16.2.03. Strafbestimmungen StGB - Sozialhilfe-Behördenhandbuch ...
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Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong><br />
Rechtsgrundlagen<br />
Art. 146 <strong>StGB</strong><br />
Art. 251 <strong>StGB</strong><br />
Art. 110 <strong>StGB</strong><br />
Erläuterungen<br />
1. Allgemeines<br />
Ein bestimmtes Verhalten kann nur bestraft werden, wenn das Gesetz dieses Verhalten ausdrücklich<br />
unter Strafe stellt.<br />
Straftatbestände gliedern sich in objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale. Die objektiven<br />
Tatbestandsmerkmale umschreiben die äusseren Elemente eines verbotenen Verhaltens<br />
(z.B. Täuschung, Schädigung, Fälschung). Die subjektiven Tatbestandsmerkmale umschreiben<br />
die inneren Beweggründe, die der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes<br />
zugrundeliegen müssen (Vorsatz, Absicht der unrechtmässigen Bereicherung).<br />
Im Zusammenhang mit <strong>Sozialhilfe</strong>missbrauch stehen der Betrug (Art. 146 <strong>StGB</strong>) und die Urkundenfälschung<br />
(Art. 251 <strong>StGB</strong>) im Vordergrund.<br />
2. Betrug im Sinne von Art. 146 <strong>StGB</strong><br />
Einen Betrug begeht, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern,<br />
jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt<br />
oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt,<br />
wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt (Art. 146 Abs. 1 <strong>StGB</strong>).<br />
Damit eine Person wegen Betruges bestraft wird, müssen folgende objektiven und subjektiven<br />
Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:<br />
Die objektiven Tatbestandsmerkmale sind<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
arglistige Täuschung,<br />
Irrtum (als Folge der Täuschung),<br />
Vermögensdisposition (als Folge des Irrtums) und<br />
Vermögensschaden (als Folge der Vermögensdisposition).<br />
Die subjektiven Tatbestandsmerkmale sind<br />
<br />
<br />
Vorsatz und<br />
Absicht, sich selbst oder einen anderen zu bereichern.<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 1
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
2.1. Arglistige Täuschung<br />
Wer sein Verhalten darauf ausrichtet, bei der Sozialbehörde eine Vorstellung über die wirtschaftlichen<br />
oder persönlichen Verhältnisse zu erwecken, welche nicht mit der Realität übereinstimmt,<br />
begeht eine Täuschung. Die Täuschung kann mündlich oder schriftlich erfolgen,<br />
durch Gesten oder durch konkludentes Verhalten (Urteil des Bundesgerichts 6S.288/2000<br />
vom 28. September 2000, E. 3c.). Konkludentes Verhalten liegt vor, wenn durch ein Tun etwas<br />
vorgespiegelt wird. Wer zum Bespiel angibt, er sei bedürftig, bringt damit konkludent<br />
zum Ausdruck, er verfüge über keine Mittel, um seine Bedürfnisse zu decken (Urteil des<br />
Bundesgerichts 6S.288/2000 vom 28. September 2000, E. 3c.). Ebenfalls handelt durch konkludentes<br />
Tun, wer der zuständigen Behörde zwar einen Auszug für ein dieser bekanntes<br />
Konto liefert, es jedoch unterlässt, das Vermögen anzugeben, welches sich auf einem verheimlichten<br />
Konto befindet (BGE 127 IV 163, 165 f.).<br />
Eine Täuschung liegt auch vor, wenn eine Person eine Teilwahrheit erzählt und dabei ausdrücklich<br />
oder konkludent den Eindruck erweckt, es handle sich dabei um die ganze Wahrheit.<br />
Als Beispiel kann hier etwa der Fall genannt werden, dass eine Person <strong>Sozialhilfe</strong> für<br />
einen Einpersonenhaushalt bezieht, während sie in Wahrheit in einer Hausgemeinschaft mit<br />
einer anderen Person zusammenlebt.<br />
Eine Täuschung kann sodann auch durch Unterlassen begangen werden. Dies setzt voraus,<br />
dass die täuschende Person eine Garantenstellung innehat. Eine solche Garantenstellung<br />
kann sich z.B. aus Gesetz oder Vertrag ergeben. Voraussetzung für eine Garantenstellung<br />
aus Gesetz ist nach der Rechtsprechung neben dem blossen Handlungsgebot eine gesteigerte<br />
Verantwortlichkeit für einen bestimmten Aufgabenbereich oder ein bedrohtes Rechtsgut.<br />
Ob gesetzlich statuierte Mitwirkungs- und Meldepflichten eine solche Garantenstellung<br />
begründen, ist umstritten. Das Bundesgericht hat dies mit Bezug auf die Meldepflichten im<br />
Bereich der Ergänzungsleistungen verneint. Es ist somit eher davon auszugehen, dass ein<br />
<strong>Sozialhilfe</strong>betrug nicht durch Unterlassen begangen werden kann.<br />
Die Täuschung für sich allein genügt noch nicht, sie muss zudem noch arglistig sein. Nach<br />
der Rechtsprechung ist die Täuschung arglistig, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude<br />
errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Arglist ist auch bei einfachen<br />
falschen Angaben gegeben, wenn deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer<br />
Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, sowie dann, wenn der Täter den Getäuschten von der<br />
möglichen Überprüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht, dass dieser die Überprüfung<br />
der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde<br />
(BGE 128 IV 255 E. 2c/aa; 126 IV 165 E. 2a, je mit Hinweisen).<br />
Dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung wird wesentliche Bedeutung zugemessen.<br />
Bei der Prüfung der Arglist ist die jeweilige Lage und Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im<br />
Einzelfall zu berücksichtigen, soweit der Täter diese kennt und ausnützt. Auch unter dem<br />
Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung ist für die Erfüllung des Tatbestands indes nicht<br />
erforderlich, dass der Geschädigte die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle denkbaren<br />
Vorsichtsmassnahmen trifft. Entscheidend ist nicht, ob der Betroffene alles vorgekehrt<br />
hat, um den Irrtum zu vermeiden. Arglist scheidet lediglich dann aus, wenn der Geschädigte<br />
die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet hat. Entsprechend entfällt der<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 2
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
strafrechtliche Schutz nicht bei jeder Fahrlässigkeit des Geschädigten, sondern nur bei<br />
Leichtfertigkeit. Wer den Irrtum durch ein Minimum an zumutbarer Vorsicht hätte vermeiden<br />
können, wird strafrechtlich, unter dem Gesichtspunkt des Betrugs, nicht geschützt (siehe<br />
zum Ganzen BGE 128 IV 255 E. 2c/aa; 126 IV 165 E. 2a, je mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts<br />
6S.123/2005 vom 24. Juni 2005 E. 2.1).<br />
Beispiel:<br />
Die Sozialbehörde handelt leichtfertig, wenn sie die eingereichten Belege nicht prüft o-<br />
der es unterlässt, die um <strong>Sozialhilfe</strong> ersuchende Person aufzufordern, die für die Abklärung<br />
der Einkommens- und Vermögensverhältnisse relevanten Unterlagen wie beispielsweise<br />
die letzte Steuererklärung und Steuerveranlagung oder Kontoauszüge einzureichen<br />
(vgl. auch Urteil 6B_576/2010 vom 25. Januar 2011). Hingegen kann ihr eine<br />
solche Unterlassung, angesichts der grossen Zahl von <strong>Sozialhilfe</strong>ersuchen, nicht zum<br />
Vorwurf gemacht werden, wenn diese Unterlagen keine oder voraussichtlich keine Hinweise<br />
auf nicht deklarierte Einkommens- und Vermögenswerte enthalten (Urteil<br />
6B_689/2010 bzw. 6B_690/2010 vom 25. Oktober 2010, E. 4, unter Hinweis auf Urteil<br />
6B_409/2007 vom 9. Oktober 2007, E. 2.2, und Urteil 6B_558/2009 vom 26. Oktober<br />
2009, E. 1.2).<br />
2.2. Irrtum<br />
Die Täuschung muss beim Geschädigten zu einem Irrtum führen oder ihn in einem schon<br />
bestehenden Irrtum bestärken. Der Irrtum muss also die Folge der Täuschung sein, d.h. zwischen<br />
der Täuschung und dem Irrtum muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Irren kann<br />
nur ein Mensch, nicht aber eine juristische Person, wie z.B. eine Gemeinde. Wenn sich eine<br />
Sozialbehörde entschliesst, einen Strafantrag zu stellen, muss darin also dargelegt werden,<br />
dass der/die zuständige Sozialarbeitende durch die arglistige Täuschung der Klientin oder<br />
des Klienten in einen Irrtum versetzt oder in einem schon vorhandenen Irrtum bestärkt wurde.<br />
2.3. Vermögensdisposition<br />
Der Irrtum muss zur Folge haben, dass die getäuschte Person eine Vermögensdisposition<br />
trifft. Als Vermögensdisposition gilt jedes Verhalten, welches unmittelbar vermögensmindernde<br />
Wirkung hat (BGE 126 IV 113, E. 3a). So gilt etwa die Ausrichtung wirtschaftlicher<br />
Hilfe, auf die kein Anspruch bestanden hätte, als Vermögensdisposition.<br />
2.4. Vermögensschaden<br />
Als unmittelbare Folge der Vermögensdisposition muss das Vermögen, über das der oder<br />
die Getäuschte verfügt hat, in seinem Wert gemindert werden. Dabei spielt es keine Rolle,<br />
ob der Schaden nachträglich wiedergutgemacht werden kann, z.B. durch eine Rückerstattungsverfügung<br />
(vgl. BGE 117 IV 153, E. 4). Schon eine bloss vorübergehende Schädigung<br />
genügt, um den Tatbestand zu erfüllen.<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 3
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
2.5. Vorsatz<br />
Des Betruges strafbar macht sich nur, wer mit Vorsatz handelt. Der Täter oder die Täterin<br />
muss den objektiven Tatbestand mit Wissen und Willen erfüllen oder die Verwirklichung der<br />
Tat zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen (Art. 12 <strong>StGB</strong>). Im letzteren Fall spricht<br />
man von Eventualvorsatz.<br />
2.6. Absicht der unrechtmässigen Bereicherung<br />
Zum Vorsatz muss die Absicht kommen, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern.<br />
Die Bereicherung, die der Täter oder die Täterin anstrebt, ist die Kehrseite des Schadens,<br />
der beim Opfer eintritt (BGE 119 IV 120, E. 4).<br />
3. Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 <strong>StGB</strong><br />
Der Urkundenfälschung macht sich strafbar, wer in der Absicht, jemanden am Vermögen o-<br />
der an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen<br />
Vorteil zu verschaffen,<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
eine Urkunde fälscht oder verfälscht (Urkundenfälschung im engeren Sinn),<br />
die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer<br />
unechten Urkunde benützt (Blankettmissbrauch),<br />
eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt (Falschbeurkundung)<br />
oder<br />
eine Urkunde dieser Art zur Täuschung gebraucht.<br />
Die Tatbestände des Urkundenstrafrechts schützen das Vertrauen, welches im Rechtsverkehr<br />
einer Urkunde als einem Beweismittel entgegengebracht wird.<br />
Urkunde:<br />
Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind,<br />
eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern<br />
steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient (Art. 110 Abs. 4<br />
<strong>StGB</strong>).<br />
Ob ein Schriftstück oder ein Zeichen bestimmt ist, eine rechtlich erhebliche Tatsache zu beweisen,<br />
kann sich einerseits unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und andererseits aus dessen<br />
Sinn oder Natur abgeleitet werden (vgl. statt vieler BGE 123 IV 61, E.5).<br />
Zum Beweis geeignet ist ein Schriftstück, wenn es nach Gesetz oder Verkehrsübung als<br />
Beweismittel anerkannt wird (vgl. statt vieler BGE 123 IV 61, E.5). Massgebend ist die generelle<br />
Beweiseignung einer Urkunde der fraglichen Art.<br />
Beispiel:<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 4
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
<br />
Ein Arztzeugnis ist bestimmt zu beweisen, dass die krank geschriebene Person während<br />
der angegebenen Zeitspanne nicht in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen,<br />
und es ist geeignet, die entsprechende Arbeitsunfähigkeit zu beweisen.<br />
3.1. Urkundenfälschung im engeren Sinn, Blankettmissbrauch<br />
a. Objektiver Tatbestand<br />
Der objektive Tatbestand besteht bei der Urkundenfälschung im engeren Sinn im Fälschen<br />
oder Verfälschen einer Urkunde.<br />
Unter Fälschen versteht man die Herstellung einer unechten Urkunde. Unecht ist eine Urkunde,<br />
wenn der aus der Urkunde ersichtliche angebliche Aussteller nicht mit demjenigen<br />
identisch ist, der die Urkunde tatsächlich ausgestellt hat (statt vieler BGE 128 IV 265, E. 1).<br />
Beispiel:<br />
<br />
Eine Person füllt ein Arztzeugnis-Formular selbst aus und unterschreibt dieses mit dem<br />
Namen des Arztes, der im Formular aufgeführt ist.<br />
Von Verfälschen spricht man, wenn eine ursprünglich echte Urkunde von der Täterschaft<br />
nachträglich abgeändert wird.<br />
Beispiel:<br />
<br />
Eine Person ändert auf einem vom Arzt ausgefüllten Arztzeugnis die Dauer der Krankschreibung.<br />
Beim Blankettmissbrauch besteht der objektive Tatbestand darin, dass eine Peron die echte<br />
Unterschrift oder das echte Handzeichen einer anderen Person mit einer Erklärung verbindet,<br />
die nicht deren Willen entspricht.<br />
Beispiel:<br />
<br />
Jemand verdeckt einen Teil eines Dokuments und legt dieses der Person, welche als<br />
Aussteller aus dem Dokument hervorgeht, zur Unterschrift vor.<br />
b. Subjektiver Tatbestand<br />
Die subjektiven Tatbestandsmerkmale sind<br />
<br />
<br />
Vorsatz und<br />
Schädigungsabsicht oder Vorteilsabsicht.<br />
Vorsatz liegt vor, wenn die Täterschaft den objektiven Tatbestand mit Wissen und Willen erfüllt<br />
oder die Verwirklichung der Tat zumindest für möglich hält und in Kauf nimmt (vgl. vorstehend<br />
Ziff. 2.5).<br />
Schädigungsabsicht ist gegeben, wenn jemand durch die Verwendung der Urkunde einem<br />
anderen einen Schaden am Vermögen oder an einem anderen Recht zufügen will.<br />
Vorteilsabsicht liegt vor, wenn jemand durch die Verwendung der Urkunde für sich oder für<br />
einen Dritten einen unrechtmässigen Vorteil erlangen will.<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 5
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
3.2. Falschbeurkundung<br />
a. Objektiver Tatbestand<br />
In objektiver Hinsicht liegt eine Falschbeurkundung vor, wenn jemand eine rechtlich erhebliche<br />
Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt. Unwahr ist eine Urkunde, wenn<br />
sie sich zu einer Tatsache äussert, die nicht mit den wirklichen Verhältnissen übereinstimmt<br />
und die Urkunde den Anspruch erhebt, einen Beweis für diese unwahre Tatsache darzustellen.<br />
Der Tatbestand der Falschbeurkundung wird eng ausgelegt. Der Urkunde muss hinsichtlich<br />
der beurkundeten Tatsache eine besondere Beweiseignung und Beweisbestimmung<br />
zukommen. Vorausgesetzt wird, dass der Urkunde eine erhöhte Überzeugungskraft oder<br />
Glaubwürdigkeit zukommt und ihr deshalb ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird<br />
(vgl. BGE 118 IV 363, E. 2, BGE 125 IV 17, E. 2) oder dass der Aussteller eine besonders<br />
vertrauenswürdige garantenähnliche Stellung innehat.<br />
Beispiele:<br />
<br />
<br />
<br />
Einer kaufmännischen Buchführung kommt erhöhte Glaubwürdigkeit zu. Wer Einnahmen,<br />
die zu verbuchen sind, nicht verbucht, erfüllt den objektiven Tatbestand der<br />
Falschbeurkundung (BGE 125 IV 17, E. 2).<br />
Stellt ein Arbeitgeber unwahre Lohnabrechnungen aus, erfüllt er den objektiven Tatbestand<br />
der Falschbeurkundung grundsätzlich nicht, da den Lohnabrechnungen, jedenfalls<br />
soweit nicht besondere gesetzliche Vorschriften bestehen, keine erhöhte Glaubwürdigkeit<br />
zukommt (BGE 118 IV 363, E. 2).<br />
Ein Arzt ist aufgrund seiner besonderen Stellung zur wahrheitsgetreuen Angabe verpflichtet<br />
und er ist deshalb auch besonders glaubwürdig. Füllt er einen Krankenschein<br />
zuhanden der Krankenkasse unrichtig aus, erfüllt er den objektiven Tatbestand der<br />
Falschbeurkundung (BGE 103 IV 178, E. IV).<br />
b. Subjektiver Tatbestand<br />
Wie bei der Urkundenfälschung im engeren Sinn und dem Blankettmissbrauch besteht der<br />
subjektive Tatbestand im Vorsatz und der Schädigungs- oder Vorteilsabsicht (vgl. vorstehend<br />
Ziff. 3.1 b).<br />
3.3. Gebrauch machen von einer unechten oder unwahren Urkunde<br />
a. Objektiver Tatbestand<br />
Der objektive Tatbestand besteht darin, dass eine Person ein von ihm selber oder von einer<br />
Drittperson hergestellte unechte oder unwahre Urkunde im Rechtsverkehr zur Täuschung einer<br />
Person verwendet.<br />
Beispiel:<br />
<br />
Eine Person legt der Sozialbehörde Arztzeugnis vor, welches wahrheitswidrige seine Arbeitsunfähigkeit<br />
bescheinigt.<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 6
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
Wer die Urkunde selber hergestellt hat, wird nur wegen Urkundenfälschung im engeren Sinn<br />
oder wegen Falschbeurkundung bestraft, d.h. es erfolgt nicht zusätzlich eine Bestrafung wegen<br />
des Benutzens einer solchen Urkunde.<br />
b. Subjektiver Tatbestand<br />
In subjektiver Hinsicht ist wiederum das Vorliegen von Vorsatz und Schädigungs- oder Vorteilsabsicht<br />
erforderlich (vgl. vorstehend Ziff. 3.1 b).<br />
4. Erstattung der Strafanzeige<br />
Ist ein Straftatbestand nach Ansicht der Sozialbehörde erfüllt, reicht sie bei der zuständigen<br />
Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige ein. Die Sozialbehörde muss den Sachverhalt darlegen<br />
und der Anzeige Unterlagen beilegen, die den Sachverhalt untermauern (z.B. Einkommensbelege,<br />
Kontoauszüge, Verfügungen der Sozialbehörde, Einkommens- und Vermögensdeklarationen,<br />
vom Klienten / der Klientin unterschriebene Kenntnisnahme der Pflichten einer<br />
<strong>Sozialhilfe</strong> beziehenden Person, im Falle einer mutmasslichen Urkundenfälschung die in<br />
Frage stehende Urkunde etc.). Die Sozialbehörde hat die Möglichkeit, die Kompetenz zur<br />
Erstattung der Strafanzeige zu delegieren, beispielsweise an den Fürsorgesekretär / die Fürsorgesekretärin.<br />
Die Strafanzeige hat folgenden Inhalt:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Name, Adresse, Geburtsdatum des Klienten / der Klientin.<br />
Gemeinde (Geschädigte).<br />
verletzte Strafbestimmung (z.B. Art. 146 <strong>StGB</strong> oder Art. 251 <strong>StGB</strong>).<br />
Beschreibung des Sachverhalts: Wie wurde der unrechtmässige Leistungsbezug ermöglicht?<br />
Was tat der Klient / die Klientin, um die Leistung, auf die er / sie keinen Anspruch<br />
hatte, zu erwirken?<br />
Umfang des unrechtmässigen Leistungsbezugs / Deliktsumme.<br />
Unterschrift des zuständigen Behördenvertreters/der zuständigen Behördenvertreterin.<br />
Aufzählung der Beilagen.<br />
Zu den datenschutzrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige<br />
vgl. Kapitel 5.2.02.<br />
5. Strafverfahren<br />
Die zuständige Staatsanwaltschaft leitet das Vorverfahren, verfolgt Straftaten im Rahmen der<br />
Untersuchung, erhebt gegebenenfalls Anklage und vertritt die Anklage vor Gericht.<br />
Das Vorverfahren besteht aus dem Ermittlungsverfahren der Polizei und der Untersuchung<br />
der Staatsanwaltschaft. Im Vorverfahren werden Erhebungen getätigt und Beweise gesammelt,<br />
um festzustellen, ob gegen eine beschuldigte Person ein Strafbefehl zu erlassen oder<br />
gegen sie Anklage zu erheben bzw. ob das Verfahren einzustellen ist (wenn sich der Ver-<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 7
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
dacht, die betreffende Person habe eine Straftat begangen, nicht erhärten lässt).<br />
Im Strafverfahren wegen eines unrechtmässigen Bezuges von <strong>Sozialhilfe</strong>leistungen ist die<br />
Gemeinde, welche diese Leistungen ausgerichtet hat, Geschädigte. Sie wird vertreten durch<br />
die Sozialbehörde. Sollen Mitarbeitende des Sozialsekretariates als Zeugen einvernommen<br />
werden, müssen sie sich vorgängig von der Sozialbehörde vom Amtsgeheimnis entbinden<br />
lassen, d.h. die Sozialbehörde muss die betreffenden Personen schriftlich zur Aussage ermächtigen.<br />
Die Ermächtigung zur Aussage ist zu erteilen, wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung<br />
das Geheimhaltungsinteresse überwiegt.<br />
Rechtsprechung<br />
Urteile des Bundesgerichts:<br />
Urteil 6B_576/2010 vom 25. Januar 2011: Im Zusammenhang mit dem Bezug von <strong>Sozialhilfe</strong><br />
handelt die Behörde leichtfertig, wenn sie die eingereichten Unterlagen nicht überprüft oder<br />
es unterlässt, die Antrag stellende Person aufzufordern, für die Anspruchsprüfung notwendige<br />
Unterlagen einzureichen (z.B. Steuererklärung, Steuerrechnung, Bankauszüge; vgl.<br />
E.4.1.2). Im zu beurteilenden Fall errichtete der Beschwerdeführer vor seinem <strong>Sozialhilfe</strong>antrag<br />
ein fiktives Domizil im Kanton Waadt und spiegelte vor, er sei aus dem Ausland zurückgekehrt.<br />
Er gab einerseits an, eine Arbeit zu suchen. Gleichzeitig legte er ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis<br />
eines jordanischen Arztes vor, welches ihm eine Arbeitsunfähigkeit für 24 Monate<br />
bescheinigte, was eine unüblich lange Dauer ist. Dieses Zeugnis wurde von einem<br />
Schweizer Arzt nur teilweise beglaubigt, indem dieser eine Arbeitsunfähigkeit von 30 Tagen<br />
bestätigte. Folglich hätte schon eine einfache Lektüre der vom Beschwerdeführer eingereichten<br />
Dokumente Unstimmigkeiten in Bezug auf wesentliche Elemente für den Entscheid über<br />
die wirtschaftliche Hilfe zu Tage geführt. Angesichts des nur schon durch die Tatsache, dass<br />
eine Person, die vorgibt eine Arbeit zu suchen, gleichzeitig aber ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis<br />
vorweist, hervorgebrachten Widerspruchs, hätte sich der Sozialdienst zwingend fragen<br />
müssen, wie begründet der Antrag, der ihm präsentiert wurde, ist. Er hätte zumindest eine<br />
minimale Überprüfung der Unterlagen vornehmen müssen. Eine solche - im Übrigen mit<br />
kantonalem Recht konforme - minimale Überprüfung, stellt keine übermässige Schwierigkeit<br />
dar. Es wäre dem Sozialdienst ein Leichtes gewesen, den Beschwerdeführer zu den Unstimmigkeiten<br />
zu befragen und präzisierende Unterlagen zu verlangen. Dadurch, dass die<br />
Behörde es unterlassen hat, die elementarsten Überprüfungen der Angaben des Beschwerdeführers<br />
vorzunehmen, sind die Voraussetzungen für das Vorliegen von Arglist nicht gegeben<br />
und eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Betrugs ist ausgeschlossen (vgl.<br />
E.4.2.).<br />
Urteil 6B_689/2010 bzw. 6B_690/2010 vom 25. Oktober 2010 (Ein <strong>Sozialhilfe</strong> beziehendes<br />
Ehepaar gab in dem von ihnen unterzeichneten Unterstützungsgesuch wahrheitswidrig an,<br />
der Ehemann sei arbeitslos. Tatsächlich erzielte dieser als Hauswart der von ihnen bewohnten<br />
Liegenschaft in Basel ein monatliches Einkommen von Fr. 400.--. Obschon sie sich<br />
schriftlich verpflichtet hatten, jede Veränderung ihrer persönlichen und finanziellen Verhältnisse<br />
sofort und unaufgefordert mitzuteilen, kamen sie ihrer Informationspflicht auch anlässlich<br />
der persönlichen Beratungsgespräche nicht nach. Der Ehemann hatte sich als arbeitslos<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 8
Sicherheitsdirektion Kanton Zürich<br />
Kantonales Sozialamt<br />
geworden bei der <strong>Sozialhilfe</strong> gemeldet und ein Arztzeugnis vorlegt, welche seine 100%-ige<br />
Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. Das Bundesgericht bestätigt den Schuldspruch der Vorinstanz<br />
wegen Betruges: Ergeben sich aus den bei der Gesuchstellung eingereichten Unterlagen<br />
keine oder voraussichtlich keine Hinweise auf nicht deklarierte Einkommens- und Vermögenswerte,<br />
handelt die Sozialbehörde, welche eine Vielzahl von Klienten und Klientinnen<br />
zu betreuen hat, nicht leichtfertig, wenn sie nicht die Vorlage weiterer für die Abklärung der<br />
Einkommens- und Vermögensverhältnisse relevanten Unterlagen verlangt oder selbst keine<br />
weiteren Abklärungen trifft. )<br />
Urteil 6P.123/2005 vom 24. Juni 2005 (Ausführungen zur Arglist und zur Opfermitverantwortung)<br />
Praxishilfen<br />
16 Strafrecht, Gewaltschutz, Opferhilfe<br />
16.2. Strafrecht 01.11.2012<br />
<strong>16.2.03.</strong> <strong>Strafbestimmungen</strong> <strong>StGB</strong> 9