Die Verklärung der Geschichte - Rowohlt Theaterverlag
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<strong>Die</strong> <strong>Verklärung</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
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15.07.2009<br />
<strong>Die</strong> <strong>Verklärung</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
Reminiszenz an die Aufklärung<br />
© <strong>Die</strong> Berliner Literaturkritik, 14.07.09<br />
Vielleicht hätte jemand beim <strong>Rowohlt</strong>-Verlag, <strong>der</strong> sich für dieses Buch fe<strong>der</strong>führend geben durfte, noch<br />
einmal nachgefragt, was es denn mit dem Untertitel „Eine kurze <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Technik“ auf sich habe.<br />
Dann wäre wohlmöglich klar geworden, dass in <strong>der</strong> Kürze nicht die Würze, son<strong>der</strong>n die Sülze liegt. Und<br />
zwar die von mehreren Jahrhun<strong>der</strong>ten aufklärerischen, autoritären und historisch falschen Gedankenguts.<br />
Wer wie Osteroth in den 1980ern <strong>Geschichte</strong> an einer deutschen Universität studiert hat, dem ist eigentlich<br />
zuzutrauen, dass er schon damals die nicht neuen, aber umso wichtigeren, sozial- und<br />
mentalitätsgeschichtlichen Erkenntnisse in seine Schriften einfließen lässt. Warum er es dennoch nicht<br />
getan hat, warum er uns eine <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Technik präsentiert, die, abgesehen von den mo<strong>der</strong>nen<br />
Erfindungen, die erst später kamen, beson<strong>der</strong>s gut im konservativen Geistesmilieu des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
aufgehoben worden wäre, bleibt sein Geheimnis, an dem hoffentlich nicht allzu viele Gleichgesinnte<br />
teilhaben werden.<br />
Das Wesentliche: Von Da Vincis lächelnden Bil<strong>der</strong>n und Gutenbergs beweglichen Lettern, marschiert das<br />
Buch mit Watt, Volta und Edison, kontinuierlich und konsequent in die Mo<strong>der</strong>ne zu Flugzeugen,<br />
Automobilen und den ersten Computern von Zuse. <strong>Die</strong>se lineare Erfolgsgeschichte <strong>der</strong> europäischen<br />
Naturwissenschaft wurde schon vor mehr als einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t in Frage gestellt und ist heute in<br />
keinem historischen Diskurs mehr tragbar. Es gehört sich für Historiker nicht mehr, zum einen moralisch,<br />
zum an<strong>der</strong>en aber auch wissenschaftlich, diese <strong>Geschichte</strong> als solche zu erzählen. <strong>Die</strong> Herrenmenschen in<br />
<strong>der</strong> alten Welt haben bei ihren Entdeckungen und Eroberungen einfach zu viele Leichen im Keller<br />
vergraben. Und wer kann denn heute, so wie Osteroth es tut, noch mit Fug und Recht behaupten, alle<br />
technischen Entwicklungen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne seien ein Segen für die menschliche Kultur?<br />
Als Priester einer wissenschaftlichen Lesart verkündet uns <strong>der</strong> für die „Zeit“ tätige Autor, Blickwinkel, die<br />
so armselig und traurig sind, dass eigentlich jede Zeile <strong>der</strong> Rezension zu schade ist für dieses Buch. James<br />
Watt, <strong>der</strong> von Osteroth in den Olymp <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong> gehobene Brite, finanzierte, ebenso wie viele seiner<br />
Kollegen, seine Forschungen, die schließlich die Dampfmaschine hervor brachten, mit erbeutetem Geld aus<br />
dem neu entdeckten und gleich mal ausgebeuteten und ermordeten Kontinent Amerika. <strong>Die</strong><br />
rechtskonservative Gesinnung des Maschinenmenschen Siemens wird konsequenterweise ebenso wenig<br />
erwähnt wie die soziale Verarmung <strong>der</strong> Fließbandgesellschaft, die in diesem Buch als hübsch verziertes<br />
Versatzstück <strong>der</strong> logischen Entwicklung herhalten darf.<br />
Das Ganze erinnert dann sprachlich an die Hausväterliteratur <strong>der</strong> frühen Neuzeit, in <strong>der</strong> die<br />
patriarchalische Familienstruktur mit den autoritären, einseitigen und vernunft- und sittenwahrenden<br />
Schriften überhäuft wurde. <strong>Die</strong> Hausväter sind heute aber nicht mehr die Besitzer eines großen Gutes,<br />
son<strong>der</strong>n einfacher Familien, die ihren Kin<strong>der</strong>n vielleicht zum Geburtstag ein, zumindest optisch und<br />
verbal, durchaus geeignetes Werk schenken möchten. Sagen wir es mal so: Wer seine Nachhut im<br />
treudeutschen und wissenschaftshörigen Dialekt erziehen will, wer seine Kin<strong>der</strong> noch glauben machen will,<br />
dass die tollen Erfin<strong>der</strong>, ganz einfach, weil sie so geniale Sachen entdeckt haben, auch gleichzeitig tolle<br />
Menschen waren, <strong>der</strong> kann hier bedenkenlos zugreifen, o<strong>der</strong> aber auch Hegel reüssieren und <strong>Geschichte</strong> so<br />
erzählen wie man es vor 200 Jahren tat. Herrenmenschlich und den historischen Fakten schlicht und<br />
ergreifend zuwi<strong>der</strong> laufend.<br />
Kein Wort findet man bei Galvanis Froschexperimenten über eine zumindest theoretisch brutale<br />
Forschermethode. Dass dem ganzen historischen Kanon nicht eine einzige Quelle beigesteuert wird ist<br />
nach dem bisher Gesagten nicht weniger begreiflich, aber immerhin nachvollziehbar. Auch wenn die<br />
technischen Seiten dieser Erfindungen häufig korrekt wie<strong>der</strong>gegeben werden, genügt dieses<br />
Grundlagenwissen noch lange nicht, um <strong>Geschichte</strong> allumfassend erzählen zu können.
<strong>Die</strong> <strong>Verklärung</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
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15.07.2009<br />
Den negativen Höhepunkt offenbart Osteroth im medizinischen Bereich. Der A<strong>der</strong>lass, wie er schreibt, in<br />
<strong>der</strong> Not angewandt, war die primäre und gängigste Methode <strong>der</strong> universitären Medizin bis zu Rudolf<br />
Virchow. Dass für Osteroth zu A<strong>der</strong>lasszeiten die „Quacksalberei“ noch in vollem Gange war, versteht sich<br />
von selbst. Dass Autoren mit Dilettantismus und Polemik historisch wichtige und notwendige<br />
Entwicklungen wie die <strong>der</strong> Volksmedizin als Quacksalberei bezeichnen liegt, wie gesagt, eigentlich<br />
mindestens hun<strong>der</strong>t Jahre zurück. Osteroth überrascht hier als reaktionärer und hilfloser Geist, dem man<br />
wünschte, nie eine Zeile geschrieben zu haben.<br />
Das Schlimme ist, das <strong>der</strong> pädagogische Auftrag, <strong>der</strong> jedem Schriftstück innewohnt, hier so gnadenlos und<br />
schamlos ausgenutzt wird im Sinne eines längst vergessenen reaktionären und autoritären Wissens.<br />
Schade um das Papier, schade um die Wissenschaft.<br />
Von Marco Gerhards<br />
Literaturangabe:<br />
OSTEROTH, REINHARD: Erfin<strong>der</strong>welten. Eine kurze <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Technik. <strong>Rowohlt</strong> Verlag, Reinbek<br />
bei Hamburg 2008. 224 S., 16,90 €.<br />
Weblink:<br />
<strong>Rowohlt</strong> Verlag<br />
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