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K u n s t i n Der staDt - Brunnen - Denkmale - Kunst - Stadt Göttingen

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K u n s t i n<br />

<strong>Der</strong> <strong>Stadt</strong>


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 03<br />

Vorwort<br />

Mit dieser Broschüre will Ihnen die <strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong> die Augen<br />

öffnen. Schauen Sie genau hin, wenn Sie diesen Skulpturen in<br />

der Göttinger Innenstadt begegnen, zufällig oder auch absichtsvoll.<br />

Mit den Erläuterungen in dieser Schrift, werden Sie manche<br />

gewohnte Skulptur mit anderen Augen sehen. Vielleicht werden<br />

Sie neugierig auf andere Werke und erleben die Göttinger City<br />

aus einem neuen Blickwinkel.<br />

<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum ist kontextbezogen, an öffentlichen<br />

Plätzen und in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Die Auseinandersetzung<br />

mit <strong>Kunst</strong> macht den <strong>Stadt</strong>raum präsent und wirkt<br />

aktivierend auf städtische Diskussionen. Objekte, Skulpturen<br />

und Installationen sind nicht Dekoration, sondern schaffen Reibungsflächen<br />

im städtischen Alltag.<br />

Die Wahrnehmung und Wertschätzung der <strong>Kunst</strong> im öffentlichen<br />

Raum gehört zur Pflege des kulturellen Gedächtnisses unserer<br />

<strong>Stadt</strong>. <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum dient aber auch der Vermittlung<br />

von kulturellen Werten, ist ein Bildungsangebot für alle.<br />

<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum beruht auf einem zutiefst demokratischen<br />

Kulturbegriff, diese <strong>Kunst</strong> ist für jedermann zugänglich<br />

und erlebbar. <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum ist eine unverzichtbare<br />

Komponente einer lebendigen urbanen Innenstadt.<br />

Die hier vorliegenden Informationen über die Künstler und Künstlerinnen,<br />

ihre Materialien, ihre Ausstellungsschwerpunkte und<br />

Referenzobjekte im <strong>Stadt</strong>gebiet helfen uns beim bewussten<br />

Sehen und Einordnen. Nach ihrem kulturpolitischen Leitbild<br />

sieht die <strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong> ihre Aufgabe auch in der Förderung der<br />

künstlerischen Aktivitäten in unserer <strong>Stadt</strong>.<br />

Dr. Dagmar Schlapeit-Beck<br />

Kulturdezernentin der <strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong>


Erich Hauser<br />

Ohne Titel (14/89)<br />

Edelstahl, 1989 (aufgestellt 1990)<br />

Vorplatz der Agentur für Arbeit, Bahnhofsallee 5/Westseite


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 05<br />

Erich Hauser<br />

Ohne Titel (14/89)<br />

Erich Hauser (1930 – 2004) war einer der führenden Bildhauer der<br />

Nachkriegsgeneration. Die Stahlplastiken des dreimaligen documenta-Teilnehmers<br />

(1964, 1968, 1977) sind Landmarken einer<br />

<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum. Sie prägten das Aussehen vieler<br />

Städte der Bundesrepublik von den 60ern bis zum Ende des<br />

20. Jahrhunderts.<br />

Für den Künstler, der auf eine Lehre als Stahlgraveur zurückgreifen<br />

konnte, waren Eisen und Stahl, die erst in den 30er Jahren<br />

Eingang in die bildhauerische <strong>Kunst</strong> fanden, von Anfang an erste<br />

Wahl. Als ihm 1969 mit dem Großen Preis der Biennale von São<br />

Paulo internationale Anerkennung für seine bildhauerische Tätigkeit<br />

in dem neuen Medium zu Teil wurde, hatte er die abstrakten,<br />

schwergewichtigen Formkörper der 50er Jahre, deren gestenreich<br />

raue Oberflächen ihm das Etikett eines Bildhauers des „Informel“<br />

eintrugen, lange hinter sich gelassen. Stahlplatten wurden<br />

bereits um 1962 zum charakteristischen Material, das Hauser zu<br />

immer großformatigeren Stahlkörpern zusammenfügte.<br />

Raumgewinn ohne Masse und Monumentalität: Mit der Göttinger<br />

Stahlplastik auf dem Vorplatz des 1989 neu erbauten Gebäudekomplexes<br />

der Agentur für Arbeit ist das Prinzip von Erich Hausers<br />

Stahlkörperkonstruktionen zu höchster Eleganz getrieben<br />

worden. Die über 13 Meter hoch hinausragende, silbern leuchtende<br />

Dreieckfaltung - typisch für Hausers Stahlplattenbehandlung<br />

der 80/90 Jahre - bietet der klar gliedernden Architektur aus<br />

Vertikalen und Horizontalen ein markantes Gegengewicht. Zwei<br />

steil umeinander rotierende, ausgedünnte Stahlarme beziehen<br />

den benachbarten Raum über die Verlängerung ihrer Spitzen hinausweisend<br />

mit ein und dehnen die Reichweite der Skulptur aus.<br />

<strong>Der</strong> filigran anmutende Raumkörper nimmt im Spannungsfeld<br />

seiner nach oben aufstrebenden Diagonalen erfolgreich die<br />

Dynamisierung einer in der Vergangenheit im Statischen verhafteten,<br />

konstruktiven Plastik vor.<br />

>> siehe auch „64/Freiplastik“,1964, Stahlskulptur vor dem Studentendorf,<br />

Gutenbergstraße 2 – 42


Hans-Gerd Ruwe<br />

<strong>Der</strong> Bote<br />

Bronze, 1983<br />

Heinrich von<br />

Stephan Straße,<br />

Vorplatz Hauptpost


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 07<br />

Hans-Gerd Ruwe<br />

<strong>Der</strong> Bote<br />

Zugkraft und Bewegung zeichnen die Bronzearbeit von Hans-<br />

Gerd Ruwe (1926 – 1995) vor dem Gebäude der Göttinger Hauptpost<br />

aus. Das 5 Meter hohe Werk, das aus auffallend eierförmigem<br />

Steinsockel in weitem Bogen in den Himmel heraufragt,<br />

wurde von dem Osnabrücker Künstler im Auftrag der Post entworfen<br />

und 1983 für diesen Standort angekauft. Die Werke des meist<br />

in Bronze arbeitenden, freischaffenden Bildhauers und Grafikers<br />

finden sich über seine Heimatstadt Osnabrück hinaus an zahlreichen<br />

weiteren Orten im norddeutschen Raum. Ruwe, der 1948<br />

nach seiner Rückkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft<br />

zunächst eine Lehre als Steinmetz durchlief, bevor er sein <strong>Kunst</strong>studium<br />

an der Werkbundschule in Hannover und an der Hochschule<br />

für Bildende Künste Hamburg aufnahm, erhielt in den<br />

80er Jahren zahlreiche Aufträge für Bronzeskulpturen auf öffentlichen<br />

Plätzen. Er schuf vielfigurige <strong>Brunnen</strong>plastiken und bodenständige<br />

Milieufiguren von heiter verspieltem bis hin zu liebevoll<br />

karikierendem Charme.<br />

In <strong>Göttingen</strong> zog der Künstler mit seinem „Boten“ dagegen ganz<br />

andere Register. Bei dieser Skulptur ist die rhythmisierte Silhouette<br />

das Eindrückliche. Ein fast bis zur reinen Bewegungsspur<br />

ausgedünnter Pferdekörper, versehen mit Rädern, die überdimensionierten<br />

Posthörnern statt Hinterhufen gleichen, eingehängt<br />

in ein Liniengespann, das entfernt an Überlandleitungen<br />

erinnert, zieht schnell und unbeirrt seine Bahn vor „verkehrs-“<br />

freiem Himmel.<br />

Ruwe hat eine skulpturale Chiffre für das Postwesen geschaffen,<br />

die er gezielt mit dem großen Bogenschwung, der seit Futurismus<br />

und kinetischer <strong>Kunst</strong> geradezu klassisch für skulpturale Dynamik<br />

steht, aus ihrer architektonischen Umgebung heraushebt.<br />

Während sich die Abbreviatur von Fortbewegung in den Himmel<br />

schreibt, verankert sie das Bogengerüst von Streben und Querstreben<br />

fest an ihrem Ausgangs- und Endpunkt: eine Bewegung<br />

mit klaren Zielen und Grenzen.


Corrado Cagli<br />

Mahnmal Synagoge<br />

Stahl-/Betonkonstruktion,<br />

1970 – 1973<br />

Platz der ehemaligen<br />

Synagoge, Obere und<br />

Untere Maschstraße


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 09<br />

Corrado Cagli<br />

Mahnmal Synagoge<br />

Das „Mahnmal Synagoge“ steht dort, wo 1938 in der Reichspogromnacht<br />

der neoromanische Bau der Göttinger Synagoge niederbrannte.<br />

Nach 32 Jahren städtebaulicher Lücke beauftragte<br />

die <strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong> Corrado Cagli (1910 – 1976) 1970 mit dem<br />

Entwurf für ein Mahnmal. <strong>Der</strong> italienische Künstler mit jüdischen<br />

Wurzeln gehörte vor und nach dem 2. Weltkrieg zu den führenden<br />

Köpfen im Kulturbetrieb Roms. Seine erste deutsche Retrospektive,<br />

die ihn 1970 nach <strong>Göttingen</strong> führte, zeigte eine große Bandbreite,<br />

die von Zeichnungen, Wandteppichen, skulpturalen<br />

Objekten bis hin zu monumentalen Fresken des Malers Cagli<br />

reichte, aber kein freiplastisches Werk.<br />

Das Göttinger „Mahnmal Synagoge“, das 1973 nach den Vorgaben<br />

des kleinformatigen, skulpturalen Modells von Cagli in 5 x 5 Meter<br />

Ausmaß fertiggestellt wurde, behauptet im Gesamtwerk des<br />

Künstlers eine Sonderstellung. Was zunächst als lebhaft in den<br />

Raum ausschwingende, reine Abstraktion aus Stahlröhren überzeugt,<br />

eröffnet beim Nähertreten einen raumhaltigen zentralen<br />

Unterbau, der durch Spiegelung der geometrischen Dreieckform<br />

zum Davidstern eine symbolische Dimension erhält. Die gesamte<br />

räumliche Konstellation der Skulptur ist über dem Grundriss dieses<br />

repräsentativen Glaubenssymbols aufgebaut. Cagli, der 1938<br />

nach Amerika flüchten musste, auf amerikanischer Seite als Soldat<br />

aktiv gegen den Faschismus kämpfte und der die Befreiung<br />

des Lagers Buchenwald miterlebte, gelang es, über der sicheren<br />

T-Trägerkonstruktion der stählernen Symbolfigur das gleichschenklige<br />

Dreieck aus Stahlröhren in stetiger Verjüngung so<br />

übereinander zu schichten, dass nichts – nicht einmal ein<br />

Gedanke – in monumentaler Erstarrung verhaftet bleibt. Röhrendreiecke<br />

werden 86fach gestapelt und 85 Mal in ihrer Kantenlänge<br />

verkürzt. Durch eine Verrückung um 4 Grad in der Drehachse<br />

werden sie scheinbar rotierend um den inhaltlichen Mittelpunkt<br />

gelegt. Sie geben der Skulptur ihren Rhythmus und Takt, während<br />

der zweifache Richtungswechsel des Aufbaus das gesamte<br />

Gebilde zudem noch in pendelhaften Linienschwung versetzt.<br />

>> Zum Gedenken an die 282, im Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Bürger/innen<br />

aus <strong>Stadt</strong> und Kreis <strong>Göttingen</strong> wurden 1995 fünf Bronze-Namenstafeln angebracht.


Vera Röhm<br />

Du sollst –<br />

Du sollst nicht<br />

Sicherheitsglas<br />

(2 m x 2 m x 1 cm)<br />

& Siebdruck, 1994<br />

Innenhof Amts- und<br />

Landgericht,<br />

Berliner Straße 4-8


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 11<br />

Vera Röhm<br />

Du sollst – Du sollst nicht<br />

Das <strong>Kunst</strong>werk von Vera Röhm (*1943) wurde eigens für den fünfeckigen<br />

Innenhof des Erweiterungsbaus des Justizgebäudes von<br />

Amts- und Landgericht konzipiert. Es hat nicht nur den Titel „Du<br />

sollst – Du sollst nicht“, sondern es zeigt die Aufforderung zum<br />

regelkonformen Tun und Lassen buchstäblich „wie gedruckt“.<br />

Skulptur ist für Vera Röhm, die in Paris und Lausanne <strong>Kunst</strong> studierte,<br />

Rauminstallation und Denkmuster in einem. Ihr Labyrinth<br />

aus 62 durchsichtigen Glasplatten lässt zwar den Blick auf den<br />

Innenraum offen, lenkt den Schritt aber dennoch in klar vorgegebene<br />

Bahnen.<br />

Dass im Zentrum von Röhms Rauminstallation, die die gläsernen<br />

Quadrate von 2 x 2 Meter zu undurchdringlichen Wänden zusammenstellt,<br />

ein Baum steht, hat mit Zufall nichts zu tun. An diesem<br />

Ort ruft er absichtsvoll Assoziationen zum Thing, der Versammlung<br />

germanischer Stämme, oder der Gerichtslinde des Mittelalters<br />

auf. Um den Baum als Gestalt gewordenes Bild ursprünglichen<br />

Gemeinschaftssinn herum hat die unorthodoxe Künstlerin,<br />

die nach eigener Aussage an der historischen Herkunft kultureller<br />

Prozesse interessiert ist, die für die Gesellschaft von grundlegender<br />

Bedeutung sind, ein Labyrinth aus gläsernen Wänden gesetzt.<br />

Die skulpturale Installation ist nicht nur aus elementaren geometrischen<br />

Formen zusammengestellt, mit denen Vera Röhms <strong>Kunst</strong><br />

Wesenszüge der seriellen Formensprache von Minimalismus und<br />

der strukturellen Materialbefragung der Arte Povera spiegelt,<br />

sondern auch mit dem sprachlichen Ausdruck von Normen<br />

schlechthin. Die drei Worte >DUSOLLSTNICHT


Erich Reusch<br />

Ohne Titel<br />

(Grüne Säule)<br />

grün lackiertes<br />

Aluminium & Steine<br />

(Anröchter Dolomit),<br />

1992/93<br />

parkartiger Außenraum<br />

an der Südseite der<br />

Niedersächsischen<br />

Staats- und Universitätsbibliothek<br />

<strong>Göttingen</strong>,<br />

Campus der Universität


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 13<br />

Erich Reusch<br />

Ohne Titel (Grüne Säule)<br />

Er holte die Skulptur vom Sockel, verflachte sie fast bis auf<br />

Bodenniveau, brachte sie raumgreifend in die Landschaft ein und<br />

dehnte sie weit über offene Flächen hinweg aus. Erich Reusch<br />

(*1925), der an der HBK Berlin Bildhauerei und Architektur studierte<br />

und noch bis 1964 als Architekt tätig war, gehört zu den<br />

Künstlern, die bereits in den 50er Jahren der plastischen <strong>Kunst</strong> in<br />

Deutschland eine neue Richtung aufzeigten. Er untersuchte und<br />

überarbeitete anhand minimaler, skulpturaler Setzungen vorgefundene<br />

Raumstrukturen. Seine Vorstöße in den Raum bezeichnete<br />

er konsequent als umraumbezogene Skulptur. Eigens für ihn<br />

richtete die staatliche <strong>Kunst</strong>akademie Düsseldorf 1973 den Lehrstuhl<br />

für „Integration Bildende <strong>Kunst</strong> und Architektur“ ein.<br />

Ohne sich als Vorreiter von Land-Art oder amerikanischer Minimal<br />

Art feiern zu lassen, deren Innovationen er in einigen seiner<br />

frühen Werke dennoch vorweggenommen hatte, ebnete Reusch<br />

der Skulptur den Weg in den Raum. Das zeigen selbst zwei so<br />

unterschiedliche Werke wie seine Bodenskulptur auf der documenta<br />

VI (1977) und die 15 Jahre später entstandene, weithin<br />

sichtbare Raumskulptur für das Außengelände der neuen Göttinger<br />

Universitätsbibliothek. Die markante, blaugrün lackierte Aluminiumsäule<br />

ist kein skulpturaler Solist vor gläserner Stahlarchitektur.<br />

Elf bruchrauhe Steintrabanten aus bläulich-grünem<br />

Anröchter Stein, jeder für sich genommen bis zu 2 Meter hoch,<br />

sorgen als bodenständige, zurückhaltende Markierungen für<br />

eine räumlich-platzartige Durchstrukturierung der leicht ansteigenden<br />

Geländefläche. Die Farbwahl von Steinen und Säule, die<br />

zwischen Himmelblau und Rasengrün vermittelt, tut ein Übriges,<br />

das ausgedehnte skulpturale Ensemble über die Weite der<br />

gesamten Rasenfläche hinweg sicher zu verankern. Es ist allerdings<br />

die gezielte 7-Grad-Neigung der 15 Meter langen Aluminiumröhre,<br />

mit der sie 2 Meter ihrer Höhenerstreckung verliert, die<br />

den Raum zum optischen Ereignis macht. Erst durch diesen Verzicht<br />

auf eine radikale, steile Senkrechte gelingt die optische<br />

Verschränkung des Übergangs von Universitätsgelände in die<br />

städtebauliche Situation.


Uwe Schloen<br />

6-teiliges<br />

Skulpturenensemble<br />

aus Januskopf, Blume,<br />

Herz, Ente, Totenkopf<br />

und Stuhl<br />

Holz & Bleiplatten<br />

1994 Erstaufstellung<br />

2003 restauriert und in<br />

Teilen neu geschaffen<br />

Theaterplatz 11<br />

Glas-Bronze-Konstruktion Borek Sipek<br />

Stahlbrunnen Erhard Christian


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 15<br />

Uwe Schloen<br />

6-teiliges Skulpturenensemble<br />

aus Januskopf, Blume, Herz, Ente,<br />

Totenkopf und Stuhl<br />

Die fünf von Uwe Schloen (*1958) derb mit der Motorsäge bearbeiteten<br />

Holzstämme stehen wie neuzeitliche Totempfähle zwischen<br />

altem Baumbestand. Ergänzt werden die archaisch anmutenden<br />

Figurenpfähle von einem grob zusammengezimmerten,<br />

überdimensionierten Holzstuhl.<br />

Uwe Schloen, Förderpreisträger für Bildende <strong>Kunst</strong> der <strong>Stadt</strong> Buxtehude,<br />

besuchte in Bremen die Fachoberschule für Gestaltung<br />

und studierte in Hamburg Bildhauerei und Malerei. Den grob<br />

behauenen Stamm verknappt Schloen radikal zum Block oder<br />

Pfahl. Die Formen, die der Bildhauer dabei direkt aus dem Stamm<br />

herausschält und Gestalt werden lässt, sind einfache, aber prägnante<br />

Zeichen. Schon die Zusammenstellung der ausgewählten<br />

symbolreichen Objektkonstellation – Januskopf, Blume, Herz,<br />

Ente und Totenkopf – die aus hölzernen Stelzen hervorwachsen,<br />

wirkt bedeutungsvoll. Die Bleiummantelung, die Schloen als<br />

graue Reliefhaut hart aufs Holz nagelte, soll den Kern von vier der<br />

Skulpturen schützen. Beim Janusgesicht dagegen dürfen sich im<br />

Laufe der Zeit durch Wind und Wetter Frohsinn und Missmut bis<br />

zur Unkenntlichkeit miteinander verschleifen.<br />

Hinterfangen wird die symbolschwere Szenerie der hölzernen Erinnerungsmahle<br />

an Kindheit und Tod, an Spiel und Ernst von dem<br />

Stahlbrunnen Erhard Christians. Die stählerne Konstruktion präsentiert<br />

in ihrem komplizierten Wasserspiel die unterschiedlichen Modi<br />

vom Wassertropfen, über den Wasserfall bis hin zum Sprühregen.<br />

Daneben findet sich am Eingang des Bistros die Glas-Bronze-Konstruktion<br />

des tschechischen Künstlers Borek Sipek. Er gilt als wichtigster<br />

Vertreter des Neobarocken Designstils, den er in den 80er<br />

Jahren vorrangig im Bereich des Glasdesigns prägte. Nach seinem<br />

Studium in Deutschland nahm er 1990 eine Professur für Architektur<br />

an der Hochschule für angewandte <strong>Kunst</strong> in Prag an, wurde 1992<br />

zum Burgarchitekten ernannt und stattete den Eingangsbreich der<br />

Prager Burg mit einer Portalkonstruktion aus Glas und Bronze aus.


Jürgen Weber<br />

Die <strong>Stadt</strong><br />

Bronze (310 x 350 cm),<br />

1963/64<br />

Albaniplatz 2,<br />

<strong>Stadt</strong>hallenterrasse-<br />

Aufgang rechts


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 17<br />

Jürgen Weber<br />

Die <strong>Stadt</strong><br />

Keine idealistisch geschönten Gestalten, keine dekorative Abstraktion.<br />

Stattdessen Bronzearbeiten wie das <strong>Stadt</strong>hallenrelief<br />

am rechten Aufgang zur <strong>Stadt</strong>hallenterrasse zum Bersten voll<br />

vitaler menschlicher Körper und expressiver Menschenfiguren,<br />

die ihm Sinnbild für die menschliche Existenz waren. Jürgen<br />

Weber (1928 – 2007), 1962 als Professor an den Lehrstuhl für elementares<br />

Formen im Fachbereich Architektur der TU Braunschweig<br />

berufen, hat den figurativen Strang der deutschen Plastik<br />

über die Jahrhundertmitte hinaus weitergeführt. Kämpferisch<br />

wandte er sich mit seiner <strong>Kunst</strong> gegen den damaligen Trend, die<br />

Abstraktion als einzige Form moderner Bildhauerei zu verabsolutieren.<br />

Ihm war das Bild des Menschen gültiger Prüfstein bildhauerischer<br />

Modernität. In expressiver Übersteigerung, durchfurcht<br />

von der modellierenden Hand, nackt, manchmal auch<br />

bloßgestellt, hat er das Bild vom Menschen zum Menschenbild<br />

geformt. Auch das Göttinger Relief mit dem Titel „Die <strong>Stadt</strong>“<br />

(310 x 350 cm), das Rainer Schell, der Architekt der <strong>Stadt</strong>halle als<br />

Belebung seines architektonischen „Cubus“ vorschlug, bildet<br />

darin keine Ausnahme.<br />

Für Jürgen Weber, der auf ein Studium der <strong>Kunst</strong>geschichte und<br />

der Bildhauerei an der Stuttgarter <strong>Kunst</strong>akademie und auf eine<br />

Lehre zum Bronzegießer zurückblickte, war die <strong>Stadt</strong> nicht in erster<br />

Linie architektonische Gestalt, sondern eine Form der Vergesellschaftung,<br />

die von Menschen gedacht, entworfen und durch<br />

sie strukturiert wird. Individuum, Paar, Gruppe und Masse: Sein<br />

Hochrelief zeigt das Wesen der <strong>Stadt</strong> als einen pulsierenden Reigen<br />

beständig wechselnder Menschenkonstellationen. Ein kompliziertes<br />

Faltwerk nebeneinander konstruierter Räume und<br />

Schluchten. In seinen Tiefen agieren menschliche Gestalten daumenklein<br />

bis überlebensgroß, flachbrüstig bis vollbauchig,<br />

zusammen oder allein. Im Zentrum der <strong>Stadt</strong> dagegen sitzt klein<br />

und allein das denkende Individuum.<br />

>> siehe auch „Geburt der Athena“, Bronze auf Betonsäule (Höhe 420 cm),<br />

1970-1972, Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie,<br />

„Portal Ratssaal“, Neues Rathaus Foyer, Hiroshimaplatz 1 – 4


Willy Weiner<br />

<strong>Der</strong> Fluss des Möbius<br />

Stahlplastik, 2001<br />

Cortenstahl & Lackfarbe<br />

aufgestellt 2012,<br />

Geismar Landstraße 11,<br />

Südterrasse der<br />

historischen Sternwarte


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 19<br />

Willi Weiner<br />

<strong>Der</strong> Fluss des Möbius<br />

Mathematisch definiert sich das Metallobjekt des süddeutschen<br />

Künstlers Willi Weiner (*1954), das seit 2012 auf der Südterrasse<br />

der historischen Sternwarte lagert, als Möbiusband. Es bietet in<br />

klassischer Ausformung eine Fläche ohne Kante. <strong>Der</strong> rotbraune<br />

Rostanflug und der auffällig türkisblaue Lackstreifen auf der<br />

Schmalseite erinnern allerdings weniger an eine mathematisch<br />

bestimmte Flächengestalt als an einen Flusslauf, der durch erdige<br />

Landschaft mäandriert. Auch der vom Künstler als Erläuterung<br />

mitgegebene Titel „<strong>Der</strong> Fluss des Möbius“ weist auf den Übergang<br />

von mathematischer Denkfigur – dem Möbiusband – zu plastischer<br />

Landschaftsdarstellung – dem Flusslauf. Damit besitzt <strong>Göttingen</strong>,<br />

mit der nur 64 cm hohen, 214 cm langen und 114 cm breiten<br />

Plastik aus Cortenstahl eines der programmatischen Werke<br />

von Willi Weiner. <strong>Der</strong> Bildhauer, der in Augsburg studierte und mit<br />

seiner <strong>Kunst</strong> durch Reisestipendien (Villa Massimo) und ausgedehnte<br />

Arbeitsaufenthalte gleichermaßen in Italien, Jütland und<br />

Japan zu Hause ist, verschweißt 1 mm schmale Stahlblechstücke<br />

zu dünnwandigen, in sich geschlossenen Hohlkörpern, die nicht<br />

die Masse eines Körpers, sondern die ihn umspannende Oberfläche<br />

und deren Gestaltung in den Vordergrund stellen. Selten ist<br />

Landschaft in der klassischen Bildhauerei als Phänomen räumlicher<br />

und flächenhafter Erstreckung zum Motiv eines plastischen<br />

Werkes geworden. Noch seltener Wasser, das geradezu im krassen<br />

Gegensatz zu jedem Versuch einer gestalterischen, statischen<br />

Verdichtung steht. Für Weiner sind das jedoch die zentralen<br />

Themen seiner <strong>Kunst</strong>. Er bringt sie in dem Göttinger Bodenobjekt,<br />

das landschaftliche Ausdehnung und fließende Beweglichkeit in<br />

die Form des in sich selbst zurückgebogenen Möbiusbandes einschreibt,<br />

plastisch zur Anschauung.<br />

Vor der Sternwarte hat die Form des metallenen Hohlkörpers<br />

einen historisch begründeten Platz gefunden. Von 1813 bis 1814<br />

studierte August Ferdinand Möbius in <strong>Göttingen</strong> und zudem war<br />

es der Göttinger Johann Benedict Listing, der zeitgleich (1885) mit<br />

dem Namensgeber des Bandes, aber unabhängig von ihm, dessen<br />

besondere Eigenschaften beschrieb.


Henry Hinsch<br />

Mimengruppe<br />

Eisenplastik, 1970<br />

Geismar Landstraße 19,<br />

Kino Lumière,<br />

Außenterrasse<br />

Café Kabale


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 21<br />

Henry Hinsch<br />

Mimengruppe<br />

Die Mimengruppe von Henry Hinsch (1909 – 1979) ist aus Eisen.<br />

<strong>Der</strong> Bildhauer und Maler, der seit Kriegsende 1945 in <strong>Göttingen</strong><br />

lebte, hat Eisenplatten so zugeschnitten, zurechtgebogen und<br />

nebeneinandergestellt, dass sie den Eindruck einer Gruppe<br />

menschlicher Gestalten wachrufen. Je nach gewähltem Blickwinkel<br />

sind sie mal mehr Werkstück, mal mehr menschliches Wesen.<br />

Mit diesem Vorgehen griff der freischaffende Künstler die Tradition<br />

der Metallmontage auf, die in den 30er Jahren von Künstlern<br />

wie Picasso und Gonzalez in der spielerischen Konfrontation mit<br />

metallenen Fundstücken und funktionslos gewordenen Alltagsgegenständen<br />

entwickelt wurde. Kennzeichnend hierfür ist die<br />

Verwendung von konstruktionstechnisch bestimmten Materialien,<br />

gefunden auf dem Schrottplatz, der seit diesen Tagen zum<br />

Materiallager der Künstler umfunktioniert wurde. Die Materialien<br />

werden so lange arrangiert, ergänzt bzw. in Form gebracht, bis<br />

sie sich in halbabstrakte Formgestaltungen finden.<br />

Hinsch, der 1969 die Göttinger Künstlervereinigung „Kreis 34“<br />

gründete und dem die <strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong> 1979 für künstlerische und<br />

kulturpolitische Verdienste die Ehrenmedaille verlieh, hat mit<br />

seiner Mimengruppe, deren schmale Eisenplatten als gestisch<br />

belebte Klammern im Raum stehen, ein gestalterisches Prinzip<br />

der Moderne in einer geradezu exemplarischen Formfindung vorgeführt.<br />

Neben den festgefügten Polen von Abstraktion und<br />

Gegenständlichkeit zeigt sich eine dritte spielerisch additive<br />

Position, die weder modellierend formt noch konstruierend baut,<br />

sondern durch das Verfahren des Montierens die gleitenden<br />

Momente zwischen beiden Positionen sucht.<br />

>> siehe auch „<strong>Der</strong> große Carborator“, Stahl und Schrott, 1980,<br />

Hiroshimaplatz 1 – 4, Neues Rathaus, Foyer vor Zulassungsstelle


Jürgen Weber<br />

Portal Ratssaal<br />

Bronze (250 x 245 cm),<br />

1978 – 1983<br />

Hiroshimaplatz 1 – 4,<br />

Neues Rathaus Foyer/<br />

Zugang zum Ratssaal


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 23<br />

Jürgen Weber<br />

Portal Ratssaal<br />

<strong>Der</strong> Braunschweiger Künstler Jürgen Weber (1928 – 2007) arbeitete<br />

nach Auftragsvergabe durch den Rat der <strong>Stadt</strong> 1978 fünf<br />

Jahre an der Fertigstellung des Bronzeportals für den Ratsaal des<br />

Göttinger Neuen Rathauses.<br />

Während sein <strong>Stadt</strong>hallenrelief in den 60er Jahren auf Grund der<br />

freimütigen Darstellung nackter, ungeschönter Körper zunächst<br />

umstritten war, nahm man bei dem 1983 der Öffentlichkeit präsentierten<br />

Bronzeportal keinen Anstoß an der künstlerischen<br />

Leistung Webers. Auf der begrenzten, nahezu quadratischen Fläche<br />

zweier niedriger Türflügel ließ Weber in aufwendigem Gussverfahren<br />

eine kontrastreiche Bildkomposition, verteilt auf verschiedene<br />

Relief- stärken und Raumtiefen, entstehen. Das<br />

Thema, ebenso wie dessen formale und motivische Umsetzung,<br />

hatte sich der Künstler dabei selbst gestellt: Durchwoben von<br />

mehr als 500 menschlichen Figuren wird die Geschichte <strong>Göttingen</strong>s<br />

– darunter auch die Universitätsgründung - in die Geschichte<br />

Mitteleuropas eingebettet. Dabei lässt die kompromisslos<br />

modellierende Hand Webers aus einem Bilderbogen, der von der<br />

Jungsteinzeit bis hin zu den konsumfreudigen 70er Jahre reicht,<br />

ein plastisches Panoptikum aus Seuchen, Judenpogrom, Hexenverbrennungen<br />

Heeresaufmärschen und Kriegshandlungen werden.<br />

Die Reise durch die Geschichte findet dabei weit weniger in<br />

den flachreliefierten Eisenbahnen, Autos oder Kutschen statt,<br />

sondern im tiefen Morast Weberscher „Katastrophengräben“.<br />

Bewusst hat Weber die beigefügten Texte, die die historischen<br />

Ereignisse weniger benennen als gewollt subjektiv interpretieren,<br />

in die an Handschrift erinnernde Kursivschrift gesetzt. Sie<br />

und nicht etwa der nackte, fast wie ein Pfahl im Fleisch freiplastisch<br />

aus dem Relief herausragende gekreuzigte Körper am linken<br />

Reliefrand, waren es diesmal, die Anlass für zahlreiche, heftig<br />

geführte Debatten über die Deutungshoheit von Geschichte in<br />

einer Demokratie gaben.<br />

>> siehe auch „Geburt der Athena“, Bronze auf Betonsäule (Höhe 420 cm),<br />

1970-1972, Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie,<br />

„Die <strong>Stadt</strong>“, Bronze 1963/64, Albaniplatz 2, <strong>Stadt</strong>hallenterrasse – Aufgang rechts


Giancarlo Sangregorio<br />

Genesis<br />

Diorit, Granit &<br />

Serpentin, 1974<br />

(aufgestellt 1979)<br />

Hiroshimaplatz 1 – 4,<br />

Neues Rathaus,<br />

Vorplatz Amtshaus


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 25<br />

Giancarlo Sangregorio<br />

Genesis<br />

Die fast als kombinatorisch zu bezeichnende Materialbehandlung,<br />

die die Steinskulptur aus dreierlei Gesteinssorten vor dem<br />

Göttinger Amtshaus auszeichnet, ist ungewöhnlich. „Incastri“<br />

nennt Giancarlo Sangregorio (*1925) seine Arbeiten, in denen er<br />

Materialien unterschiedlichster Beschaffenheit und Herkunft wie<br />

Holz (seit 1967) oder Glas (in seinen neueren Arbeiten), vor allem<br />

aber Stein zu skulpturalen Gebilden zusammenbringt. Die<br />

gewählte Bezeichnung ist für das bildhauerische Verfahren von<br />

Sangregorio programmatisch.<br />

<strong>Der</strong> lombardische Bildhauer, der in den 40er Jahren in Mailand<br />

Schüler von Marino Marini war, wendete sich nicht der figürlichen<br />

Darstellung zu, in der die italienische <strong>Kunst</strong> selbst bei ihren Versuchen,<br />

diese Tradition zu modernisieren, noch bis in die 60er<br />

Jahre stark verhaftet war. Ebenso hält seine bildhauerische Arbeit<br />

Distanz zu den plastischen Nachbildungen organischen Wachstums.<br />

Seine Skulpturen bestehen aus zueinander in Beziehung<br />

gesetzten, einander näher gebrachten Einzelstücken: Bei der<br />

Göttinger Skulptur sind es olivgrüner Serpentin mit marmorähnlicher,<br />

weißer Maserung von verhältnismäßig geringer Härte,<br />

harter, grobkristalliner Granit und mittelharter, einheitlich<br />

schwarzer Diorit. Ihre Materialeigenschaften bleiben in der Art<br />

und Weise, in der Sangregorio sie bearbeitet, sichtbar und grenzen<br />

die drei Gesteinsarten, trotz der montierenden Annäherung,<br />

voneinander ab.<br />

Was selbst der Nachfolgegeneration Rodins noch als unverzeihlicher<br />

Verstoß gegen eine anzustrebende Ganzheitlichkeit des<br />

bildhauerischen Werkes gilt, macht sich Sangregorio zum Prinzip:<br />

eine sichtbar gelassene Zusammensetzung von stark unterschiedenen<br />

Materialstücken. Damit formuliert er einen eigenständigen<br />

Weg zwischen den großen Strömungen von konstruierender<br />

und modellierender <strong>Kunst</strong>, indem er einem Zimmermann vergleichbar,<br />

mit Verzahnung von Einschnitten und Ausbuchtungen,<br />

Einschachtelungen und Steckverbindungen die steinernen Einzelteile<br />

zu skulpturalen Kombinationen zusammenfügt.


Uwe Appold<br />

Doppelkentaur<br />

schwarz lackierter<br />

Stahl, 1982<br />

(aufgestellt 1985)<br />

Hiroshimaplatz 1 – 4,<br />

Neues Rathaus/Vorplatz


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 27<br />

Uwe Appold<br />

Doppelkentaur<br />

<strong>Der</strong> Krieg ist von heimtückischem Wesen. Den Kentaur beschreibt<br />

die griechische Mythologie als mischgestaltiges Fabelwesen und<br />

belegt ihn mit der Charaktereigenschaft der Heimtücke gepaart<br />

mit maßloser Triebhaftigkeit. Uwe Appold (*1942), als Maler und<br />

Bildhauer eine feste Größe in der <strong>Kunst</strong>landschaft Schleswig-<br />

Holsteins, nimmt mit seinem Werken neben theologischen,<br />

mythologischen oder historischen Themen gezielt immer wieder<br />

die „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ in den Blick. Für<br />

sein Mahnmahl für die zivilen Opfer der Bombenangriffe auf Wilhelmshaven<br />

erhielt der Künstler, der bis 2006 an der Flensburger<br />

Fachschule für Technik und Gestaltung lehrte, den Kulturpreis<br />

seiner Heimatstadt (1985).<br />

Auch Appolds Göttinger Doppelkentaur, mit über 5 Meter Höhe<br />

und 800 kg Metallgewicht, sperrt sich gegen die gestalterische<br />

Heroisierung des Krieges. Da ist keine Haut, kein Kopf, noch nicht<br />

mal Hand und Fuß, sondern nur noch Rüstung, die wie ein Panzer<br />

die ganze Skulptur überzieht. Dennoch wirkt die Metallmontage,<br />

zusammengefügt aus Attributen der Macht, wenig wehrhaft. Sie<br />

ist durchlöchert, durchbohrt, von innen marode und, so scheint<br />

es, zutiefst verletzt. Die militante Metamorphose wird von Appold<br />

als beängstigende, selbstzerstörerische Verfremdung enttarnt.<br />

<strong>Der</strong> monströse Mutant aus Mensch und Pferd entpuppt sich als<br />

ein bitterer Gegenentwurf zum klassischen Reiterstandbild.<br />

Gleich doppelt, als Hybrid aus torsohaft verstümmelter Reitergestalt<br />

und als stählerne Kriegsmaschinerie mit Eigendynamik,<br />

führt die Skulptur die Deformation und Entgrenzung des Menschenbildes<br />

vor Augen, die Krieg mit sich bringt.<br />

1985 wurde der Doppelkentaur zum ersten Mal in <strong>Göttingen</strong> ausgestellt,<br />

nur zwei Jahre danach mit finanzieller Unterstützung<br />

einer Bürgerinitiative für die <strong>Stadt</strong> angekauft. Die Gegenstimmen<br />

gegen Ankauf und Aufstellung des „abstoßenden Kadavers“<br />

waren zahlreich.


Heinz Detlef Wüpper<br />

Verbundenheit<br />

Bronze, 1977<br />

(aufgestellt 1979 im<br />

Innenhof Neues Rathaus,<br />

2004 umgesetzt)<br />

Hiroshimaplatz 1 – 4,<br />

Neues Rathaus/Vorplatz<br />

<strong>Der</strong> Aufbruch


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 29<br />

Heinz Detlef Wüpper<br />

Verbundenheit<br />

Drei stark stilisierte Männerfiguren reichen einander über Kreuz<br />

die Hand. Ihre „Verbundenheit“ zeigt sich ganz plastisch als Einbindung<br />

in den Kreis der Gruppe, völlig unbesehen wie kantig die<br />

einzelne Gestalt im Detail ist. <strong>Der</strong> 2,20 m hohe Bronzeguss, der<br />

ursprünglich im Innenhof des Neuen Rathauses aufgestellt war,<br />

stammt von Heinz Detlef Wüpper (1911 – 1995). <strong>Der</strong> Bildhauer,<br />

dessen Plastiken und Reliefs im südniedersächsischen und nordhessischen<br />

Raum zahlreichen öffentlichen Plätzen, vor allem in<br />

Kassel und <strong>Göttingen</strong>, eine ganz eigene Prägung verleihen, widmete<br />

sich in seinen Vorkriegsjahren als Lehrer an der Kassler<br />

Werkkunstschule (1937/38) fast ausschließlich der Darstellung<br />

unversehrter, vollplastischen Körper. Nach seiner Rückkehr aus<br />

der Kriegsgefangenschaft und mit Beginn seiner Arbeit als freischaffender<br />

Künstler in Hann. Münden (ab 1946) suchte Wüpper<br />

nach neuen Wegen, die Figur mit dem Raum zu verbinden, statt<br />

sie rein als figürliche Masse, als Verdrängungskörper, zu setzen.<br />

Mit der Bronzearbeit „Verbundenheit“, die bei ihrer Aufstellung<br />

sofort als symbolische Darstellung eines kooperativen Miteinanders<br />

von Rat, Bürgern und Verwaltung begriffen wurde, hat er eine<br />

eigene, überzeugende Formulierung für eine Plastik gefunden,<br />

die sich geschickt zwischen Raumdurchdringung und Raumverdrängung<br />

ansiedelt. Klar umrissen von den beiden ihr übergeordneten<br />

geometrischen Grundformen – die Fußplatte ein enges<br />

Quadrat, der obere Abschluss eine nach allen Seiten offene Kreisform<br />

- entwickelt sich ein Raumgespinst aus sich überkreuzenden<br />

Armen und Beinen, deren unzählige Durchbrüche den Raum, den<br />

sie umschließen, nie nach außen hin abschließen. Auch in die<br />

Gestaltung der menschlichen Figur schreibt sich die gesuchte<br />

formale Bindung ein, wenn der Rücken sich zum Relief aus Mulden<br />

und Graten wandelt und Augenhöhlen in letzter Konsequenz<br />

sogar zu Durchbrüchen werden.<br />

>> siehe auch „<strong>Der</strong> Aufbruch“, Bronze, 1986, Reinhäuser Landstraße 4, Vorplatz<br />

Landkreisgebäude, „Denker“ Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie<br />

(1973), Bronzerelief vor dem Agentur für Arbeit in <strong>Göttingen</strong> (1975),<br />

„Aufbau“, Aluminiumguss vor dem Gewerbeschulzentrum in <strong>Göttingen</strong> (1975)


Emil Cimiotti<br />

Vegetative Säule<br />

Bronze gußrauh, 1986<br />

Reinhäuser Landstraße 4, Innenhof Landkreisgebäude


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 31<br />

Emil Cimiotti<br />

Vegetative Säule<br />

Emil Cimiottis Bronzen wirken wie frei wuchernde organische Formen.<br />

Für viele plastisch arbeitende Künstler war das Informel in<br />

den 50er Jahren im Nachkriegsdeutschland ein kurzes Durchgangsstadium,<br />

in dem sie die Spontanität ihrer expressiven Gesten ausprobierten,<br />

bevor sie sich wieder der traditionellen Darstellung<br />

massiver plastischer Körper zuwandten. Cimiotti (*1927 in <strong>Göttingen</strong>),<br />

der in Stuttgart, Berlin und Paris <strong>Kunst</strong> studierte, dagegen<br />

wird als Bildhauer zum stärksten Exponenten dieser Bewegung.<br />

Seine Werke wurden 1958 im italienischen Pavillon, zwei Jahre<br />

später, 1960, im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig<br />

und auf der documenta II und III (1959, 1964) gezeigt. Seine<br />

Werke, die bis auf den Zeitraum von 1966 bis 1973 sämtlich im<br />

verlorenen Guss (cire perdu) gegossen wurden, bei dem das<br />

zuvor in Wachs geformte Werk durch den Guss zerstört wird, bieten<br />

Wachstum statt anatomischer Darstellung, setzen statt auf<br />

Masse und Volumen auf raumgreifende Ausbreitung. Es entstehen<br />

Unikate, die nicht mehr überarbeitet bzw. poliert, sondern<br />

gußrau belassen werden. Mit den Schlieren von Finger- und<br />

Spachtelspuren auf der Oberfläche verweisen sie auf die unmittelbare<br />

Formulierung in Wachs.<br />

Bei den vegetativen Formen der Arbeiten der 70er bis 90er Jahre<br />

wie auch der „Vegetative Säule“ im Innenhof des Landkreisgebäudes<br />

erfolgt allerdings zunehmend eine strengere Anbindung<br />

der strukturellen, organischen Wucherung an eine darunter liegende,<br />

architektonisch motivierte Form. Dennoch ist der Künstler,<br />

der 1961 als Gründungsmitglied an die Hochschule für Bildende<br />

Künste nach Braunschweig auf den Lehrstuhl für Bildhauerei<br />

berufen wurde, in der Konsequenz vielleicht der einzige, der<br />

durchgängig in seinem Lebenswerk das Informel durchspielt und<br />

dabei das Dekorative und Florale nicht scheut. Cimiottis Werke<br />

in <strong>Göttingen</strong> zeigen sowohl die stilistische Entwicklung als auch<br />

die Kontinuität innerhalb seines Schaffens.<br />

>> siehe auch „Offene Form“, Bronze gußrauh, 1962, Waldweg 26, Innenhof<br />

Erziehungswissenschaftliches Institut Universität <strong>Göttingen</strong>, „Blume II“, Bronze<br />

gußrauh, 1964/65, Städtisches Museum, „Freiplastiken Studentenwohnheim<br />

I & II“, Bronze geschliffen, 1967, Rosenbachweg


Ewelina Szczeck-Siwicka,<br />

Henryk Siwicki,<br />

Ryszard Kaczor,<br />

Wolf Bröll<br />

Woda Nie Zna Granic -<br />

Wasser kennt keine<br />

Grenzen<br />

Diabas, 1988<br />

Geismartor, Wallaufgang


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 33<br />

Ewelina Szczeck-Siwicka, Henryk Siwicki, Ryszard Kaczor, Wolf Bröll<br />

Woda Nie Zna Granic – Wasser kennt<br />

keine Grenzen<br />

Die Plastik aus 7 schwarzen, glänzend polierten Diabassteinen<br />

wurde 1988 anlässlich der zehnjährigen Städtepartnerschaft zwischen<br />

<strong>Göttingen</strong> und dem polnischen Toruń aufgestellt. Sie ist<br />

ein Gemeinschaftswerk der polnischen Künstler Ryszard Kaczor<br />

(*1950), Henryk Siwicki (*1950) und der Künstlerin Ewelina<br />

Szczech-Siwicka(*1932), die in Polen als Grafikerin und Bildhauerin<br />

bekannt ist. Als vierter im Bunde kam der in Northeim bei<br />

<strong>Göttingen</strong> lebende Künstler Wolf Bröll (*1950) dazu. Er hat den<br />

Diabasstein für die Skulptur mit beigesteuert.<br />

Das Konzept für die mehrteilige Skulptur, das fernab von gegenständlicher<br />

Darstellung Grenzüberwindung und Völkerverständigung<br />

thematisiert, erarbeitete die deutsch-polnische Bildhauergruppe<br />

speziell für diesen Anlass. Das Motiv des von Wasser<br />

geglätteten und konturierten Steins lehnt sich an die Ideenwelt<br />

Wolf Brölls an, die in diesem Werk eine spannungsreiche Weiterentwicklung<br />

erfährt.<br />

Aus einem Stein werden bei dem deutsch-polnischen <strong>Kunst</strong>werk<br />

sieben Steine, die ganz unterschiedliche Oberflächenstrukturen<br />

aufzeigen. Allen gemeinsam ist, dass sie geglättet sind, so dass<br />

der Blick wie Wasser problemlos über die unterschiedlichen Wellen<br />

und Buckel hinweggleiten kann, während die ansonsten<br />

bruchrauh belassenen Steine ersichtlich auseinandergerückt<br />

wurden. Zwischen ihnen liegen Gräben. Es sind die Künstler, die<br />

hier beständig wie Wasser an diesen Steinen arbeiten, die Oberflächen<br />

bearbeiten und polieren, bis es zumindest dem Blick<br />

gelingt, über die Gräben hinweg zu sehen.


Wolf Bröll<br />

Steinbewachsene Torsi<br />

4 Diabassteine,<br />

aufgestellt 2000<br />

Rote Straße 16/<br />

Barfüßerstraße 12/13,<br />

Eingänge Börnerviertel<br />

Mensch und Wissenschaft


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 35<br />

Wolf Bröll<br />

Steinbewachsene Torsi<br />

Die vier lebensgroßen Steinskulpturen, die paarweise die beiden<br />

Eingänge zum Börnerviertel flankieren, sind in Material und Art<br />

der Bearbeitung einander ähnlich. Direkt aus dem Stein herausgeschlagen,<br />

gleicht jedoch keine in ihrer konkreten Gestalt der<br />

anderen. Variantenreich kommt die Bearbeitung des Steinblocks<br />

an immer wieder anderer Stelle der Gestaltformulierung unvermittelt<br />

zum Halt.<br />

Wolf Bröll (*1950), der bis 1979 als Fotograf tätig war, bevor er an<br />

der Hochschule für Bildende <strong>Kunst</strong> in Berlin und in Kassel Bildhauerei<br />

studierte, liebt nicht nur den schwarzen Stein, der sich<br />

durch den starken Gegensatz zwischen seinen unbehandelten<br />

Oberflächen und einer weichen glänzenden Politur auszeichnet.<br />

Bröll ist ein Künstler des In-Finito, des Unvollendeten. Er lässt die<br />

Figur, die Michelangelo im Stein gefangen sah, und von der er<br />

behauptete, dass es nur den Künstler bräuchte, der die überflüssigen<br />

Stücke abschlage, um sie zu befreien, unerlöst. Ihn interessiert<br />

vielmehr der Gegensatz zwischen dem bearbeiteten Stein<br />

als Ausweis einer kulturellen Leistung und den unbearbeiteten<br />

Partien des Naturproduktes.<br />

Dass die Bildhauerei das eigentliche Thema ist, um das Bröll mit<br />

seinen Werkzyklen kreist, wird allein schon daraus ersichtlich,<br />

dass er sich immer wieder den menschlichen Torso zur Darstellung<br />

wählt. Es ist der Körper, der zum plastischen Fragment reduziert,<br />

davon befreit wird, Geschichten zu erzählen, tagespolitische<br />

Position zu beziehen oder Personen abzubilden. Genau<br />

diese Unabhängigkeit von thematischen oder motivischen Zwängen<br />

sichert dem Torso seine Zeitlosigkeit. Er ist ganz und gar ein<br />

Phänomen der Form, dem sich der Bildhauer Wolf Bröll mit allen<br />

technischen Mitteln und allen gestalterischen Finessen immer<br />

wieder neu annähert, ohne es je endgültig lösen zu wollen.<br />

>> siehe auch „Mensch und Wissenschaft“, Marmor, 2005 aufgestellt, Goetheallee;<br />

Gemeinschaftsprojekt mit Ewelina Szczeck-Siwicka, Henryk Siwicki, Ryszard Kaczor<br />

und Wolf Bröll, „Woda Nie Zna Granic – Wasser kennt keine Grenzen“, 7-teilig<br />

Diabas, 1988, Geismartor, Wallaufgang


Andreas Welzenbach<br />

Göttinger Erhebung<br />

Bronze-Stahl-Skulptur<br />

farbig lackiert, 2012<br />

Marktplatz 7/8, Eingang<br />

Kornmarktpassage


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 37<br />

Andreas Welzenbach<br />

Göttinger Erhebung<br />

Die Bronzearbeit von Andreas Welzenbach(*1965) ist zweiteilig:<br />

Ein Fußschemel à la Chippendale als Kapitell auf einer scheinbar<br />

ausfahrbaren „Aluminium“säule. Darauf nichts bzw. niemand.<br />

Die blockhaft kantige Figur nur zwei Schritt daneben steht auf<br />

ebensolchem Fußschemel. Allerdings ist die Hubstange in diesem<br />

Fall fast völlig in den Boden zurückgefahren.<br />

Andreas Welzenbach absolvierte sein Studium der Bildhauerei<br />

an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe<br />

bei Prof. Stephan Balkenhol. Für seine Plastik tauscht der Künstler<br />

das bis dato von ihm bevorzugte Holz gegen den Bronzeguss.<br />

Die vom Model abgenommene Form hält allerdings an den charakteristischen<br />

Merkmalen grober Materialbearbeitung fest. Auch<br />

die Übermalung lässt an farblich gefasste Holzfiguren denken.<br />

Die gedrungene, wehrhaft ausgestattete Figur gestaltete Welzenbach<br />

nach Vorlage einer zeitgenössischen Abbildung des Göttinger<br />

Privatdozenten Dr. Johann Ernst Arminius von Rauschenplatt.<br />

Den eloquenten Revolutionär und Freiheitskämpfer, der 1831 im<br />

Zuge der sogenannten „Göttinger Revolution“ das Rathaus<br />

stürmte, einen Revolutionsrat bildete und den Magistrat der<br />

<strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong> absetzte, stellt Welzenbach exemplarisch für<br />

kritisches Aufbegehren unweit vor die Göttinger Rathaustreppen<br />

und nicht auf die Säule.<br />

Andreas Welzenbachs <strong>Kunst</strong> sucht die ironische Brechung. Die<br />

doppelte Lesbarkeit des Titels „Göttinger Erhebung“ bekommt<br />

ihre adäquate plastische Umsetzung. Zur linken die leere Säule,<br />

die je nach Wunsch aus- oder eingefahren wird, um eine beliebige<br />

Person über die übrigen zu erheben. Zur rechten eine historische<br />

Gestalt, die ihre Stimme erhoben hat, ohne dass sie jemals<br />

auf den Sockel gehoben wurde. Dass die Figur Rauschenplatts<br />

auf Augenhöhe mit dem Betrachter verbleibt und dieser durch<br />

den weit geöffneten Mund des Revolutionärs, zugleich sicher<br />

abgeschirmt hinter der wandhaften Rückseite, die Gelegenheit<br />

bekommt, eigenen Unmut zu äußern, ist eine feinsinnige Positionierung<br />

in der Denkmaldebatte.


Bernd Altenstein<br />

<strong>Der</strong> Tanz<br />

Bronze, 1980/82<br />

Kreuzung<br />

Weender Straße und<br />

Theater-/Prinzenstraße,<br />

Fußgängerzone<br />

Kleine Welt<br />

<strong>Der</strong> Mann am Schreibtisch


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 39<br />

Bernd Altenstein<br />

<strong>Der</strong> Tanz<br />

Bernd Altenstein(*1943) bezeichnet die künstlerische Position,<br />

die er mit seinen Großskulpturen und <strong>Brunnen</strong>gestaltungen im<br />

öffentlichen Raum vertritt, als „nicht abbildenden Realismus“.<br />

1970 bis 1975 als Assistent von Jürgen Weber an der TU in Braunschweig<br />

tätig, lehrte er seit 1975 an der Bremer Hochschule für<br />

Gestaltung. Auch wenn er die menschliche Figur in skizzenhafter<br />

Übersteigerung zum Ausgangspunkt seiner plastischen Arbeit<br />

nimmt, geht es dem Bremer Künstler nie um die Darstellung des<br />

Menschen, sondern um ein Offenlegen des Allzu-Menschlichen.<br />

Bernd Altenstein formt plastisch bewegte Bildmetaphern für das<br />

menschliche Gemüt und dessen facettenreichen Zustände. So<br />

lässt „<strong>Der</strong> Tanz“ mitten im Straßenkreuz der Hauptfußgängerzone<br />

der Innenstadt, 1 Meter über den vorübereilenden Passanten,<br />

Mann und Frau als Paar um sich selbst kreisen. Mit ausladender<br />

Geste nehmen sie sich gegenseitig die Masken vom Gesicht.<br />

Währenddessen drängt sich das Kind, als Dritter im Bunde, im<br />

Wunsch, an diesem Spaß teilzuhaben, dazwischen und verändert<br />

so den instabilen Balanceakt der Zweisamkeit hin zu einer ganz<br />

anderen Figur. „<strong>Der</strong> Tanz“, bei dem jede plastische Deformation<br />

als Expression verstehbar wird, steht als Chiffre für das menschliche<br />

Miteinander, genauer für Annäherung und Begegnung.<br />

Noch mehr „Deformation professionelle“ bietet der im Innenhof<br />

des Börnerviertel aufgestellte „Mann am Schreibtisch“. Nahezu<br />

gefesselt an Telefon, Computer und Chefsessel verstrickt er sich<br />

hinter dem Schreibtisch als Zentrum seiner Entscheidungsmacht<br />

immer mehr. Altenstein erhielt für dieses Werk 1986 beim Internationalen<br />

Rodin-Wettbewerb in Japan den 3. Preis.<br />

Weitaus heiterer, wenn auch nicht weniger metaphorisch, geht<br />

es auf der <strong>Brunnen</strong>plastik „Kleine Welt“ zu. Dort kämpft Atlas<br />

körperlich gegen die Anziehungskraft der Himmelssphäre, während<br />

oben, auf der Sonnenseite, so lange in Sonne gebadet wird,<br />

bis der ganze Körper golden glänzt.<br />

>> siehe auch „<strong>Der</strong> Mann am Schreibtisch“, Bronze, 1984 Herstellung/2008 Aufstellung,<br />

Rote Straße 16 bzw. Barfüßerstraße 12/13, Innenhof Börnerviertel;<br />

„Kleine Welt“-<strong>Brunnen</strong>, Bronze, 1993, Düstere Straße, Durchgang zur Gartenstraße


Günter Grass<br />

Butt im Griff<br />

Bronze, 1982<br />

(aufgestellt 2004)<br />

Göttinger Sieben<br />

Papendiek, Niedersächsischen<br />

Staats- und<br />

Universitätsbibliothek<br />

<strong>Göttingen</strong>/<br />

Papendiek Eingang<br />

Paulinerkirche


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 41<br />

Günter Grass<br />

Butt im Griff<br />

Die Bronzeplastik eines Plattfisches auf knapp 2 Meter hohem<br />

Säulenarm wurde 2004 anlässlich einer Günter Grass-Ausstellung<br />

aufgestellt. Das Tonmodell für das in Bronze gegossene<br />

Standbild des Tieres, das der Nobelpreisträger für Literatur<br />

(1999) mit dem Roman „<strong>Der</strong> Butt“ (1977) als Schutzpatron der<br />

Erzählzunft präsentierte, fertigte Grass Anfang der 80er Jahre.<br />

Zeitgleich entstanden von seiner Hand zahlreiche Grafiken rund<br />

um den Fisch, den er im Roman zum Symbol einer Erzählkunst<br />

von historischer Tiefe stilisierte. Grass (*1927), als Schriftsteller<br />

zu Weltruhm gelangt, studierte Grafik und Bildhauerei an der<br />

Düsseldorfer <strong>Kunst</strong>akademie (1947-1952) und an der Hochschule<br />

für Bildende Künste in Berlin (1953-1956). Plastiken und grafische<br />

Zyklen von Günter Grass finden sich in bedeutenden deutschen<br />

Museen und Privatsammlungen (Sammlung Ludwig, Sammlung<br />

Würth). Während die Grafik ihn durch sein gesamtes schriftstellerisches<br />

Schaffen begleitete, kehrte er zum Modellieren in Ton<br />

erst in den 80er Jahren mit Werken wie dem „Butt im Griff“<br />

zurück. Eine kleinere Version der Bronzeplastik, der sogenannte<br />

Bücher-Butt, ist die Preisfigur des Deutschen Bücherpreises, der<br />

auf der Leipziger Buchmesse verliehen wird. Demonstrativ weist<br />

das von Grass gefundene plastische Bild darauf hin, dass jemand<br />

sein erzählerisches Handwerkzeug im Griff hat.<br />

Weit weniger bildlich, aber nicht weniger symbolträchtig ist die<br />

zweite Arbeit, die <strong>Göttingen</strong> von Günter Grass besitzt. Die<br />

Stahlskulptur nach einer Entwurfsskizze von Grass, zusammengesetzt<br />

aus dem Buchstaben G und der Zahl 7, die Grass und sein<br />

Göttinger Verleger Steidl der <strong>Stadt</strong> und der Universität stifteten,<br />

steht seit 2011 auf dem Universitätscampus. Die Chiffre soll an<br />

die sieben Göttinger Professoren erinnern, die 1837 öffentlich<br />

gegen die Aufhebung der erst vier Jahre zuvor in Kraft gesetzten<br />

Verfassung des Königreichs Hannover durch den damals gerade<br />

inthronisierten König Ernst August I. protestierten.<br />

>> siehe auch „Göttinger Sieben“, Cortenstahl, 2010, Platz der Göttinger Sieben,<br />

Campus der Universität


Seite<br />

01 Erich Hauser: ohne Titel (14/89) 05<br />

02 Hans-Gerd Ruwe: <strong>Der</strong> Bote 07<br />

03 Corrado Cagli: Mahnmal Synagoge 09<br />

04 Vera Röhm: Du sollst – Du sollst nicht 11<br />

05 Erich Reusch: Ohne Titel (Grüne Säule) 13<br />

Günter Grass: Göttinger Sieben 41<br />

06 Uwe Schloen: 6-teiliges Skulpturenensemble aus<br />

Januskopf, Blume, Herz, Ente, Totenkopf und Stuhl 15<br />

Borek Sipek: Glas-Bronze-Konstruktion 15<br />

Erhard Christian: Stahlbrunnen 15<br />

07 Jürgen Weber: Die <strong>Stadt</strong> 17<br />

08 Willi Weiner: <strong>Der</strong> Fluss des Möbius 19<br />

09 Henry Hinsch: Mimengruppe 21<br />

10 Jürgen Weber: Portal Ratssaal 23<br />

Henry Hinsch: <strong>Der</strong> große Carborator 21<br />

Giancarlo Sangregorio: Genesis 25<br />

Uwe Appold: Doppelkentaur 27<br />

Heinz Detlef Wüpper: Verbundenheit 29<br />

11 Emil Cimiotti: Vegetative Säule 31<br />

Heinz Detlef Wüpper: <strong>Der</strong> Aufbruch 29<br />

12 Ewelina Szczeck-Siwicka, Henryk Siwicki,<br />

Ryszard Kaczor, Wolf Bröll: Woda Nie Zna<br />

Granic – Wasser kennt keine Grenzen 33<br />

13 Wolf Bröll: Steinbewachsene Torsi 35<br />

Bernd Altenstein: <strong>Der</strong> Mann am Schreibtisch 39<br />

14 Bernd Altenstein: Kleine Welt 39<br />

15 Andreas Welzenbach: Göttinger Erhebung 37<br />

16 Bernd Altenstein: <strong>Der</strong> Tanz 39<br />

17 Günter Grass: Butt im Griff 41<br />

18 Wolf Bröll: Mensch und Wissenschaft 33


Weg<br />

straße<br />

Kornmarkt<br />

Zindelstr.<br />

nplatz<br />

anger<br />

VHS<br />

alle<br />

of<br />

Bahnhofsallee<br />

oner Landstraße<br />

)<br />

e<br />

S-Arena<br />

Am Gartetalbahnhof<br />

Schiefer Weg<br />

Eisenbahnstr.<br />

sdorfer Weg<br />

Berufsbildende<br />

Schulen II<br />

01<br />

Justizbehörden<br />

Bundesagentur<br />

für Arbeit<br />

Leinestraße<br />

Bahnhof<br />

Am Hasengraben<br />

Klinkerfues straße<br />

Hildebrandstraße<br />

Rosdorfer<br />

Bahnhofsallee<br />

rauweg<br />

Berliner Straße<br />

Bürgerstraße<br />

Marienstraße<br />

Hauptpost<br />

Ein- u. Ausstieg<br />

Reisebusse<br />

Wall<br />

02<br />

18<br />

Geiststraße<br />

Groner-Tor-Straße<br />

Gartenstr.<br />

Wiesenstraße<br />

Cramerstr.<br />

Finanzamt<br />

Lilienthalstr.<br />

Güterbahn<br />

Obere-Masch-Str.<br />

Masch-Str.<br />

Goetheallee<br />

St.<br />

Marien<br />

Theaterplatz<br />

Gerber-<br />

Untere-<br />

Petrosilienstraße<br />

Neustadt<br />

Chr.-Gottlob- Heyne-Ufer<br />

Anger-<br />

Maschmühlenweg<br />

Gartenstraße<br />

Reitstallstraße<br />

Bunsenstraße<br />

traße<br />

Park<br />

"Bartholomäus-<br />

Friedhof "<br />

Berliner Straße<br />

Deutsches Zentrum für<br />

Luft- und Raumfahrt<br />

04<br />

<strong>Stadt</strong>archiv<br />

10<br />

Synagogen-<br />

Mahnmal<br />

03<br />

Waageplatz<br />

Am Leinekanal<br />

Alte<br />

SUB<br />

Johannisstraße<br />

Groner Straße<br />

Leinekanal<br />

Düstere Str.<br />

Platz der<br />

Göttinger<br />

Sieben<br />

Auditorium<br />

maximum<br />

<strong>Kunst</strong>sammlung<br />

14<br />

Wall<br />

Stumpfebiel<br />

rstraße<br />

Gotmarstr.<br />

Lotzestraße<br />

Weender<br />

Nikolaistraße<br />

Straße<br />

St.<br />

Nikolai<br />

Universität<br />

Weender<br />

straße<br />

Straße<br />

Kurze<br />

Str.<br />

Nikolausberger Weg<br />

Reformierte<br />

Kirche<br />

St.<br />

Jacobi<br />

Hospitalstraße<br />

Jüdenstraße<br />

St.<br />

Michael<br />

Barfüßerstr.<br />

Turm-straße<br />

Papendiek Paulinerstr.<br />

St. Johannis<br />

Bürgerstraße<br />

ein-Str.<br />

Walkemühlenweg<br />

ße<br />

Theater<br />

im OP<br />

Geisteswissenschaftliches<br />

Zentrum<br />

Alter<br />

Botanischer Garten<br />

Untere Karspüle<br />

Städt.<br />

Museum<br />

Ritterplan<br />

Burg- str.<br />

Theater-<br />

Speckstraße<br />

Geismar-<br />

Prinzen-<br />

Accouchierhaus<br />

ühlenweg<br />

Rote Straße<br />

Kurze-Geismar-Straße<br />

Käte-Hamburger-Weg<br />

Obere Karspüle<br />

straße<br />

16<br />

Akademie d.<br />

Wissensch.<br />

Altes<br />

Aula<br />

Rathaus<br />

Wilhelmsplatz<br />

13<br />

15<br />

05<br />

Wall<br />

Lange-<br />

Wochenmarkt<br />

hn-<br />

Archäologisches<br />

Institut<br />

Medienhaus<br />

Busbahnhof<br />

17<br />

Paulinerkirche<br />

Mauerstraße<br />

Junges<br />

Theater<br />

Baptistenkirche<br />

Bismarckhäuschen<br />

Gauß-Weber-<br />

Denkmal<br />

12<br />

11<br />

Gaußstraße<br />

+<br />

Wilhelm-Weber-Straße<br />

Deutsches<br />

Theater<br />

Straße<br />

Wöhlerstraße<br />

Friedrichstraße<br />

Lichtenberg<br />

Haus<br />

Fahrrad-<br />

Parkhaus<br />

Zoolog.<br />

Institut<br />

Reinhäuser Land<br />

06<br />

Niedersächsische<br />

Staats- und<br />

Universitätsbibliothek<br />

05<br />

Ethnologische<br />

Sammlung<br />

St.<br />

Albani<br />

Wendenstraße<br />

Wall<br />

Neues<br />

Rathaus<br />

Schildweg Calsowstraße<br />

Am Feuerschanzengraben<br />

straße<br />

Bühlstraße<br />

Herzberger<br />

Nikolausberger<br />

Am Goldgrabe<br />

Planckstraße<br />

holz<br />

Baurat-<br />

07<br />

<strong>Stadt</strong>halle<br />

Rohns'sches<br />

Badehaus<br />

Cheltenhampark<br />

Schwänchenteich<br />

Park<br />

"Albani-<br />

Friedhof "<br />

Rosarium<br />

Neu-Mariahilf<br />

Neu-Bethlehem<br />

St. Paulus<br />

Hanssenstraße<br />

Friedländer Weg<br />

Keplerstraße<br />

Historische Sternwarte<br />

Kreisverwaltung<br />

Gauß-08<br />

Garten<br />

09<br />

Lumière<br />

Geismar Land<br />

Seniorenzentrum<br />

MP IM<br />

Hanssenstraße<br />

Wi<br />

Straße<br />

Dü<br />

dehardstraße Godehardstraße<br />

Stern-<br />

Schildweg<br />

Hain-<br />

Friedl


www.denkmale.goettingen.de


<strong>Kunst</strong> in der <strong>Stadt</strong> 46<br />

Herausgeber: <strong>Stadt</strong> <strong>Göttingen</strong>, der Oberbürgermeister und <strong>Göttingen</strong> Tourismus e. V. mit freundlicher<br />

Unterstützung der Sparkasse <strong>Göttingen</strong>, Textbeiträge: Anja Marrack, <strong>Kunst</strong>historikerin, Redaktion: Fachbereich<br />

Kultur, Neues Rathaus, 37070 <strong>Göttingen</strong>, kultur@goettingen.de, Grafik-Design: Optex Werbeagentur,<br />

<strong>Göttingen</strong>, Fotos: Peter Heller (40) und Christoph Mischke (11), Druck: PR Druckerei, Printed<br />

in Federal Republic of Germany; Imprimé en République Fédérale d’Allemagne, 03.13.12,5

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