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Malaysia Thaipusamfest 7<br />
Abflug aus der Kälte 9<br />
Die Düfte Asiens 10<br />
Erste Gehversuche 11<br />
Das Fest 13<br />
Stadtluft 16<br />
Borneo 23<br />
Die Katzenstadt – Kuching 24<br />
Tradition und Moderne 25<br />
<strong>Reise</strong> zu den Langhäusern 27<br />
Zurück in der Zivilisation 28<br />
Gang durch <strong>die</strong> Geschichte 29<br />
Kampf ums Dasein 31<br />
Im Langhaus der Dayaks 34<br />
<strong>Reise</strong> ins Nichts 37<br />
Der Hahn ist tot... 40<br />
Rodungsstrassen 42<br />
Malaysia 47<br />
Flussfahrt in den Taman Negara 58<br />
Im Urwald 60<br />
Flora und Fauna 64<br />
Einsamkeit 67<br />
Penang 71<br />
Erinnerungen 73<br />
Thailand 79<br />
Bangkok Express 80<br />
Buddhistische Weihen 83<br />
Fahrt in <strong>die</strong> Vergangenheit 85<br />
Die Brücke am Kwai 87<br />
Tempel, Tempel 88<br />
Chiang Mai 91<br />
Auf Strassen und Märkten 93<br />
Ausflug in <strong>die</strong> Berge 96<br />
Versöhnung 99<br />
Laos – ein vergessenes Land 107<br />
Im Dorf Vietiane 108<br />
Erinnerungen 112
Alltag 116<br />
Fahrt nach Luang Prabang 120<br />
Juwel am Mekong 123<br />
Durchbruch 126<br />
On Transit - zu spät 128<br />
Ende <strong>eine</strong>r Flussfahrt 130<br />
Flussmenschen 134<br />
Finale 139<br />
Vietnam 151<br />
Sái Gón 152<br />
Geräusche, Gesten, Gerüche 156<br />
Hué – alte Kaiserstadt 160<br />
Nationalfeiertag in Vietnam 162<br />
Auf dem Weg zum Roten Fluss 164<br />
Hanoi - <strong>die</strong> unsichtbare Stadt 167<br />
Halong Bucht 174<br />
Land der grollenden Drachen 177<br />
China 185<br />
Guilin 186<br />
Auf dem Li Jiang 189<br />
Yangshuo 191<br />
Verblichener Zauber 196<br />
Rückkehr 198<br />
Yao in LongShen 199<br />
Guangzhou/Kanton 200<br />
Guangzhou Aufbruch 200<br />
Quer durch China 202<br />
Über den Tanggula Pass 204<br />
Tibet 211<br />
Stadt der Götter - Lhasa 212<br />
Oh ma ni pad me hum 216<br />
Am Heiligen See 220<br />
Free Tibet now 222<br />
Mekong 231<br />
Mutter aller Wasser 232<br />
Abgesang 246
Kapitel 1<br />
Malaysia Thaipusamfest<br />
7
Abflug aus der Kälte<br />
M i t t w o c h, 27.01.2010<br />
0600 So recht wohl fühle ich mich nicht mit <strong>die</strong>ser schweren<br />
Erkältung. Das Thermometer zeigt aktuell –7 ° Celsius. Seit Tagen<br />
schmeckt es mir nicht mehr – und dann liegen 24 Stunden und<br />
11.000 km Flugkilometer zwischen m<strong>eine</strong>m Bett und dem Hotelbett.<br />
Gebucht ist gebucht. Raus aus den Federn. Der Koffer lebt<br />
von Unentschlossenheit: kalt oder warm. K.L. meldet schliesslich<br />
32 ° C und bekannte 80 – 90 % Luftfeuchtigkeit. Vergiss es, das ist<br />
endlich doch der Traum, den du seit dem Besuch der Höhlen vor<br />
40 Jahren verwirklichen willst.<br />
Der Adrenalinspiegel hebt sich, vergessen der Schnief, <strong>die</strong><br />
Kälte unterm gefütterten Anorak: Sie wandern samt Schal und<br />
Baskenmütze schon in Frankfurt in den Koffer, ehe ich mich der<br />
Eleganz der Boeing 777-300 und des vielsprachigen Service der<br />
„Emirates“ – konkurriert mit Singapore Airlines, Royal Brunei<br />
und Quantas in <strong>eine</strong>r Extraflugklasse - auf Flug 046 nach Dubai<br />
hingebe: 5000 Flugkilometer quäle ich mich neben <strong>eine</strong>m schwäbischen<br />
Ehepaar, nicht nur wegen der Laute, sondern auch wegen<br />
der Texte, <strong>die</strong> sich aus ihrem Munde vernehmen lassen neben<br />
der geistigen und fysischen Enge - <strong>die</strong> Sitze werden auch immer<br />
enger, Emirates schäm‘ dich. Dabei schmeckt das Chicken Curry<br />
exzellent. Ein Weisswein aus Gisborne grüsst m<strong>eine</strong> Freunde in<br />
Neuseeland.<br />
2 330 landen wir an <strong>eine</strong>m galaktisch anmutenden Flughafengebäude,<br />
das auch um <strong>die</strong>se <strong>Zeit</strong> nur nach <strong>eine</strong>r halbstündigen<br />
Warteschleife erreicht wird. Eine architektonische Freude, selbst<br />
um Mit-ternacht sind Auslagen und Angebote <strong>eine</strong> wahre Versuchung.<br />
Im Transit werden <strong>die</strong> letzten Infor-mationsangebote der<br />
ZEIT – wieso ärgern mich Kommentare von Joffe selbst am persischen<br />
Golf – über <strong>die</strong> Sitze verteilt, ehe es um 0310 in den Schlaf<br />
und mit Flug 0346 nach Kuala Lumpur geht.<br />
9
Die Düfte Asiens<br />
D o n n e r s t a g, den 28. 01. 2010<br />
Den Geschmack des Käseomeletts noch auf der Zunge, tauche<br />
ich um 1405 ein in <strong>die</strong> Feuchtigkeit geschwängerte Luft von<br />
K.L., <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Namen führt, weil sich „Stadt an der versumpften<br />
Mün-dung des Flusses“ nicht so gut bewerben lässt. 40 Jahre<br />
liegen dazwischen, der neue internationale Flughafen ist erst<br />
ein paar Jahre alt – zum 50. Jahrestag der Staatsgründung Malaya<br />
2007 fertig.<br />
Mein „Citrus“-Hotelarrangement schmeckt süss: Sie haben<br />
mir ein Taxi angeheuert, das mich im Linksverkehr über <strong>die</strong> neuen<br />
Autobahnen in <strong>die</strong> Stadt trägt. M<strong>eine</strong> Stimme krächzt und<br />
röhrt nur noch. Das Gespräch mit dem Taxifahrer kommt deshalb<br />
zu kurz. Aufmerksam fährt er mich an den Erinnerungsposten<br />
Hauptbahnhof, Nationalmoschee und „Merdeka-Platz“ mit den<br />
schönen Tudor-häusern im Hintergrund vorbei – <strong>die</strong> britische Kolonialzeit<br />
lässt wie an allen Konfliktherden unserer <strong>Zeit</strong> auch hier<br />
grüssen - , ehe wir von der Jalan Raja Laut in das Chinesenviertel<br />
Tiong Nam 3 ab-biegen, kl<strong>eine</strong> Häuser, über <strong>die</strong> <strong>die</strong> Monorail auf<br />
Stelzen hinweg rauscht, vor mächtiger Conven-tion-Hall-Kulisse.<br />
Trinkgelder sind zwar nicht üblich, aber für s<strong>eine</strong> Erzählungen<br />
hat er sich <strong>eine</strong>n Obolus ver<strong>die</strong>nt. Zumal der malayische Ringitt<br />
mit 1:5 zum Euro <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n, aber merklichen merkantilen<br />
Vorsprung gibt.<br />
Vergeblich <strong>die</strong> Frage nach „K.L. This week“ oder dem Programm<br />
des Thaipusamfests an der Rezeption, ansonsten aufmerksame<br />
Neugier <strong>gegen</strong>über <strong>eine</strong>m Christen, der <strong>eine</strong> weite<br />
<strong>Reise</strong> zu Lord Murugan unternimmt. Ich geniesse <strong>die</strong> Frische des<br />
Willkommensgetränks, das mich wieder in <strong>die</strong> zauberhafte Welt<br />
asiatischer Gerüche einführt. Ein Schlaf streckt mich hin, m<strong>eine</strong><br />
Glieder gliedern sich erst wieder zu <strong>eine</strong>m „Seafood Curry<br />
Noodle“-Gericht, das von den Geheimnissen asiatischer Küche<br />
zehrt. Hustend und schniefend suche ich Schutz vor der Klimaanlage<br />
und Schlaf, nicht ohne <strong>eine</strong>n Blick aus dem 10. Stock auf<br />
10
den brennenden tropischen Abendhimmel zu werfen: Die Erde,<br />
ein Spielball des lodernden Himmels.<br />
Erste Gehversuche<br />
Fr e i t a g, 29.01.2010<br />
Um 0700 bricht <strong>die</strong> Dämmerung an, um 0715 ist der Morgen<br />
da – was hält mich noch? Ein Blick auf <strong>die</strong> Mailbox, kurze Antworten,<br />
ein paar Anrufe auf dem Mobilfon, k<strong>eine</strong> Antworten. Wer<br />
vermutet mich schon auf der malayischen Halbinsel?<br />
0910 Von köstlichen Glasnudeln und Chicken weiss das Frühstück<br />
zu berichten, wie ärmlich sieht daneben Toast und Rührei<br />
und Magerjoghurt aus. Warum essen Inder „immer“ Toast und<br />
Europäer „immer“ asiatisch: Jeder schätzt das Andere, das Fremde,<br />
wobei das Fremde <strong>eine</strong>m vertraut und das Vertraute <strong>eine</strong>m<br />
fremd wird und der Geschmack der Inder nach der britischen<br />
Erziehung ja ver-ständlich ist, da kommt ja heute noch lappiges<br />
Zeug auf den Tisch – alter Rassist.<br />
1000 Ist es der eigene Schweiss oder der Niederschlag der<br />
feuchten Luft, <strong>die</strong> sich damit mengt, als ich <strong>die</strong> anderthalb Kilometer<br />
angehe, <strong>die</strong> mich ins historische Viertel bringen sollen. Ich<br />
fühle mich geschwächt ob des harten Hustens, der sich nicht lösen<br />
will. Der nahe Bahnhof der Kommuter Stadtbahn bleibt als Versuchung<br />
ungenutzt, <strong>die</strong> vielen Fussgängerbrücken über <strong>die</strong> vierund<br />
sechs-spurigen Stadtstrassen machen Mühe, ich achte auf <strong>die</strong><br />
Zeichen – also doch das Alter? In der Hitze locken <strong>die</strong> Gedanken<br />
an <strong>eine</strong>n Ausflug nach Grönland oder Spitzbergen. Das wäre jedenfalls<br />
zeitgerecht und würde m<strong>eine</strong>m Immunsystem nicht 40<br />
Grad Wechsel auf <strong>eine</strong>n Schlag verordnen.<br />
Der Freiheitsplatz nimmt in s<strong>eine</strong>r dörflichen Ausgestaltung<br />
– Wiese mit Fahnenmast – m<strong>eine</strong> Aufmerksamkeit. Malaya<br />
wäre wohl gern mit Singapur zusammen geblieben, aber <strong>die</strong><br />
Stadt sucht 1965 ihr eigenes Fortkommen und scheidet nach zwei<br />
11
Jahren aus dem malaysischen Staatsverband wieder aus, übrig<br />
bleiben in Ost- und Westmalaysia 13 Bundesstaaten mit – später –<br />
Kuala Lumpur als Bundesdistrikt in <strong>eine</strong>m Staatsaufbau, der sich<br />
parlamentarisch-repräsentativ mit s<strong>eine</strong>m Zwei-kammersystem<br />
den Einfluss der alten – muslimischen – Sultanate in <strong>eine</strong>m Vielvölkerstaat<br />
erhält.<br />
In der „STAR“ lese ich, dass der Innenminister am Valentinstag<br />
alle Parks über Nacht in Licht hüllen will, damit <strong>die</strong> unislamischem<br />
Umtriebe erotischer Andeutungen endlich ausgemerzt<br />
werden: Multiethnisch, aber mit muslimischem Vortrieb: „Allah“<br />
steht nur den Muslimen zu. Das Sultan-Abdul-Samad-Gebäude<br />
im maurischen Stil liefert dafür stilvoll Beleg, der Kontrast der<br />
britischen Lebensfilosofie im Selangor-Klub gleich <strong>gegen</strong>über.<br />
Der Chinesenmarkt kontrastiert wirkungsvoll <strong>gegen</strong> Moscheen<br />
sowie taoistische und hinduistische Tempel – der Sri Mahamariamman<br />
Tempel war doch Ausgangspunkt der Prozession. Endlich<br />
finde ich – ein Polizist nimmt sich <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> mich hin zuführen<br />
– hinter Netzen versteckt den altehrwürdigen Göttertempel, fast<br />
menschenleer.<br />
Schuhe aus und hinter den wenigen Betern versteckt <strong>eine</strong>n<br />
Blick auf Ganesha, den Sohn Shivas, der von <strong>eine</strong>m Hindupriester<br />
mit Wasser und Rauch gereinigt wird, nachdem er zuvor<br />
mehrfach abwechselnd mit gelber, roter und grüner Flüssigkeit<br />
beschüttet worden ist. Dann – endlich ein gedrucktes Programm<br />
des Thaipusamfests 2010: Wahnsinn – <strong>die</strong> Prozession ist schon<br />
heute Nacht um 02 30 gestartet und wird <strong>gegen</strong> 1000 Uhr an den<br />
Batu-Höhlen erwartet. Also – Taxi und nichts wie hin:<br />
Obwohl als „Taxometer“ ausgewiesen, handelt mein alter Inder<br />
fröhlich wie gewohnt: Auf s<strong>eine</strong> 35 MR gehe ich mit 25 und<br />
auf s<strong>eine</strong> 30 – „specially for you“ – einigen wir uns auf 28 MR, das<br />
Trinkgeld ergibt dann auch 30 MR. Eine halbe Stunde gekühlte<br />
Fahrt, wir passieren Teile der Prozession und landen - auf <strong>eine</strong>m<br />
Volksfest. In farbiger Verspieltheit wacht Subramaniam, ebenfalls<br />
ein Sohn Shiva‘s, als Kriegsgott 35 Meter hoch an der 272-stufigen<br />
Treppe zum Heiligtum in den Kalksteinhöhlen, an deren Wän-<br />
12
den Affen munteren Putz treiben. Ein Riesenrad, <strong>eine</strong> doppelte<br />
Schleuder, Karussells fordern <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong>n und grossen Besucher,<br />
von denen sich ein paar Tausende an <strong>die</strong>sem Freitag vor hunderten<br />
von Futterställen und Verkaufsständen unter Zelten angezogen<br />
fühlen. Am Eingang noch ein paar frisch gemachte Frisöre,<br />
<strong>die</strong> den männlichen Pilgern den Kopf kahl scheren, um ihn mit<br />
<strong>eine</strong>r gelben Paste <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> unbarmherzige Sonne zu schützen.<br />
Ein Tempel schiebt sich in den Kalkberg, vereinzelte Pilger<br />
verlieren sich auf den Treppenstufen, aber ein Auflauf sieht anders<br />
aus. Damit rechnet wohl heute auch <strong>die</strong> Touristeninformation<br />
nicht.<br />
Das Fest<br />
S a m s t a g, den 30.01.2010<br />
THAIPUSAM ist das höchste Fest der Hindus in <strong>die</strong>ser Region<br />
und zieht viele gläubige Hindus und natürlich Schaulustige aus<br />
aller Herren Ländern an. Ein Fest, das Lord Murugan ehrt und der<br />
Busse, dem Gelübde und der Danksagung gilt. Beim zweiten Vollmond<br />
im Jahr wird es an vielen Heiligtümern – Singapur, Penang<br />
- der Gottheit Subramaniam praktiziert: Die <strong>eine</strong>n strafen sich<br />
geisselnd für ihre Sünden und Missetaten, <strong>die</strong> anderen danken<br />
für <strong>eine</strong> überstandene Krankheit oder <strong>die</strong> Geburt <strong>eine</strong>s gesunden<br />
Töchterleins in späten Jahren. In Trance lassen sich Männer<br />
wie Frauen mit Speeren Wangen und Zunge durchstossen, um<br />
kein Wort mehr zu verlieren, andere nehmen kl<strong>eine</strong> Haken, <strong>die</strong><br />
sie in <strong>die</strong> Haut einstechen lassen, um sie mit Äpfeln oder Apfelsinen<br />
oder – bei kl<strong>eine</strong>ren Sünden – Trauben beschweren. Wieder<br />
andere – wilde Gesellen mit rot bemaltem Körper - ziehen allein<br />
oder zu zweit <strong>eine</strong>n Wagen mit Opfergaben an Schnüren, <strong>die</strong> mit<br />
schweren Haken in ihrer Rückenhaut befestigt sind. Allein <strong>die</strong><br />
Vorstellung schmerzt bereits, aber – nun geschehen <strong>die</strong> Wunder<br />
– es fliesst kein Tropfen Blut. Ein Geheimnis, dass ich entschlüs-<br />
13
seln will auf <strong>die</strong>ser <strong>Reise</strong>: Ist es <strong>die</strong> Asche, mit der sich <strong>die</strong> Pilger<br />
beschmieren, <strong>die</strong> das Blut stillt, <strong>die</strong> Trance, <strong>die</strong> das Blut – bildhaft<br />
- stehen lässt, ich weiss mir k<strong>eine</strong>n medizinischen Rat. Aber<br />
schliesslich bin ich auch in <strong>eine</strong>m Alter, in dem ich nicht mehr<br />
alles wissen muss – vielleicht löst mein Enkel das Rätsel.<br />
Riesige Kavadis werden mit dem Bildnis der Gottheit, bunten<br />
Blumen und Pfauenfedern geschmückt. Schellen beklingeln jeden<br />
Schritt, an den Fussfesseln wie an den Kavadis angebracht. 20<br />
kg und mehr wiegen <strong>die</strong>se Eisengestelle – und sind in Tragegürteln<br />
eingesetzt. Einige tragen halbkreisförmige Kavadis, <strong>die</strong> mit<br />
spitzen Speeren in den Körper stechen und jeden Schritt zur Beschwer<br />
machen. Die bussfertigen Pilger sehen wie abwesend aus,<br />
manche rauchen, anderen rinnt der Speichel aus dem Mund, wieder<br />
andere beissen auf <strong>eine</strong> halbe Kokosnussschale und stossen<br />
tiefe Urschreie aus wie aus <strong>eine</strong>r anderen Welt. Und <strong>die</strong>, <strong>die</strong> nach<br />
der Vorstellung schon vor Schmerzen schreien müssten, nehmen<br />
das Gewicht ihres Kavadis mit, wenn <strong>die</strong> Tablas und Schellen,<br />
Pfeifen und Trommeln wieder rytmisch den Takt vorgeben – und<br />
tanzen ekstatisch mit der Last wie Derwische. Helfer stützen sie,<br />
wenn sie zu stürzen drohen, reichen nach dem Tanz <strong>eine</strong>n Schemel<br />
zur Rast. Frauen, zumeist in gelben Saris, tragen goldene<br />
oder silberne Gefässe mit Opfergaben auf dem Kopf. Gelegentlich<br />
fallen sie in <strong>eine</strong>n Zustand der Entrücktheit, beginnen sich zu<br />
drehen, machen grazile Tanzschritte nach vorn und zurück – <strong>die</strong><br />
Umstehenden weichen, andere gebärden sich wie wild, <strong>die</strong> Zunge<br />
streckt sich, sie beissen drauf, lassen sich fallen und rollen am<br />
Boden, schlagen mit dem Kopf auf – was wiederum <strong>die</strong> Helfer zu<br />
verhindern suchen. Mit dem Gerät, <strong>die</strong> Opfergaben am Körper<br />
oder auf dem Haupt, nehmen sie den nächtlichen Marsch vom Sri<br />
Mahamariamman-Tempel im Herzen Kuala Lumpurs über 15 km<br />
bis zu den Batuhöhlen.<br />
Die nächtliche Prozession überführt, begleitet von tausenden<br />
Pilgern, das reich geschmückte Abbild der Gottheit zu den Höhlen.<br />
Rytmischer Gesang „e-le, we-le“ und unablässiges Hände<br />
klatschen halten <strong>die</strong> Pilger in Bewegung, wenn sich <strong>die</strong> Augen<br />
14
verdrehen. Krankenwagen und Krankenschwestern stehen aufmerksam<br />
am Rand, Versorgungsstationen mit Wasser und Früchten<br />
stehen entlang des Pilgerweges. Fotografen fräsen ihre Linsen<br />
in <strong>die</strong> Gesichter der Leidenden, um <strong>eine</strong>n finsteren oder erlösten<br />
Blick einzufangen. Einer schafft sich Raum, indem er mit <strong>eine</strong>r<br />
Peitsche schnalzt und gelegentlich <strong>die</strong> zu nahe getretene Umwelt<br />
an s<strong>eine</strong>r Geisselung teilhaben lässt.<br />
Ab dem Tempeltor sind es noch rund 1000 m, ehe <strong>die</strong> 35 m<br />
hohe Statue des Gottes das Opfer erstmals wahrnimmt, aber dann<br />
warten immer noch 272 Stufen auf <strong>die</strong> Pilger, <strong>die</strong> hinaufführen<br />
in <strong>die</strong> Höhlen, <strong>die</strong> das Heiligtum beherbergen - etwas Ähnliches<br />
habe ich in der Goa Lawa Höhle auf Bali erlebt, nur dass dort Fledermäuse<br />
<strong>die</strong> heilige Stätte bewohnen und verehrt werden.<br />
Nun endlich, am Fuss der Treppe, lösen sich <strong>die</strong> Pilger und ihre<br />
Begleiter von dem schaulustigen Fussvolk. Da sind <strong>die</strong> allein, <strong>die</strong><br />
bei <strong>eine</strong>m Unfall beide B<strong>eine</strong> verloren haben – und den Aufstieg<br />
auf sich nehmen. Sie werden überholt von den Derwischen, <strong>die</strong><br />
tanzend mit Feuer und Rauch <strong>die</strong> Treppe spielend überwinden, als<br />
ob <strong>eine</strong> ewige Kraft sie antreibt. In dem Gedränge, der Feuchtigkeit<br />
aus verspritztem Wasser, das den Pilgern Kühlung bringt inmitten<br />
der tropischen Hitze von 35 ° C, dem Schweiss, dem Rauch<br />
und Feuer, das mit Kokosnussschalen unterhalten wird, spürst du<br />
nicht <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>, nicht den Brand der Sonne, <strong>die</strong> unbeeindruckt und<br />
unerbittlich das Geschehen begleitet.<br />
Der Sonnenbrand zeigt sich an Kopf – trotz Kappe - und Armen<br />
erst am nächsten Tag. Ich habe <strong>eine</strong>n Platz auf dem Sockel<br />
<strong>eine</strong>s Lampenmastes gefunden, der mir 20 cm Höhe und ausreichende<br />
Nähe zu den Pilgern und ihrem Tross auf beiden Bahnen<br />
gab – <strong>die</strong> dritte Bahn <strong>die</strong>nt dem Abstieg aus der Höhle. Die Kavadis<br />
werden von Helfern übernommen, <strong>die</strong> Speere und Haken aus<br />
der Haut blutlos gelöst, ermattet, erschöpft macht sich erst jetzt in<br />
den Gesichtern der Pilger der hohe Kraft- und Energieverbrauch<br />
bemerkbar, leer, nach innen gekehrt der Blick, das Glück des erreichten<br />
Ziels, <strong>die</strong> Sühne und Busse, der Dank und <strong>die</strong> Ehrerbietung,<br />
das alles sammelt sich in den Tagen – ehe am Sonntag <strong>die</strong><br />
15
lange achtstündige Prozession <strong>die</strong> Götterstatue mit Tam-Tam und<br />
Posaunen wieder in den Tempel von Kuala Lumpur zurückbringt<br />
und <strong>die</strong> Zeremonie abschliesst.<br />
Stadtluft<br />
S o n n t a g, 31.01.2010<br />
K.L. mit s<strong>eine</strong>n 1,8 Millionen Einwohnern erträgt <strong>die</strong> angesagten<br />
1,5 Millionen Besucher mit Leichtigkeit. Im unaufgeregten<br />
Alltag der Geschäftswelt oder in Chinatown ist wenig davon zu<br />
spüren. Der indisch-stämmige Hinduanteil der Bevölkerung wird<br />
auch nur mit 8 bis 10 % geschätzt In der bauwütigen Betonwüste<br />
strotzt stattdessen das Wachstum der Tigerstaaten, <strong>die</strong> Zwillingstürme<br />
des Petronasgebäudes sind ein Symbol des Öl- und<br />
Rohstoffreichtums des Landes – Holz, Kautschuk, Mineralien –,<br />
das sich räumlich noch auf <strong>die</strong> Provinzen Sarawak und Sabah auf<br />
der Insel Borneo erstreckt. Die Stadt hat sich kein eigenes Gesicht<br />
bewahrt, wenn sie es denn je hatte. Ein paar historische Abrisse,<br />
der alte Bahnhof ist mit s<strong>eine</strong>m maurischen Stil ansprechend,<br />
aber mittlerweile <strong>eine</strong>m Koloss an Centralbahnhof gewichen,<br />
der <strong>die</strong> unterschiedlichen Verkehrsträger Kommuter und Star<br />
und Monorails und KLIA Ekspres mit der staatlichen Bahn über<br />
fünf Ebenen verbindet. Strassen zerpflügen <strong>die</strong> Stadt, zumeist<br />
Einbahn geführt, um der Masse des Verkehrs zu begegnen: Verkehr<br />
erzeugt Verkehr. Der K.L.Tower – Fernsehturm – ist nur mit<br />
Shuttle erreichbar, weil für Fussgänger kein Weg gedacht ist. Ich<br />
fliehe ins Grüne – Schmetterlings- und Vogelpark, Orchideen und<br />
Museen bieten sich an in Lake Gardens oder Royal Selangor Club.<br />
Die Konkurrenz mit Singapur ist überall spürbar, aber K.L. bleibt<br />
stets zweiter Sieger.<br />
Ich wähle Hop on – Hop off und reise an Präsidentenpalast,<br />
Nationalmuseum, Nationalmoschee, Freiheitsplatz vorbei, lasse<br />
Petronas- wie K.L.-Tower links liegen, fühle mich in Bintang Walk<br />
16
– dem Louis-Vuilton-Pierre-Cardin-Boss-Versace-nullachtfuffzehn-Verschnitt<br />
– allenfalls von der Thaimassage gereizt, verliebe<br />
mich wieder in Chinatown, wo sich <strong>die</strong> Welt noch fussläufig erlebt<br />
und <strong>die</strong> ersten Vorläufer des chinesischen Drachenfestes vorbei<br />
rauschen – zwei Drachen ziehen mit Getös und Getau durch <strong>die</strong><br />
Kaufstrassen. Ledertaschen, Uhren, Stoffe – hier ist <strong>die</strong> Welt zu<br />
Hause.<br />
Ein Blick noch in den Sri Mahamariamman Tempel – <strong>die</strong> Priester<br />
warten auf <strong>die</strong> Rückkehr des Schreins nach Mitternacht. Ein<br />
dampfende Rinder-Nudelsuppe aus <strong>eine</strong>m nahen Futterstall reizt<br />
mich, <strong>eine</strong> köstliche Brühe, ein paar Stäbchen, noch ein wenig<br />
Olek dazu – Tisch und Schemel werden noch mal extra gewischt,<br />
dann gesellt sich ein alter Chinese an m<strong>eine</strong>n Tisch, weit gereist<br />
und katholisch, lädt noch <strong>die</strong> junge Amerikanerin ein, <strong>die</strong> sich<br />
am Nebentisch mit ihrem Grünzeug schwer tut, aber in Schanghai<br />
chinesisch für Ausländer lehrt. Die Welt ist gross, <strong>die</strong> Welt ist<br />
klein, aber im Augenblick des Verweilens ist es m e i n e Welt.<br />
Sampai pertemu lagi – terimah kasih, Malaysia.<br />
17
Kuala Lumpur – Thaipusamfest 18 an den Batu Höhlen
Kuala Lumpur – Thaipusamfest 19<br />
Pilger mit Kavadi
Kuala Lumpur – Thaipusamfest 20 Pilger
Kuala Lumpur – Thaipusamfestpilgerin 21<br />
in Trance
Kapitel 2<br />
Borneo<br />
23
Die Katzenstadt – Kuching<br />
D i e n s t a g, 13.07.2010<br />
Eine Katze hat mich an der Waterfront umstreichelt – es muss<br />
Kuching sein, dessen Sarawak Fluss in trägem Braun dahinfliesst.<br />
Ich krieche in <strong>eine</strong>n alten Sampan, der mich für <strong>eine</strong> Stunde für 20<br />
Ringitt (5 Euro) in <strong>die</strong> tropische Nacht trägt. Vorbei an der Astana-<br />
Wehranlage, eindrucksvoll beherrschend <strong>die</strong> mächtige Zitronenpresse,<br />
<strong>die</strong> den Parlamentsbau von Sarawak‘s Hauptstadt ziert,<br />
bis hin zur Hafenanlage in Pending. Der Brite James Brooke, „Raja<br />
von Sarawak“, lässt hier 1841 Anker und Geschützdonner während<br />
s<strong>eine</strong>r abenteuerlichen Kriegsreise nach Borneo und hinterlässt<br />
– ausser der Legende – noch ein Bistro-Cafe, Anlauf für <strong>die</strong><br />
wenigen Touristen, <strong>die</strong> sich nach Kuching verirren.<br />
Es ist wundersam ruhig in <strong>die</strong>ser Stadt, ein paar knallige Hotelbauten<br />
zielen in <strong>die</strong> Höhe, aber ansonsten verstecken sich <strong>die</strong><br />
malayischen Häuser unter den Blättern der Bäume und Büsche<br />
vor der Tageshitze, merklich „kühl“ hier bei der Ankunft auf dem<br />
modernen Flughafen, inmitten der Rodungswunden, <strong>die</strong> schon<br />
von dem A 330 zu sehen sind, der mich von K.L. in 1:40 Stunden<br />
über das südchinesische Meer nach Kuching/Borneo trägt. Mein<br />
Gang passt sich an, <strong>die</strong> hohe Luftfeuchtigkeit legt <strong>eine</strong>n zarten<br />
Film über <strong>die</strong> Haut – ein erster teh es limon „Zitronen-Eistee“ ist<br />
schnell im „Khatulistiwa-Cafe“ getrunken, während <strong>die</strong> „Equator“<br />
mit Dampf in den Abend kreuzt. Eine Lhaksa-Suppe für 6 RM<br />
und ein teh panas limun - „heisser Tee mit Zitrone“ - gönnen mir<br />
den kühlen Abendwind am Flussufer.<br />
24
Tradition und Moderne<br />
M i t t w o c h, 14.07.2010<br />
Ein Frühstück – vom Feinsten, was <strong>die</strong> malayische Küche an<br />
westöstlichen Geschmäckern preisgibt. Zwei Köche wetteifern<br />
um <strong>die</strong> zahlreichen Gäste – wer verirrt sich eigentlich nach Kuching,<br />
der Katzenstadt? Der <strong>eine</strong> zaubert Omelettes mit allerlei<br />
Gewürzzutaten im Akkord, der andere bereitet Lhaksa, <strong>die</strong> echte<br />
Sarawak-Lhaksa – <strong>eine</strong> Glasnudelsuppe auf Kokosnussmilchbasis<br />
mit Shrimps, Schwein und Rind - zu, daneben himmlische Gerüche<br />
von Scampis und Cashewnüssen, zum Trunk ein indischer<br />
Lassie gefällig, oder lieber Papayasaft, nein doch besser gepressten<br />
Orangensaft. Natürlich werden <strong>die</strong> westlichen Toastmäuler<br />
auch gestopft, aber <strong>die</strong> Bihunnudeln mit Rind in Zwiebeln sind<br />
vorzüglich – mein Gott – nein, im muslimischen Malaysia muss<br />
ich „Allah“ - darf ich „Allah“ - sagen? - ich schwärme nur vom<br />
Essen, wo bleibt <strong>die</strong> Ästhetik? Aber Essen ist der Sex des Alters<br />
– wobei sich der Kreis physisch-psychischer Genüsse schnell wieder<br />
schliesst. Der Genuss ver<strong>die</strong>nt sich um so mehr, als Victoria,<br />
m<strong>eine</strong> unbekannte <strong>Reise</strong>agentin im Hilton, mir den Ausflug ins<br />
Resort Batang Ai mit <strong>eine</strong>m Tag extra im Hilton nach Rückkehr<br />
verbucht.<br />
Bei Tag wirkt <strong>die</strong> Stadt lebendiger als zur Nachtzeit. Hinter<br />
<strong>eine</strong>m zweiten Katzendenkmal verbirgt sich CPH Travel, wo ich<br />
m<strong>eine</strong> Santubong Wildlife Cruise buche für 160 RM. Die <strong>Zeit</strong> vergeht<br />
in den chinesischen Läden, <strong>die</strong> sich an Main Bazaar reihen.<br />
Am OLD COURTHOUSE, vor dem sich der zweite Raja Charles<br />
Brooke – <strong>die</strong> Briten teilen <strong>die</strong> Welt unter Familien auf – graniten<br />
verewigt sieht. Ein Brautpaar sucht nach fotografischen Flecken,<br />
derweil mich ein Mangosaft stärkt.<br />
Im Sarawak Museum muss nach gestaubt werden, damit <strong>die</strong><br />
Vitrinen nicht so durchsichtig sind. Gleichwohl ist <strong>die</strong> kurze<br />
Nachbildung <strong>eine</strong>s IBAN Langhauses zugleich <strong>die</strong> erste Begegnung<br />
mit den Schrumpfköpfen, <strong>die</strong> erst den reifen Mann der<br />
Seedayaks krönen. Überraschend <strong>die</strong> museale Einlage der Shell<br />
25
AG, <strong>die</strong> hier unter der Vorherrschaft der weissen Rajas wohl ihre<br />
ersten Öl- und Gasinvestitionen betreiben darf. Wohl durch <strong>die</strong>se<br />
„mütterliche“ Betreuung bleibt der Eintritt frei. Buddhistische<br />
Tempel zähle ich allein 3 neben <strong>eine</strong>r Moschee und <strong>eine</strong>r St. Thomas<br />
Kathedrale. Die Autonomiebestrebungen in Sarawak und Sabah<br />
führen einige Kommentatoren auf <strong>die</strong> Christiani-sierung der<br />
Dayaks zurück, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong>se Weise <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Nationalisierung<br />
– Bahasa löst eng-lisch als Hauptsprache im Alltag ab – und<br />
Islamisierung mit eigener Flagge, eigener Hymne und eigenem<br />
Einreisestempel zur Wehr setzen.<br />
Eine Dusche wird fällig und <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Rast, ehe ich <strong>die</strong> erste<br />
Post per Internet im Cafe Cino bei <strong>eine</strong>r Danish Pastry und <strong>eine</strong>m<br />
Latte Macchiato erledige. Ein Bus holt uns um 1630 ab und fährt<br />
uns in den Bootclub am Santubong Fluss. Dort wartet wiegend ein<br />
schneller Katamaran auf uns, ein Regenschauer mindert unsere<br />
Aussichten, Irrawadi-Delfine an der Mündung des Santubong<br />
zu erleben, stattdessen ein feuchter Abend im Kampf <strong>gegen</strong> <strong>die</strong><br />
Mücken – und ich habe mein Mückenspray zu Hause vergessen.<br />
Der <strong>Reise</strong>leiter betreut mich bestens, um ein paar Nasenaffen in<br />
den Mangrovenbäumen mehr zu ahnen als zu sehen. Auch Weissaffen<br />
turnen fleissig über den Wassern – beides gute Flieger und<br />
Schwimmer – mit der Nase überm Wasser. Ein eindrucksvoller<br />
tropischer Abendhimmel funkelt bis <strong>die</strong> Glühwürmchen in den<br />
Büschen sichtbar werden; vergebens sucht der Helfer mit dem<br />
Scheinwerfer <strong>die</strong> blitzenden Augen der Salzwasser-Krokodile in<br />
der Nacht. Das Gespräch mit Samihiddin, dem <strong>Reise</strong>begleiter, auf<br />
dem Beifahrersitz verkürzt <strong>die</strong> nächtliche 45 Minuten Rückfahrt<br />
ins Hotel.<br />
26
<strong>Reise</strong> zu den Langhäusern<br />
D o n n e r s t a g, 15.07.2010<br />
0600 <strong>die</strong> Träume legen sich – wie schnell sich der Körper anpasst,<br />
immerhin sechs Stunden <strong>Zeit</strong>unterschied. 0645 duschen,<br />
packen, Zimmer räumen, frühstücken – auf geht’s ab 0800 mit<br />
kl<strong>eine</strong>m Bus und kl<strong>eine</strong>m Gepäck gut 300 km in vier Stunden<br />
nach Osten, ziemlich nah an der indonesischen Grenze zu Kalimantan<br />
entlang, durch ausufernde Stadtlandschaft mit regem<br />
Verkehr und doppelter Fahrbahn, durch gerodete Grünzonen entlang<br />
der neuen betonierten Mietshäuser, in <strong>die</strong> <strong>die</strong> Iban umgesiedelt<br />
worden sind, nachdem ihnen Häuser und Jagdgründe durch<br />
den Batang Ai Stausee – 80 m Damm, 170 m breit – zwangsweise<br />
genommen worden sind, damit Sarawak unter Strom bleibt. Ein<br />
mussevoller Flecken, in den Hilton sein Resort als Ersatz für verlorene<br />
Langhäuser im Langhausstil errichtet hat.<br />
Eingebunden in <strong>die</strong> Landschaft liegen <strong>die</strong> wieder aufgearbeiteten<br />
Langhäuser. Schwer.drückt <strong>die</strong> Luft beim Aufstieg, nachdem<br />
uns das Fährboot nach zwanzig Minuten Fahrt am Bootssteg<br />
abgesetzt hat. Hibiskus und Papageienschnabel grüssen uns in<br />
<strong>eine</strong>r Atmosfäre, wie sie Somerset Maugham nicht besser hätte<br />
erfinden können. Nach Einquartierung in <strong>eine</strong>m der Langhäuser<br />
– Zimmer 516 – nutze ich <strong>die</strong> eindrückliche Stille der Veranda<br />
mit dem weiten Blick über Primärurwald und See. Gegen drei<br />
Uhr setzen neue Boote geschwätzige Gruppen ab, der Frieden des<br />
Platzes ist dahin. Die Wahrnehmung der Unwirtlichkeit setzt sich<br />
fort in jenen Aktivitäten, <strong>die</strong> allesamt zu entlohnen sind – Schachspiel<br />
2 RM, Fischen 5 RM, Blasrohr blasen 5 RM, Billard 4 RM pro<br />
Spiel, Einer Kajak 12 RM, zu zweit 14 RM, Langboot fahren 140<br />
RM mit Führer 250 RM – Toilettennutzung ist übrigens frei. Wenn<br />
amerikanisches Preismanagement sich mit malaysischer Gastfreundlichkeit<br />
paaren soll, 10 RM für <strong>eine</strong>n verdammt langsamen<br />
Internetzugang. Die grossen Zimmer, <strong>die</strong> geschmackvolle Inneneinrichtung,<br />
<strong>die</strong> Freundlichkeit im Service sollen neben dem ausgezeichneten<br />
Buffet zu <strong>eine</strong>m guten Preis – 379 RM - nicht verges-<br />
27
sen werden. Aber <strong>die</strong> Abzocke in der Abgeschiedenheit – ich hatte<br />
mir mehr Dayakkultur versprochen. So erstickt sich der Magen<br />
an all den tropischen Köstlichkeiten, ehe ich ihm bis zum Frühstück<br />
zwölf Stunden Fasten verordne.<br />
Zurück in der Zivilisation<br />
Fr e i t a g, 16.07.2010<br />
0900 Uhr – ich lasse es gelassen angehen, der Sonnenaufgang<br />
fiel dem Regen zum Opfer, <strong>die</strong> letzten Tagesausflügler sind gestartet,<br />
Bassi, <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung, hat <strong>Zeit</strong> für <strong>eine</strong>n Plausch über Arbeit<br />
und Kinder, <strong>die</strong> im nahen Dorf wohnen, während sie hier übers<br />
Jahr ein übern andern Tag in Spät- und Frühschicht arbeitet, mit<br />
<strong>eine</strong>m freien Tag danach. Der Regen spielt mit mir, er schleicht<br />
sich geräuschlos von hinten an, tippelt ein wenig belanglos über<br />
<strong>die</strong> Blätter, springt von <strong>eine</strong>m zum anderen, um sich dann über<br />
den Schindeln voll zu verausgaben, dann plätschert das in Rinnen<br />
gesammelte Wasser, es flutet und schlägt hart auf, schwemmt den<br />
Lehm weg und zaubert St<strong>eine</strong> auf den Weg. Es graut überm See,<br />
der s<strong>eine</strong> Milde aufgibt, du bist gefangen, <strong>die</strong> drohenden Wolkenbänke<br />
sch<strong>eine</strong>n dich unendlich zu umfangen, wohl dem, der ein<br />
Dach überm Kopf hat. Vier Aussies machen sich den ruhigen Vormittag<br />
zu nutze, stellen sich vor – aus Newcastle NSW - ehe wir<br />
gemeinsam das Boot um 1215 besteigen, das uns wohl abgestimmt<br />
am Staudamm absetzt, wo geflissentlich unser Bus wartet, der am<br />
Morgen schon <strong>die</strong> nächsten Gäste aus Kuching hergebracht hat, und<br />
uns nun sicher durch <strong>die</strong> Regenschauern ins Hilton zurück fährt.<br />
Neu eingebucht – Zimmer 921 -, den Sparpreis bei Expedia im<br />
Internet habe ich der direkten Buchung vorgezogen, damit steht<br />
<strong>die</strong> Tagesplanung für <strong>eine</strong>n Besuch in <strong>eine</strong>m lebendigen Museum,<br />
dem Sarawakdorf im Santubong Park.<br />
28
Gang durch <strong>die</strong> Geschichte<br />
S a m s t a g, 17.07.2010<br />
Im ersten Zimmer war es der nahe Fahrstuhl, der m<strong>eine</strong>n<br />
Schlaf gelegentlich brach, nun kreischen <strong>die</strong> Wasserhähne, wenn<br />
der Druck im neunten Stockwerk nicht reicht, morgens verlassen<br />
<strong>die</strong> Piloten und Stewards der Malaysian Airlines frühzeitig das<br />
Hotel, k<strong>eine</strong> <strong>Zeit</strong> für ein Lächeln, war das mal ein Traumberuf<br />
? Mit den ersten flüchte ich um 0630 in den noch leeren Frühstücksraum,<br />
noch ist alles im Aufbau. Die freundliche Empfangsdame<br />
entdeckt m<strong>eine</strong> Buchung, erneuert m<strong>eine</strong> Zimmerkarte<br />
und bucht mich auf den nächsten Bus nach Santubong 0910. Das<br />
Wetter leidet noch unter den garstigen Schauern, <strong>die</strong> sich in <strong>die</strong><br />
zweite Linie vergraben haben. 45 Minuten Fahrt mit <strong>eine</strong>m interessierten<br />
Bidayu-Fahrer, Nachfahre jener Landdayaks, <strong>die</strong> sich<br />
ständig Fehden mit den Ibans, den Seedayaks, liefern – und dabei<br />
manchmal den Kopf hängen lassen. Pure Männlichkeit – Krieg<br />
ohne Not, Köpfen was das Zeug hielt, auch Frauen und Kinder.<br />
Kein Wunder, dass <strong>die</strong> Engländer <strong>die</strong>se Barbarei zunächst sich<br />
verbitten, alsdann aber ab 1941 wieder erlauben – es trifft ja <strong>die</strong><br />
japanischen Besatzer. Seit 1945 ist der Spuk zu Ende.<br />
Die Trofäen werden nicht einmal im Sarawakdorf ausgestellt,<br />
<strong>die</strong> Kinder könnten <strong>die</strong> Väter zu viel fragen. Als Senior habe ich<br />
den Eintritt für Kinder – 30 RM. 7 Häuser warten in <strong>eine</strong>m erschreckenden<br />
Zustand, allein das Malayenhaus scheint gepflegt,<br />
dort tanzen <strong>die</strong> alten Herren und singen <strong>die</strong> alten Damen zu Rytmusinstrumenten,<br />
während in der Küche Liebesgebäck s<strong>eine</strong>n<br />
Duft verbreitet. Das chinesische Farmhaus enthält Spuren bäuerlicher<br />
Existenz, eindrucksvoll das Iban-Lang- und Hochhaus<br />
über drei Stockwerke, <strong>die</strong> in den Stamm geschlagenen Stufen<br />
fordern Geschicklichkeit, <strong>die</strong> Pfahlbauten schützen offensichtlich<br />
nicht nur das Vieh und vor Mücken und Fluten – <strong>eine</strong> sumpfige<br />
Gegend, sondern eben auch vor Feinden, <strong>die</strong> Krieger müssen nur<br />
<strong>die</strong> Treppe hoch ziehen. Das hilft wenig <strong>gegen</strong> Brandschatzung.<br />
Deshalb schlafen <strong>die</strong> jungen Krieger der Bidayu mit Waffen und<br />
29
Schrumpfköpfen im Zeremonienhaus, um sich stets verteidigen<br />
zu können, sobald ein Feind naht. Die nomadisierenden Penan<br />
halten sich aus den Fehden weitgehend heraus und jagen mit ihren<br />
Blasrohren im Urwald, <strong>die</strong> Spitzen entweder mit <strong>eine</strong>m Schlangengift<br />
<strong>gegen</strong> Freund und Feind oder mit <strong>eine</strong>m paralysierenden<br />
Lackmus versehen, wenn es auf <strong>die</strong> Jagd geht. Schwer drückt <strong>die</strong><br />
Regen schwangere Luft. Das T-Shirt klebt, als ich das tief gefrorene<br />
Theater erreiche und der Tanzeinlage der als Iban, Bidayu,<br />
Orang Ulu, Penan und Malayen gekleideten Tänzer beeindruckt<br />
folge. Santubong lädt nicht nur zum Rainforest-Musikfestival,<br />
sondern auch Folkloretheater der Welt zu Treffen ein.<br />
Drei Flaschen Wasser haben <strong>die</strong> drei Stunden verkostet, ich<br />
fühle mich verbraucht, warte geduldig auf unseren Bus, der uns<br />
für weitere 10 RM wieder ins Hotel transportiert. In der gemässigten<br />
Kühle des Raumes finde ich schnell Schlaf. Die Idee, den Bako-<br />
Nationalpark anzuhängen, habe ich schnell begraben, dafür bin<br />
ich im Nationalpark Taman Negara Anfang August. Im Top Spot<br />
Foodcourt lasse ich mich mit Thai Gambas, Midin (gerösteter junger<br />
Dschungelfarn) und <strong>eine</strong>r Algensuppe verwöhnen. Am Fluss<br />
noch ein paar Seiten aus den „tristen Tropen“ von Levi Strauss,<br />
dem Anthropologen, bei <strong>eine</strong>m teh susu, <strong>die</strong> Wasser raunen Abschied.<br />
Ansprechende Gitarrenmusik weitet <strong>die</strong> Sinne, mehrt das<br />
Glück: Wer hätte Narciso Yepes in Rodrigo´s Adagio aus dem 2.<br />
Satz des Concierto de Aranjuez in Kuching erwartet?<br />
30
Kampf ums Dasein<br />
S o n n t a g, 18.07.2010<br />
Es donnert mächtig – <strong>eine</strong> Stunde Blitz und Donner im Sekundenabstand,<br />
dunkle Wolken in <strong>eine</strong>m aufgewühlten Himmel, <strong>die</strong><br />
Tropen schenken sich nichts an Urgewalt, auch <strong>die</strong> Regenmassen,<br />
<strong>die</strong> Sibu um 1600 unter Wasser stellen.<br />
So wie <strong>die</strong> Flüsse, <strong>die</strong> ich heute passiert habe. Vom Hafen in<br />
Pending, an dem mich das Taxi um 0730 absetzt, schneidet das<br />
lang gestreckte Schnellboot mit schätzungsweise 25 bis 30 Knoten<br />
<strong>die</strong> Wasser des südchinesischen Meeres, ehe es nach 2 Stunden<br />
in <strong>die</strong> Mündung des Barang Rajang einfährt, ohne auch nur <strong>die</strong><br />
Geschwindigkeit <strong>eine</strong>n Deut zu reduzieren, <strong>die</strong> Ufer liegen 250 m<br />
zu beiden Seiten entfernt, versteckt in den gewässerten Mangrovenbäumen.<br />
Zur Hälfte gefüllt frieren <strong>die</strong> Passagiere in dem luftgekühlten<br />
Eisschrank, draussen gibt es k<strong>eine</strong> Reling, oben liegt<br />
verschnürt das Gepäck im Wind, Spritzer nässen <strong>die</strong> beschlagenen<br />
Fenster. In Sarikei spukt <strong>die</strong> Rakete Motorräder, Stahlseile,<br />
Gasflaschen und Passagiere aus. Das schafft Platz neben dem Gepäck,<br />
wo uns der Fahrtwind packt, <strong>die</strong> Kapp erträgt selbst <strong>die</strong>sen<br />
Wirbelwind, gelegentlich durchsetzt von hart peitschenden<br />
Regentropfen, aber es ist wenigstens angenehm warm hier oben,<br />
wenn auch nicht so bequem.<br />
Die Holz verarbeitenden Betriebe sind unzählig, <strong>die</strong> Containerschiffe<br />
transportieren <strong>die</strong> schwere Baumlast, ebenso werden<br />
<strong>die</strong> Stämme flussabwärts gezogen. So mancher Stamm verliert<br />
sich im Getriebe – und gibt unserem Käpt‘n Gelegenheit, das Boot<br />
schnell mal in <strong>die</strong> Kurve zu legen – bei gleich bleibendem Gas.<br />
Nur einmal auf der nahezu 240 km langen Strecke rudert er zurück,<br />
ein paar Äste haben sich in den Schrauben der Dieselmotoren<br />
verfangen – und schnell schäumt es wieder weiss in den<br />
braun-gelben Fluten des grossen Flusses. 1330 schliessslich <strong>die</strong><br />
Pagode und Hochhäuser von Sibu, <strong>die</strong> Schwanenstadt („aus jedem<br />
hässlichen Entlein...“). So hofft auch Sibu, allenfalls quantitativ<br />
als zweitgrösste Stadt in Sarawak, aber qualitativ ohne Erfolg.<br />
31
Chinesisch gefärbt entwickelt <strong>die</strong> Stadt k<strong>eine</strong>n Flair, alles Leben<br />
spielt sich am und im Fluss ab. „Li Hua“, am Stadtpark neben dem<br />
Fluss, gibt mir für 75 RM ein Zimmer für <strong>die</strong> Nacht und <strong>eine</strong>n Tee<br />
zur Begrüssung. Sauber mit Marmorböden ist das jenes Quartier,<br />
das ausreichend Komfort für <strong>eine</strong> Nacht bietet.<br />
Als der Regen aufhört, springe ich mit den mutigsten Spaziergängern<br />
durch all <strong>die</strong> noch nicht abgelaufenen Wasserlachen.<br />
Tristesse fällt mich an; der Hafen liegt still, <strong>die</strong> ersten Stände für<br />
den Nachtmarkt werden errichtet. Nachts fällt es mir schwer zu<br />
laufen, nicht so sehr wegen der ungeduldigen Autofahrer, <strong>die</strong><br />
dich schwerlich erkennen können, sondern wegen der schwierigen<br />
Fusswege mit offenen Abflusslöchern, betonierten Schrägen<br />
und Treppen, <strong>die</strong> ständige Aufmerksamkeit fordern. So bleibt <strong>die</strong><br />
Versuchung der tausend chinesischen „Cafés“ unerfüllt, ich strebe<br />
zum „Golden Happiness“, <strong>eine</strong>m Restaurant, in dem ich kurz<br />
vor 1900 der erste Gast bin - was zur Folge hat, dass <strong>eine</strong>r der<br />
Familientische, der eben noch mit 12 Gedecken eingedeckt war,<br />
wieder bis auf ein Gedeck abgedeckt wird. Das ist noch der einfachste<br />
Teil, denn mein Gegenüber versteht weder englisch, noch<br />
Bahasa, sie reicht mir <strong>eine</strong> in chinesisch abgefasste Speisekarte.<br />
Als ich um teh hijauh „grüner Tee“ bitte, grosse Augen, dann ...<br />
ein Glas warmes Wasser. Gottseidank, kurz vorher habe ich mir<br />
grünen Tee in <strong>eine</strong>r Dose gekauft, also wird <strong>eine</strong> Dose grüner Tee<br />
aufgemacht – war das nicht mal Kult in Asien, Tee zu brauen? Ich<br />
stottere mir ein bisschen Miding – das Farngemüse von gestern,<br />
jetzt mit <strong>eine</strong>r Sojapaste – und „udang-udang“ zurecht, das sind<br />
an sich Shrimps, <strong>die</strong> ich gerne mit <strong>eine</strong>m Mie Goreng „gebratenen<br />
Nudeln“ serviert bekommen hätte. Derweil füllt sich das Lokal<br />
rund um mich herum mit Familien und zur Geburtstagsfeier<br />
– und ich allein an <strong>eine</strong>m Tisch, an dem gut 10 – 12 Menschen Platz<br />
finden.<br />
Nimm‘s leicht, Junge. Zumindest <strong>die</strong> Bestellung von grünem<br />
Tee hat ja schon mal geklappt, als nächstes rauschen gebrannte<br />
kacang - „Erdnüsse“ - heran und <strong>die</strong> obligaten Chilischoten „Piri-<br />
Piri“, <strong>die</strong> <strong>eine</strong>m das Maul schon beim Ansehen verbrennen. Hilf-<br />
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los beide Seiten, <strong>die</strong> Mädchen freuen sich, wenn sie mit immer<br />
tolleren Schöpfungen der Küche an mir zu den anderen Tischen<br />
eilen, wo Dutzende von Zungen sich stehend an den Speisen auf<br />
dem rotierenden Rundbrett laben. Wie von Geisterhand steht<br />
plötzlich der kurz gebratene Farn vor mir, wer sagt ‚s denn, heute<br />
werde ich noch satt. Als ich beginne, mit den Stäbchen im Gemüse<br />
zu stochern, fahren <strong>die</strong> Mädchen weissen Reis in der Schüssel<br />
auf, ich hatte doch Nudeln bestellt, auch noch gebraten. Und<br />
dann geht das Licht aus - von links schleicht sich ein fantastisch<br />
aufbereiteter und mit Käse überbackener Hummerschwanz an<br />
m<strong>eine</strong> Stäbchen, wie soll ich das denn schaffen, den weiss-gelben<br />
Proteinschock aus der Schale zu lösen, Hummerbesteck gibt es<br />
hier bestimmt auch nicht. Also zücke ich m<strong>eine</strong>n „Spork“, <strong>eine</strong>n<br />
Titanlöffel mit Gabelzacken – und schon hat der Hummer nichts<br />
mehr zu lachen. Nun sieht das Ganze ohne Reis wirklich dämlich<br />
aus, also bringt <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung in ihrer Not nochmal <strong>eine</strong>n<br />
Teller weissen Reis, aber ich hatte doch Nudeln … ich bringe es<br />
nicht mehr über <strong>die</strong> Lippen, <strong>die</strong> sich an den Hummer, den Farn,<br />
<strong>die</strong> Nüsse und <strong>die</strong> Chilischote halten. Lecker „makanan sedap“ -<br />
hauche ich in der Gewissheit, nicht verstanden zu werden und<br />
bereite m<strong>eine</strong>n Abgang aus <strong>die</strong>sem köstlichen Allerlei vor. Aber<br />
m<strong>eine</strong> Be<strong>die</strong>nung lässt nicht locker, sie bringt noch mal <strong>eine</strong>n Teller,<br />
ordnet <strong>die</strong> Stäbchen, räumt den abgegessenen Rest weg – und<br />
lässt mich in aller Ungewissheit warten. Und dann – ich wage es<br />
nicht zu glauben – treten m<strong>eine</strong> gebratenen Nudeln in dem Gasthaus<br />
auf, tolle Sosse, dazu <strong>eine</strong> Mischung aller Zutaten, Schwein,<br />
Rind, Shrimps. Wer „Udang“ so possierlich sagt wie ich, meint<br />
wohl immer Hummer, Shrimps kommen offensichtlich von selbst<br />
aus dem Schlamm des grossen Flusses. Und dann auch noch ein<br />
warmes Handtuch, damit auch der vergossene Schweiss im „Goldenen<br />
Glück“ zurück bleibt. 39,70 RM haben <strong>die</strong> Damen für das<br />
opulente Essen berechnet, wer hat schon solches „Glück“ für weniger<br />
als 10 Euro?<br />
33
Gefestigt gehe ich aus <strong>die</strong>sem Essenskulturellen Kampf hervor,<br />
ein anekdotenhaftes Erlebnis über <strong>die</strong> Sprachlosigkeit der<br />
vielen Sprachen, beim Turmbau zu Babel muss es verständlicher<br />
zuge-gangen sein. Kein Wunder, dass ich schlecht träume…<br />
Im Langhaus der Dayaks<br />
M o n t a g, 19.07.2010<br />
In den hintersten Stuben von Sibu gibt es Internet, Li Hua lässt<br />
sich nicht lumpen – und alles andere als Kreditkartenzahlung<br />
wäre ein Irrtum. 0700 Uhr ist m<strong>eine</strong> <strong>Zeit</strong>, ein paar Reiskörner<br />
mit <strong>eine</strong>m Nasi Campur „gemischtem weissen Reis“ für 5 RM,<br />
da ist der Tee doch gleich mit drin. 0815 stehe ich am Schalter<br />
des Ekspres Boots nach Kapit – 4 Stunden in <strong>eine</strong>m getunnelten<br />
Raum, dessen Türflügel sich nur bei der Landung in Song und Kapit<br />
öffnen – dazwischen feixt Leonardo di Caprio mit Kate Winslet<br />
auf der „Titanic“ im Video. Die Hölzer rumsen heftig an <strong>die</strong> Bordwand,<br />
manchmal scheint k<strong>eine</strong> Furt mehr offen zwischen den<br />
zahlreichen Abfällen der Abholzung, <strong>die</strong> nirgendwo verwertet<br />
werden – ich male mir m<strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> 11m Friendship aus, was <strong>die</strong>se<br />
Plastikschachtel wohl über <strong>die</strong> Begrüssung durch <strong>eine</strong>n solchen<br />
Baumstamm sagen würde. Mehr Assoziationen spielen sich ein:<br />
„Apokalypse now“, Francis Ford Coppolas Streifen mit dem wahnsinnigen<br />
Marlon Brando im Urwald passt gut zu <strong>die</strong>ser Szenerie<br />
– mein Ich auf dem Wege zum Wahnsinn. Bevor das ausartet,<br />
werden ein paar Passagiere am nächsten Langhaus ausgetauscht.<br />
Die Orang Ulu, <strong>die</strong> flussaufwärts lebenden Dayaks; kommen mit<br />
ihren Wohnsiedlungen jetzt näher an den Fluss. Kapit erreichen<br />
wir nach 146 km um 12 30. Es ist wolkig, aber kein Regen in Sicht.<br />
Ein paar Schritte von der Werft 1 wartet das „New Rejang Inn“ auf<br />
mich, freundlich <strong>die</strong> Chinesen, sauber <strong>die</strong> gefliessten Zimmer und<br />
Bäder 60 RM. Ein erster Spaziergang rund um den Markt, wo <strong>die</strong><br />
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Fische <strong>die</strong> Bretter biegen, Katzenfische japsen nach Luft, erstmals<br />
sehe ich <strong>eine</strong> aufgeschlitzte Pythonschlange als Essensangebot.<br />
Yams und Sago liegen bereit, Durian schwängert <strong>die</strong> Luft. Eine<br />
freundliche Pharmazeutin, <strong>die</strong> alles – einschliesslich englisch –<br />
sich selbst beigebracht hat, vermacht mir ein wirksames Moskitospray.<br />
Der malayische Nasi Campur bleibt nahezu unberührt,<br />
einzig der süsse Tee schmeckt.<br />
Ein Nappie in der Mittagshitze schliesst sich der Dusche an.<br />
„HBO“ per Satellit mit „Illuminati“ - Tom Hanks hat k<strong>eine</strong> starke<br />
Rolle mehr nach „Forrest Gump“. Zum Internet finde ich <strong>eine</strong>n<br />
freien drahtlosen Zugang. Das belebt <strong>die</strong> Planung in Belaga, 155 km<br />
mit Stromschnellen „Pelagus Rapids“ und lebendige Langhäusern<br />
der Kenyan, Kayan und Penan, <strong>die</strong> ich morgen besuchen möchte,<br />
vielleicht mit Übernachtung, dazu <strong>die</strong> Bewertungen, <strong>die</strong> auch alle<br />
über Internet laufen. Dazu benötige ich noch <strong>eine</strong> Erlaubnis, um<br />
in <strong>die</strong> Region als Ausländer einfahren zu dürfen. Das Permis gibt<br />
es im Pejabat Am Residen bei der Staatsregierung, aber <strong>die</strong> Tore<br />
sind verschlossen, also rein zu den nationalen Beamten im nächsten<br />
Komplex – ja der Tuan Residen ist im April in ein neues Haus<br />
an der Jalan Airport gezogen. Ich wandere den ersten Teil, als es<br />
dann zu heiss und zu steil wird, halte ich den Daumen hoch, der<br />
Residen hat nur bis 1700 Uhr auf. Und eigentlich wollte ich noch<br />
zu <strong>eine</strong>m Langhaus der Iban 9 km von Kapit entfernt. Ein Minibus<br />
erbarmt sich m<strong>eine</strong>r, will 4 RM, ich gebe drei aus der Kleingeldkiste,<br />
er ist es auch zufrieden. 9. Stock, Erfrischungswasser,<br />
schriftlicher Antrag, Pass – <strong>die</strong> Erlaubnis ist im Handumdreh‘n<br />
erteilt – und wie gut, dass niemand weiss, dass ich....auch mit<br />
Permis <strong>gegen</strong> den Dammbau am Batang Bakun protestieren kann.<br />
Vor der Tür des Wisma Residen fängt mich geschickt Mehtil,<br />
der 63 Jährige pensionierte Polizist ab, der 33 Jahre bis zu s<strong>eine</strong>m<br />
53. Lebensjahr <strong>eine</strong>r geheimen Einheit in Kuching <strong>die</strong>nte, will<br />
mich für 2 RM nach Hause bringen. Als ich ihm dann vorschlage,<br />
ihm für <strong>die</strong> nächsten beiden Stunden 50 RM zu zahlen, wenn<br />
er mich im Langhaus Rumah Buntoh einführt, willigt er ein – er<br />
muss 408 RM für sein Auto monatlich abzahlen, <strong>eine</strong> Lizenz für<br />
35
Taxi oder Fremdenführer hat er nicht, dafür genug „Freunde“.<br />
Der Tuan Rumai ist natürlich sein Freund, ein anderer Freund erhält<br />
5 RM für 1,5 l Benzin.<br />
Die Strasse zum Langhaus wird nicht konserviert, abgebrochener<br />
Asfalt allenthalben, <strong>die</strong> Wassermassen spülen <strong>die</strong> Löcher,<br />
4 km dirt road, wir brauchen 30 Minuten für 9 km. „Selamat Datang<br />
ke Nanga Sababei“ heisst es dann für <strong>die</strong> Touristen, <strong>die</strong> hier<br />
auch Unterkunft für 40 RM finden – und sich dann umtun können.<br />
Ich bin allein mit m<strong>eine</strong>m Freund Mehtil, der wiederum hat<br />
<strong>eine</strong>n Freund, der ist Familienvorsteher im Langhaus, der wiederum<br />
ist nicht zu Hause – also gehen wir über <strong>die</strong> Hängebrücke,<br />
über <strong>die</strong> Holztreppe zu dem Brettergang, der zwischen beiden<br />
Langhäusern nicht eben trittfest erscheint für 120 kg. Der Blick<br />
auf <strong>die</strong> Veranda wird nun lebendiger – hier spielen Kinder, dort<br />
webt <strong>eine</strong> Frau im Kain gerade <strong>eine</strong>n Ikatstoff. Auf der Terrasse<br />
lausen drei Mütter ihre Kinder, während ein Rauchstäbchen <strong>die</strong><br />
Mücken fernhalten soll.<br />
Männersport – natürlich Hahnenkampf. Ich zähle 5 Hähne und<br />
drei Männer, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Muskeln ihrer Hähne massieren, ihn kurz<br />
zum Gegner führen, dann wieder zurücknehmen, an <strong>die</strong> L<strong>eine</strong><br />
legen – und schliesslich doch noch das Training auf <strong>eine</strong>n Kampf<br />
auslegen, der mit spitzem Schnabel geführt wird. Am Sonntag<br />
wird gewettet, dann bewaffnen sich <strong>die</strong> streitenden Hähne mit <strong>eine</strong>r<br />
etwa 7 cm langen und scharfen Klinge, <strong>die</strong> an <strong>eine</strong>n Fuss nach<br />
hinten gebunden wird. Alltag im Langhaus, <strong>die</strong> Kinder schauen<br />
zu. Auf dem Rückweg treffen wir dann doch den 57 Jährigen Tuan,<br />
der <strong>die</strong>ses Wahlamt seit 17 Jahren bis an sein Lebensende ausüben<br />
kann, ein würdiger Mann mit <strong>eine</strong>r riesigen Mongolenfalte. Fotografieren<br />
spare ich mir, denn ich bin ja der Freund s<strong>eine</strong>s Freundes<br />
– und kein Tourist. So tauschen wir uns auch aus, über <strong>die</strong><br />
Iban Stammestraditionen nach Ende der Kopfjagd, von den verschiedenen<br />
Jahreszeiten in Deutschland und den unterschiedlichen<br />
Hausbauten, der Hitze im Sommer und der Kälte im Winter.<br />
Er lädt uns noch zu <strong>eine</strong>m Glas Saft und für den Gast <strong>eine</strong>n<br />
Tuak-Reiswein ein. Als er ermüdet, kommt sein Vater mit hinzu,<br />
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noch voller Tattoos, <strong>die</strong> Frauen zeigen k<strong>eine</strong> Scheu, aber sie sind<br />
ja nun auch alle protestantisch-methodistisch erzogen. Und der<br />
Reverend kommt einmal <strong>die</strong> Woche für <strong>eine</strong> Messe ins Haus. Nach<br />
<strong>eine</strong>r Stunde ist <strong>die</strong> Gastlichkeit vorbei – mein selbst ernannter<br />
Führer meint, sie sei auch noch mit 40 Dollar zu bezahlen – im<br />
<strong>Reise</strong>führer wird vor der Abzocke gewarnt. Es muss ja Touristen<br />
geben, <strong>die</strong> zahlen. Kurz vor der täglichen Regenschauer setzt er<br />
mich am New Rejang Inn ab – ein dichter Tag.<br />
Ursprünglich nur ein „Seitensprung“ entwickelt sich <strong>die</strong> Fahrt<br />
auf dem Fluss als ein kl<strong>eine</strong>s Abenteuer. Heute sehe ich k<strong>eine</strong>n<br />
Touristen im Ort. Die Gegend wird einsamer, <strong>die</strong> Verhältnisse<br />
überschaubarer. Levi-Strauss‘ kluge Schrift lehrt mich, <strong>die</strong> Tradition<br />
mit m<strong>eine</strong>r Wahrnehmung zu verorten. So gelangen Langhäuser<br />
und ihr Kult in <strong>die</strong> jetzige <strong>Zeit</strong>, ohne an Anspruch zu verlieren.<br />
<strong>Reise</strong> ins Nichts<br />
D i e n s t a g, 20.07.2010<br />
Es ist <strong>eine</strong> <strong>Reise</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>. Die Tropen, das sind nicht<br />
nur ein paar Kolonialhäuser und andersartige Völker und Sitten,<br />
<strong>die</strong> Tropen, das ist dort, wo <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> innehält, wo du d<strong>eine</strong>n<br />
Atem spürst, weil es langsam in dir, an dir arbeitet. Levi-Strauss<br />
beschreibt <strong>eine</strong> gewisse Tristesse im Umgang mit <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>, sie<br />
lässt dich häufig mit dir allein, weil rein gar nichts passiert, was<br />
dich ablenken könnte. Ein Gefühl, in dem dir <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> abhanden<br />
kommt. Es ist auch <strong>eine</strong> <strong>Reise</strong> in neue Räume – <strong>die</strong> Dimensionen<br />
wandeln sich, wann bin ich schon mal drei Tage hintereinander in<br />
der gleichen Landschaft flussaufwärts gefahren, immer den Regenwald<br />
zu beiden Seiten, der sich zur Tränke in den Fluss neigt.<br />
Du spürst <strong>die</strong> Würde <strong>die</strong>ser Natur und ergibst dich.<br />
Um 0430 schon habe ich ausgeschlafen, lausche durch das offene<br />
Fenster – <strong>die</strong> Luftkühlung habe ich über Nacht ausgeschal-<br />
37
tet – den Geräuschen des erwachenden Morgen, der sich hinter<br />
klatschigem Regen versteckt. Ein paar Mails durch den Äter um<br />
<strong>die</strong> Welt, dann werde ich um 0600 wieder müde, möchte verschlafen,<br />
treibe mich alsdann um 0700 mit ein paar freundlichen<br />
Worten und gymnastischen Übungen wieder hoch: Der dritte Tag<br />
<strong>gegen</strong> den Strom. Ein paar süsse Backwaren, ein Bündel Bananen<br />
für 1 RM, 2 Flaschen Wasser je 1 RM, alsdann bin ich reisefertig.<br />
Mein chinesischer Koch von nebenan freut sich, als ich bei ihm<br />
<strong>eine</strong> feurige Lhaksa bestelle und ist neugierig nach Deutschland<br />
und dem Krieg. „Albert“ ruft es plötzlich von der anderen Seite<br />
der Strasse – kann ich denn nirgends unerkannt verweilen - Klaus<br />
Lennartz am Bryce Canyon 1987, Winfried Schoeller an Kings<br />
Road in Sydney 198 8, Norbert Burger auf der Weltausstellung in<br />
Brisbane 198 8 kommen mir in den Sinn – es ist Mehtil, der mich<br />
im Eckcafe <strong>gegen</strong>über m<strong>eine</strong>m Hotel abgepasst hat, um mir s<strong>eine</strong><br />
Frau vorzustellen und mich zu <strong>eine</strong>m zweiten Frühstück mit Hühnerreis<br />
im Bambusblatt einzuladen. Ich merke Ihnen <strong>die</strong> Freude<br />
an – mit 50 Dollar bin ich ja nun wirklich „sein Freund“.<br />
Ich weigere mich mit Schirm zu bewaffnen, klatschnass ersch<strong>eine</strong><br />
ich an Werft 2, an der 6 oder7 Boote zum Holzfällercamp<br />
Putai warten, aber k<strong>eine</strong>s nach Belaga. Andere Passagiere warten<br />
offenichtlich auch – das wird wohl dann das Boot sein, das<br />
Sibu morgens früh um 0530 verlässt und Kapit nach 4 Stunden<br />
erreicht. Pünktlich macht es um 0930 am äussersten Rand fest,<br />
wir übersteigen mit Gepäck <strong>die</strong> Boote. Im Strom der Eiskühlung<br />
merke ich, wie mich friert. T-Shirt aus, ein frisches Hemd war<br />
vorgesorgt. 6 Stunden flussaufwärts sagt der <strong>Reise</strong>führer - für 35<br />
RM, aber der kennt m<strong>eine</strong>n verwegenen Fahrer nicht, der <strong>gegen</strong><br />
1020 <strong>die</strong> Pelagusschnellen in teuflischem Tempo durchkreuzt,<br />
halbe Meter hohe Wellen, Ed<strong>die</strong>s, Strudel mit Tiefen von 50, 60<br />
cm wechseln in rascher Folge: Endlich ein Boot, dass <strong>die</strong> Flügel<br />
offenlässt, so dass ein paar Mutige sich aussenbords an der Handreling<br />
festmachen, um das Schauspiel der schnellen Wasser live<br />
zu erleben.<br />
38
Ein bisschen duseln, ein wenig den Wind über Kapp und Kopf<br />
fahren lassen, den ersten Sonnenschein über den gelben Wassern<br />
geniessen, aufmerksam <strong>die</strong> Landekunst bewundern, mit der das<br />
Boot in den Sand sticht, sich über <strong>die</strong> Lehmkante erhebt, Passagiere<br />
und Pakete aus- und einlässt, mit starken Motoren sich rückwärts<br />
aus der Sandbank zieht – und wieder <strong>Reise</strong>geschwindigkeit<br />
aufnimmt. So passieren wir Dutzende von Langhäusern, <strong>die</strong> sich<br />
dem Fluss zuordnen, und ihr Stück Land für den Ackerbau gerodet<br />
haben, den <strong>die</strong> einzelnen Familien für sich beackern, nicht im<br />
oder fürs Kollektiv. Die Salatschüsseln und Han<strong>die</strong>s haben auch<br />
hier <strong>die</strong> Neuzeit und <strong>die</strong> Filosofie des Privateigentums sichtbar<br />
werden lassen. Eine lange Fahrt <strong>gegen</strong> Strom und <strong>Zeit</strong>.<br />
Schon um 1400 legt das Boot in Belaga an, <strong>die</strong> Treppe weist<br />
den Weg, <strong>eine</strong> Strasse , ein Markt, ein Spielplatz, ein Cafe reiht<br />
sich an das andere, dazwischen „Handlungen“ mit allem, was<br />
käuflich ist. Zwei Schritte weiter wartet im Belaga Hotel <strong>eine</strong><br />
75-Jährige Chinesin „room?“ ist ihre Aufmerksamkeit. Kommentarlos<br />
händigt sie mir Zimmerschlüssel 105 aus. Ich schau‘s mir<br />
lieber vorher an – aber was kann ich in <strong>eine</strong>m verlorenen Dorf<br />
erwarten: Bett, Tisch, Schemel, Haken, Bad, Spiegel, Fernsehen<br />
mit milchigen Bildern, Handtuch, Seife – das ist es für 30 RM <strong>die</strong><br />
Nacht. Duschen, Kleider wechseln und waschen, kl<strong>eine</strong> Siesta. Ab<br />
1500 spaziere ich zweimal um den Block, nichts ausser Cafes und<br />
Geschäften – und herrenlose Hunde: Wer schreibt endlich mal <strong>die</strong><br />
Hundegeschichten auf, wenn sie dich anbellen, den Schwanz einziehen,<br />
dich beriechen, belecken und kuschen, wenn du sie scharf<br />
anschaust – <strong>die</strong>se Burschen sind doch alle Aids gefährdet.<br />
Mein Weg führt mich zur Anlegestelle zurück, <strong>eine</strong> Bank wartet,<br />
ein grüner gekühlter Tee schmeckt mir zu süss, kein Guide<br />
weit und breit, auf dem Fluss fahren Schnellboote mit ein, zwei<br />
Mann Besatzung. Ich wollte morgen doch noch zwei, drei Langhäusern<br />
der Kenyan und Kayan besuchen. Für übermorgen reserviere<br />
ich den Landrover nach Bintulu. Mit der Dunkelheit gehen<br />
hier <strong>die</strong> Gitter runter, mühsam finde ich um 19 30 noch ein<br />
39
Abendsüppchen, ein Tee mit m<strong>eine</strong>n alten Gastgebern, schön mühen<br />
sie sich um ein Boot, das mich und zwei holländische Studenten<br />
zu den Langhäusern bringen soll, 100 RM habe ich eingeplant,<br />
samt Eintritt – <strong>die</strong> Gastfreundlichkeit hat bekanntlich Grenzen,<br />
wie wir seit gestern wissen, aber hier bin ich wenigstens vorher<br />
gefragt worden.<br />
Wohlig eingebettet in <strong>eine</strong>n zeitlosen Ort finde ich Ruhe.<br />
Der Hahn ist tot...<br />
M i t t w o c h, 21. Juli 2010<br />
0435 erster Hahnenschrei....<br />
0455 zweiter Hahnenschrei....<br />
0510 drei Hähne kikerikien....<br />
0515 ein Hund bellt...<br />
0516 viele Hunde jaulen....<br />
0521 alle Hähne krähen, alle Hunde jaulen...<br />
0530 stay cool, baby, cool....<br />
0830 nasi putih, dua telur, te susu....das Frühstück überwältigt<br />
nicht gerade, ist liebevoll gemeint. Schlechte Nachrichten,<br />
<strong>die</strong> Holländer sind schon heute früh abgereist.<br />
0900 warten....<br />
1000 warten....<br />
1100 warten.... hmm,<br />
1200 warten … eigentlich bin ich hungrig, Lai Ong Cafe und<br />
Foodcourt macht mir ein Süppchen...<br />
1300 warten..... ein Seite der „tristen Tropen“ habe ich jetzt doppelt<br />
gelesen...<br />
1400 warten … ob Hamsiddi, den alle Ham nennen, denn noch<br />
kommt.... bleib cool, Junge<br />
1500 na.... warte, warte noch ein Weilchen, dann kommt....<br />
1510 das Boot von Kapit hat angelegt, zwei Pärchen steigen im Belaga<br />
Hotel ab, wie auf Kommando ist auch Ham da.<br />
40
Ham ist Guide, spricht gut englisch und zeigt sich aufmerksam.<br />
Er hat ein Boot und <strong>eine</strong>n guten Riecher, seit 1981 fährt er<br />
Touristen den Barang Rajang hinauf zu den Langhäusern Rumah<br />
Aging und Kemanjah Neh. 160 RM will er für s<strong>eine</strong> Tour, ich biete<br />
100, wenn er mich all<strong>eine</strong> fährt, Mat und Sarah wollen mit, also<br />
165 RM für zwei Langhäuser, einmal Stromschnellen und <strong>eine</strong>n<br />
Wasserfall – 3 Stunden, das macht für ihn 65 RM mehr, für mich<br />
45 bugs weniger. Wir sind uns einig, verteilen <strong>die</strong> drei Gewichte<br />
im schmalen Holzboot, Ham steuert stehend, um den Hölzern<br />
rechtzeitig auszuweichen Zwanzig Minuten durch anmutige Stille<br />
inmitten der Dschungel, wenn nicht <strong>die</strong>ser hohe Pfeifton auf<br />
dem Motor läge. Er gibt das erste Langhaus als sein Stammhaus<br />
der Kayan aus. Kinder springen auf der Veranda um uns herum,<br />
um ihre Bleistifte und Kaugummis abzuholen, Luther gibt sich<br />
als Touristikmanager – und soll doch nur das Eintrittsgeld von 10<br />
RM kassieren – nach dem Tee, anregende Gespräche mit dem Chef<br />
über s<strong>eine</strong> Hausgewalt. Frauen fingern Plastikhütchen über Nadel<br />
und Zwirn, schaffen perlende Kunstwerke, ein Kayan fertigt<br />
<strong>eine</strong>n Ersatz für ein gebrochenes Paddel. In zwei Wochen tragen<br />
<strong>die</strong> Langhäuser <strong>eine</strong>n Paddelwettstreit mit ihren Langbooten aus<br />
über 4 Kilometer, dafür wird jetzt geübt, ein Frauenboot mit 12,<br />
ein Männerboot mit 15 Mann Besatzung, <strong>die</strong> sich in Rytmus peitschen.<br />
Ham begleitet <strong>die</strong> beiden Boote in gehöriger Distanz flussaufwärts.<br />
Wir geniessen das Schauspiel, nehmen winkend Abschied<br />
von der freundlichen Truppe, fahren noch ein wenig weiter<br />
zum Friedhof, wo <strong>die</strong> Leichen in Särgen in Baumhäusern ausgesetzt<br />
werden. Unterwegs <strong>die</strong> Rodungen, auf denen Trockenreis<br />
gepflanzt und geerntet werden. Als der Boden nichts mehr<br />
hergibt, wird ein neues Feld am Hang brandgerodet, nun greift<br />
der Urwald nach den verlassenen Feldern. Die Sonne zeigt sich<br />
inmitten der Gewitterwolken, Regenbogen malen sich zwischen<br />
Himmel und Erde. Wir fahren schweigend. Abbiegung in <strong>eine</strong>n<br />
Seitenarm, zwanzig Minuten Fahrt zu den Stromschnellen, <strong>die</strong><br />
zwei, drei Meter Höhe überwinden, bei <strong>die</strong>sem Wasser bleiben<br />
41
<strong>die</strong> Rapids unpassierbar, wir drehen ab, der Fahrtwind kühlt, das<br />
Sitzen auf dem Boden wird unvorteilhaft, <strong>die</strong> B<strong>eine</strong> schlafen ein.<br />
Die Sonne wirft ihren Mantel um, gibt den Wellen um unser Boot<br />
<strong>eine</strong>n abendlichen Glanz – es geht auf 1900 Uhr, „terrific, great“<br />
- Mat und Sarah überschlagen sich angesichts der überraschenden<br />
Soirée. Wunderbar – am Ende der Welt angekommen. Bakun<br />
ist „prohibited area“ - wer sagt das denn, <strong>die</strong> Regierung verbietet<br />
viel: an der Pier liegt ein Expressboot, das Bakun als Ziel angibt.<br />
Nichts wird offensichtlich so heiss gegessen wie es … gesagt wird.<br />
A<strong>die</strong>u, du ruchlose Welt voller Verbote, <strong>die</strong> darauf warten umgangen<br />
zu werden: Bintulu oder Miri, das ist hier <strong>die</strong> Seins-Frage,<br />
an der kein Shakespeare vorbeikommt. Ich entscheide morgen.<br />
Rodungsstrassen<br />
D o n n e r s t a g, 22.07.2010<br />
0302 erster Hahnschrei<br />
0337 zweiter.... na das hatten wir schon..<br />
0349 <strong>eine</strong> Katze kreischt im Liebestaumel<br />
0357 … Hahnenkrampf, dem Vernehmen verirrter Experten<br />
nach ist in Belaga der vielstimmige Chor erfunden und getextet<br />
worden: Der Hahn ist tot... Le coque est mort... the<br />
cock is dead....<br />
0730 Der Landcruiser wartet wie 2 Franzosen, 1 Engländer, 1<br />
Australierin, 1 Deutscher, 2 Malayen. Nach dem Regen der Nacht<br />
erwarten wir <strong>eine</strong> schlüpfrige Fahrt über „Logger Roads“, jene<br />
Strassen, auf denen <strong>die</strong> Hölzer von starken Lastern abtransportiert<br />
werden. Urwald auf den ersten Minuten, dann werden <strong>die</strong><br />
Verletzungen sichtbar, kahl <strong>die</strong> gerodeten Flächen, dann wieder<br />
aufgeforstet mit Ölpalmen, es schmerzt. Unser Fahrer fährt <strong>die</strong>se<br />
Strecke nach Bintulu schon seit sieben Jahren, hat Weib und Kind<br />
und ist in <strong>die</strong> Chinesenfamilie integriert, bei der wir gewohnt ha-<br />
42
en. Kawan, Freunde – er grüsst sie alle, <strong>die</strong> ent<strong>gegen</strong>kommenden<br />
Fahrzeuge, <strong>die</strong> Menschen in den Langhäusern, <strong>die</strong> Arbeiter<br />
am Wegesrand. Er ist ein aufmerksamer und vorsichtiger Fahrer,<br />
von s<strong>eine</strong>m Neffen lässt er sich überholen – er hat <strong>die</strong> kostbarere<br />
Fracht. Steil mutet es an in manchen Passagen, ich schätze an <strong>die</strong><br />
25 % Steigung oder Gefälle, manchmal kann ich über <strong>die</strong> Haube<br />
den Abgang nicht erkennen. Zweieinhalb Stunden – und doch<br />
hatte ich es mir schwieriger vorgestellt, obwohl ich selbst mit <strong>eine</strong>m<br />
Allrad <strong>die</strong>se Strecke nicht hätte fahren mögen, furten, kanten,<br />
quer stehen. Der Schlagbaum an der Einfahrt zur asfaltierten<br />
Hauptstrasse nach Bakun ist besetzt, Eintragungen werden vorgenommen,<br />
dann geht <strong>die</strong> Post ab – um 1100 erreichen wir <strong>die</strong><br />
Abzweigung nach Miri – ein schnelles Danke für 50 RM.<br />
1400 156 km Busfahrt für 15 RM liegen hinter uns 5 <strong>Reise</strong>nden.<br />
In Miri teilen sich <strong>die</strong> Interessen, das französische Pärchen<br />
nach Kota Kinabalu. Die Australobriten nach Brunei, ich nach KL,<br />
d.h. zum Fluplatz – Air Asia lässt mich mit Billigflug hängen: 661<br />
RM + 150 RM Gepäck – 30 RM für 15 kg Grundgepäck, 120 RM für<br />
8 kg Übergepäck... bleib gelassen, mein Junge. Und dennoch, mit<br />
der Abzocke beginnt ein anderer Rytmus, <strong>eine</strong> andere Wahrnehmung.<br />
In KL landen wir 40 Minuten verspätet um 2030, nicht am<br />
KLIA, dem internationalen Airport, sondern am Gepäckterminal<br />
LCCT, Meilen vom KLIA entfernt. Die Automiete heute abend<br />
habe ich abgeschrieben. Übernachtung – 1,5 Stunden Fahrt bis<br />
zum Centralbahnhof, 0,5 Stunden bis zum „Citrus“ - m<strong>eine</strong>m bekannten<br />
Stadthotel, morgen wieder zurück zum Flughafen, wenn<br />
kein Stadtbüro vorhanden ist. Das ist zuviel Aufwand. Tune.<br />
com-Hotels bieten sich für 9.99 RM an, 1 RM Shuttle Bus für 2 Minuten<br />
Fahrt. „Fully Booked“ - natürlich, für all <strong>die</strong> Transitgäste<br />
ist das ein aussergewöhnliches Angebot. Also zurück zum LCCT<br />
– warten auf den Shuttle zum KLIA – es ist 2130. Nach 20 Minuten<br />
der passende Shuttlebus. Er wirft mich auf Nachfrage beim<br />
„Concorde Inn“ aus, d.h. ich laufe über <strong>die</strong> Autobahn bis zur Einfahrt<br />
Concorde Inn und passiere den Pförtner mit <strong>eine</strong>m nächt-<br />
43
lich verquälten Gruss. Das Gepäck wird mir schwer. Mein Hirn<br />
arbeitet langsamer. Es immunisiert sich auf <strong>die</strong>se Weise <strong>gegen</strong> <strong>die</strong><br />
schlechten Nachrichten „ No room available“, na klar, ist doch der<br />
Wurm heute drin.<br />
Aber jetzt kommt <strong>die</strong> Geschichte mit dem „good friend“. Hier<br />
haben doch alle „gute Freunde“: Ein Bellboy bietet an: Mein<br />
Freund – 150 RM für Transport und Übernachtung und Rücktransport<br />
am Morgen zum Flughafen, na, das ist doch ein Wort, ich bin<br />
zu müde, um über Alternativen nachzudenken - das Zimmer hat<br />
weder Fenster, noch Dusche, aber AC. Es ist 2 330. Ich gönne mir<br />
ein Bier auf <strong>die</strong>sen tristen Tag.– ein teurer Tag, ich lösche das Licht<br />
über ihm. Morgen wieder.<br />
44
45Kuching
Dayak Kopfjäger 46 Trophäen
Kapitel 3<br />
Malaysia<br />
47
Ein paar fröhliche Malaiinnengesichter, verpackt unter Kopftüchern,<br />
strahlen mich an – ich habe wirklich den 200.000-km<br />
„Waja“ aus der malayischen Proton-Produktion von Mitsubishi<br />
gemietet - ohne Hupe, mit defekten Sitzen, <strong>die</strong> Elektrik der<br />
Fensterheber funktioniert nicht, der Druckknopf des Automatikschalthebels<br />
springt selbständig raus, <strong>die</strong> Aussenspiegel lassen<br />
sich nicht bewegen, aber er hat <strong>eine</strong>n Motor, und der läuft schon<br />
<strong>die</strong> ganze Weile, das tröstet mich, denn <strong>die</strong> beschriebenen Fehler<br />
lernst du ja immer erst auf der <strong>Reise</strong> kennen – so auch hier, aber<br />
wer Abenteuer sucht, wird sie finden, immerhin stimmt der Preis:<br />
1.100 RM für 8 Tage – und ich will weg von <strong>die</strong>sem Ort. Also – immer<br />
schön links, wie war das noch mit der Vorfahrt im Kreisverkehr?<br />
Es ist wie beim Tanzen – was du nicht weisst, schaust du dir<br />
bei anderen ab.<br />
Malacca, das sich in Abkehr vom Kolonialnamen nunmehr<br />
malaysisch Banda Melaka nennt, empfängt mich mit der feucht<br />
warmen Luft des Indischen Ozeans, der <strong>die</strong> Strasse von Malacca<br />
auf 40 km Breite durchzieht. Auf der anderen Seite kannst du<br />
nach <strong>eine</strong>m Regen, der den Dunst weg schwemmt, Sumatra erkennen.<br />
Die Stadt hat sich in ihrem Altstadtrot schmuck auf <strong>die</strong><br />
vielen Touristen eingestellt, <strong>die</strong> der Stadt am Sungai Melaka, seit<br />
2008 als Weltkulturerbe geehrt, ihre Aufwartung machen. Und<br />
sie ist der Ehre wert, sonst würde Malacca nirgendwo mehr erwähnt,<br />
denn <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> scheint hier mit dem Ende der holländischen<br />
Ära seit 1641 stehen geblieben. Erst hissten <strong>die</strong> Portugiesen nach<br />
dreijährigem Kampf 1512 in christlicher Mission und ökonomischer<br />
Gier ihre Flagge, dann <strong>die</strong> Holländer mit ihrer VOC – Holland-Ostin<strong>die</strong>n-Companie<br />
-, schliesslich verdrängten <strong>die</strong> Briten<br />
– wie in Afrika – <strong>die</strong> Holländer mit Gewalt, dann aber verlor sich<br />
Malacca als Piratennest, weil <strong>die</strong> Briten Singapur – das damals<br />
noch Tamasik hiess – den Vorzug gaben.<br />
Und das blieb so bis zum 20. Februar 1956 , als Sultan Tunkul<br />
Abdul Raman in Malacca <strong>die</strong> frohe Botschaft verkündete, dass<br />
ihre Delegation durch Verhandlungen in London <strong>die</strong> Unabhängigkeit<br />
„Merdeka“ zum 31. August 1957 erreicht hatten. Dieser Sul-<br />
48
tan wird alsdann auch erster Minister-präsident, den wir bei unserer<br />
<strong>Reise</strong> 1970 noch im Amt finden. Also fährst du heute über<br />
Hunderte von Tunkul Abduk Raman-Strassen und Alleen, nicht<br />
zu verwechseln mit den Strassen und Alleen von und für Tunkul<br />
Abdul Razak, das war nämlich der zweite Ministerpräsident, der<br />
<strong>die</strong> Politik im Lande bestimmt. Ein malayischer Erbhof qua Verfassung:<br />
der heutige sechste Ministerpräsident ist der Sohn des<br />
zweiten MP . Er wird vom König ernannt, der wiederum von den<br />
9 Sultanen aus den 13 Staaten Malaysias aus ihren Reihen gewählt<br />
wird. Malacca und Penang, Sarawak und Sabah sind <strong>die</strong> Staaten<br />
ohne Sultan – und damit macht sich schon <strong>die</strong> Konfrontationslinie<br />
der malayischen Innenpolitik auf: Konservatives Sultanat <strong>gegen</strong><br />
liberale Stadtstaaten und Aussenprovinzen mit Autonomieanwandlungen.<br />
Das alles spielt Malacca mit Leichtigkeit herunter, wenn <strong>die</strong><br />
bunt geschmückten Trishaws <strong>die</strong> kolonialen Denkmäler der Stadt<br />
anfahren: das portugiesische Fort, dessen Portal <strong>die</strong> Briten nicht<br />
geschliffen haben, das holländische Stadthuijs, den Uhrenturm<br />
und den Brunnen für <strong>die</strong> britische Kolonialikone, Königin Victoria.<br />
Da sind sie alle also wieder – <strong>die</strong> Grossen <strong>die</strong>ser Welt, hinterlassen<br />
den Chinesen und Indern und Malaien <strong>die</strong> „Herenstraat“<br />
und „Jonkerstraat“, der sich im Fassadenreichtum von „Herren“<br />
und „Dienern“ wiederfindet, belebt und belegt durch den Nachtmarkt,<br />
mit dem Asien s<strong>eine</strong> Reichtümer in den engen Gassen<br />
anbietet. Beinah ein wenig unwirklich, wie das hier alles harmoniert<br />
– und uns weisse Pribumis gleichwohl noch duldet, aber wie<br />
gesagt, <strong>die</strong> Geschichte scheint hier stehen geblieben.<br />
Ich lande vor „Aldys“, <strong>eine</strong>m Hotel-Klotz, der durch sein Himbeerrot<br />
und s<strong>eine</strong> günstige Lage in Chinatown sich als Lager für<br />
zwei Nächte anbietet. Die Moderne hat Malacca auch gepackt: ein<br />
Turm mit <strong>eine</strong>r Kanzel, der Gäste für 20 RM auf 80 m hoch dreht<br />
um ein „eye on Asia“ zu werfen.<br />
Ein Fussmassager in m<strong>eine</strong>m Zimmer, der für 18 RM <strong>die</strong> Füsse<br />
mechanisch bewalkt, da ist mir <strong>die</strong> „Foot-Reflexology“ doch lieber,<br />
aber dein Fuss ist ein zärtliches Wesen, wenn der Masseur so in<br />
49
s<strong>eine</strong>n Innereien arbeitet – ich beisse <strong>die</strong> Zähne für Momente des<br />
Schmerzes zusammen. Siedlungs-häuser nach Einheitsschnitt in<br />
den neuen Bezirken, Und <strong>eine</strong> Unzahl von Museen für Islam, <strong>die</strong><br />
nationale Entwicklung, das Werden der Stadt. Die <strong>Zeit</strong> des malayischen<br />
Bundes - Brunei, Malaysia und Singapur - von 1963 bis<br />
zu s<strong>eine</strong>m Scheitern 1965 scheint seltsam ausgespart, als ob man<br />
sie vergessen machen möchte. Die Küche in der „Bamboo Bar“ zu<br />
Füssen m<strong>eine</strong>s Hotels zaubert Pizza und Pasta für den anderen<br />
Gaumen. Wenn ich bedenke, dass ich 1970 auf Bali nach 4 Wochen<br />
„Nasi“ und „Mie“ für ein italienisches Essen Stunden angestanden<br />
bin, bis dass das Lokal am Abend aufmacht, dann ist der<br />
Westen nun auch hier in Malacca angekommen – la vita e bella.<br />
Der Fahrtwind trocknet das verschwitzte T-Shirt auf dem<br />
Boot, das wie ein Floss den Sungai Malacca herauf- und hinuntershippert,<br />
ein Gavian zeigt sich im Wasser, das Boot neigt sich<br />
bedenk-lich ob der Passagiere, <strong>die</strong> alle auf <strong>eine</strong> Seite stürzen. Die<br />
abendliche Musse erweist sich im Far East Cafe als Überforderung<br />
für Küche und Service – in m<strong>eine</strong>r Umgebung verlauten nur lautstarke<br />
Beschwerden, Grund das gepriesene Haus nach <strong>eine</strong>m Limonensaft<br />
zu verlassen.<br />
Die Stadt suche ich am Sonntag morgen zu verlassen, es bleibt<br />
beim Versuch – <strong>die</strong> Batterie des Waja hat sich über <strong>die</strong> beiden Tage<br />
entleert. Hilfreiche Geister schaffen ein Kabel herbei, nun läuft er<br />
wenigstens wieder, aber damit jeden Morgen beginnen – das gibt<br />
es doch <strong>die</strong> „Freunde“, <strong>eine</strong>r davon steht neben mir mit s<strong>eine</strong>m<br />
Moped, rät zum Wechsel der Batterie, weil in den Tropen Batterien<br />
ohnehin kein langes Leben haben, und bringt mich zur Werkstatt.<br />
Im Handumdrehen ist Hannie von der Autovermietungsfirma<br />
gerufen, bestätigt den Kauf und <strong>die</strong> Erstattung – 185 RM – und<br />
in Nullkommanix ist mein Fahrzeug wieder bereit. „Terimah kasih“<br />
m<strong>eine</strong>m Freund, er ist erstaunt, als ich ihm auch noch 10 RM<br />
für s<strong>eine</strong> Dienste in <strong>die</strong> Hand drücke, lacht und fährt davon.<br />
Mein Navigator, der nur <strong>die</strong> Strassen, aber k<strong>eine</strong> Hausnummern<br />
in grossen Teilen Malaysia‘s führt, leitet mich schnurstracks<br />
zum Zoo, wo ich endlich all <strong>die</strong> Viecher sehen will, <strong>die</strong><br />
50
mir in der Natur verborgen bleiben – Tapir, Tiger, Panther - „sein<br />
Blick ist vom Vorübergeh‘n der Stäbe...“ - sie alle leiden offensichtlich<br />
unter den Hospitalisationsschäden. Am meisten spüre<br />
ich es noch bei den Elefanten, <strong>die</strong> angekettet sind, und sich nur in<br />
kurzen Schritten nach vorn und wieder zurück im Wiegeschritt<br />
bewegen, der Tiger, der immer <strong>die</strong> gleiche Route über <strong>die</strong> Felsen<br />
zum Wasser wählt. Am lustigsten sind noch <strong>die</strong> Hornvögel, <strong>die</strong><br />
sich aufmerksam den Passanten widmen. Ansonsten gefällt mir<br />
<strong>die</strong> Natur belassene Umgebung für <strong>die</strong> Affen – auf <strong>eine</strong>r Insel! - ,<br />
der Dschungel ist schon da.<br />
Der zweistündige Rundweg hat 1,5 l Wasser gekostet, ich sehne<br />
mich nach der Luftkühlung im Auto – und verschmerze <strong>die</strong> Küstenstrasse,<br />
nehme <strong>die</strong> Autobahn für 26 RM Maut nach Johor Bahru.<br />
Erst der letzte Teil in der Stadt wird anstrengend, weil mein J A<br />
Residence Hotel in der Altstadt liegt, aber <strong>die</strong> Strasse, zu der mich<br />
mein GPS führt, 3 Kilometer lang ist, also – wie in alten Tagen -<br />
wieder nach Stadtplan.. Nach drei Anläufen – in der Gefahr, den<br />
Causeway nach Singapur zu erwischen, erreiche ich schliesslich<br />
aufgelöst den Parklift, der mein Auto auf den 6. Stock und mich<br />
auf den 17. Stock trägt – mit toller Weitsicht auf Singapur, wo im<br />
Augenblick auch Alexandra, mein „Patenkind“, mit ihrer Crew<br />
verweilt. Es bleibt bei gedanklicher Nähe, von der ich träume,<br />
während ich in tiefen Schlaf falle.<br />
Der abendliche Gang durch <strong>die</strong> Foodstalls und Nachtmärkte<br />
lässt etwas von dem Grauen <strong>die</strong>ser Kunststadt verblassen, <strong>die</strong><br />
sich am Busen der Weltstadt mit billigem Service nährt. Gary und<br />
Geral-dine aus Neuseeland laden mich zum Bier ein, zum zweiten<br />
Mal beide verheiratet, geniessen sie all-jährlich <strong>die</strong> Vorzüge<br />
Malaysia‘s, wo sein Vater noch der britischen Militärverwaltung<br />
<strong>die</strong>nte und er in Malacca geboren ist – viel Stoff für <strong>eine</strong>n langen<br />
Abend, den ich mit Reis im Claypot schliesse.<br />
0600 ist m<strong>eine</strong> <strong>Zeit</strong>. Start an <strong>die</strong> Ostküste – nach <strong>eine</strong>m barbarisch<br />
schlechten Frühstück im überlaufenen Cafe, <strong>die</strong> Nudeln<br />
und der Tee gleichermassen kalt, k<strong>eine</strong> Zutat ausser roten Bohnen,<br />
so ein liebloses, ärmliches Essen, das gilt dann als „compli-<br />
51
mentary“ für 138 RM Übernachtung. Die Staatsstrasse 3 führt<br />
mich aus dem Staat Johor heraus nach Mersing, ein beschauliches<br />
Fischerörtchen und Ausgang der Fähren nach Pulau Tioman, den<br />
vorgelagerten Korallen- und Tauchpara<strong>die</strong>sen. Es reicht für <strong>eine</strong>n<br />
Teh Es Limau mit Tunfisch auf Reis, dann bietet sich Air Panan<br />
für <strong>eine</strong>n reizvollen Ausgleich in dem Fish Lodge Bay an <strong>eine</strong>m<br />
ungetrübten Sandstrand an - „fully booked out“, daran muss ich<br />
mich wohl gewöhnen. Kurzer Hand entschlossen nehme ich <strong>die</strong><br />
nächste Tagesetappe gleich mit und lande nach Kuantan in Cherating,<br />
<strong>eine</strong>m „Hippie-Luftkurort“, der mich im Bay View Resort<br />
am Strand in <strong>eine</strong>m Holzhaus mit Luftkühlung für 135 RM all inclusiv<br />
aufnimmt. Endlich nehmen mich auch <strong>die</strong> Affen wahr, <strong>die</strong><br />
mit <strong>eine</strong>r Horde das grosszügige Gelände nach Essbarem in den<br />
Abfalltonnen durchstreifen. Wenig Kontakt mit den weissen Mitbewohnern,<br />
Holländer, Franzosen, Neuseeländerinnen, einzig<br />
<strong>die</strong> chinesischen Gastgeber zeigen sich aufgeschlossen, ihnen zeige<br />
ich m<strong>eine</strong> Bilder, erzähle von Deutschland, was natürlich immer<br />
erst den Fussball abhandelt, weil „<strong>die</strong> Mannschaft“ - ein im<br />
Englischen deutsch gebrauchtes Synonym für Erfolg - vielleicht<br />
noch ergänzt wird durch den „Teamspirit“. Die Küche gibt nur<br />
Nasi Goreng her, aber m<strong>eine</strong> vier mitgebrachten Starfrüchte teilen<br />
wir uns, das schafft Nähe, <strong>die</strong> sich auch durch das ausgewählte<br />
Tee-Geschirr zählen lässt, das aus Grossmutters Schrank hätte<br />
sein können. Ein Sprung ins warme Wasser des südchinesischen<br />
Meeres – ohne Lederschildkröten, <strong>die</strong> sind erst morgen in der <strong>Reise</strong>planung,<br />
ein paar Runden Bewegungsausgleich im freundlich<br />
angelegten Pool, am Abend und am Morgen, dann hat <strong>die</strong> Freundlichkeit<br />
ein Ende. Ein schwüler Tag nimmt s<strong>eine</strong>n Anfang – und<br />
ich zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank, <strong>die</strong> mir mein<br />
Meister noch obendrein schenkt – selamat jalan, gute <strong>Reise</strong>.<br />
Rantau Abang, ein kl<strong>eine</strong>r Fischerort nördlich von Dungun,<br />
hat zumindest noch ein Informations-Center, das <strong>die</strong> Geschichte<br />
der vier Schildkrötenarten vorhält, <strong>die</strong> ehedem an Malaysia‘s<br />
Ostküste nachts an Land gingen, um ihr Gelege in den Sand einzubuddeln,<br />
wo <strong>die</strong> Sonne <strong>die</strong> Kl<strong>eine</strong>n im Ei ausbrütet, ehe sie<br />
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kriechend den Kampf ums Leben beginnen. Aber sonst nichts<br />
von einstiger Grösse – <strong>die</strong> bis zu 2 m grossen, 600 kg schweren<br />
Lederschildkröten bleiben hier seit 2003 aus, ein paar kl<strong>eine</strong>re<br />
Arten verlieren sich in der Nacht. Fleissige Ranger verbieten den<br />
Zutritt, sammeln <strong>die</strong> Eier und lassen sie im Haus im Sand unter<br />
Rotlicht ausbrüten. Sodann werden sie in grossen Becken gefüttert<br />
bis sie <strong>eine</strong> überlebensfähge Grösse erreicht habe. Vielleicht<br />
ist sogar <strong>die</strong>ser helfende Eingriff von Menschenhand <strong>die</strong> Ursache,<br />
dass <strong>die</strong> Urtiere nicht mehr zurückfinden, weil ihnen <strong>die</strong> Koordniation<br />
abhanden kommt – hilfloser Mensch. Ernüchtert nehme<br />
ich Abschied von dem Platz, der schon 1970 erfolglos auf m<strong>eine</strong>r<br />
Zielliste stand. Der Anblick von Iyuddi in <strong>eine</strong>r hübschen Malaientracht<br />
am Futterstall versöhnt wie der Nasi Sotong, ein Tintenfisch,<br />
der m<strong>eine</strong>n Lunch anreichert.<br />
Ab ins Landesinnere, mein Navigator pfeilt mich häufig durch<br />
Grün, während <strong>die</strong> Strasse ganz woanders verläuft – Zeichen des<br />
Fortschritts, der das Landesinnere von Trengganu erschliesst, jenes<br />
konservative Sultanat, das mit <strong>eine</strong>m weissen Halbmond auf<br />
schwarzem Grund s<strong>eine</strong>n Bewohnern <strong>die</strong> Bestimmung gibt: „Dalau<br />
Tungku“ steht auf grossen Bögen an der Einfahrt ins Sultanat,<br />
umkränzt <strong>die</strong> Bilder des Sultanpaares - <strong>eine</strong> arabische Tradition.<br />
Und nach 146 weiteren Kilometern öffnet sich der Schlagbaum<br />
am Tasik Kenyir, dem Stausee nördlich des Taman Negara, um<br />
mich zum Lake Kenyir Resort einzulassen, in das ich mich gestern<br />
abend online für zwei Tage Rast eingebucht habe. Welche<br />
ein Ambiente, <strong>die</strong> Lobby öffnete sich zum See, <strong>die</strong> kühleren, aber<br />
immer noch feuchten Winde durchwehen den Eingangsbereich,<br />
koloniale Atmosfäre.<br />
Das Elektroauto holt mich schon am Parkplatz ab, fährt mich<br />
ein paar 100 Meter durch den Busch, ich warte noch ein Weilchen<br />
am offenen Internet bei <strong>eine</strong>m flachen Saft, um dann im mein<br />
Chalet gefahren zu werden – B 213. Suite mit Aussicht über den<br />
Balkon auf den See, der noch einige Inseln umspült, <strong>die</strong> den Tieren<br />
vor Jahren Zuflucht waren, als der Monsun zu früh und zu<br />
stark kam – das „Arche Noah“-Prinzip war geboren, <strong>die</strong> Tiere mit<br />
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Flössen aufs Festland ausgefahren. Allerlei sportliche Aktivitäten<br />
– vom Kanu über Ruderboote, Ausflüge zur See und zu Land zum<br />
Wasserfall für ein, zwei, drei, vier Stunden bis zu 200 RM. Ich<br />
geniesse den Frieden des Ortes, erstmals höre ich intensives Vogelgezwitscher,<br />
das Balzen der Hornvögel klingt besonders stark.<br />
Zur Belohnung für <strong>die</strong> starke Tour wartet <strong>eine</strong> Drachenfrucht<br />
auf mich, jene auf dem Viktulalienmarkt unbezahlbaren pinkfarbenen<br />
Pitaya-Tropenfrüchte, <strong>die</strong> ihren Duft schon während<br />
der Fahrt in m<strong>eine</strong> Nase steigen liessen. Innen drin rot wie Blut<br />
mit Samen vergleichbar der Kiwi in Grün – mein Spork tut wieder<br />
gute Dienste, er ist dank s<strong>eine</strong>r Titanlegierung so wunderbar<br />
dünn, dass er in <strong>die</strong> Frucht mundgerecht einschneidet. Das Kingsize-Bett<br />
lädt zur Ruhe, erschrocken ich wache erst <strong>gegen</strong> 1730<br />
wieder auf, entschlossen, das Ende des Tages nicht ohne <strong>eine</strong> Fotosafari<br />
entlang der Küste vergehen zu lassen, Abendstimmungen<br />
einzufangen. Der Tag senkt sich schnell ab in den See, macht<br />
aus dem grün ein grau, das mit dem Himmel sich verdunkelt, <strong>die</strong><br />
Palmen spiegeln über ihren Blättern den milchigen Glanz der<br />
Abendsonne. Solch ein Abend ist zu schade, um in gekühlten Räumen<br />
Belanglosigkeiten zu verzehren, seltsam – bis auf <strong>die</strong> Hilton-<br />
Hotels in Kuching und Barang Ai waren <strong>die</strong> Hotelfrühsücke wenig<br />
inspiriert, in den Futterställen hat es mir stets besser geschmeckt.<br />
Das liegt wohl daran, dass <strong>die</strong> Hotels auf Vorrat kochen, dann sind<br />
<strong>die</strong> gebratenen Bananen meistens schon kalt und schmecken ölig,<br />
beim Chinesenkoch am Futterstall da<strong>gegen</strong> läuft das alles frisch<br />
aus der Pfanne. Um das alles zu verdauen und den fremden Bakterien<br />
gleichzeitig den notwendigen Spielraum zu geben, m<strong>eine</strong><br />
Darmflora zu immunisieren, reicht dann jene Whiskey-Mundspülung<br />
einmal täglich.. Also lautet <strong>die</strong> Geschicht :aufs Abendessen<br />
wird verzicht, d.h. <strong>die</strong> zweite Drachenfrucht muss schon ihr<br />
Leben lassen, damit ich mit <strong>eine</strong>m süssen Geschmack im Mund<br />
und einigen Runden Solitaire, <strong>die</strong> Luftkühlung aus- und den Fan<br />
leicht anstelle und <strong>gegen</strong> 2 300 ins Bett falle.<br />
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Leichtigkeit hat ihren Preis – du kannst den Tag ja mal wieder<br />
mit Liegestütz‘ beginnen, vielleicht nach der Gymnastik dich dem<br />
morgendlichen Stimmengewirr in den Bäumen aussetzen, einmal<br />
durchs Resort walken und dann ein frisches Bad nehmen. Der Tag<br />
ist schon 9 Stunden alt, als ich <strong>die</strong> 120 Stufen zum Frühstück genommen<br />
habe, und zeigt sich verhangen, wie Brautschleier legen<br />
sich <strong>die</strong> Wolken in dünnen Schichten um <strong>die</strong> Bergköpfe. So sch<strong>eine</strong>n<br />
mir alle Musliminnen in ihren Kopftüchern sich als Braut zu<br />
sehen, deren Schleier nur <strong>die</strong> Sonne des Mannes zu lüften imstande<br />
ist. Irgendwie wirken sie auf mich unsicher, gehemmt, das<br />
Kopftuch gibt ihnen Halt und – weil alle es tun – Gemeinschaft.<br />
Selten aber habe ich Mädchen mit Kopftuch lachen gesehen.<br />
Islamische Gesellschaften leben nicht nur den Koran zum Preise<br />
Allahs, sondern eben auch <strong>die</strong> Scharia, <strong>die</strong> Alltagsordnung.<br />
Und weil es k<strong>eine</strong> kritisch-historische theologische Auseinandersetzung<br />
um den „wahren“ Weg der verschiedenen Rechtsschulen<br />
– wie Sunniten und Schiiten und ihre Untergruppen – gibt,<br />
verweilen alle in der für sie verbindlichen Analyse ihres örtlichen<br />
Imams, da spielt der Papst als einziges Zentrum schon <strong>eine</strong> andere<br />
fundamentalistische Orgel der Macht. Und das haben sich<br />
jene politischen Führer zu eigen gemacht, <strong>die</strong> wir „Terroristen“<br />
nennen – erinnert sich noch <strong>eine</strong>r, das wir einst im medialen<br />
Mainstream auch Nelson Mandela und Yassir Arafat - beide Friedensnobelpreisträger<br />
– „Terroristen“ genannt haben. Wer steuert<br />
eigentlich <strong>die</strong>se Begriffsbesetzungen? Wer nennt eigentlich Bush,<br />
Cheny und Netanjahu „Staatsterroristen“? Sie instrumentalisieren<br />
mit ihrer politisch-ideologischen Vorgabe <strong>die</strong> Religiösität der<br />
Menschen – John Smith und Brigham Young haben das für <strong>die</strong><br />
Mormonen, Charles Manson für s<strong>eine</strong> Sekte, und wenn wir ehrlich<br />
sind, George W. Bush beim Morgengebet in s<strong>eine</strong>m Kabinett<br />
genauso gehandhabt. Islamisten sind halt ebenso verführbar wie<br />
<strong>die</strong> Jünger anderer Erweckungsbewegungen. Um das zu erfahren,<br />
muss ich nicht in islamische Staaten fahren.<br />
Das leidliche Frühstücksbuffet streckt sich bis 1100, da gleichzeitig<br />
das Internet mich mit aller Welt verbindet – erst <strong>die</strong> abfüh-<br />
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ende Wirkung der zweiten Drachenfrucht treibt mich in mein<br />
kl<strong>eine</strong>s beschauliches Stelzenhaus, wo ich endlich m<strong>eine</strong>n Steinbeck<br />
„Jenseits von Eden“ lesen kann, nachdem ich mich bereits an<br />
„Strasse der Ölsardinen“, <strong>die</strong> Cannery Row in Monterey erfreut<br />
habe.<br />
Die Stunden verfliegen unter den Händen des Masseurs und<br />
dem seligen Nichtstun. Lesen, Schwimmen, westliche Live-Musik<br />
in der Lobby hören, den Wirkungen von Pitayas bei Google nachjagen.<br />
Trotz der wunderschönen Lage wirkt <strong>die</strong> Anlage nüchtern,<br />
ja kalt – das liegt wohl auch an dem Personal, das Kopftuch trägt<br />
– kein Lachen, kein überflüssiges Wort: siehe oben. Ein fänomenaler<br />
feuriger Tropenhimmel verabschiedet den klammen Tag.<br />
Zwei Stunden Lesen schenke ich mir am Morgen, wenn sich in<br />
der Dämmerung <strong>die</strong> Stimmen der Natur immer lauter erheben,<br />
selbst <strong>die</strong> Eichhörnchen geben auf den Ästen ihren Kommentar,<br />
während sie offensichtlich in der Nacht ihre Nüsse auf m<strong>eine</strong>m<br />
Balkon geknackt – und ihren Haufen abgesetzt haben. Menschliche<br />
Stimmen mischen sich joggend ein. Der Morgen ist voller<br />
Zärtlichkeit in s<strong>eine</strong>m verdunsteten Blau. 1000 mache ich mich<br />
auf den Weg, den mein GPS noch nicht einprogrammiert hat:<br />
<strong>die</strong> dritte Ost-West-Traversale Kuala Berang nach Gua Musang<br />
– 100 km frische Strasse durch den Urwald, zum Teil vierspurig<br />
angelegt, im Minutentakt passieren mich <strong>die</strong> Holzlaster, <strong>die</strong> sich<br />
schwer im Aufgang der steilen Berge stellen. Dann melden sich<br />
auch schon <strong>die</strong> Kahlschläge – der Urwald greift nicht nach dir, er<br />
streckt dir <strong>die</strong> nackte Zunge heraus. Anschliessend verheilen <strong>die</strong><br />
Wunden mit Ölpalmen.<br />
Ich zweifle an m<strong>eine</strong>r eigenen Lauterkeit: Wollte ich ohne<br />
Holzmöbel, etwa in Acryl-Plastik leben? Ja, aber – einheimische<br />
Hölzer Esche, Buche, Birne. Die hiesigen Hölzer sind auch einheimisch,<br />
ihnen wird nur <strong>eine</strong> grössere klimatische Bedeutung zugeschrieben:<br />
welchen Anspruch haben wir eigentlich darauf, dass<br />
alles immer so bleibt wie es ist. Alles fliesst. Nichts bleibt so wie es<br />
ist, wenn es sich nicht ändert, haben wir den Alten zugerufen, als<br />
wir sie noch bessern wollten. Nun denn Welt, walte. Ein frisches<br />
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Grün liefern <strong>die</strong> Flüsse zum Lied der Welt, wo nicht geholzt wird.<br />
Warum sind <strong>die</strong> Menschen so süchtig nach Urwald, wenige<br />
lassen sich den Taman Negara entgehen. Ist es <strong>die</strong>se schmeichelnde<br />
immergrüne Urgewalt, <strong>die</strong> Unheimlichkeit des Waldes,<br />
in den Märchen und Legenden voller Kobolde und Trolle, guten<br />
und meist bösen Geistern, der uns mehr verbirgt als preisgibt,<br />
den Unwissenden bedroht und den Wissenden beschützt? 100 km<br />
ohne Haus, ohne Tankstelle – einfach nur Wald und Holz. Ein lichteres<br />
Grün vermittelt sich den Strassenbändern durch <strong>die</strong> Farnbäume,<br />
<strong>die</strong> an der Strasse ihren Lichtbedarf stillen. Endlich der<br />
Abzweig, noch 50 km bis Gua Musang. Ein „Kul“, Mehlkugel mit<br />
fermentierter Soja, und ein heisser Limonentee stärken für <strong>die</strong><br />
restlichen 120 km nach Tanah Rata inmitten der Highlands, <strong>die</strong><br />
nach ihrem britischen Entdecker Cameron benannt wurden. Das<br />
Landschaftsbild ändert sich, steile Berge, schmale Täler, überall<br />
spannen sich Plastikplanen über den Teeplantagen. Hier wird tamilisch<br />
gesprochen und Tandoori gekocht: Inder haben hier unter<br />
der britischen Besatzungs- oder heisst es korrekt Kolonialmacht<br />
- ihre Fertigkeiten im Teeanbau ausgebaut – <strong>eine</strong> ganze Gesellschaft<br />
lebt britisch: <strong>die</strong> Anwandlungen von Tudorhäusern, <strong>die</strong><br />
Nutzung der britischen Schulen und Kindergärten – weiss Gott<br />
wohl nicht für <strong>die</strong> Einheimischen. Selbst mein indischer Besitzer<br />
lässt sich den „Tearoom“ im „Bala Chalet“ mit gelobten Scones<br />
und Erdbeermarmelade – 22 RM - nicht nehmen, aber weiss der<br />
Himmel, er serviert den Tee im Beutel. Welche Gastgebernatur<br />
dahinter steckt, vermittelt mir bereits s<strong>eine</strong> Frau, 160 RM für <strong>die</strong><br />
Nacht, während das Angebot im Internet auf 120 RM lautete, mich<br />
ärgert das ja nicht mehr, aber wundern darf ich mich doch ob der<br />
Profitgier des britisch erzogenen Inders – das ist mir bei m<strong>eine</strong>m<br />
chinesischen Gastgeber in Cherating nicht passiert. Überteuerte<br />
mufflige Zimmer kündigt ja schon der <strong>Reise</strong>führer an, jetzt kommen<br />
auch noch miefige Gastgeber dazu. Das liegt wohl auch an<br />
der Abkühlung – der erste Regen auf der Rundreise.<br />
Ein Spaziergang über <strong>die</strong> Jalan Besar, ein Tandoori Chicken aus<br />
der südindischen Küche des Surialokals – eigentlich sind das auch<br />
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alles Fastfoodküchen, denn <strong>die</strong> Fertiggerichte kommen alle aus<br />
den ehernen Gefässen, <strong>die</strong>, wenn‘s hoch kommt, von <strong>eine</strong>r Wärmelampe<br />
warm gehalten werden. Die zwei Kilometer zurück zum<br />
Chalet schaffe ich auch noch trotz des Shuttleangebots m<strong>eine</strong>s<br />
Hauses. Die alten Britenjeeps knattern russspeiend an mir vorbei.<br />
Ich träume von <strong>eine</strong>m Sonnenstrahl auf <strong>eine</strong>m verwunschenen<br />
Chalet: See you at „Citrus,“ Kuala Lumpur, 31.07.10<br />
Flussfahrt in den Taman Negara<br />
S o n n t a g, 01.08.2010<br />
Die Petronastürme haben längst ihr Licht ausgeschaltet – und<br />
trotzdem fiebert <strong>die</strong>se Stadt <strong>die</strong> ganze Nacht. Es hupt und hetzt,<br />
als liesse sich Odysseus nochmals zwischen Scylla und Charybdis<br />
an den Mast binden, um den Gesang der Nacht geniessen zu<br />
können. Die Stadt ist ein Dschungel, der tönt und piepst und grillt<br />
auch <strong>die</strong> ganze Nacht. Nach den beiden Ruhetagen im „Citrus“-<br />
Hotel fiebere auch ich dem neuen Tag schon um 0500 ent<strong>gegen</strong>,<br />
ein paar mails geordert, <strong>eine</strong>n Kommentar zur Entlassung von<br />
Kachelmann an taz-online gesandt, m<strong>eine</strong>n ausgezeichneten <strong>Reise</strong>führer<br />
www. stefan-loose.de online mit neuen Informationen<br />
versorgt, das Telefon klingelt, <strong>die</strong> Fahrkarte von Butterworth<br />
nach Bangkok liegt am Empfang bereit, ich muss mich schicken:<br />
packen, duschen, anziehen, frühstücken. Von m<strong>eine</strong>m unvollendeten<br />
Sudokuspiel erlöst mich ein weiterer Anruf, Sani, der indische<br />
Fahrer, der mich zum Fährplatz nach Tembeling bringt, steht<br />
bereit.<br />
Die Fahrt wird kurzweilig, er erzählt mir über s<strong>eine</strong> Thaipusamprozession<br />
nach <strong>eine</strong>m überstandenen Unfall: Drei Monate<br />
mit Fasten und Meditieren <strong>die</strong>nen der Vorbereitung jener Trance,<br />
in der all <strong>die</strong>se Marter ohne Blut zu vergiessen auf der 15 km langen<br />
Prozession zu dem Sri Mariamanan Tempel an den Batu-Höhlen<br />
ertragen werden, begleitet von <strong>eine</strong>m hilfreichen Familient-<br />
58
oss.Er erzählt über den Nutzen der Ölpalme – fürs Kochen und<br />
für <strong>die</strong> Medizin – und berichtet stolz über s<strong>eine</strong> drei Söhne, <strong>die</strong><br />
staatliche Stipen<strong>die</strong>n beziehen und gleichwohl an Kost und Logis<br />
von ihm unterhalten werden. 0045 endete sein letzter Fahrauftrag,<br />
0430 hiess es <strong>eine</strong> arabische Familie zum Flugplatz zu<br />
chauffieren – und um 0900 war ich sein Gast für 2,5 Stunden. Er<br />
steht im festen Gehalt – 1200 RM im Monat – der Diethelm <strong>Reise</strong>organisation,<br />
<strong>die</strong> mich in Malaysia betreut, fährt <strong>eine</strong>n Mercedes<br />
und macht Überstunden für s<strong>eine</strong> Söhne. Fürsorglich besorgt er<br />
mir <strong>die</strong> Erlaubnis für Parkeintritt – 1 RM - und Fotografieren – 5<br />
RM - und erläutert mir vorsorgenlich <strong>die</strong> Prozedur bis hin zum<br />
Verhalten nach Rückkehr aus dem Park, „Sir“.<br />
1330 sammeln sich <strong>die</strong> weissen Häute, dick und dünn, gross<br />
und klein, alt und meistens jung, mit ungewohnter asiatischer Gelassenheit<br />
am Jetty, wo das Gepäck von hilfreichen Händen verladen<br />
und <strong>die</strong> Langboote mit jeweils 14 Passagieren beladen werden.<br />
4 Boote werden voll an <strong>die</strong>sem Tag. Als sie ablegen stirbt das<br />
Leben in Kuala Tembeling, der Ort lebt nur für den ankommenden<br />
und abgehenden Fährverkehr zum Park. 3 Stunden schneidet das<br />
Holzboot mit Blechdach durch <strong>die</strong> schwachgelben Fluten des Sungai<br />
Tembeling, um alsdann in den Sungai Tahan einzubiegen, wo<br />
uns <strong>die</strong> Mutiara Lodge mit parfümierten Handtüchern und <strong>eine</strong>m<br />
Willkommenstrunk empfängt. Chalet N° 1 ist für mich reserviert<br />
für 5 Tage, ein modriger Geruch empfängt mich, der durch den<br />
Fan schnell weggeblasen wird, es ist angenehmer als ich erwartet<br />
hatte, aber das liegt wohl auch daran, dass es heute nicht geregnet<br />
hat, sonst warnen alle vor der drückenden Schwüle im Urwald.<br />
130 000 000 Jahre - in Worten: einhundertdreissigmillionenjahre<br />
– hat sich <strong>die</strong>ser Primärregenwald konserviert. Wenn ich<br />
bedenke, dass Nettersheim zu <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong> als Koralleninsel am<br />
Äquator schwamm, vermag ich zu ermessen, was es bedeutet,<br />
<strong>eine</strong> so lange <strong>Zeit</strong> unveränderte Verhältnisse vorzufinden. Die<br />
Dinosaurier waren gerade mal 70 Millionen Jahre ausgestorben,<br />
der homo sapiens wartete noch 129 500 000 Jahre bis zu s<strong>eine</strong>m<br />
Auftritt im nahen Java als „homo modjokertensis“. Unzugänglich<br />
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für normale Sterbliche hat sich hier der Staat zu <strong>eine</strong>m rigorosen<br />
ökologischen Schutz des Waldes verpflichtet – und als erstes <strong>eine</strong><br />
gehobenen Ansprüchen gewachsene Lodge gebaut. Ich lausche<br />
den neuen Geräuschen der Nacht – und habe mich morgen für <strong>die</strong><br />
Wanderung durch <strong>die</strong> Wipfel des Regenwaldes über den Canopy-<br />
Highway angemeldet – blasse 50 RM.<br />
Im Urwald<br />
M o n t a g, 02.08.2010<br />
Das Rauschen der Wälder, <strong>die</strong> Einsamkeit der Natur, <strong>die</strong> Gewalt<br />
des Dschungels, der Kampf mit der inneren Wildheit – der<br />
Abgleich der Bilder aus der Gründerzeit der Wandervögel muss<br />
wohl sein, um zu verkraften, dass der Regenwald nicht allein für<br />
mich da ist, sondern auch für <strong>die</strong> 1000 anderen, <strong>die</strong> sich hier im<br />
Schweisse ihres Angesichts, nein: ihres Körpers auf Trekking<br />
begeben. Die Holländer haben mit der Re-Kolonisierung begonnen:<br />
„Malaysia is a favourite“. Kein Wunder, dass kein wildes<br />
Tier mehr was von uns sehen will – ich klage nicht, das grösste<br />
Wildtier, das ich bis jetzt im Nationalpark gesehen habe, war ein<br />
gut gewachsener Gecko – und dazu brauchte ich nicht einmal auf<br />
Wanderschaft zu gehen, der kam zu mir ins Chalet und hielt mir<br />
<strong>die</strong> verbliebenen Mücken vom Leib, darunter waren es nur ein<br />
Schmetterling, <strong>eine</strong> grosse Heuschrecke, was bleibt – ist <strong>eine</strong> ungebändigte<br />
Flora.<br />
Ich vermag es icht zu glauben, dass <strong>die</strong>se Urlandschaft, <strong>die</strong><br />
gleich am Rande des Resorts beginnt, unverändert über <strong>die</strong><br />
Jahrmillionen dahinvegetiert – es würde m<strong>eine</strong>m Prinzip „panta<br />
rhei“, alles fliesst, widersprechen. Der Guide, der uns 12 an jedem<br />
Baum riechen und jede Pflanze streicheln lässt, gibt bewundernswert<br />
wenig Antwort, aber <strong>die</strong> Fragen der Touris sind auch<br />
an jedem Tag, den Gott geschaffen hat, <strong>die</strong> gleichen: Gibt es hier<br />
auch Tiger, sehen wir auch Elefanten – und dann fängt es ganz<br />
60
klein an: Blätter, <strong>die</strong> wie Chamäleons am Tag <strong>die</strong> Farbe changieren<br />
und des Nachts fluoreszieren und ein gutes Nachtlager abgeben,<br />
ausladende Blattwurzeln von 40 m hohen Ipoh-Bäumen, mit denen<br />
<strong>die</strong> Orang Asli durch den Urwald trommeln, Harze, <strong>die</strong> zum<br />
„Candlelight-Dinner“ bei schmackhaften Eichhörnchen und delikat<br />
marinierten Ameisen angezündet werden, Balsaholz und Ratan<br />
zum Feuermachen, Bambus und Ratan als lebensspendende<br />
Wasserquelle, selbst an Schmiergelblätter ist in der Natur gedacht<br />
– wenn du dann noch mit dem Blasrohr den Affen oder Vogel in<br />
25 m Entfernung aus dem Geäst holen kannst, dann sichert der<br />
Regenwald alle Lebensnotwendigkeiten – Feuer, Wasser, Luft und<br />
Erde, nie waren <strong>die</strong> Elemente, <strong>die</strong> unser Leben prägen – den Himmel<br />
lasse ich aus, der kommt ja auch erst später - so nah spürbar,<br />
wie auf <strong>die</strong>ser kl<strong>eine</strong>n Trekkingtour über drei Stunden und etwa<br />
5 km.<br />
Im Regenwald bist du nass, auch wenn es nicht regnet. Die<br />
95% Luftfeuchtigkeit hängen dir zusätzlich zu d<strong>eine</strong>n 3 Wasserflaschen<br />
in den Kleidern, wenn du <strong>die</strong> 234 m auf den Gunung Beskit<br />
hochsteigst in Spuren, <strong>die</strong> Millionen anderer vor dir hinterlassen<br />
haben: „Boardwalks“, Brettersteige und -treppen, Seile an steilen<br />
Stellen in dem präparierten Teil des wanderbaren Urwalds rund<br />
um das Resort, führen zu der Attraktion: Wandern unter den<br />
Wipfeln der Bäume, 30 – 40 m über dem Grund, allein mit dir und<br />
der Schöpfung, wenn nicht vor dir in 10 m Entfernung und hinter<br />
dir in 10 m Entfernung jeweils ein anderes Geschöpf zur gleichen<br />
<strong>Zeit</strong> den gleichen Gedanken verschwendet – ob mich der Steg<br />
durch <strong>die</strong> Lüfte auch bis zur nächsten Plattform trägt. Insgesamt<br />
sind 6 schwankende, an Drahtseilen gesicherte und mit Netzen<br />
bestückte Bretterstege über 600 m in den Urwald gehängt worden<br />
– und k<strong>eine</strong>r lässt sie aus. Es ist ein Erlebnis auf ständig bewegtem<br />
Grund, wagst du es, wagst du es nicht, einmal auf dem „Canopywalk“<br />
gibt es kein zurück. Am Anfang ein Kiosk mit Snacks<br />
und Wasser – bitte weiterlesen -, am Ende <strong>eine</strong> Kloschüssel, was<br />
willst du mehr im Urwald? Anstrengend war es allemal – und <strong>die</strong><br />
Mittagsruhe fiel nach dem Duschen ziemlich lang aus. Nur einmal<br />
61
efiel mich <strong>eine</strong> Unsicherheit, als ich auf dem Weg durch <strong>die</strong> Lüfte<br />
zwei Dinge auf einmal erledigen wollte: laufen und Fotoapparat<br />
einpacken, das gelang natürlich nicht – und in <strong>die</strong>sem Augenblick<br />
war auch der Blick in <strong>die</strong> Tiefe nicht mehr so gefällig, unsicher<br />
im Tritt fällst du aus dem Schritt, verlierst <strong>die</strong> Balance und nutzt<br />
<strong>die</strong> Sicherheitsseile, bleibst stehen – und erledigst eins nach dem<br />
anderen, dann kommt <strong>die</strong> Sicherheit wieder, alte Zenweisheit.<br />
Am Abend bekam der Tag noch einmal Kontur. Für 80 RM hatte<br />
ich mich ins Boot begeben, um den 15 Minuten flussaufwärts<br />
wohnenden Orang Asli vom Stamm der Batek <strong>eine</strong>n Besuch abzustatten,<br />
ohne sie vorher gefragt zu haben. Mit Scheu gehe ich<br />
regelmässig in <strong>die</strong>se Menschenzoo, <strong>die</strong> Neugierde bleibt immer<br />
Sieger, zumal hier in guter und kl<strong>eine</strong>r Gesellschaft – Mutter und<br />
Sohn, aus Limburg/Belgien, alors, parlons en francaise ou allemande<br />
ou anglais? Englisch.<br />
Am 20m hohen Hang des Sungai Tahan präsentieren sich<br />
sechs Familien in sechs Hütten aus Bambus, mit Bambusblättern<br />
abgelegt, ein überdachter Gemeinschaftsplatz vervollständigt<br />
das Bild. Die Kinder spielen im Sand, <strong>die</strong> noch kl<strong>eine</strong>ren werden<br />
von den barbusigen Müttern im Sarong getragen, der ansonsten<br />
auch bei den älteren Frauen gefüllt ist, regelmässig mit kl<strong>eine</strong>n<br />
„Squirtrels“, Eichhörnchen, <strong>die</strong> hier vor dem Zugriff der Katzen<br />
bewahrt werden. Hunde gibt es k<strong>eine</strong> im „kampung“ Dorf <strong>die</strong> bellen<br />
und verscheuchen das Wild. Auffallend das Kraushaar, das<br />
bei den Frauen noch durch <strong>eine</strong>n Holzkamm verziert wird. Die<br />
Männer sind Jäger, Blasrohrjagd ist angesagt mit vergifteten oder<br />
paralysierenden Pfeilen aus Balsa, <strong>die</strong> mit jenem Schmiergelblatt<br />
ständig verf<strong>eine</strong>rt werden und bis zu 50 m weit geblasen werden<br />
können, auf 25m mit hoher Treffsicherheit – je länger das Bambusrohr,<br />
um so grösser <strong>die</strong> Reichweite. Das Rohr wird auf kurzer<br />
Hand balanciert.<br />
K<strong>eine</strong> Elektrizität, k<strong>eine</strong> Wasserspülung – <strong>die</strong> 1300 Batek im<br />
und um den Taman Negara haben entschieden, ihr Leben, das sie<br />
seit 50.000 Jahren führen, auch in <strong>eine</strong>r malayischen Gesellschaft<br />
nicht aufzugeben. Und so lebt denn <strong>eine</strong> Steinzeitkultur - oder ist<br />
62
es nicht doch schon Bronzezeit? - 15 Minuten von der Zivilisation<br />
entfernt ein Leben ohne Schule, ohne Hierarchie – einfach so. So<br />
einfach. Männer und Frauen ziehen aus unterschiedlichen Stämmen<br />
zusammen, bauen sich gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft<br />
– Gotong Rojong - <strong>eine</strong> Hütte in wahrnehmbarer Nähe, zeugen<br />
Kinder, jagen, holen Wasser aus der Quelle am Fluss, kochen Reis<br />
und braten über offenem Feuer ihren Affen – oder das, was sie<br />
vom Geld der Touris aus dem Supermarkt gekauft haben -, lehren<br />
ihre Kinder das Überleben mit Blasrohr und Feuer. Anders als<br />
bei den üblichen Verrichtungen, wo das harte Holz zwischen den<br />
Händen ins weiche Holz eingetrieben wird, arbeiten <strong>die</strong> Batek mit<br />
<strong>eine</strong>r harten Ratanschlinge, <strong>die</strong> sie über ein Balsaholz schnell hin<br />
und herziehen, bis dass sich genügend Rauch zeigt. Die Glimme<br />
kratzen sie dann auf trockenes Gras, wo sie das Feuer anblasen<br />
und anschliessend füttern – es dauert k<strong>eine</strong> 15 Sekunden und das<br />
Feuer brennt. Ich habe ihnen ein Döschen Streichhölzer da gelassen,<br />
das war besser als Bleistifte, denn überliefert wird alles nur<br />
mündlich, <strong>eine</strong> eigene Sprache, aber k<strong>eine</strong> Schrift, wozu auch –<br />
so wissen sie auch nicht, dass sie mit den Aborigines verwandt<br />
sind, <strong>die</strong> auf der grossen Migration aus Afrika über In<strong>die</strong>n über<br />
<strong>die</strong> damals – vor der grossen Eiszeit – noch bestehenden Landbrücke<br />
nach Neuguinea und Australien weitergewandert sind. So<br />
also konservieren sich negride Rassen in malayischer Umgebung.<br />
Negritos, Senoi und Protomalayen teilen sich das Erbe.<br />
Ein lehrreicher Abend – ohne Mücken, von Blutegeln bislang<br />
k<strong>eine</strong> Spur -, den ich in <strong>eine</strong>m interessanten Gespräch mit dem<br />
Gas-Ingenieur, der in Singapur arbeitet, und s<strong>eine</strong>r Mutter im<br />
LBK beschliesse, <strong>eine</strong>m der Flussrestaurants am südlichen Ufer<br />
des Tahan. Für 1 RM setzen wir <strong>gegen</strong> 2030 mit dem Fährboot zur<br />
Nachtruhe über. Mit dem Ruf des Muezzims um 0430 wache ich<br />
schon wieder auf, finde k<strong>eine</strong>n Schlaf und - schreibe m<strong>eine</strong>n Bericht<br />
weiter.<br />
63
Flora und Fauna<br />
D i e n s t a g, 03.08.2010<br />
Der Sungai Tanah hat an Wasser verloren, <strong>die</strong> Sandinseln werden<br />
immer ausladender, <strong>die</strong> Boote ziehen langsamer dahin, aufmerksamer<br />
<strong>die</strong> Steuermänner, selbst <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong> Fähre fährt nicht<br />
mehr alle Restaurantboote an. Der Abend senkt sich über <strong>eine</strong>n<br />
Tag, an dem endlich mal <strong>die</strong> Makaken duch <strong>die</strong> Wipfel gesaust<br />
sind und den Wald gefegt haben, als um 1600 <strong>die</strong> neuen Gäste kamen<br />
und mit ihren Kameras über <strong>die</strong> erschrockenen Tiere herfielen.<br />
Ich hatte Sorge um m<strong>eine</strong>n Käsekuchen, den ich m<strong>eine</strong>r strapazierten<br />
körperlichen Verfassung versprochen hatte, um nach<br />
<strong>eine</strong>m erholsamen Schlaf nun auch physisch wieder aufzutanken.<br />
Wild entschlossen, heute <strong>die</strong> Gruppen zu meiden, um endlich<br />
mal <strong>die</strong> Geräusche des Waldes ungestört zu hören, starte ich<br />
ein wenig später auf der anderen Seite des Resorts mit Ziel Jenan<br />
Muda, <strong>eine</strong>r sumpfigen Lichtung, an der häufig Tiere – Wildschw<strong>eine</strong>,<br />
Rehe, Fasanen – gesichtet worden sind. Brettersteige<br />
tragen mich auf und ab, <strong>eine</strong> dicke Spinne hier, rote und schwarze<br />
Ameisen da, Vögel, <strong>die</strong> sich <strong>eine</strong>n zwitschern, ohne dass ich<br />
sie erkennen kann – es feuchtet sehr. Im Schatten des Waldes<br />
ist es noch ein wenig kühler, gleichwohl saugt <strong>die</strong> Kleidung den<br />
Schweiss von innen, <strong>die</strong> Feuchtigkeit von aussen an. Auf <strong>eine</strong>r<br />
Lichtung, wo <strong>die</strong> Sonne durchbricht, beginnt das Kleiderwerk –<br />
T-Shirt, kurze Hose, feste Turnschuhe – zu dampfen, <strong>die</strong> Blutzirkulation<br />
erhöht sich merklich, um <strong>die</strong> Körpertemperatur niedrig<br />
zu halten.<br />
Auf und ab – jede Besonderheit wird auf Schildern in malayisch<br />
und englisch erläutert. Irgendwie verpasse ich dann <strong>die</strong> Abzweigung,<br />
weil <strong>die</strong> Zielangaben mit m<strong>eine</strong>m Wanderplan nicht<br />
übereinstimmen – ich nehme den ausgetretenen Pfad und lande<br />
wieder – in den Gruppen, <strong>die</strong> sich auf den Weg zum Wipfelwanderweg<br />
machen. Urwald ist Urwald, aber <strong>die</strong> Momente, <strong>die</strong> ich<br />
allein bin, sind eindrucksvoller, weil dich in der Stille <strong>die</strong> Natur<br />
aufsaugt – du wirst ein Teil von ihr und alles um dich bewegt<br />
64
sich natürlich. Das ist <strong>die</strong> einzige Gelegenheit, auch in dich hinein<br />
zu hören. Zwischen den Gruppen werde ich zum Sorgenkind,<br />
„Schaffen sie es noch, Sir“, „Brauchen sie Hilfe“, „Sind sie allein“ –<br />
<strong>die</strong> Ermunterungen zeigen, dass ich mich zumindest älter bewege<br />
als ich im Kopf bin. „See you at the next stop“, „I find my pace“ –<br />
und als sie dann alle an dem Abzweig zum Canopywalk anhalten,<br />
kam Opa „frisch“ mit zweiter Luft an all den 20-Jährigen Collegeschülern<br />
vorbei, <strong>die</strong> sich auf ihre Tätigkeit als Grundschullehrer<br />
vorbereiten. „Frisch“ heisst in <strong>die</strong>sem Fall, mit nassem Hemd<br />
und nasser Hose, das was vorher grün war, glänzte nun wässrig<br />
schwarz. Da kam es auf <strong>die</strong> letzten paar Liter Schweiss auch nicht<br />
mehr an – mein Opa Karl hat schliesslich noch mit 75 Jahren <strong>die</strong><br />
Alpspitze in Nesselwang von der Kronenhütte zu Fuss – mit Hut<br />
- geschafft.<br />
Wo ein Wille, ist ein Weg, also rauf <strong>die</strong> 334 m auf den Gunung<br />
Teresik zur schönen Aussicht. Jeder Schritt will bedacht gesetzt<br />
sein: ist <strong>die</strong> Liane fest oder schwankt sie, ist es <strong>eine</strong> Wurzel oder<br />
doch <strong>eine</strong> miese kl<strong>eine</strong> Schlange, sind <strong>die</strong> Blätter, <strong>die</strong> dich streifen<br />
und kratzen, nun giftig oder nicht. Energie wird massenhaft<br />
verbraucht, <strong>eine</strong> Flasche von 1,5 l Wasser verliert auf der Wanderung<br />
ihren Inhalt wie ich an Schweiss. Die Steigen sind asiatisch<br />
dimensioniert – teilweise muss ich sie erklettern, weil sie nicht<br />
immer dem Fusstritt angepasst sind, manche sind brüchig, dann<br />
geht es steil an der Seite an Seilen vorbei. Immer als zusätzliche<br />
Halterung <strong>eine</strong> Liane, ein morscher Baum im Griff. Die Erhabenheit<br />
des mittäglichen Ausblicks von der Spitze paart sich mit 100<br />
anderen Augenpaaren – ich weiss nicht, ob sie <strong>die</strong> schöne Aussicht<br />
oder mein tropfendes Outfit anstarren. Den weiteren Weg zu dem<br />
nächsten Gipfel erspare ich mir, nachdem mir ein Führer erläutert,<br />
der Abstieg sei nicht so gut präpariert wie hier – also zurück<br />
über Stock und Stein und jetzt wirklich allein: Die Gruppen sind<br />
alle durch und wandern durch <strong>die</strong> Wipfel, kehren auf <strong>eine</strong>m anderem<br />
Weg zurück: Der Urwald ist nun fast für mich allein – in tiefen<br />
Zügen geniesse ich jene Ruhe, <strong>die</strong> das Erlebnis präft und dich<br />
selbst still und ausgeglichen macht, bis ich dann <strong>die</strong> klatschenden<br />
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Kleider nicht mehr ertragen kann, selbst <strong>die</strong> Hängetasche ist vollkommen<br />
durchnässt.<br />
Gottseidank waren <strong>die</strong> wichtigen Papiere und Noten in Ledertaschen,<br />
<strong>die</strong> der Nässe Einhalt boten. Eine atmosfärisch dichte<br />
Fotofolge lohnte <strong>die</strong> 5 km Wanderung. Erschöpft trennte ich mich<br />
von dem Ungemach der triefenden Kleider – <strong>die</strong> Orang Asli gehen<br />
nur mit Lendenschurz auf Jagd, das hat wohl s<strong>eine</strong>n guten Grund<br />
– ohne Kleider ist <strong>die</strong> Feuchtigkeit erträglicher: einweichen, auswaschen,<br />
auswringen, aufhängen – <strong>die</strong> Kleider trocknen in der<br />
Feuchtigkeit sehr schlecht, noch <strong>eine</strong> Salz- und Mineraltablette<br />
zum Ausgleich des Verlusts, schon trüben sich <strong>die</strong> Augen, ich kuschele<br />
mich in den Nackenkragen, der an sich nur für <strong>die</strong> langen<br />
<strong>Reise</strong>n gedacht ist. Erster Versuch des „Room-Service“: 2 Handtücher,<br />
1 Toilettenrolle, auf, erledigt. Zweiter Anlauf „Room-Service“,<br />
auf, <strong>eine</strong>n Wasserkocher, aber ich habe doch schon <strong>eine</strong>n,<br />
dritter Anlauf, „Room-Service“, auf, <strong>die</strong> Mädchen spüren m<strong>eine</strong><br />
Ungehaltenheit, ich lasse sie gewähren, sie unken über <strong>die</strong> Wäsche<br />
auf der L<strong>eine</strong>, ich sitze und lese, anschliessend schliesse ich<br />
<strong>die</strong> Tür – endlich Schlaf.<br />
Mangoshake, <strong>eine</strong> Thai-Gemüsesuppe und ein süsssaurer<br />
Fisch stillen den kl<strong>eine</strong>n Hunger.<br />
66
Einsamkeit<br />
M i t t w o c h, den 04.08.2010<br />
Ich schlafe bei leichtem Fan auf der Bettdecke, unter dem Laken<br />
ist es feucht und wird mit dem Fanwind über Nacht sogar<br />
kühl. Um 0400 werde ich regelmässig wach, <strong>Zeit</strong> zu horchen,<br />
wenn der nahe Muezzim s<strong>eine</strong> gurrende Stimme per Lautsprecher<br />
über <strong>die</strong> Orte schickt. Ich zweifle, ob ich mir ein Solitairespiel<br />
antue, <strong>die</strong> Geschichte von Adam und Cathy in „Jenseits von<br />
Eden“ weiter verfolge – John Steinbeck ist ein brillianter Erzähler<br />
mit <strong>eine</strong>r einfühlsamen Charakter- und <strong>Zeit</strong>beschreibung – oder<br />
einfach nur weiterschlafe, der Morgen dräut.<br />
Um 0730 ist regelmässig Frühstückszeit – ich bevorzuge <strong>die</strong><br />
asiatischen Angebote, Nasi oder Mie in allen Variationen, dazu<br />
ein Früchteyoghurt, ein bis zwei Tassen Tee mit Zucker, zum Abschluss<br />
<strong>eine</strong>n Pancake mit Ahornsirup – für 480 RM ist hier an<br />
alles gedacht. Besonders an <strong>die</strong> europäisch angepassten Preise: da<br />
kostet ein „Tiger“gleich 19 RM, ein „Guiness“ 25 RM. Die Mädchen<br />
im Service tragen alle weisse Kopftücher, Isa strahlt darunter –<br />
sie hat ihre Wangen ein wenig mit rouge eingefärbt und stellt sich<br />
als Praktikantin vor. Mit ihrem unbeholfenen Englisch schlägt sie<br />
sich an der Omelettpfanne ganz gut. Gegen 0900 ist Aufbruch<br />
angesagt, das am besten getrocknete T-Shirt wird von der L<strong>eine</strong><br />
geholt, es dauert ja nicht lange, bis dass es wieder nass ist – und<br />
mit der Restfeuchtigkeit kühlt es angenehm auf der Haut, wenn<br />
ich in <strong>die</strong> drückende Schwüle vor mein Chalet trete. Heute finde<br />
ich endlich <strong>die</strong> Schilder zum Kubuk Simpon, dem Schwimmplatz<br />
am Tahanfluss. Und wirklich, auf dem schmalen Pfad bin ich nahezu<br />
allein, er klettert leidlich präpariert an Baumwurzeln hoch,<br />
rutscht zu den Bächen hin ab, umgeht <strong>eine</strong> zerborstene Brücke,<br />
übersteigt gefallene Riesen – wildromantisch. <strong>Zeit</strong>, das Fernglass<br />
zu nutzen, den Vögeln beim Zwitschern in den Zweigen zuzuschauen<br />
und zu hören.<br />
Braungold <strong>die</strong> Fluten am Schwimmplatz – ohne <strong>eine</strong> Menschenseele.<br />
Blätter segeln den Fluss hinab, <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Strom-<br />
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schnelle wird bei dem niedrigen Wasserstand sichtbar, Besucher<br />
haben Steinkegel errichtet, Fische springen aus dem Wasser, um<br />
<strong>eine</strong> unvorsichtige Spinne zu fangen, <strong>die</strong> ihr Netz zu dicht an <strong>die</strong><br />
Wasserfläche gebaut hat. Es röhrt – ein Tiger, nein, ein Orang Asli<br />
„Originalmensch“ im Kampung am Pfad hat gerade s<strong>eine</strong> Batterie<br />
getriebene Kettensäge in Betrieb gesetzt. Ein Langboot bringt<br />
Zaungäste den Fluss hinauf, weiter steige ich zum Bubung Tambing,<br />
<strong>eine</strong>r Schutzhütte, etwa 3 km vom Resort entfernt. Plötzlich<br />
ein freundliches Lachen, das ich nicht habe kommen sehen oder<br />
hören – ein Orang Asli mit Machete, mit der er Bambus fällt. „Apa<br />
khabar“ wie geht es, „baik, baik“, gut,gut, antwortet er „Kemana?“<br />
wohin des Wegs? „Ke Bubung Tambing“, aha, „selamt jalan“ Guten<br />
Weg, „terimah kasih“, danke – zwei Welten treffen auf <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n<br />
Stück Wegs zusammen, der <strong>eine</strong> nackt bis auf <strong>eine</strong>n Short,<br />
leicht- und barfüssig, der andere aufgetakelt mit Trekkingschuhen,<br />
Trekkinghosen, Trekkinghemd, aber nass bis in <strong>die</strong> Hosen.<br />
Eigentlich hätte ich ein Foto von der Begegnung schiessen sollen,<br />
aber was erzählen schon <strong>die</strong> Bilder, sie machen ihre eigene<br />
Geschichte, indem sie den Ausschnitt wählen, während <strong>die</strong> Begegnung<br />
das Ganze erfasst, was das Bild nicht bieten kann. Ich denke<br />
auch, dass es in solchen Situationen unpassend ist, jemandem<br />
<strong>die</strong> Linse vors Gesicht zu halten, denn der Apparat degra<strong>die</strong>rt das<br />
Subjekt, dem ich gerade begegnet bin, zum Objekt. So war es ein<br />
Moment, wo beide den Atem angehalten haben, um <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> sich<br />
kreuzen zu lassen. Voller Glück trete ich den Rückweg an, es geht<br />
auf einmal alles viel leichter – und auch <strong>die</strong> Vögel singen lauter.<br />
Selbst der erste Blutegel, der sich an mir beisst, hat kein Glück,<br />
da ich gerade das Taschentuch zur Hand habe, geht er mit <strong>eine</strong>m<br />
Schlag baden.<br />
Duschen, waschen, schlafen – der Rytmus gewinnt Methode.<br />
Gegen 1500 ist m<strong>eine</strong> Teestunde auf der Terrasse des Restaurants<br />
angesagt – James Dean geht mit: „Jenseits von Eden“.<br />
Wenn dann <strong>die</strong> Gongs, Stöcke und Rasseln geschlagen werden,<br />
sich gar ein marginaler Gesang erhebt, dann ist wieder Willkommenszeit<br />
– <strong>die</strong> neuen Gäste fahren Boot um Boot an, erhalten ein<br />
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Erfrischungstuch und <strong>eine</strong>n -trunk, ehe sie den Empfang erreichen.<br />
Dann wechsle ich den Standort, das Fährboot muss grosse<br />
Umwege um <strong>die</strong> Sandbänke fahren, der Fluss wird schmaler und<br />
schmaler. Ich lande am LBK, dem letzten in der Reihe der Restaurants<br />
am Fluss, wo ich mir ein Mangoblend aus geriebenem Eis<br />
servieren lasse und <strong>die</strong> Stimmung am Fluss aufsauge. Dort drei<br />
Mal <strong>die</strong> gleiche Prozedur – nach der Ankunft der Boote aus Kuala<br />
Tembling <strong>eine</strong> spröde Information, <strong>die</strong> wohl eher der Vorbereitung<br />
der Buchung von Aktivitäten gewidmet ist. Dann verfrachten<br />
sich <strong>die</strong> jungen Italiener, Franzosen und auch ein paar deutsche<br />
Stimmen in <strong>die</strong> nahen Häuser, es ist ein wohl eingespieltes<br />
Team, das hier operiert, geleitet von <strong>eine</strong>m Chinesen, dem auch<br />
das Restaurant gehört. Die Häuser auf der südlichen Seite haben<br />
für <strong>die</strong> Backpackers Preise für 2 Personen bis zu 100 RM mit AC. In<br />
den Flussrestaurants werden <strong>die</strong> „Südländer“ mit allem versorgt:<br />
Essen, Transport, Aktivitäten. Im LBK Restaurant kosten <strong>die</strong> gleichen<br />
Touren, <strong>die</strong> das Mutiara Resort anbietet, <strong>die</strong> Hälfte und weniger,<br />
„Orang Asli“ 40 statt 80 RM, „Nachtsafari“ 20 statt 50 RM.<br />
Die nächtliche Bootsfahrt fällt wegen Niedrigwasser aus. In den<br />
Flussrestaurants wird auch kein Alkohol ausgeschenkt. Ein chinesischer<br />
gebratener Reis und ein Tee mit Milch möbeln <strong>die</strong> Energiereserven<br />
wieder auf. Dann suche ich den Schutz m<strong>eine</strong>r Hütte<br />
– ein Donner kündigt den Regen der Nacht an.<br />
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D o n n e r s t a g, 05.08.2010<br />
Regentag - Ruhetag.<br />
70
Penang<br />
Fr e i t a g, 06.08.2010<br />
<strong>Reise</strong>tag – 0900 Kuala Tahan – 1100 Kuala Tembeling – 1430<br />
Tanah Rata – 1730 Ipoh – 1900 Pulau Pinang – Cititel Hotel, Jalan<br />
Penang, ein Handschlag – und Allen entflieht zum nächsten Fahrauftrag<br />
von Diethelm‘s <strong>Reise</strong>organisation: Morgen früh 0830<br />
Cameron Highland, heute abend noch mal 380 km zurück, ein<br />
Ehepaar aus Jeddah nach KL zum Flughafen – gelegentlich sieht<br />
er s<strong>eine</strong> Lebensgefährtin, <strong>die</strong> als Lehrerin arbeitet. Von Ausbeutung<br />
und Arbeitsruhe spricht er nicht, wer wird schon gern gefeuert.<br />
Alles intelligente, zum Teil stu<strong>die</strong>rte Menschen, <strong>die</strong> sich<br />
hier am Steuer ihr Geld ver<strong>die</strong>nen. Das Gespräch mit <strong>eine</strong>m Chinesen<br />
scheint weitaus offener als <strong>die</strong> Gespräche mit Malaien, er<br />
sprach gleich in Kuala Tembeling, wo er mich am Jetty mit s<strong>eine</strong>m<br />
MB erwartete, von <strong>eine</strong>r „schönen Abkürzung“, <strong>die</strong> nur er kennt.<br />
Und schon erstand Kuala Lipis auf aus den Ruinen der Erinnerung<br />
– das war doch 1970 jene Stadt am Fluss am Rande des Nationalparks,<br />
wo alle Strassen von Süden endeten und nur noch <strong>die</strong><br />
Eisenbahn eingleisig den Weg durch den Dschungel fand, nachdem<br />
wir <strong>eine</strong> Nacht – von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang<br />
- zwangsweise übernachteten, weil der Zug in der Nacht nicht<br />
durch den Urwald fuhr. Noch heute finde ich das „Tong Kok Hotel“<br />
mit den durch Holzwände abgetrennten Zimmer im <strong>Reise</strong>führer.<br />
Ein kl<strong>eine</strong>s gewachsenes Städtchen mit jenem Charme, der früher<br />
bei uns den Zonenrandgebieten eigen war. Wieder blutet mein<br />
Herz in dem Gedanken „vor vierzig Jahren“, aber du hast doch <strong>die</strong>se<br />
„Revivalreise“ gewollt, alter Kauz, also steh es durch. Gleichwohl,<br />
ein paar wehmütige Gedanken bleiben in Kuala Lipis – der<br />
Ort steht synonym für das Abenteuer Malaysia vor 40 Jahren.<br />
„Privat“ nennt Allen <strong>die</strong>se neue Strasse von Kuala Lipis nach<br />
Gua Musang, weil ein Erdrutsch beim letzten Monsun, den Hang<br />
herunter gerissen hat – über Stock und Stein der Umleitung fährt<br />
k<strong>eine</strong> Bus, kein Truck mit Baumstämmen. Und so sind wir wirklich<br />
fast „privat“. Vor Gua Musang biegt Allen auf <strong>die</strong> 59 ab, nun<br />
71
kenne ich mich wieder aus. Hier bin ich vorige Woche noch allein<br />
gefahren. Nun wird <strong>die</strong> Gegend plastischer, weil als Beifahrer<br />
nehme ich wahr, dass unter den Planen und Folianten sich<br />
nicht nur Tee, sondern allerlei Gemüse verbirgt. Die Gegend ist<br />
wild, in den Randzonen der Kampungs kultiviert. Kurz vor Tanah<br />
Rata schlägt Allen vor, <strong>eine</strong>n Lunch bei <strong>eine</strong>m s<strong>eine</strong>r – was wohl –<br />
Freunde zu nehmen, ein Nasi Campur für mich, ein Nasi putih mit<br />
Omelett für ihn – gerade mal 14 RM mit <strong>eine</strong>m chinesischen Tee.<br />
Pulau Pinang erreichen wir nach <strong>eine</strong>m weiteren Stopp in<br />
<strong>eine</strong>r an Früchten reichen Gegend um Ipoh über <strong>die</strong> neue Brücke,<br />
<strong>die</strong> den Stossverkehr am Freitagabend auch nicht auffangen<br />
kann, kurz vor der Dämmerung. Das Cititel Hotel empfängt mich<br />
kühl – <strong>die</strong>se 4-5 Sterne Hotels sind in ihrem Personal alle nicht<br />
sehr souverän, das liegt wohl auch – ich zitiere Allen – an jener<br />
malayischen Mentalität, <strong>die</strong> den arbeitsamen Chinesen überall<br />
in der Welt ihre Chance geben. Aber ich weiss mich nicht zu<br />
entscheiden – <strong>die</strong> <strong>eine</strong>n kennen nur Arbeit und Familie „work<br />
and clan“, <strong>die</strong> anderen Arbeit und Freude „work und pleasure“.<br />
Ich mag eigentlich alles:Arbeit, Freude und Familie. So müht sich<br />
doch der malayische Bellboy um Aufmerksam- und Sorgsamkeit,<br />
mit der mein Gepäck und mich auf Zimmer 1614 hochfährt, noch<br />
<strong>eine</strong>n Stapel kyrillischer <strong>Zeit</strong>schriften in der freien Hand, damit<br />
ich heute abend nicht so allein bin. 1 RM Trinkgeld überraschen<br />
ihn dennoch.<br />
Mit ein paar Empfehlungen Allen‘s schaffe ich noch ein indisches<br />
Curry mit Fisch. Im „Red Garden“, ein Umschlagplatz<br />
west-östlicher Informationen in <strong>eine</strong>m Foodcourt – das ist <strong>die</strong><br />
bessere Form jener Foodstalls aus 1970, <strong>die</strong> noch mit <strong>eine</strong>m eigenen<br />
Wagen des Abends auf den Park- und Marktplätzen aufzogen,<br />
heute haben sie feste Küchen, sauber sieht es allenthalben<br />
aus. Eine Lakhsa Pinang – süss-säuerliche Nudelsuppe mit <strong>eine</strong>m<br />
Hauch Ginger – gönne ich mir noch in <strong>die</strong>ser farbigen Geräuschkulisse,<br />
da steht auch schon ein roter Eimer mit <strong>eine</strong>r Literflasche<br />
„Tigerbeer“ eisgekühlt auf dem Tisch – das ist ja wie beim Köbes<br />
im „Päffgen“. Natürlich sage ich der aufgedrängten Bereicherung<br />
72
nicht nein, ich würde mein Gesicht nicht wahren, obwohl ich eben<br />
noch stark genug war, dem „Soho“ auszuweichen, das 5 verschiedene<br />
Sorten Bier vom Fass anbietet und lautstark von grölenden<br />
Weissen besetzt ist – so war es immer: auch damals waren nur <strong>die</strong><br />
weissen Seeleute in Singapur zum Lallen besoffen, Asiaten habe<br />
ich nie betrunken gesehen.<br />
„Georgetown“ – wie sie nach wie vor heisst – natürlich mit Uhrenturm<br />
für Mutter Victoria - <strong>die</strong>se Stadt ist nach wie vor <strong>eine</strong><br />
Attraktion für junge Leute. Der aufkommende Wind kündet den<br />
Regen an, mein Hotel ist nicht weit, gibt mir <strong>eine</strong>n Blick über den<br />
Hafen und den Vergnügungskreuzer, der für 15 RM <strong>die</strong> Nachtschwärmer<br />
aus der nationalen Zone trägt zum Glücksspiel – das<br />
Schiff ist am Wochenende voll von Glück suchenden Chinesen.<br />
Mein Glück lässt mich ohne AC einschlafen.<br />
Erinnerungen<br />
S a m s t a g, 07.08.2010<br />
Wenn ich doch nur wüsste, wann der Fahrer mich zum Bahnhof<br />
in Butterworth abholt, dann könnte ich den Morgen noch für<br />
<strong>eine</strong>n Spaziergang durch das historische Viertel nehmen, das der<br />
UN 2008 <strong>die</strong> Gelegenheit gab, <strong>die</strong> Altstadt zum Weltkulturerbe<br />
zu erklären. Eine Hommage an <strong>die</strong> alte „Chinatown“, <strong>die</strong> in Singapur<br />
und Hongkong längst den Hochbauten gewichen ist – hier bewahrt<br />
sie <strong>eine</strong>r wachsenden Stadt noch den wohlbehaltenen, aber<br />
verbleichenden Charme. Das erinnert an <strong>die</strong> noch unverbrauchte<br />
Stadt 1970.<br />
Nach <strong>eine</strong>m opulenten Frühstücksbuffet – japanese, vegetarian,<br />
malayan, western corner – mit <strong>eine</strong>m Cappucino aus der Maschine<br />
gestärkt, rufe ich den Not<strong>die</strong>nst an – ja, der Fahrer kommt<br />
um 1220. Dann blieben mir noch zwei Stunden Penang: Die Penang<br />
Road – abends das Rotlichtviertel – liegt schlaff im Regen, <strong>die</strong><br />
Strassennamen werden erläutert, <strong>die</strong> Lebuh Chulia hinab, vorbei<br />
73
an der Kapitan Keling Moschee, <strong>gegen</strong>über der Sri Mariamanan<br />
Temple, hinein in <strong>die</strong> Cannon Road zum Khoo Kongsi, <strong>eine</strong>m Haus<br />
der Administration <strong>eine</strong>s reichen chinesischen Clans. Von der<br />
Sorte gibt es allein in Georgetown neun oder zehn. Der Regen hat<br />
aufgehört – aber selbst <strong>die</strong> Hochöfen, <strong>die</strong> am Gnadentempel der<br />
buddhistischen Gottheit stehen, vermögen <strong>die</strong> Nässe nicht mehr<br />
zu vertreiben. Supreme Court und St. Georg‘s Kathedrale geben<br />
den kolonialen Anstrich ebenso wie das Gebäude des Penang Museums.<br />
Ein Japaner hat sich s<strong>eine</strong> Lust auf Schokolade in der Chocolate<br />
Boutique versüsst. Glockenschlag zwölf checke ich im Hotel<br />
ein, um aus zu checken. . Alles Nasse runter, Koffer auf, Hemd<br />
raus, Hose raus, Unterhemd – für den kalten Zug – Unterhose<br />
frisch, alle Haut abgetrocknet – nasses Zeug in Plastik: 1220 stehe<br />
ich bereit, m<strong>eine</strong> 10 RM für <strong>die</strong> Stunde Internet zu zahlen. Jimmy,<br />
mein chinesischer Fahrer, der gerne lacht und britisches Understatement<br />
geniesst, nimmt mich mit auf <strong>die</strong> Fähre zum Bahnhof:<br />
Selamat Tinggal, Malaysia, terimah kasih – für 14 20 kündigt sich<br />
der internationale Zug nach Bangkok an.<br />
74
Malacca 75 - Trishaws at work
Drachenfrucht 76
Taman 77 Negara Orang Asli
Kapitel 4<br />
Thailand<br />
Im Zeichen der Naga<br />
79
Bangkok Express<br />
S o n n t a g, den 08.08.2010<br />
Der Express mit zwei Liegewagen 2. Klasse nach Bangkok<br />
rumpelt mit 20 km/h über <strong>die</strong> nach wie vor einspurige Strecke,<br />
ehe er nach <strong>eine</strong>r Stunde an <strong>die</strong> zwei weiteren Waggons gekuppelt<br />
wird, <strong>die</strong> von KL auf den Zug treffen. Zwei Dieselmaschinen geben<br />
der Fahrt ein wenig mehr Zug, ehe nach weiteren zwei Stunden<br />
<strong>die</strong> Bretter zum Bahnsteig ausgefahren werden: Grenzstation<br />
– Rundlauf in <strong>eine</strong>m gemeinsamen Gebäude: Auswandern aus<br />
Malaysia, Einwandern in Thailand, <strong>die</strong> „On-Entry“-Visa geben<br />
<strong>eine</strong> Aufenthaltserlaubnis für 15 Tage, das reicht mir. Ich schenke<br />
dem hinter abgedunkelten Scheiben arbeitenden Officer noch ein<br />
Lächeln für s<strong>eine</strong> Staatskamera, dann bin ich im Reich von König<br />
Bhumipol und Prinzessin Sirikit, deren Bilder nun nicht nur<br />
an allen offiziellen Gebäuden, sondern auch in Hotels und an den<br />
Banken prangen – ein bisschen älter geworden mit ein bisschen<br />
mehr Paste, aber nach wie vor der Traum der Bunten Blätter, von<br />
deren Glanz - neben Schah und Soraya in Persien, Gracia Patricia<br />
und Prinz Rainier in Monaco – <strong>die</strong> monarchieentwöhnte Elterngeneration<br />
in den 50-ern und 60-ern schon schwärmen.<br />
Eine muffelige Jamaikanerin aus UK, ein Jahr auf Weltreise,<br />
teilt mein Abteil und träumt ihre <strong>Reise</strong> in Bangkok zu Ende, hat<br />
nichts mehr zu berichten, ausgebrannt bis auf <strong>die</strong> Knochen, so<br />
geht’s, wenn du <strong>die</strong> Batterie nicht spätestens nach 3 Monaten wieder<br />
auflädst – du bist nach so langer <strong>Zeit</strong> nicht mehr in der Lage<br />
<strong>die</strong> Bilder zu ordnen. Die Landschaft versinkt in den vielen Reisfeldern,<br />
riesige Wolken bauen sich auf. Der Westen Thailands liegt<br />
anders als Malaysia, das von Sumatra geschützt wird, im Aufzuggebiet<br />
des Südwest-Monsun, der nun auch Pakistan mit heftigen<br />
Überschwemmungen heimsucht. Der Zugbegleiter beginnt mit<br />
dem Ausbau der Unter- und Ober-betten, es ist nicht nur <strong>die</strong> <strong>eine</strong><br />
Stunde, <strong>die</strong> wir wieder gewinnen, <strong>die</strong> andere Sprache, auch <strong>die</strong><br />
Lebensweise wechselt an der Grenze, wir sind in <strong>eine</strong>m buddhistischen<br />
Land. Zwar haben <strong>die</strong> Briten auch hier <strong>die</strong> Konflikte mit<br />
80
der muslimischen Bevölkerung in drei südlichen Provinzen hinterlassen,<br />
<strong>die</strong> sie künstlich von den streng muslimischen Staaten<br />
Malaysia‘s - Trengganu und Kelatan - abtrennen und Thailand<br />
zuschlagen. Aber da ist ein ungewohntes Lächeln, <strong>eine</strong> spontane,<br />
lässige Lebensfreude, <strong>eine</strong> persönliche Nähe, <strong>die</strong> im islamischen<br />
Malaysia selten zugelassen wird.<br />
Ich bereite mich mit dem exzellenten <strong>Reise</strong>führer von Stefan<br />
Loose auch auf Thailand vor, Ge-schichte und Politik, Land<br />
und Leute, Brauchtum und Sprache - erste Übungen „khob khun<br />
khrab“ - heisst danke, „sawa<strong>die</strong> khrab“ willkommen, „mai päng“<br />
nicht zu teuer. Als sich <strong>die</strong> Vorhänge zum Gang schliessen, lasse<br />
ich mich in voller Montur fallen. Ich könnte schlafen, wenn nicht<br />
im Nachbarabteil ein neunmonatiges Baby laut <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />
s<strong>eine</strong>r jungen Eltern einforderte.<br />
1100 Bangkok „Hua Lhamphong“ Bahnhof, wir fahren vorzeitig<br />
ein. Kein Fahrer wartet auf mich, der Bahnhof ist überfüllt,<br />
ich tausche m<strong>eine</strong> letzten Ringgit in Baht ( 1 € rechne ich 40 Baht),<br />
ziehe an der ATM-Maschine für 20000 Bt. Als ich <strong>die</strong> Sch<strong>eine</strong> heraus<br />
nehmen will, zieht der Apparat das Geld zurück. Ich erhalte<br />
<strong>eine</strong> Quittung mit „0“, warte den nächsten Kunden noch ab, wo<br />
m<strong>eine</strong> 500 € geblieben sind. K<strong>eine</strong> Spur. Die nahe Bahnhofpolizei<br />
notiert den Fall, <strong>die</strong> Bank wird kontaktiert, ich nehme Namen und<br />
Adresse mit für alle Fälle. Ein letzter Blick auf m<strong>eine</strong>n Fahrplan,<br />
„Transport“ ist für Bangkok nicht notiert, Taxi „Dusit Thani“ - 60<br />
Bt. Mit vielen Wai werde ich an dem Luxuskreuzer begrüsst, der<br />
sich an der Rama IV Avenue in den Himmel schiebt. Luxus ist in<br />
Bangkok nichts Unehrenhaftes, <strong>die</strong> Touristen haben alle Urlaubslook.<br />
Mein Zimmer ist noch nicht fertig, ein Trunk und <strong>eine</strong> <strong>Zeit</strong>ung<br />
verkürzen <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>.<br />
81
Zwischenzeitlich meldet sich aufgeregt Nui von der Agentur<br />
und überreicht mir Fahr- und Stadtkarten in holperigem deutsch.<br />
Sie hat mich am Bahnhof verpasst und wird mich durch Ayutthaya,<br />
<strong>die</strong> alte Hauptstadt, begleiten. Ein paar Grüsse nach Hause,<br />
<strong>die</strong> letzten Berichte - ich vermisse m<strong>eine</strong> Hängetasche mit dem<br />
Spork und <strong>eine</strong>m Schweizer Taschenmesser neben Kleinigkeiten,<br />
Verlustanzeige an der Rezeption.<br />
Der Rest des Sonntags verpatscht im Regen, ich schaffe es gerade<br />
noch über <strong>die</strong> Silom Road bis zum Menam Chao Praya am<br />
„Shangri-La“, verweile bei <strong>eine</strong>m Kaffee – Jack will 60, ich gebe<br />
ihm 20 Bt, er ist‘s zufrieden – erlebe den Monsun, <strong>eine</strong> Stunde<br />
Wässerung, beobachte <strong>die</strong> Auffahrt der schwarzen Limousinen<br />
mit den kurzen Nummern und den abgedunkelten Scheiben neben<br />
dem attraktiven Polizeiangebot. Die Anwohner wähnen ein<br />
Wahlkampftreffen, aber niemand weiss nichts – daran muss ich<br />
mich gewöhnen. Mit dem Taxi gelange ich trocken ins Hotel, wo<br />
ich zum ersten Mal mein L<strong>eine</strong>njackett trage, um <strong>die</strong> Restaurantangebote<br />
zu durchstreifen: malayisch, italienisch, vietnamesisch<br />
– <strong>die</strong> Auswahl reicht vom Dachrestaurant bis zur Gourmetecke,<br />
ich lasse mich vom vietnamesischen Stil begeistern und<br />
bewirten. Ein Voucher lädt mich am Ende zum gros-sen Fressen<br />
ein: Alles was beim nächsten Dinner im „Dusit Thani“ über dem<br />
Rechnungsbetrag von 1.530 Bt liegt, ist „frei“. Mittlerweile hat der<br />
Nacht<strong>die</strong>nst das Bett bereitet und <strong>die</strong> Vorhänge zugezogen – ich<br />
habe wohl wegen der Warterei ein upgrade bekommen, das Hotel<br />
verwöhnt mich.<br />
82
Buddhistische Weihen<br />
M o n t a g, 09.08.2010<br />
Bangkok anders – eigentlich habe ich alles schon abgelaufen,<br />
selbst Wat Pho und Wat Phra Keo ziehen nicht so wirklich. Statt<br />
der Stadt nachzulaufen, lasse ich sie an mir vorbeilaufen: Mit dem<br />
Taxi zum Wat Mahathat, <strong>eine</strong>m aktiven Kloster mit Novizen, deren<br />
Zahl immer geringer wird, obwohl <strong>die</strong> Ordinierung hohes gesellschaftliches<br />
Ansehen in <strong>eine</strong>m Land bringt, das Buddhismus<br />
als Staatsreligion nennt. In <strong>die</strong>sem Kloster ist ein „Retreat- und<br />
Meditationszentrum“ für alle einge-richtet, das Kurse nach der<br />
Lehre des Theravada-Buddhismus anbietet. Mahit prüft mich im<br />
Stand m<strong>eine</strong>r Meditationsmühen und lädt mich zu <strong>eine</strong>m Informationsgespräch<br />
am Nachmittag. Ein Mönch – ich übe mein Wai<br />
– sucht das Gespräch, um sein Englisch aufzubessern, damit er<br />
später in s<strong>eine</strong>r Heimat Kambodscha Touristen in Englisch unterrichten<br />
kann. Wir tauschen uns über Budd-hismus als Religion<br />
und Filosofie aus. Er spricht zum ersten Mal von <strong>eine</strong>m „Gott“<br />
im Buddhismus. Die Mönche geniessen <strong>eine</strong> für uns Kirchen entwöhnte<br />
Gesellen <strong>eine</strong> schier unvorstellbare Verehrung. Im Meditationszentrum<br />
sucht <strong>eine</strong> junge Frau Rat beim Mönch, der am<br />
Schreibtisch sitzt. Sie hockt sich auf den Boden, nimmt <strong>die</strong> Hände<br />
zum Wai über <strong>die</strong> Stirn hoch und geht in <strong>die</strong>ser Haltung dreimal<br />
nach vorn auf den Boden. Und bleibt dort unten <strong>eine</strong> geschlagene<br />
Stunde.<br />
Anschliessend gibt es zeitlich noch Gelegenheit, das Nationalmuseum<br />
zu besuchen – montags geschlossen. Dann doch wenigstens<br />
ein paar Informationen am Bangkok Information Department<br />
– mit Ketten verbarrika<strong>die</strong>rt. Das ist nicht mein Tag.<br />
Ich setze mich ans Ufer des Chao Praya, dort wo <strong>die</strong> Obdachlosen<br />
ihre Wäsche im Wasser waschen und anschliessend nass und kühl<br />
wieder anziehen. Wie ein Schlafsaal ist <strong>die</strong> betonierte Brücke<br />
über den Klong entlang der Abflussrohre mit Matten und Plastiktaschen<br />
belegt. Langboote mit Touristen landen an und legen laut<br />
tösend mit ihren kräftigen Motoren ab. Ich praktiziere mein Thai,<br />
83
erweitere m<strong>eine</strong>n Satzschatz um „la gon“ tschüs und „dschok <strong>die</strong>“<br />
viel Glück. „sabai <strong>die</strong> mai“ wie geht’s? Vorbei am Nationaltheater,<br />
in dem ich gerne <strong>eine</strong> der klassischen Aufführungen erlebt hätte,<br />
k<strong>eine</strong> Tageskasse – montags geschlossen.<br />
1400 – zwei junge Chinesen sitzen noch mit am Tisch, als Matih<br />
uns <strong>die</strong> Lehre des „Kl<strong>eine</strong>n Rades“ - nur durch Selbsterkenntnis<br />
und Meditation ist auf dem achtfachen Pfad der Tugenden<br />
<strong>die</strong> Befreiung vom Leiden in dem Kreislauf der Wiedergeburten<br />
zu überwinden, um das Nirwana zu erreichen - <strong>die</strong> Grundlagen<br />
der Meditation – Disziplin, Ausdauer, Konzentration – über zwei<br />
Stunden nahe bringt. Anschliessend Meditationspraxis – Stehen,<br />
Gehen und Sitzen, ich habe Schwierigkeiten, bei dem bewussten<br />
Gehen – aufwärts, vorwärts, abwärts - <strong>die</strong> Balance zu halten.<br />
„lass <strong>die</strong> Ablenkung zu, weise sie aber dann zurück“ - so disziplinierst<br />
du dein Hirn.<br />
Eine Schülerin, <strong>die</strong> sich <strong>eine</strong> Woche im Zentrum einquartiert<br />
hat, um am kopierten Mönchsleben teilzunehmen, gesellt sich zu<br />
uns: 0430 Aufstehen, 0500 Gesang, 0530 Meditation, 0700<br />
Frühstück, 0830 Gesang, 0930 Meditation, 1100 Mittagessen,<br />
1200 Pause 1300 Unterweisung 1400 Meditation, 1630 Pause<br />
1800 Gesang, 1900 Meditation, 2100 Unterweisung – starker<br />
Tag: Mit Fasten von 1200 mittags bis 0700 am nächsten Morgen.<br />
Ich schaffe 15 Minuten auf m<strong>eine</strong>n Füssen zu knien, Matih ist ganz<br />
stolz – <strong>die</strong> andern sitzen alle im Schneidersitz. Nach jeder Übung<br />
ein Austausch über <strong>die</strong> eigene Befindlichkeit. Gelöst gehe ich um<br />
1800 von dannen, der Regen ist gelaufen, es reicht noch für <strong>eine</strong>n<br />
nachdenklichen Spaziergang, <strong>eine</strong> Nudelsuppe mit Seafood<br />
an der Pier, <strong>eine</strong> Fahrt mit dem Expressboot 14 Bt in den Abend,<br />
mit dem „Skywalk“, <strong>eine</strong>r Hochbahn 25 Bt zur Silomroad – mein<br />
Hemd strotzt vor Salzrändern. Die 11 Wäschestücke ad<strong>die</strong>ren sich<br />
auf 1.570 Bt (!). Der Kabelanschluss funktioniert, der Tag ist gerettet.<br />
Bei der Postbank sind 475,27 € aus dem Handel am Bahnhof<br />
zur Lastschrift vorgemerkt, <strong>die</strong> ich nicht erhalten habe. Ich protestiere<br />
mit <strong>eine</strong>r mail bei m<strong>eine</strong>r Bank.<br />
84
Fahrt in <strong>die</strong> Vergangenheit<br />
D i e n s t a g, 10.08.10<br />
Vor dem Frühstück leiste ich m<strong>eine</strong> Meditationsübung, es<br />
ist anstrengend, <strong>eine</strong> Viertelstunde langsam zu schreiten, ich<br />
schwitze im Zimmer trotz AC. Das Sitzen verlängere ich beim<br />
Frühstück – es gibt ein unbeschreibliches Gefühl, wenn du dich<br />
kurz besinnst und dir klar machst, welch wunderschönes Frühstück<br />
– frische Nudelsuppe, pochiertes Ei, Reis mit Fisch, Sushi,<br />
Dumplings, frisches Obst, Yoghurt, Guavasaft, Kaffee – auf dich<br />
wartet. Eigentlich, so schiesst es mir durch den Kopf, ist unser<br />
Beten nichts anderes als <strong>die</strong>ses organisierte Innehalten mit der<br />
Konzentration auf <strong>die</strong> liebevolle Unterbrechung des Arbeitstages<br />
– der meditative Teil des Gebets wird mir nun bewusster. Es sind<br />
<strong>die</strong> nach aussen gesprochenen Worte, <strong>die</strong> andere an d<strong>eine</strong>r Freude<br />
teilhaben lassen, mehr nicht. Warum habe ich das vergessen?<br />
Gebet ist unsere Form der Meditation.<br />
Ich gebe an der Rezeption m<strong>eine</strong> Daten ab für den Fall, dass<br />
doch noch jemand <strong>die</strong> Umhängetasche zurück gibt. Um 0900<br />
Uhr warten Nui und Samai, der Fahrer, im Mercedes mit <strong>eine</strong>r<br />
frischen Flasche Wasser – es geht nach Norden. Schnell sind wir<br />
über <strong>die</strong> Stadtautobahn aus dem groben Verkehr und landen<br />
schon nach <strong>eine</strong>r Stunde im Sommerpalast Bang Pa In des Königs<br />
aus dem 17. Jahrhundert, den er mit s<strong>eine</strong>n Barken von Bangkok<br />
aus aufgesucht hat. Heute würde ihm das schwerer fallen, denn<br />
der Seitenarm des Chao Praya ist völlig bedeckt und verwurstet<br />
mit immergrünen Wasserhyazinten und Schlingpflanzen. Die Anlage<br />
mit <strong>eine</strong>m Wasserpavillon sowie Tron- und Empfangshallen<br />
strahlt Leichtigkeit aus. Die Büsche sind als Elefanten, Schlangen<br />
und Hasen beschnitten. Angemessene Kleidung ist angesagt,<br />
auch m<strong>eine</strong> Kappe darf ich im Innern nicht tragen – der König ist<br />
in <strong>die</strong>ser Hausordnung immerdar präsent: Goldrausch in Rot, <strong>die</strong><br />
Königsfarben, wobei <strong>die</strong> gelbe Farbe <strong>die</strong> religiöse, <strong>die</strong> rote Farbe<br />
<strong>die</strong> weltliche Macht anzeigt. Eine Halle sieht aus wie ein Jugendstil-Kurhaus<br />
an der Ostsee. König Chulanlongkorn (1918) als<br />
85
Rama V. hat als Reformkönig – wie übrigens Bumiphol als Rama<br />
IX. - s<strong>eine</strong>n bronzenen Ehrenplatz. Im nahe gelegenen Kloster,<br />
das wir mit <strong>eine</strong>r Drahtseilschaukel übern Fluss erreichen, weichen<br />
selbst <strong>die</strong> Novizen der brütenden Hitze aus – interessant nur<br />
<strong>die</strong> Tatsache, dass der König auch <strong>eine</strong> neugotisch-anglikanische<br />
Kirche bauen liess, dessen sich <strong>die</strong> Mönche bei ihrer Andacht be<strong>die</strong>nen,<br />
aber unsere Herren Missionare haben das in Mexiko bei<br />
den Azteken und Mixteken, in Peru bei den Inkas wohl nicht anders<br />
gemacht - mitten hinein und wenn möglich noch ein bisschen<br />
höher als <strong>die</strong> vorhandenen Tempelanlagen. Stutzig macht mich<br />
<strong>die</strong> Provokation schon, weil ich ansonsten den Buddhismus als<br />
aggressionsfrei empfinde.Und das alles zur grösseren Ehre Gottes.<br />
Nui erklärt, was sie sieht – ich weiss, warum ich allein reise.<br />
In Ayutthaya, <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n beschaulichen Städtchen, suchen<br />
wir das „Iudia“ Boutique-Hotel, <strong>eine</strong> architektonisch eindrucksvoll<br />
geschaffene, ineinander geschichtete luftige Anlage<br />
im Thaistil mit sieben ansprechend gestalteten Zimmern, von<br />
denen ich „La Loubère“ im Oberstock beziehe, <strong>eine</strong> unaufdringliche,<br />
geschmackvoll moderne Einrichtung wie ich sie nicht erwartet<br />
habe. „Aijudia“nimmt <strong>die</strong> Tradition im Namen auf. Die<br />
Mittagshitze überbrücke ich im Zimmer, nachdem ich m<strong>eine</strong> beiden<br />
Begleiter nach Bangkok entlassen habe. Gegen 1600 wandere<br />
ich ein Stück <strong>die</strong> U Thong Road in <strong>die</strong> Stadt, halte in der schweren<br />
heissen Luft häufig an, hier um <strong>eine</strong>n gekühlten grünen Tee<br />
zu trinken, dort um <strong>eine</strong>n Blick auf den Fluss und sein Leben zu<br />
werfen. In <strong>die</strong>ser Stadt ist nun alles in Thai ausgezeichnet, <strong>die</strong>ser<br />
altindischen Schrift, dem Sanskrit entliehen. Kein lateinischer<br />
Buchstabe trübt das Bild. Um so mehr bin ich auf den Stadtplan<br />
im <strong>Reise</strong>führer angewiesen. Um 1830 finde ich m<strong>eine</strong>n Platz am<br />
Wasser für ein schmackhaftes Seafood mit Knoblauch und grünem<br />
Pfeffer. Auf dem Wasser setzt unaufhörlich <strong>eine</strong> Fähre Menschen<br />
und Motorräder von <strong>eine</strong>r Seite des Flusses auf <strong>die</strong> andere:<br />
Ich finde auch mein Motorrad - auf dem Rücksitz <strong>eine</strong>r solchen<br />
Knatterbüchse lasse ich mich <strong>die</strong> 2 km für 20 Bt zum Hotel transportieren.<br />
Wind und der tägliche Monsunregen setzen ein.<br />
86
Die Brücke am Kwai<br />
M i t t w o c h, 11.08.2010<br />
Ich kann gar nicht beschreiben, wie wohl und geborgen ich<br />
mich in <strong>die</strong>sem Haus fühle, kein Platz für Tage<strong>die</strong>be. 0600 nach<br />
<strong>eine</strong>r Bettmeditation – der Atem gibt den Rytmus vor – bleibt<br />
noch <strong>Zeit</strong> für ein paar Strecken im Schwimmbad, dann ein „orgiastisches“<br />
Toastfrühstück mit Ei und Schinken, das passt zu dem<br />
italienischen Flair, den sich das hauseigene Cafe gibt. Pünktlich<br />
um 0900 lassen Nui und Samai mich telefonisch rufen, alsdann –<br />
grosse Lagebesprechung: Für 2000 Bt extra geht es heute <strong>die</strong> 200<br />
km nach Kanchanaburi über Land - zur „Brücke am Kwai“.<br />
Das Jeath-Museum zeigt in Bildern und Zeichnungen <strong>die</strong> zynischen<br />
und brutalen Methoden, mit denen <strong>die</strong> japanischen Generale<br />
zum schnelleren Transport von Material und Personal 194 2/43<br />
in 17 Monaten <strong>die</strong> Burma-Bahn durch den Urwald treiben lassen<br />
– unter unsäglichen Opfern bei Kriegsgefangenen aus Australien<br />
und England – 12000 – und Zwangsarbeitern aus den besetzten<br />
Gebieten – 80000, wovon Pierre Boulles in s<strong>eine</strong>m Roman und<br />
Alec Guiness als Colonel Nicholson im Film „Die Brücke am Kwai“<br />
beredt Zeugnis geben. Unsere Väter haben auch hier ihre Spuren<br />
hinterlassen – der Film war für mich 1958 nur ein eindrückliches<br />
Ereignis in Füssen, nie hätte ich das der Wirklichkeit entlehnt in<br />
m<strong>eine</strong>m anerzogenen Glauben an das Gute im Menschen. Hier<br />
nimmt <strong>die</strong> Grausamkeit der tropischen Erkrankungen, der Cholera<br />
und Diphterie, des Hungers und der kräftezehrenden Schinderei<br />
bildhaft Gestalt an. Wenigstens ein Japaner – anders als in<br />
Nanking – hat sich s<strong>eine</strong>r verantworteten Schuld entsonnen und<br />
sein Geld in <strong>eine</strong> Stiftung eingebracht, <strong>die</strong> das Unrecht aufarbeiten<br />
hilft. Viel zu teuer lässt uns Nui für 500 Bt in 10 Minuten zur<br />
Brücke mit dem Boot fahren – nur <strong>die</strong> sieht völlig anders aus als<br />
das Holzgerüst, das ich aus dem Film kenne: Eine Eisenbrücke,<br />
<strong>die</strong> den wenigen Zügen auf der „Strecke des Todes“ ebenso Grund<br />
gibt wie den Hunderten Touristen, <strong>die</strong> sich zu Fuss über <strong>die</strong> Brücke<br />
machen. Natürlich – denn <strong>die</strong> Brücke ist doch von der briti-<br />
87
schen Luftwaffe noch im Februar 1945 zerstört worden. Aug‘ um<br />
Auge....<br />
Samai versorgt uns nach jedem Stopp mit frischem kaltem<br />
Wasser und <strong>eine</strong>m feuchten Tuch, den Schweiss abzutupfen: Suphanburi<br />
ist unser Ziel auf halbem Weg zurück nach Ayutthaya.<br />
Eine riesige Tempelanlage mit <strong>eine</strong>m 20 m hohen lehrenden Buddha<br />
gibt den Menschen vor dem mor-gigen Geburtstag der Königin<br />
Gelegenheit, ihre Opfer zu bringen und Gnadenerweise durch<br />
<strong>die</strong> Mönche – <strong>gegen</strong> <strong>eine</strong> Donation - zu erhalten. Nui lädt mich ein,<br />
m<strong>eine</strong> Wünsche ebenfalls mit Was-ser einsegnen zu lassen – dem<br />
Gemurmel des alten Mönchs vermag ich nur stimmlich zu folgen,<br />
in <strong>eine</strong>m tiefen Wai – gefaltete Hände über der Stirn – verharre<br />
ich kniend bis zum Ende und spüre dann den aufmerksamen<br />
Blick, mit dem der Mönch auf mich eingeht und mir ein orangefarbenes<br />
Bändchen um den rechten Arm bindet, mich liebevoll<br />
streichelt – wer streichelt mich schon sonst.<br />
Nui erläutert mir stolz, <strong>die</strong> Goldblättchen seien „alles Goldblättchen“<br />
und der Gong ein „Gong“, den ich dreimal schlagen<br />
müsse. Ihr Wortschatz ist gering und ein Gespräch findet eher im<br />
Abfragen der Thai-Zahlwörter als in deutsch statt. Ich hatte doch<br />
gebeten, mir <strong>die</strong>smal k<strong>eine</strong> <strong>Reise</strong>führer zur Verfügung zu stellen.<br />
Eine Bootsfahrt für 700 Bt rund um das alte Ayutthaya dauert<br />
<strong>eine</strong> Stunde – am „Song Thai“ steigen wir aus: Ente auf Vermicelli<br />
und <strong>eine</strong> scharfe Currysuppe überdauern den Regen – was für<br />
ein Tag.<br />
Tempel, Tempel<br />
D o n n e r s t a g, den 12.08.2010<br />
Heute bin ich schon <strong>eine</strong>n Monat unterwegs – mein Magen hat<br />
auch <strong>die</strong> unsäglich scharfe Currysuppe von gestern Abend mit<br />
Getöse entlassen, so langsam gewöhne ich mich an <strong>die</strong> Essensumstellung<br />
– und den Monsun. Jeder Tag wird so geplant, dass spä-<br />
88
testens um 1500 Aufenthalte in geschlossenen Räumen gesucht<br />
werden. Heute ist es unerträglich heiss – so kündigt sich der Regen<br />
schon vor der <strong>Zeit</strong> an – und gerade heute haben wir soviel vor<br />
an Altertümern.<br />
Am Elefantencamp hält uns schon <strong>die</strong> erste Meute davon ab,<br />
den Wats und Schr<strong>eine</strong>n <strong>die</strong> Aufmerksamkeit zu schenken: Ein<br />
paar Elefanten tanzen zur Freude von Kindern und Erwachsenen<br />
gleichermassen, sie reagieren punktgenau auf ein Zeichen ihres<br />
„Mahut“ Führers, schnauben, machen <strong>eine</strong>n Wai und stellen sich<br />
zur Freude aller auf <strong>die</strong> Vorderb<strong>eine</strong>, das Gesäss hoch in <strong>die</strong> Luft.<br />
Alles das geschieht hautnah – ohne Ängste. Wie sehr das ganze<br />
in <strong>die</strong> religiöse Verehrung von „Erawan“ einbezogen ist, wird im<br />
Schlussbild deutlich: Der starke Bulle steht mit allen Vieren auf<br />
dem Podest – und <strong>die</strong> Schar der Gläubigen wandelt unter s<strong>eine</strong>n<br />
Zähnen und s<strong>eine</strong>m Bauch im Kreis mit erhobenen Händen. Und<br />
opfert. Der Rest der Show verliert sich im Fotografieren und Reiten.<br />
Die Elefanten sind mit ihren Schaukeln ein Teil des Stadtbildes<br />
von Ayutthaya – wie schon zu <strong>Zeit</strong>en der Stadtgründung um<br />
1350 n. Chr.<br />
Der „Alte Palast“ enthält das „Wahrzeichen“ Ayutthayas – mit<br />
den drei Chedis im Wat Phra Si San Phet hat es sich 1991 in das<br />
Weltkulturerbe eingetragen. Die Halle des Vihara Phra Mongkol<br />
Bophit gibt zum ersten Mal an <strong>die</strong>sem Tag Gelegenheit, den sitzenden<br />
Buddha in der Mudra zu umlaufen, mit der er <strong>die</strong> Erdgöttin<br />
als Zeugin anruft. Ein Baby wird mitsamt Geschenken von <strong>eine</strong>m<br />
Mönch eingesegnet, am andern Ende dankt <strong>die</strong> Grossmutter<br />
für ihren 80. Geburtstag, Blitzlichter schiessen – das alles läuft in<br />
<strong>eine</strong>r beschaulichen Gleichmütigkeit. Schuhe aus, Schuhe an, <strong>die</strong><br />
Frauen legen sich züchtig Tücher um, <strong>die</strong> bereit gehalten werden.<br />
Im Wat Matathat hat Buddha s<strong>eine</strong>n Kopf versteckt – <strong>die</strong> andern<br />
haben <strong>die</strong> Burmesen in ihren Kriegen <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Thais alle abgesäbelt<br />
und als Souvenir mit nach Hause genommen: Der Kopf lugt<br />
heute malerisch zwischen den Wurzeln <strong>eine</strong>s Boditrees hervor.<br />
Im Wat Phanan Cheong steigen wir <strong>die</strong> steilen Stufen des<br />
Chedi‘s hoch, um <strong>eine</strong>n Blick über <strong>die</strong> Anlage zu werfen, am ru-<br />
89
henden Buddha kleben <strong>die</strong> Menschen 1 Sen-Stücke an, alles ist<br />
so festlich geschmückt, <strong>die</strong> Besucherzahlen sind ungewöhnlich<br />
hoch, es ist Feiertag, Königin Sirikit feiert Geburtstag am 12.08.<br />
- und das ganze Volk feiert mit. Das wird nochmals deutlich vor<br />
dem Wat Chai Watanaram, der sich wunderbar in <strong>die</strong> Flussbiegung<br />
einpasst. Vor dem Eingang ein überhohes Bildnis der etwas<br />
verfetteten Königin, das genauso mit Räucherstäbchen und<br />
Wais begrüsst wird wie <strong>die</strong> Buddhastatuen, <strong>die</strong> eigentlich künstlerisch<br />
wenig hergeben – aber das ist auch nicht der Sinn. Zum<br />
<strong>eine</strong>n liegt in der asiatischen Kunst wohl in der Wiederholung der<br />
schöpferische Akt, zum andern ist jede Statue nur ein Symbol der<br />
Religion oder des Weges, den der Gläubige eingeschlagen hat, so<br />
mengen sich in den Anlagen chinesische mit Thaitempeln, <strong>eine</strong><br />
relativ gut erhaltene Anlage, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Burmesen wohl deshalb verschont<br />
haben, weil sie sie als Heerlager benutzt haben aufgrund<br />
der geschützten Lage jenseits des Flusses. Nun sollte eigentlich<br />
noch <strong>Zeit</strong> bleiben für das Ayutthaya Historical Study Center, wo<br />
<strong>die</strong> Geschichte Ayutthaya‘s und s<strong>eine</strong>r vierhundertjährigen Herrschaft<br />
in <strong>eine</strong>m japanisch-thailändischen Joint Venture abgearbeitet<br />
wird, aber 1550 ist mir zu knapp, wenn das Haus schon um<br />
1630 geschlossen wird. Die Nässe schüttele ich in der Dusche ab,<br />
wechsle <strong>die</strong> Kleider, wandle am Pool – und warte.<br />
Um 1900 sagen m<strong>eine</strong> beiden Begleiter „dschok <strong>die</strong>“ viel Glück,<br />
am Bahnhof haben sie mich vor dem grossen Regen und sich nach<br />
Bangkok abgesetzt, ich leide wenig Verlust. Kurze Orientierung –<br />
der uniformierte Bahnhofsvorsteher schaut sich m<strong>eine</strong> Fahrkarte<br />
an, erläutert 1950 – etwa 10 Minuten verspätet trifft der Express<br />
aus Bangkok hier ein – es giesst in Strömen, <strong>die</strong> Luft kühlt mit dem<br />
Dutzend Ventilatoren, <strong>die</strong> den meist westlichen Rucksackreisenden<br />
den „Marsch blasen“, der über <strong>die</strong> schnell herbeigeschafften<br />
Fernseher verbreitet wird. Vor denen stellen sich <strong>die</strong> Bahnbeamten<br />
in Uniform auf , <strong>die</strong> Schalter sind vorübergehend geschlossen,<br />
in den Händen halten sie Kerzen - und stimmen ein in den vermittelten<br />
Jubel aus Bangkok und <strong>die</strong> Nationalhymne, zu der sich<br />
alle im Bahnhof erheben. „Mutter der Nation“ - jetzt weiss ich,<br />
90
warum ich für <strong>die</strong> Monarchie bin, da gibt es immer was zu feiern.<br />
Im Ernst, das war <strong>eine</strong> würdige und eindrucksvolle Geste für das<br />
allseits geliebte, nicht nur „beliebte“ Königspaar. So habe ich wenigstens<br />
beide mal zumindest im Fernsehen gesehen.<br />
Durch <strong>die</strong> Pfützen wandere ich zum letzten Waggon N° 11 – 1.<br />
Kl, AC, Platz 24, allein im Abteil. Kärglich <strong>die</strong> Einrichtung mit<br />
Wasserhahn und -becken, Spiegel und Seife. Der Kellner nimmt<br />
<strong>die</strong> Bestellung auf 300 Bt für ein schlichtes Abendessen, 360 BT<br />
für <strong>eine</strong> S(s)chale Reissuppe – ich hätte beides ablehnen sollen, in<br />
Chiang Mai wartet ein tolles Buffet auf mich, aber das liegt noch<br />
<strong>eine</strong> Nacht und 12 Stunden weiter im Norden.<br />
Chiang Mai<br />
Fr e i t a g, den 13.08.2010<br />
Ich stehe um 0600 mit dem rechten Fuss auf, damit <strong>die</strong> Omen<br />
den Tag besiegen können, Katzenwäsche – es ist es merklich kühler<br />
in den Bergen. Ich freue mich auf den Ort der Nordvölker, der<br />
Hmongs und Karen sowie der burmesischen Langhalsfrauen, <strong>die</strong><br />
ihren Reichtum immer bei sich am Halse tragen. Urwald lichtet<br />
sich, saubere kl<strong>eine</strong> Häuschen zeigen sich, <strong>die</strong> ersten Motorräder<br />
und Jogger sind unterwegs, zweigleisig sind wir nur in der Nähe<br />
der Bahnhöfe, wo <strong>die</strong> Züge einander passieren. 0840 kündet der<br />
Schaffner – auch auf englisch an „noch fünf Minuten bis zum<br />
Bahnhof“ – Endstation, weiter geht’s nicht. Nart wartet schon mit<br />
<strong>eine</strong>m Pickup auf mich, wir tauschen Telefonnummern für den<br />
Fall, dass ich sie brauche. Im „De Naga“-Hotel grüssen mich <strong>die</strong><br />
Schlangen, <strong>die</strong> der Unterkunft den Namen und <strong>die</strong> plastischen Ornamente<br />
liefern.<br />
Unter den Monsunwassern wachsen <strong>die</strong> Nägel wie verrückt,<br />
Putz- und Pflegestunde ist angesagt in Zimmer 407. Die nasse<br />
Wäsche von gestern noch zum Trocknen aufbereiten, ein neues<br />
Gesicht aus dem Koffer zaubern – und auf zur Entdeckungsreise.<br />
91
Welche Enttäuschung schon bei den ersten Schritten: „Bierhaus“<br />
steht doch da, Trekking und besonders einsame Touren an jedem<br />
zweiten Haus, Massage an allen Ecken auf „Öl“ und „scrub“ und<br />
„Thai“ - am Tapae-Tor, <strong>eine</strong>s von 4 Toren, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Stadt auf <strong>eine</strong>m<br />
1,5 qkm grossen kanalumgebenen Terrain im Norden, Osten, Süden,<br />
Westen markieren, werde ich schwach – vier junge Damen<br />
umschwärmen mich („..wie <strong>die</strong> Motten das Licht...“) und nehmen<br />
sich Kopf, Hände und Füsse gleichzeitig vor: Die Chefin schneidet<br />
mir <strong>die</strong> wenigen Haare, zwei angelernte Mädchen widmen sich<br />
der rechten und der linken Hand mit Knipser und Feile, und <strong>die</strong><br />
Jüngste müht sich um m<strong>eine</strong> „Quadratlatschen“, nachdem sich<br />
alle Welt über m<strong>eine</strong>n abgestorbenen Holznagel lustig gemacht<br />
hat. Nach <strong>eine</strong>r Stunde fühle ich mich leichter – 300 Bt <strong>die</strong> Rechnung,<br />
mein Gott – <strong>die</strong> Welt ist schön. Man muss zu s<strong>eine</strong>r Schönheit<br />
auch stehen!<br />
So ein mondänes Restaurant wie „Black Canyon“ gibt es in<br />
ganz Ayutthaya nicht – nur westlicher Besuch, <strong>eine</strong> Currysupe<br />
mit viel Ginger reicht für den Lunch neben <strong>eine</strong>m kühlen Tamarindensaft,<br />
der mir zu süsslich schmeckt. Eine Runde Tempel im<br />
Umlauf des Hotels, um bei Regen gleich springen zu können, dann<br />
erwischt es mich doch beim „Ye Olde British“, wo Erdinger Weizen<br />
wirbt – ich gönne mir für <strong>die</strong> zwei Stunden Regen <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>ung und<br />
ein Draught „Tiger-Beer“. Das Aaron Rai wärmt mich mit <strong>eine</strong>m<br />
Curryhuhn auf Reis, danach verschwinde ich lustlos im Hotel.<br />
Morgen werde ich <strong>die</strong>ser Stadt entfliehen, wenn sich <strong>die</strong> Stadt<br />
schon so wie Rüdesheim und Rothenburg zusammen vermarktet,<br />
dann muss es da draussen ja noch ein Fleckchen unentdeckter<br />
Erde geben.<br />
92
Auf Strassen und Märkten<br />
S a m s t a g, den 14.08.2010<br />
Es ist merklich kühler hier im Norden – 31°, 32 ° C – aber <strong>die</strong><br />
Luftfeuchtigkeit ist stark, wie ein schwerer Sack legt sie sich über<br />
dich, wenn sich <strong>die</strong> Regenwolken aufbauen. Die ganze Nacht hat<br />
es geregnet, <strong>die</strong> Stadt voller Wasser, k<strong>eine</strong> Einladung zu <strong>eine</strong>r Motorradtour.<br />
Also frühstücke ich gut, aber das ist bei der Kärglichkeit<br />
des Angebots k<strong>eine</strong> Frage der Qualität – hier ist alles auf westliche<br />
Zungen eingestellt, ich sehe kein einheimisches Gesicht, also<br />
bilden sich Schlangen vor den Toastern. Ich lasse mir den Guava<br />
Saft und <strong>eine</strong>n hauseigenen Yoghurt ebensogut schmecken wie<br />
den Jasmin Reis mit <strong>eine</strong>m Rindshack. Regelmässig strapaziere<br />
ich m<strong>eine</strong>n Magen schon morgens mit ein paar heissen Chilischoten,<br />
damit der Darm in Bewegung bleibt – so wie ich.<br />
Einmal kreuz – da liegt der Wat Sai Moon Muang mit s<strong>eine</strong>n<br />
dämonischen Tempelwächtern, aber auch sein Myanmarableger<br />
– einmal quer – da sticht der renovierte alte Wat Chiang Man<br />
ins Auge mit s<strong>eine</strong>m wandernden Buddha. Zwei Stunden hat<br />
der Tag über <strong>die</strong>se kl<strong>eine</strong> Wanderung schon verbraucht, auch<br />
ich fühle mich angesichts des drohenden Regens und der damit<br />
emporschnellenden Luftfeuchtigkeit nicht nur klatschnass, sondern<br />
auch verbraucht. Da strahlt mich <strong>eine</strong> etwas ältere Thai in<br />
bestem englisch an, ob ich mir nicht <strong>eine</strong> Massage gefallen lasse,<br />
das brächte mich wieder auf Tour. Na ja, das Etablissement macht<br />
<strong>eine</strong>n sauberen, gepflegten Eindruck – ich erinnere mich an den<br />
Auftritt im Internet. Und da ich der erste Kunde bin, Schuhe aus,<br />
werde ich gleich mit <strong>eine</strong>m grünen Tee und <strong>eine</strong>m Eistuch verwöhnt.<br />
Lannaka, <strong>die</strong> Besitzerin, hat ihre Not, ihre Angestellten<br />
um <strong>die</strong>se <strong>Zeit</strong> schon einzubestellen, daher macht sie das Fussbad<br />
in warmem Blumenwasser selbst und erzählt von ihren Mühen,<br />
sich in der Vielzahl der Massagesalons zu platzieren.<br />
Im Hintergrund spielt leise Beethovens „Forellenquintett“,<br />
<strong>eine</strong> klassische Musikauswahl stimmt mich ein. Die mittlerweile<br />
eingetroffene Masseurin geleitet mich über zwei Stockwerke<br />
93
zur Ölmassage. Ich bestehe darauf, mich zuvor zu duschen, um<br />
zu geniessen, was an warmem Ölbad auf mich wartet. Ich liege<br />
in <strong>eine</strong>m halbverschatteten Raum mit zwei Massagetragen – und<br />
dämmere vor mich hin – in der Klassik passend Humperdinck‘s<br />
„Abends wenn ich schlafen geh‘“ aus „Hänsel und Gretel“ - während<br />
<strong>die</strong> Masseurin mit <strong>eine</strong>m langen Strich über m<strong>eine</strong>n Rücken<br />
fährt, mit den Händen, manchmal aber auch mit dem Unterarm,<br />
dann wieder spitzt sie ihren Ellenbogen in mein Muskelfleisch,<br />
besonders als sie an der Wade arbeitet, muss ich <strong>die</strong> Zähne zusammen<br />
beissen – es nähert sich <strong>eine</strong>r schmerzvollen Erfahrung.<br />
Die Massagebetten haben auf der Kopfseite ein Loch zum Atmen<br />
– und Schauen, dort unten steht <strong>eine</strong> Schale mit wunderschönen<br />
Blütenblättern – alles ist aufs Wohlbefinden bedacht. Nach<br />
30 Minuten Stellungswechsel: Ich werde über dem Öl mit <strong>eine</strong>r<br />
roten L<strong>eine</strong>nhose und <strong>eine</strong>r weissen L<strong>eine</strong>nbluse eingekleidet.<br />
M<strong>eine</strong> nassen Sachen nehme ich mit in den Massagesaal im Erdgeschoss.<br />
Abgetrennt durch Vorhänge lege ich mich auf weiche<br />
Matten und ein Kissen und überlasse mich in der nächsten Stunde<br />
den Griffen und Kniffen der Thaimassage, <strong>die</strong> m<strong>eine</strong> Masseurin<br />
gnadenlos beherrscht – so viele Muskeln habe ich doch gar nicht<br />
mehr – sie entdeckt immer neue, <strong>die</strong> sie gekonnt dehnt, streckt,<br />
schüttelt. Neben mir füllt sich der Saal, hinter den anderen Vorhängen<br />
bewegt sich anderes Leben. Alles ist äusserst ruhig, wahrt<br />
Diskretion, während <strong>die</strong> Hintergrundmusik auf „Green Sleeves“<br />
gebettet ist. „Oh wie wohl ist‘s mir am Morgen“ - du wünschst dir,<br />
es möge nicht mehr aufhören – erst mit dem Klatschen hörst du<br />
dann „ok“, das war‘s dann wohl. 100 Bt extra hat sich <strong>die</strong> junge<br />
Frau bei m<strong>eine</strong>r Muskulatur ver<strong>die</strong>nt. Sie bedankt sich artig mit<br />
<strong>eine</strong>m Wai. Ich bin genauso artig, schlucke m<strong>eine</strong>n frischen Tee,<br />
es ist immerhin fast 1300 Uhr geworden, das waren aber mehr<br />
als <strong>die</strong> 90 versprochenen Minuten. Ich lobe <strong>die</strong> exzellente Massage,<br />
für <strong>die</strong> m<strong>eine</strong> Wirtin nur 490 Bt kassiert, mein Gott, so nahe<br />
dem Para<strong>die</strong>s für 10 €! Die Glücksgefühle halten noch an, als ich<br />
mich auf <strong>eine</strong>n Limonentee und <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Snack mit „Huhn<br />
auf Cashew“ einlasse.<br />
94
Dann wartet der wichtigste Tempel, der Wat Phra Sing, auf<br />
mich, er ist jenem Mönch „Phra Sing“ aus Ceylon gewidmet, der<br />
fast naturgetreu abgebildet in <strong>eine</strong>r Seitenkapelle meditativ versunken<br />
ist, erst am „don‘t touch“ bemerke ich, dass es <strong>eine</strong> Wachsfigur<br />
mit lebensechten Zügen ist. Ein eindrucksvoller Tempel mit<br />
<strong>eine</strong>m dreifach gestaffelten Dach wie mit dreifach gestaffelten<br />
Buddhastatuen, umgeben von Verkaufsständen. Ich versuche zu<br />
meditieren. Vergeblich.<br />
Im Für und Wider entscheide ich mich nun doch, statt <strong>eine</strong>s<br />
Motorrads ein Auto zu nehmen, dann bin ich auch bei Regen<br />
geschützt. Im Internet Angebote bei 2000 Bt pro Tag. Bei Mr.<br />
Mechanic erstehe ich <strong>eine</strong>n kompakten roten Honda Automatic<br />
mit Klimaanlage bei zwei Tagen für 2.200 Bt. Er hat schon einige<br />
Schrammen, auch ist er innen nicht so sauber wie ich es bei<br />
grossen Firmen erwarte, aber er fährt. Beim Schneider noch<br />
schnell <strong>die</strong> Anprobe für <strong>die</strong> beiden Hemden, dann wandere ich<br />
zum Nachtmarkt der Silberschmiede in der Wualai Street, nehme<br />
hier ein Papaya-Shake mit, dort <strong>eine</strong> Plastiktüte voller Mangoscheiben.<br />
Die getriebenen Blech-Silberwaren weisen chinesische<br />
Motive auf. Der Markt ist reich an Musikern und Essensständen<br />
– ein pikant gewürztes Octopus-Satee opfert sich für mich. Es ist<br />
mussevoll, dem Handeln und Wandeln von <strong>eine</strong>r kl<strong>eine</strong>n Bank<br />
aus zu zu sehen. Die Mädchen sind zum Teil wunderschön, besonders<br />
wenn sie jung sind – <strong>die</strong> älteren Frauen neigen eher zur Fülle,<br />
behalten aber <strong>die</strong> Weichheit ihrer Gesichtszüge. Dieser Markt ist<br />
in s<strong>eine</strong>m künstlerischen und handwerklichen Angeboten in der<br />
Tat etwas Besonderes – ich bin gespannt, wie er sich im Sonntagsmarkt<br />
morgen abend wiederfindet.<br />
95
Ausflug in <strong>die</strong> Berge<br />
S o n n t a g, f e r r a g o s t o 2010<br />
Der Tag hat mich reich gemacht – nicht an Baht, nein <strong>die</strong> sind<br />
geschmolzen wie das Eis in der Sonne. Gestern noch 10.000 Bt<br />
umgetauscht, heute fast schon ausgegeben, nachdem ich allein<br />
5.000 Bt zusammen mit m<strong>eine</strong>m Personalausweis als Sicherheit<br />
bei Mr. Mechanic lassen musste. Seltsam, solche Sicherheiten machen<br />
mich stutzig, das hat erpresserische Züge - „ich gebe <strong>die</strong> ID<br />
nicht raus, wenn du nicht – ja was denn – <strong>die</strong> Schäden am Auto<br />
bezahlst“ - und was für Kratzer und Defekte. Ich habe sie als erstes<br />
heute früh alle fotografiert, nachdem ich m<strong>eine</strong> kriminogenen<br />
Anwandlungen nicht beherrschen konnte. Doch dann läuft <strong>die</strong><br />
Maschine rund – raus aus Chiang Mai nach Mae Rim, von dort<br />
in das schöne Mae Sa Tal mit s<strong>eine</strong>n Obstgärten, Wasserfällen,<br />
Schmetterlings- und Orchideenfarmen, Makaken- und Elefantencamps.<br />
Die „Mae Sa -Wasserfälle“ im Nationalpark – 100 Bt<br />
Eintritt, 30 Bt Parkgebühren – entpuppen sich als laue Kaskadenfälle,<br />
<strong>die</strong> ein wenig <strong>die</strong> Felsen gelb einschäumen. Schon <strong>die</strong> 600<br />
m befestigten Weges sind vom nächtlichen Regen noch glitschig,<br />
so dass ich mir <strong>die</strong> restlichen 6000 m durch den Urwald spare,<br />
zumal um <strong>die</strong>se <strong>Zeit</strong> – 0900 – weder das Visitorcenter besetzt ist,<br />
noch sonst jemand m<strong>eine</strong> Einsamkeit teilt. Sie alle sind schon zum<br />
Elefantencamp geeilt, das 2 Kilometer weiter liegt – ich komme<br />
gerade rechtzeitig für <strong>die</strong> 0940 Show – 120 Bt.<br />
„Erawan“, der mythische Name des Elefanten, der im Buddhismus<br />
als heilig verehrt wird – immerhin ist Maya durch <strong>eine</strong>n weissen<br />
Elefanten über <strong>die</strong> Seite geschwängert worden und hat daher<br />
Buddha, den Prinzen Boddhisattva, unbefleckt geboren; wie sich<br />
<strong>die</strong> Bilder gleichen, aber Buddha war nur ein wenig, knapp 563<br />
Jahre älter als Jesus, wenn ich unserer <strong>Zeit</strong>rechnung folge. Buddhistische<br />
Länder – wie Thailand, Burma, Vietnam u.a., schreiben<br />
übrigens das Jahr „53“, soll wohl heissen 2553, so recht reimt<br />
sich das aber noch nicht.<br />
96
72 Elefanten im Camp – ich habe nie solch hingebungsvollen,<br />
fast hätte ich gesagt „intelligenten“ Elefanten nicht nur bei der<br />
Arbeit, sondern auch beim Spiel erlebt. Staunend mit den andern<br />
200 Gästen sehe ich, wie Elefanten ballsicher Tore schiessen,<br />
auch dann, wenn ein dicker 30-Jähriger Bulle mit starken<br />
Zähnen im Tor steht. Verwundert nehme ich ihre künstlerische<br />
Art zur Kenntnis, ich hätte es niemandem geglaubt, wenn ich es<br />
nicht selber gesehen hätte. Mit kurzen Bewegungen am Ohr und<br />
ein paar Hilfen des Mahut bei der Farbgebung, malt der Elefant<br />
Landschaftsbilder, Blumen-Stillleben, Karikaturen – es ist nicht<br />
zu glauben. Und anschliessend werden <strong>die</strong>se Bilder sogar noch<br />
für 25.000 Bt nicht nur angeboten, sondern auch noch verkauft.<br />
Da ist es schon nicht mehr überraschend, dass der Elefant beim<br />
Dartspiel 9 von 10 Luftballons trifft, während der Junge es nur<br />
auf vier Treffer auf <strong>die</strong> gleiche Entfernung bringt. Ein verdammt<br />
interessantes Spiel – und <strong>die</strong> Elefanten sind alle begeistert bei der<br />
Sache, <strong>eine</strong>r hat mich mit s<strong>eine</strong>m Rüssel „vereinnahmt“. Ich muss<br />
auf dem Bild wohl den gleichen Gesichtsausdruck verwandt haben<br />
wie damals mit den Vipern um den Hals im Tempel auf Penang.<br />
Das einstündige Wackeln mit Mahuts und auf Elefanten durch<br />
Sumpf und Wald habe ich mir erspart – 1200 Bt. Den Moment<br />
verbringe ich am Wasserplatz, ehe sich <strong>die</strong> Elefanten dort duschen.<br />
Derart aufgemöbelt vergesse ich, dass hier <strong>die</strong> Ortsschilder<br />
k<strong>eine</strong> für mich lesbaren Namen enthalten, und verpasse <strong>die</strong><br />
Abfahrt zu dem Bergdorf Nong Hoi, wo ich auf Hmongs treffen<br />
wollte. Schmetterlinge, Vögel, allerlei kl<strong>eine</strong> Echsen queren m<strong>eine</strong>n<br />
Weg. Am Wegesrand gibt es k<strong>eine</strong> Versorgung, also bin ich<br />
rund um den Park über Berg und Tal um 1400 Uhr noch hoch auf<br />
den Wat Phrathat Doi Suthep, der erst 290 Stufen zu erklettern<br />
vorgibt, ehe ich als Ausländer noch um 30 Bt Eintritt entreichert<br />
von der Nagaschlange für den Tempel freigegeben werde. Hochbetrieb<br />
am Sonntagnachmittag, Jahrmarkt, Essensstände, Taxis,<br />
Textilien, Souvenirs, du hast gar nicht Augen genug, um alles zu<br />
erfassen. Dann dringt Musik an dein Ohr: Zwei Musikeinheiten<br />
97
machen sich im Vorhof des Tempels Konkurrenz, während zwei<br />
andere Tanzgruppen noch eigene Bandmusik ablaufen lassen zu<br />
ihren kleidsamen Vorführungen. Anmutig selbst <strong>die</strong> Kinder – und<br />
alles mit <strong>eine</strong>r fröhlichen Leichtigkeit, <strong>die</strong> ansteckend wirkt. Hier<br />
wird jener Charme sichtbar, der sich in den Saloons und Salons<br />
von Chiang Mai nicht mehr findet – hier bin ich 40 Jahre zu spät<br />
angekommen, um <strong>die</strong>se Bilder als Lebensbilder mitzunehmen –<br />
jetzt sind es Aufführungen, optische Verführungen. Ich verweile<br />
in <strong>die</strong>sem Augenblick – er macht mich reich. Ich freue mich über<br />
jede Geste, <strong>die</strong> mich anspricht. Im Innern des Tempels <strong>eine</strong> Schar<br />
an Mönchen, <strong>die</strong> als Ratgeber in ihren Stühlen erhaben fungieren,<br />
während <strong>die</strong> Menschen zu ihren Füssen ehrerbietig ihr Anliegen<br />
schildern. Überall auch Gelegenheit zu spenden – bist du am Montag<br />
geboren, gibst du in den Montagstopf, am Samstag in den<br />
Samstagstopf – und zum Fest der Königin am Donnerstag ist auch<br />
noch ein Extratopf offen. Am Eingang werden <strong>die</strong> eingesammelten<br />
Lotosblumen ein zweites und drittes Mal verkauft, Kerzen,<br />
Räucherstäbchen, k<strong>eine</strong> Statue wird ausgelassen. Buddha auf der<br />
Wanderschaft mit – Schirm, Stock, Sammeltopf und linker Hand<br />
<strong>die</strong> Furcht abwehrend – das ist neu, <strong>die</strong> Linke ist doch unrein, das<br />
gilt aber nur für <strong>die</strong> Hand (im „Spiegel“ lese ich aber „ernst“haft<br />
Unr<strong>eine</strong>s auch über „Die Linke“ - Schmarotzerblättchen!). So viel<br />
Abwechslung war selten.<br />
Kein Wunder, dass ich erst <strong>gegen</strong> 1630 aufbreche und noch<br />
schnell <strong>die</strong> 6 km enge Strasse zum Ban Doi Pui nehme, das <strong>die</strong><br />
Hmongs - wie <strong>die</strong> Franzosen am Mont St. Michel - in ein Verkaufslager<br />
verwandelt und ihre Kinder in Kostüme gesteckt haben<br />
für <strong>die</strong> Fotos der reingeschaufelten Touristenströme, <strong>die</strong> hier<br />
erste Kontakte zu den „Bergvölkern“ finden – natürlich <strong>gegen</strong> Gebühr.<br />
Da schmeckt Mama‘s Nudelsuppe noch mal so scharf. Ich<br />
geniesse es, wenn m<strong>eine</strong> wenigen Worte in Thai schon <strong>eine</strong>n lächelnden<br />
Aufstand am Tisch provozieren, wenn ich etwa „chan<br />
– chan“ für langsam oder „mai pen rai“ für macht nichts oder<br />
„päng“ zu teuer los werde, den Versuch, mit mir Thai zu sprechen<br />
dann aber abwehre „nitnoi“ - nur ein wenig. Nur so komme ich<br />
98
nicht als Juwelier zurück, der <strong>die</strong> 1-karätigen Diamanten aus Burma<br />
verschleppt hat, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Mannsbilder an den „Papa“ zu bringen<br />
suchen. Ein wunderbarer Tag ohne Regen trägt sich in <strong>die</strong> abendliche<br />
Stimmung, <strong>die</strong> mich wieder nach Chiang Mai zurückführt.<br />
Nach <strong>eine</strong>m Stündchen am und im Schwimmbad, das Wasser<br />
ist milchig – <strong>die</strong> 747 Seiten „Steinbeck“ wollen zu Ende gebracht<br />
werden – mache ich mich fein, es ist doch Sonntag: Helle Hose,<br />
schwarze Schuhe, Strümpfe, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Füsse seit Wochen nicht kennen,<br />
schwarzes T-Shirt. Und <strong>die</strong> Kapp nicht zu vergessen. Kaum<br />
bin ich auf dem Trottoir, hakt sich auch schon jemand ein – <strong>die</strong><br />
Body Lotion macht sich bezahlt, für <strong>die</strong> junge Dame aber reicht<br />
das Geld nicht mehr – <strong>die</strong> 1000 Bt bin ich dem Schneider schuldig,<br />
der m<strong>eine</strong> beiden Hemden – schwarzseidig und grünwollig<br />
– fertig hat mit <strong>eine</strong>m silbernen Knopf als „eyecatcher“. Der Gang<br />
über den Nachtmarkt macht mich fröhlich, ein Tag, der sich mir<br />
schenkt. Über 30 Bt für ein paar Frühlingsröllchen bin ich erstaunt,<br />
dafür handle ich <strong>die</strong> 3 Mangoschalen auf 500 Bt herunter;<br />
da bleiben dann auch noch 60 Bt übrig, um sich 30 Minuten lang<br />
<strong>die</strong> Füsse massieren zu lassen. Ein weihevoller Akt, der mit <strong>eine</strong>m<br />
Wai begonnen und beschlossen wird.<br />
Anfang und Ende <strong>eine</strong>s reichen Tages, der Sinne füllt und<br />
Sinnlichkeit schärft. Der Sonntagsmarkt hat <strong>eine</strong> hohe Attraktivität<br />
im Sortiment – es gibt noch Überraschungen auf <strong>Reise</strong>n.<br />
Versöhnung<br />
M o n t a g, den 16.08.2010<br />
Nun bin ich mit Chiang Mai wieder versöhnt – es kann ja<br />
nichts dafür, dass ich vor 40 Jahren den Sprung hier herauf nicht<br />
gemacht habe, vielleicht wäre <strong>die</strong> Enttäuschung über den Wandel<br />
<strong>eine</strong>r Stadt danach noch grösser gewesen. Es hat <strong>eine</strong> stille<br />
Lieblichkeit bewahrt, <strong>die</strong> insbesondere von der bergig-waldigen<br />
Umgebung auf <strong>die</strong> Stadt zurückstrahlt, sich aber auch in der ge-<br />
99
lassenen Atmosfäre der Nachtmärkte widerspiegelt, <strong>die</strong> nicht<br />
nur für <strong>die</strong> „Farangs“, <strong>die</strong> Fremden sich reizvoll gestaltet. Überall<br />
<strong>die</strong>ses Lächeln Asiens, das <strong>eine</strong> Leichtigkeit vermittelt, <strong>die</strong> verzaubert.<br />
Dazu kommt das doch merklich milde und verträgliche<br />
Klima, das mich hier fast ohne AC leben lässt. Und dass ich mich<br />
in <strong>die</strong>ser Welt fremder Schriftzeichen per Karte bewegen kann,<br />
beschwingt mich – von den Umwegen und falschen Abfahrten erzähle<br />
ich natürlich nichts.<br />
Heute will ich mir noch <strong>die</strong> musealen Überbleibsel der Bergvölkerkultur<br />
im „Tribal Museum“ anschauen. Doch zuvor erleichtere<br />
ich mich um 5 kg, <strong>die</strong> für – sage und schreibe – 4.580 Bt, das<br />
sind 100 €! mir den ersten Schub Bücher, Navigator und ungenutzte<br />
Textilien per DHL Express nach Hause befördern statt mir<br />
wieder Extrakosten bei den Fluggesellschaften aufzubürden. Der<br />
Weg aus der Stadt war umsonst, das Museum ist wegen Renovierung<br />
geschlossen, also kehrt um über Bo Sang nach Lamphun.<br />
Hier werden all <strong>die</strong> Rattan-Möbel und Einrichtungs<strong>gegen</strong>stände<br />
für Ikea, <strong>die</strong> Lack- und Schnitzarbeiten, Silberschmiede- und<br />
Bronzearbeiten, Schirme und Keramiken hergestellt, <strong>die</strong> wir als<br />
Massenwaren verbrauchen. Lamphun ist ein verträumtes Städtchen<br />
– 30 km südlich von Chiang Mai. Mittagshitze hin oder her,<br />
der Wat Phrathat Haripunchai hat es mir angetan - mit der Zutat<br />
„Phra“ wird immer <strong>die</strong> Besonderheit des Tempels herausgestellt:<br />
vielleicht „Erzbischofs-“ statt „Bischofssitz“. Hier macht sich mit<br />
den Eingangslöwen ein birmanischer Einfluss sichtbar. Selten gesehen<br />
rundum <strong>eine</strong> Wandmalerei an den Aussenflächen der grossen<br />
Vihara, <strong>die</strong> Geschichten aus der buddhistischen Mythologie<br />
thematisieren. Ein 2 m Bronzegong und ein 51 m hoher Chedi –<br />
wir nennen das glaube ich alles Pagode, während <strong>die</strong> Siamesen<br />
Chedi, Stupa, Prang je nach Form unterscheiden. Endlich habe ich<br />
mal <strong>eine</strong> Tempelanlage für mich allein, umrunde <strong>die</strong> Anlage im<br />
Uhrzeigersinn, verweile hier, um <strong>eine</strong>n goldenen Hahn in Übergrösse<br />
abzulichten, den ich bisher in der Galerie verehrter Tiere<br />
noch nicht gefunden habe, dort um mir ein symbolhaft beladenes<br />
Schiff anzusehen. Am meisten aber nimmt mich <strong>die</strong> Stille im<br />
100
Bot, dem Allerheiligsten, gefangen: Die vielen Tempel – und nun<br />
endlich <strong>eine</strong>r, wo ich mir selbst <strong>Zeit</strong> geben kann: Gibt es „Gott“<br />
im Buddhismus ? Ist Buddha ein „Gott“ oder doch nur ein Profet<br />
wie Jesus und Mohamad ? Apologeten <strong>eine</strong>s Lebensweges, der ins<br />
Heil führen kann: Die Liebesbotschaft der Christenlehre mit dem<br />
Glauben an ein gottnahes Jenseits, <strong>die</strong> Lehre der durch Meditation<br />
gewonnenen Selbsterkenntnis -“cognosce te ipsem“, hatten wir<br />
das nicht auch schon mal ? - als Metafer, sich leid- und freudlos<br />
aus der irdischen Verstrickung auf immer zu lösen. Die buddhistischen<br />
Mönchsgestalten, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Leben geführt haben, sind<br />
allein in der Betrachtung, geschweige denn in Kenntnis ihres Lebensweges<br />
eindrucksvoll.<br />
Nur schwer löse ich mich aus der Betrachtung, Nudelsuppe<br />
und Zitronenwasser laden mich ein auf dem Weg zu dem alten<br />
Teakhaus, das nun allen Ulk – Spardosen, Streichhölzer, Blechspielzeug<br />
– museal beherbergt. Dann reicht es auch an Tempeln,<br />
den Weg zum Wat KuKut – ein Monheiligtum – und Wat U Mong<br />
– ein Waldkloster in Felsengewölben – schneide ich ab, gebe das<br />
Auto leidlich unversehrt, erhalte anstandslos m<strong>eine</strong>n Personalausweis<br />
und 5000 Bt Kaution zurück – und lasse mir noch im<br />
„Black Canyon“ ein Haselnussfrappe reichen, mit dem ich mich<br />
aus CM verabschiede.<br />
101
102
Ayutthaya Wat 103Matathat Buddhastatue
Chiang Mai Nestwärme 104
Tanz 105 der Hmong
Chiang Mai Wat Phrathat 106 Doi Suthep
Kapitel 5<br />
Laos – ein vergessenes Land<br />
oder<br />
Ein diplomatisches Zugeständnis<br />
107
Im Dorf Vietiane<br />
D i e n s t a g, den 17.08.2010<br />
Kehrt, marsch, marsch, alles war verkehrt, alles ist neu, alles<br />
ein wenig kl<strong>eine</strong>r – war eben noch Linksverkehr, ist jetzt Rechtsverkehr.<br />
Denn nicht <strong>die</strong> Briten, sondern <strong>die</strong> Franzosen waren<br />
hier, haben Bauten und Baguettes hinterlassen und den Namen<br />
vergeben: Vientiane, das eigentlich Viang Chanh heisst. War eben<br />
noch <strong>die</strong> Megastadt Bangkok mit 7 Millionen Einwohnern, kommt<br />
<strong>die</strong> hiesige Kapitale mit knapp <strong>eine</strong>m Zehntel aus. Eben noch habe<br />
ich in „Baht“, jetzt in „Kip“ gezahlt - war es nicht vor dem Euro in<br />
Europa genau so? War eben noch Mae Nam Chao Phraya – den ich<br />
in der Schule nur als „Menam“ vorgestellt bekam, das heisst aber<br />
nur „Fluss“ - ist jetzt der Mae Nam Khong „Mekong“- <strong>die</strong>„Mutter<br />
aller Wasser“. Waren eben noch <strong>die</strong> Laute verständlich, verliert<br />
sich <strong>die</strong> Sprache der 47 Ethnien, <strong>die</strong> sich in <strong>eine</strong>m Land und <strong>eine</strong>r<br />
Sprache „Lao“ vereint haben, in unnachahmlichen Tonschwingungen<br />
– das unbekannteste Land m<strong>eine</strong>r <strong>Reise</strong>: Ich bin in Laos<br />
gelandet.<br />
Das „Green Park“ Hotel hat sich vorbildlich in <strong>die</strong> grüne Ebene<br />
am Stadtrand von Viang Chanh eingepasst, Wasserspiele,<br />
Schwimmbad in immergrünen Pflanzen, vier zweistöckige Blocks<br />
mit Balkon oder Terrasse, zum ersten Mal das Schlafzimmer mit<br />
Moskitonetz, ein Restaurant mit Blick auf <strong>die</strong> Schwemmebene des<br />
Mekong. Am Abend machen sich <strong>die</strong> Ochsenfrösche auf Jagd nach<br />
Weibchen mit kraftvollen Geräuschen bemerkbar. Ich treibe es<br />
nicht so doll mit den Geräuschen, sondern lasse mich vom Shuttle<br />
des Hotels an dem riesigen Brunnen mit Fontäne absetzen, <strong>die</strong> um<br />
1700 Uhr aber – und auch sonst immer - schon schläft.<br />
Wie auch schon einige Geschäfte in der Dorfmitte – Vientiane<br />
hat seit 1975, zu der <strong>Zeit</strong>, als es Sitz der Regierung der Volksrepublik<br />
Laos wurde, noch kein Gesicht, woher auch – nach all der<br />
Beutelei durch <strong>die</strong> Interessen der Grossmächte. Mich wundert<br />
wie gelassen <strong>die</strong> Laoten dabei sind, Eile hat hier Weile – es geht<br />
alles noch langsamer zu. Aber das schätzen <strong>die</strong> etwa 30 <strong>Reise</strong>n-<br />
108
den, <strong>die</strong> mit mir das „Visa on Arrival“ für 30 US $ lösen. Devisen<br />
sind gefragt in der Volksrepublik, <strong>die</strong> rote Fahne mit dem gelben<br />
Stern weht noch neben der rot blauen Flagge des neuen Staates,<br />
den niemand in der Weltgeschichte haben wollte. Und ihn deswegen<br />
mal als Puffer zwischen französischen (Indochina) und britischen<br />
Interessen (Burma), mal als Faustpfand <strong>gegen</strong> China und<br />
<strong>die</strong> Sowjetunion im kalten Krieg („Neutralität ist Unterwerfung<br />
unter den Kommunismus“, sagt John Foster Dulles) und immer als<br />
Opfer missbraucht hat. Manchmal denke ich an Polen‘s Schicksal<br />
im 19. Jahrhundert, <strong>die</strong> Nation zwischen Preussen, Österreich<br />
und Russland bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst, das Volk hat das<br />
mit s<strong>eine</strong>m Willen überwunden und überlebt – so auch <strong>die</strong> Laoten.<br />
Ich mag es mir gar nicht vorstellen, was <strong>die</strong> Historiker mir vermitteln:<br />
Niemand hat Laos den Krieg erklärt, aber unsere Freunde,<br />
<strong>die</strong> uns Kapitalismus, Demokratie und Freiheit aufgedrängt<br />
haben, haben im Vietnamkrieg 3 mal mehr Bomben auf <strong>die</strong>ses<br />
geschundene Land Laos geworfen als im gesamten 2. Weltkrieg<br />
abgeworfen worden sind. Den Bombenkrieg am Ho Chi Minh Pfad<br />
kann man sich in Zahlen nicht vorstellen, aber das Bild, das mir<br />
Rüdiger Siebert in „Laos“ vermittelt, schafft erst <strong>die</strong> Dimensionen<br />
– 9 Jahre lang alle 8 Minuten <strong>eine</strong> B 52 Ladung voller Bomben auf<br />
den Pfad, den Acker und <strong>die</strong> Menschen – und dazu noch ein bisschen<br />
Dioxin sprühen „Agent Orange“, um den Wald zu entlauben.<br />
Das ist doch Leistung, das muss doch endlich mal anerkannt werden,<br />
das zeigt doch wie ehrgeizig <strong>die</strong> CIA war, den Kommunismus<br />
nach dem Fall „Korea“ mit der „Monroe-Doktrin“ in Südostasien<br />
zu bannen – <strong>die</strong> Hybris hat, nachdem <strong>die</strong> Jungs sich am 30. April<br />
1975 sputen mussten, um noch heil mit dem letzten Hubschrauber<br />
nach Hause zu kommen, heute <strong>eine</strong>n neuen Namen: „War<br />
on Terror“ Dem bin ich heute wieder zum Opfer gefallen. Mein<br />
irischer Tullamore-Whiskey, den ich auf Anraten m<strong>eine</strong>r Caritaspflegerin<br />
jeden Morgen zur Mundspülung und Desinfektion<br />
in kl<strong>eine</strong>n Schlucken eingesetzt und im Handgepäck mitgeführt<br />
habe, wurde mit der halben Flasche als „Medizin“ nicht anerkannt<br />
– und landete im Papierkorb der Flugsicherheit. Zynisch genug,<br />
109
aber geteiltes Leid ist halbes Leid – so habe ich mich mit dem<br />
klammheimlichen Ärger über jene Unseligkeit auf das vergessene<br />
Land Laos eingestimmt. In Wirklichkeit, gestehe ich, ist es ein Altersproblem:<br />
Vergesslichkeit. Aber wer packt <strong>eine</strong> offene Flasche<br />
Whiskey ins Gepäck.<br />
Kann man noch freundlicher sein als Thais ? Die Laoten können<br />
„sawadee Mr. Albert“. Der Taxifahrer erinnert sich mit s<strong>eine</strong>n<br />
34 Jahren nicht mehr an Prinz Souvannahphouma oder s<strong>eine</strong>n<br />
Konterpart-Bruder Prinz Souvannahphong, er weiss aber auch<br />
nicht wie der jetzige Präsident heisst, das tröstet mich, ich weiss<br />
es nämlich auch nicht und werde es nachlesen.<br />
Zwei Stunden gönne ich mir, um mich um zu tun in dem, was<br />
als Zentrum den Brunnen umgibt. Die Restaurants bieten Menus<br />
auch auf französisch an. Dabei muss ich mich erst an <strong>die</strong> vielen<br />
Nullen gewöhnen. Die Währung „Kip“ könnte <strong>eine</strong> Reform vertragen,<br />
1 € sind gestern 12.000, heute 10.800 Kip. Ein Bäckerladen<br />
duftet verführerisch, ein Käseschinken-Scone muss dran glauben.<br />
Während ich noch im Strassencafe sitze, lächelt mich <strong>eine</strong><br />
daher schlurfende junge Frau an, <strong>die</strong> an <strong>eine</strong>r Holzstange zwei<br />
Körbe trägt – jetzt wird es filmreif: ich schaue in den <strong>eine</strong>n Korb,<br />
irgendwas salzig eingelegtes Fischiges unter Bananenblättern,<br />
der andere Korb: ein Kohlefeuer auf Bananenblättern, das macht<br />
mich neugierig, natürlich sage ich „ja“, als sie mir 5 Finger hin hält<br />
- ein Rheinländer kann sowieso nicht „nein“ sagen. Da hockt sie<br />
sich zu m<strong>eine</strong>n Füssen nieder, steckt drei kl<strong>eine</strong>, geplättete Unkenntlichkeiten<br />
auf ein Stäbchen, legt sie auf den mitgeführten<br />
Grill: Nach zwei, drei Minuten wandert das Fisch-Schaschlik auf<br />
m<strong>eine</strong>n Teller, sie streift <strong>die</strong> drei Tierchen ab, ich zahle ihr <strong>die</strong><br />
5.000 Kip und geniesse warm gesalzene Tintenfische.<br />
Erste Erkundungen bei „Diethelm‘s“ Agentur, <strong>die</strong> mich schon<br />
in Malaysia begleitet hat, welche Chancen bestehen, den Mekong<br />
abwärts mit Boot zu bereisen. John, der sich gerne mit mir englisch<br />
unterhalten würde und sich <strong>die</strong>bisch freut, dass <strong>die</strong> deutsche<br />
Mannschaft <strong>die</strong> Engländer geschlagen hat, wandert derweil<br />
weiter auf den Markt. Revolutionsmuseum und Wat Sisaket sind<br />
110
schon um 1700 Uhr geschlossen – hier herrscht Ordnung, hier ist<br />
Sozialismus am Werk! Auf und ab am Nationalmuseum, natürlich<br />
geschlossen, prachtvoll schäbig <strong>die</strong> große Kulturhalle des Volkes,<br />
daneben „Pizza“ und „Swensen“ - ein Eis aus Dänemark in<br />
Laos, <strong>eine</strong> Perfi<strong>die</strong>, <strong>die</strong> ich mit zwei Kugeln selbst für 18.000 Kip<br />
geniesse, was sich als schwierig erweist, weil <strong>die</strong> Waffel – extra<br />
6.000 Kip – sich als altersschwach, heisst trocken, erweist. In der<br />
Dunkelheit, <strong>die</strong> hier <strong>gegen</strong> 1830 einfällt, ein paar Neonlichter,<br />
an <strong>eine</strong>m Turm Reklame mit Weltnachrichten in Leuchtschrift.<br />
Ich finde ein kl<strong>eine</strong>s Restaurant – natürlich Curryreis mit Huhn<br />
15.000 Kip und <strong>eine</strong>n leckeren Tee 7.000 Kip, dann wartet schon<br />
der Shuttle, der mich in m<strong>eine</strong>n grünen Park zurückbringt. Einen<br />
Absacker versage ich mir, denn <strong>die</strong> Bar ist leer, kein Mensch zum<br />
Schwafeln - nennt man das heute nicht „chatten“, da muss ich<br />
m<strong>eine</strong>n Enkel fragen. Ein paar Planungen per Internet – ich habe<br />
k<strong>eine</strong>n <strong>Reise</strong>führer zu Laos, ein Experiment - um 22 30 ist m<strong>eine</strong><br />
<strong>Zeit</strong> des Vergessens erreicht.<br />
P.S.:<br />
a) Choummaly Sayasone, ehemaliger Generalsekretär der Revolutionären<br />
Laotischen Volkspartei ist seit 2006 Präsident,<br />
b) Swensen‘s Eissalon auf you tube mit „Swensen Eis Vientiane“<br />
bei Google eingeben.<br />
111
Erinnerungen<br />
M i t t w o c h, den 18.08.2010<br />
Warum bin ich eigentlich so freundlich zu den „Amis“? Sie<br />
sind arrogante ungebildete naive „Weltverbesserer“ ohne Fortune.<br />
Nachdenklichkeit gehört nicht zu ihrem geistigen oder politischen<br />
Programm: „love it or leave it“. Der „American way of life“<br />
mag nur in Nord-Amerika – und da auch nur im mittleren Westen<br />
zu Hause sein. Woanders gehört er auch nicht hin. Wo immer sich<br />
Amerikaner – ihre Sozialisation ist nicht im Bürgertum Europas<br />
erfolgt – mit <strong>die</strong>ser Toastbrotfilosofie – „mal kurz anheizen, damit<br />
<strong>die</strong> Dinge geniessbar werden“ - in der Welt mit anderen Kulturen<br />
auseinandersetzen, ziehen sie den kürzeren. Die Griechen konnten<br />
sich der Macht der Römer nicht erwehren, aber ihre Kultur<br />
blieb stärker und hat <strong>die</strong> Machtversessenheit der Hadrians überdauert.<br />
Überall schreit es in der „Politik des Stärkeren“: Völkermord!<br />
„Wounded Knee“ 1890 für den Mord an den Indianern,<br />
„Hiroshima und Nagasaki“ 1945 für das Kriegsverbrechen an den<br />
Japanern, „My Lai“ 1968 für den Völkermord in Südostasien – damit<br />
bin ich wieder bei mir. Und wenn ich lese, dass <strong>die</strong> amerikanische<br />
Regierung <strong>die</strong> Franzosen nach dem 2. Weltkrieg ermuntern,<br />
ihre gescheiterte Indochina-Politik wieder aufzunehmen, um <strong>die</strong><br />
drei Länder „Vietnam, Laos und Kambodscha“ zu befrieden und<br />
<strong>eine</strong>n Riegel <strong>gegen</strong> den kommunistischen Block „Sowjetunion,<br />
Rotchina“ für ihre Pazifik-Domänen einzurichten, dann rechne<br />
ich ihnen auch noch „Dien Bien Phu“ 1954 zu – Graham Greene -<br />
„Der stille Amerikaner“ - lässt grüssen.<br />
Warum gibt es niemanden, der <strong>die</strong> Menschheit vor <strong>die</strong>sem<br />
gottesfürchtigen Volk bewahren kann? Warum lassen wir das zu,<br />
gestehen den Me<strong>die</strong>n zu, uns mit ihrer Labrigkeit einzulullen:<br />
unbemannte Drohnen <strong>gegen</strong> Zivilisten, Killer – Task Force 373 –<br />
in Uniform, <strong>die</strong> „Demokratie nach Afghanistan“ tragen wollen –<br />
und wir glauben auch noch all <strong>die</strong>sen Täuschungen -“so schlecht<br />
kann <strong>die</strong> Welt doch nicht sein“, doch sie kann! würde mein Opa<br />
sagen, der <strong>die</strong> Allmacht noch bei den Logen der Freimaurer sah.<br />
112
Ich möchte schreien, aber mich hört k<strong>eine</strong>r, ich möchte w<strong>eine</strong>n,<br />
aber mich tröstet k<strong>eine</strong>r, ich möchte rennen, aber wohin soll ich<br />
fliehen ? „Aber es gibt doch auch gute Amerikaner“ sagt <strong>die</strong> Mutter,<br />
es ist doch allenfalls <strong>die</strong> Regierung. Das ist so schön anonym,<br />
dahinter kann sich jeder verstecken – es kommt ja von oben. Nein,<br />
ich muss dem Verbrechen <strong>eine</strong>n Namen geben: Natürlich sind es<br />
<strong>die</strong> Truman, Eisenhower. Kennedy, Johnson, Nixon, Ford, Carter,<br />
Reagan, Bush senior, Clinton, Bush junior/Cheny und Obama,<br />
aber das Volk von Amerika hat <strong>die</strong>se Regierungen gewählt und<br />
sie deshalb auch ver<strong>die</strong>nt: Staatsterroristen im Stresemann. „Todesstrafe“,<br />
„Salvador Allende“, „Guantanamo“, „geheime extralegale<br />
Kriege“, „Foltercamps“, „Manipulation der Öffentlichkeit im<br />
Irak“, „9/11-Hybris“ - selbst Obama kommt aus <strong>die</strong>sen Fallstricken<br />
nicht heraus: Er will den Krieg beenden und schickt mehr Soldaten,<br />
<strong>die</strong> den Unfrieden vergrössern: Soldaten können eben nur<br />
Krieg. Ich hoffe auf <strong>die</strong> politische Macht China, damit <strong>die</strong>ser ungebremsten<br />
einseitigen Anmassung von God‘s own country Einhalt<br />
geboten wird - Ende der Philippika.<br />
Ode an Rüdiger Siebert*, der <strong>die</strong>se Saiten in s<strong>eine</strong>m Buch über<br />
Laos in mir angerissen hat.<br />
Ich war heute im Nationalmuseum 10.000 Kip, um ein wenig<br />
über Altertum und Geschichte von Laos nach zu zeichnen. Sicher<br />
ist da ungelenk das <strong>Zeit</strong>alter der Dinosaurier aufbereitet, <strong>die</strong> Teorien<br />
über <strong>die</strong> „Ebene der Tonkrüge“ auf „Grabkulte“ verkürzt –<br />
<strong>die</strong> Ureinwohner wähnen, dass in den riesigen, tonnenschweren<br />
irdenen Gefässen Reisbier gebraut wurde, das finde ich noch <strong>die</strong><br />
schönste Erklärung. Über „Bamboo City“ und „Wat Phu“ finden<br />
sich auch Hinweise in Lao und Englisch. Aber den grössten Teil der<br />
etwas verstaubt, echt museal aufbereiteten Räume nimmt dann<br />
doch der Patriotismus und <strong>die</strong> Heldensagen der Genossen des Pathet<br />
Lao „Land der Laoten“ ein, <strong>die</strong> in Bildern überliefert werden<br />
– wie es auch in Phnom Penh und Saigon schon der Fall war. Die<br />
Auswahl ist im Sinne der Partei einseitig und doktrinär nach dem<br />
113
Kaderprinzip, das nur <strong>eine</strong> Erklärung der Welt zulässt – Prinz<br />
Souvannahphouma wird mit k<strong>eine</strong>m Wort oder Bild erwähnt,<br />
obwohl er <strong>die</strong> meiste <strong>Zeit</strong> zwischen 1945 und 1975 als Präsident<br />
oder in <strong>eine</strong>r vermittelnden Rolle von rechts bedroht „Neutralität<br />
ist das Einfallstor für den Kommunismus“, von links verachtet<br />
„Handlanger der Imperialisten“ sein politisches Lebensziel <strong>eine</strong>s<br />
„neutralen Laos im Verbund der Staaten der Dritten Welt“ <strong>gegen</strong><br />
s<strong>eine</strong>n Bruder Souvannahphong nicht erfolgreich durchsetzen<br />
kann. Er hatte auch k<strong>eine</strong> Chance, denn wie <strong>die</strong> Amerikaner – und<br />
hier schliesst sich der Kreis - jede eigenständige „unabhängige“<br />
oder „neutrale“ Nationenbildung in Südostasien zu verhindern<br />
suchten, das war ebenfalls das Ergebnis der bei uns nicht weiter<br />
transportierten Geschichte.<br />
20. Juli 1954 Genf I: Teilung Laos – korruptes königliches Regime<br />
in Vientiane, ehrgeizige Pathet Lao östlich der Nationalstrasse<br />
13. Als Souvannahphouma mit s<strong>eine</strong>m Bruder Souvannahphong<br />
schliesslich <strong>eine</strong> Regierung der nationalen Einheit mit<br />
<strong>eine</strong>r Politik der Neutralität aufstellt, hintertreiben <strong>die</strong> CIA <strong>die</strong>sen<br />
Versuch und unterstützen den Putsch des abtrünnigen Generals<br />
Phoumi Nosavan. Sie stacheln sogar <strong>die</strong> um Autonomie bestrebten<br />
Hmong auf, sich kriegerisch <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> eigene Regierung zu<br />
behaupten. Und be<strong>die</strong>nen sich dabei, wie mir Margarete berichtet,<br />
<strong>eine</strong>r Finanzierung über den heimischen Opiumhandel. Als<br />
<strong>die</strong> Sowjetunion unter Chruschtschow daraufhin <strong>die</strong> Einheitsregierung<br />
unterstützt, ist das Öl in das Feuer der Ost-Westspannungen.<br />
23. Juli 1962 Genf II: „Unabhängigkeit und Neutralität Laos gewährleistet“<br />
- <strong>die</strong> Amerikaner haben politisch verloren, aber Mc<br />
Namara und Johnson hecken wiederum Schlachtpläne aus, den 2.<br />
Versuch <strong>eine</strong>r neutralen Koalitionsregierung zu torpe<strong>die</strong>ren: Das<br />
von Pathet Lao beherrschte Ost-Laos, das sich auf vietnamesische<br />
Versorgung durch Ho Chi Minh verlässt, wird einfach bombar<strong>die</strong>rt,<br />
ohne Kriegserklärung, ohne Kongress – Nixon hält <strong>die</strong>sen<br />
geheimen Krieg bis 1969 durch, dann stimmt der Kongress auch<br />
<strong>die</strong>ser Massnahme zu – und es wird weiter bombar<strong>die</strong>rt. Mittler-<br />
114
weile hat Amerika 1964 mit der Lüge Präsident Johnson‘s „Amerikanischer<br />
Zerstörer im Golf von Tongking von nordvietnamesischen<br />
Schnellbooten angegriffen“ sich auf den bombigen Marsch<br />
nach Hanoi vorbereitet, weil es in Ho Chi Minh den Vater aller<br />
kommunistischen Umtriebe in Südostasien sieht. Das Ergebnis:<br />
Mit dem verlorenen Mythos der Unbesiegbarkeit, <strong>eine</strong>m historischen<br />
Trauma und <strong>eine</strong>m Völkermord – der mit „Hausarrest“ für<br />
Oberleutnant William Calley jr. sanktioniert wurde – verabschieden<br />
sich <strong>die</strong> USA Hals über Kopf vom Dach der Botschaft aus Südostasien:<br />
Wer <strong>eine</strong> Idee mit Waffen vernichten will, muss immer<br />
Lehrgeld zahlen. Die Laoten haben unver<strong>die</strong>nt ihren Blutzoll dazu<br />
leisten müssen. Das macht mich im nach hinein noch irre und wütend.<br />
Pardon – das ist der Ausgewogenheit geschuldet.<br />
Weder Wat Sisaket 5.000 Kip, noch Wat Ho Phra Keo 5.000 Kip<br />
bieten daneben Neuigkeiten, zudem drisselt es <strong>die</strong> ganze <strong>Zeit</strong>. Die<br />
Kulturhalle, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Chinesen den Laoten zum 25. Jahrestag der<br />
Machtergreifung durch den Pathet Lao im Jahr 2000 für 7,2 Mio.<br />
US $ schenkten, gibt auch k<strong>eine</strong>n Anhalt für Beschreibungen –<br />
ausser gross und unansehnlich. Als ich dann mir noch für morgen<br />
<strong>eine</strong>n 4 WD Ford für drei Tage 165 US $ reservieren lasse, ist <strong>die</strong><br />
Pizza Company der richtige Platz für <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Feier: Lasagne<br />
und gefüllte Tintenfische, Eistee im Refill 78.000 Kip – der Rest<br />
des Tages <strong>die</strong>nt den Flug- und Hotelreservierungen im Internet.<br />
Frangipani treiben lautlos auf dem Wasser. Die abendliche<br />
Stimmung lädt zum Bade ein. Das trifft sich gut, denn gerade ist<br />
das Wasser für ein paar Stunden gesperrt. Das Schwimmbecken<br />
ist neben <strong>eine</strong>m prachtvoll angelegten Teich inmitten von Palmen,<br />
Hibiskus und Frangipanibäumen zwischen den Wohnbereichen<br />
eingelassen. Ein Wellenbad rauscht gleich nebenan – unaufgefordert<br />
bringt der Kellner ein Glas Wasser – ich fühle mich aufmerksam<br />
verwöhnt im sozialistischen Para<strong>die</strong>s. Der Stimmung<br />
verschreibe ich mich um 1830 auch im Restaurant, das mir den<br />
Blick in <strong>die</strong> Flussebene und den Sonnenuntergang bei <strong>eine</strong>m Glas<br />
Chardonnay und <strong>eine</strong>m Grillfisch aus dem Mekong gewährt. Als<br />
dann auch noch das Licht ausfällt, ist Candlelight Dinner ange-<br />
115
sagt. Manchmal fehlt mir schon jemand, mit dem ich mich unterhalten<br />
möchte. La vita é bella.<br />
Alltag<br />
D o n n e r s t a g, den 19.08.2010<br />
Der Morgen streichelt mich zärtlich. Ein strahlend blauer ungetrübter<br />
Himmel erwartet mich zum Frühstück auf der Terrasse,<br />
nachdem alle, <strong>die</strong> schon im Dienst sind, sich mit <strong>eine</strong>r Verbeugung<br />
und „sawadee“ dir zugewandt haben, heute Spaghetti mit<br />
Shrimps und frischem Spargel, <strong>die</strong> „Vientiane Times“ liegt auf<br />
dem Frühstückstisch und vermeldet <strong>die</strong> landwirtschaftlichen<br />
Produktionsergebnisse der Provinz Luang Prabang, aber auch,<br />
dass Wissenschaftler in den Keng Bergen hinter Phon Savanh <strong>eine</strong>n<br />
Ort entdeckt haben, wo <strong>die</strong> Tonkrüge der Ebene hergestellt<br />
worden sind. Zugänglich ist das Gebiet noch nicht – erst muss <strong>die</strong><br />
UXO – unexploded ordinance – das Gebiet von Bomben befreit haben,<br />
dann kann es touristisch aufbereitet werden. Und das Dengue<br />
Fieber grassiert allenthalben, schon zwei Todesfälle in Vientiane<br />
in <strong>die</strong>sem Jahr, 12 im ganzen Land. Und ich habe erst <strong>eine</strong><br />
Mücke zirren hören, geschweige dass sie mich erwischt hätten,<br />
wahrscheinlich rieche ich schon so sauer, dass k<strong>eine</strong> mehr süsses<br />
Blut bei mir vermutet.<br />
1000 wartet mein Shuttle, heute zum Busbahnhof: ich will<br />
zum Buddhagarten – und der Park liegt jenseits der Freundschaftsbrücke<br />
27 km von Vientiane entfernt. Voll bepackt schiebt<br />
sich der Minibus ins Gedränge der Märkte, <strong>die</strong> Tür steht offen,<br />
natürlich gibt es k<strong>eine</strong> Fensterscheiben, der Fahrer hupt ständig,<br />
um noch mehr Fahrgäste zu begeistern, ich mache mich im<br />
Gang klein, rücke immer mehr nach hinten, <strong>die</strong> Sitze sind zu<br />
klein, das Dach zu niedrig, aber <strong>die</strong> frische Luft im open air conditioned<br />
Fahrzeug trocknet schnell <strong>die</strong> ersten Wasserflecken auf<br />
dem schwarzen T-Shirt. Zwei Westler sind noch mit dabei, An-<br />
116
drzjei und Angelika aus Gdansk. Wir passieren jene 2,7 km lange<br />
Brücke, <strong>die</strong> wohl erst im Jahre 2000 als Geschenk der Australier<br />
Laos an das übrige Festland jenseits des Mekong angebunden und<br />
aus s<strong>eine</strong>r verkehrlichen Isolation <strong>gegen</strong>über s<strong>eine</strong>m Nachbarn<br />
Thailand befreit hat – <strong>eine</strong> zweite Brücke über den Mekong nach<br />
Thailand ist mittlerweile in Paksé fertig geworden. Handel und<br />
Wandel spielen sich rund um <strong>die</strong> beiden Brückenköpfe ab, <strong>eine</strong><br />
kl<strong>eine</strong> Stadt entsteht. Über Stock und Stein, kein Wasserloch wird<br />
ausgelassen, der Bus leert sich, ich finde <strong>eine</strong>n Platz auf der hinteren<br />
Bank. Nach 45 Minuten pfeift der Fahrer, wir verstehen 5.000<br />
Kip und wir stehen am überschwemmten Eingang des Parks.<br />
5.000 Eintritt, 3.000 Kip für <strong>die</strong> Kameranutzung. Eine Unmenge<br />
an Plastiken, sämtlich aus leichtem Basaltgestein heraus gemeisselt,<br />
erwartet uns. A & A umgehen <strong>die</strong> Wasserpfützen, ich ziehe<br />
<strong>die</strong> Sandalen aus und wandere mitten durch, um <strong>eine</strong>n besseren<br />
fotografischen Blick auf <strong>die</strong> sonderbare Stupa zu haben, <strong>die</strong> wie<br />
ein Bunker in Halbkugelform sich 12 m über <strong>die</strong> Erde erhebt und<br />
<strong>eine</strong>n abstrahierten Lebensbaum trägt. Erde, Kosmos, Himmel –<br />
<strong>die</strong> drei Ebenen des buddhistischen Tempels - wie in Borobodur/<br />
Java – verbergen sich unter der st<strong>eine</strong>rnen Haut, <strong>die</strong> du durch ein<br />
dämonisches Maul betrittst. Tanzende, liegende, sitzende Gestalten<br />
– <strong>die</strong> sich eher <strong>eine</strong>r hinduistischen Bewegungsfreude hingeben,<br />
erwarten dich Stein an Stein. Eine gelbe Amazone beglückt<br />
jede der Figuren mit ihrer Figur, sie steigt ungerührt auf jede<br />
Skulptur, stellt sich in Pose, ungeachtet der nagenden Spuren,<br />
<strong>die</strong> sie hinterlässst. Eine Stunde Abwechslung – und dann gibt der<br />
Park den Blick auf den Mekong frei, der wie ein zeitloser Strom<br />
gemächlich <strong>die</strong> Ebene durchmisst, hier ist er etwa so breit wie<br />
der Rhein in Wesseling. Schmetterlinge und Libellen umspielen<br />
mich, <strong>eine</strong> Mücke wagt sich in <strong>die</strong> Nähe, sonst kein Laut – drüben<br />
Thailand, hier ich. Dort, wo einige Steinbänke und überdachte<br />
Sitzplätze vor der Mittagssonne schützen, finde ich A & A wieder.<br />
Unser Bus geht erst um 1330, also ratschen wir ein bisschen über<br />
Gott und <strong>die</strong> Welt, sie ist Sportlehrerin, aus Kattowice gebürtig,<br />
lehrt in Gdansk, ihr Freund stu<strong>die</strong>rt dort. Wir tauschen Adressen<br />
117
und Telefon, damit ist der nächste Aufenthalt in Danzig und auf<br />
der kaschubischen Seenplatte gesichert.<br />
Der nächste Bus trägt mich nach Vientiane zurück. Vom hinteren<br />
Sitz stupst mich verlegen ein rotes Hemd an „your name“,<br />
„albert, how are you doing“ erschrocken zieht er zurück, sein<br />
englisch macht ihn unsicher, dafür bietet er mir <strong>eine</strong>n gebratenen<br />
Maiskolben an – und strahlt, er hat mit dem Farang gesprochen.<br />
S<strong>eine</strong> Umgebung nickt anerkennend und aufmerksam. Ich höre<br />
noch heraus, dass er Mathematik unterrichtet, aber mit dem Englischlehrer<br />
an s<strong>eine</strong>r Schule hat er offensichtlich wenig Kontakt.<br />
Strahlend winkt er zurück, als er den Bus verlässt – <strong>die</strong> Nachricht<br />
des Tages für zu Hause ist gemacht.<br />
Am Busbahnhof sind <strong>die</strong> Fänger unterwegs. Mein Wunsch,<br />
noch Pha That Luang, das Wahrzeichen Laos, und den Triumfbogen<br />
zu sehen, den sie sich in Paris im Kleinformat abgeschaut<br />
haben, kostet beim ersten 150.000 KIP, ich winke ab, das ist mehr<br />
als ein Tageslohn, aber unter 80.000 KIP schaffe ich es bei <strong>die</strong>sen<br />
ausgefuchsten Fängern nicht. Anschliessend winkt er das TukTuk<br />
herbei, das sich bei m<strong>eine</strong>n zwei Zentner bedrohlich nach hinten<br />
absenkt. Erst als er das Motörchen an wirft und selber aufsitzt,<br />
gerät der FöpFöp ins Gleichgewicht. Wunderbar kühlt der Fahrtwind,<br />
ich schmecke <strong>die</strong> an Abgasen reiche Luft, ab und an angereichert<br />
vom Duft der Durianfrucht, <strong>die</strong> am Strassenrand angeboten<br />
wird. Das ist das Odeur des <strong>Reise</strong>ns. Das st<strong>eine</strong>rne Monstrum<br />
des That Luang 5.000 KIP glänzt belanglos in Gold, nur der strahlend<br />
blaue Himmel gibt ihm Tiefe. 4 km wieder zurück an jenen<br />
Brunnen, in dem sich der Arc de Triomphe Laotien widerspiegelt,<br />
Fotografen nutzen <strong>die</strong> Neugier und Eitelkeit der jungen Damen,<br />
werfen das Digitalfoto gleich am mitgeführten Drucker aus. Die<br />
blau-rot-weisse Fahne Laos‘ flattert mit der roten „Hammer und<br />
Sichel“-Flagge knatternd im Wind. In der Mitte ein weisser leerer<br />
Kreis, in dem früher ein dreiköpfiger königlicher Elefant stand,<br />
Zeichen der Leere <strong>eine</strong>s Staates ohne Identifikation?<br />
Bei Lao Airways endet m<strong>eine</strong> Spritztour. Gestern hatte ich<br />
schon reserviert, heute gilt es noch zu bezahlen. Da am Montag<br />
118
kein Flug nach Paksé geht, fliege ich nochmal flott nach Norden<br />
zum Stopp in Luang Prabang und dann weiter in den Süden nach<br />
Paksé 142 US $, eingezogen über <strong>die</strong> Bank of Bangkok, so ganz<br />
trauen sich <strong>die</strong> sozialistischen Einrichtungen ja noch nicht an<br />
den Kapitalismus ran. Vielleicht haben sie auch schon ohne Finanzkrise<br />
genug von der Geldfledderei unserer Ganoven in Nadelstreifen.<br />
Weiter zu europcar, <strong>die</strong> mir <strong>eine</strong>n Ranger reserviert<br />
haben für drei Tage – jetzt sind es 170 US $, nicht schlecht, wenn<br />
ich einmal davon absehe, dass mittlerweile alle <strong>die</strong> 3 % Provision<br />
der Kreditkarte auf <strong>die</strong> Kunden umwälzen, <strong>die</strong> sie an sich selber<br />
an das Kreditkartenunternehmen zu zahlen hätten. Ich lasse mir<br />
jede Provision quittieren und gebe sie an VISA weiter. Nach dem<br />
Check setze ich mich ohne <strong>die</strong> übliche Selbstgewissheit hinter das<br />
Steuer <strong>die</strong>ses Breitbandmodells 2006, das sich nun durch das<br />
Einbahnstrassensystem der Hauptstadt schiebt, vorbei am Palast<br />
des Präsidenten, dem Markt, der Post. Ich habe mir extra noch <strong>eine</strong>n<br />
Stadtplan besorgt, weil mir <strong>die</strong> Ost-West-Orientierung in der<br />
Stadt schwer fällt – der Mekong dreht sich fast um 180° um <strong>die</strong><br />
Stadt - ich morgen in <strong>die</strong> richtige Richtung ausfahren will, ganz<br />
zu schweigen von der Lust, nach 400 km auch Luang Prabang zu<br />
sehen. Die staunenden Blicke im „Green Park“ würdigen den älteren<br />
Herrn, der zur Grössenordnung <strong>die</strong>ses kl<strong>eine</strong>n Lastwagens<br />
passt – und der sich heute in der Gewissheit wiegt, nicht älter als<br />
50 zu sein, wie Angelika geschätzt hat, hmmm. Bei <strong>die</strong>ser Selbstgewissheit<br />
reizen selbst <strong>die</strong> 47 Fernsehprogramme nicht mehr,<br />
<strong>die</strong> einschliesslich BBC und CNN – mit aller Werbung – in der<br />
Volksrepublik über den Äther gehen.<br />
119
Fahrt nach Luang Prabang<br />
Fr e i t a g, den 20.08.2010<br />
Welch <strong>eine</strong> Abendstimmung – Sonnenuntergang Nr. 483, aber<br />
am Mekong. Ein Zauber liegt über dem Fluss, mitreissend, mächtig,<br />
wild, beherrschend, stark – ich weiss <strong>die</strong> Metafern nicht alle<br />
zu benennen, <strong>die</strong> über <strong>die</strong> „Mutter aller Wasser“ schon gefunden<br />
sind. In Luang Prabang ist der Fluss schon mehr als 3000 km alt,<br />
hat <strong>die</strong> Höhen des Himalaya, <strong>die</strong> Katarakte im Süden Chinas, <strong>die</strong><br />
Staustufen und vier Länder – Tibet, China, Burma,Thailand – passiert,<br />
ehe er sich in <strong>die</strong> Karstberge im Norden von Laos mit Wucht<br />
eingegräbt. Als ob er auf mich gewartet hätte, damit ich nach s<strong>eine</strong>r<br />
gestern in der Ebene verbreiteten Langeweile s<strong>eine</strong> Grösse<br />
und Würde schätzen lerne. Ich habe mich in <strong>eine</strong>n Fluss verliebt...<br />
Liebe ist – wie allseits bekannt – anstrengend. So hat er mich<br />
heute früh bereits um 0600 aus den Federn gejagt, damit ich um<br />
0800 m<strong>eine</strong>n Panzer in Bewegung setzen konnte. Ein unhandliches<br />
Gefährt, das quietscht und knackst in allen Federn, krabbelt<br />
im zweiten Gang in <strong>die</strong> Berge, wagt mangels Zugkraft k<strong>eine</strong>n Bus<br />
anzugreifen und wirkt am stärksten im vierten von fünf Gängen:<br />
zwei Schmetterlinge haben uns bei <strong>die</strong>sem Tempo im Blindflug<br />
überholt, ein Hahn ist stolz und gemächlich vor den Vorderreifen<br />
daher geschritten, ein Wasserbüffel hat sich von s<strong>eine</strong>m Pflock gerissen<br />
und kam auf <strong>die</strong> Strasse gerannt, zum Schrecken s<strong>eine</strong>s Besitzers<br />
und mir – er hat es nicht einmal gewagt, ihn auf das eigens<br />
dafür hergerichtete Bullrigg zu nehmen. Zwei Kälbern musste er<br />
den Vortritt lassen – und hat es dennoch geschafft, mich 250 km<br />
durch <strong>die</strong> laotische Bergwelt zu schleifen.<br />
Eigentlich sind es 400 km von Vientiane nach Luang Prabang,<br />
aber <strong>die</strong> ersten 100 km sind <strong>die</strong> Dörfer an der N 13 Nord flach an<br />
<strong>eine</strong>r Perlenschnur hintereinander aufgezogen, <strong>die</strong> Marktstände<br />
schreien nach Kundschaft, alle verkaufen dasselbe, Früchte,<br />
aufgeblasene Tüten mit Crackern, Nüssen und Stickers, Wasser.<br />
Der Reichtum liegt an der Strasse oder am Wasser. Die nächsten<br />
50 km gilt es Atem zu holen an dem verwunschen See Ang Nam<br />
120
Ngum, auf dessen Inseln das Regime s<strong>eine</strong> Gegner einkerkert –<br />
ohne Verfahren oder Urteil, amnesty international weiss ein Lied<br />
davon zu singen. Als ob man Gedanken und Meinungen weg sperren<br />
könnte – <strong>die</strong> Gedanken sind frei, singt es mir durch den Kopf<br />
und: <strong>die</strong> Kommunisten sind k<strong>eine</strong>swegs klüger als <strong>die</strong> „Imperialisten“.<br />
Der Greenback ist Reserve- und Ersatzwährung in Laos,<br />
in der ich alles per Kreditkarte bezahle. Na ja – wie immer: der<br />
Kapitalismus ist nur <strong>eine</strong> Unterbrechung auf dem Weg in den Sozialismus,<br />
den ich oder sonst wer wohl nicht mehr erleben werde.<br />
Und für Kapital sorgt auch <strong>die</strong>ser See, der künstlich angelegt,<br />
der Stromerzeugung <strong>die</strong>nt, <strong>die</strong> Laos selbst gar nicht verwenden<br />
kann und sie ins kapitalistische Thailand verkauft <strong>gegen</strong> Devisen.<br />
Das Lied der Staudämme – ungerührt der tiefen Eingriffe in <strong>die</strong><br />
natürlichen Ressourcen und der Proteste der NGO‘s und betroffenen<br />
Menschen werden immer mehr davon <strong>die</strong> Seitenflüsse des<br />
Mekong in ihrer Wassermenge reduzieren, den Fischbestand dezimieren,<br />
den Waldbestand minimieren – und schliesslich <strong>die</strong> Lebensader<br />
der 7 Anrainerländer selbst sterben lassen. Wenn schon<br />
Energiewahn – dann doch Turbinen zu den Seiten der Flüsse für<br />
<strong>die</strong> Nah- und Fernversorgung.<br />
In Vang Vieng, <strong>eine</strong>m Urlaubsort im Norden des Sees, mache<br />
ich – es ist schon 1130 – <strong>eine</strong> Rast, trinke <strong>eine</strong>n Tee und löffle <strong>eine</strong><br />
Nudelsuppe, das wilde Kraut, das <strong>die</strong> Laoten neben mir essen, lasse<br />
ich zurückgehen, ich will noch ein wenig weiter reisen. Vor mir<br />
<strong>die</strong> ersten Charakteristika <strong>eine</strong>r bisher in <strong>die</strong>ser Intensität und<br />
Vielfalt nie gesehenen Karstberglandschaft. Das sind verfestigte<br />
Sand, St<strong>eine</strong>, Erden – dementsprechend locker entwerfen sie Figuren,<br />
Zacken, Hüte, Nasen, Spitzen. Die Folgen spüre ich auf der<br />
<strong>Reise</strong>, jeder Monsunregen lockert das Erdreich auf – Erdrutsch<br />
auf den Bergstrassen, links bricht der Hang weg, <strong>die</strong> halbe Strasse<br />
geht den Bach hinunter. Rechts schwemmt der Hang aus, <strong>die</strong><br />
Strasse ist verschüttet und unpassierbar. So durchquere ich bereits<br />
abgeräumte Erdmassen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Strasse rot einfärben, gerade<br />
abgerissene Erdmassen, durch <strong>die</strong> Trucks und Busse ihre Spur<br />
gegraben haben, der ich – Vierradantrieb sei bedankt – folgen<br />
121
kann, an einigen Stellen werden Aufräumarbeiten sichtbar. Ist es<br />
trocken, fallen dann <strong>die</strong> Steinbrocken, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Strasse schmücken.<br />
Zwischen denen windet sich <strong>die</strong> Strasse an den steilen Hängen<br />
der Berge unter <strong>die</strong> Wolkendecke, fällt mit 10 bis 15 % jählings<br />
ab und verlangt volle Aufmerksamkeit: in fünf Stunden 250 km<br />
Serpentinenfahrt, gelegentlich unterbrochen an <strong>eine</strong>m selbst gewählten<br />
Aussichtspunkt, abrupt gestoppt vor den in den Asfalt<br />
eingezogenen bis zu 10 cm tiefen Wasserablaufgräben, mein rechtes<br />
Hinterrad blockiert bei Volleinsatz der Bremsen – und rutscht<br />
dann geradewegs hinein – rums. Mit dem 1. Gang ziehe ich mich<br />
wieder raus. Die Schlaglöcher lassen m<strong>eine</strong>n Ranger schwimmen,<br />
er schwänzelt und tänzelt mit s<strong>eine</strong>n steifen Hüften – Jahrgang<br />
2006: es gibt immer noch nur <strong>eine</strong> mechanische Federung, <strong>die</strong><br />
natürlich bis auf <strong>die</strong> Achsen durchschlägt. Wie der Wagen das<br />
150000 km über <strong>die</strong> Jahre ausgehalten hat, wahrscheinlich hatte<br />
er bessere Fahrer. Wenn dann das stärkere Vierrad an der selben<br />
Stelle beim Überholen auf enger Bergstrasse auch zu tänzeln und<br />
zu schwänzeln anfängt, wird es eng. Die Strasse ist so eingegrünt,<br />
dass du den dahinter liegenden Abhang nicht sehen kannst. Das<br />
Grün vermittelt <strong>eine</strong> Behaglichkeit, an <strong>die</strong> du dich verführerisch<br />
anlehnen möchtest. So koste ich <strong>die</strong> kühle Höhenluft, gelegentlich<br />
hustet mein Ranger s<strong>eine</strong>n Russ dem Hintermann ins Gesicht. Ich<br />
sehe in <strong>die</strong> herben, von Entbehrung gezeichneten, hageren Gesichter<br />
der Berglaoten, <strong>die</strong> sich auf Stelzen und Pfählen in ihren<br />
Bambus geflochtenen und Blätter gedeckten Häuser an <strong>die</strong> Strasse<br />
beugen. N 13 – ökonomische und politische Lebensader.<br />
Je weiter ich mich vom Fluss entferne, desto ärmlicher <strong>die</strong><br />
Gegend. Die schmalen Rücken, Nasen und Sättel im Gebirge, auf<br />
denen sich <strong>die</strong> Menschen niedergelassen haben, geben ausser<br />
der Strasse k<strong>eine</strong>n Lebensraum. Ab und zu steigt Rauch im Wald<br />
auf, dann wird wieder ein Stück abgebrannt für <strong>eine</strong>n Flecken<br />
unverbrauchter Erde, auf den sie Bananenstauden oder Trockenreis<br />
anbauen. Der Rytmus der Brandrodung hat sich auf zwei bis<br />
drei Jahre verkürzt, <strong>die</strong> Erde vermag sich in <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong> nicht genügend<br />
zu erholen. Manche tragen noch <strong>die</strong> bleich gewaschenen<br />
122
Militärjacken und -hosen, unverwüstliches L<strong>eine</strong>n, andere sind<br />
hierhin umgesiedelt worden aus der bombar<strong>die</strong>rten Heimat im<br />
Osten. Warum rennen Kinder eigentlich immer, hier oben spielen<br />
sie nackt an dem kl<strong>eine</strong>n Gumpen, der sich an der Wasserstelle<br />
des Dorfes gebildet hat. Benzin für <strong>die</strong> Knatterbüchsen wird aus<br />
Plastikflaschen abgefüllt, Frauen tragen ihre Lasten – Hölzer,<br />
Pflanzen, Wasser – auf ihren gebückten Rücken an Bändern, <strong>die</strong><br />
sie vorn über <strong>die</strong> Stirn laufen lassen. Ihre schmal lidrigenAugen<br />
schauen manchmal müde zu mir auf, dann geht ein Lächeln, auf<br />
das ich k<strong>eine</strong> Antwort weiss.<br />
Juwel am Mekong<br />
S a m s t a g, 21.08.2010<br />
Donnergrollen gefällig – das ist im Tal von Luang Prabang,<br />
das sich mit s<strong>eine</strong>r Altstadt auf <strong>eine</strong>m Sporn zwischen dem Khan<br />
Fluss und dem Mekong erstreckt, als ob du auf der Bowlingbahn<br />
neben den Kegeln hörst, wie <strong>die</strong> Kugel in <strong>die</strong> Vollen geht. Mit dem<br />
ersten Schauer nach drei wunderschönen Tagen schliesst sich der<br />
Tag, der eigentlich ganz anders geplant war. Heute war ich auf<br />
<strong>die</strong> Urnen in der „Ebene der Tonkrüge“ gefasst, <strong>die</strong> in etwa 150<br />
km Entfernung von Luang Prabang im Osten liegen. Zwei, drei<br />
Zugänge sind von der UXO bereits freigeräumt, der Rest noch<br />
unzugänglich wegen der Blindgänger, <strong>die</strong> unsere Freunde dort<br />
freundlicherweise entsorgt haben. Aber – wie das so ist bei solchen<br />
<strong>Reise</strong>n – das Land behält s<strong>eine</strong> Rätsel: Der Wirt des Ramayana<br />
Hotels hält mich freundlich zurück – <strong>die</strong> Strasse ist beim letzten<br />
Monsunregen abgeschwemmt worden, der Umweg führt über<br />
Phou Hong, <strong>eine</strong>m Ort, halbe Strecke zurück nach Vientiane. Die<br />
positive Seite <strong>die</strong>ser kl<strong>eine</strong>n Enttäuschung – ein für Luang Prabang<br />
gewonnener Tag. Und der hat sich gelohnt.<br />
Frühstück inmitten der Fabelgestalten des Ramayana, das<br />
Hotel hat viele kl<strong>eine</strong> Attribute, <strong>die</strong> es in den Zimmern, an den<br />
123
Türen und im Wasser vor den Eingängen aus dem grossen Epos<br />
bereit hält. Mail und Postkarten an jene, <strong>die</strong> k<strong>eine</strong>n Postkasten im<br />
Internet haben, noch mal Bargeld nachgetankt – 700.000 Kip ist<br />
der Höchstbetrag = 70 € - weil <strong>die</strong> Tankstellen – Shell und Caltex<br />
sind neben einheimischen Säulen vertreten - k<strong>eine</strong> Kreditkarten<br />
nehmen und der Diesel ziemlich teuer ist für laotische Verhältnisse<br />
– 7.720 Kip/l, fast 1 US $, und mein Panzer frisst ganz schön im<br />
dritten und vierten Gang. Die Hälfte m<strong>eine</strong>s Umtauschs 350.000<br />
Kip werde ich für <strong>die</strong> Ladung los.<br />
Aber dann bin ich frei. Ich treffe m<strong>eine</strong>n TukTuk-Fahrer, der<br />
mir gestern abend für 10.000 Kip geholfen hat, mein Hotel in den<br />
unübersichtlich kl<strong>eine</strong>n Gassen der Stadt zu finden. Ich danke<br />
ihm – er freut sich und bietet mir <strong>eine</strong> Gratisfahrt an. Ich schlage<br />
das Angebot aus, denn ich will noch auf den 130 m Phousi Berg,<br />
auf dem sich mitten in der Stadt ein Kloster und ein Chedi befindet.<br />
Voller Leichtigkeit nehme ich <strong>die</strong> 328 Stufen, es ist brütend<br />
heiss, <strong>die</strong> Flasche Wasser ist oben leer. Aber der Rundumblick auf<br />
Nam Khan, den Mekong, den Flughafen und <strong>die</strong> Berge sind der<br />
Lohn der Anstrengung – Kosten 20.000 Kip, Luang Prabang lässt<br />
sich <strong>die</strong> Aussicht was kosten. Ich treffe auf Khan, der gerade s<strong>eine</strong><br />
Kutte ordnet mit dem gelben Gürtel, der ihn als Novizen erkennbar<br />
macht. Anders als der Mönch in Bangkok, der mir aber<br />
im Englischen auch nicht allzu gewandt erschien, sieht er – mit<br />
mir – im Buddhismus k<strong>eine</strong>n Gott, insbesondere nicht in Buddha.<br />
Es ist – insofern trifft er sich mit mir – eher <strong>eine</strong> Filosofie des Lebens,<br />
als – ohne Gott oder Götter – <strong>eine</strong> Religion in unserem Sinn.<br />
Er wird mit 19 als Mönch ordiniert, lehrt aber heute als 17-Jähriger<br />
schon an Schulen – und das könnte mein Enkel sein. Er interessiert<br />
sich für <strong>die</strong> vier Jahreszeiten, den Regen und <strong>die</strong> Fluten in<br />
Deutschland. Auf Wunsch s<strong>eine</strong>r Eltern aus Luang Prabang ist er<br />
Mönch geworden, wandert jeden Morgen ab 0330 zunächst zur<br />
Meditation – Konzentration auf <strong>die</strong> Nasenspitze – im Sitzen, dann<br />
Gesang, dann Essen in Schalen sammeln. Und zurück zum Frühstück<br />
– danach Schule: Fremdsprachen, Mathematik, Physik,<br />
Chemie, Kunst, natürlich Buddhismus und Filosofie, unterrichtet<br />
124
wird von Mönchen, aber auch Laienlehrern. Und der „Fussabdruck<br />
Buddhas“, der hier nie verweilte, ach – nur <strong>eine</strong> Legende.<br />
Ich erzähle ihm von der Al Aqsa Moschee in Jerusalem, wo der<br />
Hufabdruck des Pferdes zu sehen ist, mit dem Muhammad in den<br />
Himmel aufgefahren ist. Er lacht.<br />
Auf der Rue SisangVangVong – alter Luang Prabang König aus<br />
der Lan Chan <strong>Zeit</strong> – suche ich den Wind <strong>eine</strong>s Deckenfans, bin<br />
dankbar für das eiskalte Erfrischungstuch, ordere <strong>eine</strong>n Zitronentee<br />
(Lipton) 7000 Kip, Limonensaft 12000 Kip, 1,5 l Trinkwasser<br />
eiskalt 7000 Kip – und <strong>eine</strong>n Lunch: Gebratener Reis mit<br />
Schwein und Ei, ganz lecker serviert mit <strong>eine</strong>r Eischaumsuppe<br />
35000 KIip Mit mir leiden noch einige jüngere Besucher, ihre<br />
Haltung ist gebückt, als ob sie der Schwüle ausweichen könnten.<br />
Nach der Stärkung 1330 der übliche Reigen – ein ungeheuer befreiendes<br />
Gefühl, wenn das nasse Hemd, <strong>die</strong> eingeweichte Dreiviertelhose<br />
von dir abfällt, anschliessend gleich im Becken Salz<br />
und Schweiss ausgewaschen werden. Nach der kalten Dusche<br />
streife ich den Sarong über und geniesse <strong>die</strong> kühle Luft, <strong>die</strong> aus<br />
dem AC über m<strong>eine</strong>n Körper auf dem KingSizebett fliesst.<br />
Um 1500 ruft mich der Wecker, es gilt noch <strong>eine</strong>n Besuch im<br />
Ho Kam, dem Königspalast, der gleich <strong>gegen</strong>über dem Hotel im<br />
heutigen Nationalmuseum untergebracht ist. 30.000 Kip, Luang<br />
Prabang wird teuer. Was in Vientiane allenfalls 5.000 KIP kostete,<br />
steigert sich mit der Zahl der Touristen, <strong>die</strong> aus allen Himmelsrichtungen<br />
mit Boot über den Mekong – Vientiane im Süden,<br />
Houay Xai im Westen – mit dem Flieger aus Chiang Mai oder Siem<br />
Reap, oder über Land mit dem Bus hierher gefunden haben und<br />
der Stadt der vielen Tempel und der „Millionen Elefanten“ Lan<br />
Chan ihren Geist und Charme geben. Mit ihrer Ausrichtung an<br />
Klöstern, Tempeln und Königspalästen, mit der Lage am Fluss<br />
bleibt der Vergleich mit der „Stadt mit Herz“ München nicht aus.<br />
Der Wat Xien Thong an der Spitze des Sporns hält besondere laotische<br />
Bauelemente vor, dreifach fast bodentief gezogene Dächer,<br />
<strong>die</strong> Seitenwände bemalt, <strong>die</strong> Türen mit legendären Gestalten und<br />
verehrten Göttern in Tiergestalten - Naga, Garuda, Erawan – aus<br />
125
dem Ramayana plastifiziert. Seit 1560 hat er alle Turbulenzen<br />
– hier wüteten neben Siamesen, Burmesen auch <strong>die</strong> Chinesen<br />
aus Yünnan in grauer Vorzeit – überstanden, selbst den grossen<br />
Brand 18 80. König Settharthirat hat <strong>die</strong>sen Baustil kreiert. Älter<br />
noch ist der Wat Visounarath 1512, aber der wurde zerstört und<br />
erst 18 87 wieder aufgebaut, da<strong>gegen</strong> hat der halbrunde Steinkoloss<br />
That Makmo auch den Brand überstanden, aber dann wurde<br />
der Buddha geklaut, der heute im Nationalmuseum hinter Gittern<br />
verschanzt ist – Echtheitsgarantie inklusive. Und weil mein Ranger<br />
so gut unterwegs ist, ist der 4 km Abstecher zum Grabmal des<br />
Henry Mouhot nicht weit. Der französische Forscher und Entdecker<br />
– 1826–1861 – wird unzutreffend als Entdecker von Angkor<br />
Wat und Luang Prabang geführt, wo er 1861 an Malaria verstarb.<br />
Und dann beginnt der Regen...<br />
Durchbruch<br />
S o n n t a g, 22.08.2010<br />
Eben erreicht mich <strong>die</strong> Nachricht, dass Lian in Yogyakarta<br />
am 18.08.2010 nach langer Krankheit gestorben ist. Eine aussergewöhnliche<br />
Person und Persönlichkeit, <strong>die</strong> ihre Spuren in<br />
den gemeinsamen Kindern mit Santi hinterlassen hat. Irgendwie<br />
bin ich ganz stolz, dass ich <strong>die</strong>sen Menschen kennen gelernt<br />
habe und heute mit s<strong>eine</strong>m ältesten Sohn Agam korrespon<strong>die</strong>re<br />
wie zuvor mit ihm. Mein Gott, das sind 40 Jahre, <strong>die</strong> wir seit dem<br />
01. Juli 1970 bei <strong>eine</strong>m gemeinsamen Ausflug an den Strand von<br />
Parangtritis zusammen auf <strong>die</strong>ser Welt mehr oder weniger nah<br />
verbracht haben, da ist <strong>eine</strong> Santi und vor allem ein Patenkind Kemal,<br />
der sich vor 10 Jahren aus m<strong>eine</strong>m Gesichtskreis verabschiedet<br />
hat. Carpe <strong>die</strong>m ...<br />
Irgendwo im Innersten habe ich schon ein wenig Bammel vor<br />
dem Rückweg durch <strong>die</strong> annamitischen Kordilleren - von 300 m<br />
Luang Prabang auf 1600 m Pass, dann über <strong>die</strong> Hochebene bei<br />
126
Kasi wieder nach VangVieng und in <strong>die</strong> Mekongebene.<br />
Aber dann entsinne ich mich, dass 7 Stöcke zu brechen sind,<br />
wenn du sie einzeln dir vornimmst. Also munter in <strong>die</strong> Puschen,<br />
0630 Sonntagsfrühstück mit Ei, strahlende Gesichter überall,<br />
der Wagen rülpst um 0700 ein bisschen, ich habe <strong>die</strong> Vorglühzeit<br />
– das waren noch Diesel – nicht eingehalten – und dann teile<br />
ich m<strong>eine</strong> Strecke in Stöckchen auf – nächste Abzweigung<br />
rechts, Mopedfahrer links, Ziege voraus, Schlagloch auf 11 Uhr,<br />
Rinne in 5 m, Achtung seitlicher Erdeinbruch rechts, an der Brücke<br />
Blick durchs Loch ins Wasser des Nam Ngum – weshalb sind<br />
am Sonntagmorgen um 0730 so viele Menschen in den Bergen<br />
unterwegs? - Achtung, <strong>eine</strong> Wolke leckt den Hang hoch, Regen<br />
von vorn, Licht an, Scheibenwischer an, Bus von vorn weicht auf<br />
d<strong>eine</strong> Fahrbahn aus, nach rechts ausweichen, Schotter beachten,<br />
bremsen, rutschen auf der nassen Strasse, das Rad blockiert<br />
merklich zumal auf dem seifigen Asfalt, der mit Erde verschmiert<br />
ist...<strong>die</strong> 400 dramatischen Kilometer laufen so viel schneller unter<br />
den Rädern weg, <strong>die</strong> Abstimmung mit den Überholern – Blinkzeichen<br />
rechts – und den Überholten – Blinkzeichen links – klappt<br />
besser als bei der Hinfahrt, Achtung Radfahrer mit Kind kommt<br />
auf d<strong>eine</strong>r Fahrbahn schwingend ent<strong>gegen</strong>, der Mopedfahrer vor<br />
dir dreht um – Pinkelpause 0930 in den Wolken, es hüstelt, ich<br />
bin nicht allein, 5 Wasserbüffel grasen sich durch den Hang, ein<br />
junger Hirte winkt mir zu. Die Frauen – wie auf Java mit spitzen<br />
Strohhüten – tragen <strong>die</strong> Ernte – Kokosnüsse, Kürbisse, Gras – in<br />
ihren beiden Körben an Tragestangen strassabwärts. Neben den<br />
Bambushütten riesige Salatschüsseln – so kann ich mich wenigstens<br />
über Fussball unterhalten, denn den wahren Weltmeister<br />
kennt hier jeder – der 1. FC hat glücklicher Weise das Auftaktspiel<br />
verloren, sonst wäre da ja jetzt schon wieder Karneval.<br />
Regen und Sonne wechseln sich ab, heute ist mein Gaul auch<br />
irgendwie spritziger – es geht nach Hause. 1200 Uhr – pünktlich<br />
nach 5 Stunden Bergfahrt erreiche ich <strong>die</strong> Sonnenstadt VangVieng,<br />
<strong>die</strong> von jungen Leuten besetzt scheint, alle zwischen 17 und<br />
28 Jahren, na ja, da passe ich mit m<strong>eine</strong>n 50 Lenzen ja nicht unbe-<br />
127
dingt dazu, Curryreis mit Schwein und Gemüse – Bambussprossen<br />
schmecken mir, dazu <strong>eine</strong>n Melonenfruchtsaft. Ab geht <strong>die</strong><br />
Post, um 1250, doch halt, erst noch ein paar Strassengebühren<br />
– 5.000 Kip an drei Markierungen auf der N 13 – und <strong>die</strong> nächste<br />
Gebühr wird fällig – Polizeikontrolle: „You speak Lao?“, „No,<br />
madame, nitnoi!“ antworte ich, nehme m<strong>eine</strong> Sonnenbrille ab<br />
und strahle in ein lächelndes Dienstgesicht. Ihre Diensthand hebt<br />
sich, ihr zweiter Finger weist gerade nach vorn, ich habe grünes<br />
Licht zur Weiterfahrt. Dabei hätte ich mich mit <strong>die</strong>ser Dienstmiene<br />
doch gerne länger unterhalten, k<strong>eine</strong> Gebühr, k<strong>eine</strong> Unterhaltung.<br />
So schlecht ist das Leben.<br />
1500 Vientiane lässt immer noch auf sich warten. Die letzen<br />
100 km fallen mir schwer, ich beginne mit Selbstgesprächen, <strong>die</strong><br />
zur Wiedergabe nicht geeignet sind. Bei europcar wartet um 1540<br />
– zwanzig Minuten vor der <strong>Zeit</strong> – <strong>eine</strong> Sicherheitskraft, der ich<br />
das vollbetankte Fahrzeug samt Schlüssel überlasse. Nebenan im<br />
d‘Rose Inn finde ich Quartier, sortiere Post und Pläne und suche<br />
Ruhe – in <strong>eine</strong>m fensterlosen Standard, für <strong>eine</strong> Nacht reicht es<br />
nach all den schönen Suiten. Go well, Luang Prabang, morgen bin<br />
ich wieder da – on Transit.<br />
On Transit - zu spät<br />
M o n t a g, 2 3.08.2010<br />
Heute Mekongfisch gegrillt, kalte Nudeln, scharfe Sosse – dazu<br />
<strong>eine</strong> herrliche Aussicht über den Strom, der mir in <strong>die</strong>ser Breite<br />
und der Schwere s<strong>eine</strong>r Fluten fast schon ein wenig Angst einflösst.<br />
Ich bin in Paksé/Champasak gelandet, <strong>eine</strong>r wohl geordneten<br />
kolonialen Hinterlasssenschaft mit breiten rechteckig angelegten<br />
Strassen, etwa 700 km südlich von ViengChanh. M<strong>eine</strong>n<br />
Abendspaziergang durch <strong>die</strong> überschaubare Provinzstadt habe<br />
ich im Schweisse m<strong>eine</strong>s Angesichts erledigt, <strong>eine</strong>n Capuccino<br />
mit <strong>eine</strong>m Muffin im Cafe Soudin. Hier ist Kaffeeland, <strong>die</strong> Bolaven<br />
128
Ebene im Osten liegt duftig hoch in <strong>eine</strong>m regenreichen Gebiet<br />
und produziert „Arabica“. Ein paar Informationen bei der städtischen<br />
Informationszentrale, Bus- und Bootsfahrpläne – und dann<br />
<strong>die</strong> Überraschung: Dort wo ich dachte, dass der Strom <strong>die</strong> Hautschlagader<br />
ist, findet nur noch Tourismus statt, der lokale Rest<br />
reist mit dem billigeren Bus aus den Dörfern an, um den Markt<br />
zu beschicken. Ergebnis des Kapitalisierungsprozesses: Boote für<br />
den Touri sind unverschämt teuer gemessen an dem Lebensstandard<br />
der Menschen – so bot mir <strong>die</strong> Assoziation <strong>die</strong> weitere <strong>Reise</strong><br />
mit dem Boot nach Champasak und Dong Khong mit Besuch der<br />
4000 Inseln, der Irrawadi Delfine und der Wasserfälle mit anschliessendem<br />
Transport zur Grenze nach Kambodscha für sage<br />
und schreibe 2.430.000 Kip an, das sind 250 € allein für den Transport,<br />
da habe ich abgewunken, da finde ich es billiger mir für <strong>die</strong>sen<br />
Preis das Boot zu kaufen. Da bleibt nur noch der Bus nach Dong<br />
Khong für 30.000 Kip, der Insel im Mekong mit Übernachtung in<br />
<strong>eine</strong>m Bootshaus. Von dort nehme ich an, werden ein paar Touris<br />
mehr in <strong>die</strong> Inselwelt fahren. Eine „billige“ Mekongreise gibt es<br />
angesichts <strong>die</strong>ser Verwerfungen also nicht – ich bin zu spät.<br />
Paksé erreiche ich schon <strong>gegen</strong> Mittag nach <strong>eine</strong>m Flug mit<br />
der MA 60 Propellermaschine der Lao Airline über <strong>die</strong> Bergketten<br />
nach Luang Prabang – und von dort zurück und weiter entlang des<br />
Mekong nach Paksé. An jedem Flugplatz sitzen Einwanderungsbeamte<br />
in Uniform, <strong>die</strong> selbst <strong>die</strong> Bordkarten <strong>eine</strong>s Binnenflugs<br />
abstempeln. Ordnung muss sein. Ohne Stempel kein Flug. Für<br />
hier schon 10 Greenbacks werde ich am Champasak Palace Hotel<br />
nach 10 Minuten Minibusfahrt vom Flugplatz abgesetzt. Wer hier<br />
so alles mitver<strong>die</strong>nt ? Dafür werde ich vom Hauspersonal freundlich<br />
als reservierter Gast „Mister Albert“ empfangen, <strong>die</strong> online<br />
Buchungen mit adoga haben also geklappt. Das Hotel - ein Kolossalbau<br />
aus der Kolonialzeit. Marguerite Duras geht mir durch den<br />
Kopf, und der „Indochina“ Film mit Catherine Deneuve, da stehen<br />
<strong>die</strong>se Gebäude in der Kulisse. Ein unendlich grosses Zimmer<br />
mit Blumen und <strong>eine</strong>m zweiten Ausgang zur eigenen Terrasse auf<br />
der anderen Seite. Ich beginne <strong>die</strong> Vorzüge des Kolonialismus zu<br />
129
ahnen. Wahrscheinlich bin ich auch da wieder zu spät. Der späte<br />
Kolonialismus macht sich nicht nur im Anteil der französischen<br />
Touristen, sondern auch in den französischen Sprachresten bemerkbar,<br />
mit dem <strong>die</strong> Menues ausgezeichnet sind.<br />
Zu spät bin ich auch heute Abend – wer erwartet, dass er nach<br />
<strong>eine</strong>m leckeren Fisch 25000 KIP mit „Beerlao“ 8000 Kip, der bekömmlichen<br />
Biersorte Laos, noch ein TukTuk für den Heimweg<br />
findet, ist falsch gesattelt: Mit Einbruch der Dunkelheit geht hier<br />
nichts mehr ausser <strong>eine</strong>m einsamen alleinstehenden Touristen<br />
– und Unmengen an Mopeds. Kaum im Hotel, geraten <strong>die</strong> Massen,<br />
<strong>die</strong> mich zum Schwitzen gebracht haben – bei miesen 28 °C<br />
nimmt <strong>die</strong> Luftfeuchtigkeit vor dem Regen merklich zu – wolkig<br />
in Wallung – und ich sage, wenn es hier regnet, dann regnet es<br />
nicht nur, hier kübelt es, da werden <strong>die</strong> Wannen oben reihenweise<br />
ausgeschüttet. Davon zehren auch <strong>die</strong> Luftbilder, <strong>die</strong> den Blick<br />
freigeben auf <strong>die</strong> Nassreisfelder in der Mekongebene – wie allseits<br />
überschwemmt sieht <strong>die</strong>ses Land aus. Das Lied des Regens wird<br />
von der Geräuschkulisse der Luftkühlung verdrängt. Mit dem Gefühl,<br />
<strong>die</strong> nächsten Tage strukturiert zu haben, lasse ich mich mit<br />
Musik und Informationen aus WDR2 „Mittagsmagazin“ in mein<br />
gigantisches Doppelbett fallen: Selbst bei der Werbung wird auf<br />
laotischen Sendern das Verderbliche gepixelt – nebenan ist alles<br />
andere gratis.<br />
Ende <strong>eine</strong>r Flussfahrt<br />
D i e n s t a g, 24.08.2010<br />
Das nenne ich ein Glückskind. Dabei beginnt der Tag mit dem<br />
letzten Regen der Nacht, als ich <strong>die</strong> Terrassentür <strong>gegen</strong> 0500<br />
aufschlage, draussen pustet schon das Leben s<strong>eine</strong>n Diesel in <strong>die</strong><br />
Luft. Die <strong>Zeit</strong> ist wunderbar zum Meditieren.<br />
Das Frühstück ist etwas mager, aber nachdem mir jede gebratene<br />
Nudel, jeder gemischte Reis schmecken, ist alles geges-<br />
130
sen, als zum Abschluss noch ein Stück Pitaya s<strong>eine</strong>n Duft in <strong>die</strong><br />
Nase treibt. Ich bin verwundert wie viele Chinesen Laos besetzt<br />
halten; <strong>die</strong>s ist ein Hotel mit ausschliesslich chinesischem Publikum,<br />
ich bin der einzige Westler. Beim Ausgang nehme ich mir<br />
zur Vorsicht <strong>eine</strong>n Schirm des Hotels mit. Das TukTuk ist eigentlich<br />
ein Moped mit Beiwagen, dabei ist „-wagen“ schon zu viel, es<br />
ist ein Gerüst mit Plastikfolie. Die Plastikfolie ist dicht und vorn<br />
hübsch schräg vorgespannt, damit der Regen nach unten abläuft.<br />
Mit dem Fahrtwind fliesst der Regen dann aber nicht nach unten,<br />
sondern nach oben; <strong>die</strong> Folie, eben weil sie dicht ist, schickt alle<br />
Wasser nach oben, aber an dem Sonnenschutzdach prangen <strong>die</strong><br />
offenen Sterne, also regnet es in Streifen, das Ergebnis ist klar:<br />
klatschnass komme ich schon nach 8 km und 40.000 Kip an der<br />
Busstation an. Direkt vor dem Mini nach Champasak setzt mich<br />
mein Biker ab: 0800, aber mein Mini zeigt k<strong>eine</strong> Anzeichen ab<br />
zu fahren, der 0800 Mini ist wahrscheinlich schon weg, m<strong>eine</strong>r<br />
wartet nun auf <strong>die</strong> 0900 Fahrgäste. Die Fänger stehen barfuss<br />
im Wasser und rennen auf jeden ankommenden Wagen, um für<br />
ihren Bus <strong>die</strong> Fahrgäste ausfindig zu machen. Völlig durchnässte<br />
Sarongs tragen sich unentwegt um <strong>die</strong> Wartegäste, um ihren<br />
Satee oder ihre Hühnerflügel los zu werden. Mit <strong>eine</strong>m Fanfarenton<br />
verabschieden sich <strong>die</strong> internationalen Busse nach Hué<br />
und Phnom-Penh. Zwei Schülerinnen kichern sich <strong>eine</strong>n zurecht<br />
über den Riesen, der auf k<strong>eine</strong> Bank passen will. Ein Ei wandert<br />
freundlich von Hand zu Hand und landet bei mir. Es sieht schon<br />
ein bisschen elend aus in s<strong>eine</strong>m braungrünen Kleid, vielleicht <strong>eine</strong>s<br />
jener Hundertjahreeier. Ich gebe mich gestärkt, pelle das Ei<br />
auf, <strong>eine</strong> braune Flüssigkeit tritt aus, dann streckt ein Hühnerembryo<br />
s<strong>eine</strong>n leblosen Kopf aus der Flüssigkeit, noch mit dem<br />
Dotter verbunden. M<strong>eine</strong> gastliche Schülerin sieht das, reisst den<br />
Embryo heraus und lässt ihn gerade vor mich hin fallen in <strong>die</strong><br />
Flüssigkeit , <strong>die</strong> eben ausgetreten war. Jetzt wird das Ganze unansehnlich,<br />
ich pelle aus Freundlichkeit das Ei zu Ende, dann wandert<br />
es zwischen den Bordwänden in den Gully. Die Reste <strong>die</strong>ses<br />
entgangenen Frühstücks verstecken sich unter dem Gepäck und<br />
131
den 12 Fahrgästen, <strong>die</strong> auf drei Längsbänken, ihre Markteinkäufe<br />
auf dem Dach verstaut sind, geht es vorzeitig los.<br />
Und wenn es los geht, dann ist erst mal <strong>die</strong> hupende Ehrenrunde<br />
gemeint, <strong>die</strong> auf dem Busbahnhof gedreht wird. Es plästert<br />
immer noch, <strong>die</strong> Menschen tragen Pullover und Jackett, es ist kühl<br />
für laotische Verhältnisse. Erst recht als der Mini Fahrt aufnimmt,<br />
entweder ist der Diesel auf Formel 1 aufgemotzt oder hat <strong>eine</strong>n<br />
defekten Auspuff, es röhrt jedenfalls mächtig, ich denke eher an<br />
den Auspuff. Wir tasten uns von Dorf zu Dorf, immer wieder mal<br />
mit <strong>eine</strong>r Ehrenrunde und verstärktem Hupen um neue Fahrgäste<br />
nachsuchend. Unterwegs springen Gäste ab, verschwinden<br />
im Busch. Abzweig von der N 13, zwei Backpackers aus Spanien<br />
drücken sich noch zusätzlich auf <strong>die</strong> Bänke. Nach 10 weiteren Minuten<br />
landen wir – am Fluss. Der Mekong diktiert den Rytmus,<br />
mit dem <strong>die</strong> selbst gebauten Fähren ihre Gefährte auf <strong>die</strong> andere<br />
Uferseite bugsieren , ich schätze etwa 2000 m entfernt. 20.000<br />
Kip für <strong>die</strong> Busfahrt werden kassiert. Ein Jeep <strong>eine</strong>s Funktionärs<br />
mit Fahrer platziert sich ungefragt vor uns, das verschlägt m<strong>eine</strong>m<br />
Mini <strong>die</strong> Sprache, beim Auffahren durch <strong>die</strong> Fluten auf ein<br />
gewelltes Gitter macht‘s rums – das hört sich nach Schlimmerem<br />
an: Mit den Hinterrädern an Land, mit den Vorderrädern auf dem<br />
Gitter, dazwischen fliesst der Mekong – und kühlt unseren Fahrer<br />
ab, denn <strong>die</strong> Vorderachse ist gebrochen, das linke Vorderrad<br />
steht schief, der Mini sieht nicht eben glücklich aus, der Fahrer<br />
auch nicht, aber kassiert ist ja. Wir verlassen den Mini allesamt<br />
und schauen dem Treiben zu. Wagen aufbocken, Achse mit Bohle<br />
unterlegen, festzurren – Fahrversuch – rums, Bohle durch, Achse<br />
durch.<br />
Eine halbe Stunde vergeht, <strong>die</strong> zweite Fähre sucht schon seit<br />
20 Minuten anzulegen, gelassen nehmen es <strong>die</strong> nachfolgenden<br />
Fahrzeuge hin. Auf <strong>eine</strong>m unter geschobenem Brett rutscht das<br />
Fahrzeug mit letzter Kraft von dem Gitter zurück aufs Land und<br />
wird auf <strong>die</strong> Seite geschoben, <strong>die</strong> nächsten zwei, drei Fahrzeuge<br />
fahren auf. Als <strong>die</strong> Fähre alsdann ablegt, schnappe ich m<strong>eine</strong> Umhängetasche<br />
und m<strong>eine</strong>n Schirm, springe nach und auf <strong>die</strong> Fäh-<br />
132
e, ade mein Mini. Es regnet, ich sehe wahrscheinlich bedröppelt<br />
aus, aber es zeigt Wirkung. Ein Honda Hilux entpuppt sich als<br />
Touristenkutsche, bei der ich anklopfe – ein japanisches Ehepaar<br />
aus Tokio ist zunächst irritiert, sagt dann aber „ja“, ich steige ein<br />
– und werde auf deutsch begrüsst! Sie ist Übersetzerin und hat gerade<br />
“Tonio Kröger“ von Thomas Mann übersetzt und klagt über<br />
<strong>die</strong> schwierige Satzfolge bei Mann. Ich stimme ihr zu – und erzähle<br />
ihr über Tübingen, wo sie in den 60-er Jahren Germanistik<br />
stu<strong>die</strong>rt hat. Natürlich nehmen sie mich mit gleich bis Wat Phou,<br />
dem renovierungsbeürftigen „Tempel am Berg“.<br />
Ein langer Anlauf zwischen Lingams zeigt <strong>die</strong> hinduistische<br />
Tradition, <strong>die</strong> von buddhistischen Momenten überlagert wird,<br />
ähnlich wie in Angkor Wat. Zwei Klosteranlagen links und rechts<br />
befinden sich in desaströsem Zustand, Frankreich und Italien haben<br />
grosse Schilder platziert, dass sie sich für <strong>die</strong> Restaurierung<br />
verantwortlich fühlen. Doch was mich fasziniert ist, dass selbst in<br />
<strong>die</strong>sem elenden Areal <strong>die</strong> zwei, drei Buddhastatuen bekleidet und<br />
beschmückt sind, unsere laotischen Guides opfern an jedem heiligen<br />
Platz mit innigen Gebeten - ich schliesse mich an und sage<br />
mit drei tiefen Wais „danke“ für <strong>die</strong> glückliche Fügung. 77 Stufen<br />
markieren den Weg zum zentralen Heiligtum Bot auf dem Berg,<br />
von dem sich <strong>die</strong> wunderbare landschaftliche Einbettung zeigt,<br />
im Hintergrund der Mekong.<br />
M<strong>eine</strong> Gastgeber lassen es sich nicht nehmen, mir auch <strong>die</strong><br />
Rückreise anzubieten, dafür lade ich zum Essen ein. In Ban<br />
Muang am Mekong finden wir ein Gruppenrestaurant, bei dem<br />
unsere Fahrer Provision in Form <strong>eine</strong>s Essens kassieren. Ich trinke<br />
Wasser, <strong>die</strong> übrigen Beerlao. Der Rückweg ist wieder ein Glück,<br />
allein wäre ich wahrscheinlich gar nicht mehr über den Mekong<br />
über gesetzt, denn <strong>die</strong> Fähre fährt nicht regelmässig, sondern<br />
nur, wenn sie voll ist, selbst für den Honda und s<strong>eine</strong> sechs Gäste<br />
macht er k<strong>eine</strong> Ausnahme. Wir nehmen <strong>die</strong> „neue Strasse“,<br />
schlingern durch aufgeweichtes Erdreich, <strong>eine</strong> Fahrrinne, links<br />
und rechts Drainagegräben bis zu 1,5 m tief, ich nehme Sicherheitshaltung<br />
ein. In der Spur kommen uns <strong>die</strong> Fahrzeuge entge-<br />
133
gen: Wer hält es am längsten aus – ohne Vierradantrieb möchte<br />
ich hier nicht fahren. Wir schaffen es – mit tiefem Atemholen, <strong>die</strong><br />
Wasserbüffel, <strong>die</strong> auf der Strasse suhlen, haben es extrem leichter.<br />
Ein liebes „Arigato gaimasu“ gilt m<strong>eine</strong>m japanischen Ehepaar,<br />
das mich zum Glückskind gemacht hat. Ein Trinkgeld von<br />
20.000 Kip lässt m<strong>eine</strong> verwöhnten Fahrer nur müde lächeln, sie<br />
sind anderes gewohnt.<br />
Und dann kommt er endlich – jener Nachmittagsmonsun, dessentwegen<br />
ich den Schirm <strong>die</strong> ganze <strong>Zeit</strong> mitgeschleppt habe.<br />
Aber den hält mein Schirm nicht aus, er würde bei dem Einschlag<br />
zerdeppern, also stelle ich mich unter ein Vordach, zweihundert<br />
Meter von m<strong>eine</strong>m Hotel entfernt. Ich fühle mich kalt, aber trocken.<br />
Die Mopedfahrer jagen durch Regen und Pfützen, <strong>die</strong> an<br />
den Strassenseiten sich zu Riesenlachen ausbauen. 40 Minuten<br />
warten, dann traue ich mich, der Regen ist nicht mehr das Problem,<br />
das Problem ist, trockenen Fusses jene Stromschnellen zu<br />
umlaufen oder zu überspringen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> nächste Strassenniederung<br />
suchen.<br />
M<strong>eine</strong> rote Hibiskusblüte, <strong>die</strong> ich sei Wat Phou mit mir trage,<br />
schenke ich dem ersten Lächeln, das mich nach dem Regen erreicht.<br />
Unter der Regenwolke beginnt es früher zu dunkeln.<br />
Flussmenschen<br />
M i t t w o c h, 25.08.2010<br />
Die Boote tuckern im Zweitakt an m<strong>eine</strong>m Floating Hotel vorbei,<br />
der Strom jagt gewaltig mit 7 – 8 Knoten unter m<strong>eine</strong>r Plattform<br />
hindurch, gelegentlich bringt das Wasser das umgebaute<br />
Bootshaus ins Schwanken, ansonsten liege ich seit 1500 fest<br />
vertäut – und will gar nicht mehr weiter. Don Khon heisst <strong>die</strong>ser<br />
malerische Ort, an dem sich <strong>die</strong> Backpacker abladen lassen von<br />
den Langbooten, <strong>die</strong> hier in den viertausend Inseln stromauf- und<br />
-abwärts schippern.<br />
134
Ein Bambushaus erwartet mich nach der Mail, <strong>die</strong> ich gestern<br />
von m<strong>eine</strong>m Kollegen Rechtsanwalt aus Don Khon - Insel Khon –<br />
erhielt, ein Appartment auf dem Fluss ist für 40 US $ reserviert.<br />
Aufwachen um 0500, Sachen packen, 0600 Frühstück, Rechnung,<br />
Abschied vom Palace-Charme und Paksé. Noch einmal<br />
schnell 700.000 Kip nachtanken, dann bringt mich das TukTuk<br />
wieder zum Busbahnhof, <strong>die</strong>smal für 20.000 Kip, es ist viel luftiger<br />
und frischer an <strong>die</strong>sem Morgen ohne Folie. Mein Fahrer fährt<br />
mit Handschuhen – ungewöhnlich, aber gekonnt. Die Lachen<br />
sind einigermassen abgetaut und der Lkw mit Sitzflächen wartet<br />
schon – sie reissen sich um jeden Gast, ich folge der freundlichen<br />
Frau im Sarong mit ihren zwei Hündchen, <strong>die</strong>smal klappt <strong>die</strong> Abfahrt<br />
um 0800 Uhr nach Don Khong 35.000 Kip.<br />
Das Dorf liegt 125 km südlich auf der gleichnamigen Insel am<br />
Nordende der Viertausend Inseln auf der anderen Seite des Mekong.<br />
Scheu zunächst <strong>die</strong> Kinder, dann schenkt <strong>eine</strong>r mir <strong>eine</strong><br />
Frucht, aus der ich <strong>die</strong> Keimlinge ausbrechen muss, um sie zu<br />
verzehren, kein allzu grosser Genuss, aber immerhin <strong>eine</strong> Geste,<br />
denn der Lkw braucht s<strong>eine</strong> 3,5 Stunden. Da muss dir schon was<br />
einfallen mit d<strong>eine</strong>n Nachbarn, zumal wenn es Kinder sind. Ein<br />
Geschwisterpaar aus Österreich und ein Abiturient aus Potsdam<br />
drängen sich mit schwerem Gepäck noch rein, schlagen sich nach<br />
Wat Phou durch. Als ich mich an <strong>eine</strong>r Art grünem Johannisbrot<br />
versuche, greift Verzweiflung mich an – trotz des scharf geschliffenen<br />
Taschenmessers Schweizer Herkunft versagen sie sich<br />
<strong>eine</strong>m Schnitt, wie Gummi geben sie nach ohne sichtbare Verletzungen,<br />
dabei will ich für m<strong>eine</strong> beiden Knaben doch nur <strong>die</strong><br />
Fruchtbeeren, <strong>die</strong> wie in Bohnen eingelegt sind in <strong>die</strong> feste Schale.<br />
Ich schäle schliesslich und schabe <strong>die</strong> Ränder, am Fruchtfleisch<br />
breche ich sie dann auf. Die junge Frau mit den Hündchen lässt sie<br />
unter der Decke fast ersticken, gelegentlich räuspern sie sich mit<br />
heiserem Gebell, dann kriegen sie wieder eins auf <strong>die</strong> Nuss. Ich<br />
schüttele unbeabsichtigt mit dem Kopf, sie folgt der Bitte, nimmt<br />
<strong>die</strong> Hündchen, <strong>die</strong> erst einige Monate alt sind und noch sehr verquollen<br />
aus dem Fell schauen, auf den Schoss und streichelt sie<br />
135
– sie sind artig und bellen nicht mehr. Mann oder Hund, du musst<br />
dich entscheiden, denke ich – sie hat sich entschieden.<br />
Von der N 13 geht es nach etwa 110 km rechts ab zum Fluss,<br />
wo wir auf <strong>die</strong> Fähre warten. An den Ständen Fettgebackenes,<br />
Kokosnüsse, Bananen und Kürbisse, dazu gekochten Maiskolben<br />
und Hähnchen vom Grill. Die Busmannschaft – 1 Fahrer, 1 Kassiererin<br />
und der Packer – hat sich auf <strong>eine</strong> leere Plattform verzogen,<br />
an der ich vorbeistreife – und aufgefordert werde zuzugreifen:<br />
Klebreis, mit den Fingern der rechten Hand zu <strong>eine</strong>m Pfropfen<br />
zusammengedrückt, anschliessend in <strong>die</strong> scharfe Sosse getaucht<br />
und verzehrt, ein Stückchen Hühnerbrust bleibt auch noch für<br />
mich, ich danke Gott, dass mir immer solche Bilder beschert sind.<br />
Sie geben mir das Gefühl angekommen zu sein, <strong>die</strong> Fremdheit abgestreift<br />
zu haben. Als ich dann auch noch <strong>eine</strong> heisse Chilischote<br />
ohne Gesichtsverlust verzehre, ist es fast <strong>eine</strong> Familie. Ich spende<br />
<strong>eine</strong> Flasche kühlen Wassers, <strong>die</strong> sie gerne annehmen.<br />
Mit dem kräftigen Diesel fährt es sich einfacher und – auf <strong>die</strong><br />
laotischen Verhältnisse bezogen – bequemer, mit <strong>eine</strong>m Schwung<br />
begibt er sich auf <strong>die</strong> Plattform der Fähre, <strong>die</strong> von <strong>eine</strong>m in der<br />
Richtung wechselnden Motorhäuschen gelenkt wird. Nebenan<br />
werden Fussgänger und Mopeds mit einfachen Langbooten, <strong>die</strong><br />
zu dritt zusammengebunden und mit <strong>eine</strong>r Bretterplattform ohne<br />
Gelände versehen sind, über den Mekong getragen. Die Überfahrt<br />
ist im Fahrpreis enthalten. In dem Örtchen „Don Khong“ nehme<br />
ich freundlich Abschied von der Fahrgemeinschaft, <strong>die</strong> Kinder<br />
winken mir nach. Auch Stefan, das Bleichgesicht, dem ich den<br />
Germanen schon von weitem ansehe, der an der Kreuzung Champasak<br />
zugestiegen ist, verlässt den Lkw. Schüchtern frage ich bei<br />
nächster Gelegenheit „Sala Phae?“ - niemand kennt das Anwesen,<br />
ich bin ratlos. War ich doch bis eben sicher, das „Don Khong“ <strong>die</strong><br />
richtige Insel ist, klärt mich der Wirt am nächsten Gästehaus auf,<br />
wo sich Stefan einzuquartieren sucht: Sala Phae, <strong>die</strong> Anlage liegt<br />
auf „Don Khon“. Ich hatte doch das G geschlabbert.<br />
Was nun, zurück mit der Fähre, Bus oder Jeep nach Ban Nakasang,<br />
Fähre nach „Don Det“, Fussmarsch auf <strong>die</strong> andere Seite,<br />
136
Fähre nach „Don Khon“, alles in allem 120.000 Kip pro Person.<br />
Da taucht mit verschmitztem laotischem Lächeln mein Glück für<br />
200.000 Kip auf, ein Bootsführer, der s<strong>eine</strong> Morgentour durch<br />
<strong>die</strong> viertausend Inseln schon hinter sich hat. Er will mich nach<br />
1,5 Stunden Bootsfahrt nach „Don Khon“ bringen, na, das ist doch<br />
<strong>die</strong> Alternative. Und wie das Schicksal so spielt, da ich nun gerade<br />
auf der Gewinnerstrasse bin, kommt Stefan von s<strong>eine</strong>r Zimmerbesichtigung<br />
zurück und fragt sich laut, was er allein denn in Don<br />
Khong suchen soll – etwa den Mekong? Die Sache geht klar, wir<br />
teilen uns <strong>die</strong> 170,000 Kip, <strong>die</strong> wir letztlich ausgehandelt haben,<br />
brüderlich, ich m<strong>eine</strong> 100.000 Kip, er den Rest.<br />
MAE KONG, noch nie war ich ihm so nahe – nun weiss ich,<br />
was den Unterschied zwischen <strong>eine</strong>m Fluss – wie Rhein, Elbe und<br />
Donau – und <strong>eine</strong>m Strom ausmacht: Die majestätische Ruhe, <strong>die</strong><br />
wilden ungezähmten Schnellen, <strong>die</strong> Weite, <strong>die</strong> sich hier nur hinter<br />
den Hunderten an Inseln ahnen lässt. Stromabwärts geht unsere<br />
langsame und stille Fahrt, das gleichmässige Knattern des Motors<br />
und das gleich bleibende Drehmoment der Schraube an dem langen<br />
Ausleger verleiten zum Dösen, gelegentlich nicke ich ein. Ein<br />
Regenschauer stellt sich quer. Pfahlhäuser an den Rändern liegen<br />
versteckt hinter grünen Büschen, <strong>die</strong> im Wasser stehen, im Zentrum<br />
der kl<strong>eine</strong>n Strudel bauen sich Schaumkronen auf. „Ed<strong>die</strong>s“-<br />
das sind hochtreibende Wellenpolster - sind plötzlich unter uns.<br />
Dann wieder <strong>eine</strong> tiefe Stille, der Strom bewegt sich erhaben, ich<br />
nehme k<strong>eine</strong> Wellen wahr im Flussalltag, lediglich dann, wenn<br />
uns ein anderes Boot passiert, haben wir <strong>eine</strong>n Schwell. Ich geniesse<br />
im Boot mich zu strecken – wir landen an 1430. „Don Khon<br />
Restaurant“ hat sich mit dem Geld des Rechtsanwalts, der „Sala<br />
Phae“ betreibt, angeliedert. „Khob khun krab“ unserem Bootsführer,<br />
der schon wieder Kundschaft sucht, dann erhalte ich Zugang<br />
zu FH 06, Floating Hotel N° 6.<br />
137
Ich kann mein Glück nicht beschreiben, hier möchte ich verweilen.<br />
Die Terrasse am Wasser ist mit Matten und Stühlen ausgestattet,<br />
dort werde ich den Nachmittag verbringen und dem Gesang<br />
des Wassers lauschen, <strong>die</strong> Libellen streicheln und mich von<br />
Schmetterlingen küssen lassen und den para<strong>die</strong>sischen Zustand<br />
mit Goethe verfüllen: Augenblick, verweile, du bist so schön.<br />
Wenn ich doch nur <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> festhalten könnte, <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> wird mein<br />
letztes unerklärtes Fänomen sein. Karg <strong>die</strong> übrige Einrichtung,<br />
gar drei Betten, hier auch <strong>die</strong> bislang nicht genutzten Moskitonetze<br />
über den Betten, das Haus ist sehr luftig angelegt, offene Fenster,<br />
Sparrentüren, kein Schloss, so stelle ich mir <strong>eine</strong> menschliche<br />
Gesellschaft vor. Duschen, Sarong, Schreiben – um 1900 bin ich<br />
mit Stefan zum Essen verabredet. Carpe <strong>die</strong>m....<br />
….Der Strom lebt ohne mich, ich kann nicht <strong>gegen</strong> ihn an, er<br />
ist zeitlos, du vergänglich. Er lädt dich ein mit zu gehen im ewigen<br />
Strom der <strong>Zeit</strong>. Er folgt s<strong>eine</strong>n eigenen gleichmässig ruhigen Gesetzen,<br />
den <strong>die</strong> Regenschauern nicht erbarmen, <strong>die</strong> ihre Wasser<br />
wieder abliefern, <strong>die</strong> sie von ihm aufgesaugt haben, ein Kreislauf,<br />
dem auch ich nicht entrinnen kann, der mich für alle Endlichkeit<br />
trimmt. Ich gewinne Ruhe in m<strong>eine</strong>m Atem aus den ausdauernd<br />
strömenden Wassern. Ich bin der Quelle des Lebens nahe, der<br />
„Mutter aller Wasser“, <strong>die</strong> dich nährt und pflegt....<br />
… und Gott sah, dass es gut war.<br />
138
Finale<br />
D o n n e r s t a g, 26.08.2010<br />
04 20 es klopft, nein, doch nicht, <strong>eine</strong> Kokosnuss ist <strong>gegen</strong> <strong>die</strong><br />
Fässer geschlagen, auf denen das Bootshaus ruht. Hähne krähen,<br />
kein Morgenstrahl noch zu sehen, ruhig liegt das gelbbraune Wasser<br />
im bleichen Schein des Vollmonds. Ich sitze auf der Veranda<br />
und lausche den Tönen, <strong>die</strong> immer wieder wechseln, ein Strudel<br />
– immer <strong>gegen</strong> den Uhrzeigersinn -, der sich in <strong>eine</strong>n grösseren<br />
Strudel einbringt, Wasserwallungen ungeklärter Herkunft, <strong>die</strong><br />
plötzlich eigene Strömungen erzeugen. Was wie <strong>eine</strong> ebene Fläche<br />
ausschaut, ist in Wirklichkeit ein übereinander-untereinander-hintereinander-voreinander<br />
von Wassern, <strong>die</strong> sich ständig<br />
in Bewegung halten. Gelegentlich ein „Krokodil“, nein ein Baumstamm,<br />
der nur vorn und hinten aus dem Wasser lugt. Das Wasser<br />
wiegt augenscheinlich schwer durch <strong>die</strong> Sedimente, <strong>die</strong> sich im<br />
Wasser gebunden haben. Ich tauche m<strong>eine</strong> nackten Füsse in das<br />
Wasser – warm und weich, der Kontakt nimmt <strong>die</strong> Angst vor dem<br />
Fremden, ich geniesse <strong>die</strong> ungewohnte Massage.<br />
0600 Uhr „Laos“ habe ich ausgelesen, aber zu <strong>eine</strong>r persönlichen<br />
Bilanz bin ich noch nicht gekommen. Was ist anders – das<br />
bislang nicht gekannte Karst-Bergpanorama, das Erlebnis <strong>eine</strong>s<br />
Stroms, der mich und s<strong>eine</strong> Umgebung beherrscht, dem du dich<br />
nicht entziehen kannst. Was ist neu – <strong>die</strong> Gemächlichkeit in <strong>eine</strong>m<br />
System des Umbruchs, statt Ochsenkarren – wie noch 1970 auf<br />
Java – nun <strong>die</strong> einachsigen Traktoren, <strong>die</strong> Elefanten nur noch als<br />
Touristenzierde, nicht mehr als Arbeitstiere, der Raubbau an der<br />
Natur, der harsche Umgang mit Widersinnigen. Was fehlt – <strong>eine</strong><br />
einigende Gestalt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> 47 Ethnien zusammenhält. Eine sichtbare<br />
Politik des Ausgleichs zwischen den Lao-Theung, Lao-Lum,<br />
Lao Sung – den Ober-, Mittel- und Niederländlern. Wer am Fluss<br />
wohnt ist reich, wer in den Bergen wohnt arm.<br />
0645 klingelt mein Telefonwecker, aber ich sitze schon gepackt<br />
im Don Khon Restaurant bei <strong>eine</strong>m – gemessen an anderen<br />
40 $ Häusern – kargen Frühstück. Ein ungeniessbar dünner<br />
139
Orangensaft, ein kl<strong>eine</strong>s Baguette, lieblos mit Plastikbutter und<br />
Marmelade ausstaffiert, ein dünner grüner Tee, ein lieblos mutziger<br />
Service von Kindern, <strong>eine</strong> freche kupierte Katze, <strong>die</strong> sich an<br />
mir festsetzt und mich kratzt, als sie kein Stück vom Brosamen<br />
erhält. Ich bin m<strong>eine</strong>r eigenen Sicherheitsfilosofie untreu geworden<br />
– und habe vorab gezahlt, aber ehrlich gesagt, ich bin auch<br />
noch nie enttäuscht worden, also kann das Wagnis nur gelingen:<br />
Quittung für 200.000 Kip Boot nach Nakasang, Jeep zu den Wasserfällen<br />
Khone Pha Phang, 8 US $ für <strong>die</strong> 09 30 Busfahrt nach<br />
Stung Treng/Cambodia. „Mai Päng“ - möchte ich rufen, aber ich<br />
habe gelernt, als Einzelreisender zahle ich immer das ganze Boot,<br />
den ganzen Bus, so auch hier.<br />
Das Langboot kreuzt um 0740 auf, richtet <strong>die</strong> Schnauze in den<br />
Strom und tuckert gemächlich 30 Minuten zurück nach Norden,<br />
wo in Nakasang <strong>die</strong> Hächer schon unterwegs sind, mein Bootsführer<br />
winkt ab, ich habe m<strong>eine</strong> Ruh‘ und folge ihm, der m<strong>eine</strong>n<br />
20 kg <strong>Reise</strong>koffer trägt.<br />
Am Ende des Dorfes nehme ich für <strong>eine</strong>n Augenblick Platz,<br />
5.000 Kip, ein Trinkgeld für <strong>die</strong> flotte Fahrt, dann taucht ein superneuer<br />
Hilux auf, packt mich ein und nach 6 km kurz vor den<br />
Wasserfällen wieder aus - 20.000 Kip. Schon auf dem 5-minütigen<br />
Hinweg dröhnen <strong>die</strong> Wasser. Der erste Blick auf den 15 m<br />
tiefen Graben, den <strong>die</strong> Wassermassen hinunter stürzen, überwältigend.<br />
Nicht dass Niagara- und Victoria- und Iguacufälle nicht<br />
höher sind, aber <strong>die</strong> Wassermassen treiben hier ein orgiastisch<br />
wirbelndes Fest: Kampf der Elemente – Wasser und Land. Kampf<br />
zweier Titanen, <strong>die</strong> einander in nichts nachstehen. So etwa muss<br />
es ausgesehen haben als in der Schöpfungsgeschichte Gott am<br />
dritten Tag Wasser und Land teilt. Das ist nicht „Wassermusik“,<br />
das ist Beethoven‘s vertonter elysischer Trunk, das ist Wagner‘s<br />
„Götterdämmerung“ zugleich. Ich bin allein an <strong>die</strong>sem Morgen<br />
im Angesicht der kämpfenden Gewalten, suche mir ein Plätzchen<br />
und stiere in <strong>die</strong> Wasser, <strong>die</strong> sich hier auf <strong>eine</strong>r Breite von 1 km<br />
tummeln, <strong>die</strong> Widerwellen werfen springende Schatten, <strong>die</strong> Illusion<br />
ruft <strong>die</strong> Irrawadi Delfine ins Bild. Wasserschwaden steigen<br />
140
auf, zeichnen geisterhafte Wesen auf <strong>die</strong> Felsen.<br />
Im Dunst der Gischt m<strong>eine</strong> ich <strong>eine</strong> Kontur zu erkennen, hager<br />
zeichnet sich ein Profil, noch verwaschen und undeutlich, <strong>die</strong><br />
Gestalt vermittelt <strong>eine</strong> tiefe Gelassenheit inmitten der tosenden<br />
Wasser. Das sprunghaft überbordende Wasser berührt ihn nicht,<br />
es ist als ob das Wasser nach ihm lechzt, aber nicht erfassen kann,<br />
weil ihn der Fels verfestigt.<br />
„Hey, alter Freund, bist du‘s?“ K<strong>eine</strong> Antwort. „Schenk mir<br />
noch <strong>eine</strong> Weile, ich habe dir noch viel zu sagen.“ – k<strong>eine</strong> Reaktion<br />
- „ Du bist so schnell von dannen gegangen, ohne Abschied, da<br />
war doch eben noch dein „Aufbruch am Mekong“ und jetzt einfach<br />
„Abbruch“. Nein, hier an <strong>die</strong>sem Platz weiss ich, es war dein<br />
Finale, d<strong>eine</strong> Endstation Sehnsucht, <strong>die</strong> du ahnungsvoll beschrieben<br />
hast:<br />
...„Im Felsen findet der Mekong s<strong>eine</strong>n Meister. Er sprüht<br />
und gurgelt und zischt. Der Strom wütet <strong>gegen</strong> karstiges<br />
schwarzes Gestein und will in kraftvollem Aufwallen <strong>die</strong> massiven<br />
Barrieren wegspülen. Vergebens. Mit Gischt und weissen<br />
Wirbeln stürzt das Wasser in <strong>die</strong> Tiefe. Der Mekong bäumt<br />
sich auf in elementarem Zweikampf. Die Khone-Fälle bieten<br />
ein tosendes Schauspiel und werden zum grossen Finale <strong>die</strong>ser<br />
<strong>Reise</strong>. Das Panorama der Kaskaden zieht sich als gigantische<br />
Bühne durch <strong>die</strong> amphi-bische Landschaft im Süden von Laos;<br />
<strong>die</strong> grössten Fälle der Region, aber nicht <strong>die</strong> einzigen, <strong>die</strong> den<br />
Mekong hier in Rage bringen. Es ist als habe sich der Schöpfer<br />
<strong>die</strong>ser Erdformation nicht entscheiden können zwischen dem<br />
Festen und dem Flüssigen; beides verschwimmt wie <strong>die</strong> Farben<br />
<strong>eine</strong>s frischen Aquarells zu Siphadone, zu 4000 Inseln.<br />
Kilometer bevor sich der Mekong auf das Getöse der Khone-<br />
Fälle einlässt, fliesst er weit verzweigt in unerschütterlichem<br />
Gleichmass. Es ist <strong>die</strong> Ruhe vor dem Sturm“...<br />
141
Du hast den Kampf der Elemente immer auch als ein Bild des<br />
Lebenskampfes wahr genommen und dabei ein Gefühl für <strong>die</strong><br />
Kräfte der chthonischen und uranischen Mächte entwickelt.<br />
Mir gefällt das Bild mit den Nashornvögeln, das du in „Laos“<br />
aufnimmst:<br />
... „In <strong>eine</strong>m Dorf beobachten <strong>die</strong> Menschen allabendlich,<br />
wie zwei Nashörnvögel ihrem Nest zufliegen. Mit majestätischem<br />
Flügelschlag gleiten <strong>die</strong> beiden über <strong>die</strong> Reisfelder.<br />
Ein Symbol von Harmonie und intakter Natur. Doch längst<br />
liegen auch in solch vermeintlicher Dorfidylle <strong>die</strong> Cola- und<br />
Bierdosen und <strong>die</strong> Zigarettenschachteln am Strassenrand,<br />
achtlos weggeworfen von den Fahrern der Lastwagen, <strong>die</strong> aus<br />
den Wäldern <strong>die</strong> geschlagenen Bäume abtransportieren. Eines<br />
Abends bleiben <strong>die</strong> Nashornvögel aus. Vergebens schauen<br />
<strong>die</strong> Bauern in den Abendhimmel der untergehenden Sonne.<br />
Haben <strong>die</strong> Vögel ihre Route geändert? Was ist geschehen?.<br />
Die Dorfleute, gewohnt in den Zeichen der Natur zu lesen,<br />
befürchten Schlimmes. Dann verbreitet sich <strong>die</strong> Kunde. Die<br />
Baumfäller haben in Übermut und Anmassung auf <strong>die</strong> Vögel<br />
geschossen“....<br />
Arroganz und Mittelmass waren dir zuwider. Du hast Distanz<br />
gewahrt, um d<strong>eine</strong>n Blick zu schärfen. Das machte dich auf <strong>eine</strong><br />
gewisse Weise unnahbar. Wenige, <strong>die</strong> in d<strong>eine</strong>r Nähe waren, waren<br />
dir auch nah. Du hast selten über dich gesprochen. Dein Lebensweg<br />
in der DDR-Sozialisation, kein böses Wort ist dir darüber<br />
jemals über <strong>die</strong> Lippen gekommen. Aber der Mainstream der<br />
Meinungen hat dich auch nie interessiert; er war eher jenes bröselige<br />
Gestein, an dem sich <strong>die</strong> tosenden Wasser d<strong>eine</strong>r Gedanken<br />
brachen. In unserer gemeinsamen Erinnerung an <strong>die</strong> Landsberger<br />
<strong>Zeit</strong> gab es Anflüge von Empathie. Immer hast du dich über<br />
Dritte erklärt. In „Laos“ beschreibst du den laotischen Schriftsteller<br />
Outhine Bounyavong:<br />
142
...“Der Autor vermeidet spektakuläre oder reisserische<br />
Themen und erzählt in <strong>eine</strong>r einfachen Sprache ohne Schnörkel<br />
und Effekthascherei. Behutsam, sanftmütig, erscheint <strong>die</strong>s<br />
beim ersten Lesen. Bei vertiefender Lektüre wird der Hintersinn<br />
offenbar“...<br />
„Du hast ihm d<strong>eine</strong> Charakteristika zugeschrieben, <strong>die</strong> ich an<br />
dir so schätze. Gelegentlich ist darin Ironie, nie Zynismus zu spüren.<br />
Eine derartige Denke und Sprache ist in Systemen gefragt,<br />
in denen Menschen <strong>eine</strong>m Druck ausgesetzt sind. Schriftsteller<br />
brauchen <strong>die</strong>sen inneren Druck. Du selber warst dem politischem<br />
Druck in jungen Jahren ausgesetzt, er hat dich geschult. Du bist<br />
ein Meister der Empfindsamkeit, in Wort und Tat. In Indonesien<br />
hat dir politischer Druck der Regierung Suharto jahrelang das<br />
Visum verweigert für d<strong>eine</strong> Arbeit. Und trotzdem – und gerade<br />
deswegen - hast du das Land und s<strong>eine</strong> Menschen geliebt. Dein<br />
Wesen hat etwas von jener asiatischen Mentalität angenommen,<br />
bei der <strong>die</strong> leisen Töne und das Lächeln dafür Sorge tragen, den<br />
andern nie das Gesicht verlieren zu lassen. Nicht zuletzt deshalb<br />
beschreiben d<strong>eine</strong> Bücher den weichen brüchigen Südosten Asiens:<br />
Laos, Vietnam, Malaysia, Indonesien, nicht <strong>die</strong> harten Länder<br />
wie Thailand, Singapur, Japan, China, <strong>die</strong> sich bereits <strong>eine</strong>n<br />
festen Platz im Weltgefüge erobert haben.<br />
Du hättest k<strong>eine</strong>n besseren Platz für d<strong>eine</strong>n Abschied wählen<br />
können – am Ende d<strong>eine</strong>r <strong>Reise</strong>.“ - „Hey, alter Geselle, hörst<br />
du mir eigentlich zu...?“ Die Konturen haben sich unmerklich im<br />
Dunst wieder aufgelöst. Die Wasser des Mekong strömen wie zu<br />
ewigen <strong>Zeit</strong>en – ohne Unterbruch. Noch ein paar Reisfelder bewässern,<br />
den Fischen im Tonle Sap frisches Wasser bringen, <strong>eine</strong>n<br />
der neun Arme auf dem Weg ins Meer wählen, in Can Tho<br />
am Schwimmenden Markt vorbei, dann endlich – bist du von den<br />
Fesseln der Ufer, von der Endlichkeit <strong>die</strong>ses d<strong>eine</strong>s Stromes für<br />
<strong>eine</strong> Ewigkeit befreit.<br />
143
144
* Rüdiger Siebert, geboren am 17. Januar 1944, ist am 06. Januar<br />
2009 ein paar Kilometer südlich der Khone Pha Phang in Stung<br />
Treng /Cambodia verstorben und nach buddhistischem Ritus eingeäschert<br />
worden; s<strong>eine</strong> Asche wurde dem Mekong beigegeben, damit<br />
s<strong>eine</strong> <strong>Reise</strong> zu Ende gehen kann. S<strong>eine</strong>r Erinnerung ist das Kapitel<br />
„Laos“ gewidmet.<br />
145
Vientiane Buddhagarten 146
Vientiane 147 That Luang
Luang Prabang Nationalmuseum<br />
148
Paksé 149 Wat Phou
150
Kapitel 6<br />
Vietnam<br />
151
Sái Gón<br />
M o n t a g, 30.08.2010<br />
Warum ich mich in Saigon so wohl fühle – Saigon, am gleichnamigen<br />
Fluss Song Sái Gón, ist trotz s<strong>eine</strong>r 7 Millionen Einwohner<br />
und geschätzter 70 Millionen Mopeds <strong>eine</strong> zärtlich leichte Stadt<br />
und und hat sich nicht zuletzt trotz aller Turbulenzen der letzten<br />
50 Jahre den Charme <strong>eine</strong>s „Paris des Ostens“ bewahrt. In <strong>die</strong>ser<br />
Stadt haben <strong>die</strong> französischen Kolonisatoren und amerikanischen<br />
Ursupatoren <strong>die</strong> meisten westlichen Spuren hinterlassen – ein<br />
„west-östlicher Diwan“. Nirgendwo sonst paaren sich ansehnliche<br />
Kolonialgebäude – <strong>die</strong> Hotels Majestic und Continental, das<br />
Rathaus, <strong>die</strong> Oper, der ehemalige Präsidentenpalast – und Tempel<br />
südchinesischer Provenienz.<br />
Vietnam konnte 1975 nach der Eroberung der Saigons den unnatürlichen<br />
Zustand s<strong>eine</strong>r Teilung am 17. Breitengrad beenden,<br />
den <strong>die</strong> ordinierenden Mächte in der Genfer Indochina Konferenz<br />
1954 verfügt hatten, wenngleich es noch <strong>eine</strong>s Bürgerkriegs im<br />
Süden bedurfte, um <strong>die</strong> Herrschaftsverhältnisse durch Wahlen zu<br />
klären: <strong>die</strong> „Boatpeople“, Verdrängte des alten US-gestützten und<br />
demontierten Diem- und Thieu-Systems, aber auch unbrauchbare<br />
„Vietcong“ aus der aufgelösten Befreiungsarmee auf der <strong>eine</strong>n,<br />
<strong>die</strong> nordvietnamesische Armee und <strong>die</strong> Kommunistische Partei<br />
Nordvietnams auf der anderen Seite. Der Sieger diktiert: Seit<br />
1976 heisst <strong>die</strong> Blüte Südostasiens deshalb „Ho Chi Minh Stadt“,<br />
aber <strong>die</strong> alte Rivalität ist – wie bei uns zwischen Ost und West –<br />
zwischen Nord und Süd geblieben<br />
Das hat dem Charme der Stadt und ihrer erträglichen Leichtigkeit<br />
k<strong>eine</strong>n Abbruch getan, erst recht nicht, als <strong>die</strong> „Sozialistische<br />
Republik Vietnam“ sich schliesslich 1986 mit ihrem „Doi Moi“ zunächst<br />
den westlichen Märkten, danach 2006 politischen Veränderungen<br />
öffnete. Davon profitiert Saigon am meisten – und läuft<br />
heute der Hauptstadt Hanoi im Norden insoweit den Rang ab. Mit<br />
dem Kapitalismus aber kamen auch <strong>die</strong> Ganoven.<br />
Kaum hat mich am Freitag der Limousinenbus aus Phnom Penh<br />
152
nach sechsstündiger Fahrt 1430 in Saigon ausgespuckt, als sich<br />
<strong>die</strong> Taxifahrer auf mich stürzen. Vorgewarnt frage ich natürlich<br />
nach <strong>eine</strong>m Taxameter. Aber was ist schon ein Taxameter für <strong>eine</strong>n<br />
gewieften Taxifahrer, das ist wie <strong>eine</strong> Waage, <strong>die</strong> belügt mich<br />
auch immer. Als ich kurz den Wagen verlasse, um mir ein „paar“<br />
– sprich 2 Millionen (1 € = 25.000 D) - Dongs am ATM-Schalter zu<br />
ziehen, springt wie von Geisterhand bewegt <strong>die</strong> Uhr von 25.585<br />
D auf 75.585 D – das war ein Fest für <strong>die</strong> Doofen: 1983 haben <strong>die</strong><br />
Taxifahrer auf Cebu das noch intelligenter gemacht – mit jedem<br />
Hupen sprang <strong>die</strong> Uhr um ein paar Pesos weiter, und unser philippinischer<br />
Taxifahrer hat am frühen Morgen im Marktgeschehen<br />
von Cebu City viel zu hupen.Und mein aufmerksamer vietnamesischer<br />
Fahrer versteht plötzlich kein englisch mehr, als ich<br />
ihm nach <strong>eine</strong>r ausgiebigen <strong>Reise</strong> für <strong>eine</strong> Strecke von allenfalls<br />
1000 bis 1200 m bis zum Hotel nur 50.000 D aushändige und<br />
ihm gleichzeitig <strong>die</strong> Vorstellung bei der Touristenpolizei anbiete,<br />
wenn er mehr haben will. Ich bin leidlich unglücklich, denn ich<br />
beherrsche solche Situationen noch nicht, ich habe k<strong>eine</strong> andere<br />
Alternative gesehen, das Gesicht zu wahren. Vivian, <strong>die</strong> aufmerksame<br />
Concierge, übernimmt den Part, händigt dem Portier<br />
<strong>die</strong> 50.000 D aus, der sich etwas kräftiger auf vietnamesisch ausdrückt<br />
– und das Problem ist erledigt, „Monsieur Albert“ - ich bin<br />
im „Majestic“ angekommen, jenem Stein gewordenen 85-Jährigen<br />
kolonialen Erbe.<br />
Das „Majestic“ ist für Saigon das, was das Oriental für Bangkok<br />
war, Treffpunkt der Abenteurer, Literaten und Künstler. Graham<br />
Greene war hier – und Albert Klütsch verkehrt mit Hilfe von<br />
Lernidee, Berlin, auch in <strong>die</strong>sen unterkühlten Kreisen. Alles ist<br />
von <strong>eine</strong>m zurückhaltenden Jugendstil geprägt, mit <strong>eine</strong>m heute<br />
ungebräuchlichen tiefen Nussbaumbraun der Möbel, alten messingfarbenen<br />
Armaturen und fein geformten Badezubern und<br />
Waschbecken. Und erst <strong>die</strong> Terrasse auf dem 5. Stock – ein Genuss<br />
für <strong>eine</strong>n „Singapore Sling“ als Sundowner und – nach dem<br />
morgendlichen Bad im Pool - ein Frühstück, dessen Fülle für den<br />
Tag ausreicht: Dim Sum wechselt mit <strong>eine</strong>r Seafood- oder Beef-<br />
153
Nudelsuppe, <strong>die</strong> der Koch mit ein paar Zutaten aus Soja und Zitrone<br />
anreichert, Chester und Camembert ebenso wie Emmentaler,<br />
selbst Paté foie ist angeboten, Orangen-, Melonen-, Guava- und<br />
Tomatensaft. Und erst <strong>die</strong> Früchte: Passionsfrucht, Mangostinen,<br />
Tamarinde, Papaya, Bananen, Ananas, Pampelmusen, Melonen,<br />
hellhäutige Pfirsiche, selbst Trauben gibt es hier aus heimischen<br />
Anbau. Das frische Omelett mit Zwiebeln, Pilzen, Oliven und <strong>eine</strong>m<br />
weissen Pfeffer wird für den einzelnen Herrn an Tisch A 4<br />
bereitet – und überall schon morgens ein Lächeln, ich weiss nicht<br />
wie mir geschieht – der Blick über den Fluss in <strong>die</strong> Trübnis <strong>eine</strong>s<br />
immerwährend tropischen Dunstes. Die Erinnerung streift kurz<br />
<strong>die</strong> Momentaufnahme, als ich m<strong>eine</strong> „Miss Saigon“ im November<br />
2007 mit neuer roter Tasche, neuem weissen Hut und meliertem<br />
Schal ins „Majestic“ entführte. Im Geschäft „Tuong Silk“ an der<br />
Duong Dong Khoi ist seitdem <strong>eine</strong> neue Tasche ausgestellt.<br />
Dabei hüllt sich der Tag seit m<strong>eine</strong>r Ankunft in Regen. Ich nutze<br />
den Hotelschirm, um <strong>eine</strong>n ersten Gang ums Viertel zu wagen.<br />
Ein Wagnis ist es schon, <strong>die</strong> Uferstrasse vor dem Hotel zu überqueren<br />
– es sind vielleicht 20, 22 Meter, es gibt auch <strong>eine</strong>n Zebrastreifen,<br />
aber verlassen musst du dich auf dich selbst und dich<br />
bewegen wie ein Fisch im Wasser, denn der Verkehr umrauscht<br />
dich während des Wechsels über 6 Fahrspuren mit 50 km/h, vorn<br />
und hinten – du musst dich berechenbar bewegen, dann hast du<br />
auch im Gehupe bei der Vielzahl der Mopeds, Taxis, Bussen, Lastkraftwagen<br />
<strong>eine</strong> Chance, lebendig das andere Ufer zu erreichen.<br />
Da aber der Regen an der Uferpromenade Ton Duc Thang unüberspringbare<br />
Wasserflecken hinterlassen hat, ist der Rückweg<br />
schon binnen 5 Minuten fällig. Ich atme tief durch, aber <strong>die</strong> Leute<br />
können fantastisch fahren, selbst <strong>gegen</strong> den Verkehr starten sie<br />
los und finden <strong>die</strong> Lücke. Wer hier überlebt, schafft es überall.<br />
Deswegen dürfen Touristen Fahrzeuge nur mit Fahrer mieten.<br />
Und das gelingt hier an gleich an der nächsten Ecke, wo Wa<br />
mit s<strong>eine</strong>m Moped auf mich wartet, den Rücksitz frei putzt, <strong>eine</strong>n<br />
Helm hervorzaubert – und mich mit Schirm auf dem Rücksitz<br />
durch das nächtliche Saigon fährt, ein Lichterglanz wie an<br />
154
Weihnachten – alles in Vorbereitung des Nationalfeiertages am<br />
02. September 2010, an dem Ho Chi Minh vor 65 Jahren <strong>die</strong> Unabhängigkeit<br />
Vietnams ausgerufen hat.<br />
Mit Wa verabrede ich mich auch für den nächsten Morgen um<br />
1000 an der Oper am Lam Son Platz. Für 150.000 D fährt er mich<br />
zu den Punkten, <strong>die</strong> ihm und mir für s<strong>eine</strong> Heimatstadt wichtig<br />
sind: Tran Hung Dao mit s<strong>eine</strong>r martialischen Miene hat <strong>die</strong> Mongolen<br />
bezwungen, Ho Chi Minh gibt in s<strong>eine</strong>m Gia Long-Museum<br />
Einblick in sein Leben und Wirken in der Fassung, in der <strong>die</strong> KP es<br />
zulässt. Im Chua Ngoc Hong Tempel strahlt der Jade-Buddha. Ich<br />
kaufe fürs Opfer ein Bündel Räucherstäbchen, um zum <strong>eine</strong>n in<br />
Saigon zu überleben und zum andern <strong>die</strong> Mönche zu ehren, <strong>die</strong> in<br />
Xa Loi-Pagode am anderen Ende der Stadt für den Widerstand der<br />
buddhistischen Mönche <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Politik des katholischen Diem<br />
stehen, der den Buddhismus zu unterdrücken sucht. Bilder der<br />
Selbstverbrennung des Mönchs Thich Quang Duc am 11. 06.1963<br />
gingen um <strong>die</strong> Welt und speisen <strong>die</strong> Zweifel des Abiturienten, ob<br />
<strong>die</strong>se Welt mit den herrschenden Mitteln und Mittler in Balance<br />
zu halten ist. Kurze <strong>Zeit</strong> später wird Diem mit Hilfe des CIA ermordet,<br />
der ihn zuvor 1954 in Südvietnam an <strong>die</strong> Macht gebracht<br />
hatte, um freie Wahlen in ganz Vietnam zu verhindern – ein anderer<br />
Vasall der USA, General Thieu, übernimmt das Erbe, das<br />
den Eintritt in den Vietnamkrieg 1965 erleichtert. Die Orte sind<br />
Metafern m<strong>eine</strong>r politischen Sozialisation. Vorbei am Van Hoa<br />
Park, wo am 30.04.1975 mit dem Durchbruch <strong>eine</strong>s nordvietnamesischen<br />
Panzers der Präsidentenpalast eingenommen und der<br />
Vietnamkrieg beendet wird, zum Ben Thanh Markt, wo ich ein<br />
paar luftige Hemden für 200.000 D erstehe. Mit <strong>eine</strong>m Mittagessen<br />
in heimischer Umgebung verabschiede ich mich von Wa, der<br />
mich anschliessend noch am Historischen Museum absetzt, wo<br />
ich bis 1330 warte, ehe ich mich für zwei Stunden den Schätzen<br />
Vietnams aus zwei Jahrtausenden widme.<br />
Der Montag erwacht nach <strong>eine</strong>m ChiChi in der Majestic-Bar –<br />
ein Tag Ruhe ist verordnet. Am Abend wartet um 1900 der Zug<br />
auf <strong>die</strong> Nachtfahrt nach Hué, der alten Kaiserstadt.<br />
155
Geräusche, Gesten, Gerüche<br />
D i e n s t a g, 31.08.2010<br />
Dies ist <strong>die</strong> Geschichte von Geräuschen, Gesten und Gerüchen<br />
– der Desinfizierungsgeruch der alten DDR liegt im einigermassen<br />
gereinigten Waggon 10, der im Kopfbahnhof von Saigon auf mich<br />
wartet. Wie der in freundliches Blau gekleidete Waggonschaffner,<br />
der <strong>eine</strong>n flüchtigen Blick auf m<strong>eine</strong> Fahrkarte 895.000 D wirft.<br />
Ich beziehe Bett 13 in <strong>eine</strong>m Viererabteil. Bezogen ist <strong>die</strong> Liege<br />
schon, auf und unter der ich mein Gepäck verstaue. Ein kalter<br />
Zug der Kühlmaschine trifft auf m<strong>eine</strong>n Rücken, ich wechsele <strong>die</strong><br />
Richtung. Dann nehme ich m<strong>eine</strong> B<strong>eine</strong> hoch, denn es ist Grossbesuch<br />
angesagt. Fünf Leute begleiten zwei <strong>Reise</strong>nde, <strong>die</strong> den Rest<br />
des Abteils mit ihren Plastiksäcken belegen, aus denen verführerische<br />
Düfte von Obst und Gemüse strömen. So muss es in Hué am<br />
„Fluss der Wohlgerüche“ - profan: Parfümfluss – riechen.<br />
Laute gleiten, nein schreiten durch <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong> Welt des Abteils,<br />
<strong>die</strong> an <strong>die</strong> schrillen Töne des Nashornvogels im Taman Negara erinnern.<br />
Ein Gezeter setzt ein, in dem <strong>die</strong> richtige Lage und Liege<br />
der beiden Passagiere erörtert wird, <strong>die</strong> sich behend und bar füssig<br />
in das Oberabteil schwingen, was <strong>eine</strong> weitere Geruchskomponente<br />
beisteuert. Kurz vor Abfahrt klopft noch <strong>eine</strong> schwangere<br />
Frau im Schlafanzug das Abteil an, das sich nun zurecht geschüttelt<br />
hat. In <strong>die</strong> Dunkelheit setzt der Stationsleiter s<strong>eine</strong>n Pfeifton<br />
– das sprachliche Gemetzel auf dem Gang hat s<strong>eine</strong>n Höhepunkt<br />
noch nicht erreicht. Ich bin verstummt – in Worten: stumm. Die<br />
Frau atmet schwer, sie zieht im 30-Sekundenrytmus den Nasenschleim<br />
hoch, was <strong>die</strong> Geräuschkulisse nachhaltig belebt. Nun<br />
entdeckt mein Obermieter, dass er ja auch husten kann, also hustet<br />
er.<br />
Die Tür schlägt zu, als der Zug <strong>die</strong> Weiche hart wechselt. Im<br />
Schloss schlägt <strong>die</strong> Türe im Takt der Schienen an. Im Nachbarabteil<br />
schreit ein Baby sich <strong>die</strong> Kehle wund. Ein Servicewagen<br />
schiebt sich mit Ausruf s<strong>eine</strong>r Angebote durch Gang und Leute,<br />
mein Obermieter hört auf zu husten, steigt herab – und kriegt <strong>die</strong><br />
156
Tür nicht mehr auf. Der zweite Obermieter steigt ab, versucht sich<br />
vergeblich am Türschloss. Notausgang Fenster – Fehlanzeige.<br />
Das alles spielt sich an m<strong>eine</strong>m rechten Ohr ab, das an der Türe<br />
liegt. Als <strong>die</strong> Abteiltür auch durch Rütteln und Schütteln ihren<br />
Widerstand nicht aufgibt, kommt mein jahrelang missbrauchtes,<br />
häufig unterdrücktes technisches Feingefühl zum Einsatz: Ein<br />
leichter Druck <strong>gegen</strong> den Riegel – <strong>die</strong> Tür ist auf. Das verschafft<br />
mir Respekt. Das Öffnen der Tür erhöht wiederum den Lärmpegel<br />
um mindestens 10 db. Ich lege mich zur Ruhe, da mir der Porridge,<br />
den der Service austeilt, <strong>die</strong> Geschmacksnerven tötet. Wasser<br />
schmeckt doch auch wunderbar. Eine halbvolle Wasserflasche<br />
schlägt vom Fensterbrett auf den Boden, ich rette m<strong>eine</strong> Flasche<br />
vor der Verderbnis. Ruhe ist angesagt, das Handy des Obermieters<br />
durchkreuzt <strong>die</strong> Pläne – es ist mit Babygeschrei im Anrufsound<br />
gestylt, das dem Baby im Nachbarabteil in nichts nachsteht.<br />
„Helo“ höre ich raus, ansonsten telefoniert er so laut, dass sein<br />
Kompagnon in Saigon ihn auch ohne Funknetz hören muss. Der<br />
andere Obermieter beginnt wieder zu husten, das aber erhöht<br />
automatisch <strong>die</strong> Fonzahl des Ferngesprächs. Rytmisch begleitet<br />
<strong>die</strong> Frau das Konzert, indem sie den Naseninhalt nach oben zieht,<br />
obwohl nun längstens alles im Hirn verstaut ist. Ich bin stumm<br />
und dirigiere <strong>die</strong> Einsätze in Gedanken und denke, wie schön sind<br />
<strong>die</strong> Gerüche der Früchte. Ich habe doch meditieren gelernt, also:<br />
akzeptieren – und weg. Die Türe schlägt, der Wagen springt an<br />
Schienenkanten auf und ab, Schniefen, Schneuzen, Schreien. Es<br />
klopft vom Nachbarabteil <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> dünne Wand. Der Zug steht,<br />
er wartet auf der eingleisigen Strecke <strong>die</strong> Passage des Gegenzuges<br />
ab. Ein Augenblick der tiefen Ruhe, ehe der Gegen-Express geräuschvoll<br />
durch <strong>die</strong> Abteile saust. Bei <strong>die</strong>ser Abwechslung schlafe<br />
ich wirklich ein.<br />
Der Morgen dräut. Pastellfarben <strong>die</strong> Morgenröte. Wir passieren<br />
Doc Cao, fahren entlang der Nationalstrasse 1 zwischen Hügeln<br />
im Westen und der See im Osten. Strohhüte arbeiten schon<br />
im Reisfeld. Am Meeresarm sind Teiche parzelliert – zur Fischaufzucht<br />
oder als Schlamm für <strong>die</strong> Shrimps. Motorräder sind mit<br />
157
Waren oder Menschen besetzt – bis zu fünf passen auf ein Moped,<br />
plus Gepäck. 0530. Das Morgenkonzert setzt ein, nicht von<br />
schlechten Eltern, jene körperlichen Untiefen, aus denen Sänger<br />
im Bass <strong>die</strong> Orgeltöne holen. Hier gibt es <strong>eine</strong>n Gesang der Untiefe,<br />
wenn sich schliesslich nach vielen Konzentrationsversuchen<br />
der Schleim löst und das erlösende Geräusch sich vom Waschtisch<br />
durch <strong>die</strong> Abteile verbreitet. Mein Obermieter übt schon mal trocken<br />
den gleichen Schleimtrick. Die Frau entdeckt, dass sie ja eigentlich<br />
auch trocken nachlegen kann, also Nase hoch – und.... Der<br />
nackte Nachtschweiss wird durch <strong>die</strong> Luftkühlung verteilt. Alles<br />
dreht und krümmt sich im Tai Qi Takt. Der Gang ist besetzt mit<br />
Trainingseinheiten, an denen ich mich vorbei schlage, um m<strong>eine</strong><br />
Blase zu leeren – innerlich stimme ich ein in den gottesfürchtigen<br />
Choral „Oh, wie wohl ist mir am Morgen...“ Auf dem Rückweg<br />
ein paar Verrenkungen. Mein Obermieter hat sich zum Frühsport<br />
entschlossen, er grüsst stumm, aber freundlich. Ich bleibe stumm.<br />
Die Abteiltür ist wieder zugefallen, der Mechanismus von aussen<br />
wirkt anders als der von drinnen, 6 Zuschauer, drei Mechaniker<br />
machen sich an der Tür zu schaffen – <strong>die</strong>smal hilft Gewalt.<br />
Der Service schiebt sich durch den Waggon – Frühstückszeit<br />
0710. Klebreis und ein Scheibchen Pressfleisch, das nach abgestandenem<br />
Leberkäs riecht 10.000 D, da kann ich nicht viel falsch<br />
machen. Der Zug hält, <strong>die</strong> Frau steigt über das Gepäck – und aus.<br />
Die Lücke nutzt ein blinder Passagier, um s<strong>eine</strong>n Kaffee anzubieten.<br />
Eher ein gutgemeinter zuckersüsser Espresso mit Milch,<br />
ein Hauch von Kaffeeduft entführt m<strong>eine</strong> am Reis verklebten Gedanken,<br />
ich schrecke auf, sie deutet an, für <strong>die</strong>ses Gemisch auch<br />
noch 20.000 D zu kassieren. Ich reiche ihr das Plastikschälchen<br />
zurück, sie gibt sich mit 10.000 D zufrieden. Ein Passagier steigt<br />
in das leer gewordene Abteilbett, kuschelt sich in <strong>die</strong> Bezüge, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Frau hinterlassen hat – und schlägt sich im Dreiertakt auf <strong>die</strong><br />
Beinmuskeln, ein Telefonanruf „Helo“, <strong>die</strong> Leitung bricht ab. Er<br />
klopft sich weiter mit der Faust arytmisch auf <strong>die</strong> Schenkel. Dat,<br />
da dat datdatdat – do,do, do, do machen <strong>die</strong> Räder auf den Schienen<br />
– klack, klack, klack. Ich möchte – nur stumm sein. Huè sol-<br />
158
len wir um 1500 erreichen, das sind noch satte 7 Stunden dat,da<br />
datdatdat, klackklackklack, do,do,do. Es hustet. Ich ahne schon,<br />
wer‘s ist. Nur irgendwie fehlt mir jetzt der Nasenrotz ....<br />
Landleben läuft dokumentarisch über mein Abteilfenster, Mais<br />
und Reis geben den Ton an. Enten jagen sich und <strong>die</strong> Körner in den<br />
abgeernteten Feldern. Heu und Stroh wird an Stangen rundum<br />
aufgeschichtet wie früher bei uns. Die Häuser stehen vereinzelt,<br />
werden teilweise über drei, vier Stockwerke auf der Breite <strong>eine</strong>s<br />
Ladens in <strong>die</strong> Höhe gezogen Die Flüsse mäandrieren, <strong>die</strong> Brücken<br />
werden länger. Gelegentlich passieren wir <strong>eine</strong>n Hügel im Tunnel.<br />
Im Westen bauen sich über den Ausläufern des annamitischen<br />
Hochlands riesige Wolkenbäuche auf. Mir fallen <strong>die</strong> vielen Friedhöfe<br />
auf, <strong>die</strong> hier grösstenteils vernachlässigt über den Wassern<br />
der Tiefebene in Beton errichtet sind. Wir erreichen Quang Ngai.<br />
Eine Frau steigt in mein Abteil, sie lächelt, mir wird ernst – 12 km<br />
östlich an der See liegt jener Ort, an dem <strong>die</strong> Vereinigten Staaten<br />
von Amerika am 16.03.1968 ihre zivilisatorische Unschuld verloren<br />
und aus dem Kreis zivilisierter Menschen verabschiedet<br />
haben: My Lai. 504 Menschen – zumeist Greise, Frauen, Kinder,<br />
Babies - des Ortes wurden innerhalb von zwei Stunden Opfer der<br />
amerikanischen Gefechtsfeldtaktik „search and destroy“, <strong>die</strong> der<br />
Befehlshaber des Zuges Lt. Calley wie folgt beschreibt:<br />
„... Ich ging zu <strong>eine</strong>m grossen Haus aus St<strong>eine</strong>n und guckte<br />
durch das Fenster. Sechs oder acht Menschen lagen auf dem<br />
Boden. Ein Mann ging gerade zum Fenster, ich erschoss ihn.<br />
Dann stand da ein Mann am Kamin, ich erschoss ihn. Einer<br />
von m<strong>eine</strong>n Männern hatte sich ein Mädchen geschnappt, s<strong>eine</strong><br />
Hosen waren schon runter. Es mag altmodisch klingen, aber<br />
ich bin <strong>gegen</strong> Vergewaltigung im Gefecht. Das gehört nicht zu<br />
unserem Job, das lenkt nur ab. An <strong>eine</strong>m Wassergraben hatten<br />
m<strong>eine</strong> Leute <strong>eine</strong>n Haufen Leute vor sich und schossen auf sie.<br />
Ich stellte mich dazu und hielt auch hinein...“<br />
Jetzt verstehe ich auch <strong>die</strong> vielen Friedhöfe.<br />
159
Hué – alte Kaiserstadt<br />
M i t t w o c h, 01.09.2010<br />
Wenn Engel vietnamesisch sprechen, dann bin ich im Para<strong>die</strong>s<br />
gelandet. Einen Kuss drücke ich beim Frühstück den beiden genanten,<br />
aber strahlenden Engelchen in ihrem Ao Dai, dem klassisch<br />
geschlitzten Vietnamkleid, das durch sämtliche Novellen<br />
geistert, auf <strong>die</strong> Stirn für all <strong>die</strong> Aufmerksamkeiten und Lächeln,<br />
<strong>die</strong> mir seit m<strong>eine</strong>r Ankunft gestern um 1600 – <strong>eine</strong> Stunde Verspätung<br />
– im „PilgrimageVillage“ ent<strong>gegen</strong>gebracht werden.<br />
Die letzte Stunde schleicht der Zug mit 30 km/h um jede Bucht<br />
auf waghalsigen Brücken und Beton gesicherten Hängen um den<br />
Wolkenpass, allein mehr als 6 Tunnels zähle ich. Die 600 m hohen<br />
Berge setzen ein eindrückliches Zeichen am 16. Breitengrad<br />
– hier ist <strong>die</strong> Klimascheide zwischen dem tropischen Süden und<br />
dem subtropischen Norden Vietnams. Ich hoffe auf ein paar Grad<br />
unter 30 ° Celsius. Aber wenn ich auf das Ende des Monsuns gehofft<br />
hatte, belehrt mich <strong>die</strong> Ankunft im Resort <strong>eine</strong>s Besseren –<br />
es giesst volle Kanne. Beim Empfang werden mir Erfrischungstücher<br />
und ein kalter Gingertee gereicht, den einstündigen Schauer<br />
sattele ich in der Lobby ab, denn <strong>die</strong> Kiwis Robin und Richard aus<br />
Queenstown binden mein Interesse als „reisender Pilger“.<br />
Die Einheit, eher <strong>eine</strong> Suite als ein Zimmer, hat neben <strong>eine</strong>m<br />
grosszügigen Bad in Marmor <strong>eine</strong> doppelte Ebene für Schlafen<br />
und Wohnen, ein Fan verwöhnt mich neben der AC, selbst ein<br />
Kamin ist in der Ecke eingelassen – und draussen zwitschern<br />
in den Stauden und Büschen <strong>die</strong> Vögel, flattern grossflügelige<br />
Schmetterlinge, zirpen Grillen, grölen Frösche im Lotusteich, der<br />
sich unter m<strong>eine</strong>r Veranda in der kl<strong>eine</strong>n Senke zeigt. Ich werfe<br />
mich bäuchlings auf das Bett – kann m<strong>eine</strong> Freude kaum halten,<br />
warte den Schauer ab, der über m<strong>eine</strong>n Rücken läuft. Exotissimo<br />
habe ich schon per mail gedankt für <strong>die</strong> glückliche Auswahl der<br />
Hotels m<strong>eine</strong>r <strong>Reise</strong>, <strong>die</strong> immer auch ein Refugium sind, in das<br />
ich mich zurück ziehen kann. Ich spüre, dass ich <strong>eine</strong>n solchen<br />
Rückzugsraum schätze. Nach den Ritualen Waschen, Duschen,<br />
160
Schreiben gönne ich mir <strong>eine</strong>n Gin Tonic in der Bar und lasse mich<br />
zum Abendessen überreden – <strong>eine</strong> ausgezeichnete Küche erwartet<br />
mich – zur Seafood Suppe und <strong>eine</strong>m Porc-Nudelgericht gönne<br />
ich mir <strong>eine</strong>n Rouge „Baron Rothschild“.<br />
Den frühen Morgen teile ich mit der Tai Qi Truppe am 50 m<br />
Pool, der in der Senke mich allein einlädt. Ich möchte um 0630 <strong>die</strong><br />
Wasser umarmen, so zärtlich schmiegt sich das weiche Element<br />
an m<strong>eine</strong>n Körper. Ich geniesse <strong>die</strong> Sinnlichkeit des Wassers, gebe<br />
jeder s<strong>eine</strong>r Bewegungen nach wie ein Fisch. Aufmerksam reicht<br />
mir der Service ein Badetuch. Beim Frühstück gesellen sich Robin<br />
und Richard zu mir, <strong>eine</strong> Stunde smalltalk mit der Einladung nach<br />
Queenstown im nächsten Jahr. Ihre <strong>Reise</strong> zum Wolkenpass, zu der<br />
sie mich mitnehmen wollen, scheitert an dem Kleinwagen, den<br />
ihre Agentur geschickt hat – ein wenig traurig zeigen wir an, dass<br />
wir einander vermissen werden.<br />
Mein TaxameterTaxi fährt mich um 1000 für 70.000 D zur<br />
Zitadelle, der Kaiserpalastanlage, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Nguyen - Dynastie von<br />
1802 bis 1945 belebt hat. Eine Miniaturausgabe der Verbotenen<br />
Stadt in Peking: „Purpurne Verbotene Stadt“, streng nach den<br />
geometrischen und astrologischen Vorgaben des Feng Shui, rechteckige<br />
Wassergräben, zwei vorgelagerte Inseln im Huong Gian<br />
„Fluss der Wohlgerüche“ - und dann hagelt es nur so an Kaiserlichen<br />
Palästen, selbst für <strong>die</strong> Schwieger- und Grossmutter, 1948<br />
und 1968 massiv zerbombt, geben sich <strong>die</strong> Konservatoren aus Korea<br />
und Japan heute grösste Mühe, <strong>die</strong>ses Weltkulturerbe wieder<br />
zu beleben. So entstehen „Brücken des Goldenen Wassers“, „Pavillon<br />
der Berühmten Seelen“, „Palast des Langen Lebens“,“Palast<br />
der Gesetze des Himmels“ und <strong>die</strong> „Halle der Himmlischen Harmonie“,<br />
in der Bao Dai, der letzte Vietnam-Kaiser, nach 1003 Jahren<br />
Kaisertum, im August 1945 den kaiserlichen Stempel unter<br />
den Augen der Gesandten Ho Chi Minhs einschmelzen und <strong>die</strong><br />
kaiserliche Flagge vom Flaggenturm einholen muss. Am 02. September<br />
1945 rief Onkel Ho als Vorsitzender der Viet Minh <strong>die</strong> unabhängige<br />
Republik Vietnam in Hanoi aus.<br />
161
Ein MopedTaxi bringt mich – mit Helm! - für 10.000 D zur<br />
Bootsanlegestelle, wo mich der Monsun beim Lunch im Floating<br />
Restaurant „Song Huong“ überrascht. Eine Stunde Wassern<br />
reicht für Nudeln und Shrimps. Wasser habe ich bis jetzt schon<br />
drei Liter nachgeschüttet. Danach erste Tastversuche, ein Drachenboot<br />
zu mieten, aber nach dem Regen finden sich nicht mehr<br />
viele Interessenten. Bei 100.000 D mache ich für 90 Minuten bei<br />
<strong>eine</strong>m Boot fest, das der Familie als Wohnung und den Touristen<br />
als Ausflugsboot <strong>die</strong>nt. Wir fahren <strong>die</strong> „Grüne Drachen Insel“ ab;<br />
ich suche Wasser und Ufer nach Motiven ab, ein paar Fischer, ein<br />
paar Schiffer, Frauen beim Waschen, Kinder beim Spielen, bar<br />
fuss tragen Frauen mit kegeligen Bambushüten <strong>die</strong> Körbe an den<br />
Tragestangen vom Markt – das sind jeweils knappe zwei Zentner,<br />
<strong>die</strong> da im Rytmus baumeln, ich habe es ausprobiert. Eine Idylle<br />
von Landleben. Beim Absprung vom Boot verpasse ich den<br />
Sprungstein, das Boot liegt noch nicht fest, ich finde k<strong>eine</strong>n Halt,<br />
klammere mich an <strong>die</strong> Bordwand – das Boot driftet seitwärts,<br />
will mich unter sich im Wasser begraben, als Schiffsdrapage will<br />
ich nicht enden – ein Sprung ins Wasser und ich entweiche m<strong>eine</strong>m<br />
Schicksal mit <strong>eine</strong>m blutigen Kratzer am kl<strong>eine</strong>n Finger und<br />
patschnassen Sandalen.<br />
Nationalfeiertag in Vietnam<br />
D o n n e r s t a g, den 02.09.2010<br />
„In der Fremde ist Freundlichkeit <strong>die</strong> einzige Währung, <strong>die</strong><br />
zählt“ - wie mich <strong>die</strong> Arbeitsbienen in einheitlich lichtem Grün<br />
anhimmeln, wenn ich ihnen beim Gang zum Schwimmbad „Good<br />
morning, la<strong>die</strong>s“ - anbiete, sie sehen alle so zerbrechlich aus, aber<br />
alle auch gleichermassen liebenswert, wenngleich ihr englisch<br />
auf „good morning, sir“ auch bei der dritten Begegnung getrimmt<br />
und beschränkt ist. Es bleibt <strong>eine</strong> wahre Freude, sich in <strong>die</strong>ser<br />
Umgebung zu bewegen, einmal mehr werde ich unter Wehmut<br />
Abschied nehmen.<br />
162
Aber noch ist nicht aller Tage Abend, <strong>die</strong> Kaiser der Nguyen-<br />
Dynastie haben sich nämlich hier auch noch prachtvolle Gräber<br />
geschaffen, <strong>die</strong> ihre Macht nach ihrem Tod bekunden. Hoi, der<br />
Bootsbesitzer und Kapitän, hatte mich schon gestern für sein<br />
Boot gekrallt, das er mit Gruppen der Agenturen und Hotels und<br />
<strong>eine</strong>m Programm füllt, das von Kung Fu bis zum Mittagessen<br />
reicht. So starten wir heute für 150.000 D mit dem breiteren Katamaran<br />
– natürlich mit Drachenköpfen - <strong>gegen</strong> 0830, passieren<br />
<strong>die</strong> Stelle, an der <strong>die</strong> Paddelwettkämpfe stattfinden und sich um<br />
0900 schon etliche Tausend Zuschauer versammelt haben, im<br />
Wasser und zu Lande.<br />
Bin, unser „freelancer-guide“ rattert in <strong>eine</strong>m Stakkato englisch<br />
sein Führungsprogramm runter, anschliessend waltet Ruhe<br />
auf dem Fluss der Wohlgerüche, dessen grosse Geruchszeit wohl<br />
auch schon etliche Jahrhunderte zurückliegt. Ein Pärchen aus<br />
Haiphong sucht m<strong>eine</strong> Nähe, Tiziana aus Rom leidet unter der<br />
kurzen <strong>Zeit</strong> ihrer Asienreise und dem nahen Ende, Bin beschäftigt<br />
sich sehr mit den Folgen des Kommunismus und den Chinesen,<br />
<strong>die</strong> den vietnamesischen Stolz allein deshalb nicht brechen<br />
konnten, weil sie <strong>die</strong> lateinischen Buchstaben nicht lesen konnten,<br />
mit denen der Jesuit Alexandre de Rhodes den Vietnamesen<br />
ein anderes Schriftbild verpasste, das auch für Europäer nutzbar<br />
war - „cam ong“.<br />
Der Buddhismus hat k<strong>eine</strong> Götter, aber unsere blumigen Übersetzungen<br />
machen aus der „Pagoda Chua Thien Mu“, übersetzt:<br />
„Tempel der f<strong>eine</strong>n Lady“ <strong>eine</strong> „Pagode der Himmelsgöttin“. Die<br />
Menschen verehren nicht <strong>die</strong> Frau, sondern <strong>die</strong> 7 Buddhastatuen,<br />
<strong>die</strong> sich in der 21 m hohen Stupa auf 7 Stockwerken verstecken.<br />
Aus <strong>die</strong>sem Kloster stammt der Mönch Thich Quang Duc, der mit<br />
s<strong>eine</strong>m Austin in Saigon zu Besuch war, ehe er sich an 11.06.1963<br />
neben s<strong>eine</strong>m Auto aus Protest <strong>gegen</strong> Diem und <strong>die</strong> Aggression<br />
der USA verbrannte – der Austin wird heute in s<strong>eine</strong>m Kloster<br />
ausgestellt. Am Grab von Minh Mang werden <strong>die</strong> Vorgaben des<br />
Feng Shui stilvoll beachtet – 3 Ebenen, <strong>eine</strong> Symbiose von Wasser<br />
163
und Land, der Mittelweg immer für <strong>die</strong> Kaiser, Plätze für Mandarine,<br />
Konkubinen und Frauen, durch das „Tor der Glorreichen Tugend“<br />
in den “Tempel der Segensreichen Wohltat“ über den „See<br />
der Makellosen Klarheit“ hin zum „Pavillon der Ewigen Klarheit“,<br />
hinter dem sich dann auf der höchsten Ebene das Grabmal befindet.<br />
Die eigenwilligen Merkmale der Grabmäler von Khai Dinh<br />
und Tu Duc verlieren sich in der Erinnerung.<br />
Auf dem Weg zum Roten Fluss<br />
Fr e i t a g, 03.09.2010<br />
Mir altem Esel ist zum Heulen – es ist kurz vor 0600. Ich<br />
nehme Abschied von m<strong>eine</strong>r Veranda, von den Rattanstühlen<br />
und dem -tisch, streichele jedes Palmblatt, das über <strong>die</strong> Brüstung<br />
reicht, spreche mit den blühenden Hibiskus. Jenseits des Lotusteichs<br />
haben m<strong>eine</strong> Engel schon das Frühstück bereitet – warum<br />
nicht heulen? „Partir, c‘est toujours un peu mourir“ - Paul<br />
Verlaine‘s Verse fallen mir ein „Les sanglots longues des violons<br />
de l‘autumne blessent mon coeur d‘une longeure monotone“.<br />
Lange Schatten des Herbstes - alles ist auf Abschied gerichtet.<br />
Lian hat vor wenigen Tagen, Rüdiger vor ein paar Monaten, Ingrid<br />
ihren Todeskampf vor Jahren begonnen und am 05.09.2001<br />
Abschied genommen, Friedel schreibt „von den letzten Fragen“.<br />
Immer wenn ich auf grosser <strong>Reise</strong> bin, ist Sterben angesagt: Am<br />
15.07.1970 stirbt Oma Berg, als wir gerade bei <strong>eine</strong>r balinesischen<br />
Verbrennungsfeierlichkeit sind, k<strong>eine</strong> Botschaft erreicht uns; am<br />
24.08.1977 stirbt Opa Berg, als wir gerade von <strong>eine</strong>r Englandreise<br />
zurück sind.Vater Heinrich stirbt am 07.08.198 8, als wir uns<br />
gerade aus Cairns verabschiedet haben, ohne dass uns <strong>eine</strong> Botschaft<br />
erreicht - und dann <strong>die</strong> vielen Gräber entlang der Bahnlinie,<br />
<strong>die</strong> einzigen sichtbaren Zeugen <strong>eine</strong>r verwüsteten Vergangenheit.<br />
Das Sterben umspielt mich. Ich fürchte den Anruf aus<br />
Spangenberg.<br />
164
Wo <strong>die</strong> Trauer lächelt und <strong>die</strong> Freude weint – wer sich auf <strong>die</strong><br />
Antagonismen des YinYang einlässt, muss es ertragen. Trauer<br />
zulassen – das Leben aufnehmen: Und das gelingt im Abteil 1 des<br />
Waggon N° 10 des Zuges nach Hanoi, der Hué <strong>gegen</strong> 0800 Uhr<br />
für 565.000 D verlässt. Ein Mütterchen vom Land im Schlafanzug<br />
mit prallem Bäuchlein auf dem Weg nach Hanoi strahlt mich an<br />
– und versorgt mich mit süssem Zuckerrohr, Hühnchenschenkel<br />
und Reisbrot, ohne sich selbst zu vergessen. Als ich ihr m<strong>eine</strong><br />
Bilder zeige, strahlt sie vor Glück, so was hat sie augenscheinlich<br />
noch nicht gesehen – Winter in Deutschland, Fachwerkhäuser, romanische<br />
Kirchen. Zum x-ten Mal ordnet sie ihre sieben Sachen<br />
auf dem Liegebett, sie hat schöne Zähne, ein Mobilfon, das alle<br />
Nase lang schreit, und <strong>eine</strong> Digitalkamera – von wegen Mütterchen<br />
vom Land, sie lächelt vielsagend.<br />
Die Landschaft ist abwechslungsreich, nachdem wir ins Landesinnere<br />
eingebogen sind – der Song Gianh begleitet uns <strong>eine</strong><br />
Weile stromaufwärts. Im Fluss liegen hölzerne Hausboote, <strong>die</strong><br />
den Sand aus dem Flussbett waschen. Fischer arbeiten mit ihren<br />
Netz, hocken auf dem Heck des Holzboots. Milchiger Dunst legt<br />
Schwermut über <strong>die</strong> Landschaft, <strong>die</strong> roten Fahnen mit dem gelben<br />
Stern zeigen sich häufiger nördlich des 17. Breitengrades – der<br />
fünfzackige gelbe Stern steht für <strong>die</strong> fünf bestimmenden Gruppen<br />
- „Arbeiter, Bauern, Soldaten, Beamte, Funktionäre“ - der sozialistischen<br />
Gesellschaft, das Rot für das Blut, das Vietnam für s<strong>eine</strong><br />
Freiheit vergossen hat im Kampf <strong>gegen</strong> Chinesen, Franzosen und<br />
Amis – sagt Bin. Im Süden Ergebenheits-, im Norden Siegesflaggen.<br />
Vinh erreichen wir verspätet <strong>gegen</strong> 1500. Hier hat das Land<br />
<strong>eine</strong> Breite von nur etwa 50 km. Der Schaffner läuft durch <strong>die</strong><br />
Waggons und ruft <strong>die</strong> nächste Station aus. Die Schranken-, selbst<br />
Weichenhäuschen sind personell alle belegt, mit eiserner Miene<br />
reckt <strong>die</strong> rechte Hand <strong>die</strong> Flagge für „freie Fahrt“ heraus. Die Wasserbüffel<br />
laufen am Strick hinter den Bauern über <strong>die</strong> schmalen<br />
Deiche, mit denen <strong>die</strong> Reisfelder voneinander abgegrenzt sind.<br />
165
<strong>Reise</strong>rnte ist angesagt – immer noch Hand- und Knochenarbeit.<br />
Der erste Ochsenkarren ist gesichtet; überladen fährt er <strong>die</strong> Ernte<br />
ein. Die Kühe werden vom Feld in den Stall getrieben. Die Sonne<br />
ertränkt sich blutrot. Thanh Hoah ist erreicht, noch 3,5 Stunden<br />
fahrplanmässig bis zur Da Vien Brücke über den Song Hong<br />
in Hanoi, tausendfaches Bombenziel – und ein immerwährendes<br />
Beispiel lebendigen Widerstands im Aufbau.<br />
Ein fader Reis wird als Abendessen 25.000 D in Styropur gereicht<br />
mit Papierlöffel und Holzstäbchen. M<strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> pummelige<br />
Landfrau be<strong>die</strong>nt sich derweil aus ihren sieben Sachen, das<br />
es allein <strong>eine</strong> Freude ist, ihr beim Essen zu zu schauen. Die Fahrt<br />
zieht sich in <strong>die</strong> Dunkelheit, ich falle in <strong>eine</strong>n leichten Schlaf, der<br />
Schaffner weckt mich – Hanoi ist erreicht, warmer Händedruck,<br />
a<strong>die</strong>u. Aber dann – wohin: „Maison d‘ Hanoi“ steht auf m<strong>eine</strong>m<br />
Voucher, nicht mehr und nicht weniger. Hanoi hat 3 Millionen<br />
Einwohner, da wird doch <strong>eine</strong>r wissen …. ein „Taxifahrer mit Taxameter“<br />
bietet sich freundlich an, m<strong>eine</strong> Sinne sind noch nicht<br />
wieder allzu geschärft, <strong>die</strong> Nacht ist duster und der Weg weit.<br />
Aha, ein „Taxameter“ unter der Abdeckung, Nachtigall..., es<br />
springt auf 9.5, d.h. 9.500 D für den Anfang, ungewöhnlich, dann<br />
hüpft es munter mal 2.3 mal 1.6 weiter und macht dann <strong>eine</strong>n weiten<br />
Satz in <strong>die</strong> 20-er. „Stopp“, er fährt weiter, „Get on right and<br />
stopp“, ich muss <strong>die</strong> Türe aufmachen, um m<strong>eine</strong> Order durchzusetzen.<br />
Munter verhandelt er weiter – für 100.000 D sei ich doch<br />
gut be<strong>die</strong>nt, ich gebe ihm 20.000 und schicke ihn auf <strong>die</strong> <strong>Reise</strong>.<br />
Das nächste Taxi hat wieder normale Einrichtungen, weiss aber<br />
weder mit m<strong>eine</strong>r französischen Aussprache, noch mit dem Hotelnamen<br />
etwas anzufangen. Bei 10.000 D entscheidet er sich, ein<br />
anderes Hotel an zu fahren, erfährt <strong>die</strong> Adresse in der Altstadt,<br />
gibt mir <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Nachtfahrt um den „See des zurückgegebenen<br />
Schwertes“ zum Preise, dass er das Taxameter ausschaltet<br />
– und ist schliesslich mit 40.000 D zufrieden. Mein systolischer<br />
Blutdruckwert tanzt bei 150. Freundlicher Empfang, ansprechende<br />
artdeco Einrichtung, fensterloses Zimmer, aber anders ist das<br />
in den „Röhrenhäusern“ der Innenstadt nicht möglich, weil auf<br />
166
der Breite von 5 m das Haus sich nur nach hinten bis zu 50, 60 m<br />
ausdehnen kann.<br />
1780 km Zugfahrt - Hanoi, <strong>die</strong> Stadt am Roten Fluss, wartet<br />
auf mich 2 330.<br />
Hanoi - <strong>die</strong> unsichtbare Stadt<br />
S a m s t a g, den 04.09.2010<br />
Wo ist <strong>die</strong>se Stadt geblieben, mit der ich gelitten habe, wenn<br />
abends <strong>die</strong> Bilder der B 52 Bomber in der Tagesschau erschienen<br />
und wieder erfolgreich <strong>eine</strong>n Luftangriff mit Tausenden an Tonnen<br />
von Bomben vermeldeten. Wo sind <strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> unter<br />
<strong>die</strong>sem aufgezwungenen Krieg gelitten haben. 35 Jahre sind nach<br />
über zehn unendlichen Kriegsjahren vergangen, ich erkenne<br />
nichts mehr, bin ich blind. Irgend<strong>eine</strong>n Stolz verm<strong>eine</strong> ich im Gesicht<br />
des alten Thong unter s<strong>eine</strong>m Kriegshelm zu entdecken, der<br />
mich mit s<strong>eine</strong>m Cyclo – so heissen <strong>die</strong> eingängigen fussgetretenen<br />
Becaks vergangener javanischer Tage, <strong>die</strong> hier immer noch in<br />
Betrieb sind – durch <strong>die</strong> Altstadt und den Alltag fuhrwerkt. Oder<br />
ist es das V-Zeichen, das <strong>die</strong> jungen Mädchen auf jedes Foto bannen,<br />
das <strong>die</strong> Siegreichen kennzeichnet ? Welch ein Sieg ?<br />
Früh bin ich nach <strong>eine</strong>r kalten Nacht unter der Bettdecke –<br />
<strong>die</strong> AC läuft und läuft und ist nicht indiviuell zu be<strong>die</strong>nen - aus<br />
dem fensterlosen „Classic“ des mitten in der Altstadt gelegenen<br />
Maison d‘ Hanoi aufgebrochen, habe 0650 in der warmen, über<br />
Nacht abgestandenen Luft k<strong>eine</strong>n Hauch von Morgenfrische verspürt.<br />
Die Bürgersteige sind schon belegt, <strong>die</strong> ganze Altstadt ist<br />
ein einziger Markt. In den Strassen, „Hang“ = Ware oder Markt<br />
genannt,sind <strong>die</strong> Schuh-, Uhr- und Sargmacher jeweils unter<br />
sich, jeder hat s<strong>eine</strong> Kundschaft. Gemüse, Obst, Backwaren, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Marktfrauen dir frisch unter <strong>die</strong> Nase halten. Das letzte frei<br />
Fleckchen wird von den fliegenden Küchen belegt, um <strong>die</strong> herum<br />
sich hungrige Mäuler für <strong>eine</strong> Nudelsuppe 5.000 D scharen. Plas-<br />
167
tik-Kindersitze nehmen wenig Platz ein, sind schnell besetzt, der<br />
Rest isst in der Hocke. Zum See hin öffnen sich <strong>die</strong> Strassen zu <strong>eine</strong>m<br />
riesigen 2500 m Giro, der Einbahn <strong>gegen</strong> den Uhrzeigersinn<br />
befahren wird. M<strong>eine</strong> Grösse und Breite harmoniert inzwischen<br />
mit der geschmeidigen Eleganz, mit der ich mich durch das Gewurle<br />
von Cyclos, Mopeds, Fahrrädern, Taxis, Pickups, Kleinbussen<br />
über 12 m breite Strassen pflüge, den Blick immer <strong>gegen</strong> den<br />
Strom, um wie ein Fisch im Wasser mich an <strong>die</strong> Ströme des Verkehrs<br />
anzupassen. Du brauchst viel Selbstvertrauen für <strong>eine</strong>n solchen<br />
Gang – und <strong>eine</strong> hohe Konzentration, aber wenn es gelingt,<br />
macht sich Freude breit: Ich m<strong>eine</strong> auch ein Stück der Sozialisation<br />
<strong>die</strong>ser Gesellschaft im Verkehr zu erkennen. Wie rücksichtsvoll<br />
der motorisierte Verkehr jenen langsamen Alten am Stock,<br />
<strong>die</strong> Marktfrau mit dem beladenen Fahrrad über <strong>die</strong> Strasse passieren<br />
lässt, ist bewundernswert – habe ich jemals <strong>eine</strong>n Unfall<br />
beschrieben, nein, ich habe nur ein paar Hakeleien gesehen, <strong>die</strong><br />
aber meist nach Stillstand passieren, wenn <strong>die</strong> Mopeds mit ihrer<br />
Besatzung schwankend anfahren. Toni preist in bestem deutsch<br />
s<strong>eine</strong> Moto-Dienste an, ich atme <strong>die</strong> schwere Luft entlang des<br />
Hoan-Kiem-Sees, dem jene Schildkröte entspringt, <strong>die</strong> dem unterlegenen<br />
König Le Loi im Kampf <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Ming-Chinesen mit<br />
<strong>eine</strong>m geliehenen Schwert beispringt und zum Siege verhilft, bei<br />
der Parade dann das Schwert zurückfordert – ein göttlicher Geist<br />
verbirgt sich in der Schildkröte, <strong>die</strong> in der asiatischen Mythologie<br />
für den Respekt vor dem und den Alten sowie für Weisheit steht.<br />
Diesem Schutzgeist ist das Wahrzeichen der Stadt im See, der „Pavillon<br />
der Goldenen Schildkröte“ gewidmet. Ich wähle für 10.000<br />
D den Weg über <strong>die</strong> rot lackierte „Brücke der aufgehenden Sonne“<br />
auf <strong>die</strong> Jadeberg-Insel im See, wo sich Hochzeitspaare mit ihrem<br />
Tross ablichten lassen. Eine Schar Schulkinder im Schuldress meldet<br />
sich fröhlich mit „Hallo, Mister“. Um 0800 erstehe ich Karten<br />
für den Abend im Thang Long Wasserpuppenteater 60.000 D für<br />
<strong>die</strong> „1. Klasse“ im Sozialismus.<br />
Thong wartet beharrlich auf sein Opfer – und findet es, ich<br />
habe etwas wieder gut zu machen an <strong>die</strong>sem Alten. Für 30.000<br />
168
D handle ich ihm <strong>die</strong> 3 km zum Ho Chi Minh Mausoleum ab, vorbei<br />
an dem verbotenen Militärdistrikt, der an s<strong>eine</strong>m 50 m hohen<br />
Flaggenmast hinter Mauern erkennbar wird, vor dem Lenin s<strong>eine</strong>n<br />
weiten Mantel schürzt. Polizei im Stadtbild verheisst nichts<br />
Gutes: Mausoleum für <strong>eine</strong> Delegation gesperrt, der Ba Dinh<br />
Platz, der gestern noch Paraden sah, gesperrt für <strong>die</strong> Öffentlichkeit.<br />
„Bac Ho“, Onkel Ho wie er liebevoll genannt wird, muss<br />
deshalb ebenso auf mich verzichten wie <strong>die</strong> Pagode, <strong>die</strong> auf <strong>eine</strong>r<br />
Säule ruht. Thong wartet immer noch geduldig – ich vergesse<br />
mich und auch, den weiteren Preis auszuhandeln, steige wieder<br />
auf sein freundliches altes Lächeln ein und lasse mich zum Literaturtempel<br />
des Konfuzius bugsieren, der sich in strenger Feng Shui<br />
Manier für alle Prüflinge der Akademie als Beginn <strong>eine</strong>r Karriere<br />
in der „Halle des Grossen Erfolges“ erwies, <strong>die</strong> allein nach ihrer<br />
Kenntnis der konfuzianischen Literatur befragt wurden – das<br />
Ende des Kaisertums war damit abzusehen, weil niemand mehr<br />
sich mit den Wirklichkeiten des Alltags beschäftigte, sondern nur<br />
mit dem geistigen Eigentum des strengen Konfuzius, der sich in<br />
Filosofie und Verwaltung gleichermassen <strong>eine</strong>n Namen gemacht<br />
hatte. Das reichte um zu wissen, wie das Nachtgewand des Kaisers<br />
gelegt werden musste, damit <strong>die</strong> schlechten Energien entweichen<br />
konnten, aber Hungersnöte überforderten nicht nur <strong>die</strong><br />
Logistik, sondern schon das Denken <strong>die</strong>ser Schüler, deren erfolgreiche<br />
Absolventen in ihrem Namen von st<strong>eine</strong>rnen Schildkröten<br />
in <strong>die</strong> Erinnerung getragen werden.<br />
Thong steht wieder vor dem Tor, zwei Flaschen Wasser waren<br />
fällig – m<strong>eine</strong> für 15.000 D, s<strong>eine</strong> für 5.000 D – so gerecht kann Sozialismus<br />
sein. Unbedingt will ich noch das „Hanoi Hilton“ sehen,<br />
jenes von den französischen Kolonisatoren mit zwei Guillotinen<br />
versehene Kolonialgefängnis, das als „Maison Central“ all jene<br />
amerikanischen Piloten aufnahm, <strong>die</strong> im falschen Augenblick<br />
über Nordvietnam abgesprungen waren und nach Kriegsende<br />
wohlgenährt und klaglos nach Amerika ausgeflogen wurden.<br />
Ein Sprung in <strong>die</strong> Foltermethoden, <strong>die</strong> schon <strong>die</strong> Kambodschaner<br />
im Tuol Sleng Gefängnis „S 21“ in Phnom-Penh anstandslos von<br />
169
den Franzosen übernommen haben, <strong>die</strong> Gefangenen werden an<br />
ein oder beiden Füssen in Eisen gelegt. In dem Museum, das den<br />
„Hanoi-Towern“ nicht geopfert wurde, werden auch jene bedacht,<br />
<strong>die</strong> in Washington, San Francisco, Paris, Berlin und Frankfurt den<br />
Freiheitskampf des vietnamesischen Volkes mit dem skan<strong>die</strong>rten<br />
„Ho Chi Minh“-Schlachtruf unterstützt haben. Auch jene beiden<br />
Amerikaner vietnamesischer Abstammung, <strong>die</strong> sich im März<br />
und November 1972 vor dem Weissen Haus verbrannt haben,<br />
um <strong>gegen</strong> Nixon‘s forcierten Bombenkrieg zu protestieren. Da ist<br />
eben immer auch das andere Amerika, das sich <strong>eine</strong>r auf Recht<br />
gegründeten Zivilisation verpflichtet weiss – weiss Gott, leider<br />
immer <strong>die</strong> Minderheit: Mc Namarra hat s<strong>eine</strong> Sünden später gestanden,<br />
als er Präsident der Weltbank und nicht mehr der Politik<br />
Nixon‘s verbunden war. Sag mir <strong>eine</strong>r, warum <strong>die</strong> Politiker immer<br />
erst nach ihrem Abschied aus der Politik kluge Leute werden,<br />
denen man zuhören kann. Betroffen von den im Foto und Video<br />
vermittelten Kriegserinnerungen umarme ich spontan und lang<br />
m<strong>eine</strong>n alten Thong, späte Solidarität – <strong>die</strong> umstehenden Leute<br />
sind verdutzt – wer kann das schon verstehen. Der kl<strong>eine</strong> Streit<br />
um <strong>die</strong> 500.000 D, <strong>die</strong> er fordert, und <strong>die</strong> 200.000 D, <strong>die</strong> ich für 4<br />
Stunden Cyclo schliesslich zahle, ist mit <strong>eine</strong>m Handschlag unter<br />
Freunden vergessen.<br />
Die Erholung in dem eisgekühlten Zimmer wird von Nga „Exotissimo“<br />
unterbrochen, <strong>die</strong> für m<strong>eine</strong> nächste Zugreise Pass und<br />
China-Visum braucht. Ich verabrede mich gleich mit ihr für den<br />
morgigen Abend, sie spricht deutsch – und ich habe noch so viele<br />
Fragen. Den Nachmittagsspaziergang rund um den See teile ich<br />
mit all den Liebespaaren und liebevollen Alten, <strong>die</strong> hier ihren<br />
Schnack halten. So viel Volk ist unterwegs – Schnaufpause bei <strong>eine</strong>m<br />
Mangoshake 52.000 D, Tribut an <strong>die</strong> gute Lage am See. Ich<br />
zeichne noch schnell 10 Postkarten, das teuerste sind <strong>die</strong> Briefmarken<br />
10.000 D pro Karte, während <strong>die</strong> 10 Karten selbst auch<br />
nur 10.000 D kosten. Der Gang in <strong>die</strong> abendlich gefüllten Hangs<br />
ist ein spitzer Lauf zwischen allen Ständen und Vehikeln – solch<br />
<strong>eine</strong>n Auftrieb an Menschen habe ich selten gesehen, vielleicht in<br />
170
den engen Gassen Tokios oder Kiotos. Ich weiche in ein betriebsamen<br />
Frisierladen aus, lasse mir <strong>die</strong> schnell wachsenden Nägel<br />
schneiden und <strong>die</strong> Füsse und B<strong>eine</strong> kräftig von <strong>eine</strong>m blinden<br />
Masseur durchwalken – 152.000 D. Der Rest des Abends gehört<br />
dem Wasserpuppenteater, dessen Puppenspiel an 5 langen Stangen<br />
<strong>die</strong> Effekte des Wassers – speiende Drachen, suhlende Büffel<br />
– in zeremonielle wie in ländliche Szenen einbaut. Ein Touristenspektakel<br />
für 40 Minuten mit Livemusik, das unter dem Blitzlichtgewitter<br />
in s<strong>eine</strong>r Anmut und Leichtigkeit leidet, aber Jahrhunderte<br />
an Traditionen wahrt.<br />
S o n n t a g, den 05.09.2010<br />
Der Morgen belehrt mich <strong>eine</strong>s Besseren – ich glaubte, <strong>eine</strong><br />
langsame Gangart könnte mich vor der täglichen Verwässerung<br />
bewahren, aber das Wasser trägt sich aus der Luftfeuchtigkeit, es<br />
kommt von aussen wie in der Sauna, <strong>die</strong> Kameralinse ist beschlagen,<br />
m<strong>eine</strong> Brillengläser auch. Der Gang durch <strong>die</strong> Altstadt fällt<br />
mir schwer, da sind nicht nur <strong>die</strong> Versuchungen „cheap,cheap“<br />
der Cyclo- und Mopedfahrer, <strong>die</strong> jungen Mädchen können mich<br />
mit Backwaren auffüllen, wenn ich allen Wünschen gerecht werde.<br />
So bleibt ein Zitronenwasser am einzig erhaltenen Osttor, ein<br />
paar Unterhosen für 100.000 D und ein Zitronentee an <strong>eine</strong>m<br />
Café, wo ich auf Rattan-Kleinmöbel m<strong>eine</strong> B<strong>eine</strong> ausstrecke. Den<br />
Rest lasse ich mich an dem Gouverneurspalast und der kolonialen<br />
Oper dann doch auf <strong>eine</strong>n Handel mit <strong>eine</strong>m Cyclo ein. 25.000<br />
D für den Weg zum Hotel in der Hang Throng. Ich strecke mich<br />
wohlig in dem gekühlten Raum. Wenn nur nicht <strong>die</strong>ser Thilo Sarrazzin<br />
wäre, der mit s<strong>eine</strong>m Unsinn <strong>die</strong> Weltnachrichten auf allen<br />
Nachrichtensendern beherrscht – Dummheit lässt sich wunderbar<br />
verbreiten, dafür gibt es genügend Multiplikatoren. Ein<br />
Grund mehr am Sonntagnachmittag <strong>die</strong> Augen für <strong>eine</strong> Weile zu<br />
schliessen.<br />
171
Als ich sie wieder aufmache, sitze ich bei <strong>eine</strong>m Mangosaft<br />
im „Le Malraux“ unter <strong>eine</strong>m Bild des französischen Intellektuellen,<br />
Linken, Schriftstellers und Kultur-/Aussenministers aus<br />
deGaulle‘s <strong>Zeit</strong>en, André Malraux - quelle surprise. Er hat in s<strong>eine</strong>n<br />
Schriften „La condition humaine“ <strong>die</strong> Shanghai-Aufstände<br />
und in „La Tentation de l‘Occident“ 1925 schon <strong>die</strong> Missstände<br />
der französischen Kolonisation in Indochina gegeisselt – „Originalität<br />
ist Mangel an Belesenheit“ fällt mir ein, na klar, alles ist<br />
schon mal seit Aristoteles gedacht und geschrieben worden, weit<br />
ist <strong>die</strong> Menschheit in <strong>die</strong>sen zweitausend Jahren weder mit dem<br />
Toleranzgebot Buddha‘s, noch dem Liebesgebot Christi, noch mit<br />
der Gottesfurcht der Juden gekommen. Du bist nur ein Teil <strong>die</strong>ser<br />
unvollkommenen Welt – und <strong>die</strong>ses leckere französische „Teilchen“<br />
habe ich mir schmecken lassen.<br />
Der nachmittägliche Verkehr rauscht an den Fenstern vorbei,<br />
es ist wie im „Cafe de Flore“ im VI. Arrondissement, Saint-Germain:<br />
Menschen gucken. Ich lese in den „Vietnam News“ über <strong>die</strong><br />
Rede des Staatspräsidenten Nguyen Minh Triet am 02.09.2010<br />
aus Anlass des Nationalfeiertages, in der er – was sonst – <strong>die</strong> Rolle<br />
und Bedeutung Ho Chi Minh‘s für Freiheit und Unabhängigkeit<br />
<strong>die</strong>ses Landes würdigt. Niemand spricht englisch oder französisch<br />
in <strong>die</strong>sem Laden, erst recht erklärt mir k<strong>eine</strong>r wie <strong>die</strong>ser<br />
Malraux in das Lokal kommt. Mit <strong>die</strong>ser Unvollkommenheit<br />
musst du leben.<br />
Das ist um so leichter, als sich <strong>die</strong>se Neugier am Abend mit<br />
Nga stillen lässt. Pünktlich um 1930 spricht sie an der Rezeption<br />
vor, ich stehe schon hinter ihr, sie ahnt es – überhaupt hat sie<br />
ein gutes Gefühl. Sie sagt, dass sie eigentlich nie mit Kunden von<br />
„Exo“ zusammentrifft, sie ist seit November 2009 im Hanoi Büro<br />
für das „operative Management“, lies: Bus-, Bahn-, Schiffs- und<br />
Flugkarten, zuständig, hat deutsch stu<strong>die</strong>rt und sich mit ihren 29<br />
Jahren <strong>eine</strong> gute Stellung erarbeitet. An m<strong>eine</strong>r Stimme am Telefon<br />
habe sie m<strong>eine</strong> „Friedlichkeit“ – <strong>die</strong>ser unruhige Unfried !<br />
- erkannt. Sie kommt aus dem durch den Nationalfeiertag verlän-<br />
172
gerten Wochenende gerade von ihrer Familie, <strong>die</strong> im Norden Vietnams,<br />
80 km von Hanoi wohnt. Mutter 58 und Vater 62 leben wie<br />
<strong>eine</strong> jüngere Schwester. Den Vietnamkrieg haben <strong>die</strong> Eltern unter<br />
Bomben in der Schule zugebracht. Sie hat allen verziehen, den<br />
Franzosen mehr, den Amerikanern weniger, registriert aber <strong>die</strong><br />
Bemühungen, Vietnam auf dem Weg wirtschaftlicher Erholung<br />
ein paar Dollar mehr zuzuschreiben, ohne eigentliche Kompensation<br />
der Folgen <strong>die</strong>ses völkerrechtswidrigen Krieges. Ein Bild Bac<br />
Ho‘s schmückt ihren Schreibtisch im Büro, deshalb muss sie sich<br />
manchmal fragen lassen, warum sie k<strong>eine</strong>n Schauspieler oder<br />
Freund, sondern Onkel Ho dort stehen hat - „weil sie ihn verehrt“.<br />
Bei mir hatte „Willi“ <strong>die</strong>sen Kultstatus – mit Klampfe in der Hand<br />
und Zigarette im Mund, jedenfalls bis zu s<strong>eine</strong>m „Extremistenerlass“.<br />
Trotzdem sieht sie <strong>die</strong> Distanz zwischen Kader und Volk;<br />
in <strong>Zeit</strong>en des „Doi Moi“ wird das Leben anderswo diktiert als im<br />
Zentralkomitee. Sie liebt ihr Land, weil es schöne Landschaften<br />
bietet, besonders im Norden, und der Traditionen wegen – etwa<br />
der Familienbindung, in der der Vater das Oberhaupt ist, in der<br />
religiösen Verehrung Buddha‘s. Da bin ich bei ihr – auch ich sehe<br />
schmerzlich den Verfall der Einheit „Familie“ und den Verlust an<br />
Idolen. Im November plant sie zu heiraten, weil es sonst zu spät<br />
sein kann, ihre Freundinnen sind alle schon verheiratet. Das alles<br />
erzählt sich über drei Stunden bei <strong>eine</strong>m Menu – mit Gingertee –<br />
im Restaurant „Wilder Reis“ – für 25 US$ ein reizender Abend in<br />
deutscher Sprache – „Freundlichkeit ist in der Fremde <strong>die</strong> einzige<br />
Währung, <strong>die</strong> zählt“, fragt sie – von wem das ist, antworte ich –<br />
na, von wem? Malraux lässt grüssen, nein – von mir. Sie lächelt,<br />
sie muss wohl jetzt das Bild auf dem Schreibtisch austauschen.<br />
173
Halong Bucht<br />
M o n t a g, 06.09.2010<br />
Wow, what a wonderful world – schemenhaft hinter Dunst<br />
schieben sich <strong>die</strong> Karstberge in <strong>die</strong> Sicht, Caspar David Friedrich<br />
hätte s<strong>eine</strong> Freude und ein tiefgestaffeltes Nebelbild. Kühl streicht<br />
der Abendwind über den aufgeheizten Körper. Die Seele brennt.<br />
Ist das das Ziel der <strong>Reise</strong>, nahe den grollenden Drachen, <strong>die</strong> mit<br />
ihren Schwänzen <strong>die</strong> unzähligen Brocken in alter <strong>Zeit</strong> so unstet<br />
und formenreich verbreitet haben. Es ist ein Moment tiefer Ruhe<br />
und Zufriedenheit, der sich bei Sonnenuntergang auf dem Deck<br />
der „Bhaya 2“ aus der Stimmung speist – nur <strong>die</strong> japanischen Laute<br />
schlagen hart in den Wind. Ich bin da - Halong Bucht, Weltkulturerbe.<br />
Punkt 0800 tritt mein Fahrer Nguc an und fährt mich mit<br />
wacher Leichtigkeit <strong>gegen</strong> den Geschäfts-strom, noch einmal um<br />
den Hong Kiem See, dann immer nach Osten – 120 km. Ein Puzzle<br />
an Eindrücken, High Tech Firmen internationaler Provenienz<br />
wechseln sich ab mit Reisfeldern, <strong>die</strong> vom Song Duong gespeist<br />
werden, <strong>eine</strong>m Arm im Delta des Roten Flusses. Dazwischen alters-schwache<br />
Häuser, <strong>die</strong> seltsam vierstöckig auf 5 m Breite in<br />
<strong>die</strong> Landschaft gestellt werden, da scheint <strong>die</strong> Grundsteuer sich<br />
nach den Strassenmetern zu berechnen. Polizeikontrolle, Strassen-gebühren<br />
– <strong>die</strong> Frauen verkaufen im Stossverkehr <strong>die</strong> Tickets<br />
mit Mundschutz – Vogelgrippe oder Verkehrsschmutz? 5 Sekunden<br />
später nimmt der uniformierte Wärter am Kontrollposten das<br />
Papier dem Fahrer wieder aus der Hand – wie war das bei Lenin:<br />
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Mittendrin ein Anruf über<br />
Mobilfon, Nga bedankt sich und arrangiert mit m<strong>eine</strong>m Fahrer<br />
<strong>die</strong> Rück-reise über Hai Phong, der alten Hafenstadt. Nach 2 Stunden<br />
lädt er mich zur Pause ab – neben <strong>eine</strong>m Wahnsinnsladen, der<br />
Marmorskulpturen aller Art, moderne Skulpturen, traditionelle<br />
Buddha-statuen, brüllende Löwen, einfach alles führt, was kopiert<br />
werden kann. Ohne Mundschutz werden <strong>die</strong> Marmorblöcke<br />
nebenan geteilt und zersägt. Bambus- und Lackarbeiten, Gemäl-<br />
174
de und Sticker-eien – und <strong>eine</strong> ganze Schulklasse absolviert hier<br />
ihren Dienst, ob freiwillig oder nicht, ich vermag es nicht zu erkennen:<br />
<strong>die</strong> Fotos liegen vor ihnen, <strong>die</strong> Arbeitsschablone auch,<br />
und sie sticken und sticken. Ich will, aber ich kann nicht widerstehen,<br />
<strong>eine</strong> Lackarbeit verschwindet in m<strong>eine</strong>r Umhäng-tasche,<br />
nachdem ich sie auf 9 US$ heruntergehandelt habe. Noch zwei<br />
weitere Stunden Fahrt, dann heisst uns ein grüner Tee willkommen.<br />
Es nieselt, das macht Sinn, denn mit dem Regen verschwindet<br />
der Dunst. Ein wunderschöner Tag kündet sich um 12 30 an,<br />
als wir einschiffen, vielleicht zwei Dutzend Leute aus aller Herren<br />
Länder – ich schaffe es mit Donna und Dick aus Florida am<br />
Tisch zu sitzen, der bereits fürs Mittagsessen eingedeckt ist. Die<br />
Servicemannschaft stellt sich vor, sie wird uns im Rauschetempo<br />
bis morgen Mittag betreuen – ehrlich gesagt, mir geht das alles<br />
viel zu schnell, obwohl wir den Propeller des Bootes überhaupt<br />
nicht hören. Kaum aus dem Hafen heraus, schieben sich schon <strong>die</strong><br />
Kreide-/Kalkfelsen an den offenen Fenstern und Türen vorbei.<br />
Ich geniesse gleichwohl <strong>die</strong> lokalen Tigerprawns, lasse mir auch<br />
<strong>die</strong> neuartige Springroll im Reispapier nicht entgehen, <strong>die</strong> zwei<br />
Shrimps enthält. Ein Mangopudding und ein Ziegenkäse schliessen<br />
mit Kaffee den Reigen, deliziös, ich kann m<strong>eine</strong> Freude dem<br />
Küchenchef mit <strong>eine</strong>m Strahlen mitteilen.<br />
Kabine 112 liegt nach vorne raus – tolle Aussicht auf Berge und<br />
Wasser, der freie Bug ist mein Fotorevier. Ein Fischerdorf Vienh<br />
Vong kündet sich an. Mit Tender werden wir abgesetzt, wechseln<br />
in halbrunde Bambusboote - notdürftig mit rotem Lehm verstrichen,<br />
deshalb rote Rettungswesten - , <strong>die</strong> zumeist von Frauen im<br />
Kreuz gepaddelt werden. Wir umfahren <strong>die</strong> Seeoase, finden ein<br />
Loch im Fels und lassen uns <strong>die</strong> Austernperlenkultur erklären,<br />
von denen <strong>die</strong> Fischer besser leben als vom Fisch, der sich munter<br />
in Netzen unter ihren schwimmenden Häusern tummelt. Musse<br />
ist angesagt – Schwimmen in der Bucht, Kayak auf der ruhigen<br />
See, es könnte schlimmer kommen.<br />
175
Wir finden den Nacht-Ankerplatz – inmitten <strong>eine</strong>r regen Meute<br />
von sieben Dschunken, grossen wie kl<strong>eine</strong>n, <strong>die</strong> sich hier versammelt<br />
hat, setzt der Käpt‘n Ankerlicht. Eine Stimmmung wie<br />
198 8 mit Erik, Thomas und Ludwig auf Tonga. Auf dem Oberdeck<br />
lädt der Koch ein, s<strong>eine</strong> Frühlingsrollen nachzubauen, es gelingt<br />
mässig. Bei <strong>eine</strong>m GinTonic hebt sich <strong>die</strong> Abendstimmung, <strong>die</strong> foto-grafisch<br />
sich mit ein paar Strohhüten zu <strong>eine</strong>m optischen Fest<br />
vereint. Die Sonne nimmt Abschied vom Tag, der so schnell dahingeflossen<br />
ist wie <strong>die</strong> Tide, <strong>die</strong> hier 4 m erreicht. Die Titanen legen<br />
sich zum Schlaf, wie ein Wasserpuppen- oder Schattenspielteater<br />
muten <strong>die</strong> Hügel im Gegenlicht an. Ein Zauber legt sich über <strong>die</strong><br />
fremde Welt – es ist zum Tagträumen.Die Glocke ruft zum Dinner.<br />
Es ist aussendecks gedeckt – ich fühle, dass ich allein bin. Die<br />
Jungen und Mädchen im Service sprechen um so mehr mit mir<br />
„how was the food“ – Garnele und Muschel im Sektglas. Das<br />
Foto macht Furore. Einer Kürbiscremesuppe folgt ein marinierter<br />
Lachssalat, ich bedaure spätestens beim Rindersteak, mich<br />
nicht doch zu <strong>eine</strong>m Rouge entschlossen zu haben. Das gibt Dick<br />
Gelegen-heit in augenscheinlicher Verlegenheit, sich mit <strong>eine</strong>m<br />
„Tiger“-Bier zu bedanken – vielleicht weil ich ihn als Amerikaner<br />
von m<strong>eine</strong>n Gedanken verschont habe: Wie kann ein Amerikaner,<br />
<strong>die</strong>se Krise im Kopf aushalten, aber wahrscheinlich ist da gar k<strong>eine</strong><br />
Krise, viel-leicht auch kein Kopf. Diese Frage ist ungezogen:<br />
Ich dürfte nicht reisen, wenn ich <strong>die</strong> Schuld mei-ner Väter mit mir<br />
trüge, aber wie wäre es mit ein wenig mehr Verantwortung für<br />
<strong>die</strong>ses verstörte Volk, lieber Dick.<br />
Catherine Deneuve gestaltet filmisch den weiteren Abend und<br />
zeigt in „Indochina“ <strong>die</strong> Halongbucht von gestern.<br />
176
Land der grollenden Drachen<br />
D i e n s t a g, 07.09.2010<br />
0430 - m<strong>eine</strong> <strong>Zeit</strong> ist gekommen, es graut. Allein auf dem<br />
Oberdeck erwische ich jene Stimmung, <strong>die</strong> den Morgen vom Tag<br />
unterscheidet, es ist <strong>die</strong> Stunde, <strong>die</strong> Muslime nach dem ersten Gebet<br />
für sich haben. Dürre Brisen kräuseln das stille Wasser, Wolken<br />
bauen sich in vier Ebenen für den Tag auf, unten zwischen<br />
50 und 100 m schwarze Fetzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Hügelspitzen umkleiden<br />
und den rest-lichen Regen der Nacht tragen, darüber <strong>eine</strong> 500<br />
bis 1000 m dicke Schicht in leichtem Grau, das sich vollsaugt mit<br />
dem Tagesregen, darüber auf etwa 3.000 m bis 10.000 m jene gewaltigen<br />
Gewitterwolken, <strong>die</strong> sich sichtbar in <strong>die</strong> Höhe bauschen,<br />
nichts Gutes ahnend. Darüber im frühen Licht der verdeckten<br />
Sonne <strong>die</strong> Cirruswolken, <strong>die</strong> ebenfalls fetzig auf <strong>die</strong> Dinge des Tages<br />
setzen, <strong>die</strong> nicht lange auf sich warten lassen. Das Boot nimmt<br />
um 0600 Uhr Fahrt durch den Morgen auf. Wir passieren grössere<br />
Einheiten von Tankern und Frachtern, <strong>die</strong> hier vor Reede<br />
liegen. Die Fotos im Gegenlicht werden schwarz. Der Early-Bird-<br />
Kaffee ist gerade zu Ende getrunken, als <strong>die</strong> grollenden Donner<br />
zwischen den Felsen angerollt kommen: Gewitterstimmung in<br />
der Halongbucht. Die Winde fegen nun spürbar durch <strong>die</strong> schmalen<br />
Passagen zwischen den Hügeln, <strong>die</strong> flache See gibt sich ein<br />
Gesicht. Schauern wechseln mit Blitzen, Blitzen folgen Donner,<br />
es echot zwischen den Kalksteinfelsen, das Boot bebt gelegentlich<br />
unter den Schallwellen. Ein dauerhafter Landregen setzt ein. Ob<br />
wir heute noch mal <strong>die</strong> Sonne sehen.<br />
Das Frühstück ist <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> bisherige Verpflegung kärglich,<br />
wer hat den Vietnamesen nur gesagt, dass wir Toast mögen. Eine<br />
dünne Nudelsuppe mit den Resten der Krabben und Garnelen von<br />
gestern peppe ich mit ein wenig Chili auf. Dicke Luft zerstäubt<br />
sich vor dem kräftigen Ventilator. Ich erinnere mich an Zähneputzen<br />
und Duschen – und ein kühles Zimmer, das ich für den<br />
Rest der <strong>Reise</strong> nutze. Alles wieder „touch and go“, kein rechtes<br />
Verweilen. Wunderbar, wenn das Boot nahezu geräuschlos <strong>die</strong>se<br />
177
geisterhaften Wesen passiert. Hier müssen Märchen geboren sein,<br />
<strong>die</strong> Wälder und Wasser für Wunder sind schon da – ein ewiger titanischer<br />
Kampf zwischen chtonischen und uranischen Mächten,<br />
zwischen Wasser und Land, den das Wasser in der Eiszeit begonnen<br />
und <strong>die</strong>se weichen Gest<strong>eine</strong> ausgeschnitten und geglättet hat.<br />
Ein fortwährender Erosionsprozess, den das Wasser gewinnen<br />
wird: Es ist ohnehin Quelle allen Lebens und holt sich von Mutter<br />
Erde zurück, was es grosszügig verteilt hat – selbst unsere Asche.<br />
So long Ha Long, grollt es finster.<br />
178
179
Zug nach Hanoi 180
Hanoi – Liebreiz 181 im Literaturtempel
Halong Bucht – 182 Bootsfrau
Halong Bucht – Abendstimmung 183<br />
auf dem Boot
184
Kapitel 7<br />
China<br />
185
Guilin<br />
M i t t w o c h, 08.09.2010<br />
Wenn <strong>die</strong> zwei Fischköpfe nicht gewesen wären, ich hätte auf<br />
dem Absatz kehrt machen mögen – und wäre wieder zurück in<br />
jenes friedliche, gelassene, landschaftlich reizvolle, gastfreundliche<br />
Land, das ich um Mitternacht im Zug nach Guilin verlassen<br />
hatte. Ab Mitternacht ist alles sauber und ordentlich, <strong>die</strong> Liegen<br />
mit weisser Bettwäsche ausgestattet, mit Teppichen <strong>die</strong> Flure<br />
und Abteile ausgelegt, <strong>die</strong> Schaffner in korrekter Uniform mit<br />
Schirmmütze. Der Aufwand, der ab der Grenzstation Dong Dung<br />
mit Robert, dem Engländer, und Luc, dem Chinesen, in den beiden<br />
neuen chinesischen Waggons betrieben wird, ist grossartig: Wir<br />
sind <strong>die</strong> einzigen Passagiere in dem Zubringer nach Nanning, der<br />
Hauptstadt der Provinz Guanxi. Dort wird um 0600 der Zug umgekoppelt<br />
– und erhält endlich das gewohnte chinesische Gesicht:<br />
1000 m lang. „Nanning – Beijing“ steht nun auf den Waggons.<br />
Wir müssen den Zug verlassen, haben zwei Stunden <strong>Zeit</strong>, uns<br />
im erwachenden Nanning umzutun, wechseln RMB ( 10 Yüan =<br />
1 €) an <strong>eine</strong>m ATM Schalter und legen den Schalter um: Auf der<br />
Suche nach <strong>eine</strong>r Bank, <strong>die</strong> westliche Maestro-Karten akzeptiert,<br />
sind wir den Chinesen hilflos ausgeliefert, selbst Luc, der das<br />
Sprachproblem für uns überwindet, schafft es nicht, <strong>eine</strong> brauchbare<br />
Antwort zu finden, denn wir benötigen <strong>eine</strong> Bank mit Westbeziehungen.<br />
Da ist der nächste Unterschied – <strong>die</strong> Chinesen haben<br />
es nicht mit den Fremden, ich glaube, deshalb sind sie bei ihren<br />
Nachbarn auch nicht sehr beliebt. Ein blosses „Nein“ ist noch <strong>die</strong><br />
freundlichste Form der Antwort auf <strong>die</strong> Frage, ob jemand <strong>eine</strong><br />
Bank in der Nähe des Bahnhofs kenne – wir waren ja beide blank,<br />
Rob und ich, weil wir aus Vietnam k<strong>eine</strong> Dong ausführen durften,<br />
jedenfalls offiziell. In <strong>eine</strong>m andern Land Asiens wäre der Rundspruch<br />
und spätestens dann jemand gelaufen, der uns <strong>die</strong> Bank<br />
gezeigt hätte, aber hier – fremde Länder, fremde Sitten. Ich setze<br />
mein Pfadfindergesicht auf, justiere m<strong>eine</strong>n Kompass – und in<br />
Nullkommanix stehen wir vor <strong>eine</strong>r HSBC Bank und haben unse-<br />
186
e 2500 Yüan. Rob, der Vegetarier, kann nicht zu <strong>eine</strong>r gewöhnlichen<br />
Nudelsuppe mit Huhn oder Schwein oder Rind, nicht einmal<br />
Shrimps überredet werden, also triefen wir in der feuchten<br />
Luft ein wenig weiter und geben uns mit Reiskuchen zufrieden,<br />
<strong>die</strong> ausgelutschte Reissuppe ist dann doch nicht mein Geschmack,<br />
lieber hungere ich.<br />
Um 0800 nimmt unser Zug wieder Fahrt auf durch <strong>eine</strong> abwechslungsreiche<br />
Landschaft mit Hügeln und Dörfern, <strong>die</strong> ans<br />
Berner Oberland erinnern, erste Karstgest<strong>eine</strong> tauchen auf, an einigen<br />
arbeiten Steinbrecher, <strong>die</strong> den Fels nutzbar machen. Skurril<br />
<strong>die</strong> Formen, wenn ein Hügel abgetragen wird - wie ein Kiefer<br />
ohne Zähne. 1330 erinnert mein Schaffner, mich auf Guilin vorzubereiten.<br />
Grosser Bahnhof, grosser Aufwand – verloren stehe<br />
ich im Heer der Taxifahrer, denn selbst mit chinesischer Betonung<br />
„Gui Lin Pla Za Ho Tel“ findet sich niemand, der mich versteht, ich<br />
habe vergessen, mir <strong>die</strong> chinesischen Schriftzeichen aufzeichnen<br />
zu lassen. Aber dass <strong>die</strong> 4 km-<strong>Reise</strong> 20 Y bringt, darauf haben sich<br />
alle verabredet, k<strong>eine</strong>r ist für m<strong>eine</strong> 10 Y zu haben. Gut Ding hat<br />
Weile, ich setze mich auf <strong>eine</strong>n Steinblock, wettere m<strong>eine</strong>n Eifer<br />
ab, schaue ein bisschen mühselig nach der „Anleitung zum Unglücklichsein“.<br />
Das war der Moment, als ich umkehren wollte.<br />
In jedem „Unglück“ steckt ein „Glück“ – mein Engel naht in Gestalt<br />
von Lin, der mich englisch anstrahlt „What‘s the problem?“.<br />
Also sitze ich in s<strong>eine</strong>m Taxi für 15 Y und bin für den Sonderpreis<br />
von 150 Y schon morgen früh um 0700 mit ihm verabredet für<br />
<strong>die</strong> Li Fluss Tour. Die prunkvoll gestaltete Lobby des Plaza-Hotels<br />
hat ihren Charme schon in der Architektur verloren, dementsprechend<br />
mühsam quält sich der Empfang in Lustlosigkeit. K<strong>eine</strong> Ermunterung<br />
<strong>die</strong> 1,3 Mio Stadt zu erobern – bis auf <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n<br />
Abendspaziergang auf der Suche nach Essbarem.<br />
Und da beginnt <strong>die</strong> Geschichte mit den Fischköpfen: Innerhalb<br />
von 10 Minuten bin ich auf der Li Jian Road fündig. Ein belebtes<br />
Lokal mit <strong>eine</strong>r riesigen Amfore vor der Tür, aus der <strong>die</strong><br />
mit Schürzchen gekleidete Be<strong>die</strong>nung gedämpfte Dumplings in<br />
heissen Schüsseln entnimmt. Das allein lockt schon, aber drinnen<br />
187
– chinesische Schriftzeichen, in chinesisch wird mir <strong>die</strong> Menukarte<br />
gereicht, chinesisch auf mich eingeredet. Ich wecke Zweifel<br />
an m<strong>eine</strong>r Redseligkeit. Schliesslich erbarmt sich <strong>die</strong> Chefin, <strong>die</strong><br />
aus ihrem Gemach geholt wird, und erläutert mir auf englisch <strong>die</strong><br />
Speisenkarte, also das mit der Nudelsuppe sieht schon mal gut<br />
aus, und dann noch – wie ich das so gewohnt bin – als Hauptgericht<br />
<strong>die</strong>ses unkenntliche, aber fotografisch interessant gestaltete<br />
Teil. Das ist wohl – sie beäugt mich ein wenig von unten nach<br />
oben – ein wenig zu viel für mich, meint <strong>die</strong> Wirtin, nun gut, dann<br />
etwas Fischiges. Ich bestelle dazu <strong>eine</strong>n Tee, das klingt aber offensichtlich<br />
auch nicht sonderlich gekonnt – ich erhalte ein lokales<br />
Bier, schön kalt, also, ich zögere, wenn auch nur kurz, davon<br />
bin ich auch noch nicht gestorben. Nach <strong>eine</strong>r Weile, <strong>die</strong> anderen<br />
Gäste, habe ich den Eindruck, ziehen an mir vorbei ihre Speisen<br />
schon ein, obwohl sie erst nach mir gekommen sind, aber der<br />
Sozialismus hat bekanntlich auch s<strong>eine</strong> Grenzen, insbesondere<br />
wenn es darum geht, den Kapitalisten zu zeigen, wer <strong>die</strong> besseren<br />
Karten hat – dazu passen <strong>die</strong> Nachrichten in dem englischsprachigen<br />
CCTV 6, wonach China nun auf Platz 2 der wirtschaftsstärksten<br />
Länder gerutscht ist. Nach <strong>eine</strong>r weiteren Weile, in der m<strong>eine</strong><br />
Gedanken sich an k<strong>eine</strong>m Tema mehr festmachen wollen, weil der<br />
Hunger nach den ersten Schlucken Bier gewaltiger wird – ich habe<br />
eigentlich seit dem Lunch auf dem Boot nichts mehr ordentliches<br />
gegesssen bis auf ein paar Bananen. Die Suppe rollt an – gewaltig,<br />
ein Eintopfgericht, ich werde blass, aber es schmeckt so gut,<br />
dass sich <strong>die</strong> Quantität hinter der Qualität zu verstecken beginnt.<br />
Und dann ersch<strong>eine</strong>n unter <strong>eine</strong>m rot-gelbem Paprikafinish auf<br />
<strong>eine</strong>r Platte, <strong>die</strong> bei uns ausreichend wäre, vier Personen zu verköstigen<br />
– zwei Fischköpfe. Die Graskarpfen mögen ja im Li Fluss<br />
noch ansehnlich gewesen sein, aber jetzt, nachdem man ihnen<br />
den Schwanz und halben Leib für andere Sachen – wahrscheinlich<br />
wieder so <strong>eine</strong> dänische Seejungfrau, <strong>die</strong> ein neues Kleid<br />
braucht - abgeschlagen hat, sehen sie doch recht verzweifelt aus,<br />
jene marmorierten mächtigen Fischköpfe, denen ich mit Stäbchen<br />
zu Leibe rücke. Und dann offenbart sich mir das Geheimnis<br />
188
der chinesischen Küche – das Lokal ist deshalb wohl auch rappelvoll<br />
– Flossen und Haut lassen sich mit der Sanftheit der Stäbchen<br />
abstreichen, von den Gräten fällt das Fleisch wie von selbst ab, so<br />
<strong>eine</strong> zarte Fischspeise habe ich noch nicht gegessen, das Fleisch<br />
hat ein wenig den Paprikageschmack angenommen und damit<br />
jene nichtssagende Geschmacklosigkeit von Fisch abgelegt, um<br />
sich in m<strong>eine</strong>m Gaumen so richtig zu entfalten. Das Bier ist fast<br />
zu grob für <strong>die</strong>se Delikatesse – ein Fischkopf für China: Ich bleibe.<br />
Auf dem Li Jiang<br />
D o n n e r s t a g, 09.09.2010<br />
Lin sitzt schon in der Lobby, er sieht sehr gestresst aus – 20<br />
Leute muss er heute früh auf den Bambusbooten unterbringen,<br />
<strong>die</strong> nach YangShuo gelangen wollen. Im Pferch <strong>eine</strong>s Minibusses<br />
hocken schon 10 Langnasen, als ich unter vollem Gepäck zusteige.<br />
Aber Lin hat natürlich für <strong>die</strong> 150 Y, <strong>die</strong> er mir für <strong>die</strong> <strong>Reise</strong><br />
abknöpft, noch einige Überraschungen vorrätig. Die erste Stunde<br />
geht es statt zum Pier in Guilin mit dem Bus schon mal flussabwärts,<br />
dann sind nur vier statt fünf Boote da, also werden <strong>die</strong> 20<br />
auf vier „Bambus“-Flösse verteilt. Und wenn ich sage „Bambus“,<br />
stocke ich – <strong>die</strong> 8 beigebundenen Stangen sehen aus wie Bambus,<br />
sind gemustert und gestängt wie Bambus, aber das Plastikzeitalter<br />
hat auch den Li Fluss schon erreicht. Gleichwohl, es trägt. Die<br />
wirklichen Flösser sehen wir unterwegs, sie staken mit langen<br />
Stangen <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> langsam fliessenden Wasser, <strong>die</strong> uns grün und<br />
leidlich klar anlachen. „Der Fluss gleicht <strong>eine</strong>m seidenen grünen<br />
Band und <strong>die</strong> Hügel sind wie türkisfarbene Haarnadeln aus Jade“<br />
stehle ich mir bei Han Yu.<br />
Ich geniesse Aussicht nach vorn. Die <strong>Reise</strong>geschwindigkeit ist<br />
erträglich, gelegentlich zischen zwischen den Stäben <strong>die</strong> gepressten<br />
Wasser, netzen uns angenehm kühl bei zunehmender Temperatur.<br />
Ich atme den Duft der Kassiabäume ein und danke m<strong>eine</strong>m<br />
189
„Lobe den Herren“- Schöpfer – ich habe ein neues altes Ziel erreicht,<br />
den Li Jiang.<br />
Schleier um Schleier wird von den Turmkarsthügeln entfernt,<br />
dahinter verstecken sich Bienenkörbe, Kamele, Drachen, Elefanten,<br />
Spitzhüte – <strong>die</strong> Fantasie gibt den Dingen Namen und gerät ins<br />
Stottern, so viele 80, 100, 200 m hohe Hügel reihen sich am Flussufer<br />
und dahinter aneinander. Natürlich nutzen <strong>die</strong> Wasserbüffel<br />
das kühle Wasser für ein Morgenbad.<br />
Ohne Sonnendach und mit <strong>eine</strong>r Last, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Bambusstangen<br />
unter Wasser drücken, schiessen einheimische Flösser an uns<br />
grusslos vorbei, <strong>die</strong> Touriflösse sind wohl in der Mehrheit. Gelegentlich<br />
gibt an Engstellen ein „Riese“ Hornsignale, neben den<br />
Flössen sind für grössere Gruppen und als Fähre zwei- bis dreistöckige<br />
Flösse unterwegs. Ich wundere mich, dass sie so leicht<br />
manövrieren, aber ohne Kiel und mit hochgelegtem Propeller<br />
schaffen sie <strong>die</strong> Untiefen ebenso wie unsere kl<strong>eine</strong>ren Flösse. Das<br />
Grün der Hügel spiegelt sich im Wasser. Die Gruppe ist angenehm<br />
still, der Augenblick vertieft sich. Stunden vergehen. Vor unseren<br />
bequemen Bambus-Liegestühlen spielt sich das Flussleben ab. Ich<br />
weiss nicht, ob <strong>die</strong> Fischer, <strong>die</strong> um <strong>die</strong>se <strong>Zeit</strong> ihre Netze werfen,<br />
nur für <strong>die</strong> Touris arrangiert sind, aber <strong>die</strong> Ernsthaftigkeit, mit<br />
der sie ihrer Beschäftigung nachgehen, lässt vermuten, dass sie<br />
für sich und den Markt arbeiten.<br />
Lin‘s Überraschungen halten an: Nach drei Stunden ist der<br />
Tank leer – geschickt steuern <strong>die</strong> Flösser unter Staken das Ufer an<br />
und wie von Geisterhand bestellt, stehen plötzlich 3 offene Minibusse<br />
da, nehmen wortlos <strong>die</strong> Gruppe auf – das ist nicht das erste<br />
Mal, dass sie <strong>die</strong>sen Job erledigen – und setzen uns 40 Minuten<br />
später nach <strong>eine</strong>r Fahrt über bumpige Feldwege in <strong>eine</strong>n Bus ab,<br />
der uns leztendlich nach weiteren 45 Minuten in Yangshuo auslädt.<br />
Es soll auch Flösse geben, <strong>die</strong> bis YangShuo durchhalten,<br />
aber um Klage zu führen, ist niemand mehr da. In <strong>eine</strong>m „Li-<br />
River-Ticket-Office“ vermute ich nicht zu Unrecht englisch sprechendes<br />
Personal, das mir endlich <strong>die</strong> Schriftzeichen für „New<br />
Century Hotel“ aufzeichnet, aber jetzt brauche ich sie auch nicht<br />
190
mehr: Das geschmacklose Gebäude liegt 200 m weiter schräg über<br />
den Rundplatz im Zentrum der lebendigen Stadt.<br />
Am Nachmittag miete ich mir ein Rad für <strong>die</strong> folgenden drei<br />
Tage – mit Gangschaltung. Die erste Tour trägt mich durch <strong>die</strong><br />
Stadt an den Fluss, wo <strong>eine</strong> malerische Landschaft vielen Häschern<br />
Anhalt gibt, alle möglichen Touren anzubieten. Kormoranfischer<br />
haben ihren Hut und ihre Kormorane vom Schweiss der<br />
Arbeit befreit und posieren als Fotomotiv für <strong>die</strong> japanischen Krähen,<br />
<strong>die</strong> dem Geschnatter der Kormorane sprachlich Konkurrenz<br />
machen, bis dass <strong>eine</strong> gebissen wird. Der unglückliche Alte schilt<br />
s<strong>eine</strong>n Kormoran, der vermasselt ihm das Geschäft. YangShuo ist<br />
ein einziger Markt, ein Auftrieb an Gästen wie ich es bisher in <strong>die</strong>ser<br />
Konzentration nicht erlebt habe. YangShuo lebt offensichtlich<br />
nur noch für s<strong>eine</strong> Gäste – das Angebot an „adidas“, „boss“, „Versace“<br />
ist unbeschreiblich, im Ortskern, von Kanälen unterbrochen<br />
und hübschen Brücken geschmückt, reiht sich Restaurant an<br />
Restaurant – mit italienischer Pizza, irischem Bier, französischem<br />
Mousse au chocolat, aber auch „Froschschenkel“, „Hund“ und<br />
„Schlange“. Die für den Abend bereits aufgestellten Lichter werden<br />
plötzlich eingezogen, <strong>die</strong> Tische abgeräumt, <strong>die</strong> Gäste unters<br />
Dach verfrachtet – <strong>die</strong> ganze Herrlichkeit liegt brach, es blitzt, es<br />
donnert, der Regen setzt ein und verlässt den Abend nicht mehr.<br />
Mein Rad wird gewaschen, ich auch.<br />
Yangshuo<br />
Fr e i t a g, 10.09.2010<br />
Die Aufmerksamkeit des Service lässt zum Ende der Frühstückszeit<br />
merklich nach, <strong>die</strong> Speisen sind kalt geworden, <strong>die</strong> Tücher<br />
befleckt, der Kaffee verschüttet – ich weiss nun, weshalb ich<br />
morgen schon um 0700 zum Früstück ersch<strong>eine</strong>, der Zustand des<br />
mageren Buffets schlägt sich in der Muffigkeit der letzten Frühstücksgäste<br />
nieder.<br />
191
Vergiss es, heute geht‘s auf Biketour – ohne Guide, <strong>die</strong> Leute<br />
zweifeln an dem Alten, der s<strong>eine</strong>n breiten Hintern über den Sattel<br />
schwingt, der sofort ein paar Zentimeter nachgibt. Die Luft in den<br />
Breitreifen reicht für zwei Zentner aus – <strong>die</strong> Tage der Nudelsuppen<br />
haben Spuren hinterlassen.<br />
Das Rad nimmt mit Leichtigkeit Geschwindigkeit auf, ich<br />
überhole <strong>eine</strong>n Lkw am Berg (!), halte <strong>eine</strong> Vespa bei und hänge<br />
mich schliesslich an <strong>eine</strong>n tuckernden Zweitakter, der mich nach<br />
rund 12 km an der Drachenbrücke in Baisha absetzt. Hier sind <strong>die</strong><br />
Häscher schon wieder zugange – „Bamboo Rafting“ ist angesagt,<br />
<strong>die</strong> Bambusflösse rutschen über <strong>die</strong> künstlich angelegten Wehre,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Wasser für <strong>die</strong> umliegenden Reisfelder stauen, bis nach<br />
Jiuxian. Aber 180 Y für <strong>die</strong>ses einsame Vergnügen – ich simuliere<br />
<strong>eine</strong> Herzattacke, <strong>die</strong> Damen verstehen, ihre mütterlichen<br />
Gefühle erwachen: 160 Y, ich biete 50 Y, unerträglich. Bei jedem<br />
neuen Anlauf hebe ich nur <strong>die</strong> fünf Finger m<strong>eine</strong>r rechten Hand.<br />
Als sie mit 150 Y antworten, setzen m<strong>eine</strong> Herzattacken wieder<br />
ein: 140 Y drücken sie auf <strong>die</strong> Skala ihres Mobilfons. Ich hole mir<br />
ein Wasser für 2 Y, zeige m<strong>eine</strong>n leeren Geldbeutel und erzähle<br />
von der langen <strong>Reise</strong>, einsam auf <strong>eine</strong>r Bambusbank im Wasser<br />
unter <strong>eine</strong>m Sonnenschirm – „get one nice lady“, suche ich <strong>die</strong><br />
Aufmunterung „then i pay 100 Y“. Jetzt kommt Bewegung in <strong>die</strong><br />
Schar von 4 Damen, <strong>die</strong> mich umlagern: wer ist <strong>die</strong> Schönste, <strong>die</strong><br />
sich opfert, während ihre Männer auf das Ergebnis warten. Derweil<br />
stelzen <strong>die</strong> Bambusflotten an uns vorbei, unter der Drachenbrücke<br />
durch, der Yulong River führt kaum Wasser, fliesst müssig<br />
dahin. 15 Euro, davon kann <strong>eine</strong> Familie ein paar Tage leben, irgendwie<br />
sch<strong>eine</strong>n mir <strong>die</strong> Relationen nicht zu stimmen, aber an<br />
Überraschungen in China habe ich mich schon gewöhnt. Ich quäle<br />
<strong>die</strong> Damen nicht länger auf der Suche nach der Schönsten im Lande,<br />
schwinge mich auf mein Rad – in <strong>eine</strong> chinesische Odysee.<br />
Auf der kl<strong>eine</strong>n Touristenkarte sind <strong>die</strong> beiden Radwege links<br />
und rechts des Yulong Rivers eingezeichnet, den auf der rechten<br />
Uferseite habe ich gesehen, aber wenn in Jiuxian k<strong>eine</strong> Brücke ist,<br />
heisst das weitere 12 – 15 km bis zum nächsten Ort mit Brücke, also<br />
192
suche ich links nach Fahrradspuren, ein kurzer Umweg durchs<br />
Dorf Baisha, <strong>eine</strong> kurze Frage, ja klar Jiuxian – <strong>die</strong>se Richtung.<br />
Der Weg quält sich um verfallene Häuser, lehmig, mit Pfützen,<br />
<strong>die</strong> m<strong>eine</strong> ganze Fahrkunst erfordern. Rechts von mir stecken <strong>die</strong><br />
Flösser ihre Stöcke ins Wasser, treiben <strong>die</strong> Flösse über <strong>die</strong> Wehre.<br />
Die haben‘s gut, das Wasser ist kühl und weich. Neben mir steigen<br />
warme Luftfelder aus den Reisfeldern auf, es riecht nach Heu.<br />
Dann wird‘s eng, links Reisfelder, rechts Reisfelder, ich fahre<br />
nur noch auf dem Damm, vielleicht 20 cm breit, daneben geht‘s<br />
links wie rechts 20 cm abwärts, ein wenig bange ist mir schon – ob<br />
hier wohl alle Touristen rumbiken? M<strong>eine</strong> Zweifel steigern sich ...<br />
wenn jetzt noch ein Hund mich anbellt. Ein Hund ist es nicht, aber<br />
ein salziger Schweisstropfen, der m<strong>eine</strong> Sicht im rechten Auge<br />
verwischt, unwillkürlich m<strong>eine</strong> Hand vom Lenker löst, um das<br />
Übel zu verreiben – da ist es passiert, noch ehe ich mich versehe,<br />
ist das Vorderrad im Reisfeld, das hintere hebt ab und ein eleganter<br />
Flug über den Lenker macht mich mit dem Lössboden des Reisfelds<br />
vertraut – alte Fallschirmjägerschule: über <strong>die</strong> Schulter abrollen.<br />
Und schon sind <strong>die</strong> zwei Zentner, <strong>die</strong> sich hinter dem Kopf<br />
ebenfalls über <strong>die</strong> Lenkstange bewegen, über <strong>eine</strong>n weiteren Teil<br />
des Körpers abgefedert. Karsten haben wir nach solchen Stürzen<br />
übern Lenker immer mit Gehirnerschütterung aus dem Krankenhaus<br />
abgeholt – das fällt mit als erstes ein, als ich <strong>die</strong> Funktionsfähigkeit<br />
des Gerippes prüfe: Brille ein wenig verschoben noch<br />
auf der Nase, Schulter geprellt, aber nicht verletzt, kein Finger<br />
gebrochen. Das Fahrrad hat sichs derweil auf dem Damm bequem<br />
gemacht. Ein paar kräftige erdige Flecken zieren das weisse Blousonhemd,<br />
den Lehm von „Mutter Erde“ streife ich im Gras ab, <strong>die</strong><br />
Gräser aus der Nabe des Fahrads löse ich aus, den nächsten Teil<br />
des Weges gehe ich friedlich neben dem Fahrrad her, Vorderrad<br />
in der Spur, Hinterrad weit ausgestellt, ehe ich wieder zu Atem<br />
komme und der Weg mehr Breite verspricht.<br />
193
Mutig schwinge ich mich wieder auf den Sattel, den ich etwas<br />
niedriger gesetzt habe, damit ich den Boden bei Unsicherheiten<br />
schneller erreiche. Aber <strong>die</strong> Unsicherheit ist da – <strong>die</strong> Hecken und<br />
Gräben kommen mir näher als zuvor, es dauert auch nicht lange,<br />
als <strong>eine</strong> weit in den Weg gewachsene Hecke mich weich auffängt.<br />
Hätte ich gewusst, dass in der Hecke auch Hartdorngewächse<br />
sind, hätte ich mir vielleicht <strong>eine</strong>n anderen Ruheplatz ausgesucht,<br />
so kamen zu den Lehmspuren noch ein paar kratzige Blutspuren,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> „Liebesgrüsse aus der Dornenhecke“ übermittelten.<br />
Mein Schweisstuch färbt sich braun-rot, hat kein trockenes<br />
Ende mehr. Der Damm endet. Das war‘s wohl für heute – aber den<br />
ganzen Weg zurück? Der Bock flüchtet immer nach vorn. Also –<br />
nicht nach rechts, da geht‘s zum Fluss, nach links, quer durch <strong>die</strong><br />
Kürbisfelder, <strong>eine</strong> Hütte taucht auf – und ein Hund bellt. Also ist<br />
da jemand zu Hause und hat <strong>eine</strong>n Weg – alte Pfadfinderweisheit.<br />
Ich folge dem Zuweg – und lande auf dem Radweg, den ich von<br />
Anfang an hätte nehmen sollen, wenn ich <strong>die</strong> richtige Abbiegung<br />
gefunden hätte. Die Kratzwunden trocknen im Fahrtwind, leicht<br />
und gut fühle ich mich. Ab jetzt nimmt das Fragen nach dem rechten<br />
Weg zu, <strong>die</strong> Antworten sind zwar deutungsbedürftig, aber<br />
schliesslich orientiere ich mich nur noch an den Radspuren, das<br />
hilft – das Wasser ist zu Ende, <strong>Zeit</strong> für <strong>eine</strong>n Stopp im nächsten<br />
Dorf, wo sich <strong>die</strong> verbliebenen Bewohner zunächst mit m<strong>eine</strong>n<br />
Wunden beschäftigen. Im Geschäft, Entschuldigung, umgebauten<br />
Schuppen mit Ladentheke, finde ich <strong>eine</strong>n Wasserhahn, wasche<br />
<strong>die</strong> Wunden lehmfrei, das muss so halten, <strong>die</strong> Kratzer sind nicht<br />
tief. Als ich dann noch 1,5 l Wasser in mich stürzen lasse, habe ich<br />
sämtliche Kinder des Dorfes als Bewunderer. Ich nehme <strong>die</strong> Erholung<br />
gerne an, richte m<strong>eine</strong>n Sattel wieder auf Normalmass aus –<br />
<strong>die</strong> letzten 5 km von Jiuxian nach YangShuo sind ein Kinderspiel.<br />
Erschöpfung stellt sich erst ein, als ich mein Fahrrad abgebe, es ist<br />
1430 – <strong>Zeit</strong> für Mittagsruhe, <strong>die</strong> habe ich mir ver<strong>die</strong>nt.<br />
1700 Uhr ruft mich <strong>die</strong> Stadt, ein Spaziergang durch den Stadtpark,<br />
wo <strong>die</strong> Jungen Billard spielen, <strong>die</strong> Kl<strong>eine</strong>n Karusell fahren<br />
und <strong>die</strong> Alten auf den Gymnastikgeräten ihren Kreislauf regeln.<br />
194
Der Gang ist anstrengend in der gestauten Hitze des Tages. Ein gezapftes<br />
schwarzes Tsingtao-Bier lasse ich mir schmecken, schon<br />
sind <strong>die</strong> Mosquitos von Verkäuferinnen um mich rum – ein Fächer<br />
ist fällig 10 Y, ein mittelloser Künstler übereicht mir <strong>eine</strong>n Scherenschnitt<br />
– aus Liebe zum Kollegen 10 Y. Eine fliegende Agentin<br />
erzählt mir was von <strong>eine</strong>r „Impression“, ein „Son et Lumière“ auf<br />
chinesisch. M<strong>eine</strong> „Ente auf Kastanie“ schmeckt wunderbar, derweil<br />
vermittelt mich m<strong>eine</strong> Be<strong>die</strong>nung für 100 Y Anzahlung zur<br />
Show, treibt mich beim Essen an und führt mich schliesslich zum<br />
Bus, der mich ins Nachbardorf bringt. 80 Y noch an <strong>eine</strong> Dame<br />
mit Vortasche, 180 Y habe ich bezahlt – und bislang nichts in der<br />
Hand. Der Fahrer scheint es zu ahnen, er gibt uns ein Papierfetzen<br />
mit 165 Y/B 2 - mir wie den 10 anderen Besuchern aus dem<br />
Mini. Wir sind nicht <strong>die</strong> einzigen an <strong>die</strong>sem Abend, Busse schleusen<br />
sich durch <strong>die</strong> Massen – China ist immer Masse – Wir bleiben<br />
unentschlossen stehen, bis ein weiterer junger Mann auftaucht,<br />
uns im Gedränge auf <strong>eine</strong>n leeren Platz vor dem Kartenschalter<br />
bugsiert, erst stehen heisst und dann im Gänsemarsch durch den<br />
Eingang führt, Busse und Menschen bilden <strong>eine</strong> undurchdringliche<br />
Einheit, wir finden <strong>eine</strong>n schnellen Schritt, warm genug ist<br />
es, vorsorglich werden Plastik-Regenmäntel ausgegeben – und<br />
dann ist es endlich so weit: Eine Karte B 2 Reihe 24, Platz 48 – ich<br />
finde Platz in <strong>eine</strong>m Auditorium, das mich an <strong>die</strong> See-Festspiele in<br />
Bregenz erinnert, ich schätze 10.000 Zuschauer. Und dann vibrieren<br />
<strong>die</strong> Bauchdecken, ein Sound setzt rundum ein, Lichter blitzen<br />
auf, <strong>die</strong> Landschaft mit ihren Bergen und Hügeln und Wassern<br />
in ein zauberhaft schmeichelndes Blau getaucht, <strong>die</strong> ersten<br />
Sängerinnen in Zhangou Tracht melden sich im Countersopran.<br />
Und dann lässt mich das Spiel der Farben und <strong>die</strong> Choreografie<br />
des Spiels nicht mehr los. Ich schätze der Regisseur, der auch <strong>die</strong><br />
Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking choreografiert hat,<br />
arbeitet gern in Massen: 200 Bambusflösser sind im Wasser, 300<br />
Sängerinnen in wechselnden Kostümen bevölkern <strong>die</strong> Stege und<br />
fünf Spielebenen, schaukelnde Sichelmonde, flatternde rote Bahnen<br />
quer durchs Wasser gezogen können von Ariane Mnouchkine<br />
195
geliehen sein, <strong>die</strong> Wasserbüffel tragen mühelos ihren Part wie <strong>die</strong><br />
Fischer ihre Netze und Kormorane. Die „Ohs“ und „Ahs“ sowie der<br />
Applaus häufen sich. Ein Fest der Sinne, das k<strong>eine</strong> Kamera vermitteln<br />
kann: China kann Massen führen.<br />
Verblichener Zauber<br />
S a m s t a g, 11.09.2010<br />
Wenn ich um sieben mein Nest verlasse, schlägt mir <strong>die</strong> feuchte<br />
Wärme ins Gesicht. Schon das mindert <strong>die</strong> Freude am Frühstück,<br />
aber gemach, m<strong>eine</strong> Hoffnung trog, auch das chinesische<br />
Frühstück ist lieblos hingeknallt, wie <strong>die</strong> Frage der Concierge<br />
„Room Number?“, kein „Guten Morgen“ – und dann sind um 0700<br />
<strong>die</strong> Dumplings, <strong>die</strong> Nudeln <strong>die</strong> angemachten Rühreier ebenso kalt<br />
wie um 0900, einzig schmackhaft: gekühlter Zitronensaft.<br />
Um es vorweg zu nehmen, ich habe heute k<strong>eine</strong>n Unfall, wenn<br />
ich davon absehe, dass <strong>eine</strong> Libelle <strong>gegen</strong> m<strong>eine</strong> Brille geflogen<br />
ist – haben <strong>die</strong> denn kein Radar, oder zumindest GPS ? Zwei-,<br />
dreimal schicken mich <strong>die</strong> Burschen in <strong>die</strong> falsche Richtung, aber<br />
zum Schluss ist immer ein Dorf, <strong>eine</strong> Brücke, ein Strassenschild,<br />
an dem ich mich orientieren kann. Und ich habe sie wirklich alle<br />
gepackt, den „Ancient Totem Path“, <strong>die</strong> „Butterfly Cave“, <strong>die</strong> „Water<br />
Cave“ „really no fake!“, den grossen Banyan Baum – als ob es<br />
<strong>eine</strong>n grösseren Banyan Baum als den auf Kauai/Hawaii gäbe. An<br />
der „Drachen Cave“ fahre ich vorbei zum „Moon Hill“ – und hier<br />
wird <strong>die</strong> ganze vermaledeite Touristenfilosofie sichtbar: Da ist ein<br />
Loch in den Fels geblasen – und schon <strong>eine</strong> Attraktion. Dabei ist<br />
<strong>die</strong> Landschaft als solche das Geheimnisvolle, wenn sie dann so<br />
unter dir liegt. So nah sind <strong>die</strong> Hügel, so vielfälig <strong>die</strong> Formen, dass<br />
<strong>die</strong> Fantasie nicht ausreicht, sich alles vorzustellen. In Liu Sanjie<br />
schaue ich mir <strong>die</strong> Inspiration des gestrigen Abends noch mal bei<br />
Tageslicht an, der Zauber des Lichts ist dahin, im grellen Mittagslicht<br />
sind <strong>die</strong> Hügel gesichtslos.<br />
196
Es ist ein wunderbares Gefühl, alles zu können, aber nichts<br />
mehr zu müssen. So radle ich denn dahin, auf der Rückfahrt immer<br />
ein Stückchen bergab zum Li Fluss hin. Das Trinkwasser in<br />
den Flaschen ist restlos leer, das ist <strong>eine</strong> Einkehr wert. Auf der<br />
Speisenkarte darf ich m<strong>eine</strong>n Hunger in Bildern stillen, <strong>die</strong> schon<br />
einigermassen verblichen sind – für 30 Y landet dann schliesslich<br />
<strong>eine</strong> Wasserbüffelzunge, fein zerlegt, mit Knoblauch, Zwiebel<br />
und Paprika schmackhaft gemacht auf <strong>eine</strong>m Vermicellibett auf<br />
Platz und Zunge. Mit dem Liter Wasser und <strong>eine</strong>r eiskalten Cola<br />
fühle ich <strong>die</strong> Kräfte nach der Hitzetour wieder erstarken – den<br />
Rest der 20 km bis zum Hotel erledige ich auf <strong>eine</strong>r Pobacke.<br />
Ich erfreue mich m<strong>eine</strong>r Langsamkeit. Am Abend sitze ich auf<br />
der Diecul Road und beobachte – <strong>die</strong> Zweiteilung der Gesellschaft.<br />
Lokale mit ausschliesslich grossen runden Tischen werden in<br />
grossen Haufen von Chinesen aufgesucht. Nach m<strong>eine</strong>m Erlebnis<br />
in Sibu traue ich mich da nicht mehr rein - allein an <strong>eine</strong>m<br />
Tisch für 12 Personen. Hier braucht es k<strong>eine</strong>n Häscher, der <strong>die</strong><br />
Kundschaft eintreibt, hier kommen <strong>die</strong> Einheimischen mit ihren<br />
Freunden von allein. Die Mädchen haben sich fein gemacht, es ist<br />
Samstagabend, sie sitzen und schauen wie auf der Hühnerleiter<br />
aufgereiht. Triefend warm ist es immer noch, ich vermag <strong>die</strong> Temperatur<br />
nicht mehr zu schätzen, ob 28 oder 32 oder 36 Grad. Ich<br />
äuge nun nach jenen Lokalen, <strong>die</strong> nicht vom „Draught Beer“ Zeichen<br />
leben, wo auch Chinesen einkehren und kl<strong>eine</strong> Tische sind.<br />
Eine Szechuan-Karte gefällt mir, ich überlasse der englisch sprechenden<br />
Be<strong>die</strong>nung mir <strong>eine</strong> Spezialität des Hauses anzubieten,<br />
wieder Chicken, aber <strong>die</strong>smal kurz gebraten mit Bambusschoten,<br />
Pilzen, Zwiebeln und Paprika, reich und scharf auf <strong>eine</strong>r heissen<br />
Platte angemacht – <strong>eine</strong> halbe Portion, <strong>die</strong> sie mir auftischt. Die<br />
ganzen Portionen sind für <strong>die</strong> Familien berechnet. Und das Bier<br />
kostet auch nur 10 Y. Neu ist jener Service, der in <strong>eine</strong>r Plastik<br />
Schälchen für <strong>die</strong> Sosse, den Chili, <strong>die</strong> Suppe und den Reis neben<br />
<strong>eine</strong>m Löffel und <strong>eine</strong>m Glas für den Tee vorhält. Mit lautem Knall<br />
werden an jedem Tisch <strong>die</strong> Plastikfolien durchstochen – immer<br />
ein bisschen Neujahrsfest mit Böller.<br />
197
Wir nehmen Abschied wie alte Bekannte „see you tomorrow“,<br />
schallt es hinter mir, dabei gibt es kein „morgen abend“ mehr in<br />
YangShuo. So lahmt mein Schritt. Hier ein Foto, dort ein Halt: Die<br />
Alten halten ihren Schnack, <strong>die</strong> Dorfeiche hat hier immer noch<br />
ihren Platz. Eingebettet in den Lichterglanz, der von den angestrahlten<br />
Hügeln widerscheint, laufe ich m<strong>eine</strong>n Gang, mit einiger<br />
Sicherheit nun <strong>die</strong> Strasse bei Verkehr querend. Ich erinnere<br />
mich an <strong>eine</strong> Übung im Schauspielunterricht, wo das Rechteck,<br />
in dem sich <strong>die</strong> Gruppe bewegte, immer kl<strong>eine</strong>r wurde, ohne dass<br />
der Lauf unterbrochen wurde: Wir übten uns, <strong>die</strong> Bewegung des<br />
anderen voraus zu ahnen – etwas von dem gilt auch hier: Mit der<br />
Berechenbarkeit d<strong>eine</strong>r Bewegung rechnet der Verkehr – und ist<br />
dir wohlwollend. Die Mädchen kichern hinterher, wenn der ältere<br />
„Herr mit der Kapp“ vorbei schlendert. Eine Ode auf <strong>die</strong> Kapp<br />
ist heute abend nicht zu schreiben, aber sie ist mein Logo, mein<br />
Erkennungszeichen: Sie werden alles an mir vergessen, aber der<br />
„Herr mit der Kapp“ bleibt.<br />
Wie war das noch: „Erinnerungen sind Spuren in <strong>die</strong> Ewigkeit“<br />
— wenn <strong>die</strong> Kapp das wüsste.<br />
Rückkehr<br />
S o n n t a g, 12.09.2010<br />
1200 yangshuo-post –stopp– briefmarken für ansichtskarten<br />
45 Y –stopp– bus nach guilin 15 Y 1,5 stunden –stopp– 1400 wiederkehr<br />
guilin plaza –stopp– spaziergang zum li fluss 3 km –stopp–<br />
heiss, heiss –stopp– kein sonntags-cafe an li jiang road –stopp–<br />
abend im hotel – stopp – mail an agentur: reisterrassen in longshen<br />
– stopp.<br />
198
Yao in LongShen<br />
M o n t a g, 13.09.2010<br />
check out 0700 – stopp – touragent wartet 260 Y – stopp – bus<br />
voll mit chinesen – stopp – wei aus shenzen, studentin, 32 jahre<br />
hilft englisch aus – stopp – 3 stunden busfahrt – stopp – yao village,<br />
minderheit – stopp – frauen tragen schwaqrze tracht und ungeschnitten<br />
lange schwarze haare – stopp – haarschnitt nur einmal<br />
im leben zur hochzeit – stopp – holzhäuser dreistöckig: unten stall,<br />
mittig wohnen mit tv, oben scheune/vorrat – stopp – 60 Y eintritt<br />
für kulturhaus – stopp – vorstellung für touris: landleben, gesang,<br />
arbeit am pflug – stopp – hochzeitszeremonie – stopp – mit yao luen<br />
verkuppelt – stopp – auf offener bühne – stopp – braut verschleiert,<br />
katze im sack – stopp – hochzeitsgeschenk silberring 50 Y – braut<br />
entschleiert: kl<strong>eine</strong>r knubbel – stopp – freundinnen prüfen, ob was<br />
dran und drin ist: kneifen in m<strong>eine</strong>n hintern – stopp – by the way:<br />
auch den geldbeutel – stopp – frauen wollen immer nur das <strong>eine</strong> –<br />
stopp – singe liebeslied: „es, es, es und es, es ist ein harter schluss“<br />
– stopp – trinke mit ihr reisswein in bruderschaft – stopp – trage sie<br />
auf händen über <strong>die</strong> schwelle – stopp – finde braut im gewühl der<br />
20 tänzerinnen nicht mehr wieder – stopp – ende <strong>eine</strong>r liebesgeschichte<br />
mit yao luen – stopp – applaus, brot des künstlers – stopp<br />
– wei ist stolz auf mich – stopp – erzähle ihr <strong>die</strong> geschichte im polynesischen<br />
restaurant auf den keys in florida – stopp – wechsel<br />
in kleinbus – stopp – auffahrt in weiteres bergdorf – stopp – 200 m<br />
höhe gewonnen über platten und treppen – stopp – schweiss treibend<br />
– stopp – regen meldet sich – stopp – platten glitschig – stopp<br />
– lunch mit klebreis und hühnchenklein in bambus – stopp – weiter<br />
aufstieg in <strong>die</strong> terrassen – stopp – yao frauen in kostümen 10<br />
Y – stopp – malerische bergwelt – stopp – mais- und reisterrassen<br />
wechseln sich ab – stopp – abstieg 1430 - stopp – hemd trocknet<br />
auf rückfahrt 1800 – stopp – erlebnisreiche tour – stopp – 2015 taxi<br />
zum bahnhof 15 Y – stopp – 2113 t 40 nach guangzhou 383 Y.<br />
199
Guangzhou/Kanton<br />
D i e n s t a g. 14.09.2010<br />
0915 guangzhou – stopp – millionenstadt am perlfluss – stopp<br />
– brütend heiss – stopp – zwei stunden nach hongkong – stopp –<br />
world leading hotel: weisser schwan – stopp – fahrkarte nach lhasa<br />
1530 Y – stopp – permit für tibet – stopp – frühstück mit genuss<br />
198 Y mit blick auf fluss – richtig ungetrübter blauer himmel –<br />
stopp – relax – stopp – monsunregen hagelt strassen voll – stopp –<br />
flaniere im hotel über drei etagen – stopp – happy hour am fluss<br />
mit long island ice „tea for 2“ 63 Y – stopp – „jade restaurant“ lockt<br />
nach all den chicken und nudeln – stopp – reizvolle traditionelle<br />
chinesische einrichtung mit zhong – stopp – aufmerksames personal:<br />
teezeremonie – stopp – wasser auf feuer – stopp – grüne teeblätter<br />
in schale – stopp – heisses wasser auf blätter – stopp – kurz<br />
ziehen lassen – stopp – in teekanne abschütten – stopp – in tässchen<br />
einschenken – stopp – tee heiss trinken – stopp – hochgenuss 20 Y<br />
– stopp – kalten tee wegschütten – stopp – krokodilsbrühe 20 Y –<br />
stopp – schmackhaft süsslich – stopp – chefkoch erscheint mit seegurke<br />
238 Y – stopp – pfannenheiss serviert – stopp – proteinschub<br />
– stopp – bewunderung vom nachbartisch – stopp – rind mit ginger,<br />
am tisch bereitet in tontopf 60 Y – stopp – berühmter mondkuchen<br />
aus guangzhou auf kosten des hauses – stopp – tolles kultiviertes<br />
abendessen – stopp.<br />
Guangzhou Aufbruch<br />
M i t t w o c h, 15.09.2010<br />
0500 mails erledigt – stopp – 0630 sonnenaufgang über dem<br />
fluss – stopp – 0700 schwimmen – stopp – 0800 nachrichten deutsche<br />
welle tv – stopp – gratulation zu friedel‘s film über islam –<br />
stopp – gruss an robin und richard in queenstown – stopp – 1100<br />
checkout – stopp – 15 minuten warten in schlange vor hotel auf taxi<br />
200
zum central bahnhof 21 Y – stopp – träger aufdringlich – stopp –<br />
rennt mit gepäck vorweg – stopp – 15 waggons – stopp – waggon 6<br />
liege 3 – stopp – waggonschaffnerin in militärischer grundhaltung<br />
– stopp – ärger mit träger – stopp – will 100 Y, gebe 20 Y – stopp<br />
– „guangzhou – lasa“ – stopp – 2 tage auf dem zug – stopp – abteil<br />
voll – stopp – strecke unglaublich: grosser bogen: guangzhou/<br />
perlfluss/guandong – stopp – changcha/seidenfluss/hunan – stopp<br />
– wuhan/yangtzi/hubei – stopp – zhengzhou/gelber fluss/henan –<br />
stopp – xi‘an/wei fluss/shaanxi – stopp – lanzhou/gelber fluss/gansu<br />
– stopp – xining/qinghai – stopp – lhasa/glücksfluss/tibet – stopp<br />
– fühle mich nicht recht fit – stopp – erkältung von der aircondition<br />
– stopp – harter husten – stopp – liebe leute aus lanzhou lll – stopp –<br />
aufgeregt – stopp – 1219 pfiff – stopp – endlich los – stopp.<br />
1400 – stopp – geschwindigkeit 100 – 120 km/h – stopp – elektrifizierter<br />
linksverkehr, normalschiene – stopp – landschaft lieblich:<br />
berge, seen, flüsse – stopp – viele lange tunnel – stopp – temperaturschalter,<br />
fernsehschirm für jede liege – stopp – kein programm<br />
– stopp – vorhänge, deckchen, puppenstube – stopp – lautes gespräch<br />
nervt – stopp – wechsel in den gang – stopp – musik aus lautsprechern<br />
– stopp – augen, nase triefen – stopp – anflug von kopfschmerzen<br />
– stopp – paracetamol – stopp – liege freigegeben – stopp<br />
– nachmittagsschlaf im rytmus der schienenklänge – stopp – 1550<br />
abteil erwacht – stopp.<br />
1800 ununterbrochene gleichförmige fahrt – stopp – unwirtliche<br />
rote erde – stopp – gesichtslose dörfer – stopp – 1810 kreuzen<br />
schnellbahntrasse nach hongkong – stopp – schaffnerin sammelt<br />
fahrkarten ein – stopp – gibt plastikkarten aus – stopp – notiert den<br />
namen – stopp – restaurantwagen gleich nebenan – stopp – übervoll<br />
mit zugpersonal – stopp – k<strong>eine</strong> be<strong>die</strong>nung – stopp – am buffetwagen<br />
5 bananen 10 Y – stopp – husten – stopp – lll laden zum<br />
geräucherten truthahn – stopp – frau spricht brüchig englisch –<br />
stopp – ich sage „sidje“ oder „bu“ – stopp – sie fährt in chinesisch<br />
fort – stopp – lustig – stopp – sprache schmerzt in den ohren – stopp<br />
201
– zunehmende mondsichel zeigt sich – stopp – wunderbarer reisetag<br />
– stopp – rauch der erntefeuer legt sich über felder – stopp<br />
– kopfschmerz – stopp – aspirin – stopp – elendes gefühl – stopp –<br />
ich schaffe <strong>die</strong> Höhe 3638 m – stopp – stimme krächzt – stopp – lll<br />
sorgen sich – stopp – kein abendessen heute – stopp – llll laben mich<br />
an warmem „blue ribbon“ bier – stopp – banane wohlschmeckend<br />
– stopp – student „so lasa no“ – stopp – schweige betroffen – stopp<br />
– alle diskutieren vor der abteiltür – stopp – schaffner ist dabei –<br />
stopp – ok ? alles ok – stopp – dränge auf schlaf – stopp – lösche licht<br />
– stopp – schlaf 2100 – stopp.<br />
Quer durch China<br />
D o n n e r s t a g, 16.09.2010<br />
0630 morgenwäsche – stopp – offene saubere waschabteile –<br />
stopp – blasenentleerung – stopp – unterdrucksystem mit französischem<br />
hockklo – stopp – morgennebel wabern – stopp – fahren nach<br />
westen xi‘an – stopp - wasserkanäle auf stelzen – stopp – atommeiler<br />
mit kühlwasserkanal – stopp – sonne lichtet nebel – stopp<br />
– pappelwälder – stopp – lössboden – stopp – husten löst sich – stopp<br />
– ling, yi, er, ssha, sshi, wu, liau, tji, djiao, sche – stopp – zhong guo<br />
ist china – stopp – 18 ° im zug – stopp – tiefe schluchten im gelben<br />
löss – stopp – unbewohnbar, unbebaubar – stopp – bahngleise <strong>gegen</strong><br />
erdrutsch gesichert – stopp – drainage schützt <strong>die</strong> lösswände<br />
– stopp – alle vier machen es sich auf den unteren betten bequem<br />
– stopp – „wo deguo ren“ ich bin deutscher – stopp – 0915 sonne<br />
wärmt – stopp.<br />
1330 schwein mit pilzen 32 Y – stopp – plastitktee – stopp –<br />
smogbrühe wie in peking airport – stopp – frischer wind bläst<br />
durch <strong>die</strong> täler – stopp – lehmziegeldörfer aus „mutter erde“<br />
– stopp – chinesen genetisch auf kampf eingestellt – stopp – konfuzianische<br />
ordnung – stopp – daoistisches chaos – stopp – suche<br />
nach wohlwollender herrschaft – stopp – seit qing‘s dynastie 221<br />
202
v. Chr. – stopp – als ideal nie erreicht – stopp – unvereinbare kulturelle<br />
identifikation zwischen ost und west – stopp – in ethik wie<br />
in filosofie wie kultur – stopp – erst recht in unserem verständnis<br />
von zivili-sation – stopp – exekution statt kommunikation – stopp –<br />
starker tobak nach fünf besuchen in „land der mitte“ – stopp – sonne<br />
bricht durch dicke luft – stopp – fragile landschaft – stopp – noch<br />
2:30 bis lanzhou, der mitte chinas – stopp 1430 – <strong>die</strong> lösslösung:<br />
terrassenbau – stopp – jede noch so kl<strong>eine</strong> fläche eingeebnet – stopp<br />
– wein- und obstbau im spalier – stopp – ärmliche <strong>gegen</strong>d – stopp<br />
– lll lesen „global history“ – stopp – weltgeschichte auf 339 seiten<br />
– stopp – entdecke stromleitung im flur – stopp – einsatz gelingt –<br />
stopp – neue kraft für netbook nach 30 stunden – stopp – toilette<br />
unvermeidlich – stopp – kein vergleich mit transsib – stopp – chinesenwagen<br />
sauber – stopp – lese chinesische geschichte neu – stopp –<br />
lll bereiten sich auf ausstieg vor – stopp – freundliches a<strong>die</strong>u 1830<br />
in lanzhou – stopp.<br />
1930 qinghai unbekannte grosse provinz – stopp – „grüner see“<br />
150 km lang – stopp – ansonsten mehr sand– und steinwüste – stopp<br />
– bauern schützen aussaat vor erosion durch kl<strong>eine</strong> lehmmauern<br />
– stopp – schnellstrassen auf stelzen lassen städte unter sich – stopp<br />
– typenwechsel bei passagieren – stopp – gesichter gröber – stopp<br />
– betten werden neu gerichtet – stopp – 2100 xining – stopp – 2<br />
schwaben im abteil – stopp – hallo und hanoi – stopp – fröhliche<br />
gesichter – stopp – unruhiges dämmern – stopp – druck auf den<br />
ohren – stopp – es geht auf <strong>die</strong> qinghai ebene – stopp – 4000 m<br />
hoch – stopp – horche nach innen – stopp – funktioniert alles – stopp<br />
– schaffnerin lässt gesundheits-erklärung unterschreiben – stopp<br />
– sauerstoffmaske bestellen – stopp – schnief, husten, bewegung,<br />
nein – stopp – auf geht‘s, starkes herz, du schaffst das – stopp –<br />
3000 m pässe in europa -stopp – stilfser joch – stopp – was sind<br />
da 5000 m – stopp – schweres gewitter im gebirge – stopp – danach<br />
nachtschwarzerer mondschein ohne sonate – stopp – schnarcher<br />
sind eingetrudelt – stopp – blinder passagier schleicht sich auf<br />
bett 2 – stopp – nachtstopp auf grell beleuchtetem terrain – stopp<br />
– <strong>die</strong>selloks vorgespannt – stopp – steigen immer weiter an – stopp<br />
203
– 0430 unruhiger flur – einzelne passagiere finden k<strong>eine</strong>n schlaf<br />
– stopp – andere leiden unter übelkeit – stopp – verdauung funktioniert<br />
wunderbar – stopp – morgengrau – stopp.<br />
Über den Tanggula Pass<br />
Fr e i t a g, 17.09.2010<br />
0720 erwachen in den wolken – stopp - permafrostlandschaft<br />
– stopp – wasserlachen in braungelbem sand – stopp – zug<br />
fährt auf festem damm und stelzen wechselnd – stopp – zaun links<br />
und rechts – stopp – verhindert wildwechsel über schienen – stopp<br />
– 7 damwild äsen – stopp – krähen besetzen <strong>die</strong> masten – stopp -<br />
wüstenei wie in island – stopp – in der ferne nomadenzelte – stopp<br />
– 4wheeldrive davor – stopp – frühstück 20 Y – stopp – reissuppe,<br />
gebratene nudeln mit ei und ginger – stopp – wasserkanalisierung<br />
– stopp – schneefelder am horizont – stopp – strasse parallel zur<br />
bahnstrecke auf damm – stopp – 60 tonner und busse verkehren<br />
– stopp – vereinsamte tankstelle – stopp – rätselhafte kl<strong>eine</strong> rechteckige<br />
steinfelder – stopp – gelände für aussaat, erosionsschutz –<br />
stopp – kein fruchtbarer 90er boden – stopp – 0901 erste yakherde<br />
– stopp – molkerei anbei – stopp – sonne scheint unter weiss blauem<br />
himmel – stopp – oktoberfest kann beginnen – stopp.<br />
1032 schneeberge kommen näher – stopp – wir steigen immer<br />
noch 4614 m – stopp – 1155 4800 m schneegrenze erreicht<br />
– stopp – frischer schnee – stopp – von 32 ° auf 0 ° in 24 stunden –<br />
stopp – tanggula pass 5026 m – stopp – wolken hängen tief – stopp<br />
– 122 3 4900 m – stopp – all systems run – stopp – yoghurt 5 Y zu<br />
mittag – stopp – lese loose „tibet“ – stopp – höhepunkte potala, jokhang,<br />
norbulingka und <strong>die</strong> pilgerwege – stopp – lhasa „stadt der<br />
götter“mythisches erlebnis – stopp – tor zum kailash und mount<br />
everest – stopp – shangri-la „stätte des ewigen glücks“ nicht weit<br />
– stopp.<br />
204
1500 naqu 4600 m – stopp – sanfte graslandschaft – stopp – fragile<br />
decke – stopp – dichte schaf- und yakherden – stopp – farmer<br />
mit motorrad nebenbei – stopp – wolken, blauer himmel – stopp –<br />
temperatur um <strong>die</strong> 20 – stopp – friedliche,fröhliche gefühle: geschafft<br />
– stopp – k<strong>eine</strong>rlei ausfall bei 5000 m – stopp – freude paart<br />
sich mit der weite – stopp – am horizont zeichnen sich <strong>die</strong> 8000er<br />
ab – stopp – geografischer „höhen“- und persönlicher höhepunkt<br />
– stopp – lhasa ist dalai lama – stopp – lhasa ist freiheitskampf der<br />
tibeter „free tibet now“ – stopp – lhasa ist gelbmützenträchtig –<br />
stopp – lhasa ist heilige stätte der buddhisten – stopp – 1800 lhasa:<br />
ich bin am ziel – stopp – 4800 km.<br />
205
LongShen – 206 Yao Mädchen
Guilin Bambusboot auf dem Jiang Li<br />
207
Yangzhuo Kormoranfischer<br />
208
YangShou – Wasserbüffel 209 beim Bad
210
Kapitel 8<br />
Tibet<br />
211
Stadt der Götter - Lhasa<br />
S a m s t a g, 18.09.2010<br />
Der Barkhor, das ist natürlich der erste Schritt am Morgen<br />
um 0732, einmal mit den Hunderten an Pilgern 800 m um den<br />
Jokhang, das höchste Heiligtum des tibetischen Buddhismus. Das<br />
Frühstück im „Thangka“,schönes Bild, verflüchtigt sich vor dem<br />
Hintergrund <strong>die</strong>ses morgendlichen Aufbruchs – <strong>eine</strong> Tasse Buttertee<br />
muss gleichwohl zur rechten tibetischen Einstimmung her<br />
und ich sage, der Geschmack des aus schwarzem Tee und Yakbutter<br />
geschlagenen tibetischen Nationalgetränk ist k<strong>eine</strong>sfalls<br />
schlechter als er allenthalben beschrieben wird. Ein bisschen Salz<br />
gibt ihm noch ein wenig mehr Pep, aber der Energieschub ist immens.<br />
Und den brauche ich heute früh.<br />
Schon gestern abend, als ich nur m<strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n 20 kg Koffer<br />
aus dem Zug auf den neuen grossen Bahnhof von Lhasa hebe, bemerke<br />
ich jene Gleichgewichtsstörungen, <strong>die</strong> mir anzeigen, dass<br />
<strong>die</strong> Luft auf 3658 m Höhe doch dünner ist. Im Liegen habe ich das<br />
nicht wahr genommen, hier aber stecke ich es weg, als „Shiao Yu“,<br />
<strong>die</strong> „kl<strong>eine</strong> chinesische Jade“ mich strahlend mit <strong>eine</strong>m „herzlich<br />
willkommen“ und <strong>eine</strong>m weissen Gebetsschal noch auf dem Marmorbahnsteig<br />
empfängt. Sie spricht enorm gut deutsch gemessen<br />
an der Tatsache, dass sie, 26, aus Xi‘an/Saan‘xi, nach der Oberschule<br />
nur noch ein Jahr Deutsch in <strong>eine</strong>m Institut lernte. Deshalb<br />
schlägt sie auch nicht aus mich zum Abendessen ins „Lhasa<br />
Kitchen“ zu begleiten, nachdem uns Laben, der tibetische Fahrer,<br />
rechtzeitig am Thangka Hotel inmitten der Altstadt abgesetzt und<br />
ein kultischer Tanz mit zwei Yakbüffeln zusammen mit <strong>eine</strong>m Bus<br />
Finnen empfangen hat. „Momo Yak“ ein Yak Dim Sum in Reispapier<br />
25 Y lockt mich mehr als <strong>die</strong> „Tsampa“ 10 Y, <strong>eine</strong> tibetische<br />
Gerstensuppe – sie erinnert mich an <strong>die</strong> Nachkriegssuppen im<br />
Münstereifeler Internat mit den „faulen Zähnen der Schwestern“.<br />
Die Nacht wird unruhig, zum <strong>eine</strong>n ist <strong>die</strong> mailbox vom Betreiber<br />
aus Gründen gesperrt, <strong>die</strong> mir nicht bekannt sind, zum anderen<br />
wegen der im Kopf noch nicht recht verarbeiteten Luftnot –<br />
212
das gibt sich nach 4 Tagen, schreibt Stefan Loose mir Mut zu. Aber<br />
dann lande ich mit all den tibetischen Pilgern vor dem Jokhang<br />
am Barkhor Platz. Die Feueröfen qualmen mächtig, <strong>die</strong> Pilger unterhalten<br />
das Feuer mit Weihrauchzweigen, ein Helfer schiesst<br />
Wasser nach, damit <strong>die</strong> Flamme nicht ausschlägt, der Rauch noch<br />
dichter wird und <strong>die</strong> Gebete flüchtig fliehen. Eine lange Schlange<br />
bahnt sich den schmalen Weg zum Eingangstor des Tempels, während<br />
der grosse Rest sich eiligen Schritts im Uhrzeigersinn um das<br />
Heiligtum bewegt – <strong>eine</strong> Handorgel, <strong>eine</strong> grösssere hüftgestützte<br />
Handorgel, <strong>die</strong> Gebetsschnüre mit den 108 Gebetsperlen, sie alle<br />
begleiten <strong>die</strong> Pilger, einzelne werfen sich im Angesicht des Tempels<br />
zu Boden und zeigen ihre andächtige Demut. Andere be<strong>die</strong>nen<br />
<strong>die</strong> Reihen an Gebetsmühlen, <strong>die</strong> an Rundläufen angebracht<br />
<strong>die</strong> Summe der Gebete mit jeder Umdrehung vervielfachen. Ich<br />
bin betroffen und gerührt von derartig unvermittelter Frömmigkeit:<br />
und fröhlich lächeln <strong>die</strong> tibetische Gesichter unter Filzhüten<br />
– Gelbmützen mischen sich unter <strong>die</strong> Pilger in den Rundlauf. Die<br />
blaue Polizei ist all<strong>gegen</strong>wärtig, sie sitzt in kl<strong>eine</strong>n Dreier- oder<br />
Vierergruppen an strategischen Eckpunkten gelangweilt und tatenlos<br />
bei <strong>eine</strong>m Tee unter „Coca-Cola-Zelten“, <strong>die</strong> schwarze Polizei,<br />
„security“ am Arm, läuft mit den Pilgern mit. Die tibetischen<br />
Pilger nehmen k<strong>eine</strong> Notiz von den chinesischen „Tempelwächtern“,<br />
<strong>die</strong> nach den Erfahrungen von 2008 noch öffentlicher ihren<br />
Anspruch zeigen, jede tibetische Reaktion im Keim zu ersticken.<br />
Es nieselt, ein Blick noch in <strong>die</strong> Auslagen der kl<strong>eine</strong>n Läden<br />
entlang der Pilgerstrasse, ein Foto noch mit jener Pilgerin, <strong>die</strong> den<br />
gesamten Barkhor Platz mit s<strong>eine</strong>n 300 m Körpermass um Körpermass<br />
durchmisst, ehe sie sich vor dem Heiligtum in den Kreis<br />
der Betenden einreiht: „om ma ni pad me hum“, <strong>die</strong> dunklen sechs<br />
Silben aus dem indischen Sanskrit umgeben mich in <strong>eine</strong>m einzigen<br />
tief gemurmeltem Orgelton. Es raunt – Tibet, mein Traum<br />
wird wahr.<br />
1000 Aufbruch im Mini zum Kloster Drepung, dem mit einstmals<br />
10.000 Mönchen grössten Kloster der Welt, wo <strong>die</strong> ersten<br />
vier Dalai Lamas resi<strong>die</strong>rten, nachdem der Mönch Tsongkhapa im<br />
213
Gelbmützenorden religiöse und weltliche Macht in den Dalai und<br />
Pantschen Lama zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit der Gründung<br />
des Klosters Ganden 1406 vereint hatte. Drepung, 1416 gegründet,<br />
zeigt uns Tsongkhapa als Graffiti am Fels und mit den anderen<br />
Lamas im Dukhang, der grossen Versammlungshalle. Für m<strong>eine</strong><br />
kl<strong>eine</strong> Jade kein Aufhebens wert – in <strong>die</strong> offenen Kapellen dürfen<br />
nur Männer eintreten. Mein „Buddhismus ist <strong>eine</strong> Männerangelegenheit“<br />
kontert sie „es gibt auch Frauenklöster“ – in Worten eins.<br />
Überhaupt habe ich m<strong>eine</strong>n Gefallen an ihrem Wissen um Buddhismus<br />
im Allgem<strong>eine</strong>n, dem tibetischen im Besonderen. Gelegentlich<br />
machen uns <strong>die</strong> unterschiedlichen Namen Beschwer, uns<br />
auf <strong>eine</strong> Version zu einigen. So benutze ich den indischen Pali-<br />
Namen der Mutter Buddha‘s „Maya“, sie verwendet den mythologischen<br />
„Vijaya“, den Platz der Erleuchtung platziere ich unter<br />
den Boddhi-Tree nach Bodh-Goya in In<strong>die</strong>n, was ihr ebensowenig<br />
sagt wie Sarnath, dem Ort, an dem er s<strong>eine</strong> ersten fünf Schüler<br />
versammelt. Bezeichnend das geringe Parallelwissen in der Ausbildung,<br />
das Kenntnis anderer Länder bedingte.<br />
Auf der Rückfahrt erwartet uns der Sommerpalast des 14. und<br />
heutigen Dalai Lama, <strong>eine</strong>r Inkarnation des Boddhissattva‘s Avalokiteshvara,<br />
den er sich 1956 errichten liess, ehe er anlässlich<br />
der Unruhen im März 1959 das Land verliess. Der Norbulinghka<br />
ist ein Edelstein in der Parkkultur Lhasa‘s, des um Wohn- und<br />
Industrieparks vergrösserten Dorfs. Ein Tronsitz ist vorgerichtet,<br />
ebenso wie ein Schlaf- und Au<strong>die</strong>nzzimmer, mit Lacktapeten verziert,<br />
auf denen Geschichten aus dem Leben des 14. Dalai Lamas,<br />
Buddhas und Tsongkhapas erzählt werden. Selbst <strong>die</strong> Mutter des<br />
Dalai hatte <strong>eine</strong>n Raum im Haus, den sie allerdings am Abend<br />
wieder verlassen musste. Wenn m<strong>eine</strong> Idee Früchte trägt, lassen<br />
<strong>die</strong> Chinesen dem Dalai Lama und den Tibetern wieder Haus und<br />
Herrschaft, wenn dafür Tibet auf <strong>eine</strong> territoriale Ausgrenzung<br />
verzichtet. Denn <strong>die</strong> Idolwirkung <strong>die</strong>ses hochverehrten Menschen<br />
ist unschätzbar für <strong>die</strong> Einheit <strong>die</strong>ses Volkes; ich spüre sie,<br />
wenn auf Stühlen und Tischen <strong>die</strong> Geldsch<strong>eine</strong> sich häufen und<br />
zwischen all den tastbaren Gegenständen <strong>die</strong> Tibeter ihre Gebete<br />
214
verrichten. Von der Spiritualität <strong>die</strong>ses Menschen geht <strong>eine</strong> unverrückbar<br />
<strong>eine</strong>nde Kraft aus, <strong>die</strong> mich an <strong>die</strong>sem Ort gefangen<br />
nimmt. Kl<strong>eine</strong> Jade geht darauf nicht ein.<br />
Wir kehren in „Lhasa‘s Steak House“ ein. Eine Touristenschwemme.<br />
Die schwemmen anschliessend auch zum Kloster<br />
Sera, das dritte der grossen Lhasa-Klöster. Ein Schutzgeist für<br />
Kinder zieht hier <strong>die</strong> Massen an – <strong>die</strong> Kinder ersch<strong>eine</strong>n alle wieder<br />
mit schwarzen Nasen, <strong>die</strong> sie mit Stolz vor sich her tragen.<br />
Mittlerweile hat Lhasa sein sommerliches Gesicht aufgesetzt<br />
– Wolken spielen mit dem tiefen Blau des Himmels. Es herrscht<br />
ein herbstliches Klima wie in Deutschland, schöne <strong>Reise</strong>zeit. In<br />
der Sonne dann auch <strong>die</strong> Überraschung – ich habe noch nie <strong>eine</strong><br />
öffentliche Diskussionsveranstaltung gesehen, in der filosofische<br />
und andere Temen im Frage- und Antwortspiel der Mönche ausgetragen<br />
werden; <strong>die</strong> Novizen stehen, <strong>die</strong> Mönche sitzen. Mit s<strong>eine</strong>r<br />
Frage ist jedes Mal ein kräftiger Ausfallschritt nach vorn und<br />
ein kräftiger Handschlag verbunden, der dem retorischen Gehabe<br />
<strong>eine</strong> natürliche Dramatik verleiht. Schön <strong>die</strong> Szenen, wenn junge<br />
westliche Rucksackreisende sich in <strong>die</strong> Diskussion einbringen.<br />
Kontrollierte Erregung prägt zwei Stunden Fragen nach der<br />
Wahrheit – ich fühle mich zu Hause, wüsste gern um <strong>die</strong> Antworten.<br />
Der Diskurs übt auf mich <strong>eine</strong> Faszination aus wie jenes französische<br />
Buch <strong>eine</strong>r Diskussion über buddhistische und westliche<br />
filosofische Weltsicht, <strong>die</strong> zwischen Sohn und Vater ausgetragen<br />
wird.<br />
Im Abendglanz liegen Barkhor und Jokhang, in Fünferrotte<br />
marschieren chinesische Soldaten in vollem Drillisch unter Gewehr<br />
mit Schutzweste über den Platz. An jeder Ecke der Altsstadt<br />
dasselbe Bild: Abgeteilt hinter Ketten unter Sonnenschutzvorrichtungen<br />
5 Gelbnasen unter Waffen. Der Zorn wächst. Das freundliche<br />
„Hallo“ hier und „Mister“ da lässt mich noch mehr mit <strong>die</strong>sen<br />
liebenswerten Menschen leiden. Nun endlich auch habe ich <strong>die</strong><br />
Gewissheit, ein tibetisches Gesicht von <strong>eine</strong>m Han-Chinesengesicht<br />
unterscheiden zu können – neben all den Einzelstücken, <strong>die</strong><br />
Tibeter auszeichen: Hut, Haarzopf, Gebetsmühle, lange Kleider,<br />
215
Männer in schwarz, gross, kräftig, mit rotem Band im Haar ... <strong>die</strong><br />
Pilger runden den Jokhang immer noch wie am frühen Morgen.<br />
Oh ma ni pad me hum<br />
S o n n t a g, 19.09.2010<br />
Einmal noch den Potala umrunden – mit dem 2500 m Spaziergang<br />
schliesse ich den sonnigen Sonntag bei 20 °C an jenem<br />
Ort ab, an dem er begonnen hat. In gelbem Abendlicht wirkt er<br />
vom Potala Platz aus noch mächtiger mit s<strong>eine</strong>n 113 Höhenmetern,<br />
mit denen er sich eindrucksvoll über <strong>die</strong> Stadt erhebt. Das macht<br />
<strong>die</strong>ser Ort eigentlich schon seit 641 n. Chr., als Kaiser Sung Tsen<br />
Gampo auf dem Roten Berg s<strong>eine</strong>n „Potala“ Palast als feste Burg<br />
errichtete. In den kriegerischen <strong>Zeit</strong>en der mongolischen Yüanund<br />
Ming-Dynastien geplättet, erstrahlt das rot-weisse Gebäude<br />
als Summe religiöser und weltlicher Macht erst seit 1645, als der<br />
5. Dalai Lama ihn als Sitz bestimmte und über 13 Stockwerke mit<br />
2000 Räumen, Kapellen, Hallen, Höfen auf 400 x 350 m ausbaute.<br />
Zu s<strong>eine</strong>n Füssen das „Schneedorf“, in dem <strong>die</strong> ArbeiterInnen<br />
wohnen, <strong>die</strong> ständig am Gebäude arbeiten, denn <strong>die</strong> privilegierte<br />
Bauweise des Dalai Lama, <strong>die</strong> roten „Mauern“ aus <strong>eine</strong>r Art Reetholz<br />
zu errichten, verlangt spätestens nach 5 Jahren <strong>die</strong> Restaurierung.<br />
Beschwerlich der Anstieg vom Osttor über Treppen und<br />
Steigen durch den weissen Palastteil, der der Unterkunft der Verwaltungsbeamten<br />
und ihren Büros <strong>die</strong>nte. Ein Hof sieht auch heute<br />
noch beim Neujahrsfest buddhistische Festlichkeiten, denen<br />
der Dalai Lama vom obersten, gelb eingefassten Balkon bis 1959<br />
beiwohnte. Steile Treppen schleppen sich <strong>die</strong> Tibeter im Innern<br />
hoch, <strong>die</strong> Alten wie <strong>die</strong> Jungen. Sie tragen Kannen von Butteröl<br />
mit sich, mit dem sie <strong>die</strong> Butterleuchten füttern und gleichzeitig<br />
sich als „Opfer verbrennen“. Die Spendengelder, <strong>die</strong> sich an fast<br />
jedem auffälligen Platz, an jeder Statue und Stupa finden, rei-<br />
216
chen vom Jiao (0,1 Yüan) bis 100 Yüan. Die tiefste Ehrerbietung<br />
finde ich an den Stupas, <strong>die</strong> inmitten des Potala <strong>die</strong> mumifizierten<br />
Körper des 5. bis 13. Dalai Lama enthalten – mit Ausnahme des 6.,<br />
der irgendwie verschwunden ist, weil sich das Orakel bei der Auswahl<br />
vertan hatte, erklärt mir m<strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Jade. Wir durchstreifen<br />
in <strong>eine</strong>r vorgegebenen Besucherstunde – überschreiten kostet<br />
1000 Y – 35 kl<strong>eine</strong> Kapellen, vier Meditationshallen, in denen<br />
<strong>die</strong> Mönche meditieren, während <strong>die</strong> Pilger <strong>die</strong> Halle umrunden.<br />
Höhepunkte aber sind <strong>die</strong> Grabchorten der Dalais, wobei <strong>die</strong> des<br />
5. und Gründers mit 14,85 m natürlich <strong>die</strong> höchste Stupa erhält,<br />
knapp gefolgt von dem 13., dessen Stupa 14,00 m erreicht. Skulpturen<br />
der befreundeten Qing-Dynastie – der Kaiser mit s<strong>eine</strong>r chinesischen<br />
Frau und s<strong>eine</strong>r nepalesischen Gemahlin - finden sich<br />
ebenso wie <strong>die</strong> reich mit Türkisen, Achaten, Korallen und Perlen<br />
geschmückten Kapelle des Boddhisatva Avalokiteshvara, dem<br />
„Lehrer der Barmherzigkeit“.<br />
Um Erbarmen muss auch ich in <strong>eine</strong>m Einwurf bitten mit <strong>eine</strong>r<br />
Reflektion m<strong>eine</strong>r zivilisatorischen, christlich-abendländisch<br />
geprägten Arroganz. Nun wähnte ich, dass m<strong>eine</strong> Aufnahmefähigkeit<br />
für asiatische Mentalität und Kultur nach 40 Jahren einigermassen<br />
gestärkt ist. Das ist leidlich unbestreitbar, soweit<br />
es für mich gilt. Ich beschreibe <strong>die</strong> Kulte, weiss um <strong>die</strong> Lehren<br />
und Schulen einigermassen bescheiden Bescheid, mag mich Sitten<br />
und Gebräuchen suchend anzupassen und einzufügen – und<br />
trotzdem bleibe ich immer „ich“. Ich komme nicht raus aus m<strong>eine</strong>m<br />
Sack: Wir benutzen <strong>die</strong>selben Begriffe, aber sie haben nicht<br />
<strong>die</strong> gleichen Inhalte und Definitionen, wenn es denn im asiatischen<br />
Denken überhaupt der Definition bedarf. Denn <strong>die</strong> wortscharfe<br />
Abgrenzung westlicher Dialektik ist als Gebilde der Aufklärung<br />
dem asiatischen Denken fremd und daher praktizierte<br />
Ausgrenzung, wo <strong>die</strong> asiatische Mentalität/Kultur/Filosofie/Sitte/Religion<br />
eher sich widerspruchsfrei einrichtet – musjawarah.<br />
So bleiben wir einander unüberbrückbar fremd, selbst wenn wir<br />
<strong>die</strong> gleiche Sprache mit den gleichen Begrifflichkeiten benutzen:<br />
Sie lösen jeweils andere, auch <strong>gegen</strong>läufige Assoziationsprozesse<br />
217
aus. Da bleibt nur „Freundlichkeit als einzige Währung“, um <strong>die</strong>sen<br />
Grundkonflikt <strong>eine</strong>r west-östlichen Begegnung zu begrenzen.<br />
Und das wiederum gelingt mit den freundlichen Wesen in Tibet<br />
unvergleichlich gut.<br />
Das zeigt sich schon beim zweiten Besuch im „Lhasa Kitchen“<br />
– um Rheinländern das Missverständnis zu ersparen, es handelt<br />
sich nicht um <strong>die</strong> Vollzugs-, sondern um <strong>eine</strong> Essensanstalt. Beim<br />
ersten Abendbesuch hat Murl, der „Chefober“, m<strong>eine</strong>n krummen<br />
Daumen an der rechten Hand bemerkt – nun begrüsst er mich mit<br />
s<strong>eine</strong>m gebogenen Daumen an m<strong>eine</strong>m Daumen, is was?<br />
Der Jokhang Tempel – um ein Kloster zu sein bedarf es der<br />
Dreiheit Mönche, Buddhas, Schriften – schon vom Kaiser Sung<br />
Tsen Gampo erbaut, hat s<strong>eine</strong> Bedeutung durch den äusseren,<br />
mittleren und inneren Pilgerweg, <strong>die</strong> beschritten werden, um<br />
sich der Schatzstatue zu nähern, <strong>eine</strong>r Wiedergabe des schon<br />
bekannten Avalokiteshvara, <strong>die</strong> von dem Buddha Shakyamuni<br />
– dem echten Prinzen Gautama Siddharta Buddha * 624 v. Chr. -<br />
selbst ausgewählt und berührt worden „ist“ – ich habe gelernt und<br />
nicht geschrieben „worden sein soll“, um m<strong>eine</strong> Distanz sichtbar<br />
zu machen, nein, das war so, das ist so, das bleibt so, wofür sonst<br />
gibt es <strong>die</strong> Buddhas der Zukunft und der Vergangenheit, wenn du<br />
nicht einmal <strong>die</strong> Vergangenheit mit der Gegenwart zu verknüpfen<br />
vermagst. Ich glaube, ich werde nach m<strong>eine</strong>r Rückkehr sanfter<br />
mit m<strong>eine</strong>n gläubigen Mitmenschen umgehen, als sich Richard<br />
Dawkins das in s<strong>eine</strong>m „Gotteswahn“ vorstellen mag. Damit hat<br />
sich <strong>die</strong> Bedeutung <strong>die</strong>ses allerheiligsten Platzes des tibetischen<br />
Buddhismus – hier hat Buddha selbst Hand angelegt. Der Ausblick<br />
vom Dach des Tempels ist grandios in <strong>die</strong>sem Licht. Ich beginne<br />
<strong>die</strong> Dimension <strong>die</strong>ser nie zuvor erlebten gelebten Frömmigkeit zu<br />
erahnen, wenn ich <strong>die</strong> Armen und Kranken, Mühseligen und Beladenen<br />
auf ihrem raschen Weg auf dem Barkhor um den Tempel<br />
murmelnd laufen, betend sich niederfallen lassen sehe, um in der<br />
Menge der Demut jenes Karma – kl<strong>eine</strong> Jade übersetzt es mit „Körperenergie“,<br />
ich denke „Energie“ geht in Ordnung, eher „Lebensenergie“,<br />
<strong>die</strong> ich für m<strong>eine</strong> guten Taten und Gebete mit in mein<br />
218
neues Leben nach der Wiedergeburt mitnehme – zu sammeln, das<br />
mich dem Ziel buddhistischen Glaubens, dem „Nirwana“, näher<br />
bringt, frei von Schmerz und Leid, aber auch von Freude und Lachen,<br />
dem „Zustand seligen Nichtsseins“.<br />
Auf <strong>die</strong>sen Weg mache ich mich am Nachmittag, vorbei an all<br />
den exklusiven Läden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> modisch gekleideten Chinesinnen<br />
füttern, hin zu jenem wehrhaft von Spitzeln und Soldaten gleichermassen<br />
besetzten Potala Platz zu Füssen des Palastes, der von<br />
<strong>eine</strong>m künstlich monströs angelegten Park umgeben wird. Ich<br />
umkreise ihn, gleichermassen <strong>die</strong> Gebetsmühlen be<strong>die</strong>nend, mit<br />
denen ich Dank sage für das berührende Lhasa- und Tibeterlebnis<br />
und mit jeder Gebetsperle nach <strong>eine</strong>r zutreffenden Übersetzung<br />
für mein Mantra „Om ma ni pad me hum“ suche, das wiederum<br />
m<strong>eine</strong>m Liebling Avalokiteshvara zugeschrieben wird – warum<br />
eigentlich soll ich das übersetzen je nach buddhistischer Schule<br />
und Herkunft, warum eigentlich reduzieren auf den „kostbaren<br />
Juwel-Lotus“, wenn es doch durch <strong>die</strong> Definition von s<strong>eine</strong>n<br />
durchwachsenen Silben-Inhalten nur verlieren kann wie „om“ ~<br />
Grosszügigkeit, Barmherzigkeit, Güte, „ma“ ~ Ethos, Gesittung,<br />
Gesinnung, „ni“ ~ Geduld, Langmut, Vergebung, „pad“ ~ Klugheit,<br />
Wissen, Aufmerksamkeit, „me“ ~ Besitzlosigkeit, Opferbereitschaft,<br />
Almosen, „hum“ ~ Weisheit, Denken, Versenken. Da finden<br />
sich dann <strong>die</strong> zehn Gebote für Juden- und Christentum ebenso<br />
wieder wie <strong>die</strong> fünf Gebote des Islam; <strong>die</strong> sechs Farben des Buddhismus<br />
rot, blau, gelb, grün, weiss und schwarz spiegeln sich darin<br />
wider wie <strong>die</strong> Elemente, <strong>die</strong> im asiatischen neben Erde, Feuer,<br />
Luft und Wasser um „Raum / Kosmos“, <strong>die</strong> Jahreszeiten, <strong>die</strong> im<br />
asiatischen um den „Spätsommer“, <strong>die</strong> Himmelsrichtungen, <strong>die</strong><br />
im asiatischen noch um <strong>die</strong> „Mitte“ erweitert werden.<br />
Ein Trishawfahrer nimmt mir <strong>die</strong> Last der letzten drei Kilometer<br />
für 20 Y ab, spielt mit s<strong>eine</strong>n Kollegen Wettrennen, um gleichzeitig<br />
mir <strong>die</strong> Zahl „30“ zuzuraunen. Als er mich absetzt, umringt<br />
mich <strong>eine</strong> Schar Kinder „Hello, Mister, where do you live ?“: „Lhasa<br />
!“ – erstaunte Gesichter, na gut „Germany, over the mountains“<br />
– wissendes Nicken, sie stecken <strong>die</strong> Köpfe zusammen „My english<br />
219
name is Lilly“,“well, I‘m Albert“ – sie sind‘s zufrieden und schenken<br />
mir ihr Lächeln in <strong>die</strong> Kamera. Die neugierigen Zuschauer<br />
<strong>die</strong>ser kl<strong>eine</strong>n Szene verziehen sich schlagartig, als der schwarze<br />
Polizist sich nähert und Gruppenaufruhr wittert. DDR-Bürger<br />
durchleben hier ihre Vergangenheit.<br />
Der Tag rundet sich bei <strong>eine</strong>m Nepali-Essen. Das tibetische<br />
Essen ist nicht sehr scharf, eher süsslich. Und Lhasa ist von der<br />
Deutschen Altenhilfe erobert, in Gruppen sind sie erträglich. In<br />
Deutsch debattiere ich auch mit zwei Schweizern, Vater und Sohn<br />
aus Früchtig/Berner Oberland im „Lhasa Kitchen“, wo wir auf der<br />
Basis der Chaostheorie nach jenem festen Punkt auf der Erde suchen,<br />
von dem aus wir sie aus den Angeln heben – recht glücklich<br />
finde ich Schlaf in der Freude auf den morgigen Picknick Ausflug<br />
über <strong>eine</strong>n 5000 m Pass zum heiligen See YamRok Tso.<br />
Am Heiligen See<br />
M o n t a g, 20.09.2010<br />
Leise bewegt sich der Vorhang vor dem offenen Fenster, <strong>die</strong><br />
Winde kündigen das abendliche Gewitter in der Ferne an – 2022<br />
<strong>die</strong> Bürgersteige sind hochgezogen, <strong>die</strong> Läden weitgehend ge- und<br />
verschlossen, <strong>die</strong> Marktstände um den Barkhor abgebaut. Chinesische<br />
Geschäftstüchtigkeit ist den Tibetern fremd, vielleicht<br />
auch aus Sicherheitsgründen verboten. Gelassenheit und Musse<br />
zeichnen ihren Alltag. Gelassenheit und Langsamkeit muss auch<br />
ich praktizieren, wenn ich nicht in Atemnot geraten will; schon<br />
<strong>eine</strong> schiefe Kopfhaltung verschliesst Teile der Luftröhre und<br />
mindert <strong>die</strong> Aufnahme verwertbaren Sauerstoffs, Panikreaktionen<br />
gilt es im Kopf zuvor zu kommen.<br />
Und heute war Luftnot angesagt – ich war im Himalaya:<br />
HIMALAYA – wie das klingt, nah dem Himmel, Passhöhe 4900<br />
m, der Mini schleppte sich um 0805 aus der Stadt in Richtung<br />
Westen, passierte mehrfach Polizeikontrollen – k<strong>eine</strong> Gebühren,<br />
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aber Notierungen der Autokennzeichen und Fahrer sowie Insassen,<br />
wer sich wohin bewegt. Welche Ressourcen- und <strong>Zeit</strong>vergeudung,<br />
aber das zählt in der Ordnung der Diktatur nicht. Hier hat<br />
China das Fratzengesicht des Polizeistaats, <strong>die</strong> Dämonie der Unterdrückung<br />
wird auch für mich spürbar. Kl<strong>eine</strong> Jade ahnt m<strong>eine</strong><br />
Gedanken, <strong>die</strong> Gespräche bleiben heute aus.<br />
Und noch ein grosser Name reiht sich in <strong>die</strong> Bilder <strong>die</strong>ser <strong>Reise</strong>.<br />
Der Kyu Chi Fluss „Lhasafluss“ mündet in den Brahmaputra:<br />
BR AHMAPUTR A – wie das klingt, weit im Westen in den<br />
Hängen des Karakorums, nahe dem geheimnisvoll mythischen<br />
Ort ShangriLa, sucht er s<strong>eine</strong>n Anfang, ehe er sich durch das Tibet<br />
Tal den Weg durch enge Schluchten in den bengalischen Golf<br />
gräbt. Das ganze Tal ist Strom, <strong>die</strong> Nationalstrasse wird auf <strong>eine</strong>m<br />
Damm geführt. Wir queren ihn nach Süden über <strong>eine</strong> 2400 m<br />
lange, flache Brücke, militärisch mit wehrhaften Brückenhäuschen<br />
gesichert. An den Strassenrändern hocken und knien sie,<br />
<strong>die</strong> Landarbeiter mit ihren kl<strong>eine</strong>n schrumpeligen Pfirsischen,<br />
riesigen Wassermelonen, Zitronen und Wurzelgemüsen. Ihre<br />
Dörfer am Wegesrand rohe Einheitsziegelbauten in grauen Tönen,<br />
<strong>die</strong> Türen- und Fensteröffnungen schwarz umrandet – der<br />
bösen Geister wegen. Auf den Dächern <strong>die</strong>nen zwei Fahnenstangen<br />
dem gleichen Zweck, Geister von oben abzuwehren. Mythologie<br />
und Märchen haben vieles gemeinsam, aber wir haben uns<br />
verständigt – das ist nicht nur Zivilisation, das ist gelebte Kultur.<br />
28 lange Kilometer quält sich der nicht allzu stark motorisierte<br />
Mini <strong>die</strong> Passstrasse hoch, ich warte auf <strong>die</strong> Schneemengen nach<br />
dem nächtlichen Gewitterregen, aber <strong>die</strong> Schneekappen auf den<br />
6000-ern verbergen sich hinter den niederen Wolken, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Berge fetzig umspielen. Wenn <strong>die</strong> Wolken <strong>die</strong> Gipfel freigeben,<br />
sehen <strong>die</strong> Berge auch nur aus wie <strong>die</strong> Zugspitze aus der Sicht von<br />
Garmisch. Nur <strong>die</strong> leeren Matten zeigen an, dass wir uns oberhalb<br />
der Baumgrenze bewegen. Nach 2,5 Stunden stoppt der Wagen in<br />
den Wolken, kl<strong>eine</strong> Jade räuspert sich auf der Passhöhe zu ihrem<br />
zweiten Gesprächsangebot: „Foto?“ Ich danke, was soll ich auch<br />
fotografieren ? Auf der Abfahrt zum See verlieren wir wieder 500<br />
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m Höhe, dafür haben sich <strong>die</strong> Wolken nach oben verzogen und<br />
geben den Blick frei auf <strong>eine</strong>n vielleicht 300 m breiten Gletschersee,<br />
der mit s<strong>eine</strong>n changierenden Türkisfarben mit den „heiligen<br />
Wassern“ in der Länge von etlichen Kilometern spielt. Ein grauer<br />
Ziegelbau – wohl als Ausflugslokal geplant – gibt kostümierten<br />
Fotomotiven Yaks, Hunden und Schafen Schutz vor dem einsetzenden<br />
Nieselregen. Das Picknick fällt augenscheinlich „ins Wasser“.<br />
Ein paar Hirten lassen sich nicht schrecken und geben ihrem<br />
Glasschmuck mit „Lookie, Lookie“ <strong>eine</strong>n Marktwert. Hart und<br />
braun gegerbte Gesichter, <strong>die</strong> ihren Ernst beim Lachen verlieren<br />
und <strong>die</strong> Goldzähne freilegen. Ich biete mein Lunchpaket mit halb<br />
gebratenem Hähnchenschenkel, Apfel, Tomate, Ei und Teilchen<br />
zum Verzehr an. Kl<strong>eine</strong> Jade sitzt im Auto und bewegt sich nicht,<br />
es ist ihr zu kalt und zu nass. Unter dem ausgestellten Ladedeck<br />
mache ich es den drei Hirten warm mit <strong>eine</strong>m selbst gestrickten<br />
Mantra, zu dem ich klatsche und mich in Tanzschritten bewege,<br />
in <strong>die</strong> sie leicht einfallen – <strong>die</strong> Fröhlichkeit nimmt trotz der widrigen<br />
Bedingungen zu. Ich biete ein Lied an<br />
„Atte katte nuwa“, finde aber k<strong>eine</strong> Antwort im Gesang. Linkisch<br />
drehen sie ab...ein Hirte steckt mir verlegen <strong>eine</strong>n Stein zu.<br />
Schweigende Stunden tragen uns in den Sonnenfleck Lhasa zurück.<br />
Free Tibet now<br />
D i e n s t a g, 21.09.2010<br />
Mein Trishaw-Fahrer hat sich verfahren – <strong>die</strong> Tour zurück<br />
bringt ihn ins Schwitzen, obwohl <strong>die</strong>se Stadt brettleben ins Tal<br />
eingebettet ist, denn das Tibet Museum liegt jenseits des Potala,<br />
einige Strassen sind für <strong>die</strong>se Fahrradrikschas gesperrt; so<br />
beschämt er mich, indem er ent<strong>gegen</strong> dem Strom der Pilger um<br />
den Potala fährt, ich muss Tausenden von Tibetern in <strong>die</strong> Augen<br />
schauen, <strong>eine</strong> hübsche Enzyklopä<strong>die</strong>: Die Frauen haben ihre Zöp-<br />
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fe unterschiedlich gebunden, ein Strang, zwei Stränge, aufgestellt<br />
um den Kopf, mit ein paar Nadeln und Bändern geschmückt, <strong>die</strong><br />
Männer tragen regelmässig Hüte, <strong>die</strong> Frauen selbst auch Männerhüte<br />
und alle haben <strong>die</strong> Gebetsschnüre oder <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong> Handorgel<br />
mit dabei und summen ihre Mantras. Kein Mensch beschwert sich<br />
ob unserer Fahrt, mein Fahrer pfeift nur kurz und scharf und <strong>die</strong><br />
Massen, <strong>die</strong> uns ent<strong>gegen</strong>strömen, teilen sich. Ich gestatte ihm <strong>eine</strong>n<br />
Halt, er trinkt, na ja, dann lege ich halt noch ein paar Yüan<br />
drauf, wenn er so hart arbeitet. Am Museum setzt er mich nach 35<br />
Minuten ab – 12 Y, sein Herz blutet, nun gut, 20 Y. Er strahlt – und<br />
lässt <strong>die</strong> nächsten Kunden einsteigen.<br />
Das Museum enthält wenige Attribute der neolithischen <strong>Zeit</strong>,<br />
Waffen, Tontöpfe, Schmuck – und dann beginnt <strong>die</strong> Propaganda:<br />
Schon <strong>die</strong> Tubo Dynastie des Sung Tsen Gampo wird Mitte des 7.<br />
Jahrhunderts als Zeuge „unter Han-Einfluss“ – <strong>die</strong> Han-Dynastie<br />
hatte gerade im Rest Chinas 618 n.Chr. <strong>die</strong> Macht an <strong>die</strong> Tang-<br />
Dynastie abgegeben – für <strong>die</strong> Zugehörigkeit zu China benutzt. So<br />
schleicht sich <strong>die</strong> Infiltration in der Geschichtsklitterung voran:<br />
ausgerechnet <strong>die</strong> mongolischen Yüan – 127 9 – 1368 n.Chr. -, <strong>die</strong><br />
alles Tibetische in Schutt und Asche gelegt hatten, <strong>die</strong>nen dazu,<br />
mit dem Unterwerfungsvertrag zu belegen, dass sich „Tibet der<br />
Zentralgewalt unterstellt hat“. Und <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>die</strong> chinesischen<br />
Kaiser der Ming-Dynastie – 1368 – 1644 n.Chr. - sich<br />
durch das Wirken Thsongkapas dem Buddhismus verschrieben<br />
haben, macht <strong>die</strong> „Einheit“ schon damals sichtbar. Die mandschurische<br />
Qing-Dynastie – 1644 – 1911 n.Chr. - wird ohne Skrupel<br />
als „chinesische Unifizierung“ beschrieben. Da darf der Aufstand<br />
der Tibeter 1905 natürlich fehlen und <strong>die</strong> Besetzung Tibets im<br />
Jahre 1950 zur „peaceful liberation“ ernannt werden. Was habe<br />
ich gelernt: Es kommt nicht auf <strong>die</strong> Tatsachen an, sondern auf <strong>die</strong><br />
Meinung über Tatsachen. Mit <strong>die</strong>ser historischen Beweisführung<br />
erklären sich dann <strong>die</strong> chinesischen Kampftruppen-Bataillone,<br />
<strong>die</strong> das „friedlich befreite Volk“ bewachen. Warum herrscht eigentlich<br />
in der politischen Diskussion so viel Trug – „das Volk will<br />
betrogen werden“, pflegte mein Grossvater bei zu tragen. Mit der<br />
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gehörigen Wut im Bauch schaue ich den Militärs ins Gesicht, ihre<br />
Augen verstecken sich hinter dunklen Sonnenbrillen – der Killereffekt<br />
wirkt.<br />
Verwundert registriert <strong>die</strong> kl<strong>eine</strong> tibetische Fee m<strong>eine</strong>n<br />
Wunsch nach Buttertee – der wird in dem Touristenlokal, wo<br />
gerade <strong>eine</strong> Studiosus-Gruppe abgefertigt wird, zu Mittag nicht<br />
angeboten, dann eben grünen Tee aus der Flasche zu Gingernudeln<br />
30 Y. Mit 10 Y reicht das Taxi bis zum Ramoche Tempel in der<br />
Altstadt, der zweitälteste Tempel nach dem Jokhang. Ich nutze <strong>die</strong><br />
„freie Verfügung“-zu kurzen Begegnungen, <strong>die</strong> mir kl<strong>eine</strong> Jade<br />
abgenommen hatte. Das Eintrittsticket 20 Y lässt ein freundliches<br />
Gespräch mit dem Mönch zu, der mich in den Versammlungsraum<br />
einlädt, wo ich m<strong>eine</strong>n Rundgang unter Opfergaben mache.<br />
Draussen vor der Tür – es ist ein ganz gewöhnlicher Dienstagnachmittag<br />
– sammeln <strong>die</strong> Menschen Karmapunkte mit unablässigem<br />
Niederfallen und Anbetung unter Gemurmel. Auf dem mittleren<br />
Pilgerweg strömt es regelrecht, Frauen haben ihre Kinder mit<br />
Schnüren auf den Rücken gebunden, rote Backen zeichnen <strong>die</strong><br />
braunen Gesichter, <strong>die</strong> Nasen sind in aller Regel spitzer als <strong>die</strong> der<br />
Chinesen. In <strong>eine</strong>r atemlosen Eile rennen <strong>die</strong> Pilger mehrfach um<br />
den Tempel, jeder Gang zählt, jede Umdrehung der Trommel oder<br />
Orgel erhöht <strong>die</strong> „Lebensenergie“ – ich habe mich noch nie so tief<br />
in <strong>eine</strong> andere Kultur fallen lassen. Und sie hat mich nicht abgewehrt<br />
oder ausgespuckt, sondern mich mit genommen, im doppelten<br />
Sinn des Wortes: Ich sitze mit ihnen auf der Steinbank am<br />
Tempel nach m<strong>eine</strong>m Rundgang, plötzlich streichelt <strong>eine</strong> faltige<br />
Hand m<strong>eine</strong>n Arm, nimmt m<strong>eine</strong> Hand, um s<strong>eine</strong> Hand in m<strong>eine</strong><br />
zu legen. Wir schauen uns an – wozu noch Worte: Es ist – doch nur<br />
ein Traum: LHASA - „free Tibet now“.<br />
224
225
Lhasa Potala 226 Palast
Lhasa Jokhang 227 Tempel
Lhasa Gebetsmühlen 228 am Barkhor
Yak am heiligen 229 See
230
Kapitel 9<br />
Mekong<br />
231
Mutter aller Wasser<br />
Die Flasche Merlot kann es nicht gewesen sein, <strong>die</strong> den Absprung<br />
von 5000 m in Tibet über 2000 m in Kunming/Yünnan<br />
hinunter in <strong>die</strong> Mekong-Ebene um Vientiane so leicht macht – jedenfalls<br />
hat „lernidee“ mit der Idee, ihren Stammkunden mit <strong>eine</strong>r<br />
Flasche chilenischen Weins zu überraschen, wieder einmal<br />
ins „Rote“ getroffen: ich fühle mich verwöhnt.<br />
Ein Riesenschiff: „Mekong Explorer“ - und nur 14 Gäste, als<br />
Gruppe davon 9 zwar schon über 2 Wochen zuletzt in Angkor<br />
Wat verloddert, aber der Preis selektiert hier dann doch <strong>die</strong> gewesenen<br />
LehrerInnen aus, <strong>die</strong> allein an ihren Schulfrisuren zu<br />
erkennen sind; ich glaube, so was bleibt. Rod, Aussie aus Perth,<br />
orientiert sich gleich an m<strong>eine</strong>r Kapp – und schon sind <strong>die</strong> ersten<br />
Kontakte geknüpft. Verwöhnt mit <strong>eine</strong>r Doppelkabine zur alleinigen<br />
Benutzung, mein Gott – und doch hätte ich für <strong>die</strong>se Fahrt<br />
gern <strong>eine</strong> Bettgenossin. Der Abwechslungsreichtum auf der 600<br />
km Fahrt von ViangChanh nach Luang Prabang, zu der wir um<br />
1700 einschiffen, findet im Kopf statt – und der braucht gelegentlich<br />
Entspannung. Mit <strong>die</strong>sen Gedanken verkrieche ich mich nach<br />
dem vielseitigen Willkommens-Dinner am Abend unters ungeöffnete<br />
Moskitonetz in der wohlgekühlten Kabine – bei offener Glasschiebetür<br />
rauscht der Mekong mich in den Schlaf.<br />
Ameisen picksen mich um 0530. Die ersten Motorengeräusche<br />
bringen <strong>die</strong> Scheiben zum Zittern. Grau dräut der Morgen im<br />
Halbschlaf. Jeder Schritt vermittelt sich im Knarren der Mahagonihölzer.<br />
Hier gehe ich barfuss. Das Holz antwortet lebendig. Der<br />
laotische Kapitän – drei davon sind an Bord zugleich als Lotsen<br />
ihrer Stromabschnitte – gibt <strong>die</strong> L<strong>eine</strong>n um 0700 frei. Ich atme<br />
<strong>die</strong> Morgenluft bei <strong>eine</strong>m Early Bird auf dem Oberdeck. Einmal<br />
mehr fasziniert mich <strong>die</strong>ser sinnliche Strom. Mal ist er breit und<br />
seicht, mal eng und 100 m tief. Eine Schauer überrascht uns nach<br />
dem Frühstück. Ein kräftiger Wind begleitet <strong>die</strong> Wasser auf dem<br />
Oberdeck. Spannende Unterhaltung mit Rod beim Mittagsbuffet.<br />
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Er liest gerade über <strong>die</strong> geheimen Operationen der USA in Laos in<br />
den 60-er Jahren.<br />
Der Kapitän braucht alle Aufmerksamkeit, um sich im Strom<br />
zu halten. Gelegentlich fährt er quer zur Fliessrichtung. Dann<br />
wieder haarscharf an Felsen vorbei. Ein Zigzagweg mit etwa 6<br />
kn bei <strong>eine</strong>m ebenso Starken Gegenstrom. Holger, der Cruisedirektor,<br />
referiert über Laos – Land und Leute. Er hat Kotte/Siebert<br />
gut verarbeitet. 120 km Tagesleistung in 10 Stunden. Ein Tropfen<br />
Wein gönne ich mir als Aperitiv für das abendliche Barbecue. Ein<br />
Grollen kündet das tägliche Gewitter an. Ich sehe uns schon wieder<br />
im Wasser stehen – <strong>die</strong>smal auf dem Schulhof und Spielplatz<br />
des Dorfes, wo uns <strong>die</strong> Dorfjugend beobachtet. Solch ein zweistöckiges<br />
Schiff fährt nicht alle Tage vorbei. Die vorauseilenden Gewitterwinde<br />
kühlen <strong>die</strong> Nachmittagsschwüle. Wir haben immer<br />
noch Regenzeit.<br />
Ich habe Mangel an Lektüre, seitdem John Steinbeck wieder<br />
nach Hause befördert worden ist – und <strong>die</strong> <strong>Reise</strong>führer alle schon<br />
doppelt gelesen sind. In der Bibliothek – <strong>eine</strong>r Ansammlung abgelegter<br />
<strong>Reise</strong>lektüre – finde ich ein Buch von Suter, es hilft mir über<br />
<strong>die</strong> langen Stunden. Die Batterie leert sich langsam, aber sicher.<br />
Das Schreiben macht <strong>die</strong> <strong>Reise</strong> wertvoll. Wo sonst kann ich festhalten,<br />
dass ich ohne Anstände <strong>eine</strong>n zweiten Tag in Kunming mit<br />
Lao Airlines einfach telefonisch verabreden konnte. Ein weiterer<br />
Tag in ViangChanh hätte mir k<strong>eine</strong> Neuigkeiten mehr gebracht.<br />
So kann ich mich schon am Flughafen in <strong>die</strong> Gruppe einbringen,<br />
<strong>die</strong> sich aufs Boot begibt. Die typische Gruppenatmosfäre: Zweie<br />
aus Schwaben – wo <strong>die</strong> nur alle herkommen –, <strong>die</strong> <strong>die</strong>Gruppe tunlichst<br />
meiden, <strong>die</strong> beiden älteren Lehrerinnen, <strong>die</strong> sich unauffällig<br />
bewegen, <strong>die</strong> Ehepaare aus der Schweiz, Bayern und aus – Brühl!<br />
Nirgendwo auf der Welt ist man so ganz allein.<br />
Der Fluss zieht nimmermüde s<strong>eine</strong> Bahn, er fesselt <strong>die</strong> Menschen<br />
in s<strong>eine</strong>r Nähe, sie richten ihr Leben nach ihm aus. „Panta<br />
Rhei“ – alles fliesst, ja strömt. Ich wundere mich über mein Herzblut.<br />
Bis auf ein paar Tage Nasenbluten habe ich alles in der Höhe<br />
überstanden. Blutdruck 128/76.<br />
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Laos PDR = People‘s Democratic Republic oder „Please Don‘t<br />
Rush“. Wie <strong>die</strong> spöttische Umschreibung des Flegmas der Laoten<br />
– so auch der Fluss, <strong>eine</strong> träge Massenansammlung. 7 – 8 kg<br />
Silt auf <strong>eine</strong>n Kubikmeter Wasser. Das schläfert s<strong>eine</strong>n Lauf ein.<br />
Kraftvoll drängt und drückt er s<strong>eine</strong> Wassermassen in <strong>die</strong> Engen<br />
und Schleifen, gurgelt noch einmal tief, ehe er das Holz frei gibt<br />
für den nächsten Strudel. Das Boot sucht sich <strong>eine</strong>n Liegeplatz am<br />
Steilufer von Sanakham. Die Mannschaft legt den Steg aus. Mit<br />
Äxten werden <strong>die</strong> Büsche gelichtet. Mit Schaufeln <strong>eine</strong> Treppe<br />
in den Lehm gegraben. Das abendliche Barbecue lockt. Die Jungs<br />
spielen Fussball gefährlich nah am Abhang auf der Schulwiese.<br />
Lampions leuchten den Weg aus zum Lagerfeuer, um das sich<br />
<strong>die</strong> Hähnchenschenkel, Rippchen und Schaschlikstäbchen schon<br />
scharen wie <strong>die</strong> lüsternen Zungen der Passagiere, <strong>die</strong> sich im weiten<br />
Kreis um das Feuer setzen und sich noch mit <strong>eine</strong>m Beerlao<br />
zügeln. Schon ist <strong>die</strong> Trennung zwischen der Gruppe und den Individualreisenden<br />
auch optisch sichtbar.<br />
Rod klemmt sich an <strong>die</strong> Brühler, ich habe es mit Sarah, <strong>eine</strong>r<br />
UK-Bürgerin zu tun, <strong>die</strong> den Mekong für britische Touristen journalistisch<br />
erschliesst – auf der Gruppenseite wird schwäbisch,<br />
bayerisch und schwyzerdütsch gesprochen, wir unterhalten uns<br />
englisch. Lieder zur Laute werden laotisch angestimmt. Wir sind<br />
nicht imstande, ein Lied gemeinsam zu singen, jeder hat <strong>eine</strong> Ausrede,<br />
also wer tritt in Vorlage: „Horch, was kommt von draussen<br />
rein“ – mit ein paar Gesten: Und schon warten <strong>die</strong> versammelten<br />
LaoFrauen des Dorfes auf ihren tänzerischen Einsatz.<br />
Ein Gruppentanz ohne Leidenschaft und ohne Kontakt zum<br />
Gegenüber, das Männner und Frauen bilden. Jetzt haben sie uns<br />
schon das Para<strong>die</strong>s wegen <strong>eine</strong>s Apfels verspielt – und schauen<br />
uns nicht mal an. Ich drehe ein paar eigenwillige Tanzeinlagen<br />
im Rytmus der Musik – und <strong>die</strong> Lage bessert sich. Nun stehen <strong>die</strong><br />
laotischen Seeleute an, ihnen <strong>die</strong>se frei improvisierte Schrittfol-<br />
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ge doch noch einmal zu zeigen, ein wildes Durcheinander, aber<br />
es wird gelacht, <strong>die</strong> Starre löst sich, irgend<strong>eine</strong>r setzt sich neben<br />
mich und bringt mir ein Bier, mit dem wir anstossen. Die ersten<br />
Satten verkriechen sich, es beginnt zu nieseln – wir singen ein<br />
Lied <strong>gegen</strong> den Regen: Es hört auf. Ein kl<strong>eine</strong>r Kreis, der Eimer<br />
wird zum Schlagzeug, <strong>die</strong> Bongo gibt <strong>eine</strong>n verwegenen Rytmus<br />
vor, kehlig singt der Mannschaftskoch <strong>eine</strong>n Beatles-Song. Bei<br />
„Joshua fit the battle of Jericho“ fallen sie ein. M<strong>eine</strong> beiden Bayern<br />
schaffen ein eigenes Watzmannlied in Mundart. Es regnet<br />
stärker, was soll‘s, nass bin ich ohnehin und lustig ist‘s allemal.<br />
Frau Bürgermeisterin verabschiedet sich, der Generator streikt,<br />
<strong>die</strong> Lichter fallen aus – und ich glücklich auf mein Bett.<br />
Wenn <strong>die</strong> 500 PS morgens anfangen zu röhren und wild schäumen,<br />
ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Dabei bin ich – wie immer<br />
– eigentlich schon vor sechs wach, geniesse den Morgen, <strong>die</strong><br />
Füsse halte ich am Balkon hinunter ins warme Wasser des Stroms,<br />
der sich aus 4000 m Höhe im Quellgebiet des Qinghai Plateaus in<br />
<strong>die</strong> Tiefen und Untiefen gestürzt hat, um s<strong>eine</strong>n Reichtum an <strong>die</strong><br />
Menschen und Länder zu verteilen. Heute – es ist schon wieder<br />
Sonntag; in 14 Tagen bin ich zu Hause – beansprucht Laos nach<br />
Passieren der Ortschaft Phalat den Mekong für ein paar hundert<br />
Kilometer für sich allein. An der Einmündung des Grenzflusses,<br />
der <strong>die</strong> thailändische Grenze ins Landesinnere verschiebt, steht<br />
ein Buddha mit <strong>eine</strong>r seltenen Handhaltung: linke Hand furchtabwehrend,<br />
rechte Hand straff nach unten - Schutz vor Hochwasser.<br />
Glaube es, wer will, aber <strong>die</strong> Zahl der Mudras, <strong>die</strong> als Schutz- und<br />
Lehrfunktion dem Lehrmeister zugeschrieben werden, wechseln<br />
mit der Örtlichkeit. Ein Ort der Versammlung – mit im Schoss<br />
übereinandergelegten Händen – ist dem Buddha im Fels gegeben,<br />
der uns heute schon nach dem Frühstück empfangen hat.<br />
Ein schwüler, aber duftiger Tag kündet sich an, zweimal duschen<br />
ist angesagt, einmal nach dem Spaziergang, zum anderen, um<br />
das Mittagsbuffet geniessen zu können, ein weiteres Mal, als ich<br />
mich am Nachmittag zur Massage vorstelle 10 $.<br />
235
Der Fluss entwickelt dort <strong>eine</strong>n besonderen Charme, wo er<br />
nicht nur sich als milchig braunes Band in <strong>die</strong> immergrüne Hügellandschaft<br />
einbettet, sondern dort, wo sich Menschen mit Booten<br />
und Netzen s<strong>eine</strong>r be<strong>die</strong>nen. In <strong>eine</strong>r unberührten Gegend, in der<br />
der Strom der einzige Transportweg zu den Dörfern Bans ist und<br />
jene Trägheit entfaltet, <strong>die</strong> k<strong>eine</strong> Angst bereitet. Mit „Das Lied der<br />
Welt“ hat Jean Giono <strong>die</strong>ser Landschaft <strong>eine</strong>n plastischen Titel gegeben.<br />
Sie summt sich in mich hinein. Riesige Wolkenbänke und<br />
ein Regenbogen künden den nächtlichen Regen an.<br />
Zwischen grünen Hängen zeichnen sich <strong>die</strong> ersten Karstberge<br />
ab. Der Morgenmarkt in Paklai atmet Langeweile, nur <strong>die</strong> Kinder<br />
nehmen <strong>die</strong> Gelegenheit wahr, ein bisschen zu fremdeln. Der Tuk-<br />
Tuk trägt uns durch <strong>die</strong> wässrigen Lehmmassen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Schuhe<br />
gleitfähig machen. Die Uferböschungen sind <strong>eine</strong> einzige Balletschule,<br />
so tanzen wir <strong>die</strong> Hänge hinauf, <strong>die</strong> der Regen aufgeweicht<br />
hat. Die kl<strong>eine</strong> Lache im Zimmer beschert mir heute früh <strong>eine</strong><br />
Rutschpartie, <strong>die</strong> glimpflich endet. Der Scheitel der Mekongreise<br />
ist schon erreicht – Inge und Karl aus Brühl, <strong>die</strong> im Entwicklungs<strong>die</strong>nst<br />
in Zentralasien waren, geben sich als gute Sozialdemokraten<br />
zu erkennen. Rod erzählt mir von den Kimberleybergen. Mit<br />
ihnen und Sarah, der Engländerin, verabreden wir uns zu <strong>eine</strong>m<br />
Farewelldinner am Mittwoch nach Ankunft. Holger bedeutet mir,<br />
<strong>die</strong> Busreise nach Phansavanh wird wohl 10 Stunden dauern –<br />
wenn ich nur zwei Tage habe, dann ist <strong>die</strong> „Ebene der Tonkrüge“<br />
wohl nicht mehr zu erreichen auf <strong>die</strong>ser <strong>Reise</strong>, dann lebe ich mich<br />
in Luang Prabang ein, ehe ich am Samstag, 02.10.10 0700 das<br />
Schnellboot nach Houay Xai besteige.<br />
Der Strom wird enger und schneller, <strong>die</strong> Maschinen arbeiten<br />
volle Kraft voraus. Ich erwische ein Buch über ShangriLa, jenes<br />
ungenannte Para<strong>die</strong>s in den Legenden der Tibeter, und versenke<br />
mich. Ich zweifle an dem Stundenwalk zur Höhle Phas Beuk, der<br />
Tag ist heiss, aber auf <strong>die</strong> folgende Dusche freue ich mich; sie spült<br />
alle Anstrengung wieder weg. 15 Bilder verbleiben noch auf dem<br />
Chip. Wer soll das alles sich anschauen ? Der Fluss besänftigt und<br />
regt gleichzeitig auf. Er bleibt so gelassen, selbst wenn sich d<strong>eine</strong><br />
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Gefühle berauschen. Die Gleichförmigkeit macht ihn eindrucksvoll,<br />
<strong>die</strong> Landschaft rahmt ihn butterweich. Die Maschinen werden<br />
zurückgefahren, das Boot legt an – 1330, ich bereite m<strong>eine</strong><br />
Wanderschuhe vor.<br />
Quälerisch in der Mittagshitze <strong>die</strong>se Wanderung, aber <strong>die</strong><br />
Menschen am Fluss sind neugierig, sie versammeln sich um den<br />
Anlegeplatz. Seit zwei Jahren bemüht sich der Bürgermeister wieder<br />
um <strong>die</strong> Ankunft des Schiffes. Er hat <strong>die</strong> Gehwege neu räumen<br />
und <strong>die</strong> Aufstiege glätten lassen. Eine doppelte Anzahl Kinder<br />
begleitet <strong>die</strong> 10 Mutigen entlang der Feldwege zu jenem Karstgestein,<br />
das sich vom Wasser auswaschen lässt und riesige Höhlen<br />
bildet. Kühle vermittelt das Gestein, während <strong>die</strong> Flaschen Wasser<br />
über Kopf und Arme leeren. Die Wasserbüffel halten inne im<br />
Suhlbad, wenn sie uns sehen. Die Kinder wahren Distanz, sie hocken<br />
als Beobachter auf den Stümpfen der Bäume und Rissen der<br />
Felsen. M<strong>eine</strong> Augen schmerzen ob des Salzes, das sich über den<br />
Schweiss in sie träufelt. Die Sonne brennt auf der gewässerten<br />
Haut. Leichtigkeit vermittelt sich erst auf dem Rückweg, wenn<br />
<strong>die</strong> Dusche lacht. Schuhe unters Wasser, den Lehm abspülen und<br />
schrubben, Hemd und Hose, <strong>die</strong> Strümpfe ins warme Waschwasser,<br />
einweichen, abspülen, auswringen, trocknen – <strong>die</strong> Luftkühlung<br />
lässt <strong>die</strong> Regeneration schneller zu, Vorhänge zu, <strong>die</strong> Augen<br />
zu – <strong>eine</strong> halbe Stunde reicht, ehe es wieder auf Deck geht – der<br />
Kapitän hat längst <strong>die</strong> Schrauben angeworfen.<br />
Die zerfetzten Wolken beginnen Geschichten zu erzählen, ein<br />
Regenbogen zeigt sich im trüben Blau des Himmels. Als <strong>die</strong> Sonne<br />
sich neigt, schwindet auch <strong>die</strong> Geschwindigkeit. Rauchfeuer signalisieren<br />
<strong>die</strong> Nähe <strong>eine</strong>s Ban. Etwas unbeholfen wirkt das Anlegemanöver<br />
– der Käpt‘n setzt k<strong>eine</strong>n Anker, sondern hält sein<br />
Boot immer an Stämmen oder Eisen fest, <strong>die</strong> ins Ufer gerammt<br />
werden. Das Dorfleben umspielt uns, Häuser im Wasser, auf<br />
Bambusrohren leicht gebaut, wechseln mit den typischen Pfahlhäusern,<br />
<strong>die</strong> mannshoch gehalten sind. Die rasanten Langboote<br />
dröhnen im Wechselspiel um unser Hausboot. Im Immergrün des<br />
Urwalds hat der Fluss heute <strong>die</strong> Farbe gewechselt, er spiegelt das<br />
237
Grün und verliert zeitweise sein Milchgesicht. In der Kühle des<br />
Abends schwärzt er sich ein. Die ersten Sterne leuchten ausgewaschen<br />
am Firmament. Der Mekong verwöhnt uns einmal mehr<br />
mit s<strong>eine</strong>n kraftvollen Bildern.<br />
Ich vermisse <strong>die</strong> Mücken, der Strom fliesst zu schnell, <strong>die</strong> Mücken<br />
sind zu langsam. Dafür begleiten einige gewaltige Insekten,<br />
Heuschrecken, Nachtfalter unser abendliches Dinner, das der laotische<br />
Koch wieder gezaubert hat. Das Gespräch fliesst träge, <strong>die</strong><br />
Gedanken sind ausgetauscht, <strong>die</strong> Pläne geschmiedet. Holger präsentiert<br />
„Bomb Harvest“, ein australisch-deutsches Film-Projekt,<br />
das <strong>die</strong> mühselige und gefährliche Arbeit der Bomben- und Minensucher<br />
mit Galgenhumor versetzt.<br />
Die Wasser schäumen, ein paar Katarakte geben dem Strom<br />
neue Nahrung. Weisse Whirlpools spannen sich quer über den<br />
Fluss, einzelne Felsen ragen hervor, <strong>die</strong> Widerwellen überschlagen<br />
sich. Enger spannt sich das Tal, fasst so wie am Mittelrhein<br />
– es fehlen nur <strong>die</strong> Burgen, Dörfer, Strassen. Hier gibt es k<strong>eine</strong><br />
Flucht, hier geboren sein, heisst bleiben müssen. Der Kulturfilm<br />
hat kein Ende. Deshalb auch haben unsere Serviceboys – Mädchen<br />
sind k<strong>eine</strong> an Bord – ständig ihr Wörterbuch aufgeschlagen<br />
– sie lernen bei der Hand englische Vokabeln, um <strong>eine</strong>s schönen<br />
Tages <strong>die</strong> Flucht zu wagen. Ich bin nicht sicher – zu stark sind <strong>die</strong><br />
Familienbindungen, <strong>die</strong> Verantwortlichkeiten, <strong>die</strong> Sorge um Frau<br />
und Kind. Sie sind in ihrem Dienst privilegiert. Ein Trinkgeld von<br />
20 € springt nach jeder <strong>Reise</strong> allemal heraus.<br />
Die Stromschnellen sind passiert. Ban Kok Hua Kheng Luang<br />
– <strong>die</strong> Gruppe besichtigt das Kamudorf, das auf <strong>eine</strong>r Landzunge<br />
liegt. Ich mag den Menschen nicht gruppenweise in <strong>die</strong> Kochtöpfe<br />
schauen, deshalb bleibe ich zurück. Das Schiff spürt den Wasserdruck,<br />
es schlingert ein wenig durch <strong>die</strong> Strömung, <strong>die</strong> bei der<br />
schmalen Taille des Flusses heftiger auf den Bootskörper einwirkt.<br />
Die Kapitäne haben das gut im Griff, ein wenig Seetrunkenheit<br />
kann ja nicht schaden – <strong>die</strong> Lieder lallen sich dann leichter. Der<br />
ewig gleiche Rytmus will ertragen sein – fünf Tage auf dem Boot,<br />
das reicht dann auch.<br />
238
Das Farewell-Dinner hat der asiatischen Küche nochmals Lob<br />
gezollt, <strong>die</strong> Hymnen auf Mannschaft und Passagiere sind gesungen,<br />
das Trinkgeld taxiert – und der Mekong singt immer noch<br />
s<strong>eine</strong>n stummen mählichen Gesang. Vertraut ist er inzwischen<br />
mit s<strong>eine</strong>m Ballast: <strong>die</strong> Menschen stampfen sich in s<strong>eine</strong> lehmigen<br />
Ufer ein und hinterlassen Spuren bis zum nächsten Hochwasser.<br />
Der Höchststand ist erreicht. Felsformationen lugen aus den<br />
immer noch milchigen Wassern. Die <strong>Reise</strong> stromaufwärts wird<br />
mit jedem Tag ein Stück spannender. Die abendlichen Besuche im<br />
Zimmer nehmen Formen an. Von der Ameise bis zur Grille sammelt<br />
sich alles im Kegel der Leselampe. Auf dem Monddeck ist<br />
noch Betrieb, der Service jagt für <strong>die</strong> Mannschaftsküche allerlei<br />
Getier, das sich am Suchlicht des Schiffs verbrannt hat und in <strong>die</strong><br />
Plastiktüte abstürzt. Wahre „Delikatessen“ fliegen hier herum –<br />
das Schlaraffenland mit den gebratenen Hähnchen ist nicht mehr<br />
weit. Geniessbar sind <strong>die</strong> proteinhaltigen Viecher nur nach <strong>eine</strong>r<br />
Grillpartie und <strong>eine</strong>r Marinade aus scharfer Sojasosse.<br />
Der Morgen erwacht <strong>gegen</strong> 0500 Uhr, zwei Partien Spider<br />
Solitaire habe ich schon gewonnen, das Tigo-Netz fürs Mobilfon<br />
reicht nicht ins Mekongtal, so bleibt mir nur <strong>die</strong> Schreibe. Die<br />
Wolken küssen den Fluss, er füttert sie mit Wasser. Die Aussenwände<br />
sind kräftig beschlagen, der Boden rutschig. Mannschaften<br />
trocknen den Boden, <strong>die</strong> Fischer treiben über den Strom.<br />
Elegant wie sie auf dem Bug reglos hocken und nur <strong>die</strong> notwendigsten<br />
Bewegungen mit Netz und Paddel unternehmen, um <strong>die</strong><br />
Balance nicht zu verlieren. Die Wasser sind unbelastet, wenn man<br />
von dem Lehmeintrag absieht, aber <strong>die</strong> Lao Lum trinken <strong>die</strong>ses<br />
Wasser erst, nachdem es abgekocht ist. Der Sand im Magen wird<br />
dann auf natürliche Weise ausgeschieden – und trotz aller Gewöhnung<br />
ist es ausgerechnet <strong>eine</strong>r der drei Kapitäne, dem das Wasser<br />
nicht bekommt.<br />
Wasserfall und Kaskaden warten noch auf uns beim letzten<br />
Ausflug bei Kuang Si, um uns – nach <strong>eine</strong>m kühlen Bad in klarem<br />
Wasser – anschliessend in Luang Prabang an unseren Hotels<br />
abzusetzen. Ken hat bei s<strong>eine</strong>m Freund im „Elefant-Restaurant“<br />
239
<strong>eine</strong>n Tisch heute abend für fünf <strong>Reise</strong>nde reserviert. Rod geht<br />
über Bangkok zurück nach Perth, vielleicht sehen wir ihn im<br />
nächsten Jahr, wenn er nicht als Frühpensionär wieder unterwegs<br />
ist ... Afrika, Südamerika, <strong>die</strong> Welt ist s<strong>eine</strong> Heimat. Da kenne ich<br />
noch jemanden, der s<strong>eine</strong>n Urlaub zu Hause verbringt. Sarah hat<br />
jene interessierte britische Distanz der Sprache, <strong>die</strong> k<strong>eine</strong> Wünsche<br />
aufkommen lässt. Das Pärchen aus Brühl/Sachsen hat sich<br />
mittlerweile in Samui eingerichtet – und sieht Deutschland auch<br />
nur aus der Ferne. Die rheinische Beredsamkeit von Inge muss<br />
dem sarkastisch kalauernden und sächselnden Karl auf den Nerv<br />
gehen ... er schweigt. Holger findet in s<strong>eine</strong> junge Familie zurück.<br />
Gisela schreibt, dass sie mich erwartet – das Fernweh lässt nach,<br />
ist es Heimweh? Es ist...<br />
240
241
Vientiane Dinner 242 im Green Park Hotel
Luang Prabang Abend 243am Mekong
Khone Pha 244Phang Wasserfälle
Stung Treng Abschied 245
Abgesang<br />
Das Atmen fällt mir schwer, ein Lastexband stärkt m<strong>eine</strong><br />
Weichteile – <strong>die</strong> Lunge und ein paar Rippen haben Schaden genommen<br />
und mir ein paar Ruhetage in Chiang Khong/Thailand<br />
bereitet. Im Nam Khong Riverside Hotel hat sich der Wirt ein<br />
Herz und mir <strong>eine</strong> Sorge genommen und im dritten Stock ein<br />
grosses Zimmer 311 mit wunderbarer Aussicht auf m<strong>eine</strong>n Strom<br />
Mae Nam Khong für 800 Baht vermietet. Die Zwangspause auf<br />
dem Weg nach Bangkok verleitet mich nun dennoch zu <strong>eine</strong>m Abgesang<br />
auf <strong>eine</strong> glückliche <strong>Zeit</strong>, nach der Bilanz zu ziehen nicht<br />
einfach fällt.<br />
Wo anfangen, wo aufhören, wo verweilen, wo fliehen – Das<br />
wilde Sarawak. Das muslimische Malaysia. Das königliche Thailand.<br />
Das freundliche Laos. Das verstörte Cambodia. Das quirlige<br />
Vietnam. Das selbstbewusste China. Das fromme Tibet: Sie alle<br />
haben eindrucksvolle Charaktere vertieft hinterlassen. Die Flussreisen<br />
<strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> auf dem Barang Rajang in Sarawak, auf dem<br />
Mekong mit s<strong>eine</strong>n bewegenden Erinnerungen und Erfahrungen,<br />
der liebliche Li mit s<strong>eine</strong>n Karstfelsen, <strong>die</strong> grossen Ströme der<br />
Welt Brahmaputra, Mekong und der in Qinghai kurz gestreifte<br />
Irrawadi – ich weiss kein Thema, das alles erfassen könnte: Der<br />
Reichtum der Tempel, Klöster und Moscheen, <strong>die</strong> Attraktivität<br />
der Landschaften, <strong>die</strong> Vielfalt der Völker, Kulturen und Sprachen,<br />
<strong>die</strong> theokratischen Verfassungen im islamischen Malaysia<br />
und buddhistischen Thailand, <strong>die</strong> Konfrontation und Konnotation<br />
von Kapitalismus und Kommunismus in Laos, Cambodia, Vietnam<br />
und China, <strong>die</strong> Beutelei und Kriegslüsternheit des Westens<br />
(Briten,Franzosen,Amerikaner), <strong>die</strong> fatale Ergebenheit buddhistischer<br />
Suche nach Karma, <strong>die</strong> identitätsstiftende Idolwirkung<br />
grosser Persönlichkeiten wie Mao Tse Tung, Ho Chi Minh, Bhumiphol,<br />
Dalai Lama, der Verlust an nationaler Identität in Ländern<br />
ohne Idol – Malaysia zerrissen zwischen den hierarchisch<br />
geführten muslimischen Sultansprovinzen und den parlamentarisch<br />
regierten sultansfreien Regionen – Sarawak, Sabah, Kuala<br />
246
Lumpur, Malacca, Penang. In Thailand streiten <strong>die</strong> „roten“ und<br />
<strong>die</strong> „gelben“ Hemden um <strong>die</strong> Zukunft, Land <strong>gegen</strong> Stadt – und <strong>die</strong><br />
Geburtstage der Königsfamilie werden einträchtig miteinander<br />
gefeiert. Laos entsetzt des Königreich der „Millionen Elefanten“<br />
1975 und ermordet <strong>die</strong> Königsfamilie im Umerziehungslager –<br />
bewahrt gleichwohl das Erbe in der Königsstadt Luang Prabang.<br />
Cambodia sucht im Tribunal über <strong>die</strong> Roten Khmer 30 Jahre nach<br />
Ende des Pol Poth Regimes s<strong>eine</strong> eigene „Wahrheit“ – und s<strong>eine</strong><br />
Kinder wissen nichts mehr über <strong>die</strong> Foltergefängnisse und <strong>die</strong><br />
„Killing Fields“. Vietnam, ein Land das <strong>die</strong> rote Fahne über Sieger<br />
und Besiegte flattern lässt – und den Marsch in den Sozialismus<br />
„auf kurze <strong>Zeit</strong>“ ausgesetzt hat. Und ein China, das sich in<br />
den kommunistischen Kadern den „wohlwollenden Herrscher“<br />
erhalten hat, der s<strong>eine</strong> Kultur und Identität seit über 2200 Jahren<br />
bestimmt – gleichwohl bei k<strong>eine</strong>m Nachbarn beliebt ist und den<br />
Staatsterror s<strong>eine</strong>r kriegerischen Erfahrungen in Tibet und anderen<br />
unterworfenen Regionen auslebt.<br />
Die Summe der Eindrücke sprengt das Erfassen. Das Chaos ist<br />
<strong>die</strong> einzige Ordnung, <strong>die</strong> alles hält. In der Fremde ist <strong>die</strong> Freundlichkeit<br />
<strong>die</strong> einzige Währung, <strong>die</strong> zählt. Demokratie ist <strong>eine</strong> Erfindung<br />
des Kapitalismus, es gibt andere Wege zum Glück. Aufklärung<br />
verklart und behindert Einsichten. YinYang ist überall.<br />
Wenn ich heute m<strong>eine</strong> eigenen Berichte lese, wirken sie auf<br />
mich wie <strong>gegen</strong>über <strong>eine</strong>m Dritten, der sich durch <strong>die</strong> Lande ziehen<br />
lässt. Ich danke allen, <strong>die</strong> mich begleitet haben mit ihren Reaktionen,<br />
sie haben mich gelegentlich vergessen lassen, dass ich<br />
all<strong>eine</strong> reise. Aber ich war nie allein, immer waren andere <strong>Reise</strong>nde<br />
in der Nähe, <strong>die</strong> sich öffneten, Gary und Geraldine, Richard<br />
und Robin, Robert und Rod, Sophie und Rosainne. Die Kontakte<br />
und Kommunikation mit m<strong>eine</strong>n <strong>Reise</strong>leitern Nui in Ayutthaya,<br />
Nga in Hanoi, Shiao Yü in Lhasa, RuiXun in Kunming gaben mir<br />
Nähe in zumeist deutscher Sprache.<br />
Die Freundlichkeit der Menschen hat mich über <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> getragen.<br />
Die alten Chinesen in Belaga, das ewig freundliche „Sawadee“<br />
des Empfangs in Chiang Mai und Viang Chanh, <strong>die</strong> Engel im<br />
247
Resort in Hué und Luang Say, <strong>die</strong> Aufmerksamkeit im Service von<br />
Ramayana Hotel in Luang Prabang. Kühl blieb <strong>die</strong> Atmosfäre nur,<br />
wo Geld ver<strong>die</strong>nt wurde, das gilt insbesondere für Mekong River<br />
Cruises, da bin ich im Luxus fast gestorben – und damit kommt <strong>die</strong><br />
Geschichte zum Ende:<br />
Ein Voucher in englisch gibt mir den Hinweis, dass ich für<br />
m<strong>eine</strong> weitere Mekongtour ab dem 02.10.2010 selbst sorgen<br />
muss. Nüchtern heisst es „07.00 – 07.30 Uhr Abfahrt am Calao<br />
Pier“ nach Pakbeng mit dem „Luang Say Boot“. Also laufe ich am<br />
Freitag <strong>die</strong> Uferstrasse in Luang Prabang zweimal ab, kein „Calao<br />
Pier“ zu finden. „Mekong Sun“ und „Mekong Explorer“ liegen<br />
fest verzurrt, sind nicht für <strong>die</strong> <strong>Reise</strong> nach Norden gerüstet. Überhaupt<br />
kennt niemand so recht „Calao Pier“. Um das Gesicht nicht<br />
zu verlieren, schicken mich <strong>die</strong> Einheimischen immer weiter bis<br />
zu jenem „Pier“, wo <strong>die</strong> Langboote sich übers Wochenende festgemacht<br />
hatten – und ein Fahrkartenhäuschen ausweist, dass am<br />
Montag um 0730 das Boot nach Pakbeng ablegt.<br />
Im Zweifel habe ich ja noch Ken, den Steward auf der Mekong<br />
Explorer, der mich am Samstagmorgen um 0700 aufpicken will,<br />
um mich zum rechten Platz zu bringen. Ihn hatten Rod und ich<br />
noch am Donnerstagmorgen in s<strong>eine</strong>m 2009 gebauten Haus besucht:<br />
Tot, s<strong>eine</strong> hübsche Frau, ist im achten Monat schwanger,<br />
verheiratet sind sie noch nicht, dafür fehlt das Geld nach dem<br />
Hausbau – 20 qm Einzimmerwohnung mit abgeteiltem Schlafund<br />
Toilettenabteil, wo auch noch <strong>die</strong> Schwester von Tot nächtigt<br />
in den <strong>Zeit</strong>en, in denen Ken auf grosser Fahrt ist. „Haus und Baby“<br />
– welche Träume dann noch blieben, frage ich Tot, „dass er das<br />
Haus endlich fertig macht“ kommt wie aus der Pistole geschossen<br />
aus ihrem Mund, ehe sie sich wieder dem Lab, Porc und Beef<br />
zuwendet, das sie – zum Lhao Beer – für uns frisch bereitet, nachdem<br />
wir Reis, Pfeffer und Pilze vom Morgenmarkt in Luang Prabang<br />
als Gastgeschenk mitgebracht haben.<br />
Aber von Ken ist am Samstagmorgen weit und breit nichts zu<br />
sehen, also nehme ich m<strong>eine</strong>n Roller und schultere m<strong>eine</strong>n Rucksack,<br />
um am Pier das Slowboot nach Pakbeng – halbe Strecke nach<br />
248
Houay Xai – zu erreichen. Es wird 0730, das Boot mehr und mehr<br />
beladen, ich suche m<strong>eine</strong>n Platz auf den lockeren Einzelsitzen, <strong>die</strong><br />
für <strong>die</strong> nächsten zehn Stunden m<strong>eine</strong> Bequemlichkeit bestimmen.<br />
Mein Voucher, den kein Laote lesen kann, geleitet mich wieder<br />
von Bord – irgendwas läuft hier schief, das Boot sieht nicht nach<br />
Mekong Cruise aus, Rucksacktouristen zu Hauf, aber k<strong>eine</strong> Pauschaltouristen.<br />
Am Fahrkartenschalter verweist man mich in <strong>die</strong><br />
andere Richtung – jetzt ist es aber schon nach 0800 und ich vermute,<br />
dass das „Luang Say Boot“ längst abgelegt hat. Also zahle<br />
ich 400 Baht Fahrgeld, weil das Laogeld bereits ausgegeben ist.<br />
Eine abwechslungsreiche Fahrt mit einigen wenigen Dörfern, an<br />
denen wir kurz in <strong>die</strong> Uferböschung fahren, um Last und Leute los<br />
zu werden. Im Dunkeln erreichen wir <strong>die</strong> Lichter von Pakbeng.<br />
Als ich „Luang Say Lodge“ <strong>gegen</strong>über den Häschern am Landungssteg<br />
(Entenleiter) erwähne, schaltet sich <strong>eine</strong> gute Seele<br />
ein, <strong>die</strong> schon auf mich gewartet hat. Im TukTuk werden m<strong>eine</strong><br />
Sachen und ich verstaut und auf <strong>die</strong> 2,5 km lochträchtige Strasse<br />
verbracht. Eine Freude allenthalben beim Empfang, wo ich denn<br />
bliebe, und sie hätten auf mich gewartet. M<strong>eine</strong>n Ärger schlucke<br />
ich runter angesichts der feudalen Lodge, wo <strong>die</strong> beiden Französinnen<br />
Sophie, <strong>die</strong> in Shanghai arbeitet, und Rosainne, <strong>die</strong> sie besucht,<br />
<strong>die</strong> einzigen Gäste auf dem LuangSay Boot und neben zwei<br />
Deutschen auch in der Lodge sind. Das ist bei dem hervorragenden<br />
Abendessen mir dann doch <strong>eine</strong>n Cabernet Sauvignon wert,<br />
ehe ich mich – nach den Fussballergebnissen auf wdr 2 im Internet<br />
- über <strong>die</strong> Boardwalks zu m<strong>eine</strong>m in <strong>die</strong> Uferböschung gestelzten<br />
Blockhaus begebe. Moskitonetz, Zentralschalter, Fan, alles ist<br />
für <strong>die</strong> Nacht schon bereitet. Den Wecker im Handy stelle ich auf<br />
0600. Um 0700 geht es weiter den letzten Teil der <strong>Reise</strong> nach<br />
Houay Xai und Thailand. Zufrieden lege ich mich unter Netz und<br />
Fan, das Licht lösche ich – anders als sonst – am Zentralschalter.<br />
Ein kurzes Danke für das Gelingen – doch den Tag vor dem Abend<br />
zu loben, birgt Risiken.In der Mitten der Nacht – es mag 0100 sein<br />
– überzieht mich zitternd <strong>die</strong> Kühle, <strong>die</strong> der Fan über mich breitet.<br />
Unter <strong>die</strong> Bettdecke oder den Fan aus. Schlaftrunken entscheide<br />
249
ich mich für <strong>die</strong> letztere Alternative. Aus dem Netz – wo war ich<br />
noch gleich, Zentralschalter an der Tür – und ich tappse durch <strong>die</strong><br />
Dunkelheit bis zu jener Stufe, <strong>die</strong> mein nachtwandelndes Hirn<br />
nicht mehr gespeichert hat. Den Zentralschalter jedenfalls habe<br />
ich in der nächsten Stunde nicht mehr erreicht. Denn <strong>die</strong> Stufe ist<br />
das Verhängnis m<strong>eine</strong>r verwegenen nächtlichen Suche nach Zentralschaltern.<br />
Ich verliere mein Gleichgewicht. Erst fängt mich<br />
<strong>eine</strong> Tischecke zwischen den rückwärtigen Rippen mit <strong>eine</strong>m ordentlichen<br />
Keil auf, der Rest des Körpers landet zwischen Tisch<br />
und Stuhl am Boden. Gläser, Aschenbecher, Wasserkaraffe – alles<br />
fliegt mir nach. Mir wird schwarz vor Augen, jetzt nur nicht<br />
das Bewusstsein verlieren, schrecke ich mich auf. Mir fehlt <strong>die</strong><br />
Luft, um auch nur „Help“ zu rufen – und wer soll mir helfen in der<br />
Nacht. Ein Telefon ist nicht im Raum. Einen Sanitäter gibt es hier<br />
wohl auch nicht. Ob auf französisch „ajoutez“ jemand beispringt,<br />
ist zweifelhaft. Und über den Boardwalk nachts um 0110 zu den<br />
beiden Französinnen kriechen, an <strong>die</strong> Tür klopfen, das finde ich<br />
auch nicht berauschend. Also japse ich erst mal im Liegen kurzatmig<br />
vor mich hin, bis ich wieder bei Sinnen bin. Die Tischecke<br />
hat mir <strong>eine</strong>n Lungenhaken, vielleicht sogar ein paar gebrochene<br />
Rippen beschert. Ich krieche zum Zentralschalter, hole mich<br />
an der Wand hoch – und betrachte das Elend: Alles Glas ist heil,<br />
selbst <strong>die</strong> Brille unversehrt – nur ich nicht. Kriechend geht es ins<br />
Bad, das jetzt voll ausgeleuchtet ist, <strong>die</strong> Dusche kühlt nicht mal<br />
den verschwitzten Körper, aber am Handtuch entdecke ich Blut,<br />
das recht frisch aussieht – auch noch innere Blutungen – Junge,<br />
das war‘s dann wohl. Ein aufgeregter Blick in den Spiegel – k<strong>eine</strong><br />
Blässe trübt das wilde Gesicht auch ohne <strong>die</strong> Schmerzenstränen,<br />
also lebe ich noch, wenn auch mit <strong>eine</strong>r breit blutenden Schramme<br />
im Rücken. Jeder Schritt schmerzt, ich setze mich in den Stuhl<br />
und wettere den Rest der Nacht ab, an Schlaf oder auch Bett ist<br />
angesichts der Schmerzen nicht mehr zu denken.<br />
Das Packen um 0600 dauert heute ein bisschen länger, <strong>die</strong><br />
Träger stehen schon bereit, <strong>die</strong> Zimmermädchen auch, als ich das<br />
Blockhaus im Schweigeschritt verlasse, mich mit beiden Hän-<br />
250
den an den Handläufen festhalte. Der Weg zum Frühstück wird<br />
zum Marathon, m<strong>eine</strong> beiden Französinnen sind sofort im Bilde<br />
und können sich endlich den Big Bäng heute nacht erklären. Sie<br />
bringen Salbe für <strong>die</strong> Wunde und Kee Lee, der <strong>Reise</strong>leiter auf dem<br />
Boot, besorgt Wundpflaster, um mich fürs Erste zu versorgen.<br />
Kein Frühstück schmeckt mir – also stützen sie mich und bringen<br />
das Frühstück zusammen mit mir und m<strong>eine</strong>n beiden Damen<br />
an Bord. Der Käpt‘n legt ab und ich mich nieder – auf <strong>eine</strong> Spielwiese,<br />
<strong>die</strong> mannslang mit Matten ausgelegt ist. Die nächsten 5<br />
Stunden verlasse ich den Schmerz und den Mekong und hole den<br />
verlorenen Schlaf nach. Den Nachmittag trainiere ich den aufrechten<br />
Gang, <strong>die</strong> Unterhaltung lenkt von m<strong>eine</strong>m Übel ab, das<br />
neu erwacht, als wir in Houay Xai von Bord gehen. Das TukTuk<br />
hat mit s<strong>eine</strong>r Federung auch schon bessere Tage gesehen – und<br />
soviel Elend ist dem Immigrationofficer in Laos, der s<strong>eine</strong> 10 Kip<br />
Stempelgeld kassiert, lange nicht untergekommen. Ein Träger<br />
nimmt mir das Gepäck mit auf <strong>die</strong> Fähre, <strong>die</strong> uns für weitere 10<br />
Kip über den Mekong trägt, nicht ohne mich französisch von m<strong>eine</strong>n<br />
Bootsgefährtinnen zu verabschieden, <strong>die</strong> noch weiter in den<br />
Norden Laos reisen.<br />
In Chiang Khong wartet ein Hospital auf mich, das einzige<br />
weit und breit im Norden Thailands – ich Glückskind. Aber Sonntagabend<br />
um 1900 Uhr ist da auch kein frischer Notarzt zu finden,<br />
geschweige denn <strong>die</strong> Begleitmannschaft. Also quäle ich mich<br />
durch <strong>die</strong> Nacht in Kurzatmigkeit, um am Morgen um 0900 das<br />
3 km ausserhalb liegende Krankenhaus aufzusuchen. Blutdruck<br />
128/68, aber 120 kg haben sie lange nicht mehr gemessen.<br />
Röntgenbild, Urinprobe – nach zwei Stunden tröstet mich <strong>die</strong><br />
Ärztin: k<strong>eine</strong> Fraktur, k<strong>eine</strong> innere Blutung, <strong>eine</strong> Pressur der<br />
Lunge und des Brustkorbs. Ein paar stärkere Schmerztabletten<br />
Probufen 400, ein Lastexband für <strong>die</strong> Weichteile – für 329 Baht<br />
habe ich ein erträgliches medizinisches Ergebnis, das mir <strong>die</strong> Tage<br />
in Chiang Khong erleichtert. Das Opiummuseum im Goldenen<br />
Dreieck spare ich mir angesichts des Glücks im Unglück – ohne<br />
Krankenhausaufenthalt geht es wohl nicht auf m<strong>eine</strong>n <strong>Reise</strong>n.<br />
251
Ich danke den Göttern, <strong>die</strong> mich zum guten Schluss vor Schlimmerem<br />
bewahrt haben...<br />
... als der Schmerz nachlässt, taucht der Titel auf:<br />
AUF DER SUCHE NACH DEM MYTHOS - MEKONG.<br />
252
Laos – Vientiane 253 Arbeiterin
Laos – Paksé – Tagesverpflegung 254 am Busbahnhof
China – YangShou – mit 255dem Fahrrad in den Karstbergen