22.11.2013 Aufrufe

NATIONALSOZIALISMUS UND ZWEITER WELTKRIEG i

NATIONALSOZIALISMUS UND ZWEITER WELTKRIEG i

NATIONALSOZIALISMUS UND ZWEITER WELTKRIEG i

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Deutsches Historisches Museum, Berlin<br />

<strong>NATIONALSOZIALISMUS</strong> <strong>UND</strong> <strong>ZWEITER</strong> <strong>WELTKRIEG</strong><br />

Abb. 26.1: „Rassenkundliche“<br />

Schautafeln wurden in den Schulen zur<br />

Vermittlung des nationalsozialistischen<br />

Rassenideals eingesetzt. Den<br />

Jugendlichen sollte „das Rassegefühl<br />

instinkt- und verstandesmäßig in Herz<br />

und Gehirn gebrannt“ werden.<br />

Abb. 26.3: So „verkaufte“ Hitler<br />

seine Aggressionen als friedliebende<br />

Maßnahmen. Solange die Westmächte<br />

uneinig waren, hatte er damit Erfolg.<br />

5<br />

4<br />

Totale Macht bedeutet Gleichschaltung Deutschlands<br />

Der allmächtige Führerstaat passte das ganze<br />

öffentliche Leben an nationalsozialistische<br />

Vorstellungen an. Widerstand gegen diese<br />

totalitären Ansprüche gab es kaum. Die<br />

Bevölkerung wurde in der Arbeit, in der<br />

Schule und in der Freizeit in militärisch<br />

organisierten Massenorganisationen erfasst.<br />

Die Erwachsenen wurden durch die eigenen<br />

Kinder kontrolliert, die in Schulen und Jugendorganisationen<br />

wie der „Hitlerjugend“<br />

oder den „Bund deutscher Mädel“ umfassend<br />

im Sinn der NSDAP beeinflusst wurden.<br />

Mit den „Nürnberger Gesetzen“ schufen<br />

das NS-Regime die gesetzliche Grundlage<br />

für ihre antisemitischen Ideologie. Darin<br />

Abb. 26.2 Plakat für die<br />

Hitlerjugend<br />

wurde die Staatsbürger/innen jüdischer Herkunft ausgegrenzt, denn Reichsbürger/innen<br />

sollten nur „Staatsangehörige deutschen oder artverwandten<br />

Blutes“ sein. Es wurde geregelt, wer nach nationalsozialistischer Auffassung<br />

„Volljude“ oder „Mischling“ war. In der Folge wurden die jüdischen<br />

Beamt/inn/en diskriminiert und mussten den Dienst quittieren. Außerdem<br />

wurden die Jüdinnen und Juden weitgehend entrechtet und sozial isoliert<br />

durch viele Verordnungen, die alle Bereiche des öffentlichen und privaten<br />

Lebens betrafen, besonders durch das so genannte „ Blutschutzgesetz“.<br />

Dieses verbot Eheschließungen und Geschlechtsverkehr „zwischen Juden<br />

und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Als „Rassenschande“<br />

wurde diese angebliche Schändung des „arischen Volkes“ mit<br />

Gefängnis bestraft. Insgesamt waren diese Gesetze das Fundament für die<br />

Verfolgung und die planmäßige Ermordung der Juden und Jüdinnen.<br />

Deutschland – das mächtigste Land Europas?<br />

Hitler strebte mit seiner Außenpolitik eine Revision der Bestimmungen des<br />

Versailler Vertrags an und hatte dabei die Unterstützung fast aller Deutschen.<br />

Mit Einverständnis von Großbritannien und Italien brach er die Vertragsbestimmungen.<br />

So führte er die allgemeine Wehrpflicht ein und baute<br />

eine Luftwaffe auf. Großbritannien und Deutschland regelten im Flottenabkommen<br />

das Stärkeverhältnis ihrer Seestreitkräfte. Die Besetzung des entmilitarisierten<br />

Rheingebietes brachte Hitler einen enormen Prestigegewinn.<br />

VBK<br />

Deutsches Historisches Museum, Berlin<br />

Zu 5:<br />

A 1: Wo fanden in den letzten Jahren<br />

Olympische Spiel statt?<br />

Welche Vorbehalte gab es gegenüber<br />

einigen Austragungsstaaten?<br />

Die Olympische Spiele 1936<br />

Die Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen und die Sommerspiele<br />

in Berlin waren eine perfekt inszenierte Propaganda für das Deutsche<br />

Reich. Propagandaminister Goebbels sorgte für eine Pause in der Judenhetze.<br />

Die Fecht-Olympiasiegerin von 1928, Helene Mayer, und ein Eishockeyspieler<br />

durften als Alibi-„Halbjuden“ starten: Mayer gewann Silber für Deutschland.<br />

Auf dem Reichssportfeldgelände wurde ein neues Olympiastadion und für<br />

die Besucher eine Kraft-durch-Freude-Stadt errichtet. Adolf Hitler eröffnete<br />

die Spiele vor 100 000 Zuschauern, die besonders vom „Lichtdom“ fasziniert<br />

waren. Zahlreiche begleitende Events und eine perfekte Organisation begeisterten<br />

die drei Millionen Besucher. Dass der „Führer“ dem afroamerikanischen<br />

Olympiasieger und Publikumsliebling Jesse Owens nicht die Hand gab, nahm<br />

man ihm nicht übel. Die über die Spiele gedrehten Propagandafilme „Fest der<br />

Schönheit“ und „Fest der Völker“ wurden noch 1938 überall gespielt. Innenund<br />

außenpolitisch war die olympischen Spiele ein voller Erfolg.<br />

i


Er konnte annehmen, dass die Staaten Europas<br />

in seine Expansionspolitik nicht eingreifen<br />

würden. 1937 stellte NS-Deutschland die Reparationszahlungen<br />

ein.<br />

Ein außenpolitischer Erfolg war auch der<br />

Anschluss Österreichs. Wenig später setzte<br />

Hitler „als letzte territoriale Forderung“ im<br />

Münchner Abkommen die Abtretung der sudetendeutschen<br />

Gebiete der Tschechoslowakei<br />

an Deutschland durch, weil Großbritannien und<br />

Frankreich keinen Krieg führen wollten. Hitlers<br />

Triumph war groß. Als aber deutsche Truppen<br />

in die Tschechoslowakei einmarschierten und<br />

Hitler territoriale Forderungen an Polen stellte,<br />

war es mit der britischen und französischen Ap-<br />

peasementpolitik<br />

vorbei. Polen wurde seine<br />

Unabhängigkeit garantiert und militärisches<br />

Eingreifen angedroht. Ein deutscher Angriff<br />

auf Polen bedeutete Krieg.<br />

Die zweite Zielsetzung von Hitlers Außenpolitik war die Eroberung von<br />

„neuem Lebensraum im Osten“ für das deutsche Volk. Das Deutsche Reich<br />

sollte zum mächtigsten Staat Europas gemacht, das Gebiet bis zum Ural<br />

durch die „germanische Herrenrasse“ besiedelt werden. Die unterworfene<br />

Bevölkerung sollte als Arbeitssklav/inn/en dienen. Der Anteil der<br />

Rüstungsausgaben stieg von 8 % 1932 auf 61 % im Jahr 1938. Hitler war<br />

sich seiner Sache so sicher, dass er gegenüber einem Völkerbundvertreter<br />

drei Wochen vor dem Überfall auf Polen am 1. 9. 1939 sagte: „Alles,<br />

was ich will, ist die Sowjetunion zu unterwerfen; wenn der Westen nicht<br />

bereit ist, mich darin zu unterstützen, werde ich mich mit der Sowjetunion<br />

verständigen, den Westen schlagen und mich anschließend gegen die<br />

Sowjetunion wenden.“<br />

Mit dem Sieg über Frankreich, den damaligen „Erbfeind“, war im Juni<br />

1940 Hitlers Popularität auf ihrem Höhepunkt.<br />

➲ S. 32: Zweiter Weltkrieg 1939–1945<br />

6<br />

Das Ende des ☞„Tausendjährigen Reiches“<br />

Die Fehler Hitlers als Oberkommandierender der Wehrmacht hatten die<br />

kriegsentscheidende Niederlage in der Schlacht von Stalingrad an der<br />

Wende 1942/1943 zur Folge. Als 1945 auch für Hitler das Ende des Großdeutschen<br />

Reichs abzusehen war, äußerte er: „Das deutsche Volk ist meiner<br />

nicht würdig gewesen. – Es ist gescheitert und hat damit sein Existenzrecht<br />

verwirkt.“ Und er befahl die Zerstörung aller lebenswichtigen Produktionsanlagen.<br />

Aber da folgte dem Führer kaum mehr jemand.<br />

Die totale Niederlage NS-Deutschlands im Frühling 1945 war das Ende des<br />

„Tausendjährigen Reiches“ nach zwölf Jahren. Ziel der nationalsozialistischen<br />

Politik war gewesen, Deutschland zum mächtigsten Land Europas<br />

zu machen. Stattdessen wurde das Deutsche Reich nach 74 Jahren nicht<br />

nur verkleinert, sondern vierfach besetzt und auch geteilt. Die Bundesrepublik<br />

Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik bestanden<br />

45 Jahre nebeneinander. Im Jahr 1990 schlossen die früheren Alliierten<br />

nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine Art Friedensvertrag mit beiden<br />

deutschen Staaten. Darin wurde bekräftigt, „dass von deutschem Boden<br />

nur Frieden ausgehen wird.“<br />

➲ WS kompakt, S. 203: Politische Entwicklung (Europas)<br />

Geschichte-Basics:<br />

Überprüfen Sie Ihr Wissen:<br />

Kapitel 3<br />

Abb. 27.1: Der britische Außenminister Chamberlain, sein<br />

französischer Amtskollege Daladier, Hitler, Mussolini und der<br />

italienische Außenminister Ciano 1938 nach der Unterzeichnung des<br />

Münchner Abkommens<br />

Sudetendeutsche: deutschsprachige<br />

Bevölkerung in Böhmen und Mähren,<br />

überwiegend in den Randgebieten.<br />

Appeasementpolitik: Politik der Beschwichtigung<br />

vor allem von Seiten<br />

Großbritanniens gegenüber Hitlers<br />

Politik<br />

Zu 5:<br />

A 1: Suchen Sie die Sudeten im Atlas.<br />

Welche Staaten haben heute Anteil an<br />

diesem Gebirge?<br />

A 2: Suchen Sie das ehemalige Siedlungsgebiet<br />

der Sudetendeutschen,<br />

indem Sie zweisprachige Ortsbezeichnungen<br />

aufspüren (Atlas).<br />

A 3: Stellen Sie die Rüstungsausgaben<br />

der wichtigsten Staaten der Welt fest.<br />

Verwenden Sie Daten aus dem Fischer<br />

Weltalmanach oder dem CIA-World Fact<br />

Book (www.cia.gov/cia/publications).<br />

1. Erklären Sie folgende Begriffe<br />

und ordnen Sie diese zeitlich ein:<br />

Appeasementpolitik, Führer,<br />

NSDAP, Revision, Sudetendeutsche.<br />

2. Beschreiben Sie die Strategien<br />

der NSDAP.<br />

3. Gegen welche Nachbarstaaten<br />

wandte sich die Politik Hitlers?<br />

4. Beschreiben Sie die Merkmale<br />

der totalen Macht der NSDAP.<br />

5. Beschreiben Sie die Situation<br />

Deutschlands, als Hitler die<br />

Macht übernahm.<br />

akg-images, Berlin


<strong>NATIONALSOZIALISMUS</strong> <strong>UND</strong> <strong>ZWEITER</strong> <strong>WELTKRIEG</strong><br />

3. Die Gleichschaltung der „Ostmark“<br />

Geschichte-Basics<br />

Gleichschaltung: erzwungene politische,<br />

wirtschaftliche und kulturelle<br />

Vereinheitlichung in einem autoritären<br />

Staat<br />

Ostmark: Grenzmark im mittelalterlichen<br />

Frankenreich<br />

Altreich: Deutschland in den Grenzen<br />

von 1937<br />

Gau: ursprünglich althochdeutsch für<br />

„Land“, erst im 19. Jahrhundert durch<br />

nationalsozialistische Bewegungen<br />

wieder für Gebietsbezeichnungen<br />

verwendet<br />

Zu Abb. 28.1:<br />

A 1: Vergleichen Sie die Gliederung<br />

Österreichs in die neun Bundesländer<br />

mit den „Alpen- und Donaureichsgauen“.<br />

Welche Unterschiede in der Grenzziehung<br />

können Sie erkennen?<br />

Der Anschluss –<br />

ein Raubzug ohne Gleichen<br />

Gold- und Devisenvorräte im Ausmaß<br />

von 78 000 kg = 220 Mio. Reichsmark<br />

(dreimal so viel wie deutsche Reserven)<br />

wurden von Wien nach Berlin<br />

gebracht.<br />

Banken, Bundesbahn, Bundesforste,<br />

Tabakregie, Bodenschätze (Magnesit,<br />

Graphit, Eisenerz, Kohle), Industrieanlagen<br />

und Unternehmen wie<br />

Steyr-Daimler-Puch, Simmeringer<br />

Waggonfabrik, Paukerwerke Floridsdorf,<br />

DDSG, Linzer Werft wurden<br />

in deutsche Konzerne eingegliedert.<br />

Dadurch galten sie nach 1945 als<br />

deutsches Eigentum<br />

i<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Abb. 28.1: Österreich als Teil des Deutschen Reichs 1938–1945.<br />

1<br />

Der Anschluss – „heim ins Reich“<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Die einmarschierenden deutschen Truppen stießen in Österreich auf keinen<br />

Widerstand. War Hitlers Vorhaben zunächst noch gewesen, Österreich<br />

mit Deutschland nur in einer Union zu verbinden, so veranlasste ihn der<br />

Jubel der österreichischen Bevölkerung, sich für den völligen „Anschluss“<br />

Österreichs zu entscheiden. Das „Gesetz über die Wiedervereinigung<br />

Österreichs mit dem Deutschen Reich“ wurde am 13. März 1938 erlassen.<br />

Zwei Tage später bejubelten über 100 000 Menschen den gebürtigen<br />

Österreicher Hitler in Wien. Die Mehrzahl der österreichen Bevölkerung<br />

war erleichtert, viele begeistert. Die Zeit seit 1918 hatte man als Krise<br />

des kleinen Österreich erlebt. Viele erhofften sich vom Anschluss an das<br />

große Deutsche Reich einen wirtschaftlichen Aufschwung mit besseren<br />

Lebensverhältnissen, ohne deswegen überzeugte Nationalsozialist/inn/en<br />

zu sein.<br />

In der Volksabstimmung am 10. April 1938 votierten offiziell 99,73<br />

Prozent der Österreicher/innen und 99,01 Prozent der Deutschen für den<br />

„Anschluss“. Vor dem Anschluss hatte die NSDAP in Österreich 105 000,<br />

im März 1939 über 220 000 Mitglieder. Im März 1943 waren es 10 % der<br />

Bevölkerung: 690 000 NSDAP-Mitglieder.<br />

<br />

<br />

© Ed. Hölzel<br />

Abb. 28.2: Hitler am Wiener<br />

Heldenplatz am 2. April 1938<br />

akg-images, Berlin


Kapitel 3<br />

Die Ansprache des deutschen Führers Adolf Hitler<br />

am Wiener Heldenplatz vom 2. April 1938<br />

„Deutsche! Männer und Frauen!<br />

In wenigen Tagen hat sich innerhalb der deutschen Volksgemeinschaft eine<br />

Umwälzung vollzogen, die wir heute wohl in ihrem Umfange sehen, deren<br />

Bedeutung aber erst spätere Geschlechter ganz ermessen werden. [...] Ich<br />

proklamiere nunmehr für dieses Land seine neue Mission. Sie entspricht dem<br />

Gebote, das einst die deutschen Siedler aus allen Gauen des Altreiches hierher<br />

berufen hat: Die älteste Ostmark des deutschen Volkes soll von jetzt ab das<br />

jüngste Bollwerk der deutschen Nation und damit des Deutschen Reiches sein.<br />

[...] Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reiches melde ich<br />

vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich!<br />

[...] Sieg Heil!<br />

Nach: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes<br />

i<br />

Geschichte-Basics:<br />

Arisierung: Zwangsverkauf eines jüdischen<br />

Betriebs zu einem staatlich fixierten<br />

Verkaufswert. Von dieser Summe<br />

wurden noch „Arisierungskosten“,<br />

„Reichsfluchtsteuer“ und „Sühneabgabe“<br />

abgezogen. Der verbleibende Rest<br />

musste auf ein Sperrkonto eingezahlt<br />

werden, von dem die jüdischen Eigentümer<br />

nur begrenzte Beträge abheben<br />

durften.<br />

Pogrom (russ.: Verwüstung): gewalt-tätige<br />

Ausschreitung gegen eine Bevölkerungsgruppe,<br />

besonders gegen Jüdinnen<br />

und Juden.<br />

2<br />

Die NS-Herrschaft in Österreich –<br />

die Nazis übernehmen die Macht<br />

In kurzer Zeit wurden die seit 1933 in Deutschland umgesetzten Maßnahmen<br />

zur Umgestaltung und Erfassung von Staat und Gesellschaft auf<br />

Österreich übertragen. Der Terror des NS-Regimes begann und übertraf<br />

anfangs noch das im bisherigen Deutschen Reich erlangte Ausmaß. Allein<br />

in den folgenden 10 Tagen gab es in der Ostmark offiziell 1 742 Festnahmen,<br />

in Wien 96 Selbstmorde. Sozialdemokrat/inn/en, Kommunist/inn/en ,<br />

Jüdinnen und Juden , wie zum Beispiel Sigmund Freud, blieb zur Rettung<br />

ihres Lebens oft nur die Flucht.<br />

Die Gestapo unter Heinrich Himmler traf noch vor der Wehrmacht in Wien<br />

ein, wo sie ihr Hauptquartier im Hotel Metropol einrichtete. Ein erster<br />

„Prominententransport“ von 70 000 österreichischen Ministern, hohen<br />

Beamten, Richtern, Staatsanwälten, Gewerkschaftler/inne/n, politischen<br />

Funktionär/inn/en wurde noch im März 1938 in das KZ Dachau bei München<br />

geführt. Die Personenlisten hatten österreichische Nationalsozialist/<br />

inn/en schon lange vorbereitet.<br />

➲ S. 40 ff.: Holocaust – Schoa<br />

Die „Entjudung der Ostmark“<br />

Sofort nach der eindeutigen Machtergreifung der NSDAP<br />

in Österreich begannen NS-Behörden mit Hilfe aus der<br />

Bevölkerung mit gewalttätigem Terror gegen die schutzlos<br />

gewordene jüdische Bürger/innen. Wochenlang demütigten<br />

sie die Menschen durch Beschimpfungen, willkürliche Verhaftungen,<br />

zwangen sie, Gehsteige oder Straßen zu reinigen<br />

oder jüdische Geschäfte zu beschmieren. Sofortige Entlassungen,<br />

spontane, chaotische Raubzüge und Plünderungen<br />

durch Private oder Beschlagnahme und Enteignung durch<br />

öffentliche Stellen waren die wirtschaftliche Seite dieses so<br />

genannten Anschlusspogroms.<br />

Diese „wilden Arisierungen“ waren auch Beutezüge von<br />

örtlichen NSDAP-Funktionären, die ihre Gefolgsleute mit<br />

jüdischem Eigentum belohnten. Besonders in Wien nahm<br />

der „Bereicherungs-Antisemitismus“ derart zu, dass wirtschaftliches<br />

Chaos drohte. So wurde in Wien die „Vermögensverkehrsstelle“<br />

zur ordnungsgemäßen Abwicklung von<br />

legalen Arisierungen erfunden.<br />

Abb. 29.1: Jüdische Österreicher/<br />

innen werden 1938 gezwungen, Straßen<br />

im 3. Wiener Bezirk zu reinigen<br />

Zu 2:<br />

A 1: Wie verhielten sich die Umstehenden<br />

in Abb. 29.1 zu dieser öffentlichen<br />

Demütigung? Wie würden Sie sich<br />

verhalten und warum?<br />

Die systematische „Entjudung der Wirtschaft“ verlief im<br />

Wien der antijüdischen Exzesse in diesen Monaten schneller<br />

als vorgesehen. Das Novemberpogrom in Wien 1938 war da<br />

nur eine Verschärfung der Stimmung. Die von Goebbels und<br />

Heydrich angeordneten „spontanen“ Terrorakte von Mitgliedern<br />

der NSDAP und SS bedeuteten zerstörte ☞Synagogen,<br />

vernichtete Kult- und Kunstgegenstände, konfiszierte jüdische<br />

Vermögenswerte. Die jüdische Bevölkerung wurde<br />

aus ihren Wohnungen vertrieben, verhaftet, misshandelt,<br />

getötet, zum Selbstmord getrieben, 4 600 in das KZ Dachau<br />

transportiert. In der Folge erhielten die Opfer nicht nur<br />

keine Entschädigung, sondern hatten selbst eine Milliarde<br />

Reichsmark zu bezahlen. Das bedeutete für den Einzelnen,<br />

20–25 % seines Vermögens an den NS-Staat abzuliefern.<br />

Im August 1938 organisierte Eichmann die „Zentralstelle<br />

für jüdische Auswanderung“ in Wien, die einzige NS-Stelle,<br />

die ermächtigt war, österreichischen Jüdinnen und Juden<br />

Ausreisegenehmigungen zu erteilen. In weniger als eineinhalb<br />

Jahren verließen 150 000 Menschen zwangsweise<br />

das Land.<br />

i<br />

Votava, Wien

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!