Universität Stuttgart – Institut für Philosophie - Humboldt ...
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<strong>Universität</strong> <strong>Stuttgart</strong> <strong>–</strong> <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong> 14. 06. 2007<br />
VL: Aristoteles - Nikomachische Ethik<br />
Susanne Kemendi<br />
Leitung: Prof. Dr. Renate Breuninger<br />
Protokoll vom 13. 06. 2007<br />
5. Buch <strong>–</strong> Gerechtigkeit<br />
(siehe dazu: Aufsatz von Bien in „Klassiker auslegen“ Bd. 2)<br />
Die Gerechtigkeit ist bei Aristoteles die „vorzüglichste“ und „vollkommenste“ Tugend im<br />
Vergleich zu den anderen (s. 1129 b 23). Alle anderen Tugenden beschäftigen sich mit dem<br />
einzelnen Menschen und wie er sich sittlich verhält. Die Gerechtigkeit hingegen bezieht sich<br />
auch auf andere Personen und damit auf die Polis.<br />
Die Gerechtigkeit ist also nicht wie bei Platon eine Idee, sondern sie ist eine<br />
Grundhaltung des Menschen in der Gemeinschaft und dessen Bezug dazu.<br />
Bei Platon waren die Gesetze noch gut und gerecht, deswegen war dieser Sachverhalt auch<br />
sehr einfach. Bei Aristoteles ist dies nicht mehr der Fall: es gibt eine Kluft zwischen Gesetz<br />
und Gerechtigkeit <strong>–</strong> die Gesetze verlieren an Kraft und an der Notwendigkeit ihrer Geltung (s.<br />
1130 b 27).<br />
Frage: Gibt es eine Einheit von gutem Polisbürger und schlechtem Menschen?<br />
Die, die Gesetze erlassen, sind auch oft Tyrannen, die nicht nur das Gute wollen.<br />
Gerechtigkeit<br />
= Tugend der Mitte, Maß da<strong>für</strong>:<br />
universale Gerechtigkeit<br />
partikulare Tugenden<br />
= vollkommene Tugend, distributive Gerechtigkeit korrektive Gerechtigkeit<br />
zielt auf den gemeinsamen = verteilend, austeilend = ausgleichend, vergeltend<br />
Nutzen aller Bürger<br />
In der Polis gibt es einen Bezug<br />
sie erhält und fördert die der Gesamtheit zum Einzelnen! = arithmetische<br />
Glückseligkeit in der Polis ! = geometrische Proportionalität ! Proportionalität !<br />
Aristoteles ist an einer Vielfältigkeit und an einer Bedürfnisbefriedigung der Bürger interessiert<br />
Idee des Geldes als Theorie.<br />
Distributive Gerechtigkeit: d.h. die Güter müssen ungleich, aber geometrisch proportional zur<br />
Würdigkeit des Menschen verteilt werden, so dass es am Ende ein Ganzes in der Polis gibt (s.<br />
1131 a 30, 6. Kapitel). Verteilung muss nach Angemessenheit und Würdigkeit des<br />
Einzelnen geschehen; Unrecht entsteht, wenn die Aufteilung nicht nach der Proportionalität nicht<br />
nach der Fähigkeit des Einzelnen erfolgt !
Korrektive Gerechtigkeit: Wie lassen sich aber diese Werte messen? <strong>–</strong> Durch Geld, bzw.<br />
„Vergeltung“ (s. 1133 a 7). Die Leistungen des Einzelnen sind qualitativ und quantitativ<br />
unterschiedlich und müssen demnach auch unterschiedlich vergolten werden. Das Maß, das alles<br />
zusammenhält ist das Geld = „numisma“ (kommt von „nomos“ = Gesetz, da das Geld seinen<br />
Wert nicht von Natur aus hat, sondern von dem Gesetz; s. 1133 a 18, 8. Kapitel). Das Geld zeigt<br />
den Überschuss und den Mangel auf. Es geht also um die ausgleichende Gerechtigkeit, bzw. den<br />
Tauschverkehr (die Bedürfnisse der Menschen halten sie in einer Gemeinschaft zusammen, da<br />
jeder auf Fähigkeiten der anderen angewiesen ist).<br />
Fazit:<br />
1. Jeder Mensch hat verschiedenen Bedürfnisse / jeder Mensch kann verschiedene<br />
Leistungen bringen,<br />
2. dadurch werden die Menschen in einer Gemeinschaft zusammengehalten !<br />
3. Damit hält die verhältnismäßige Vergeltung die Menschen zusammen,<br />
sie brauchen dazu:<br />
4. ein Maß der Mitte, an dem Austauschbares gemessen werden kann,<br />
5. <strong>für</strong> alles muss es eine Einheit als Maß und Übereinkunft geben: Geld.<br />
6. Geld wird zum Stellvertreter des Bedürfnisses.<br />
7. Alles muss seinen Preis haben (arithmetisch).<br />
Es muss also eine Einheit geben, an der sich alle individuellen Leistungen messen lassen.<br />
Darüber entscheiden Richter als Männer der Mitte.<br />
Tugend der Billigkeit:<br />
sorgt <strong>für</strong> eine bessere Gerechtigkeit, <strong>für</strong> eine Korrektur des Gesetzes. Es geht hierbei um<br />
Verständlichkeit, Klugheit, die Güte der Gerechtigkeit, Großzügigkeit und Überlegenheit. (Man<br />
sollte gewisse Sachen hinnehmen und einfach auf sich beruhen lassen, sich großzügig zeigen und<br />
nicht wegen Kleinigkeiten streiten, auch wenn man selbst im Recht ist, denn das Billigere ist das<br />
Überlegenere ! S. 1137 b 5, 14. Kapitel)<br />
phronesis<br />
= es geht um die sittliche Einsicht und um die Haltung (=hexis).<br />
Das Gute im Leben besteht aus einzelnen Handlungen. Die sittliche Einsicht ist dabei ganz<br />
wichtig, um die Situation einzuschätzen und richtig zu handeln.<br />
Die Phronesis ist jedoch keine reine dianoethische Tugend (diese beziehen sich auf den<br />
rationalen Teil der Seele, der Lehre und der Gelehrsamkeit) !
Dianoethische Tugend<br />
Bezug auf das Ewige, das Unveränderliche,<br />
Bezug auf das Veränderliche<br />
das ontologisch Notwendige<br />
dies ist die wissenschaftliche Erkenntnis,<br />
= auf das menschl. Handeln, auf etwas,<br />
bzw. die Wissenschaft (= man kommt zu ganz<br />
das nicht vorhersehbar ist.<br />
festen Aussagen durch Induktion und Deduktion),<br />
sie besteht aus:<br />
Es besteht aus:<br />
- episteme - dem prakt. Können (= techne)<br />
- nous (= intuitiver Verstand) - im menschl. Handeln (=phronesis).<br />
- sophia (= Weisheit, oberste Wissenschaft, Die Phronesis bezeichnet die Klugheit<br />
vollendetes Wissen)<br />
der Praxis, in besonderen Situationen (=nous)<br />
alles zusammen führt zu verlässlichem Wissen ! eine allgemeine Gerechtigkeit zu finden.<br />
Urteilskraft = Zuordnung des Besonderen unter<br />
das Allgemeine. Die Urteilskraft lehrt sich aus<br />
Erfahrung und Übung dies ist aber eine<br />
ethische Tugend !!<br />
d.h. die phronesis besteht in einer Verbindung zwischen ethischen und dianoethischen Tugenden !<br />
Sie ist die „nous“ des Handelns und die Verbindung der ethischen Grundhaltung, der „hexis“.<br />
D.h. wenn jemand nicht gerecht ist, kann er auch keine Gerechtigkeit ausüben, da es eine ständige<br />
Verbindung zwischen „hexis“ und „phronesis“ gibt.<br />
In welcher Situation man mit welcher Tugend handelt, beruht auf Erfahrung, denn durch Übung<br />
lernt man, Situationen immer besser einzuschätzen. Man muss ein Gespür da<strong>für</strong> bekommen und<br />
durch Wahrnehmung einschätzen lernen, wie man handeln soll. Die phronesis vergisst auch<br />
nichts, da sie an der Lebensgeschichte und <strong>–</strong> erfahrung jedes Einzelnen hängt.