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Zeitschrift für Landeskunde

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Harpfe 1/09<br />

Thema: Harpfen<br />

Birgitt Kronberger<br />

Kesen in Nordtirol<br />

„Der Vater hat immer gesagt, tut mir da ja nichts weg.<br />

Und ich muss sagen, ich bin dankbar da<strong>für</strong>.“ So umschreibt<br />

Paul S., Bauer am Ehlerhof in Nösslach, Gemeinde<br />

Gries am Brenner sein Hofensemble. Diese<br />

Hofstelle besteht aus Wohn- und Wirtschaftsgebäude,<br />

einer Getreidemühle und einem Kornkasten. Das Trockengerüst<br />

an der Südostseite des Kornkastens bezeichnet<br />

Paul S. als Kese. Zwei Holzsäulen im Abstand von<br />

etwa 80 cm zur Kornkastenwand reichen an den Ecken<br />

des Gebäudes vom Boden bis zum Dach. Die Trägerbalken<br />

weisen rechteckige Öffnungen auf, durch die querverlaufende<br />

Stangen geschobensind.Die Konstruktion<br />

wird voneinem breitenVordach vor Witterungseinflüssen<br />

geschützt. Paul S. erinnert sich, dass hier Korn,<br />

Flachs und Arbesen [Erbsen] zum Nachreifen und<br />

Trocknen aufgehängt wurden. Diese Kese hat heute in<br />

der bäuerlichen Wirtschaftsweise keine Funktion mehr.<br />

Die Sonnenterrasse von Nösslach oberhalb von Gries<br />

am Brenner liegt auf 1440 mMeereshöhe und ist eine<br />

klimatisch begünstigte Region. Der Umfang des Getreideanbaus<br />

war so ausgelegt, dass die Familien den<br />

Eigenbedarf decken konnten. Die Wetterverhältnisse<br />

ließen es nicht immer zu, die erforderliche Reife des<br />

Getreides zu erzielen, weshalb jeder Bauer in Nösslach<br />

diese Trockengerüste hatte. Die Kesen kennt heute<br />

niemand mehr, ist sich Paul S. sicher, esseien ja viele<br />

Kleinstrukturen verschwunden. Der Strukturwandel in<br />

der Landwirtschaftvom Selbstversorger zur Vieh- und<br />

Milchwirtschaftließ den Getreideanbau im Nordtiroler<br />

Wipptal beinahe gänzlich verschwinden. Damit zusammenhängend<br />

sind auch die Kesen im Landschaftsbild<br />

fast nicht mehr anzutreffen.<br />

In der Pfarrkirche Trins im Gschnitztal zeigt das<br />

1 Kese (Foto: Birgitt Kronberger,<br />

Hall in Tirol)<br />

Deckengemälde ihren<br />

Kirchenpatron, den Hl.<br />

Georg. Der Freskenmaler<br />

Anton Kirchebner<br />

(1702–1779) setzt mit der<br />

Darstellung des Dorfes<br />

Trins zu Füßen des Heiligen<br />

ein beeindruckendes<br />

Zeitzeugnis aus dem Jahre<br />

1755. Um die Trinser<br />

Kirche drängen sich die<br />

Häuser eng aneinander,<br />

eine Vielzahl an Kesen<br />

vervollständigen das Bild.<br />

Keine der freistehenden<br />

Trockengerüste auf dem<br />

Deckengemälde weisen<br />

ein Dach auf, wie es bei<br />

den Harpfen in Osttirol<br />

üblich ist. Aus der großen<br />

Anzahl der Kesen lässt sich schließen, dass um<br />

1755 das Vorhandensein von Kesen bei jedem Hof in<br />

Trins selbstverständlich war.<br />

Am Ausgangspunkt meiner Spurensuche beim Ehlerhof<br />

in Nösslach gab mir Paul S. einen Spruch mit auf<br />

den Weg. Zur Verschleierung einer konkreten Ortsangabe<br />

antwortet man in Nösslach auf die Frage: „Wo<br />

bist du gewesen?“ –„Binigewesen, auf der Simelers<br />

Kesen, aBiachl oberzulesen.“<br />

Literatur<br />

Berger, Karl C., Von der Harpfe, in: Ingruber, Rudolf (Hrsg.),<br />

Osttirol. Geschichte –Volkskunde –Kunst, Innsbruck 2005, 71 –<br />

88. | Gschnitzer,Hans, Getreideharfen in Nordtirol, in: Tiroler<br />

Heimatblätter 1/1995, 11 –14. | Pfaundler-Spat,Gertrud, Tirol<br />

Lexikon, Innsbruck 2005. | Wopfner,Hermann, Die Besiedlung<br />

der Hochgebirgstäler, Wien 1920. |Paul S., Bauer am Ehlerhof<br />

in Nösslach, Gemeinde Gries am Brenner.<br />

31<br />

Harpfe_221209.indd 31 28.12.2009 17:59:07 Uhr

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