht für ein gutes Tier gehalten.<br />
Man soll die Raben sogar<br />
als abscheulich betrachten<br />
(vgl. Lev. 11,13-19). Deswegen<br />
darf man Raben auch nicht<br />
essen (Deut. 14,11-20). „Alle<br />
reinen Vögel dürft ihr essen.<br />
Dies sind die Vögel, die ihr<br />
nicht essen dürft: Aasgeier,<br />
Schwarzgeier, Bartgeier, Milan,<br />
die verschiedenen Bussardarten,<br />
alle Arten <strong>des</strong> Raben,<br />
Adlereule, Kurzohreule,<br />
Langohreule und die verschiedenen<br />
Falkenarten,<br />
Kauz, Bienenfresser, Weißeule,<br />
Kleineule, Fischadler,<br />
Fischeule, Storch und die verschiedenen<br />
Reiherarten, Wiedehopf,<br />
Fle<strong>der</strong>maus und alles<br />
fliegende Kleingetier: Sie sollen<br />
euch als unrein gelten und<br />
dürfen nicht gegessen werden.<br />
Alle reinen geflügelten Tiere<br />
dürft ihr essen.“<br />
Alle Arten <strong>des</strong> Raben können<br />
den Menschen erschau<strong>der</strong>n<br />
lassen. Dort, wo sie leben, gibt<br />
es keine Menschen. Wenn Jesaja<br />
das Gericht über Edom<br />
prophezeit, ist die Familie <strong>der</strong><br />
Raben mit von <strong>der</strong> Partie (Jes.<br />
34,8-11). „Denn <strong>der</strong> Herr hat<br />
einen Tag <strong>der</strong> Rache bestimmt,<br />
/ ein Jahr <strong>der</strong> Vergeltung<br />
für den Streit um Zion.<br />
In Edoms Bächen wird das<br />
Wasser zu Pech, / sein Boden<br />
verwandelt sich in Schwefel, /<br />
sein Land wird zu brennendem<br />
Pech. Es erlischt nicht<br />
bei Tag und bei Nacht, / <strong>der</strong><br />
Rauch steigt unaufhörlich<br />
empor. Das Land ist für Generationen<br />
verödet, / nie mehr<br />
zieht jemand hindurch. Dohlen<br />
und Eulen nehmen es in<br />
Besitz, / Käuze und Raben<br />
hausen darin. Der Herr
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
spannt die Messschnur «Öde»<br />
darüber, / er legt das Senkblei<br />
«Leere» an.“<br />
Ob Tiere nun rein o<strong>der</strong> unrein<br />
sind: Gott sorgt für all seine<br />
Geschöpfe. Dabei steht Vieh<br />
für gute (o<strong>der</strong> nützliche) Tiere,<br />
<strong>der</strong> Rabe steht für die unreinen<br />
(unnützen) Tiere (Ps.<br />
147,7). „Er gibt dem Vieh seine<br />
Nahrung, / gibt den jungen<br />
Raben, wonach sie schreien.“<br />
Der Mensch kann nicht alles,<br />
was Gott tut und lenkt, begreifen<br />
o<strong>der</strong> überblicken. Als Gott<br />
dies dem Hiob deutlich<br />
macht, weist Gott als Beispiel<br />
auf den Raben hin (Hiob<br />
38,41). „Wer bereitet dem Raben<br />
seine Nahrung, / wenn<br />
seine Jungen schreien zu Gott<br />
und umherirren ohne Futter?“<br />
Liebevoll umsorgt Gott seine<br />
ganze Schöpfung. Jesus gibt<br />
seinen Jüngern den Mut auf<br />
Gott zu vertrauen (Lk. 12,22-<br />
24). „Jesus sagte zu seinen<br />
Jüngern: Deswegen sage ich<br />
euch: Sorgt euch nicht um<br />
euer Leben und darum, dass<br />
ihr etwas zu essen habt, noch<br />
um euren Leib und darum,<br />
dass ihr etwas anzuziehen<br />
habt. Das Leben ist wichtiger<br />
als die Nahrung und <strong>der</strong> Leib<br />
wichtiger als die Kleidung.<br />
Seht auf die Raben: Sie säen<br />
nicht und ernten nicht, sie<br />
haben keinen Speicher und<br />
keine Scheune; denn Gott ernährt<br />
sie. Wie viel mehr seid<br />
ihr wert als die Vögel!“<br />
Der Rabe taucht nicht so oft in<br />
<strong>der</strong> Bibel auf. Er scheint meistens<br />
nicht allzu wichtig zu<br />
sein. Manchmal erscheint er<br />
sogar als ein abscheuliches<br />
Wesen. Doch Gott lässt auch<br />
solche Geschöpfe nicht verloren<br />
gehen. Überall, wo wir in<br />
<strong>der</strong> Bibel etwas über Gott lesen,<br />
ist das auch mit einer<br />
Botschaft für die Menschen<br />
verbunden. Und <strong>der</strong> Rabe ist<br />
dann manchmal ein Bote Gottes.<br />
Er ist ein „Kollege“ Elijas,<br />
wenn auch in einem völlig an<strong>der</strong>em<br />
Kleid!<br />
Wir freuen uns, dass unsere<br />
Zeitschrift bereits so lange<br />
den Namen ‘Der Rabe <strong>des</strong> Elija’<br />
tragen darf.<br />
Paul Menting T.OCarm<br />
47533 Kleve<br />
Auf dem Strick <strong>des</strong> Judas<br />
sitzt <strong>der</strong> Rabe draußen<br />
Ich habe Deine Liebe nicht<br />
ausgehalten<br />
mein Geliebter<br />
Du <strong>der</strong> Du mich nur liebst und<br />
von Deiner Liebe nicht abweichen<br />
kannst<br />
Dich musste ich verlassen<br />
Deine Liebe zog mich nach<br />
draußen<br />
während ich mir die Schlinge<br />
um den Hals legte war Deine<br />
Liebe da<br />
und während Du an Veronika<br />
vorbei kamst<br />
kam ich an keiner einzigen<br />
Seele vorbei<br />
auf meinem Strick saß allein<br />
<strong>der</strong> Rabe<br />
er legte seinen Kopf schräg<br />
und sein schwarzes Auge<br />
schaute<br />
aus seiner Einsamkeit in meine<br />
völlige Verlassenheit<br />
draußen schauten wir uns an<br />
draußen schrie das Leid<br />
draußen schrie die Liebe<br />
draußen schaute ich in den<br />
Spiegel<br />
und sah wie innen<br />
<strong>der</strong> Rabe seinen Kopf noch<br />
immer schräg hält<br />
von Holz zu Holz sehe ich uns<br />
beide<br />
sehe ich uns vor den Toren<br />
<strong>der</strong> Stadt hängen<br />
mein Geliebter<br />
Hände haben Dich ans Holz<br />
geschlagen<br />
Hände haben mich ans Holz<br />
gehängt<br />
Judas ich liebe dich rufst du<br />
herein<br />
6<br />
Jesus ich kann dich nicht hören<br />
rufe ich hinaus<br />
Draußen hält <strong>der</strong> Rabe den<br />
Kopf schräg<br />
während die Zeit vergeht<br />
ein Einsiedler steht innen auf<br />
und sieht den Raben im Spiegel<br />
draußen auf dem Kirchendach<br />
sitzen.<br />
Ursula Albrecht T.OCarm<br />
79100 Freiburg<br />
Kolk<strong>rabe</strong><br />
Corvus corax<br />
Der Kolk<strong>rabe</strong> auch <strong>der</strong><br />
„Schwarze Geselle“ genannt,<br />
erhielt viele Namen aus <strong>der</strong><br />
Vergangenheit und von den<br />
Dialekten abgeleitet. So z.B.<br />
Edel<strong>rabe</strong>, Galgenvogel, Kohl<strong>rabe</strong>,<br />
Krapp, de Roak, Schaak,<br />
Wotansvogel. Sein Ruf war<br />
immer mit Unheil verbunden<br />
und <strong>des</strong>halb verrufen und gefürchtet.<br />
Bis in die heutige<br />
Zeit (<strong>der</strong> Film – Die Vögel –<br />
von Alfred Hitchcock) verwendet<br />
man den schönen Vogel<br />
als Ungeheuer. Dem Kolk<strong>rabe</strong>n<br />
wird auch nachgesagt,<br />
dass er junge Lämmer tötet<br />
und frisst. All dies hat man<br />
zum Anlass genommen dem<br />
Vogel nachzustellen und fasst
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
auszurotten. Gott sei Dank ist<br />
er nun unter strengen Schutz<br />
gestellt worden, sodass er sich<br />
wie<strong>der</strong> erholt und ausbreitet.<br />
Der Kolk<strong>rabe</strong> zählt zu <strong>der</strong> Familie<br />
<strong>der</strong> Singvögel. Der größte<br />
Singvogel überhaupt. Seine<br />
Gestalt ist Bussard groß, maximal<br />
64 cm (von Schnabel bis<br />
Schwanzspitze) gemessen. Die<br />
Flügelspannweite variiert von<br />
120 – 150 cm bei einem Körpergewicht<br />
von bis zu 1.590 g.<br />
Ein typisches Kennzeichen ist<br />
<strong>der</strong> dicke klobige Schnabel<br />
und <strong>der</strong> keilförmige Schwanz.<br />
Die Stimme <strong>des</strong> Kolk<strong>rabe</strong>n ist<br />
sehr charakteristisch. Es sind<br />
tiefe krächzende „kra“-,<br />
„krok“-, „kroak“- Rufe, welche<br />
sich deutlich von an<strong>der</strong>en Rabenvögel<br />
unterscheiden.<br />
Der Lebensraum ist sehr vielseitig<br />
und weit gestreut. Von<br />
<strong>der</strong> Küste bis ins Hochgebirge,<br />
von <strong>der</strong> Arktis bis in die Steppen<br />
und Wüsten. Er liebt<br />
Wäl<strong>der</strong> mit angrenzendem Offenland.<br />
Der Kolk<strong>rabe</strong> ist in<br />
unseren Breiten ein Standvogel;<br />
d.h. er ist auch im Winter<br />
in seinem angestammten Gebiet<br />
anzutreffen. Weiter nördlich<br />
ist er ein Strichvogel,<br />
auch Teilzieher genannt.<br />
Das Nahrungsspektrum <strong>des</strong><br />
Kolk<strong>rabe</strong>n ist vielseitig. Er ist<br />
ein Allesfresser. Vorwiegend<br />
Aas, sprich Reste von Wirbeltieren,<br />
Fallwild, Totgeburten<br />
und Nachgeburten von Weidetieren<br />
u. a. organische Abfälle<br />
sucht er gerne in Müllkippen<br />
und auf Komposthaufen.<br />
Kleinsäuger, daneben Insekten,<br />
Kleinvögel, Vogeleier,<br />
Reptilien gehören ebenfalls,<br />
wie Samen, Obst und Früchte<br />
zu seiner Nahrungskette.<br />
Seine Nester findet man auf<br />
hohen Bäumen in Felsnischen<br />
o<strong>der</strong> an technischen Anlagen<br />
wie Gebäuden, Brücken, Gittermasten<br />
u.ä.. Im dritten<br />
Jahr sind die Vögel geschlechtsreif.<br />
Der Kolk<strong>rabe</strong><br />
brütet sehr zeitig im Jahr, bereits<br />
ab Februar. Während <strong>der</strong><br />
Balz vollziehen sie imposante<br />
Balzflüge. Das Weibchen legt<br />
3-6, maximal 7 bläulichgrünliche,<br />
kräftig gefleckte<br />
Eier. Nach 18-21 Tagen<br />
schlüpfen die Jungen und<br />
verbleiben ca. 42 Tage auf<br />
dem Nest dann sind die Jungvögel<br />
flugfähig. In <strong>der</strong> Regel<br />
haben die Kolk<strong>rabe</strong>n jährlich<br />
eine Brut, jedoch bei Verlust<br />
<strong>des</strong> Geleges schaffen sie ein<br />
Nachgelege. Sie leben noch bis<br />
zum Spätsommer im Familienverband,<br />
danach sind die<br />
Jungvögel selbstständig und<br />
gehen ihre eigenen Wege.<br />
Kolk<strong>rabe</strong>n können ein sehr<br />
hohes Alter erreichen, bis<br />
über 60 Jahre.<br />
Den Kolk<strong>rabe</strong>n darf man ohne<br />
Zweifel, wie alle Rabenvögel:<br />
Krähe, Dohle, Elster, Eichelhäher<br />
usw., als intelligenten<br />
Vogel bezeichnen. Er hat die<br />
Fähigkeit auf Vorrat verg<strong>rabe</strong>ne<br />
Nahrung wie<strong>der</strong> zu finden.<br />
Kann auch Nüsse o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>e harte Früchte zum<br />
Zerbersten bringen, indem er<br />
diese mit in die Höhe nimmt<br />
(15 bis 30 m) und dann auf<br />
einen harten Untergrund fallen<br />
lässt, z.B. Beton- o<strong>der</strong><br />
Pflasterbelag. Auch sind sie in<br />
<strong>der</strong> Lage Geschwindigkeiten<br />
<strong>der</strong> Fahrzeuge auf den Verkehrswegen<br />
abzuschätzen und<br />
noch rechtzeitig wegzufliegen.<br />
Dieses geschieht immer dann,<br />
wenn die Raben auf <strong>der</strong> Fahrbahn<br />
überfahrene tote Tiere<br />
verzehren.<br />
Der Kolk<strong>rabe</strong> ist ein sehr<br />
schöner, imposanter, intelligenter<br />
und nützlicher Vogel.<br />
Es ist wichtig diese Rasse zu<br />
schützen, damit sie uns noch<br />
lange erhalten bleibt und die<br />
Menschen sich an diesem<br />
„Schwarzen Gesellen“ erfreuen<br />
können.<br />
Robert Cimiotti<br />
7<br />
Vogelkundler und Vogelschutzbeauftragter<br />
<strong>der</strong> Stadt<br />
Amöneburg<br />
Ein Rabe<br />
Es war einmal ein Rabe<br />
Ein schlauer alter Knabe<br />
Dem sagte ein Kanari, <strong>der</strong><br />
in seinem Käfig sang: Schau<br />
her<br />
Von Kunst<br />
Hast du keinen Dunst.<br />
Der Rabe sagte ärgerlich:<br />
Wenn du nicht singen könntest<br />
Wärst du so frei wie ich.<br />
Berthold Brecht (1898-1956)<br />
Aus: Tierverse, in: Die Gedichte<br />
von Bertolt Brecht in<br />
einem Band. Suhrkamp.<br />
Frankfurt am Main 2002<br />
Paul Thek und die Raben<br />
Die 6. Jahresausstellung von<br />
Kolumba, dem Kunstmuseum<br />
<strong>des</strong> Erzbistums Köln, steht<br />
unter dem Titel „Art is Liturgy.<br />
Paul Thek und die An<strong>der</strong>en.“<br />
Die Werke <strong>des</strong> amerikanischen<br />
Künstlers Paul Thek<br />
(1933-1988) bilden den roten<br />
Faden dieser Präsentation. Im<br />
Armarium <strong>des</strong> ersten Obergeschosses,<br />
in dem seit Eröffnung<br />
<strong>des</strong> Museums 2007 <strong>der</strong><br />
Kirchenschatz von St. Kolumba<br />
gezeigt wurde, befinden<br />
sich nun Bestandteile <strong>der</strong> Installation<br />
„A Procession in<br />
Honor of Aesthetic Progress.<br />
Objects to Theoretically Wear,<br />
Carry, Pull or Wave“, die 1968<br />
in <strong>der</strong> Essener Galerie M.E.<br />
Thelen zu sehen war. Neben<br />
einem Tragethron, vier sogenannten<br />
Headboxes, einer an<br />
einen langen Holzstab gebundenen<br />
kleinen Holzkiste, die<br />
den Blick auf ein Fleischstück<br />
aus Wachs freigibt, gehört ein<br />
Bugholzstuhl zu den Prozessi-
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
onsutensilien. In o<strong>der</strong> auf allen<br />
Geräten liegen aus gefärbtem<br />
Wachs gefertigte Fleischstücke.<br />
Beson<strong>der</strong>s auffällig<br />
sind zwei präparierte Krähen<br />
auf <strong>der</strong> Lehne <strong>des</strong> Stuhls. Die<br />
ca. 40 cm langen Vögel sind<br />
so übereinan<strong>der</strong> angeordnet,<br />
dass <strong>der</strong> eine auf <strong>der</strong> Schulter<br />
<strong>des</strong> an<strong>der</strong>en steht. Die obere<br />
Krähe hat ein größeres<br />
Wachs-Fleischstück im<br />
Schnabel. Der unteren haftet<br />
ein Fleischklumpen am Unterleib<br />
an, <strong>der</strong> wie ein überdimensionales<br />
weibliches Geschlechtsteil<br />
wirkt. Nach Aussage<br />
<strong>des</strong> damaligen Galeristen<br />
Michael Nickel hat sich Paul<br />
Thek bei <strong>der</strong> Anfertigung <strong>der</strong><br />
Installation in Essen bewusst<br />
für Krähen entschieden. In<br />
zahlreichen an<strong>der</strong>en Installationen<br />
Theks finden sich weitere<br />
Tierpräparate, darunter<br />
auch immer wie<strong>der</strong> Vögel.<br />
Krähen o<strong>der</strong> Raben sind jedoch<br />
nicht darunter. Der<br />
Amerikaner hat eine umfangreiche<br />
Zahl an Notizbüchern<br />
hinterlassen, die aus tagebuchartigen<br />
Einträgen, Zitaten,<br />
eigenen Gedanken und<br />
Zeichnungen bestehen. Aus<br />
diesen lässt sich z.B. entnehmen,<br />
dass <strong>der</strong> Wal für Thek<br />
als Metapher für Tod und<br />
Wie<strong>der</strong>geburt stand. In dem<br />
bisher publizierten Material<br />
fehlen jedoch jegliche Hinweise<br />
auf Raben. Welche Bedeutung<br />
können die Krähen in<br />
<strong>der</strong> Installation aus den späten<br />
60er Jahren haben? Kann<br />
die Verwendung von Raben<br />
o<strong>der</strong> Krähen in <strong>der</strong> Kunstgeschichte<br />
hilfreich für das Verständnis<br />
<strong>der</strong> Thekschen Krähen<br />
sein?<br />
Probleme bereitet schon die<br />
Unterscheidung von Rabe und<br />
Krähe. Bei den von Thek verwendeten<br />
Tieren handelt sich<br />
wohl um Rabenkrähen (Corvus<br />
corone cornix). Da in <strong>der</strong><br />
Malerei die Vögel häufig nicht<br />
detailliert genug dargestellt<br />
werden und im Volksglauben<br />
die Krähe als <strong>des</strong> Raben Frau<br />
gilt, soll im Folgenden vereinfachend<br />
vom Raben die Rede<br />
sein.<br />
Als Aasfresser brachten die<br />
Griechen <strong>der</strong> Antike den Raben<br />
in Verbindung mit Tod<br />
und Ver<strong>der</strong>ben. Ihre Beobachtung,<br />
dass Raben ihre Jungen<br />
zeitig aus dem Nest werfen<br />
und gleichzeitig Artgenossen<br />
auf Futterplätze aufmerksam<br />
machen, ermöglichte es, die<br />
Raben zu Symbolen für die<br />
Kolonisation zu machen. Obwohl<br />
schriftliche Quellen aus<br />
<strong>der</strong> Antike die Bedeutung <strong>des</strong><br />
Rabens als Orakeltier und Begleiter<br />
von Kronos, Apoll und<br />
Athena belegen, sind die überlieferten<br />
Darstellungen selten.<br />
Zum festen Bestandteil wird<br />
<strong>der</strong> Rabe bei Artefakten, die in<br />
Zusammenhang mit dem aus<br />
dem Orient stammende Mithraskult<br />
stehen. Seinen Höhepunkt<br />
erreichte <strong>der</strong> vor allem<br />
bei Soldaten beliebte Kult im<br />
3. Jahrhun<strong>der</strong>t. Mithras, ein<br />
junger auf wun<strong>der</strong>same Weise<br />
aus dem Stein geborener Gott,<br />
besiegt die Sonne im Kampf<br />
und verbündet sich mit ihr.<br />
Ein von ihm in einer Grotte<br />
gefangen gehaltener Stier, <strong>der</strong><br />
das Böse verkörpert, kann<br />
fliehen. Die Sonne lässt Mithras<br />
durch einen Raben den<br />
Aufenthaltsort und den Auftrag<br />
zur Tötung <strong>des</strong> Stieres<br />
übermitteln. Ausgeübt wurde<br />
<strong>der</strong> Mithraskult in natürlichen<br />
o<strong>der</strong> künstlich angelegten<br />
Höhlen und Grotten, den so<br />
genannten Mithräen. Dort<br />
hielten die ausschließlich<br />
männlichen Anhänger Opferund<br />
Kultmahle ab. Über die<br />
dort abgehaltene Liturgie<br />
existieren nur sehr vage Vorstellungen.<br />
Es gab sieben<br />
Einweihungsgrade, welche die<br />
Mysten durchlaufen konnten.<br />
In Ostia haben sich diese als<br />
8<br />
Darstellung in einem Fußbodenmosaik<br />
erhalten. Die niedrigste<br />
Stufe Corax (Rabe)<br />
symbolisieren ein Rabe, ein<br />
Becher und Merkurstab.<br />
Wikinger nahmen Raben mit<br />
auf Reisen in unbekannte Gewässer,<br />
da man ihnen nachsagte,<br />
sie könnten Land wittern.<br />
In <strong>der</strong> germanischen Sagenwelt<br />
gilt <strong>der</strong> Rabe als<br />
Schlachtenvogel und Begleiter<br />
<strong>des</strong> Gottes Odin, auf <strong>des</strong>sen<br />
Schulter er sitzend dargestellt<br />
wird.<br />
Die Eliasgeschichte <strong>des</strong> Alten<br />
Testamentes verhilft dem Raben<br />
zu einer tragenden Rolle<br />
in <strong>der</strong> Kunstgeschichte. Es ist<br />
hierbei weniger die Illustration,<br />
wie Elias auf wun<strong>der</strong>same<br />
Weise von einem Raben ernährt<br />
wird, als vielmehr die<br />
zahlreichen auf diese Geschichte<br />
zurückgreifenden<br />
Heiligenlegenden und ihre<br />
bildliche Umsetzung. Die<br />
prominentesten Raben <strong>der</strong><br />
Kunstgeschichte finden sich –<br />
abgesehen von Vincent van<br />
Goghs „Weizenfeld mit Krähen“<br />
(1890) – auf Bil<strong>der</strong>n von<br />
Matthias Grünewald und Diego<br />
Velasquez. Beide zeigen<br />
entsprechend <strong>der</strong> zwischen<br />
1263 und 1273 entstandenen<br />
„Legenda aurea“ <strong>des</strong> Jacobus<br />
de Voragine, wie die Eremiten<br />
Antonius Abbas und Paulus<br />
bei ihrer Zusammenkunft von<br />
einem im Sturzflug ankommenden<br />
Raben mit Brot versorgt<br />
werden. Die Darstellung<br />
Grünewalds befindet sich auf<br />
dem zwischen 1512 und 1516<br />
entstandenen Isenheimer Altar<br />
in Colmar. In <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte <strong>des</strong> 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
schuf Velasquez sein heute im<br />
Madri<strong>der</strong> Prado befindliches<br />
Bild, das auf einen um 1503<br />
datierten Holzschnitt von Albrecht<br />
Dürer zurückgreift.<br />
Unter den weiteren positiven<br />
Rabendeutung im Zusammenhang<br />
mit Heiligenlegen-
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
den sei nur auf die Vincentiustafel<br />
<strong>des</strong> Basler Münsters aus<br />
dem 11. Jahrhun<strong>der</strong>t verwiesen,<br />
die zeigt, wie zwei Raben<br />
die den wilden Tieren zum<br />
Fraß vorgeworfene Leiche <strong>des</strong><br />
Heiligen verteidigen. Jünger<br />
ist die Darstellung <strong>der</strong> gleichen<br />
Legende auf einem Kapitell<br />
<strong>der</strong> Kathedrale St. Lazare<br />
in Autun.<br />
Ein den Heiligen Benedikt von<br />
Nursia begleiten<strong>der</strong> Rabe<br />
erinnert daran, dass dieser<br />
Vogel den Heiligen vor dem<br />
Verspeisen eines vergifteten<br />
Brotes bewahrt hat. Als sprechen<strong>der</strong><br />
Bote fungiert ein Rabe<br />
in <strong>der</strong> Legende <strong>des</strong> Heiligen<br />
Oswald von Northumbrien.<br />
Auf dem rätselhaften Bild<br />
„Madonna del prato“ von Giovanni<br />
Bellini (um 1505) in <strong>der</strong><br />
Londoner National Gallery<br />
wird <strong>der</strong> schwarz gefie<strong>der</strong>te<br />
Vogel in den unbelaubten<br />
Baumwipfeln zur rechten Seite<br />
<strong>der</strong> Muttergottes gerne als<br />
Rabe und damit als Hinweis<br />
auf den Tod Christi interpretiert.<br />
Der lange schlanke Hals<br />
und <strong>der</strong> deutlich gebogene<br />
helle Schnabel erinnern jedoch<br />
eher an einen Adler. Als<br />
solcher wäre er, wie <strong>der</strong> unter<br />
ihm im Kampf mit einer<br />
Schlange befindliche Storch,<br />
als Christusbild und Sinnbild<br />
für die Auferstehung zu deuten.<br />
Als Begleiter <strong>des</strong> Winters erscheinen<br />
Raben auf Pieter<br />
Brueghels d.Ä. „Vogelfalle“<br />
(1565) o<strong>der</strong> „Der Volkszählung<br />
zu Bethlehem“ (1566).<br />
Schon durch die Themen <strong>der</strong><br />
Bil<strong>der</strong> werden die Raben seiner<br />
„Kreuztragung“ (1564)<br />
und seines „Bethlehemitischen<br />
Kin<strong>der</strong>mor<strong>des</strong>“ (um<br />
1565) mit dem Tod in Verbindung<br />
gebracht.<br />
Jan Steen widmet sich 1673<br />
mit seinem Bild „Ein Dorffest“<br />
den unterschiedlichsten Arten<br />
menschlichen Fehlverhaltens.<br />
Vor einem Gasthof findet ein<br />
buntes Treiben <strong>der</strong> Dorfbevölkerung<br />
statt. An sehr zentraler<br />
Stelle im Vor<strong>der</strong>grund<br />
<strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> verkörpern fünf in<br />
einem Kahn sitzende Personen<br />
verschiedenen Sünden<br />
wie Völlerei, Trunksucht o<strong>der</strong><br />
Zorn. Auf dem Heck <strong>des</strong><br />
Kahns hocken ein Affe und ein<br />
Rabe.<br />
Der Affe als Zerrbild <strong>des</strong> Menschen<br />
und Verkörperung <strong>der</strong><br />
Sündhaftigkeit lässt damit<br />
keinerlei Zweifel über die moralische<br />
Qualität <strong>der</strong> Bootsinsassen<br />
zu. Der so offensichtlich<br />
platzierte Rabe macht in<br />
diesem Zusammenhang nur<br />
Sinn als drohende Mahnung<br />
<strong>des</strong> To<strong>des</strong>.<br />
In <strong>der</strong> seit <strong>der</strong> Renaissance<br />
beliebten und im 16./17. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
auf ihrem Höhepunkt<br />
befindlichen Kunst <strong>der</strong> Emblemata,<br />
die Bil<strong>der</strong> und Texte<br />
zu moralischen, religiösen<br />
o<strong>der</strong> erotischen Sinnbil<strong>der</strong>n<br />
verband, spielt auch <strong>der</strong> Rabe<br />
eine Rolle. Neben dem erleiden<br />
einer (tödlichen) gerechten<br />
Strafe, wird er mit Erfindungsgabe,<br />
übler Nachrede,<br />
ver<strong>der</strong>blicher Schmeichelei,<br />
dem weltlichen Treiben <strong>der</strong><br />
Geistlichen, eitler Anmaßung<br />
und ver<strong>der</strong>blicher Hilfsbereitschaft<br />
und <strong>der</strong> Eintracht im<br />
Allgemeinen, in <strong>der</strong> Ehe sowie<br />
im Staat in Verbindung gebracht.<br />
Caspar David Friedrich malte<br />
1814 das Bild „Der Chasseur<br />
im Walde“. Ein französischer<br />
Kavallerist bewegt sich ohne<br />
Pferd auf einen dunklen Winterwald<br />
zu. Ein Weg durch<br />
den Wald, den <strong>der</strong> im Verhältnis<br />
zu den Bäumen klein<br />
und verloren wirkende<br />
Mensch nutzen könnte, ist<br />
nicht erkennbar. Im Vor<strong>der</strong>grund<br />
hockt ein Rabe auf dem<br />
Stumpf eines gefällten Baumes.<br />
Die ausweglose Lage <strong>der</strong><br />
9<br />
französischen Politik nur wenige<br />
Monate nach <strong>der</strong> für Napoleon<br />
verlorenen Völkerschlacht<br />
bei Leipzig spiegelt<br />
sich auf eindrucksvolle Weise<br />
in dem Bild. Ein ganzer<br />
Schwarm von Raben bevölkert<br />
Friedrichs Bild „Nebelschwaden“<br />
(um 1820). Hier werden<br />
sie als To<strong>des</strong>boten gedeutet.<br />
Die Verwendung von Raben in<br />
<strong>der</strong> Kunstgeschichte lässt sich<br />
mit den Schlagworten <strong>des</strong><br />
Götter- und <strong>des</strong> To<strong>des</strong>boten<br />
beschreiben. Als intelligente<br />
Vögel, denen die Fähigkeit<br />
zum Sprechen zugeschrieben<br />
wird, stigmatisiert sie ihre<br />
vollständig schwarze Erscheinung,<br />
und die ihnen unterstellte<br />
Schwatzhaftigkeit lässt<br />
sie in Verbindung mit Dieben<br />
und Verrätern bringen. Ihr<br />
Erscheinen hat immer etwas<br />
Ambivalentes. In <strong>der</strong> Installation<br />
von Paul Thek sind zwei<br />
Raben verwendet. Es könnte<br />
sich um ein Männchen und –<br />
wie <strong>der</strong> angeheftete Fleischklumpen<br />
suggeriert – ein<br />
Weibchen handeln. Dies würde<br />
sich mit den Bemerkungen<br />
im Physiologus über die Krähe<br />
treffen. Es handelt sich um eine<br />
auf Griechisch (2. bis 4.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t vor Christi) verfasste<br />
Textsammlung mit<br />
wun<strong>der</strong>samen Geschichten<br />
über Tiere, Fabelwesen,<br />
Pflanzen und Steine die eine<br />
allegorische Deutung <strong>des</strong><br />
Heilsgeschehens ermöglichte.<br />
Rabe (Mann) und Krähe<br />
(Frau) bleiben sich nach diesem<br />
Text über den Tod hinaus<br />
treu und gehen keine neue<br />
Beziehung ein. Verstanden<br />
werden die Vögel als Sinnbild<br />
<strong>der</strong> christlichen Kirche, die ihrem<br />
Gatten Christus treu<br />
bleibt. Lei<strong>der</strong> wirkt das traute<br />
Paar bei Thek durch die Position<br />
<strong>des</strong> einen Vogels auf <strong>der</strong><br />
Schulter <strong>des</strong> an<strong>der</strong>en recht instabil.<br />
Fraglich ist auch, ob<br />
man als Betrachter nicht mit
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
jedem Schritt zum Objekt hin<br />
die Vögel vertreibt. Solange<br />
die beiden auf <strong>der</strong> Lehne <strong>des</strong><br />
Stuhls sitzen, erscheint eine<br />
praktische Umsetzung <strong>des</strong><br />
theoretisch möglichen Tragens<br />
ausgeschlossen.<br />
Dr. Marc Steinmann<br />
Mitglied im Leitungsteam von<br />
Kolumba, Kunstmuseum <strong>des</strong><br />
Erzbistums Köln<br />
Die Krähe<br />
Eine Krähe war mit mir<br />
Aus <strong>der</strong> Stadt gezogen,<br />
Ist bis heute für und für<br />
Um mein Haupt geflogen.<br />
Krähe, wun<strong>der</strong>liches Tier,<br />
Willst mich nicht verlassen?<br />
Meinst wohl, bald als Beute<br />
hier<br />
Meinen Leib zu fassen?<br />
Nun, es wird nicht weit mehr<br />
geh'n<br />
An dem Wan<strong>der</strong>stabe.<br />
Krähe, laß mich endlich seh'n<br />
Treue bis zum G<strong>rabe</strong>!<br />
Wilhelm Müller (1794-1827)<br />
Aus dem Lie<strong>der</strong>zyklus die<br />
Winterreise von Franz Schubert.<br />
Siehe: http://gutenberg.<br />
spiegel.de/buch/2577/12<br />
Die Aufnahme kam in vielen<br />
Nächten zustande<br />
In Nächten, weil Stille und<br />
Dunkelheit bei mir sowohl in<br />
<strong>der</strong> Stimme als auch in <strong>der</strong><br />
Aussprache hörbar wurden.<br />
Viele Nächte, weil ich den<br />
Text von Jean de Saint Samson<br />
je<strong>des</strong> Mal neu in seiner<br />
ganzen Länge sprechen musste,<br />
wenn ich unterbrochen<br />
wurde, o<strong>der</strong> selbst unterbrochen<br />
hatte.<br />
Unterbrechungen kamen<br />
durch ein Herausfallen aus<br />
dem Beziehungs-Kreis zu-<br />
10<br />
stande. Dadurch, dass jede<br />
innere Bewegung sofort hörbar<br />
war, wurden die Unterschiede<br />
zwischen den Sprechqualitäten<br />
„fließend“ und<br />
„steinig“ deutlich. Demgemäß<br />
bewegte sich meine Aussprache<br />
in o<strong>der</strong> außerhalb meiner<br />
Stimme. In den vereinten<br />
Momenten <strong>des</strong> Gelingens kamen<br />
also Stimme und Sprache<br />
aus meiner Erfahrung, und<br />
darin aus meiner Hingabe.<br />
Das äußerte sich dann in ornamentaler<br />
Beweglichkeit und<br />
Beziehungsaufnahme zwischen<br />
Sprache und Stimme.<br />
In an<strong>der</strong>en Momenten aber<br />
verschliffen sich die Konsonanten,<br />
und die Vokale bekamen<br />
Ecken, das heißt, die<br />
Klarheit und die Beweglichkeit<br />
war nicht mehr gegeben,<br />
die Beziehung ging verloren,<br />
die Ornamentik war unterbrochen.<br />
Ich konnte im Laufe meines<br />
geistlichen Lebens zunehmend<br />
meine Stimme und<br />
meine Sprache nicht mehr mit<br />
dem eigenen Willen steuern,<br />
es sei denn gewaltsam. Das<br />
aber ging nicht mehr, sonst<br />
wäre ich aus dem Beziehungsgeschehen,<br />
aus <strong>der</strong> Liebe, gefallen.<br />
Ich bin also beim Sprechen<br />
auf das Hineinhören in<br />
die Stimme, die sich mir darbietet,<br />
und auf ein kontemplatives<br />
Hineinhören in den Text<br />
angewiesen. Sowohl mein<br />
Schauspielstudium, als auch<br />
meine jahrzehntelange Tätigkeit<br />
als Sprecherzieherin<br />
konnten nichts Geformtes<br />
ausrichten, wenn es um die<br />
tieferen, sprich höheren Feinheiten<br />
im Stimm-Artikulations-Zusammenhang<br />
ging.<br />
Inhaltlich ließ ich mich auf die<br />
für mich männliche und sehr<br />
schöne abgründige Sprache<br />
von Jean ein. Der Text ist ein<br />
Gebilde, das aus <strong>der</strong> unaussprechlichen<br />
Gewaltigkeit <strong>der</strong><br />
Liebe kommt, tödlich am Individuum<br />
rüttelt und über alles<br />
Ahnbare hinaus führt.<br />
Und, obgleich bräutlich, ist er<br />
deutlich ergreifend und in einem<br />
heiligen Sinn gewalttätig.<br />
Das facht das Liebesfeuer an<br />
und thematisiert den Eros.<br />
Der Aspekt, dass je näher <strong>der</strong><br />
Mensch Gott kommt, umso<br />
erotischer es für den Menschen<br />
wird, war eine wichtige<br />
Erkenntnis. Wir hatten dadurch<br />
das Bedürfnis im Verborgenen<br />
zu lesen. Je<strong>der</strong> für<br />
sich alleine. Zunächst.<br />
Schließlich kamen wir dahin,<br />
dass wir die ersten Sätze<br />
übereinan<strong>der</strong>, beziehungsweise<br />
untereinan<strong>der</strong>, als eine Art<br />
geordnetes Flechtwerk lesen<br />
mussten.<br />
Aus diesem Ineinan<strong>der</strong>-Lesen<br />
kam dann je<strong>der</strong> von uns, also<br />
Braut und Bräutigam, mit<br />
dem Text von Jean, aus unserem<br />
Leben, aus dem Text von<br />
Jean, in unser Leben hervor.<br />
Sich beim Sprechen während<br />
<strong>der</strong> Tonaufnahmen zuzuhören<br />
ist für mich zum zärtlichen<br />
Zwiegespräch geworden.<br />
Die CD mit <strong>der</strong> Aufnahme zur<br />
Aufführung von DIE DUNK-<br />
LE STILLE finden Sie auf <strong>der</strong><br />
letzten Seite in diesem Jubiläumsheft<br />
<strong>des</strong> RABEN. Der<br />
Sprechfassung liegt die<br />
deutsche Übersetzung <strong>des</strong><br />
Epithalamium von Elisabeth<br />
Hense und Edeltraud Klueting<br />
zugrunde (siehe Hense / Klueting,<br />
Die dunkle Stille – Das<br />
Epithalamium von Jean de<br />
Saint-Samson als spirituelles<br />
Dokumentationstheater, St.<br />
Ottilien: EOS 2012, 59-114).<br />
Ursula Albrecht T.OCarm<br />
79100 Freiburg<br />
Kunst | Raum | Klang<br />
eine erweiterte Kunstbegegnung<br />
Seit einem Jahr arbeiten wir,<br />
Nadja Fernan<strong>des</strong> (Grafikerin)<br />
und Barbara Schachtner
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
persönlich kennen, sich wertfrei<br />
auf das, was ist, einzulassen<br />
ist bemerkenswert. Eine<br />
abschließende Gesprächsrunde<br />
zeigt oft, wie anrührend,<br />
sensibilisierend und weiterführend<br />
eine <strong>der</strong>artige Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit sich selbst<br />
und meinem Gegenüber anhand<br />
von - Kunst | Raum |<br />
Klang - sein kann.<br />
(Sängerin), an dem Projekt<br />
einer „erweiterten Kunstbegegnung“<br />
– Kunst | Raum |<br />
Klang – in Kolumba, dem<br />
Kunstmuseum <strong>des</strong> Erzbistum<br />
Köln. Mit diesem Vorhaben<br />
wollen wir anhand <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />
Architektur von Kolumba<br />
und die in ihr innewohnenden<br />
Ruhe, dazu einladen,<br />
die Kunst im Raum nicht<br />
nur visuell zu entdecken.<br />
Selbst von den Räumlichkeiten<br />
und <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Kunstausstellung<br />
sehr angesprochen,<br />
freuen wir uns über die Bereitschaft<br />
<strong>des</strong> Museum Kolumba,<br />
uns die Räume außerhalb<br />
<strong>der</strong> Öffnungszeiten zur<br />
Verfügung zu stellen. So wird<br />
es uns mit den Gruppen ermöglicht,<br />
in einem geschützten<br />
Rahmen, sich mit den<br />
Kunstwerken und den Räumlichkeiten<br />
<strong>des</strong> Museums auf<br />
spielerisch, künstlerische Art<br />
in Stimme und Bewegung<br />
auseinan<strong>der</strong> zusetzten. Dies<br />
geschieht anhand einer von<br />
uns geführten Begleitung, in<br />
dem wir uns im Vorfeld einen<br />
bestimmten Weg durch das<br />
Museum erarbeiten und zugleich,<br />
im Augenblick <strong>der</strong><br />
Führung selbst, auf die Stimmungen,<br />
Strömungen und<br />
Themen <strong>der</strong> jeweiligen Gruppen<br />
eingehen. Einzige Voraussetzung<br />
<strong>der</strong> Beteiligten hierfür<br />
ist, die Neugierde und die<br />
Lust, die Kunst auf experimentelle<br />
Weise zu ergründen.<br />
Das Sich-Einlassen auf den<br />
Augenblick. Ausgehend von<br />
den einzelnen Räumen und<br />
den sich darin befindenden<br />
Kunstwerken, den vielfältigen<br />
Licht- und Klangverhältnissen,<br />
wird die Kunst durch das<br />
Mittel <strong>der</strong> Stimm- und Bewegungsimprovisation<br />
und das<br />
»darüber Nachdenken und<br />
Sprechen«, einer dem Sehen<br />
zusätzlichen Art und Weise<br />
erschlossen und in entsprechen<strong>der</strong><br />
Form zum Ausdruck<br />
gebracht. Dies kann zu einer<br />
gewinnbringenden Erfahrung<br />
<strong>der</strong> eigenen Wahrnehmung<br />
und <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>des</strong><br />
Gegenübers führen. Kunst als<br />
Mittel für das Beziehungsgeschehen<br />
im Innen und im Außen.<br />
Die einzelnen Kunstbegegnungen<br />
konzentrieren sich auf<br />
den Zusammenhang, das Zusammenspiel<br />
aller oben aufgezählten<br />
Komponenten<br />
(Licht, Akustik, etc.) mit den<br />
im Museum gezeigten Kunstwerken.<br />
Inzwischen durften wir viele<br />
unterschiedliche Gruppen auf<br />
diese Art und Weise durch das<br />
Museum begleiten. Die Bereitschaft<br />
<strong>der</strong> einzelnen Personen,<br />
die sich zum Teil nicht<br />
Barbara Schachtner T.OCarm<br />
50679 Köln und<br />
Nadja Fernan<strong>des</strong> Grafik<strong>des</strong>ignerin<br />
50668 Köln<br />
Praktische Rhetorik<br />
Ein Bericht von Barbara Schachtner<br />
Seit 2009 unterrichte ich im<br />
Erzbischöflichen Priesterseminar<br />
in Köln Praktische Rhetorik.<br />
Bevor ich über den Schwerpunkt<br />
meiner Arbeit mit den<br />
Seminaristen und Diakonen<br />
zu sprechen komme, möchte<br />
ich zwei unterschiedliche<br />
Ausgangspunkte <strong>der</strong> Sprecherziehung<br />
benennen: den Medizinischen<br />
und den Künstlerischen.<br />
Zunächst ein paar Worte zu<br />
dem medizinischen Ansatz:<br />
Hier ist als erstes die Logopädie<br />
zu nennen - wo es Hauptsächlich<br />
um das Beheben von<br />
Sprachstörungen geht, wie<br />
Lispeln, Stottern o<strong>der</strong> organische<br />
Stimmprobleme, die eine<br />
klare Aussprache und Artikulation<br />
verhin<strong>der</strong>n.<br />
Das Zweite ist die reine<br />
Sprecherziehung und Stimmbildung<br />
- hierbei geht es vornehmlich<br />
um das Ausbilden<br />
<strong>des</strong> stimmgebenden und<br />
wortbildenden Werkzeuges.<br />
Das geschieht anhand von<br />
speziellen Artikulationsübungen,<br />
Vokalausgleichsübungen,<br />
Atemübungen, etc.<br />
11
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
Beide dienen <strong>der</strong> Grundlage<br />
für den Künstlerischen Ansatz,<br />
<strong>der</strong> meinen Schwerpunkt<br />
in <strong>der</strong> Arbeit mit den Seminaristen<br />
und Diakonen bildet.<br />
Dieser Ansatz, <strong>der</strong> sich an die<br />
Kunst bindet - die das tiefste<br />
Bedürfnis in sich trägt Verbindung,<br />
Anbindung zu schaffen<br />
- ist es, mit dem ich mich<br />
Hauptsächlich in meinem Unterricht<br />
auseinan<strong>der</strong>setzte. So<br />
wie es die Sprecher, Schauspieler<br />
und Sänger tun.<br />
An dieser Stelle möchte ich<br />
Joseph Beuys zitieren, <strong>der</strong><br />
sagte: „Je<strong>der</strong> Mensch ist ein<br />
Künstler“.<br />
Sie mögen jetzt denken – nun<br />
gut, es geht hier aber nicht<br />
darum Künstler zu sein, son<strong>der</strong>n<br />
um Praktische Rhetorik!<br />
Ja! Doch wenn wir betrachten,<br />
was Künstler-sein bedeutet,<br />
wird <strong>der</strong> Zusammenhang<br />
klar.<br />
Künstler sein heißt, die Fähigkeit<br />
zur hohen Achtsamkeit.<br />
Das bedeutet die Sensibilisierung<br />
<strong>des</strong> Erkennens von<br />
Zusammenhängen. Die Dinge<br />
und Geschehnisse in Beziehung<br />
zu stellen. Das gesprochene<br />
Wort in Beziehung zu<br />
mir zu stellen und <strong>der</strong> dadurch<br />
entstehenden Resonanz<br />
Ausdruck verleihen. Und weil<br />
es also ein Beziehungsgeschehen<br />
ist, ist die Aussage von<br />
Joseph Beuys hier vortrefflich!<br />
Denn <strong>der</strong> Priester befindet<br />
sich immer in Beziehung.<br />
Am Anfang war das WORT.<br />
Das Wort ein Beziehungsgeschehen<br />
zwischen Gott und<br />
mir. Zwischen meinem Innen<br />
und Außen. Ein Beziehungsgeschehen<br />
zwischen mir und<br />
meinem Gegenüber. Dieses<br />
Beziehungsgeschehen kann<br />
ohne Achtsamkeit nicht sein.<br />
Als Pförtnerin bei den unbeschuhten<br />
Karmelitinnen in<br />
Köln erlebe ich oft den Augenblick<br />
<strong>des</strong> „Türöffnens“ als<br />
eine Schule <strong>der</strong> Achtsamkeit.<br />
Die Tür zur Kirche im Priesterseminar<br />
Ohne zu wissen, wer o<strong>der</strong> was<br />
mich erwartet, gehe ich auf<br />
die große schwere Holztür zu.<br />
Es gibt keine Möglichkeit vor<br />
dem Öffnen <strong>der</strong> Tür einen<br />
Blick nach Außen zu tun um<br />
mich im Voraus auf mein Gegenüber<br />
einzustellen. Der<br />
Moment <strong>des</strong> Öffnens ist ein<br />
Augenblick <strong>des</strong> sich Einlassen<br />
auf die Begegnung. Jetzt -<br />
unmittelbar.<br />
Im Grunde verhält es sich<br />
auch so mit dem Wort. Und<br />
die entscheidende Frage stellt<br />
sich immer wie<strong>der</strong> aufs Neue:<br />
Lasse ich mich auf das Wort<br />
ein? Öffnen. Lausche ich <strong>der</strong><br />
Stille im Wort? Begegnung.<br />
Es gibt ein weiteres Beispiel<br />
das ich während meiner Ausbildung<br />
hörte und an das ich<br />
immer wie<strong>der</strong> denken muss.<br />
Und zwar: Das Lesen <strong>der</strong><br />
Worte ist wie ein Weg, bestehend<br />
aus einzelnen Steinen,<br />
<strong>der</strong> über einen Bach führt.<br />
Das bewusste Auftreten auf<br />
die Steine ist von Nöten, um<br />
nicht ins Wasser zu fallen.<br />
Auf das Lesen und Sprechen<br />
bezogen heißt das: Das Bleiben<br />
am Wort, das Voranschreiten<br />
von Wort zu Wort,<br />
ist von Nöten, um am Sinn,<br />
um im Grunde <strong>des</strong> Wortes zu<br />
bleiben.<br />
12<br />
Für einen Priester ist es daher<br />
wichtig am Wort voran-zuschreiten.<br />
Dran zu bleiben.<br />
Sich im Innern dafür offen zu<br />
halten. Es ist ein Sich- Zulassen<br />
im Wort, ein Wirken-<br />
Lassen, ein Sich-davon-<br />
Berührenlassen. Und diese<br />
Be-Rührung dann weiter zu<br />
geben.<br />
Niemand kann berühren, begeistern,<br />
entflammen, wenn<br />
dies nicht auch mit ihm geschieht<br />
o<strong>der</strong> geschehen ist.<br />
Das bedeutet wohl Authentizität.<br />
Solange ich nicht den Mut<br />
aufbringe mich dem Wort<br />
auszusetzen, von meinen Vorstellungen<br />
ablasse und ich<br />
mich folglich nicht einlasse,<br />
wird die Achtsamkeit, die für<br />
die Anbindung an das Wort<br />
Edith-Stein-Denkmal vor dem<br />
Priesterseminar<br />
wichtig ist, sich nicht bilden!<br />
Es mag im Kleinen, im Unscheinbaren,<br />
in <strong>der</strong> Stille beginnen.<br />
Die Stille, das Schweigen,<br />
ein Paradox zum Sprechen?<br />
Nein!<br />
Denn wie wi<strong>der</strong>fuhr es dem<br />
Propheten Elija am Berg Horeb,<br />
als er sich in <strong>der</strong> Höhle<br />
verbarg. Er begegnete Gott,<br />
dem Wort, nicht im Feuer,<br />
nicht im Erdbeben o<strong>der</strong> im
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
Sturm, son<strong>der</strong>n im sanften<br />
leisen Säuseln. Durch diese<br />
stille Berührung wusste er<br />
wie<strong>der</strong> zu handeln, wusste er<br />
wie<strong>der</strong> zu sprechen.<br />
Wenn sich also diese Erfahrung<br />
im Kleinen, im Stillen,<br />
im Unscheinbaren vollzogen<br />
hat, wird das Erlebte durch<br />
seine Resonanz hörbar nach<br />
außen dringen und entsprechend<br />
gestaltet werden. So<br />
findet <strong>der</strong> Sprechende seinen<br />
persönlichen Sprachduktus<br />
und Sprachfluss. Er erfährt<br />
seine kreative Stimmgebung,<br />
Akzentuierung und Pausengestaltung.<br />
Dann ist <strong>der</strong> Priester durchlässig<br />
für das Wort! Dann erreicht<br />
das Wort sein Gegenüber:<br />
Vom Ich zum Du.<br />
Vom Du im Ich zum Ich im<br />
Du.<br />
Ein Beziehungsgeschehen.<br />
Durch meine Tätigkeit als<br />
Sängerin, Regieassistentin<br />
und Sprecherin, durfte ich<br />
meine Ohren und meine Augen<br />
für diese Zusammenhänge<br />
schärfen.<br />
Doch erst die Schule <strong>der</strong> Achtsamkeit,<br />
die mein geistliches<br />
Leben for<strong>der</strong>t, eröffnete mir<br />
den Geschmack <strong>der</strong> Anbindung<br />
zum Wort. Dabei zeigte<br />
sich mir und zeigt sich mir<br />
immer wie<strong>der</strong> aufs Neue eine<br />
unendliche Weite und Tiefe<br />
an Möglichkeiten, die sich als<br />
Lebensaufgabe darstellt. Denn<br />
das Auseinan<strong>der</strong>setzten mit<br />
geistlichen, mystischen Texten<br />
for<strong>der</strong>t ein kompromissloses<br />
Einlassen. Lauheit lässt<br />
mich das Wort nicht erleben<br />
o<strong>der</strong> begreifen. Das Gegenteil<br />
ist es, dass mich in das Beziehungsgeschehen<br />
stellt: Das<br />
Wagnis, die Kühnheit <strong>des</strong> sich<br />
Einlassens.<br />
Abschließend möchte ich noch<br />
einmal das Bild <strong>der</strong> Tür aufgreifen:<br />
Stellen wir uns vor, wir sind<br />
die Angel, die fest im Türrahmen,<br />
im Mauerwerk, verankert<br />
ist und an <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um<br />
die Tür befestigt ist. Es gibt<br />
ein Sich-nach-Innen- und ein<br />
Sich-nach-Außen-Wenden.<br />
Die Größe <strong>der</strong> Tür, im Blick<br />
auf die Möglichkeit <strong>der</strong> Öffnung,<br />
hängt von <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong><br />
Verankerung <strong>der</strong> Türangel ab.<br />
Je tiefer also diese verankert<br />
ist, um so mehr Öffnung kann<br />
geschehen.<br />
Wir dürfen auf diese Tiefe vertrauen,<br />
uns darauf verlassen.<br />
Tagtäglich. Durch das Schärfen<br />
<strong>der</strong> Achtsamkeit im Beziehungsgeschehen.<br />
Von Wort zu<br />
Wort.<br />
Das ist es, was ich den angehenden<br />
Priestern vermitteln<br />
möchte, indem ich versuche,<br />
ihnen einen Weg zu eröffnen,<br />
sich selbst einen Raum zu bereiten,<br />
worin sie sich in diesem<br />
Beziehungsgeschehen erfahren<br />
und kräftigen können.<br />
Das Wort als Glaubenserfahrung!<br />
Von Innen nach Aussen<br />
und von Aussen nach Innen –<br />
Barbara Schachtner T.OCarm<br />
50679 Köln<br />
Die lebendige Liebesflamme<br />
WortMusikKomposition für zwei<br />
Sänger und Clavichord<br />
13<br />
Am 22. Juni 2012 trugen Barbara<br />
Schachtner T.OCarm und<br />
Jörg Golletz in <strong>der</strong> Kirche <strong>des</strong><br />
Kölner Karmelitinnenklosters<br />
Maria vom Frieden einem<br />
begeisterten Publikum ihre<br />
Lebendige Liebesflamme vor<br />
und wurden unmittelbar nach<br />
<strong>der</strong> Aufführung von den<br />
Schwestern eingeladen, diese<br />
Komposition ein zweites Mal<br />
am 16. August 2012 im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Festwoche zum Gedenken<br />
an den 70. To<strong>des</strong>tag<br />
von Edith Stein zu Gehör zu<br />
bringen.<br />
Schwester Ancilla, Priorin <strong>des</strong> Kölner<br />
Karmelitinnenklosters<br />
Die Aufführung begann mit<br />
einer Rezitation <strong>der</strong> Lebendigen<br />
Liebesflamme von Johannes<br />
vom Kreuz, wonach<br />
<strong>der</strong> gregorianische Choral Veni<br />
et ostende und Improvisationen<br />
über bekannte geistliche<br />
Lie<strong>der</strong> folgten. Im weiteren<br />
Verlauf wurden verschiedene<br />
Texte von Edith Stein<br />
sowie Texte aus <strong>der</strong> Klosterchronik<br />
und das Gebet einer<br />
unbekannten Karmelitin gesprochen<br />
und musikalisch<br />
umspielt. Schachtner und Golletz<br />
schöpften für ihre Textauswahl<br />
u.a. aus einem Vortrag<br />
von Sr. Ancilla OCD –<br />
Edith Stein. Der Weg nach<br />
Innen – und aus einer Publi-
Der Rabe <strong>des</strong> Elija 10 | 2012<br />
Die Künstler Jörg Golletz uns Barbara Schachtner<br />
kation von Sr. Teresia Renata<br />
de Spiritu Sancto – Unter<br />
dem Zepter <strong>der</strong> Friedenskönigin.<br />
300 Jahre Kölner<br />
Karmel. 1637-1937. Musikalische<br />
Quellen <strong>der</strong> Künstler<br />
waren neben <strong>der</strong> Gregorianik<br />
auch die Biblischen Gesänge<br />
von Antonin Dvorak sowie<br />
Jüdisches Liedgut, ein Andachtsjodler<br />
und das Flos<br />
Carmeli.<br />
Die bewegende Lebensgeschichte<br />
von Edith Stein sowie<br />
berührende Momente aus <strong>der</strong><br />
Geschichte und Spiritualität<br />
<strong>der</strong> Schwestern werden den<br />
Zuhörern schmerzlich aber<br />
zuweilen auch tröstlich und<br />
heiter präsent. Sehr gelungen<br />
sind die Verbindungen von<br />
Wort und Musik, die den Zuhörer<br />
in die Tiefe führen und<br />
ihm einen neuen Geschmack<br />
an <strong>der</strong> Karmelspiritualität<br />
vermitteln. Schachtner und<br />
Golletz stellen mit dieser<br />
Komposition wie<strong>der</strong> einmal<br />
ihr außerwöhnliches Gespür<br />
für die spezifische Atmosphäre<br />
eines Aufführungsortes unter<br />
Beweis.<br />
Die Produktion Lebendige<br />
Liebesflamme wurde u.a. von<br />
ludi divini e.V. finanziell unterstützt.<br />
Elisabeth Hense T.OCarm<br />
47533 Kleve<br />
Impressum<br />
© Dritter Orden im Karmel –<br />
Johannes Soreth. Dieses Werk<br />
ist urheberrechtlich geschützt.<br />
Die dadurch begründeten<br />
Rechte bleiben, auch bei nur<br />
auszugsweiser Verwertung,<br />
vorbehalten.<br />
ISSN 1861-4965<br />
Redaktion:<br />
Drs. Ing. Paul Menting T.OCarm.<br />
Dr. Elisabeth Hense T.OCarm.<br />
Dr. Edeltraud Klueting T.OCarm.<br />
Anschrift:<br />
Rehweg 15, 47533 Kleve<br />
E-Mail:<br />
paul.menting@tocarm.de<br />
Redaktionsschluss für die elfte<br />
Ausgabe: Juli 2013.<br />
14
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Symposium zu Maria Petyt<br />
11.-12. Oktober 2012 an <strong>der</strong><br />
Radboud Universität Nijmegen<br />
Im vergangenen Jahr hat Veronie<br />
Meeuwsen M.A. das Manuskript<br />
Vita Venerabilis<br />
Matris Mariae a Sta. Theresia,<br />
Arch. Post III 70 (ehemals<br />
Arch. Post III 118), 30r-49v<br />
transkribiert und mit Unterstützung<br />
von Dr. Rijcklof Hofman<br />
und Dr. Miceál O’Neill<br />
O.Carm. ins Englische übersetzt.<br />
1 Diese englische Übersetzung<br />
wurde kürzlich auf einem<br />
internationalen Symposium<br />
über Maria Petyt an <strong>der</strong><br />
Radboud Universität Nijmegen<br />
vorgestellt und mit viel<br />
Interesse im Kreis unserer<br />
Kollegen aus Belgien, den<br />
Nie<strong>der</strong>landen, <strong>der</strong> Schweiz,<br />
Deutschland und Italien diskutiert.<br />
Dass dieses Symposium überhaupt<br />
zustande kommen<br />
konnte, ist vor allem Dra.<br />
Esther van de Vate O.Carm.<br />
und Dr. Giovanni Grosso<br />
O.Carm. zu verdanken. Dra.<br />
Esther van de Vate O.Carm.<br />
hatte vor einigen Jahren den<br />
Vorschlag gemacht, das bislang<br />
unbeachtete Manuskript<br />
einmal genauer zu erforschen<br />
und Dr. Giovanni Grosso<br />
O.Carm., Generalpostulator<br />
unseres Ordens aus Rom, in<br />
<strong>des</strong>sen Archiv sich das Manuskript<br />
befindet, stellte Fotos<br />
<strong>der</strong> betreffenden Seiten<br />
zur Verfügung.<br />
Zwar wurde <strong>der</strong> Codex Vita<br />
Venerabilis Matris Mariae a<br />
Sta. Theresia bereits von Albert<br />
Deblaere in <strong>des</strong>sen Dissertation<br />
(1962) 2 kurz be-<br />
1 Siehe hierzu auch Der Rabe <strong>des</strong><br />
Elija 2011.<br />
2 Albert Deblaere, De mystieke<br />
schrijfster Maria Petyt, Gent 1962,<br />
17-18; siehe auch: Albert Deblaere,<br />
Maria Petyt, Écrivain et mystique<br />
flamande, in: Carmelus<br />
(1979), 13-14.<br />
schrieben, jedoch ging Deblaere<br />
mit keinem Wort auf den<br />
interessanten – vielleicht sogar<br />
brisanten – Inhalt <strong>der</strong> fol.<br />
30r-49v ein. Wer sich nun den<br />
Inhalt eben dieser Seiten einmal<br />
genauer anschaut, muss<br />
zu dem Schluss kommen, dass<br />
wir unser Bild von Maria Petyt<br />
als einer zurückgezogenen<br />
Klausnerin, die sich nur ihrem<br />
inneren Leben mit Gott hingab,<br />
gründlich revidieren<br />
müssen. Maria Petyt erscheint<br />
auf diesen Seiten als eine politisch<br />
bewegte Frau, die sich<br />
intensiv mit dem holländischen<br />
Krieg befasst hat und<br />
einen klaren politischen<br />
Standpunkt einnahm.<br />
Unser Symposium bot folgende<br />
Vorträge:<br />
• einen Vergleich zwischen<br />
Maria Petyt und Antoinette<br />
Bourignon, einer Zeitgenossin<br />
Marias, die teilweise<br />
an denselben Orten lebte wie<br />
Maria und ebenfalls nach<br />
neuen Formen für ihren geistlichen<br />
Weg suchte, wenngleich<br />
nicht im Karmel<br />
• eine Skizze <strong>des</strong> theresianischen<br />
Karmels in Belgien<br />
zur Zeit Maria Petyts, wobei<br />
Vergleiche angestellt wurden<br />
zwischen dem klausurierten<br />
Leben <strong>der</strong> Nonnen und dem<br />
neuen Lebensmodell Maria<br />
Petyts<br />
• eine Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
über die Frage, ob eine<br />
Mystikerin sich im Gebet mit<br />
Kriegsgeschehnissen befassen<br />
darf o<strong>der</strong> ob sie sich im Gebet<br />
von allen kriegerischen Handlungen<br />
zu distanzieren hätte<br />
• einen Einblick ins tägliche<br />
Leben <strong>der</strong> Maria Petyt,<br />
das auf Grund <strong>der</strong> 1999 wie<strong>der</strong>gefundenen<br />
Ordonnantien<br />
<strong>der</strong> Mechelsen Klause, die von<br />
Michael vom hl. Augustinus<br />
erstellt worden waren, rekonstruiert<br />
werden kann<br />
• eine Beschreibung <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>des</strong> Manuskripts<br />
15<br />
• eine eingehende Rekonstruktion<br />
<strong>der</strong> historischen<br />
Quellenlage zu den Fragen,<br />
warum Michael vom hl. Augustinus<br />
diesen Teil <strong>des</strong> lateinischen<br />
Manuskripts nie publiziert<br />
hat und warum dieser<br />
Teil bis heute im Archiv verborgen<br />
blieb<br />
• eine Analyse <strong>der</strong> Art<br />
und Weise, wie Maria Petyt<br />
auf diesen Folios mit <strong>der</strong> Frage<br />
<strong>der</strong> Unterscheidung <strong>der</strong><br />
Geister umgeht<br />
• einen Vergleich zwischen<br />
dem inneren Gebet <strong>der</strong><br />
Teresa von Avila (Seelenburg)<br />
und dem Gebet <strong>der</strong> Maria Petyt<br />
auf diesen Folios, das dem<br />
inneren Gebet in den vierten<br />
bis siebten Wohnungen <strong>der</strong><br />
Seelenburg entspricht.<br />
Alle Vorträge werden nun auf<br />
Grund unserer Diskussionen<br />
weiter ausgearbeitet und im<br />
nächsten Jahr publiziert. Damit<br />
<strong>der</strong> deutsche Leser sich<br />
schon jetzt einen ersten Eindruck<br />
von dem besagten Text<br />
aus dem lateinischen Codex<br />
verschaffen kann, bieten wir<br />
in <strong>der</strong> diesjährigen Ausgabe<br />
<strong>des</strong> RABEN eine deutsche<br />
Übersetzung seiner ersten Seiten<br />
(fol. 30r-37v).<br />
Elisabeth Hense T.OCarm<br />
47533 Kleve
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Das Leben <strong>der</strong> hochgeschätzten Mutter Maria von <strong>der</strong> heiligen Theresia<br />
Rom, Carm. Archiv, Post III 70 (ehemals Post III 118), 30r-37v.<br />
Übersetzung von Dr. Elisabeth Hense, Radboud Universität Nijmegen<br />
Das Manuskript ist an vielen Stellen beschädigt und dadurch nicht immer zu entziffern. Diese Stellen sind mit drei Punkten<br />
(...) markiert.<br />
30r<br />
Auf Gottes Geheiß schreibt sie ihrem geistlichen Vater mit <strong>der</strong> Bitte, dies geheim zu halten,<br />
solange sie lebt. Sie beginnt am siebten November 1672.<br />
Der Name <strong>des</strong> Herrn sei gepriesen von nun an bis in Ewigkeit. Soweit ich den Auftrag meines göttlichen<br />
Geliebten verstehen und beurteilen kann, habe ich meinen Stift zur Hand genommen, um das Folgende<br />
aufzuzeichnen. Es soll geheim und verborgen bleiben und ist nur für meinen geistlichen Vater bestimmt<br />
und nichts davon darf einem an<strong>der</strong>en direkt o<strong>der</strong> indirekt bekannt gemacht werden, solange ich lebe,<br />
damit kein schlechter Geist ein Mittel hierin findet, womit er mich in einer Zeit <strong>der</strong> Prüfung angreifen<br />
kann.<br />
Nachdem <strong>der</strong> Geist sie einen Monat lang im Innern verlassen hatte, kehrt er zurück. Sie wird<br />
zur innigsten Ruhe hingezogen, vom Geliebten in Besitz genommen und sie besitzt Ihn. Der<br />
Geist <strong>des</strong> Betens für den König von Frankreich und ihre mütterliche Liebe wird in ihr erneuert,<br />
wobei das Vorherige bestätigt wird.<br />
Als die innere Verlassenheit und Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, die ich Euer Ehrwürden in den Briefen vom<br />
sechzehnten und siebzehnten Oktober mitgeteilt habe und die etwa einen Monat gedauert hatten, aufhörten,<br />
ist in mir ein neuer Geist erwacht und aufs Neue angefacht, ein Geist, <strong>der</strong> sozusagen einige Monate<br />
in mir geschlafen hatte und verschwunden war und ohne Wirkung o<strong>der</strong> eine Wahrnehmung <strong>der</strong>selben<br />
war, nämlich von <strong>der</strong> Zeit an, als <strong>der</strong> König in sein Vaterland zurückkehrte.<br />
Zu Beginn hat <strong>der</strong> Geliebte mich in sich aufgenommen mit einer wahrnehmbaren und angenehmen<br />
Verdunklung <strong>des</strong> Lichtes und Glanzes seiner Göttlichkeit, eines Lichtes, das alle Kräfte meiner Seele erleuchtete<br />
und durchdrang. Einige Tage lang wurde ich zu einer tiefen innigen Ruhe im Geliebten hingezogen<br />
wie in einen Liebesschlaf, in dem alle Dinge vergehen, die Er nicht ist, und ich nichts an<strong>der</strong>es<br />
wahrnehme als seine Gegenwart. Einmal wurde ich sozusagen ganz von Ihm in Besitz genommen. Er<br />
besaß mich und ich besaß Ihn. Da drang <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens für den König von Frankreich wie<strong>der</strong> in<br />
mich ein wie zuvor, <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> sehr lebendig und kräftig zu wirken begann, um ihm beizustehen und<br />
ihn zu unterstützen. Und all die vorausgegangenen innerlichen .... Erleuchtungen, liebevolle Zuneigung<br />
zu diesem König, <strong>der</strong> mütterliche Geist etc. wurden mir wie<strong>der</strong>um ... mit einer erneuten Bestätigung ihrer<br />
Wahrheit gewährt.<br />
Der Geliebte stellt sie an die Seite jenes Königs, damit sie ihm hilft und ihn und sein Heer<br />
segnet. Sie wun<strong>der</strong>t sich über die Anweisung ... hinsichtlich <strong>des</strong> Königs, <strong>des</strong>sen Absicht – wie<br />
sie versteht – gottförmig ist.<br />
Ich bemerkte, dass <strong>der</strong> Geliebte mich an die Seite dieses Königs stellte und dass <strong>der</strong> Geliebte mich ihm<br />
zuneigte, als ob es meine Pflicht wäre, mit diesem König zusammen zu wirken: den Segen, den ich ihm<br />
auf Geheiß <strong>des</strong> Geliebten zuvor gegeben hatte, schenkte ich ihm und seinem Heer mit starker und lebendiger<br />
Liebe erneut. Seit dieser Zeit bleibt <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens für ihn beständig und ununterbrochen<br />
in mir. Was <strong>der</strong> Geliebte von mir zu verlangen scheint, tue ich freiwillig und biete ich aus mir<br />
selbst heraus an. In <strong>der</strong> innersten Tiefe wird es durch den Geist befohlen und aufgetragen … mit lebendigem<br />
Glauben, festem Vertrauen und starker Frömmigkeit ... was ich darbringen soll .... schöpfte ich<br />
alles aus dem geliebten Jesus, meinem Gott ... möge er die Kraft und Gnade erlangen, um seine Feinde<br />
zu überwinden.<br />
Ich verstehe nämlich innerlich, wozu seine Seele entschlossen ist und was seine Überzeugung ist, und<br />
dass <strong>der</strong> Eifer in Bezug auf Holland deutlich gottförmig ist. Er hat damit nichts an<strong>der</strong>es im Sinn als die<br />
Ehre und Herrlichkeit Gottes und die Bekehrung <strong>der</strong> Herzen. Viele beschuldigen ihn fälschlich und ....<br />
verbreiten ein gegenteiliges Urteil: wahrlich, die Urteile Gottes sind an<strong>der</strong>s, an<strong>der</strong>s als die <strong>der</strong> Men-<br />
16
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
schen. Eines Tages wird die Wahrheit enthüllt, weil Gott mit ihm sein wird und mit ihm ist und wir<br />
werden sehen, dass Gottes Kraft in ihm ist und mit ihm wirkt.<br />
30v<br />
Sie versteht, dass Jesus diesen König liebt und sie selbst liebt ihn wie ihr Kind. Sie liebt auch<br />
all seine Soldaten wie ihre Kin<strong>der</strong> und kümmert sich wie eine Mutter um sie. Sie liebt das<br />
Heer und sendet Engel etc.<br />
Ich habe gesehen und verstanden, dass dieser König von Jesus geliebt wird. Durch dieselbe Liebe wird<br />
er auch von mir geliebt wie ... ein Kind, das Jesus liebt. Darum sage ich, wenn ich für ihn bete, zu Jesus:<br />
Mein Geliebter, hilf Du Deinem und meinem Kind mit Deiner Kraft, Weisheit und Liebe. Und hieraus<br />
geht eine weitere Liebe hervor, die zu all seinen Untergebenen und Soldaten hinfließt, als ob sie alle<br />
meine Kin<strong>der</strong> wären.<br />
Mein mütterliches Herz ist sehr ergriffen und mein Mitgefühl für sie ist überaus stark, vor allem für die<br />
Schwachen ... so dass ich sie meinem Geliebten ans Herz lege, dass Er sie heilen und beruhigen möge<br />
etc., damit sie gewappnet sind und zum Kampf bereit. Ein an<strong>der</strong>er, wie vom Feuer <strong>der</strong> Liebe entzündeter<br />
Geist gibt dem König und seinen Soldaten den Mut, ihre Feinde nicht zu fürchten, so dass sie in<br />
Christi Namen und aus Liebe zu Ihm großmütig auf sie losgehen und ihnen den Sieg Jesu ansagen. Der<br />
Geist <strong>der</strong> Liebe bleibt mit meinem ganzen Herzen und meiner Zuneigung standhaft an <strong>der</strong> Seite <strong>des</strong> Königs<br />
von Frankreich und scheint die Armee gleichsam zu umringen und zu umfassen wie mit einer zugeteilten<br />
Kraft, die aus meinem Herzen und meiner innigen Liebe herrührt und hervorfließt. Der Geist <strong>der</strong><br />
Liebe trägt dem Geliebten auch die Bitte vor, ihnen sozusagen eine Schar von Engeln zu Hilfe zu senden<br />
und sie zu unterstützen.<br />
Aus dem göttlichen Herzen kommt eine Kraft, die aus ihr hervorfließt, um dem König von<br />
Frankreich zu helfen, von dem sie sagt, dass er wahrlich bekehrt ist. Der Geist <strong>des</strong> Betens für<br />
ihn dauert fort, während sie wahrnimmt, dass die göttliche Majestät sie hierzu ermutigt und<br />
ihr einen guten Ausgang versichert.<br />
Als ich etwa zwei o<strong>der</strong> drei Tage im Gebet war, sah ich, dass eine göttliche Kraft und Gnade aus dem<br />
göttlichen Herzen hervorströmte, die weiter zu fließen schien, um dem König von Frankreich zu helfen.<br />
... manche sagen, dass <strong>der</strong> König von Frankreich nicht wirklich bekehrt ist und dass er selbst die Türken<br />
ermutigt, um den König ... <strong>der</strong> Christen anzugreifen. Wenn dies wahr wäre, wie könnte Jesus den König<br />
dann so wahrhaft lieben, wie ich erkenne, dass ... Jesus ihn liebt.<br />
... November 1672 dauert <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens fort, wie ich oben bereits beschrieben habe, und mit<br />
unaufhörlicher ... und lebendiger, während ich die süße göttliche Majestät in mir wahrnehme, die mich<br />
... lockt und mir sehr großes Vertrauen, Hoffnung und Sicherheit bezüglich <strong>des</strong> guten Ausgangs gibt.<br />
Diese süße Majestät sehe und trage ich unaufhörlich im Gebet o<strong>der</strong> außerhalb <strong>des</strong> Gebetes in mir.<br />
Nichts kann mich daran hin<strong>der</strong>n, dass ich Sie wahrnehme, unablässig betrachte und mich an Ihr festhalte<br />
und voller Vertrauen und freundschaftlich mit Ihr umgehe und mit Ihr spreche. Denn <strong>der</strong> Geist,<br />
<strong>der</strong> ungebunden und frei von allem ist und sich von an<strong>der</strong>en Dingen losgelöst hat, kann sich im Innern<br />
<strong>der</strong> Seelenburg aufhalten: ganz so als wäre er abgeschieden von an<strong>der</strong>en Dingen, die vielfältig ... sind ...<br />
körperliche und sinnliche Dinge, die nicht vom Geist akzeptiert werden o<strong>der</strong> erlaubt sind. Denn alles<br />
zuvor Gesagte ... Geist <strong>der</strong> Liebe hervorgegangen und von <strong>der</strong> Einheit Gottes durchdrungen und daher<br />
ohne ... eins und dem göttlichen Geist gleich, <strong>der</strong> all die verschiedenen Auswirkungen zustande bringt.<br />
Entgegen ihrer natürlichen Neigung wird sie von Gott dazu bewegt, um für den Erfolg <strong>des</strong><br />
Königs von Frankreich zu beten, wobei ihr versichert wird, dass Gott ihm günstig gesinnt ist<br />
und dass er siegen wird. Sie betrachtet die feindlichen Heere als Fliegen. Mit ihrem Geist umfasst<br />
sie das Heer <strong>der</strong> Franzosen, so wie <strong>der</strong> Geist das vermag.<br />
Ich erfahre und bemerke, dass diese Auswirkungen in mir übernatürlich und sogar gegen meine natürliche<br />
Neigung geschehen. Denn <strong>der</strong> Natur nach neige ich mehr dazu, dem König <strong>der</strong> Spanier zu helfen, so<br />
dass ich seinen Waffen Erfolg wünschen möchte und hiernach verlange, weil er unser König und auch<br />
katholisch ist.<br />
17
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
31r<br />
Darum denke ich, dass Gott beschlossen hat, den König von Frankreich zu ehren und sein Reich auszubreiten<br />
und darum lässt er mich gegen mein natürliches Gefühl zu diesem König hinneigen und ich<br />
stehe an seiner Seite, um ihm zu helfen. Der Geist <strong>der</strong> Liebe und <strong>des</strong> Gebets setzt sich fort, wie ich hier<br />
oben beschrieben habe, jedoch wird mir mit größerer Ruhe und Intimität <strong>des</strong> Geistes auch gesagt und<br />
versichert, dass Gott sich an <strong>der</strong> Seite <strong>des</strong> Königs von Frankreich befindet und dass er darum über seine<br />
Feinde siegen wird. Hieran gibt es keinen Zweifel. Dies ist sicher und steht fest, sogar wenn es äußerlich<br />
an<strong>der</strong>s erscheint, nämlich wenn sich zwei o<strong>der</strong> drei starke Heere kräftiger, robuster und im Krieg erfahrener<br />
Soldaten gegen ihn aufstellen. In meinem Geist und meinem Herzen sind sie wie ein Schwarm<br />
Fliegen: ohne Kraft, ohne Stärke und ohne Macht, die sich mit Gottes Kraft und Seiner Autorität vergleichen<br />
ließe, die sich zum König von Frankreich und seinem Heer hinneigt und ihm wohlgesinnt ist.<br />
Der Geist verteilt sich und streckt sich aus über dieses Heer, indem er es sozusagen rundherum ergreift.<br />
Mein menschlicher Geist bewirkt dies nicht in mir, son<strong>der</strong>n es ist <strong>der</strong> Geist Gottes vereinigt mit meinem<br />
Geist, <strong>der</strong> dies in mir und durch mich und mit mir bewirkt. Dies geschieht in einem Zustand sehr<br />
gleichmütiger Ruhe und inniger Verbindung o<strong>der</strong> Vereinigung meines Geistes mit dem göttlichen Geist,<br />
ohne Worte, ohne Gedanken und beinahe ohne Vorstellung von etwas Körperlichem. Dieser Zustand ist<br />
zu edel und zu innig, als dass er irgendeine imaginative o<strong>der</strong> körperliche Vorstellung o<strong>der</strong> ein in Gott<br />
erkanntes o<strong>der</strong> erinnertes Bild zulassen o<strong>der</strong> vertragen würde. Als ob intellektuelle Visionen o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />
(wie mir scheint) das höchste sind, was hier gestattet wird. Doch wenn ich etwas – ganz gleich wie viel<br />
und wo – von mir selbst dahinein mischen wollte, würde <strong>der</strong> Geist sogleich völlig verfliegen und würde<br />
umhüllt und ich würde in meine Natur zurückkehren. Ich brauche nichts an<strong>der</strong>es zu tun als in <strong>der</strong> Einheit<br />
mit dem göttlichen Geist zu bleiben und die göttliche Auswirkung zu erfahren. Es ist <strong>der</strong>selbe Geist,<br />
<strong>der</strong> seit so vielen Monaten in einer Weise betet, die nicht darzustellen ist. Wenn ich diese Dinge jedoch<br />
so deutlich in mir wahrnehme und erfahre, habe ich keinen Grund, warum ich nicht einen siegreichen<br />
Erfolg erwarten sollte und einen guten Ausgang im Vorteil <strong>der</strong> Franzosen. Da we<strong>der</strong> ein schlechter Geist<br />
noch eine solche Natur dies alles bewirken könnte, weiß ich das sicher.<br />
Sie wird sich <strong>des</strong> siegreichen Erfolges gewisser je länger sie in <strong>der</strong> Einheit ihrer Seele mit<br />
Gott verweilt. Und gegen den Anschein wird ihr aufs Neue <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> Franzosen zugesichert.<br />
Am zwölften <strong>des</strong> genannten Monats wird diese Sicherheit weiterhin in mir genährt wie zuvor: mit neuer<br />
... und Erleuchtung. Wenn <strong>der</strong> Geist in seiner Reinheit abnimmt und in tätiger Liebe verwelkt und ...<br />
Geliebten, dann verschwindet auch das Licht, die Sicherheit und <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens und ... aus Angst,<br />
dass sich von all diesen Visionen nichts erfüllen wird und sie in Rauch aufgehen werden, was ich durch<br />
... befürchtete, weil mir von <strong>der</strong> großen Macht und den sehr starken Heeren erzählt wurde ... die zusammengezogen<br />
wurden, um den König von Frankreich gemeinsam anzugreifen und ihn zu überwältigen.<br />
Darum sagte ich ... ohne jede Hoffnung, dass er entkommen könnte und in diesem Konflikt den<br />
Sieg erringen könnte.<br />
Nachdem ich meinen Willen gleichförmig und einförmig gemacht hatte mit dem Willen meines Geliebten,<br />
damit ich die Erniedrigung mit Gleichmut und Freude im Geist ertragen könnte, kehrte <strong>der</strong> Geist<br />
plötzlich zurück und verstärkte alles zuvor Gesagte ... und <strong>der</strong> Geist konnte nicht zurückgehalten werden,<br />
da er im Innern rief: <strong>der</strong> Sieg für die Franzosen, Sieg ... weil <strong>der</strong> Geist mehr o<strong>der</strong> weniger in Gott<br />
ist, ist er auch entsprechend größer o<strong>der</strong> weniger ...<br />
Wenn ihr Geist mit Gott vereint ist, ist ... größer... Das Erkenntnisvermögen, das mit dem<br />
göttlichen Erkenntnisvermögen vereint ist, sieht wie... Der Wille ist eins mit dem göttlichen<br />
Willen, wodurch sie auch ... will ...<br />
Wenn <strong>der</strong> menschliche Geist mit Gott o<strong>der</strong> mit dem göttlichen Geist vereinigt ist ...<br />
31v<br />
die Seele nichts weniger als Gott ersehnt o<strong>der</strong> will: wohin Gott sich wendet, dahin muss sich auch meine<br />
Seele wenden. Was Gott liebt, das liebt auch meine Seele. Wovon Gott sich abwendet, davon wendet<br />
sich auch meine Seele ab. Das ist auch nicht an<strong>der</strong>s möglich, weil Gott sie besitzt, bewegt, ausrichtet<br />
und mit ihr vereint ist. Mit Gott ist sie ein Sein, ein Wirken, ein Verstehen und ein Wollen.<br />
18
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Sie wird zu verschiedenen Weisen <strong>des</strong> Gebets für an<strong>der</strong>e bewegt: zum Fürbittgebet, zum Beten<br />
mit drängen<strong>der</strong> Liebe, zum vertrauensvollen Gebet <strong>der</strong> Braut, die vor dem Angesicht Gottes<br />
steht. Manchmal ist sie als Königin beim Geliebten, ausgestattet mit einer gleichwertigen<br />
Autorität, und sie schickt dem König von Frankreich den Erzengel Michael mit den Seinen zu<br />
Hilfe.<br />
Wie zuvor überkommen mich verschiedene Gebetsweisen: einmal ist es ein intimes Fürbittgebet im<br />
Geist, dann wie<strong>der</strong> ... und starke Liebe, dann wie<strong>der</strong> ein Beten in liebevoller Intimität und Freundschaft,<br />
wie sie innerlich einer Braut im Geist gegeben wird. Einmal wurde eine noch tiefer hineingezogen ...<br />
Der Geist befindet sich sozusagen vor dem Angesicht Gottes, eindringlich mit liebevollen Fürbitten betend,<br />
jedoch ohne bestimmte Worte zu bilden, ohne Gedanken. Dies Gebet geschieht im Geist durch<br />
den Geist ohne Mitwirkung an<strong>der</strong>er Kräfte. Dies Gebet könnte leicht studenlang dauern ohne zu ermüden,<br />
denn nach allem, was hiervon wahrgenommen wird, ist es <strong>der</strong> Geist Gottes selbst, <strong>der</strong> in mir und<br />
durch mich betet.<br />
Dass ich sage, dass mein Geist vor dem Angesicht Gottes steht, muss Euer Ehrwürden nicht verwun<strong>der</strong>n.<br />
Möge es Ihnen gefallen zu wissen, dass mein Inneres wie <strong>der</strong> Himmel ist, in dem Gott herrscht<br />
und in dem Er wahrnehmbar und erkennbar Seine Wohnung hat. Das ist so gewiss, als ob ich Ihn mit<br />
meinen eigenen Augen gesehen hätte, wenngleich ich dieser Himmel bin (<strong>der</strong> sich im Augenblick und<br />
bis jetzt mit so großer Reinheit und Herrlichkeit wie ein Gebiet manifestiert, dass ich es nicht in Worte<br />
fassen kann). Oft verdunkle ich diesen Himmel durch ungeschickte Aktivität o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Unvollkommenheiten.<br />
Da sieht <strong>der</strong> Geist seinen geliebten Gott sozusagen von Angesicht zu Angesicht, da wird sozusagen mit<br />
meinem Mund zu seinem Mund gesprochen, von Herz zu Herz, da wird es sozusagen gestattet, im Herzen<br />
Gottes – in etwas Göttlichem, das die Seele nicht erklären kann – zu ruhen und dorthin meine Zuflucht<br />
zu nehmen. Manchmal ist <strong>der</strong> Geist vor diesem göttlichen Angesicht wie ein entflammter und<br />
brennen<strong>der</strong> Funke ruhig und stark ... Liebe Gottes.<br />
Manchmal fühlt sich die Seele bei ihrem Liebsten mehr wie eine Braut o<strong>der</strong> auch wie eine Königin<br />
gleichsam … gestellt ... um Ehre zu erweisen, Ihn mit gleicher Macht und Autorität ... bittend ... ob es<br />
Ihm gefällt, den Erzengel Michael zum Heer <strong>der</strong> Franzosen zu senden ... und ihn ... sozusagen als General<br />
dieses Heeres mit <strong>der</strong> Menge zu dem an<strong>der</strong>en ... mit ihm ... <strong>der</strong> Feind schien mir innerlich zu antworten,<br />
wie viel ich musste ... damit Königin ...<br />
...<br />
Sie versteht, wie wichtig es ist, dass die Franzosen in dem drohenden Konflikt in Charleroi<br />
den Sieg davontragen und wie die Hollän<strong>der</strong> beabsichtigen … die Spanier ... beten, dass Belgien<br />
den Franzosen zufällt.<br />
32r<br />
Aufs Neue wird sie in ihrem Geist durch Gottes Geist zum Beten für den König von Frankreich<br />
bewegt, wobei sie sich passiv verhält, während Gott mit nachdrücklicher Fürbitte in ihr<br />
betete.<br />
Am vierzehnten November 1672 wurde mir zur Zeit <strong>der</strong> Vesper aufs Neue <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens für den<br />
König von Frankreich gewährt. Es war wie zuvor, das Gebet geschah nämlich in meinem Geist durch<br />
Seinen Geist, das heißt nicht durch meine eigene Aktivität o<strong>der</strong> Mitwirkung, son<strong>der</strong>n durch das, was<br />
Gott im Grunde meiner Seele bewirkt, während meine Seele sich passiv verhielt. Das Gebet geschieht<br />
sehr lebendig, nachdrücklich und unaufhörlich, und doch sehr ruhig, einfach und intim (soweit ich<br />
mich erinnern kann). Dies Gebet floss sehr edel und stark aus Gott hervor, sozusagen aus seiner Quelle<br />
o<strong>der</strong> seinem Ursprung, und floss wie<strong>der</strong> in Gott zurück, sozusagen zu seinem Ziel hin mit <strong>der</strong>selben Ruhe,<br />
dem Frieden und <strong>der</strong> Intimität und ohne die Vorstellung eines körperlichen Gegenstan<strong>des</strong>, ohne eine<br />
Form <strong>der</strong> Worte und Sinne, wobei ich nichts an<strong>der</strong>es unterscheiden konnte als Gott, zu Dem ich aufschaute<br />
und Den ich mit brennendem Geist und brennen<strong>der</strong> Sehnsucht liebte und um Erhörung bat.<br />
Der brennende Geist und die feurigen Sehnsüchte standen sozusagen offen vor Gott mit nachdrückli-<br />
19
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
chem und feurigem Fürbittgebet, fortwährend zu Gott hin fließend in einer ungeformten und innigen<br />
Weise, die ich mit Worten nicht an<strong>der</strong>s beschreiben kann.<br />
Ich sage, dass ich Gott und die an<strong>der</strong>en Einwirkungen unterschieden wahrnehmen konnte und mit einem<br />
an<strong>der</strong>en Sinn geschah das ununterschieden und ohne ein erkennen<strong>des</strong> Verstehen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong><br />
Intimität, im Weggezogensein von Bil<strong>der</strong>n und Formen, und ohne das Verschlucktwerden, in dem <strong>der</strong><br />
Geist stand und in das er aufgenommen war.<br />
Ihr Geist, <strong>der</strong> sozusagen ausgestreckt ist vor dem Angesicht Gottes, enthüllt anschließend mit<br />
großer Ehrfurcht ihre Sehnsüchte vor Gott, sozusagen das Herz Gottes dazu drängend, erhört<br />
zu werden.<br />
Einmal war <strong>der</strong> Geist mit großer liebevoller Lebendigkeit sozusagen extrem ausgespannt o<strong>der</strong> ausgestreckt<br />
vor dem göttlichen Angesicht. Und ehrfurchtsvolle Sehnsüchte <strong>der</strong> Seele stehen sozusagen offen<br />
vor Gott mit drängen<strong>der</strong> und liebevoller Zuneigung und mit einem Hindrängen zu Gottes Herzen, damit<br />
sie erhört werden, wie es dem Willen Gottes entspricht. Sie versteht, dass Gott die Dinge erhört, die Ihm<br />
von <strong>der</strong> Sehnsucht stillschweigend vorgelegt werden. Sie versteht ..., dass Gott in Seiner Macht auf diese<br />
Weise ans Werk geht, und dass die Sehnsucht aus Ihm hervorgeht und durch diese ... werden ... so dass<br />
sie auf diese göttliche Weise durch Gott zu Gott betet.<br />
Wie zuvor versteht sie auch, dass Gott sich keine Mühe machen würde, diese Dinge zu gewähren, wenn<br />
Er nicht auf diese Weise darum gebeten würde ... selbst Seinen Geist zu uns zu senden, damit wir mit<br />
unbeschreiblichen Seufzern bitten und fragen ...<br />
Der Geist, <strong>der</strong> so vor dem Angesicht Gottes ausgestreckt ist, erfährt verschiedene Einwirkungen<br />
im Denken und Lieben, ohne mit … zu kommunizieren ... Unmittelbar danach schien er<br />
dort zu schmelzen etc., doch geschieht dies auf verborgene Weise. Sie betet.<br />
Wenn <strong>der</strong> Geist nach innen gewandt sozusagen offen und ausgestreckt vor dem Angesicht Gottes steht,<br />
erfährt er doch verschiedene Einwirkungen im Denken und Lieben, womit er sich in Gott und durch<br />
Gott beschäftigt. Danach .. mit glühen<strong>der</strong> und ... Liebe, die sich nur in den höchsten Kräften regt, funkelt<br />
und strömt ... diese Einwirkung strömt nicht hinunter ... tief, so dass die unteren Kräfte damit ...<br />
haben ... außer sozusagen über einen langen Abstand etwas ergründen können von dem, was geschieht,<br />
und ... in einer Art Morgenröte.<br />
Manchmal scheint <strong>der</strong> Geist vor dem göttlichen Angesicht sozusagen zu schmelzen, zu verschwinden ...<br />
sich selbst; danach scheint er sich zu entgleiten in eine Art Tiefe hinein, sozusagen in eine Art ... von wesentlicher<br />
Nichtigkeit und Unwürdigkeit, sozusagen unwürdig zu erscheinen ... indem sie sich dem Gebet<br />
hingibt und von Ihm erhört wird. In dieser Hingabe und schweigenden Stille streckt sich <strong>der</strong> Geist<br />
also aus o<strong>der</strong> ... vor dem göttlichen Angesicht, als ob er es nicht wagt, vor dem Angesicht zu stehen und<br />
... so wie wir sagen aus großer Ehrfurcht sich fürchtend, Ihn anzuschauen ...<br />
32v<br />
... eine verborgene Weise, die ich nicht in Worte fassen kann, wie <strong>der</strong> Geist Fürbitten spricht und betet,<br />
zum Beispiel für den Erfolg <strong>des</strong> Königs, für die Bekehrung <strong>der</strong> Ketzer zum wahren Glauben etc. Und all<br />
diese Dinge bewirkt <strong>der</strong> Geist durch sich selbst, bewirkt er und sendet er durch übernatürliche Einströmungen<br />
und Erleuchtungen, die mir jetzt über alle Erwartungen hinaus in den Geist fließen wie zuvor<br />
im Zusammenwirken mit dem Geliebten, so dass Euer Ehrwürden die Unterscheidung <strong>der</strong> Geister auf<br />
all diese Dinge besser anwenden und handhaben kann.<br />
Sie wird von einem Geist <strong>der</strong> Liebe zu Jesus als ihrem Bräutigam bewegt und voll Vertrauen<br />
und Eifer setzt sie sich – beinahe in <strong>der</strong> Rolle einer Mutter – ein für die Bekehrung Hollands.<br />
Und in ihr wird ihr mütterliches Gefühl erneuert, die Hollän<strong>der</strong> zu bekehren.<br />
Am fünfzehnten <strong>des</strong> genannten Monats November 1672 begann <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Liebe sich nachmittags<br />
sehr angenehm und spürbar für Jesus, meinen Geliebten, und für den König von Frankreich und seine<br />
Untertanen zu regen. Zunächst regte er sich voller Vertrauen für Jesus, meinen Geliebten, als wäre ich<br />
Seine auserkorene und sehr geliebte Braut und könnte in vielen Gesprächen so mit Ihm umgehen, gestützt<br />
auf eine eifrige, eifersüchtige, törichte und beinahe wahnsinnige Liebe, mit <strong>der</strong> ich durch die Be-<br />
20
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
kehrung <strong>der</strong> Seelen von Holland Sein Ansehen und Seine Herrlichkeit verstärken wollte. Hierbei frischte<br />
sich die Erinnerung wie<strong>der</strong> auf, dass <strong>der</strong> Geliebte mich schon eher sozusagen zu ihrer Mutter gemacht<br />
hatte. Dadurch erneuerte sich in mir mein mütterliches Herz und meine Liebe für sie so wie zuvor.<br />
Viele Dinge kamen mir in den Sinn: dass ich meinen Geliebten bitten sollte, um für ihr Heil zu sorgen<br />
und dieses abzusichern, auch im Blick auf die französischen Soldaten. Sie waren mir alle so angenehm<br />
und ich liebte sie im Geist und Herzen, als wären sie alle gleichermaßen meine Söhne und ich ihre natürliche<br />
Mutter. Darum empfand ich zärtliches Mitleid mit ihnen, ganz als fühlte ich selbst ihre Unannehmlichkeiten,<br />
die Kälte, Entbehrungen, eben wie eine natürliche Mutter merkt, dass sie mitleidet …<br />
und die Unannehmlichkeiten, Schmerzen und den Mangel an Nahrungsmitteln ihrer Söhne wahrnimmt.<br />
... dem Geliebten viele liebevolle Klagen, dass meine Söhne all diese Unannehmlichkeiten, dieses<br />
Unrecht … Krankheiten etc. aus Liebe zu Ihm ertragen, um Ihm zu helfen und ... das Reich, die sie<br />
darum trösten muss und erneut mit innerlicher … Erquicken und erwärmen …<br />
Das Vertrauen und <strong>der</strong> Geist einer Königin kehren in sie zurück und entsprechend redet sie<br />
mit dem Geliebten und den Engeln. Sie bittet, dass Utrecht nicht eingenommen wird. Danach<br />
erschlafft <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens und <strong>des</strong> mütterlichen Handelns.<br />
Das Vertrauen und <strong>der</strong> Geist einer Königin kommen in mir auf, kräftig und lebendig … von so viel … Mit<br />
einem <strong>der</strong>artigen Geist sprach ich voller Vertrauen mit meinem Geliebten und mit den heiligen Engeln,<br />
ihnen sozusagen wie<strong>der</strong>um auftragend, dass sie eines <strong>der</strong> Reiche meines Geliebten in Holland gut bewahren<br />
und beschützen sollten und großherzig … gegen alle, die meinen Geliebten dort von Seinem<br />
Thron stürzen wollten und aus Seinem Reich...<br />
33r<br />
In <strong>der</strong> Intimität ihres Geistes hat sie den Eindruck, dass <strong>der</strong> Geliebte sich beklagt über das<br />
Vergießen unschuldigen Blutes in Holland und über das Unrecht, das Ihm von den Spaniern<br />
angetan wurde, die die Königsherrschaft in Holland behin<strong>der</strong>ten.<br />
Schon seit einigen Tagen bemerkte ich in meinem Innersten plötzliche Erleuchtungen und Eindrücke so<br />
wie ich sie bereits erklärt habe, als ich von einigen subtilen und verzehrenden Funken sprach, die im<br />
Grunde meiner Seele hervorgerufen wurden. Diese Funken und Eindrücke schienen mich zu erleuchten<br />
und mir seitens <strong>des</strong> Geliebten zu verdeutlichen, wie sehr Er Sich über das unschuldige Blut beklagte,<br />
das zu Unrecht auf beiden Seiten in Holland vergossen wurde, und über das Unrecht, das Ihm seitens<br />
<strong>der</strong> Spanier angetan wurde, die all ihre Kraft zu gebrauchen schienen und all ihre Macht einsetzten, um<br />
Jesus aus Seinem neuem Reich zu vertreiben. So sehr sie nur können schienen sie die Frieden stiftende<br />
Besitzergreifung Seines ersehnten Reiches und die Stärkung <strong>des</strong> katholischen Glaubens verhin<strong>der</strong>n zu<br />
wollen … Nicht dass die Spanier ausdrücklich diese Absicht haben, aber sie liefern den Ketzern ihre<br />
Waffen, um den französischen König zu vertreiben, und sie glauben den Versprechungen, die diese gottlose<br />
Nation ihnen gemacht hat, und hoffen, dass sie selbst Holland allmählich besetzen und schließlich<br />
ihrer Vorherrschaft ganz unterwerfen können. Wirklich, auf Grund <strong>der</strong> Dinge, die ich damals sah und<br />
erkannte, ist diese Hoffnung eitel und nichtig … durch die Wirkung, die folgen wird. Ich verstand auch,<br />
dass die Versprechungen <strong>der</strong> Ketzer und die Vorschläge, die sie <strong>der</strong> Königin machten, gegenstandslos<br />
sind, voller Listen und Irreführungen. Irgendwann wird die Königin viele ihrer Städte besetzen und darin<br />
walten. O<strong>der</strong>, wenn Gott es zulässt (was er verhüten möge), dass <strong>der</strong> König von Frankreich besiegt<br />
wird und aufgeben muss und ihm die eingenommenen Städte mit Waffengewalt entrissen werden, wird<br />
auch die spanische Besatzung nicht standhalten und ebenso wenig die Einheit, die die Hollän<strong>der</strong> und<br />
Spanier untereinan<strong>der</strong> vereinbart haben. Die Ketzer jedoch, die von ihren Feinden befreit und in ihrer<br />
früheren Kraft erstarkt sind, werden sich mit einigen an<strong>der</strong>en Feinden verbünden, um die Spanier und<br />
die katholische Religion zu vertreiben: bei welcher Gelegenheit und zu welchem Zeitpunkt <strong>der</strong> König<br />
von Frankreich … die Königin von Spanien wird auch in all ihrer Hoffnung, Erwartung und in den Versprechungen,<br />
die ihr gemacht wurden, enttäuscht werden …<br />
33v<br />
… und in dieser lobenswerten und gottförmigen Absicht Wi<strong>der</strong>stand geleistet gegen den König: und ihre<br />
vermeintliche gute Absicht wird sie bei Gott nicht entschuldigen, weil sie die Gewissheit <strong>der</strong> Gnade Got-<br />
21
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
tes und das Seelenheil Tausen<strong>der</strong> zu Gunsten <strong>der</strong> Ungewissheit zerstören und damit aufgeben, was jetzt<br />
stabil ist und seinen Platz hat. Sie vermengen ihren eigenen Gewinn mit <strong>der</strong> Ehre Gottes, die ihnen vorgehalten<br />
wird, so wie sie es erwarten, die aber auf Sand gebaut ist o<strong>der</strong> im Wind, die sie ergreifen wollen,<br />
ihnen jedoch zu ihrem großen Bedauern später, wenn es zu spät sein wird, aus den Händen weht.<br />
Ach, hätten die Ratgeber <strong>der</strong> Königin doch einen Blick dafür, <strong>der</strong> reinen und nackten Herrlichkeit Gottes<br />
und dem Seelenheil zur Seite zu stehen, doch wie mir schien, verwarf und verurteilte das göttliche<br />
Licht ihre Konzepte, Pläne und die Vereinbarung o<strong>der</strong> den beschlossenen Pakt mit den Hollän<strong>der</strong>n.<br />
Ich verstand auch, dass die Königin besser und geschickter für sich und wohlgefälliger für Gott gehandelt<br />
hätte, wenn sie das Angebot <strong>des</strong> Königs von Frankreich angenommen hätte. Dann hätte sie ihre<br />
Königsherrschaft zum Teil behalten und hätte mehr Nutzen davon gehabt als nun (irgendwann später)<br />
und <strong>der</strong> König hätte mit mäßigem Blutvergießen einen günstigen Ausgang erlangt und wäre mit seinem<br />
gottförmigen Plan und seinen Absichten vorangekommen. Hinzu kommt, dass zwischen den katholischen<br />
Königen eine größere Einheit, Friede und Eintracht bewahrt geblieben wäre, während nun offenkundig<br />
ein gewaltiger Hass, Uneinigkeit und Feindschaft zwischen ihnen zum Vorschein kommt, wodurch<br />
das ganze Vaterland verwüstet wird.<br />
Sie erklärt, welcher Art die hiervor genannten Einsichten waren, welche übernatürlich sind<br />
und welche nicht. Sie fürchtet die Spanier und schreibt hierüber gegen ihren Willen.<br />
Ich sage nicht, dass all diese Einsichten übernatürlich waren, doch von dem Zeitpunkt an, als die genannten<br />
Eindrücke in mir aufkamen, blieben alle verkosteten Einsichten beständig meinem Grund eingeprägt.<br />
Und wenn <strong>der</strong> Geist in mir wirkte, wurden sie in mir erneuert und als wahr bestätigt. Und sie<br />
bleiben … und fest in mir verwurzelt, dass ich sie nicht verwerfen o<strong>der</strong> leugnen kann.<br />
…<br />
Sie kehrt zurück.<br />
34r<br />
Am vierten Juli verstand ich, dass die Stadt Utrecht sich dem König von Frankreich ergeben hatte. Am<br />
selben Tag wurde mir ein Zeichen gegeben, dass <strong>der</strong> König die Hilfe und den Beistand <strong>der</strong> heiligen Engel<br />
erhalten hatte, nämlich am dreißigsten Juni. Darum sei Gott gepriesen in Ewigkeit.<br />
Für die Sünden <strong>des</strong> Königs von Frankreich erleidet sie sozusagen eine höllische Folter. Diese<br />
Folter beschreibt sie so gut es geht. Sie erleidet die Folter lange Zeit ohne eine Erleichterung.<br />
Nachdem mein Angebot, Buße zu tun für den König von Frankreich, angenommen war, gebrauchte <strong>der</strong><br />
Geliebte mich bis zum achten Juli, wie es scheint, damit ich für <strong>des</strong>sen Vergehen büßen und sogar höllische<br />
Strafen erleiden möge. Dies wurde mir ausnahmsweise auf eine gewisse Art gestattet und ich<br />
musste in meiner Seele eine bislang nicht gespürte Folter erleiden und sie erschien mir als eine höllische<br />
Strafe. Mir schien, dass unter meinem Herzen sozusagen ein Feuer entfacht wurde, wodurch mein<br />
Herz auf unaussprechliche Weise gequält und gefoltert wurde, ferner schien alles, was durch die Sinne,<br />
durch Hören, Sehen, Fühlen und Schmecken eindringen konnte und ebenfalls dasjenige, was durch die<br />
Vorstellung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sinnenhafte Vermögen eintrat, all dies, was ich hinter mir gelassen hatte,<br />
schien sich zu meinem Herzen zu neigen und es auf unaussprechliche Weise zu quälen. Außerdem<br />
schienen sich alle Geschöpfe gegen mich zu erheben, als ob sie von Gott wie Werkzeuge gebraucht wurden,<br />
um mich zu quälen. In allen Dingen und Geschehnissen fühlte ich einen extremen Wi<strong>der</strong>stand und<br />
Wi<strong>der</strong>streit. Mein höherer Teil war sozusagen bedeckt und beg<strong>rabe</strong>n in <strong>der</strong> Sinnenwelt <strong>der</strong> Natur und<br />
sozusagen untergetaucht im Meer <strong>der</strong> Bitterkeit. Manchmal war ich wegen <strong>der</strong> Heftigkeit <strong>der</strong> Strafen<br />
sozusagen außer mir und mein Verstehen war verdunkelt und durch die übermäßige Dauer litt ich wie<br />
ein Verbrecher. Meine Kräfte wurden jedenfalls von dem sehr großen Leiden im Geist und in <strong>der</strong> Natur<br />
verzehrt, ohne dass mir Erleichterung gewährt wurde.<br />
Danach wurde ich plötzlich durch eine angenehme und innige Begegnung und den Genuss <strong>der</strong> Gegenwart<br />
meines Geliebten ein wenig getröstet und gestärkt. Meistens befinde ich mich aber in qualvollen<br />
Zuständen, vor allem dadurch dass ich mein natürliches Leiden wahrnehme, das sozusagen wie<strong>der</strong> auflebt,<br />
ja es scheint sogar noch stärker zu sein als zuvor, vor allem bekomme ich den Eindruck, dass in mir<br />
plötzlich die Cholera aufflammen könnte. Und obwohl ich durch die Gnade Gottes diese Krankheit nicht<br />
bekomme, ist es für mich ein großes Kreuz, sie so lebensecht wahrzunehmen.<br />
22
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Sie wird von heftigen Leidensattacken ergriffen. Sozusagen sich selbst überlassen und betrübt<br />
bis in den Tod etc. hören die Qualen endlich auf, die sie teilweise für den König und<br />
teilweise als eine Übung <strong>der</strong> Demut auf sich genommen hat.<br />
Das Leiden, das ich fühle, ist wie eine Folter o<strong>der</strong> grausame Geißelung, die mich um so mehr quält, als<br />
ich es unterdrücken muss und seinen Attacken unaufhörlich Wi<strong>der</strong>stand bieten muss. Und weil ich ja<br />
eine schlechte o<strong>der</strong> unerwünschte Vorstellung wahrnehme, fürchte ich unmittelbar danach, dass ich<br />
mich in einer schlechten Lage befinde, denn diese sinnenhaften und heftigen Leiden sind sehr merkwürdig<br />
und ungewöhnlich. Darum weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Ob es nicht ein deutliches<br />
Zeichen <strong>der</strong> Schwäche ist auf dem Weg <strong>der</strong> Vollkommenheit, von dem ich meinte, dass ich bereits über<br />
... und dass ich mich <strong>der</strong> Vollkommenheit sehr näherte. Manchmal fürchte ich, dass ich jemandem ...<br />
ein großes Ärgernis. Darum fürchte ich mich sozusagen vor mir selbst und misstraue mir selbst ganz<br />
und gar.<br />
Das Leiden durch Traurigkeit ist nicht weniger heftig und ich kann es nicht abwenden. Meine Seele ist<br />
sozusagen ganz verwirrt und von innerer Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, Traurigkeit und Bedrückung durchdrungen.<br />
Ich scheine in gewisser Weise die Traurigkeit und Bedrückung zu erfahren, die Jesus im Garten<br />
aushielt, als er sagte: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. O, wie sehr …<br />
34v<br />
...! Wie weit bin ich von je<strong>der</strong> eitlen Einbildung entfernt! Was auch an Gutem in mir gewesen sein mag,<br />
es verfliegt hier, als wäre es nie dagewesen. Sogar das, was ich zuvor über den König von Frankreich geschrieben<br />
habe, kann mich nicht mehr trösten.<br />
Am elften Tag <strong>des</strong> genannten Monats hörte <strong>der</strong> leidvolle Zustand in <strong>der</strong> Sinnenwelt auf und ich fühle<br />
mich wie<strong>der</strong> wie zuvor: vollkommen angenehm und friedlich, vollkommen frei von den leidvollen Attacken<br />
und den Angriffen <strong>des</strong> unteren Teil. Und wenngleich ich es angestrengt versuchte, konnte ich <strong>der</strong>gleichen<br />
Empfindlichkeiten <strong>der</strong> Natur nicht verursachen. Diese schien sich bereits in einen an<strong>der</strong>en<br />
Menschen umgewandelt zu haben, wobei ich mir innerlich sicher war, dass ich die qualvollen Zustände<br />
wegen einer beson<strong>der</strong>en Anordnung und mit Zustimmung <strong>des</strong> Geliebten erlitten hatte, teilweise damit<br />
ich Buße tue für den König von Frankreich und teilweise, damit ich mich so besser in Demut bewahre.<br />
So wusste <strong>der</strong> Geliebte klug mit mir umzugehen, damit ich mich nicht eitel wegen Seiner Gaben erheben<br />
möge. Er stellt mich in mein Nichts und lässt mich mein Unvermögen erfahren.<br />
Nach einigem Wi<strong>der</strong>streben in ihrer Seele schreibt sie aus Gehorsam etwas über ihre innere<br />
Verfassung. Obwohl ihr befohlen war gegen die Franzosen in Holland zu beten, wird sie von<br />
einem göttlichen Geist dazu bewegt, zu <strong>der</strong>en Gunsten zu beten.<br />
Am sechsten Januar 1674, zur Ehre <strong>der</strong> allerheiligsten Dreifaltigkeit. Wenn Euer Ehrwürden das Verlangen<br />
haben, dass ich etwas schreibe von den Dingen, die mir innerlich zustoßen, werde ich tun, was<br />
ich kann und die Dinge aufschreiben, die mir einfallen. Ich fühlte diesbezüglich ein Wi<strong>der</strong>streben <strong>der</strong><br />
Seele, doch fühle ich mich jetzt schon sanft hierzu neigend, weil ich die Hoffnung habe, dass ich hierdurch<br />
die Gelegenheit bekomme, mich in Demut zu üben. Durch all diese Erbärmlichkeiten werden<br />
auch die an<strong>der</strong>en Dinge, die als meine Vollkommenheiten erscheinen und als Auswirkungen <strong>des</strong> Geistes,<br />
klein sein und nicht anerkannt werden. Diese Hoffnung lockt und reizt mich, um all meine Erbärmlichkeiten<br />
resolut zu verkünden.<br />
Als auf die Bitte Seiner Exzellenz, <strong>des</strong> Führers unseres Vaterlan<strong>des</strong>, ein allgemeiner Tag <strong>des</strong> Betens in<br />
allen Kirchen dieser Stadt angeordnet wurde, nämlich am Weihnachtsabend und am ersten und zweiten<br />
Weihnachtstag, damit auf dieses Gebet hin <strong>der</strong> Angriff gegen die Franzosen in Holland gelingen möge,<br />
bemühte ich mich, meine Gebete mit den an<strong>der</strong>en Gebeten zu verbinden und in dieser Intention zu beten.<br />
Aber mein Geist wollte sich nicht anpassen und mitwirken. Ich strengte mich an mit meinem Willen<br />
und meinem menschlichen Geist, so sehr ich konnte, um dem Auftrag <strong>der</strong> Oberen zu entsprechen.<br />
Am dreißigsten Dezember, nämlich am Fest <strong>des</strong> heiligen Johannes, schien <strong>der</strong> göttliche Geist in mir zu<br />
beten und mit unaussprechlichen Seufzern zu bitten und in mir auf ungewöhnliche und unerwartete<br />
Weise ganz im Gegensatz zum Auftrag und zur Intention unseres Prinzeps zu wirken. Zunächst wurde<br />
ich in diese außergewöhnliche und sehr große Einheit mit <strong>der</strong> Gottheit nach innen gekehrt und nach innen<br />
gezogen, wie ich diese bereits das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Jahr lang genossen hatte. In diese Einheit wurde<br />
23
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
ich unmittelbar mit einiger Kraft hineingestoßen, wobei ich mich selbst wahrnahm, wenngleich nicht<br />
auf grobe Weise, son<strong>der</strong>n auf sehr erhabene, spirituelle und edle Weise, nämlich in <strong>der</strong> Gestalt einer<br />
sehr zärtlichen und liebenden Braut, <strong>der</strong> erlaubt wird o<strong>der</strong> besser noch, die durch den göttlichen Geist<br />
auf solche Weise angeleitet wird, dass sie voller Vertrauen und in Freundschaft mit ihrem göttlichen Geliebten<br />
spricht und mit ihm Dinge behandelt, die ihn betreffen:<br />
35r<br />
Ich sah jedoch nicht die Menschheit Christi, son<strong>der</strong>n diese war umfasst und verborgen unter jenem<br />
höchsten Gut o<strong>der</strong> dem göttlichen Wesen, das sich mir zeigte und mir erlaubte, Es zu genießen, denn<br />
tausen<strong>der</strong>lei Visionen wurden in mir zugelassen, wenngleich nur intellektuelle.<br />
Die sehr zärtliche bräutliche Liebe gab mir das Vertrauen, meinen Geliebten zu bitten und zu Ihm zu<br />
beten, dass – weil Ihm selbst bekannt war, durch wen Seine Ehre und Herrlichkeit offenbart und das<br />
Gut <strong>der</strong> heiligen Kirche und das Heil <strong>der</strong> Seelen geför<strong>der</strong>t und unterstützt werden sollte, nämlich entwe<strong>der</strong><br />
durch das kaiserliche Heer o<strong>der</strong> durch das Heer <strong>der</strong> Spanier o<strong>der</strong> durch das Heer <strong>der</strong> Franzosen<br />
– dass Er selbst denen Seinen Segen erteilen möge, durch die das größte Heil geschehen sollte, und zudem<br />
dass Er gemäß Seiner göttlichen Vorsehung und Seinem liebsten Willen diesen helfen möge und<br />
ihnen den Sieg gewähren möge.<br />
Ich schien wahrzunehmen, dass Gott Sich dem Heer <strong>der</strong> Franzosen zuneigte, Sich ihm zuwandte und<br />
Sich von den an<strong>der</strong>en abwandte. Auf diese Weise suggerierte Er mir und gab mir die Hoffnung, dass Er<br />
den Franzosen Seinen Segen und Seine helfende Hand geben würde, damit so <strong>der</strong> Plan <strong>der</strong> göttlichen<br />
Vorsehung energisch bekräftigt würde, auch wenn dies nach menschlichem Ermessen gar nicht den Anschein<br />
hatte und es ganz so aussah, als würden die Franzosen unterliegen und von den außerordentlich<br />
starken Heeren <strong>des</strong> Kaisers und <strong>des</strong> spanischen Königs, die zum Anfall bereitstanden, nie<strong>der</strong>gemetzelt.<br />
Außerdem schien <strong>der</strong> Geliebte von mir zu verlangen, den Franzosen Seinen Segen zu übermitteln. Das<br />
tat ich auch dementsprechend und an<strong>der</strong>erseits schien ich unserem Heer einen Fluch zu übermitteln<br />
und zwar indem ich den unsrigen jede Einsicht, jeden Mut und jede Tapferkeit entzog. Ich tat dies nicht<br />
aus mir selbst heraus, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> göttliche Geist schien dies in mir und durch mich zu bewirken, ohne<br />
dass ich es verhin<strong>der</strong>n konnte.<br />
Sie bittet die Engel freundschaftlich um Hilfe für die Franzosen, ihr Erkenntnisvermögen<br />
wird mit dem göttlichen Erkenntnisvermögen vereint, wobei ihr die göttliche Mitwirkung für<br />
die Franzosen zugesichert wird.<br />
In dieser Zeit sprach ich auch sehr freundschaftlich mit den heiligen Engeln wie mit hilfreichen Geistern<br />
meines Geliebten, indem ich ihnen all meine Sorgen über die Umsetzung, die Ausweitung und die<br />
Beständigung <strong>der</strong> Königsherrschaft meines Geliebten anvertraute und sie zu diesem Ziel bat, persönlich<br />
da zu sein und denen in den Auseinan<strong>der</strong>setzungen zu helfen, die Gott hierzu auserkoren hatte. Dies tat<br />
ich mit soviel Vertrauen, Glauben und Freiheit <strong>des</strong> Geistes, dass ich über die Wahrheit all dieser Dinge<br />
nicht im Geringsten zweifeln konnte.<br />
Nach dem freundschaftlichen Gespräch und Austausch mit den Engeln wurde ich unaufhörlich nach innen<br />
gekehrt und gezogen in die zuvor erwähnte ... Einheit, nicht nur in eine Einheit meines Geistes mit<br />
dem Geist Gottes, son<strong>der</strong>n ... Einheit <strong>der</strong> höchsten Seelenvermögen, nämlich <strong>des</strong> Erkenntnisvermögens<br />
mit dem göttlichen Erkenntnisvermögen, <strong>des</strong> Erinnerungsvermögens mit dem göttlichen Erinnerungsvermögen<br />
und <strong>des</strong> Willens mit dem göttlichen Willen. Dies ist etwas an<strong>der</strong>es als was normalerweise als<br />
Einheit mit Gott verstanden und so bezeichnet wird. Um diese Einheit zu erklären, müsste Vieles gesagt<br />
werden von dem, was geschieht, was die Zeit jedoch nicht erlaubt ...<br />
In dieser Zeit wurde mir wie<strong>der</strong> ganz stark versichert, dass all diese Auswirkungen<br />
35v<br />
und Erleuchtungen und Gebetsweisen <strong>des</strong> Geistes etc., die sich bezüglich <strong>des</strong> Königs von Frankreich seit<br />
zwei Jahren in mir ereignen, in mir durch den göttlichen Geist hervorgerufen und geschehen sind. Für<br />
diese Wahrheit würde ich wohl so viel Tode erleiden wollen, wie ich Gliedmaßen an meinem Körper habe.<br />
24
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Der ganz und gar göttliche Geist betet weiterhin in ihr. Sie sieht in Gott, wofür Er möchte,<br />
dass gebetet wird: für die Kirche, gegen die Jansenisten, gegen die drohenden Ketzereien.<br />
Über die Art und Weise, wie sie betet.<br />
Der bewährte Geist <strong>des</strong> Betens dauerte viele Stunden ohne Unterbrechung o<strong>der</strong> Erschlaffung in mir an<br />
und ohne dass mich irgendetwas hin<strong>der</strong>te, mag sein dass ich mit den an<strong>der</strong>en das Offizium betete, mag<br />
sein dass ich von dort hierher durchs Haus zurücklief. Das Gebet geschieht nämlich ganz im Geist und<br />
durch den Geist und ist, wie mir scheint, ganz und gar übernatürlich. Alle Kräfte scheinen nämlich in<br />
ihrer natürlichen Wirkung aufgehoben zu sein, solange das Gebet dauert. Sie befinden sich in einem Zustand<br />
<strong>der</strong> Ruhe und Hingabe.<br />
Dieses Gebet ist ungewöhnlich, eindringlich und lebendig auf Gott ausgerichtet und in Übereinstimmung<br />
mit dem Gefühl <strong>der</strong> Liebe zu ihm. Da spricht die Seele nicht, sie fleht nicht, entschuldigt sich<br />
nicht höflich, drückt nichts aus und bittet im einzelnen auch für nichts als ob dies weit weg wäre, son<strong>der</strong>n<br />
sie sieht in Gott wie in einem Spiegel das, wofür Gott möchte, dass sie betet. Und Gott sieht auf<br />
gleiche Weise in <strong>der</strong> Seele die Dinge, nach denen sie verlangt o<strong>der</strong> verlangen möchte, ohne dass die Seele<br />
ausdrücklich vorträgt, was o<strong>der</strong> wie das sein könnte. Das ist ganz verborgen und implizit o<strong>der</strong> verschwiegen<br />
und eingeschlossen in diesen göttlichen Anblick und diese gleichförmige göttliche Liebe.<br />
Doch ist die Seele sich klar darüber, mit welchem Ziel <strong>der</strong> Geist so betet und bittet. Das war in diesem<br />
Fall für den Erhalt und für die Ausdehnung <strong>der</strong> Kirche. In diese Betrachtung o<strong>der</strong> diesen Liebesblick<br />
Gottes wird auch eine heftige und dringende Fürbitte hineingenommen, die sozusagen das göttliche<br />
Herz durchbohren will und darum nenne ich diesen Blick eindringlich und lebendig.<br />
Die Not <strong>der</strong> Heiligen Kirche, die mir vor Augen geführt wurde, war teilweise durch den Tumult und die<br />
Aufregung entstanden, die die Jansenisten in <strong>der</strong> Heiligen Kirche verursachten, indem sie ihre Lehren<br />
als große Beleidigungen, Beschimpfungen und Lästerungen gegen die Heilige Magd vorbrachten und<br />
den Gläubigen viele Irrungen aufdrängten. Teilweise war die Not auch durch den Anfall <strong>der</strong> Türken entstanden<br />
und teilweise durch den beginnenden Untergang <strong>des</strong> Glaubens in Holland: auch in diesem Vaterland<br />
war er in Gefahr. Denn wenige Tage zuvor, als ich zur heiligen Kommunion ging, wurde mir<br />
beim Wein <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>sturm gezeigt und die Gewalttaten in den Kirchen und gegen die heiligen Bil<strong>der</strong>,<br />
die anscheinend von Ketzern und solchen, die vom Glauben abgefallen waren, in diesen Gegenden begangen<br />
wurden. Nach diesen Eindrücken kam <strong>der</strong> Geist <strong>des</strong> Betens in mich,<br />
36r<br />
um dieses höchste Unglück abzuwenden und hierfür durch das Opfer <strong>des</strong> kostbaren Blutes Christi beim<br />
ewigen Vater Abbitte zu tun. Dasselbe Opfer wurde mir auch in dem zuvor genannten Gebet aufgetragen,<br />
zusammen mit allerlei an<strong>der</strong>en Liebesäußerungen und liebevollen Worten für Jesus und den Ewigen<br />
Vater, die ich nicht mehr deutlich in Erinnerung habe.<br />
Als Braut spricht sie mit ihrem Geliebten und in Freundschaft mit den Engeln. Dabei betet<br />
sie für die Kirche und bittet darum, dass sich die Kaiserlichen und die Spanier zurückziehen<br />
mögen. Sie sieht, dass diese nichts erreichen.<br />
Als ich dann am dritten Weihnachtstag allmählich aus dieser überwältigenden Einheit entlassen und in<br />
die Verfassung und den Zustand einer sehr liebevollen Braut gestellt wurde, die vertrauensvoll und intim<br />
mit ihrem Geliebten umgeht, wie ich gesagt habe, da blieb ich über mich selbst hinausgehoben, jedoch<br />
nicht außerhalb meiner selbst. Damit meine ich: ich konnte mich selbst in Gott noch einigermaßen<br />
wahrnehmen und die Dinge unterscheiden und deutlich erkennen, die <strong>der</strong> Geliebte in mir und durch<br />
mich bewirkte und wollte, dass ich sie bewirkte: nämlich die sehr andächtige und liebevolle Betrachtung<br />
<strong>der</strong> göttlichen Gegenwart selbst, das Gebet für die heilige Kirche und das Opfer <strong>des</strong> kostbaren Blutes<br />
Christi, den Umgang und die freundschaftlichen Gespräche mit den heiligen Engeln, vergleichbar mit<br />
<strong>der</strong> königlichen Braut, die mit den Höflingen und Edlen ihres göttlichen Bräutigams vorzugsweise über<br />
die Dinge spricht, die das Glück und Gedeihen <strong>des</strong> Reiches ihres Geliebten betreffen.<br />
Als ich daher von meinem Geliebten vernommen hatte, dass die Spanier und die Kaiserlichen gegen Ihn<br />
und Seine Ehre und Seinen Ruhm agierten, gab <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Liebe den Engeln den Befehl, die Heere<br />
nie<strong>der</strong>zuschlagen und zu entkräften, indem sie ihnen die Kraft und den Mut nahmen, damit sie ihren<br />
Plan und ihr Vorhaben gegen das Reich meines Geliebten und gegen die heilige Kirche nicht umsetzen<br />
konnten. Ich fühlte, dass dies so geschah und unsere Führer nichts vermochten wie vor Charleroi. Seit<br />
25
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
jener Zeit erschien mir unser Heer im Geiste wie ein Schwarm Fliegen ohne Macht, ohne Kraft, weil<br />
Gott nicht bei ihm war. Dasselbe geschah wie<strong>der</strong>um am folgenden Tag <strong>des</strong> Betens, nämlich, dass unsere<br />
Führer mit all den Gebeten keinerlei Hilfe von Gott empfingen.<br />
Dies schrieb sie am sechsten Januar 1674, nachdem sich dieses an den Weihnachtstagen von 1673 zugetragen<br />
hatte.<br />
Sie sagt, dass <strong>der</strong> Kaiser und die Spanier Unrecht tun, indem sie den Hollän<strong>der</strong>n gegen die<br />
Franzosen helfen, und dass Gott sie strafen wird, weil sie die Franzosen in Holland behin<strong>der</strong>n.<br />
Euer Ehrwürden versichert mir, dass unser Führer so gute Absichten hat und dass <strong>der</strong> Kaiser ein frommer<br />
Mann ist. Doch wie es mir erscheint, verrichten sie keine frommen Taten, wie es sich für eifrige und<br />
katholische Führer gehört, die ihre Waffen gebrauchen müssten zur ... <strong>der</strong> heiligen Kirche und zur Ausrottung<br />
<strong>der</strong> Ketzer etc. Das Gegenteil <strong>des</strong>sen tun die Unsrigen, indem sie, soviel sie nur können, allen<br />
Erfolg und alle Ausbreitung unseres heiligen Glaubens in Holland verhin<strong>der</strong>n. Sie wollten nicht akzeptieren,<br />
dass die Hollän<strong>der</strong> mit dem König von Frankreich einen Rechtsanspruch und die Bedingungen<br />
aushandelten, unter denen katholische Kirchen in all ihren Städten erlaubt wären. Wie gesagt wird und<br />
anscheinend auch zutreffend ist, geschah dies aus Neid und Boshaftigkeit, damit dem König von Frankreich<br />
nicht die Ehre zukam, dass er die heilige Kirche in diesen Gebieten verstärkt hätte. Sie verhin<strong>der</strong>n,<br />
dass dieser König das ketzerische Volk etc. verwüstet und das Reich<br />
36v<br />
Jesu dort errichtet und verstärkt. Und inzwischen ist es nicht ihre Absicht, wenngleich es innerhalb ihrer<br />
Macht läge, viele Städte <strong>der</strong> Ketzer für sich einzunehmen o<strong>der</strong> bei den Staaten die Freiheit <strong>des</strong> katholischen<br />
Glaubens einzufor<strong>der</strong>n als Kompensation für die Unterstützung <strong>der</strong> Hollän<strong>der</strong>. Das hätte ihnen<br />
doch kaum verweigert werden können.<br />
Möge Euer Ehrwürden wissen, dass die Unsrigen das, was sie gesät haben, auch ernten werden. Gott,<br />
<strong>der</strong> die Herzen aller kennt, wird alle gemäß ihrer Werke belohnen und nicht nach dem Urteil <strong>der</strong> Menschen.<br />
Wenn <strong>der</strong> Kaiser und unser Führer gemeinsam mit dem König von Frankreich Holland angegriffen<br />
hätten, o<strong>der</strong> sich zumin<strong>des</strong>t in <strong>der</strong> Unterstützung Hollands zurückgehalten hätten, wäre Holland in<br />
einem halben Jahr erobert und wäre alles in bester Ordnung und im Frieden und sehr christlich verlaufen,<br />
so wie <strong>der</strong> König von Frankreich ursprünglich mit Eifer, Frömmigkeit und lobenswerter Führungskraft<br />
über sein Volk vorhatte. Unsere bereits genannten Führer haben ihn allerdings wahrlich im höchsten<br />
Maße verbittert und erzürnt. Und daraus ist so viel Böses entstanden und wird auch noch so viel<br />
Böses in diesem Land folgen, wie jetzt ja bereits begonnen hat.<br />
Alles menschliche Zusammenwirken ist nichts wert, wenn Gott nicht mitwirken will. Und Gott wird<br />
nicht mitwirken und will in <strong>der</strong>gleichen Dingen nicht gegen seinen göttlichen Heilsplan und seine Verheißung<br />
mitwirken. Im Geist habe ich jenes Wort oft verstanden – „Himmel und Erde werden vergehen,<br />
aber mein Wort wird nicht vergehen“ – wenn ich den gegenteiligen Anschein eines guten En<strong>des</strong> etc.<br />
wahrnahm und gegen den König von Frankreich viele Gebetstage für einen guten Ausgang ihres Vorhabens<br />
und ihrer Ziele angesetzt wurden.<br />
Doch sehe ich seit einigen Monaten nicht, dass <strong>der</strong> König von Frankreich die Gunst Gottes und seinen<br />
Segen so sehr verdient wie zuvor. Denn Gott gibt mir nun diesbezüglich kein einziges Zeichen, er hält<br />
dies vor mir verborgen. Sogleich danach erreicht mich verbunden mit einem Geist <strong>der</strong> Kleinheit und<br />
Demut das intime Wissen und <strong>der</strong> süße Eindruck im Grunde meiner Seele, dass <strong>der</strong> Geliebte ihn als Instrument<br />
benutzt, damit er vollbringe, was Seine Majestät mir angekündet hat. Wie ich Euer Ehrwürden<br />
geschrieben habe, deute ich es: trotz <strong>der</strong> Tatsache, dass viele sehr schlecht über den König von Frankreich<br />
sprechen und Andeutungen über ihn machen, bleibt doch etwas Göttliches in meinem Grunde<br />
funkeln, dass jener mit <strong>der</strong> Zeit noch viel Gutes tun wird und Gott angenehm ist. Sie schrieb diese Dinge<br />
am fünfzehnten Januar 1674.<br />
Sie wird vom Geist <strong>des</strong> Betens dazu bewegt, dass Utrecht nicht von den Ketzern besetzt werden<br />
möge, und als Braut Christi befiehlt sie den Engeln. Und am Fest <strong>des</strong> heiligen Ludwigs<br />
wird sie dazu gezwungen, für den Sieg <strong>der</strong> Franzosen zu beten, dass dieser erfolgen möge.<br />
Eine Abmachung mit den Ketzern weckt den Zorn Gottes, wie sie vorhergesagt hat.<br />
26
Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Ehrwürdiger und sehr geliebter Vater, mir ist noch etwas eingefallen, nämlich dass mein Geist … bewegt<br />
und gezogen wird, um stark und liebevoll darauf hinzuarbeiten, die Stadt Utrecht für die Heilige Kirche<br />
zu bewahren, wozu mir ein lebendiger und starker Geist <strong>des</strong> Betens eingegossen wurde, <strong>der</strong> schon beinahe<br />
vier Wochen den ganzen Tag über andauert ohne aufzuhören.<br />
Diese Art <strong>des</strong> Betens ereignet sich auf eine beson<strong>der</strong>e Weise. Es war mir nicht möglich, diese Weise, in<br />
<strong>der</strong> ich zum Gebet hingezogen wurde, zunichte zu machen, abzuweisen o<strong>der</strong> loszulassen. Denn aller Erfahrung<br />
nach ist dieses Gebet deutlich übernatürlich und außerhalb meines eigenen Gebets. Darum bete<br />
ich zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit einer wun<strong>der</strong>baren, demütigen<br />
37r<br />
liebevollen und dringenden Bitte. Dieses Gebet geschieht auf verschiedene Weise, aber am liebsten betet<br />
und bittet <strong>der</strong> Geist mit demütiger Zerknirschung, sich <strong>der</strong> göttlichen Majestät gegenüber sozusagen<br />
zunichtemachend mit unaussprechlichen Seufzern, mit wun<strong>der</strong>barem, lebendigem Glauben und starker<br />
Hoffnung auf Erhörung, mit brennen<strong>der</strong> Liebe, ohne viel Worte, nur mit einfacher Vergegenwärtigung<br />
Gottes und seiner Betrachtung, auf wesenhafte Weise, die göttliche Kraft und Allmacht anrufend und<br />
zugleich die Hilfe <strong>der</strong> heiligen Engel, manchmal in <strong>der</strong> Art und Weise, wie man einen Auftrag gibt, o<strong>der</strong><br />
wie eine Braut den Dienern ihres Geliebten einen Auftrag gibt, damit sie die Feinde <strong>der</strong> Kirche vertreiben,<br />
vernichten und besiegen. Dies geschieht mit großer Zuversicht, mit dem Vertrauen und <strong>der</strong><br />
Freundschaft einer Braut und zugleich mit großem Eifer und Einsatz, um für die Sache <strong>des</strong> Geliebten zu<br />
sorgen und sie zu verbreiten, für die er [<strong>der</strong> Geist] gerade einzig gelebt hat.<br />
Manchmal ist mein Geist in Gegenwart <strong>des</strong> Allerheiligsten Sakraments in einer außergewöhnlichen und<br />
beson<strong>der</strong>en Verfassung ( ich weiß nicht, wie ich dies nennen soll o<strong>der</strong> mit welchen Worten ich es erklären<br />
soll): er ist gleichsam ausgestreckt und über sein eigenes Wirken hinausgehoben – dorthin, wo <strong>der</strong><br />
göttliche Geist Jesu diesen sehr reinen, verzückten und über sich selbst hinausgestiegenen Geist in Besitz<br />
nimmt und in ihm wirksam ist mit dem Ziel, dass er beten und bitten möge, dass diese Stadt bei <strong>der</strong><br />
heiligen Kirche bleiben könne.<br />
Am Fest <strong>des</strong> heiligen König Ludwig, am 25. August 1676, und am vorausgegangenen Tag wurde ich oftmals<br />
innerlich bewegt und wurde bewegt auf diese Weise zu beten: „eile und widme dich dem Gebet,<br />
denn es ist Zeit.“ Als ob bereits ein Konflikt o<strong>der</strong> ein Ansturm unmittelbar bevorstand o<strong>der</strong> drohte.<br />
Mein Geist schien so lange im Gebet zu verweilen, wie <strong>der</strong> Konflikt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ansturm dauerte. Und danach<br />
verstand ich, dass unser Heer den Konflikt verloren hatte, bei dem viele Soldaten und berühmte<br />
Männer, wie ich glaube, in <strong>der</strong>selben Zeit, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Geist so eindringlich innerlich bewegt und zum Beten<br />
gedrängt wurde, den Tod fanden.<br />
Euer Ehrwürden meinte, dass die Stadt, wenn sie eingenommen wäre, zu den Spaniern gehen würde,<br />
doch mir schien deutlich das Entgegengesetzte. In meinem Grund gab es nämlich eine Aussage, dass<br />
dies ein Gerücht und unwahr war. Sehr liebhaben<strong>der</strong> Vater, ist es ein Wun<strong>der</strong>, dass <strong>der</strong> Geliebte die<br />
Nie<strong>der</strong>lage auf unserer Seite duldet? Denn wie lange hängen die Unsrigen schon an dem unfrommen<br />
Land und helfen ihm und provozieren sie den Zorn und die Empörung Gottes und rufen diese auf sich<br />
und auf das Vaterland herab?<br />
Schon seit vielen Jahren sehe ich im Geist, dass Gott den Bund und den Pakt mit den Hollän<strong>der</strong>n auf<br />
wun<strong>der</strong>bare Weise zurückweist und mit Wi<strong>der</strong>willen betrachtet. Und darum müssen sie, obgleich unschuldig,<br />
hierfür büßen, insbeson<strong>der</strong>e dafür, wie die Verhandlungen mit dem Grafen von Montus zum<br />
Erfolg führten, an den auch eine sehr große Drohung erging, weil er zu diesem Bund und Pakt sehr viel<br />
beigetragen hat und den Hollän<strong>der</strong>n geholfen hat, zusammen mit sehr vielen an<strong>der</strong>en, die nicht ungestraft<br />
davonkommen werden.<br />
Möge Gott Sorge tragen, dass die Strafe nur zeitlicher Art ist und dass ihre Seelen bewahrt bleiben.<br />
37v<br />
Gott zeigt seine Macht in <strong>der</strong> Besetzung Utrechts, dass er nicht vor den Ketzern weicht, während<br />
die Engel auf <strong>der</strong> Seite Frankreichs mitwirken.<br />
Danach brachte Herr Lucas, Kommissar <strong>des</strong> Königs in unserem Heer, uns die Nachricht, dass unser<br />
Heer sich aus Utrecht zurückgezogen hat und die Stadt mit Schande verlassen musste. O wie wun<strong>der</strong>bar<br />
zeigte Gott seine Allmacht in dieser Besatzung und was vermochten diejenigen, <strong>der</strong>en Hilfe bei Gott ist.<br />
Wun<strong>der</strong>bare Dinge wurden über sie erzählt, die doch zu Unrecht mehr dem Edelmut und dem Gespür<br />
<strong>der</strong> Franzosen zugeschrieben werden als <strong>der</strong> Mitwirkung und Hilfe <strong>des</strong> Allmächtigen.<br />
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Der Rabe <strong>des</strong> Elija Supplement Maria Petyt<br />
Unter an<strong>der</strong>em wird erzählt, dass die Laufgräben, die von den Unsrigen gemacht wurden, um die Festung<br />
<strong>der</strong> Stadt zu zerstören, zum Nachteil unseres Heeres explodierten, weil das Schießpulver zu früh<br />
angezündet und dabei eine große Verwüstung angerichtet wurde und sie viele abschlachteten, ohne dass<br />
die Festung <strong>der</strong> Stadt o<strong>der</strong> die Franzosen Schaden erlitten. Bei den Ausfällen aus <strong>der</strong> Stadt gegen die<br />
Belagerer von unserer Seite wurden tausende aus unserem Heer getötet und nur wenige <strong>der</strong> Franzosen.<br />
Auch wurde die Festung, die am Tage durch die Explosion <strong>der</strong> Kanonen verwüstet wurde, nachts wie<strong>der</strong>hergestellt.<br />
Im Ansturm <strong>der</strong> Ketzer, die die Stadt angriffen, um sie einzunehmen, schienen mit bestimmten<br />
Instrumenten die Hälse aller abgeschnitten zu werden. Auf diese Weise, so wurde erzählt, sei<br />
etwas <strong>der</strong>artiges noch nie geschehen. Ich meine, dass die heiligen Engel hier am Werk gewesen sind und<br />
als treue Diener Jesu diese ungewöhnlichen und wun<strong>der</strong>lichen Dinge bewirkt und dem großen und beängstigenden<br />
Ansturm eines so starken Heeres Wi<strong>der</strong>stand geboten haben.<br />
Ich erfahre bereits und sehe, dass dies wahr gewesen ist, was mir Ende April im Geist offenbart wurde:<br />
wie Gott Sich auf die Seite <strong>des</strong> französischen Heeres stellte und dass <strong>der</strong> König von Frankreich darum in<br />
all seinen Bemühungen siegreich war, obwohl unser Heer sicherlich dreimal so groß war wie sein Heer.<br />
Doch erschienen mir all die Truppen wie ein Schwarm schwacher Fliegen, die überall nie<strong>der</strong>fielen.<br />
Die Wahrheit dieser Offenbarung o<strong>der</strong> Vision blieb mir immer ohne jeden Zweifel gegenwärtig, ganz<br />
gleich welchen Anschein ... und was die Menschen sagten. ... Euer Ehrwürden ... suchte mich daran zu<br />
hin<strong>der</strong>n, dass ich betete. Doch vergeblich ist das menschliche Hin<strong>der</strong>nis, wenn Gott befiehlt und Er<br />
selbst Seine Befehle in <strong>der</strong> Seele und mit <strong>der</strong> Seele bewirkt und ausführt. Die Geheimnisse, die Pläne<br />
und die Urteile Gottes sind wun<strong>der</strong>bar und vor dem menschlichen Verstand verborgen. Darum müssen<br />
sie verehrt und angebetet werden. Dies schrieb sie am ... August 1676.<br />
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