Katalog - Pierre Granoux
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DU<br />
Das deutsche Pronomen DU bildet den<br />
mehrdeutigen Titel dieser Ausstellung.<br />
Ausgangspunkt der Begegnung<br />
einiger Werke Rocco Hettwers und<br />
einer Arbeit <strong>Pierre</strong> <strong>Granoux</strong>’ war<br />
einer jener produktiven Missbräuche<br />
in der Kunst, die unabdingbarer Bestandteil<br />
von kreativen Prozessen<br />
zu sein scheinen: Der Diebstahl von<br />
geistigem Eigentum, die klammheimliche<br />
Übernahme von Methoden, die<br />
unerlaubte Weitergabe von geheimen<br />
Wissen oder einfach die Benutzung<br />
und Neubestimmung von Dingen, die<br />
einem ursprünglich nicht gehörten.<br />
Dabei schützt Alter vor Torheit nicht,<br />
wie wir schon aus einer Episode der<br />
Kunstgeschichte wissen, wo der greise<br />
Camille Pissarro noch versuchte,<br />
dem jungen Georges Seurat seine wissenschaftliche<br />
Methode des Pointillismus<br />
zu stehlen. Dem nicht genug, übernahmen<br />
z.B. auch Henri Matisse und<br />
Pablo Picasso die neue Technik. Bilder<br />
wie Luxe, calme et volupté, Matisse<br />
(1904) und La nana, Picasso (1901) belegen<br />
dies eindrücklich. Jedoch auch,<br />
wie wenig sich der Seurat´sche Einfall<br />
als Methode eignet, denn wir erkennen<br />
dann doch leicht die Handschrift des<br />
einen oder anderen. Mehr noch: Wir<br />
erkennen, wie die Methode sofort<br />
dem eigenen Prinzip untergeordnet<br />
wird und – gewissermaßen – verwässert<br />
wird.<br />
Das ist auch nicht überraschend,<br />
denn die eingebildete Methode, die<br />
neue Technik, war nichts weiter als die<br />
Sprache Seurats, seine Artikulation des<br />
Sehens, etwas also, dass niemand anderes<br />
tatsächlich kopieren kann, da es die ureigenste<br />
intellektuelle Anschauung des Urhebers ist.Der<br />
Witz besteht für uns nun aber darin, dass die Künstler<br />
dies einerseits selbst so wenig reflektieren, es<br />
jedoch andererseits mit Freude ständig praktizieren<br />
und, trotz mancher Missverständnisse, zu etwas<br />
neuem führen.<br />
So ähnlich geschehen auch hier: Wo der Maler Rocco<br />
Hettwer, ein schönes Fragment einer Leuchtschrift<br />
(C)DU in einer Berliner Ausstellung des Kollegen<br />
<strong>Pierre</strong> <strong>Granoux</strong> sah, es sofort abmalend in eines<br />
seiner unfertigen Werke integrierte. Das Warum<br />
dieses subversiven Aktes lässt sich für den Maler<br />
selbst kaum mehr verifizieren. Grund allein war offenbar<br />
eine Ratlosigkeit, wie er das voraussichtlich<br />
letzte Werk seiner Kurbelmädchen-Serie beenden<br />
sollte: Die introvertierten Mädchen-Figuren hatten<br />
schon oft genug Fragen nach dem Warum in<br />
Ausstellungen aufgeworfen. Vielleicht um den Bann<br />
zu brechen, griff der Künstler das vor ihm liegende<br />
Angebot der Leuchtschrift auf – ein parataktischer<br />
Akt schließlich.<br />
Dabei war dem Dieb gar nicht klar, wie sehr es sogar<br />
inhaltlich seinem Thema entsprach, denn die Arbeit<br />
Political Beauty von <strong>Pierre</strong> <strong>Granoux</strong> behandelt die<br />
Ambivalenz von Nähe und Distanz. In computeranimierten<br />
Zeichnungen sowie verschiedenen Installationen<br />
hat der französische Künstler sein Thema<br />
sensibel weiterentwickelt und versucht damit den<br />
Irritationen des Blickes auf unser Gegenüber –<br />
nennen wir es DU – Ausdruck zu verleihen. Dass<br />
<strong>Pierre</strong> <strong>Granoux</strong> dabei selber sich angeeignet hat,<br />
was ihm nicht gehörte (nämlich zwei Buchstaben<br />
eines bekannten Partei-Logos), macht das Ganze<br />
nur noch spannender. Der Fund des Objektes war<br />
in beiden Fällen, und wie meist bei Sammlern von<br />
Hinterlassenschaften dieser Gesellschaft, zunächst<br />
einmal nur sinnlich bestimmt – es gefiel einfach.<br />
Berlin, September 2010<br />
<strong>Pierre</strong> <strong>Granoux</strong>, Political Beauty, 2009<br />
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